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Abyss

von

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Sorry

Als Enji wach wird, ist ihm übel und sein Kopf pocht unangenehm. Er stöhnt rau, während er mit dem Gesicht in den Kissen liegt und so dem Sonnenlicht wenigstens teilweise entkommt. Offenbar hat er sich nicht mal ausgezogen, denn sein Körper fühlt sich durch den Anzug steif und unbeweglich an. Immerhin hat er sich nicht übergeben...und keinen Filmriss. Bloß die letzten Minuten bei seiner Ankunft sind etwas verschwommen.

Vielleicht wäre ein Filmriss diesmal sogar ein Segen. Dann würde er sich nicht daran erinnern müssen, dass er gestern in einem Stripclub gewesen ist. Es ist jetzt, als er weitgehend nüchtern ist, noch unangenehmer. Er schämt sich dafür. Auch dafür, wie er sich diesem blonden Typen gegenüber verhalten hat. Wie ist noch gleich sein Name gewesen? Hawks.

Enji stemmt seinen massigen Körper von der Matratze und setzt sich auf, ehe er den Blick benommen durch das Schlafzimmer schweifen lässt. Selbst nach einem Monat fühlt es sich noch fremd an. Das kleine Apartment, das er gemietet hat. Es ist pragmatisch eingerichtet, bloß das Nötigste. Kaum Dekoration, keine Fotos. Bisher hat er kein Verlangen danach verspürt, sich hier häuslich einzurichten. Zumal Enji beengte Räumlichkeiten wie diese hasst, denn er ist es nicht gewöhnt. Geld war nie ein Problem. Ist es auch jetzt nicht…aber er kann nicht mehr zurück in das Haus, in dem er Jahrzehnte gelebt hat. Die Erinnerung lässt den schalen Geschmack in seinem Mund wieder schlimmer werden, sodass er es wie immer macht. Er verdrängt.

Er steht auf und geht in Richtung Bad, um eine Dusche zu nehmen, die er dringend braucht. Das heiße Wasser entspannt seine Muskeln, die er viel zu deutlich fühlt. Er wird alt, wird es ihm mit Bitterkeit klar. Vermutlich sollte er mal wieder trainieren gehen, doch allein das tägliche Joggen vor der Arbeit ist eine Herausforderung. Unter Menschen zu gehen, ist nicht mehr so leicht, wie es mal war. In allen Bereichen seines Lebens.
 

Nachdem er sich abgetrocknet und die Zähne geputzt hat, setzt er sich in Jogginghose und Muskelshirt wieder auf das Bett. Eher widerwillig greift er nach seinem Handy und knurrt genervt, als er die zehn verpassten Anrufe auf dem Display erkennt. Noch penetranter geht’s wohl nicht. Er drückt die Anrufliste weg und schreibt eine kurze Nachricht, dass alles in Ordnung ist und er seine Ruhe will. Es dauert keine zwei Minuten, bis er eine Antwort bekommt. Er überfliegt den Text mit den Smileys und Daumen hoch, bevor er das Handy wieder weglegt.

Tief atmet er durch und starrt finster die weiße Wand an, die genauso leer ist, wie er sich innerlich fühlt. Wenn Shouto, Natsuo oder Fuyumi ihm mal so penetrante Nachrichten schreiben würden, doch keines seiner Kinder meldet sich bei ihm…und Enji hat nicht den Mut dazu. Er weiß nicht, ob er ihnen jemals wieder unter die Augen treten kann. Nicht seit…

Enji fährt sich über das Gesicht, das feucht ist, da seine Haare noch tropfen. Obwohl ihm übel ist, ist der Gedanke an die Flasche Whiskey, die er im Schrank stehen hat, verlockend. Er belehrt sich selbst eines Besseren und greift zur Wasserflasche neben dem Bett – die wie erwartet schon abgestanden ist. Er würgt die Flüssigkeit trotzdem herunter und atmet erneut durch, versucht, sich zu sammeln.

Heute ist Sonntag. Am nächsten Tag muss er wieder ins Büro. Er sollte ins Büro. Es ist seine Firma. Das, was er sich sein Leben lang aufgebaut hat. Früher hat er jeden Tag dort verbracht, doch mittlerweile muss er sich dazu zwingen. Er kann ihre Blicke nicht ertragen, die unausgesprochenen Fragen in ihren Gesichtern. Es erinnert ihn an all das, was er verdrängen will und nicht kann.
 

Apropos verdrängen…er muss wieder an den gestrigen Abend denken. Was zur Hölle hat er sich nur dabei gedacht, diesen Club aufzusuchen? Was hat er sich davon erhofft? Nicht allein zu sein? Die Erkenntnis ist noch niederschmetternder, als wenn er es nur auf den Alkohol schieben würde. Gut, sein Zustand ist daran nicht unschuldig gewesen, aber dennoch empfindet er es als beschämend.

Er ist kein Mann, der sich an jungen Mädchen oder Kerlen…nein, das hat er nicht nötig. Sollte er nicht nötig haben und dennoch…ist er hingegangen. Armselig.

Enji erinnert sich nicht mehr an jeden Wortlaut, aber dieser Typ…Hawks…hat ihn provoziert. Mit lächerlichem Zeug, das es nicht wert ist, laut zu werden. Genau genommen hätte Enji nicht aus der Haut fahren dürfen. Er ist älter und hätte sich entsprechend benehmen müssen. Stattdessen hat er einen Typen, der vom Alter her sein Sohn sein könnte, bedroht und angeschnauzt. Schäbiger ist es wohl kaum möglich. Vor allem, nachdem der Kerl ihm ein Taxi gerufen und ihn noch mit hinausgebracht hat. Er hätte ihn auch hinausschmeißen lassen können.

Enji stöhnt leise, als er zu dem Schluss kommt, dass er sich entschuldigen sollte. Er will nicht eins von diesen Arschlöchern sein, die er verabscheut. Nicht noch mehr, als er es schon ist. Immerhin will er sich ändern – auch wenn das kaum noch Sinn für ihn macht. Trotzdem, er will das bereinigen, auch wenn Hawks ein Fremder ist, den er so niemals wiedersehen wird. Er hat nicht vor, den Club noch mal zu betreten.

Enji wird hingehen, nach ihm fragen, sich entschuldigen und dann verschwinden. Vielleicht legt er noch ein Trinkgeld hin. Für die Gesellschaft. Auch wenn ihm das falsch vorkommt, so als würde er ihn für…Dienste bezahlen. Enji schaudert merklich und schüttelt daraufhin den Kopf. Gott, nein! Danach ist die Sache jedenfalls für ihn abgeschlossen.
 

Enji versucht es am Dienstag, weil Dienstage sowieso zu den schlimmsten Tagen der Woche zählen. Dann ist er wenigstens vorbereitet. Allerdings arbeitet Hawks dienstags nicht, wie ihm der bullige Türsteher ruppig mitteilt. Hat sich der Kerl sein Gesicht gemerkt oder ist er von Natur aus so schlecht gelaunt? Jedenfalls wird ihm mitgeteilt, dass er es am Freitag oder Samstag wieder versuchen soll. Es ist schon unangenehm genug, ein weiteres Mal den Club aufzusuchen, und nun muss er es ein drittes Mal tun. Es lässt ihn überlegen, ob er die Sache überhaupt bereinigen muss, schließlich ist der blonde Kerl ein Stripper. Der hat bestimmt schon unangenehmere Begegnungen gehabt als ihn.

Allerdings kann er sich die ganze Woche nicht wirklich mit dem Gedanken entspannen. Das Gefühl, Hawks etwas zu schulden, verschwindet einfach nicht, weswegen er am Samstagabend spät wiederkommt und sich erneut nach dem jungen Mann erkundigt.

„Geh rein und sprich mit ihm oder bleib draußen und verpiss dich!“, knurrt der bullige Kerl ihn an und macht damit deutlich, dass er ihn nicht herausholen wird.

Na gut, zugegeben, vermutlich erweckt sein Wunsch den falschen Eindruck. Als wäre er so ein kranker Perverser, der darauf aus ist, Hawks etwas anzutun. Da er sich den Stress (und eine Schlägerei) ersparen will, gibt er nach und überwindet sich, den Club zu betreten. Laute Musik und Rotlicht wie beim letzten Mal lassen die verruchte Atmosphäre auf ihn einprasseln. Schnurstracks geht er direkt auf die Bar zu, wobei er nur flüchtig zu den tanzenden Frauen und Männern sieht. Hawks kann er allerdings nicht entdecken.

Aizawas finstere Miene fühlt sich auf eine skurrile Weise fast schon vertraut an, als er sich setzt. Enji räuspert sich, woraufhin dieser ihn fixiert.

„Wo finde ich Hawks?“

„Ihnen auch einen guten Abend“, erwidert der Barkeeper monoton. „Tanzt gerade privat. Danach holt er sich vermutlich einen Drink.“

Also ist es das Beste, wenn er hier auf ihn wartet. Jedenfalls entnimmt er das der knappen Konversation.

„Whiskey ohne Eis. Bitte“, fügt er noch an, da er die gehobene Braue bemerkt.

„Wenn Sie sich diesmal besser im Griff haben“, kommentiert Aizawa seine Bestellung, greift aber dabei zur Flasche, um ihm einzugießen.

Derselbe Whiskey wie letztens. Seinetwegen.

„Keine Sorge“, gibt Enji knapp zurück, auch wenn er das irgendwie ziemlich frech findet.

Ja, er hat sich nicht gerade vorbildlich benommen, aber dennoch ist er hier Gast. Mehr oder minder. Er legt das Geld auf den Tresen, nimmt das Glas an und nippt an der goldenen Flüssigkeit. Sein erster Tropfen Alkohol heute und er macht den Tag direkt erträglicher.

Als Geschäftsführer hat er wenigstens weitgehend Privatsphäre in seinem Büro gehabt, sodass er die Dokumentenstapel immerhin in Ruhe hat abarbeiten können. Nächste Woche stehen Meetings mit neuen potenziellen Kunden an, die die Einbußen der letzten Monate vielleicht ausgleichen können. Er muss sich bis dahin besser in den Griff kriegen. Wenn er schon in allen anderen Lebenslagen versagt hat, darf er das nicht noch in seiner Firma.
 

Es dauert noch eine Weile, bis Hawks schließlich kommt. Solange muss er der Unterhaltung eines Hünen, der einen Minirock trägt, und einer Blondine in weißen Kniestrümpfen ertragen. Beide haben zu viel Glitzer im Gesicht und reden zu laut, als dass er sie überhören könnte.

„…ernsthaft, es ist wirklich nicht leicht, heutzutage einen vernünftigen Mann zu finden, Tiger“, jammert die Blondine.

Enji fragt sich, was vernünftig heißt, so wie sie da in ihrem leicht bekleideten Fummel steht und sich an die Bar lehnt. Allerdings wird er den Teufel tun und sich da einmischen.

„Ach was, mach dir keine Sorgen. Manchmal dauert es, bis der Richtige vorbeikommt“, ermutigt sie der Hüne und zupft seinen BH unter dem Netzshirt zurecht.

„Ich werde ja auch nicht jünger, weißt du“, mault sie und klemmt sich den Strohhalm ihres Drinks zwischen die Lippen.

„Oi! Du schon wieder!“, unterbricht eine vertraute Stimme die beiden anderen und Enji sieht auf. „Dachte ich’s mir doch, dass ich das breite Kreuz und die roten Haare kenne! Konntest mich wohl nicht vergessen und bist für einen Lapdance zurückgekommen, was?“

Enji starrt ihn für ein paar Sekunden nur an, weiß nicht, was er sagen soll. Dann beginnt die Ader an seiner Schläfe zu pulsieren.

„Dafür bin ich bestimmt nicht hier!!“, blafft er den Jüngeren an, welcher schief grinsend die Hände hebt.

„Ist ja gut, brauchst mich nicht gleich anzuschreien. Ich mach doch nur etwas Spaß, Großer…oder flirte mit dir, was dir besser gefällt.“

Hawks zwinkert ihm zu, wobei sein Lächeln etwas breiter wird. Eigentlich ist Enji hier, um sich zu entschuldigen, doch der Bengel macht ihm das nicht unbedingt leicht. Flirten. Er mit ihm. Das ist doch…er fasst sich – auch weil Aizawa ihn mit seinem Blick wohl zu töten versucht.

„Gar nichts davon. Setz dich.“

„Oh? Ach so einer bist du. Keiner soll wissen, dass du auf junge Kerle stehst, ja? Kein Problem, wir können gern so tun, als ob ich-“

„Nein, verdammt! Darum geht es doch gar nicht! Setz dich endlich und sei still!“

Und schon wieder hat er ihn angefahren, obwohl er es nicht möchte. Der Kerl provoziert ihn aber auch mit Absicht. Dieser lächelt immer noch, als er tut, was er ihm sagt und sich zu ihm setzt. Erwartungsvoll, aber immerhin still blickt er ihn an und Enji sieht ihn zum ersten Mal richtig an. Anscheinend ist das Polizei-Outfit sein Ding, denn er trägt es schon wieder, und das Hemd steht offen.

„Ich…wegen letztens, an dem Abend, ich…ich hätte dich nicht…wie ich mich verhalten habe, das war falsch“, zwingt er sich zu sagen und der andere hebt seine buschigen Augenbrauen.

„Oh…deswegen bist du hier? Ehrlich?“, entkommt es ihm verdutzt. „Ich meine…wow. Okay. Das…ist irgendwie nicht das, was ich erwartet habe. Ist ein feiner Zug von dir.“

„Ja, ich…wie gesagt, es war falsch. Danke, dass du mich rausgebracht und mir ein Taxi gerufen hast. Das hättest du nicht tun müssen.“

Enji blickt ihn ernst an und scheinbar hat er den Jüngeren sprachlos gemacht, denn dieser blinzelt und sucht wohl nach Worten. Sie kennen sich nicht gut, aber Enji hat das Gefühl, dass sowas selten vorkommt.
 

„Ach…keine Ursache. Wirklich nicht. Dir ging es ja offensichtlich nicht gut und ich wollte sichergehen, dass du heil nach Hause kommst. Bist du doch, oder?“

„Ja. Bin ich. Deswegen…danke. Und…ich glaube, ich schulde dir was. Für den Abend. Du hast mit mir keinen…also…keinen…“

„Umsatz gemacht?“, hilft Hawks ihm weiter, als Enji strauchelt. „Hey, schon okay. Ich mache genug Geld und ist ja auch nicht so, als sei die Unterhaltung mit dir eine Qual gewesen. Ich hab Spaß daran gehabt, dich ein bisschen zu triezen. So bin ich halt. Ich rede mehr, als gut für mich ist.“

Dabei zwinkert er ihm ein weiteres Mal zu, doch etwas in seinem Blick will nicht dazu passen. Enji verdrängt den Gedanken und holt sein Portemonnaie hervor.

„Ja, ich meine…trotzdem. Ich will mich dafür revanchieren. Also sag mir, was mich…eine Stunde deiner Zeit kostet. Von mir aus auch zwei.“

Irgendwie klingt das vollkommen falsch. Als hätte dieser ihm wirklich irgendwelche unzüchtigen Dienste angeboten. Enji sieht ihn nicht an, während auf die Antwort wartet, die nicht sofort kommt. Hawks kann sich unmöglich davon beleidigt fühlen, oder? Immerhin tanzt er für Geld. Er zieht sich für Geld aus. Hinter ihm klatschen und pfeifen ein paar Kerle, weil eine der Damen noch etwas mehr die Hüllen fallen lässt.

„Weißt du was? Ich hab ne bessere Idee“, kommt es schließlich enthusiastischer von Hawks. „Hier um die Ecke ist ein McDonalds. Lade mich doch nach meiner Schicht zu einer Portion Chicken Wings ein?“

Enji fragt sich innerlich, ob der junge Mann ihn verarschen will. Das will er? Zu McDonalds eingeladen werden?

„Ist das ein Scherz?“, brummt er missgelaunt, denn dafür ist er nicht in der Stimmung.

„Nö. Ich esse gern Chicken Wings. Noch besser sind Yakitori, aber das Restaurant ist zu weit weg. Deswegen geht Mc’es schon klar für mich“, plaudert Hawks locker weiter.

Enji stellt sich vor, wie er in seinem guten Anzug mit einem Stripper in Polizeiuniform an einem dieser Plastiktische sitzt und Fast Food in sich hineinschaufelt. Ist Hawks doch sauer auf ihn und will es ihm heimzahlen? Falls ja, hat er es wohl verdient, doch er spricht es nicht aus. In dieser Ecke der Stadt treibt sich sowieso keiner seiner Kollegen oder Kunden herum…und falls doch, sind die ihm ebenso eine Erklärung schuldig.

„Wie lange dauert deine Schicht?“, fragt er daher bloß.

„Ich habe gleich noch zwei Shows. Dann mal sehen, wer noch nen Lapdance bucht, und das war’s dann. Ein, zwei Stunden noch. Kannst du so lange auf mich warten?“

Enji könnte. Ist nicht so, dass jemand auf ihn warten würde. Die Frage ist eher, ob er so lange in diesem Club bleiben will, weswegen er zögert.

„Du kannst dir natürlich auch einen Lapdance von mir-“

„Ich warte“, unterbricht er ihn ruppig und trinkt noch einen Schluck Whiskey.

„Cool!“, freut sich Hawks und grinst ihn zufrieden an. „Also dann, ich muss wieder. Sieh mir zu und feuere mich an, ja?“

Enji kommentiert das nicht, sieht ihm auch nicht nach, sondern ordert noch einen Drink bei Aizawa. Eine Cola. Schließlich muss er noch fahren.
 

Im Laufe des Abends versucht es auch die dunkelhäutige Stripperin mit den hellen Haaren bei ihm, die heute ein Hasenkostüm mit Body und Netzstrümpfen trägt. Enji weist sie höflich ab, was sie schließlich beleidigt akzeptiert und es beim nächsten Gast versucht. Da muss sie jedenfalls nicht lange bitten, hat den jungen Kerl direkt an der Angel. Im Allgemeinen hat er sich solche Clubs noch viel niveauloser vorgestellt, aber die meisten der Frauen und Männer hier scheinen ein ganz gutes Selbstbewusstsein zu haben.

Und Hawks ist, was das angeht, der Schlimmste von ihnen, so wie er sich bewegt und dabei mit seinem bloßen Blick flirtet. Er ist jung, gut aussehend, hat einen trainierten Körper – und er weiß das. Enji fragt sich, wie er auf diesen Job gekommen ist. So schlagfertig, wie er ist, scheint er nicht auf den Mund gefallen zu sein. Sicher stünden ihm noch mehr Alternativen zur Verfügung, als sich in diesem Club für Geld auszuziehen.

Enji feuert ihn nicht an. Auch nicht beim zweiten Mal. Er sieht nur gelegentlich hin, will nicht wie einer dieser Gaffer wirken. Dann verschwindet der junge Mann für eine Weile und Enji nimmt an, dass er in den Separees ist. Es sind heute wieder zwei Junggesellenabschiede dabei, von daher wird er wohl mit der zukünftigen Braut zu tun haben. Oder mit dem dreckig grinsenden Kerl, der in Enjis Alter sein muss und der einen Narren an Hawks gefressen zu haben scheint. Beide kann er nämlich nicht mehr entdecken.

Es dauert über eine halbe Stunde, bis Hawks wieder zu ihm kommt. Seine blonden Haare wirken noch etwas feucht und er trägt sein Polizei-Outfit nicht mehr. Ist er duschen gewesen? In den lockeren, schwarzen Jeans, Sneakers und dem weiten, dunkelblauen Hoodie sieht er fast schon zu normal aus. Befremdlich jedenfalls. Er schultert seinen Rucksack, an dem Buttons von irgendwelchen Animes stecken, und lächelt ihn mit schief gelegtem Kopf an.

„Können wir?“

Bevor Enji etwas sagen kann, räuspert sich Aizawa hinter ihm vernehmlich. Der Blick des Barkeepers ist stechend, wirkt wie eine Warnung.

„Ach ja. Aizawa hat ein ziemlich gutes Gedächtnis. Und Kan hat sich dein Kennzeichen notiert. Falls ich spurlos verschwinde, werden sie dich finden und dir alle Knochen brechen. Hab ich was vergessen?“

Hawks strahlt erst ihn und danach Aizawa an, der leise schnaubt.

„Nein. Passt so.“

„…du willst mit mir weggehen“, kommt es entrüstet von Enji. „Das war nicht mein Vorschlag.“

„Hey, ich stehe ja auch dazu. Sichere mich nur ab, Großer, also bleib cool!“, zwitschert Hawks gut gelaunt und winkt ihn mit sich Richtung Ausgang. „Bis dann, Aizawa~!“

„Bis dann.“

Enji hat immer noch das Gefühl, als würde ihn der Kerl gleich von hinten erdolchen, aber er ignoriert es und folgt Hawks.
 

Tatsächlich ist der McDonalds nur etwa fünf Minuten zu Fuß entfernt und die Straßen voller Leute, sodass es, selbst wenn er es vorhätte, schwer sein würde, Hawks unbemerkt zu entführen. Eine weitere Absicherung. Der junge Mann denkt mit, was er wohl auch muss, wenn er in dem Bereich arbeitet.

Während sie nebeneinander herlaufen, sind sie recht still, aber na ja, sie sind auch Fremde. Enji begleicht seine Schuld. Mit einer Portion Chicken Wings. Das glaubt ihm doch hinterher keiner.

„Also, ich hab’s mir überlegt“, kommt es von Hawks, als sie sich in den recht vollen Imbiss quetschen und anstellen. „Ich nehme ein McMenü mit McChicken, Pommes mit Mayo und eine Cola dazu. Dann noch Nuggets und die Wings, je einmal. Ich glaub, das war’s…Nachtisch kann ich mir ja hinterher aussuchen.“

Enji blickt ihn einen Moment still an.

„…und wo willst du das hinstecken?“, fragt er dann schroff, woraufhin Hawks grinst.

„Ich schaff das schon, keine Sorge. So, ich such uns mal einen Platz. Vergiss ja nichts von dem Zeug, klar? Bis gleich!“

Und damit lässt er ihn stehen und wuselt in Richtung der Tische, wo er wie ein Raubvogel auf der Lauer wartet, dass einer der Gäste aufsteht. Der Typ hat wirklich einen Knall.

Als Enji sein volles Tablett durch die Menge bugsiert, sieht er Hawks auffällig winken – und tatsächlich hat er sich einen freien Tisch unter den Nagel gerissen. Er stellt das Fast Food vor diesem ab und setzt sich ihm gegenüber.

„Das sieht gut aus! Danke! Aber reicht dir das? Hamburger und Pommes?“

„Hab keinen großen Hunger“, erwidert Enji knapp und fragt sich immer noch, was er hier eigentlich tut.

„Oh, okay. Na dann sag ich mal guten Appetit, was?“

Enji sieht ihm dabei zu, wie er seinen Burger auswickelt und genüsslich hineinbeißt. Reicht wohl, um ihn glücklich zu machen.

„Wenn das reicht, um dich zu entschädigen, bist du billig“, meint er schließlich, woraufhin Hawks schmunzelt.

„Autsch. Vorsicht, sonst verletzt du noch meine Gefühle, Endeavor-san.“

Er schiebt sich eine Pommes in den Mund, nachdem er sie in die Mayonnaise gestippt hat.

„Ah ja…“

„Dabei wollte ich bloß nett zu dir sein.“

„…das heißt?“, knurrt Enji genervt von seinem Gerede zurück.

Hawks greift zur Cola, nimmt den Strohhalm zwischen die Lippen und einen großen, geräuschvollen Schluck, ehe er das Getränk wieder absetzt.
 

„Heißt, dass du ein sehr seltsamer Typ bist, der in einen Stripclub kommt, ohne uns Strippern wirklich zusehen zu wollen. Du trinkst einen über den Durst und kommst ernsthaft zurück, um dich zu entschuldigen, weil du mich ein bisschen angemotzt hast und ich dir trotzdem ein Taxi gerufen hab. Ich meine, komm schon. Mir haben schon Leute zwischen die Beine gefasst und mich aufs Übelste beleidigt, Männer wie Frauen. Nicht alle behandeln einen mit Respekt – und die haben sich bestimmt nicht dafür entschuldigt…oder mich entschädigt. Durch den Job lernt man ne Menge unterschiedlicher Leute kennen, aber dich kann ich in gar keine Schublade stecken.“

Enji weiß nicht, was er darauf erwidern soll. Ist ja nicht so, als hätte er herkommen müssen, aber es ist halt einfach richtig gewesen. Weil er sich schlecht deswegen gefühlt hat. Weil er nicht so sein will.

„Müsste ich raten, würde ich sagen, dass du ne ziemlich beschissene Zeit durchmachst. Und vielleicht hört dir keiner zu oder es ist dir unangenehm, darüber zu sprechen. Deswegen biete ich dir das jetzt statt dem Lapdance an…während wir leckere Burger futtern!“

Dabei lächelt er wieder und beißt erneut in seinen Burger, wenn er ihn auch auffordernd ansieht. Enji ist sprachlos. Er weiß nicht, wie er sich bei dieser Anmaßung fühlen soll. Wütend? Erniedrigt? Jedenfalls nicht erleichtert oder glücklich, so wie dieser Drecksbengel es vielleicht erwartet.

Dessen Lächeln macht ihn aggressiv und seine Hände zittern, sodass er sie zu Fäusten ballen muss. Was glaubt der Kerl eigentlich, wer er ist? Seine Gedanken rasen ebenso wie sein Puls, sein Hals wird eng und er fühlt sich, als würde er gleich ersticken. Was für ein erbärmliches Bild muss er abgeben, dass irgendein verdammter Stripper so viel Mitleid mit ihm hat, dass er sich genötigt fühlt, mit ihm gemeinsam zu essen?

„Hey…ist alles in-“

Enji weiß nicht, wie er sich beruhigen soll. Es geht nicht. Er schmettert seine Faust mit so viel Wucht auf den Tisch, dass das Tablett dadurch von diesem geschleudert wird. Nuggets und Pommes verteilen sich auf dem Boden und alle starren zu ihnen herüber.

Hawks sieht ihn erschrocken an, hat mit dem Ausbruch wohl nicht gerechnet und zwischen all der Wut und Scham…erschreckt es Enji selbst. Es ist seine Schuld. Immer ist es seine verdammte Schuld, weil er einfach nicht aus seiner Haut kann.

Die Blicke der Menschen um ihn herum und das Getuschel sind zu viel für ihn, sodass er ruckartig aufsteht. Er holt sein Portemonnaie erneut heraus und kramt einige Scheine heraus, genug Geld, um sich nicht mehr schuldig fühlen zu müssen. Zumindest dafür nicht.

Sein Herz rast und sein Puls dröhnt in seinen Ohren, als er das Geld auf den Tisch knallt. Hawks öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch Enji will es nicht hören. Vielleicht kann er es auch nicht hören. Das Dröhnen wird zu einem schrillen Piepen und der Schweiß bricht ihm aus.

Er muss hier heraus, bevor er erstickt.

Die Masse an Menschen, die ihn auch draußen erwartet, als er hinausstürmt, erschlägt ihn fast. Wo ist sein Auto? Wo hat er geparkt? Sein Kopf fühlt sich heiß an und er kann keinen klaren Gedanken fassen. Einatmen, ausatmen. Er muss sich beruhigen.

Taumelnd nimmt er den Weg durch die Straßen, wobei ihm so übel ist, dass er nicht sicher ist, ob er sich nicht übergeben muss. Doch er muss das schaffen. Wenigstens das muss er hinkriegen. Irgendwie nach Hause kommen. Es ist noch nie so schwer gewesen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho!
Die letzten Wochen waren eine Talfahrt.
Daher tat es eigentlich ganz gut, sich in die FFs zu stürzen.
Ich habe vor allem an Abyss gearbeitet und hier noch mal ein ganz großes Danke an Lichtregen, ohne die das alles nicht funktioniert hätte.
Beta, Muse, Emotionaler Support...man kann sich wirklich glücklich schätzen, wenn man eine so gute Freundin hat. <3
Wort zum Samstag.
Hoffe, ihr genießt das Kapitel. ^^

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Lichtregen
2021-12-19T18:00:00+00:00 19.12.2021 19:00
Huhu!
Gut, dass ich mir die Kommis aufgespart habe, so habe ich was Sinnvolles zu tun, während wir warten, dass endlich was passiert. XD
Und gern geschehen! Ist ja nicht so, dass ich nicht auch davon profitieren würde, wenn du an der FF schreibst. ;)
Enji tut mir, wie in eigentlich jedem der Kapitel, echt leid. Bisher weiß man ja noch nicht, was konkret vorgefallen ist. Aber dass Enji nun ein Wrack ist, das seinen Kummer in Alkohol ertränkt und ihn sogar in einen Stripclub, der ja sonst sooo was von unter seiner Würde ist (wer’s glaubt XD), reinstolpern lässt, lässt darauf schließen, dass es etwas sehr Ernstes ist, was man nicht so einfach wegsteckt. Gerade da Enji ja ansonsten eher wie der wenig emotionale Kerl erscheint.
Ich finde es auch sehr amüsant, wie sehr Enji sich immer dafür hasst und angeekelt ist, dass er in einem Stripclub war. Dabei ist da echt nichts dabei. Aber er ist alt und verstaubt, lassen wir ihm seine Verbohrtheit. XD
Ist es übrigens komisch, dass ich Enji mit nassen Haaren und in Jogginghose und Muskelshirt sexy finde? XD
Von Aizawa bin ich in dieser FF auch ein großer Fan. Enji ist ja schon ruppig, aber Aizawa setzt den Ganzen oft noch die Krone auf. Wobei er ja Recht hat, wenn er Enji indirekt zurechtweist und ihm einen guten Abend wünscht, was Enji nicht getan hat.
Bei Hawks‘ provokanten Sprüchen würde es mir aber auch schwer fallen, meinen Plan zu verfolgen und mich zu entschuldigen. Klar, Enji fährt generell schnell aus der Haut, aber Hawks treibt es auch echt immer zu weit. XD
Und dann dieser Vorschlag mit den Chicken Wings. Ich an Enjis Stelle würde da auch eine Falle wittern. XD
Und wie Enji von Aizawa die Knochen gebrochen kriegt. Haha. XD Höchstens mit Kans Hilfe, ne? ;)
Und was fällt Hawks eigentlich ein, so guter Menschenkenntnis zu besitzen, dass er ahnt, dass Enji eine schlimme Zeit durchmacht? ;) Aber kann ja keiner ahnen, dass das bei Enji eine Panikattacke auslöst. Ich an Hawks‘ Stelle wäre davon auch nicht ausgegangen.
Und jetzt hat Enji noch einen Grund mehr, sich zu entschuldigen. Das Ganze ist schön nach hinten losgegangen. ^^‘
Ich freue mich auf weitere Kapitel! Ich hoffe, ich komme dann auch noch dazu, dir einen würdigen Kommentar zu schreiben. >_<
Hdl
Ali


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