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Abyss

von

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Daddy

Ein leises Summen liegt auf seinen Lippen, während ihn die gelben Kopfhörer, die seine Ohren bedecken, von den Geräuschen der Außenwelt abschirmen. Den Blick hat er auf die Gleichungen gerichtet, die in dem Buch stehen, welches er auf dem Bett ausgebreitet hat. Er nimmt den Bleistift aus dem Mund und notiert sich Rechenwege und Ergebnisse in dem karierten Heft, wobei sein Körper leicht im Takt der Musik wippt. Melodien ohne Text. Alles andere würde ihn zu sehr vom Lernen ablenken.

Hawks seufzt leise, als er merkt, dass er heute nicht so bei der Sache ist, wie er es sein sollte. Und daran ist diesmal nicht Mina Schuld, die im Wohnzimmer anscheinend mal wieder ihre Moves übt und den Boden dabei zum Beben bringt. Der Nachteil, wenn man sich eine billige, kleine Wohnung in einem alten Haus sucht – man hört und spürt jede Kleinigkeit. Nun, verglichen mit dem Ort, an dem er seine Kindheit verbracht hat, ist das hier ein Königreich.

Hawks lässt den Nacken knacken und wirft einen Blick auf sein Handy, das ihm anzeigt, dass es schon Nachmittag ist. Wird Zeit, dass sie Lieferando durchforsten, um ihr Abendessen auszusuchen. Mina hat genauso wenig Spaß am Kochen wie er selbst, was der Grund dafür ist, dass die Fast Food Läden mit ihnen sprechen, als seien sie alte Freunde. Na ja, gibt Schlimmeres – außerdem trainieren sie ihr Essen täglich ab. Müssen sie auch, denn fette Stripper will keiner sehen. Das ist eine Tatsache.

Hawks rollt sich auf die Seite, lässt dabei den Stift fallen und sieht an die schlecht verputzte Decke. Nach ein paar Sekunden nimmt er die Kopfhörer ab, richtet sich auf und streckt sich einmal. Sein Zimmer ist in warmen Farben gehalten, beigefarbene Wände, braune Holzmöbel, die allesamt aus Ikeas guter Stube stammen. Er legt das Heft auf den Schreibtisch, auf dem sein Laptop liegt – für den er wirklich viel Geld ausgegeben hat. Hawks hat nicht gelogen, als er gemeint hat, dass er sparsam ist. Investitionen müssen sich lohnen. Das Bestellen von Fast Food ist eine andere Geschichte, das gönnt er sich – ebenso wie die 1-2 Actionfiguren und Plüschis, die im Angebot gewesen sind.

In stilvoller Jogginghose und einem übergroßen Schlabbershirt, auf dem der Hulk abgebildet ist, geht er ins andere Zimmer und die Musik schallt ihm entgegen. Das ist noch eine Daseinsberechtigung für die Kopfhörer.

Er bleibt im Türrahmen stehen und sieht seiner Mitbewohnerin zu, wie sie einen Breakdance hinlegt, bei dem ihm schwindelig wird. Ja, er selbst ist verdammt gut, was das Tanzen angeht, aber Mina ist ein Ausnahmetalent. Genau wie er selbst wird sie nicht ewig strippen, sondern sieht den Job als eine Übergangslösung. Sie will auf eine Tanzhochschule gehen und spart dafür Geld an.

Ihre enge, pinke Leggins hat sie ebenso durchgeschwitzt wie das gleichfarbige Top mit dem giftgrünen Bustier darunter. Hawks beobachtet sie dabei, wie sie einen Handstand macht und danach mit Schwung wieder auf die Beine kommt. Ihre kurzen, rosa Haare kleben ihr an der Stirn, als die Musik mit dem heftigen Beat aussetzt. Das war wohl das Finale.

Hawks dreht den Regler ihrer Anlage herunter, woraufhin sich seine Mitbewohnerin nach hinten auf den Boden fallen lässt und tief durchatmet.
 

„Bock auf Chicken Wings?“, fragt er beiläufig und sieht zu ihr herunter, woraufhin sie ihm grinsend den erhobenen Daumen zeigt.

„Klingt gut. Bin am Verhungern…“, keucht sie und schließt kurz ihre Augen, die ebenso bernsteinfarben sind wie seine eigenen.

Hawks mustert sie einen Moment, ehe er die App in seinem Handy öffnet. Wenn er nicht schwul wäre, wären sie schon in der Kiste gelandet, so viel ist sicher. Ihm gefällt Minas Leidenschaft und Euphorie. Auch er selbst hat so eine Seite, was wohl der Grund dafür ist, dass sie sich so gut verstehen. Mit Minas Energie umzugehen, ist nicht für jeden leicht. Sie ist eben eine Granate und nicht die süße Kleine von nebenan. Dann könnte sie ihren Job auch nicht so gut machen.

Hawks lässt sich auf die Couch fallen, die mit ihrem schwarzen Farbton das Einzige ist, was einem hier nicht ins Auge springt. Mina liebt grelle Farben, was der Grund für die apfelgrüne Wand und die pinke und violette Deko ist. Skurrile Poparts, Skulpturen und Schallplatten unter anderem, doch für ihn ist das in Ordnung. Ehrlich gesagt sind Hawks‘ Ansprüche bei der Einrichtung so gering gewesen, dass er Mina hat walten lassen.

„Sag mal, hast du eigentlich einen neuen Stammkunden?“

Hawks hebt eine Braue und sieht von der Couch aus zu ihr herunter, während sein Daumen über dem Touchscreen schwebt.

„Hm?“

„Na, diesen rothaarigen Daddy von gestern. Du warst echt lange mit ihm im Separee.“

Sie greift zur Seite und ertastet ihre Wasserflasche, welche sie sich an die Wange hält.

„Er zahlt halt gut“, erwidert Hawks und zuckt mit den Schultern. „Und abgesehen davon, dass er leicht reizbar ist, verhält er sich mir gegenüber respektvoll. Außerdem ist er heiß. Warum soll ich mir keinen gutaussehenden Kerl gönnen?“

Mina setzt sich auf, die Stirn gerunzelt, während sie die Flasche aufschraubt.

„Schon wieder so ein alter Sack? Du hast echt einen Typ…“

Hawks lächelt sie breit an, denn er weiß, dass sie Recht hat. Was soll er machen? Männer im gleichen Alter…das hat er versucht und es ist nicht dasselbe. Warum also soll er sich mit etwas zufrieden geben, das ihm nicht reicht, nur weil es von außen besser aussieht? Er zieht sich für Geld aus, also bitte. Als würde ihn die Meinung anderer kümmern.
 

„Kann halt nicht jeder einen Kirishima haben, hm?“

Mina verschluckt sich an ihrem Wasser und hustet ein paar Mal, ehe sich ihre Lippen zu einem Schmollmund verziehen. Lustige Geschichte mit den beiden. Sie kennen sich aus der Schulzeit und haben sich bei einem Junggesellenabschied im Club wiedergesehen. Seitdem lässt der Rotschopf, der vorhat, später mal Profiringer zu werden, einfach nicht locker bei ihr – und das auf eine so liebenswürdige Weise, dass es sogar funktioniert. Hawks kennt Mina seit zwei Jahren und er hat sie noch nie so erlebt wie mit Kirishima. Der Typ akzeptiert sogar ihren Job, anstatt einen auf besitzergreifend zu machen. Hawks ist trotzdem sicher, dass es ihm nicht schmeckt, aber verbergen kann der Rothaarige es wirklich gut.

„Lass Eijirou da raus…“, mault sie und bringt ihn zum Grinsen.

„Dann lass du mich meine Vaterkomplexe ausleben“, erwidert er scherzhaft.

„Du bist manchmal echt furchtbar, Hawks…“

„Tja, kann halt nicht aus meiner Haut – und jetzt sag mir, was du essen willst. Ich bekomme Hunger.“

Er reicht ihr sein Handy, während er sich fragt, was das mit Endeavor noch werden wird. Auf ältere Männer zu stehen, ist eine Sache. Auf verheiratete Kerle mit Ballast zu stehen, noch mal eine ganz andere. Dafür hat Hawks ein Händchen und sich vorgenommen, dass er sowas nicht mehr tut.

Allerdings ist der vorige Abend nicht so verlaufen, wie er sich das vorgestellt hat. Nicht, dass er ernste Absichten gehabt hätte, aber er hat nicht erwartet, dass Endeavor am Ende in seinem Schoß liegt und sich trösten lässt. Endeavor, der eigentlich Todoroki Enji heißt. Er nennt ihn absichtlich nicht so, denn erstens hat er das mit der Anonymität ernst gemeint und zweitens will er selbst nicht bei seinem richtigen Namen gerufen werden.

Jedenfalls hat das etwas in Hawks ausgelöst. Klar, er kann es auf die großzügige Kohle schieben, die Endeavor lockergemacht hat, aber er weiß, dass es nicht nur das ist. Hawks kann sein Helfersyndrom nur schwer abschalten und auch, wenn ihn das schon oft in Schwierigkeiten gebracht hat, ist der Drang immer da. Zumal er wirklich glaubt, dass Endeavor Probleme hat, die über eine kaputte Ehe hinausgehen. Eigentlich sollte ihn das nicht kümmern, aber dafür ist es schon zu spät.

„Ihr hattet aber nicht…?“, erkundigt sich Mina und lässt ihn stutzen.

„Quatsch“, entkommt es ihm. „Ich bin auch gar nicht darauf aus…“

„Echt nicht?“, murmelt sie, während sie durch die App scrollt. „Er ist dein Typ, er hat Geld…ist er noch verheiratet?“

„Nur auf dem Papier, meinte er.“

„Ja…das sagen sie alle, hm?“

„Musst du mir nicht sagen“, gibt Hawks seufzend zurück. „Aber bei ihm ist das irgendwie anders. Er – verdreh nicht die Augen, Mina! Er ist wirklich anders. Die meisten Typen hätten schon längst nach meiner Nummer gefragt oder ob sie mich wiedersehen können. Ehrlich, ich hab mich noch nie um einen Kunden so bemühen müssen, damit er mich bucht. Jedenfalls bei keinem, der homo ist. Wirkt auch nicht so, als wäre das eine Masche.“

„Okay…und was habt ihr dann gemacht?“

Hawks überlegt, ob er es ihr erzählen soll. Er weiß, dass Mina nichts verraten wird, so wie er niemandem aus dem Club erzählt hat, was das mit Kirishima ist, als es noch frisch gewesen ist. Dennoch fühlt es sich nicht richtig an, die Panikattacke zu erwähnen, weswegen er mit den Schultern zuckt.

„Ich habe ein bisschen getanzt, aber er wollte lieber reden und trinken. Glaube, ihm bedeutet die Gesellschaft mehr, als dass ich ihn auf Touren bringe…und ehrlich? Ich finde das eigentlich ganz schön.“

„Solange du dich nicht in ihn verknallst und es hinterher wieder schiefgeht“, nuschelt sie und gibt ihm sein Handy zurück, damit er die Bestellung abschließen kann.

„Habe ich nicht vor.“

Was nicht heißt, dass es nicht schon mal passiert ist. Er hat kein Glück mit seiner Partnerwahl, aber da es meistens sowieso nur um das Eine geht, ist das nicht weiter tragisch. Er hat einen Plan und an dem hält er fest. Komplizierte Liebschaften machen es bloß schwieriger, worauf er verzichten kann. Aber wer weiß, vielleicht wird Endeavor ein Freund. Kann ja nicht schaden, bei einem Mann mit Geld und vermutlich Einfluss einen Stein im Brett zu haben.

Hawks schickt die Bestellung ab und wirft dann einen Blick zu Mina, die aufsteht und sich streckt.

„Ich werde mal duschen gehen. Such schon mal einen Film raus, ja?“

„Aye, aye!“, erwidert er grinsend, woraufhin sie ihm die Zunge herausstreckt.

Hawks lehnt sich zurück und streckt die Beine auf der Couch aus, während er daran denkt, dass er später noch eine Schicht im Club hat. Nun, auf Endeavor muss er wohl heute verzichten, so betrunken, wie der Mann am Ende ins Taxi gestiegen ist. Mal wieder.

Für Hawks ist das eigentlich ein Punkt, der ihn abstößt. Übermäßiger Alkoholkonsum oder Sucht…bis hin zu gewalttätigem Verhalten. Das sind Dinge, die er nicht toleriert. Jedoch ist er es von solchen Menschen nicht gewöhnt, dass sie sich entschuldigen. Vor allem nicht bei jemandem wie ihm, der sein Geld mit Strippen verdient. Viele Typen und auch einige Weiber sehen das als Anlass, ihn wie Dreck zu behandeln. Ausraster hin oder her, er glaubt Endeavor, dass er es ernst gemeint hat. Er ist kein schlechter Mensch, das spürt Hawks…und mit schlechten Menschen kennt er sich aus.
 

Etwa fünf Minuten später klingelt es plötzlich, was Hawks irritiert, denn das Essen kann es nicht sein. Von Kirishima hat Mina nichts gesagt, aber wer weiß, ob er nicht spontan vorbeikommt. Hawks zieht sich seinen kuscheligen, roten Hoodie über und geht zur Tür. Er drückt auf die Lautsprechertaste.

„Ja?“

„Komm runter.“

Die krächzende Stimme erwischt ihn unerwartet, beschleunigt seinen Herzschlag. Eine unangenehme Gänsehaut überkommt ihn, die Luft scheint dünner zu werden, sodass er einen Moment braucht, um sich zu fassen. Eine Wahl hat er nicht, das weiß er, weswegen er wortlos in seine Sneaker schlüpft und durch das Treppenhaus hinausgeht. Alles in ihm sträubt sich dagegen, die Tür zu öffnen, aber er tut es trotzdem, wobei sich seine Miene verschließt. Keine Emotionen zeigen.

„Da bist du ja endlich!“, wird er direkt angezischt, als er herauskommt. „Lass mich nicht immer so lange warten, verdammt!“

Hawks‘ monotone Mimik verändert sich nicht, auch wenn innerlich die Wut in ihm brodelt. Lange warten. Als ob. Er schiebt die Hände in die Bauchtasche seines Hoodies, um ruhig zu wirken – was er nicht ist. Dabei bleibt er auf genügend Abstand, doch die Fahne riecht er trotzdem. Es ekelt ihn.

„Schau mich nicht so an!“, knurrt sein Gegenüber gereizt.

Hawks ist froh, dass man ihnen nicht ansieht, dass sie miteinander verwandt sind. Jedes Mal, wenn sie sich sehen, worauf er verzichten könnte, sieht dieser Mann kaputter aus. Das verhärmte, faltige Gesicht, die geröteten Augen und seine Kleidung, auf der irgendwelche Flecken zu sehen sind. Hawks entgeht nicht, dass seine Hände zittern, was bei Alkoholikern kein ungewöhnliches Anzeichen ist.

„Wie geht’s Mom?“, fragt er beiläufig, obwohl es ihm egal ist.

Er hat mit seiner Familie abgeschlossen und bedauert, dass diese sich wie eine Zecke an ihm festgesaugt hat.

„Wie soll’s ihr gehen?!“, wird er von seinem Vater angeblafft. „Stell nicht so dumme Fragen und gib mir das Geld!“

Hawks wünscht sich, er würde leiser sprechen, denn er hat keine Lust, dass das hier jemand mitbekommt. In einem Anflug von Trotz schnaubt er leise und weicht vorsichtshalber einen Schritt zurück, sodass er die Tür im Rücken hat.

„Ich habe dir bei deinem letzten Besuch gesagt, dass das das letzte Mal gewesen ist. Das war mein Ernst“, erwidert er so gelassen, wie es ihm in dieser Situation möglich ist.

Er ist nicht überrascht, als sein Vater ihren Abstand überwindet und ihn am Kragen seines Hoodies packt, um ihn gegen die Tür zu schubsen. Hawks sieht ihn unbeeindruckt an, wehrt sich nicht dagegen, auch wenn er hofft, dass er ihm nicht ins Gesicht schlägt. Er wird mit einem Veilchen nicht auftreten können. Er will sich aber ebenso wenig auf eine Prügelei einlassen, die im Nachhinein bei der Polizei gemeldet wird. Das kann er sich nicht leisten.
 

„Du erbärmlicher, kleiner Wicht!“, faucht sein Vater und spuckt bei jedem Wort, sodass Hawks seinen Ekel nur schwer verbergen kann. „Du denkst wohl, du bist was Besseres, huh?! Meinst, du kannst hier herumstolzieren und arrogant sein?! Du bist ein Nichts, Keigo! Und wenn du dein Geld schon wie eine Hure verdienst, dann trete gefälligst deinen Beitrag an uns ab!“

„Ich schaffe nicht an, sondern tanze. Das ist ein Unterschied“, korrigiert Hawks ihn ruhig, dabei die erhobene Faust im Blick.

Er könnte ihn fertig machen. Den Schlag abwehren, sich aus dem Griff befreien und selbst zulangen. Der alte Mistkerl würde nicht mehr aufstehen – so wie etwaige Typen, die ebenfalls nicht verstehen wollen, dass er sich nicht prostituiert.

Hawks tut es nicht. Er wartet.

„Das willst du?! Frech werden?! Ich sollte dir Manieren einbläuen, du nutzloses Stück!!“

„Tu das und ich verdiene gar nichts mehr. Dann war’s das mit eurer günstigen Einnahmequelle“, gibt er zurück und sieht, wie es in dem versoffenen Verstand arbeitet.

Er hasst es, dass er einknicken wird. Dass er ihnen das verdammte Geld, das ihnen überhaupt nicht zusteht, geben wird. Es ist jedoch einfacher so, als einen Aufruhr zu riskieren. Er schämt sich für diese Personen und dafür, ihr Sohn zu sein.

Irgendwann wird er auch dieses letzte Band kappen, aber jetzt kann er das nicht. Er hat einen Plan und in diesem sind keine Skandale vorgesehen. Er möchte nicht auffällig werden und sein Vater wird dafür sorgen, dass genau das passiert, wenn er sich weigert.

„Ich warne dich ein letztes Mal“, knurrt sein Vater und Hawks atmet durch.

Sein Blick wird eine Spur kühler, wenn das Gefühl der Hilflosigkeit auch schwer in seinem Magen liegt. Er will sich davon befreien, doch diese Fesseln werden ihn wohl noch länger am Boden halten. Freiheit. Tse…

„Lass mich los, dann gebe ich es dir und du verschwindest“, erwidert er tonlos.

Sein Vater funkelt ihn finster an, nimmt aber seine Hand weg, sodass Hawks ein wenig die Schultern straffen kann. Er will wenigstens so tun, als sei ihm das hier scheißegal. Als würde er nicht auf das Äußerste gedemütigt werden, weil ihn seine eigenen Eltern erpressen. Als würde es ihn nicht verletzen.

Er holt das Bündel Scheine aus der Bauchtasche und reicht es ihm, woraufhin die Gier in den Augen seines Vaters aufblitzt. Er reißt es ihm praktisch aus der Hand und zählt ungeduldig nach. Das ist alles, was ihn interessiert. Hawks hat gelernt, sich vor dem Schmerz zu verschließen. Ihn zu verdrängen. Er kann trotzdem nicht verhindern, dass es wehtut.

„Es geht doch!“, kommt es zufrieden von seinem Vater und er versucht, seine Wange zu tätscheln.

Hawks schlägt die Hand automatisch weg, verengt die Augen zu schmalen Schlitzen. Es widert ihn an, was hier gerade passiert. Verwirrt wird er angesehen, so als sei Hawks derjenige, der sich unmöglich verhält. Dann kehrt der Zorn zurück.

„Schön!“, blafft er ihn an. „Wie du willst! Sieh zu, dass die Knete auch das nächste Mal da ist! Deinetwegen ist unser Leben so ruiniert, Keigo! Du schuldest uns das!“

Er wedelt aggressiv mit dem Geld vor seinem Gesicht herum und Hawks will nur noch, dass er verschwindet. Ein paar Wochen wird er erstmal Ruhe vor ihm haben. Vielleicht schickt er nächstes Mal seine Mutter vor und das ist noch schlimmer, denn diese heult und fleht ihn an, anstatt ihm zu drohen. Er hat es so satt.

Grob wird er noch mal gegen die Tür gestoßen, ehe sein Vater das Geld einsteckt und endlich geht. Hawks spürt das Pochen in seiner Schulter und das taube Gefühl, das sich jedes Mal um sein Herz legt, wenn seine Eltern vorbeikommen, um ihn auszunehmen. Es ist nicht so, dass er nichts mehr übrig hat. Er gibt ihnen nur so viel, wie er abtreten kann. Es geht nicht um die Summe an sich, sondern darum, dass er ihnen am Arsch vorbeigeht.
 

Hawks stößt die Luft aus, die er unweigerlich angehalten hat, und sieht in den Himmel, der sich langsam rötlich färbt. Himmel. Fliegen. Freiheit. Irgendwann wird er so weit sein. Bis dahin muss er einfach nur durchhalten. Er wird jetzt hochgehen und diesen Besuch verdrängen. Er wird Mina anlächeln und ihr sagen, dass er heute etwas Humorvolles schauen will, sich aber nicht entscheiden konnte. Sie werden später leckere Chicken Wings essen und dann wird er duschen, sich fertig machen und sich die ganze Scheiße von der Seele strippen.

Manche Menschen, so wie Endeavor, verstehen nicht, dass dieser Job für ihn mehr ist als nur eine gute Einnahmequelle. Wenn er auf der Bühne steht und sich umschaut, dann sehen die Leute ihn. Sicher, sie gaffen seinen Körper an, bewundern ihn an der Stange…oder stellen sich vor, wie es wohl wäre, ihn zu ficken oder sich ficken zu lassen.

Hawks weiß das, aber für ihn ist es dennoch eine Form von Anerkennung. Es steigert seinen Selbstwert. Er ist dort von Leuten umgeben, die seine Arbeit zu würdigen wissen – auch wenn manche zudringlich werden. Aber im Club kann er sich dagegen wehren. Er ist nicht allein dort. Man passt aufeinander auf, kümmert sich umeinander. Für ihn ist das mehr Familie, als er es in seinem ganzen Leben gefühlt hat.

Hawks wendet sich ab und geht zurück ins Treppenhaus, wobei er sich bereits zum Lächeln zwingt…und es ist ein bitteres Lächeln.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho!
Habe mir mal einen doppeldeutigen Titel gegönnt.
Konnte nicht anders. :D
Mal ein kleiner Einblick in Hawks' Leben und ich hoffe, er gefällt euch...auch wenn er nicht so positiv ist.
Drama unso.
Danke an Lichtregen, die fleißig gebetat hat. <3

LG Komplett anzeigen

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