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Ohne Worte

von

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Die Tage waren anstrengend und vergingen nur langsam. In der kalten Eisregion brachte Aysha Valnar bei ein Vampir zu sein.
 

Zwar war es praktisch, dass er die Kälte nicht spürte, aber er hasste es ständig Blut von den Menschen zu saugen. Auch konnte er nicht aufhören, an Alaine und seine Tochter zu denken.
 

Ob es ihnen gut ging? Würde Alaine es alleine schaffen?
 

Er konnte sich nicht einmal von ihr verabschieden ... Valnar würde es Alaine nicht übel nehmen, wenn sie ihn hasste.
 

»Valnar? Hallo?« Aysha schnipste mit ihrem Finger vor seinem Gesicht, dann küsste sie ihn auf den Mund.
 

Valnar hasste sie. Wie gerne würde er sich von ihr losreißen und ihr die Kehle durchbeißen, aber er konnte sich nicht gegen seine Ehefrau wehren. Sein Körper versagte bei der kleinsten Bewegung gegen sie und so musste er ihre Küsse erdulden.
 

Aysha leckte ihn leidenschaftlich über die Lippen und er wollte sie dafür am liebsten töten. Ihre Zunge war noch voller Blut von ihrem Opfer und Valnar konnte nicht anders, als es aufzulecken.
 

»Ich liebe dich«, flüsterte Aysha, immer und immer wieder, und jedes Mal ignorierte Valnar sie.
 

Wie immer war seine Antwort: »Ich will nach Alaine und Lilea sehen.«
 

Er konnte die Wut in ihren Augen erkennen, diesmal sogar noch mehr als sonst.
 

»Hör auf, ständig von ihnen zu reden!« Sie fauchte und packte nach seinen Armen.
 

Valnar fauchte zurück. »Dann lass mich endlich gehen!«
 

»Weißt du was?«, fing sie an und ließ ihn wieder los. »Dann geh doch zu deiner Alaine. Ich habe keine Lust mehr auf dich und dein ständiges Geheule! Ich lache jetzt schon, wenn sie dich verstößt, oder du sie aus Versehen umbringst! Dann wirst du zu mir zurückkommen und mich auf Knien um Vergebung bitten!«
 

»Nein, du irrst dich!« Er wäre froh, wenn er Aysha nie wieder sehen müsste, nie wieder irgendetwas mit ihr zu tun hatte. Er kannte die Grundregeln des Vampirdaseins und würde es von hier aus alleine schaffen.
 

Und Alaine ... Falls sie wirklich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, würde er trotzdem nach ihr sehen und sie beschützen.
 

Zurück zu Aysha wäre das Letzte, was er wollen würde.
 

»Du wirst schon sehen, was du davon hast.« Ayshas Ton war so giftig, wie er es noch nie erlebt hatte und sie schaute ihn kein zweites Mal an. Für einen Moment sah es aus, als würde sie Valnar angreifen wollen, aber stattdessen verwandelte sie sich in eine Fledermaus und flog davon. Glücklicherweise nicht Richtung Melsan.
 

Valnar schaute ihr nach und atmete erleichtert auf, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Endlich war er frei von seiner verhassten Ehefrau.
 

Er verweilte ungefähr noch eine Stunde in seiner Position, ohne sich nur einen Millimeter zu bewegen. Der Schnee bedeckte seinen Kopf und seine Schultern und als er Aysha nicht mehr witterte und sie nirgendwo zu sehen war, war er sich endgültig sicher, dass er frei war.
 

Sie war fort. Für immer.
 

Obwohl er noch Übung brauchte, schaffte Valnar es, sich auch in eine Fledermaus zu verwandeln und flog nach Melsan, so schnell wie er konnte. Er konnte es kaum erwarten, Alaine und ihre gemeinsame Tochter in seinen Armen zu halten. Allein der Gedanke machte ihn nach Tagen endlich wieder glücklich.
 

Aber ob Alaine ihn als Vampir akzeptierte? Vielleicht gab es immer noch eine Chance.
 

Als er im Dorf ankam, sah er noch Licht in Alaines Haus. Er landete vor ihrem Fenster und verwandelte sich zurück. Mit seinem Ärmel wischte er über das eisige Glas, konnte aber niemanden im Haus erkennen.
 

Plötzlich kam ihm ein bekannter Geruch in die Nase und lähmte seinen ganzen Körper.
 

Blut.
 

Ohne nachzudenken, rannte Valnar zur Haustür und brach sie mit bloßen Händen auf. Wenn Alaine oder Lilea irgendetwas zugestoßen war, würde er sich das nie verzeihen. Und wenn sie jemand verletzt hatte ... Allein der Gedanke machte ihn rasend.
 

Er folgte den Geruch des Blutes und kam im Wohnzimmer an. Der Anblick ließ ihn sein eigenes Blut in den Adern gefrieren.

Alaine lag regungslos auf dem Sofa, blutüberströmt.
 

»Alaine! Nein!« Valnar rannte zu ihr hin und kniete sich vor sie. Er packte ihren Leib und schüttelte ihn, aber erst dann bemerkte er, dass ihre Pulsadern aufgeschnitten waren.
 

Ihr Blut brachte Valnar fast in Raserei, doch viel mehr zerriss ihn dieser Anblick innerlich.
 

»Nein, nein, bitte nicht«, flehte er, als die Tränen seine Wangen hinunterliefen. Ohne sie wollte er nicht mehr sein.
 

Er wollte schreien, aber er musste schnell handeln; er konnte sie nicht sterben lassen!
 

»Bitte vergib mir.« Er entschied sich, ihr in den Hals zu beißen. Ihr Blut war unglaublich aufregend und wunderschön für alle seine Sinne, aber er durfte sich nicht daran laben, konnte nicht. »Alaine, Alaine«, weinte er. Er betete zu allen möglichen Göttern, dass es noch nicht zu spät war, und ließ seinen Speichel in ihre Wunde tropfen.
 

*
 

Valnar brachte Alaine in eine Hütte im Wald; sie war alt und kaputt. Er glaubte nicht, dass sie hier jemand stören würde.
 

»Alaine«, flüsterte Valnar, neben ihr auf den Boden liegend. Er schmiegte sich an sie, küsste ihre Wange und hoffte, dass er alles richtig gemacht hatte. So hatte Aysha es schließlich bei ihm auch getan.
 

Es musste funktionieren.
 

Ob sie ihm vergeben wird? Er wollte sie nicht in ein Monster verwandeln, aber sonst wäre sie gestorben. Das konnte und wollte er nicht zulassen.
 

Seine Tochter war nirgendwo aufzufinden gewesen. Was war nur geschehen? Er ahnte Fürchterliches.
 

Es vergingen Stunden, während er neben ihr lag und sie hielt. Sie war eiskalt und Valnar weinte blutige Tränen. Vielleicht war sie tot, vielleicht war er zu spät gewesen. Er hatte bei allem Möglichem versagt: Seine Ehefrau, seine Geliebte und seine Tochter.
 

Schuldgefühle plagten ihn. Er war noch viel schlimmer als sein Vater und jetzt war er eine blutrünstige Bestie. Ein verdientes Schicksal.
 

Valnar stand auf und schüttelte den Kopf. Nein, er durfte sich nicht im Selbstmitleid suhlen. Er musste stark bleiben.
 

Bevor er weiter nachdenken konnte, hörte er einen Seufzer.
 

Hastig drehte er sich um. »Alaine!« Valnar stieß einen Laut zwischen einem Schluchzen und einem Lachen aus. Er dankte alles und jeden für diese Chance.
 

»Alaine, du lebst!«
 

Valnar hielt ihre Hände und half ihr, sich aufzusetzen. Er konnte vor Glück nicht aufhören, ihre Wange zu küssen. Alaine öffnete ihre Augen und sie waren nicht länger grün, sondern ein dunkles Rot.
 

Ohne zu zögern, biss Valnar sich ins Handgelenk und legte es an Alaines Mund. Von ihren neuen Instinkten geleitet, leckte sie ihm über die Wunde und fing an das Blut daraus zu saugen.
 

»So ist es gut«, flüsterte er. Ein seltsames, aber nicht unerwünschtes Kribbeln ging durch seinen Körper und er streichelte Alaines Haare mit seiner freien Hand. »Du bist okay«, flüsterte er, küsste ihren Kopf.
 

Minuten vergingen, bis sie wieder von ihm abließ und Valnar stellte mit Erschrecken fest, wie atemberaubend anziehend sie mit blutigem Mund aussah. Seinem Blut.
 

Er wollte sie beißen.
 

»Was ... was ist passiert?«, fragte Alaine und erschrak bei ihrer Stimme, so wie Valnar.
 

»Du kannst sprechen«, lachte er. Ihre Stimme war wunderschön und er vergoss ein paar weitere Tränen. Nie hätte er gedacht, dass er sie jemals sprechen hören würde. »Ich ... ich musste dich in einen Vampir verwandeln, sonst wärst du gestorben.« Valnar küsste sie auf den Mund, was sie erwiderte, doch dann schaute sie ihn schockiert an.
 

»Oh gott, unsere Tochter!«, schrie sie. »Dieser Priester, mit dem ich wohne. Er hat sie abgegeben! Er konnte sich nicht um uns beide kümmern.« Blutige Tränen bildeten sich in ihre Augen. »Und dann ... du warst auch weg und ich war wieder so alleine-«
 

Valnar unterbrach sie und drückte sie an sich. »Es tut mir so leid ... Aysha, sie ... sie war ein Vampir. Sie hat mich gebissen, um mich vor dir und unserem Kind fernzuhalten. Aber sie ist fort. Du bist nicht mehr alleine.«
 

»Valnar ... das- das tut mir so leid. Ich danke dir. Ich bin so froh, dass du da bist.« Sie schluchzte und schmiegte sich an ihm. »Bitte geh nicht mehr fort.«
 

Ein Gefühl von Erleichterung breitete sich ihn ihm aus.
 

»Ssh, ich werde dich nie wieder verlassen! Das verspreche ich dir. Ruh dich noch etwas aus«, flüsterte Valnar, und streichelte ihr über den Rücken, über die langen Haare. Auch als Vampir roch sie immer noch so wundervoll wie vorher.
 

»Nein, wir müssen Lilea finden!" Alaine fauchte aufgebracht und stand auf. Sie stolperte fast, aber Valnar hielt ihre Hand fest.
 

»Warte, du musst mehr trinken! Danach werden wir sie suchen.« Wenn sie so ins Dorf rannte, würde sie womöglich alles und jeden umbringen.
 

»Blut trinken ...«, fügte Alaine hinzu und Valnar nickte.
 

»Es tut mir wirklich leid«, wiederholte er sich, aber Alaine nahm seine Hand und schmiegte sie an ihr Gesicht.
 

»Das muss dir nicht leidtun«, sprach sie sanft und legte erneut ihre Arme um ihn. »Du bist bei mir. Solange wir zusammen sind, werden wir niemals zu Monstern werden.«
 

So hatte er das noch nie betrachtet ... und wie recht sie hatte. Mit ihr zusammen fühlte er sich geborgen, ruhig. Sie würden beide an ihrer Menschlichkeit hängen, die Liebe, die sie füreinander hatten.
 

Sie waren keine Monster, denn Monster konnten nicht lieben.
 

*
 

Auf den Weg nach Melsan entdeckten Valnar und Alaine einen einsamen Wanderer. Alaine labte sich an seinem Blut, während Valnar darauf achtete, dass sie ihn nicht tötete.
 

»Achte auf seinen Herzschlag«, ermahnte er sie und Alaine ließ kurz darauf von ihm ab.
 

Zwar ließ sie den Menschen auf den Boden fallen, aber er würde sich schon wieder erholen.
 

Alaine war ganz zittrig und brauchte einen Moment, um sich zu fangen.
 

»Was für ein unbeschreiblich schönes Gefühl«, flüsterte sie, die Arme um sich geschlossen.
 

Ja, das war es tatsächlich. Obwohl es so eine barbarische Tat war, konnte er ihr nicht widersprechen. Immerhin mussten sie nicht töten und er war froh, dass Alaine sich schnell eingewöhnte.
 

Melsan war zwar kein kleines Dorf, aber sie brauchten nicht lange, bis sie Lilea fanden. Im großen Haus des Bürgermeisters konnten sie sie sehen, in einer Krippe, angezogen mit teuren Kleidern. Valnar zog Alaine vom Fenster weg, als eine Frau in den Raum lief.
 

»Na, meine Kleine?« Sie kicherte und nahm das Kind in den Arm.
 

Valnar und Alaine waren außer sich vor Wut. Wie konnten diese ... Menschen es wagen, ihre Tochter anzufassen? Als wäre sie ihr eigenes Fleisch und Blut? Als dann auch noch ihr Ehemann das Zimmer betrat, wurde es zu viel für die beiden.
 

Alaine knurrte und ballte die Fäuste. »Dafür werden sie büßen!«
 

»Hilf mir.« Valnar biss sich wütend auf die Zähne und zusammen rissen sie das Fenster ein. Er schmiss den Rahmen im hohen Bogen weg, als die Menschenfrau anfing zu kreischen.
 

»Was zum ...?!«, schrie ihr Ehemann. »MONSTER!«
 

Lilea fing an zu weinen und Valnar wurde rasend vor Wut. Es war die Schuld dieser Menschen, dass sie so aufgebracht war! SIE waren die Monster!
 

»Jetzt wirst du leiden, Mensch!« Alaine griff nach dem Mann und grub ihre Fangzähne in seinen Hals, während die Frau schreiend versuchte, mit Lilea zu fliehen.
 

Aber Valnar packte ihren Arm und zog sie an sich, knurrte sie an.
 

»Oh Gott!!!«, schrie sie, aber bevor er ihr die Reißzähne in den Hals jagen konnte, fiel die Frau in Ohnmacht.
 

Das war ihr Glück. Valnar nahm sein Kind aus ihren Armen und schmiss die Frau zu Boden.
 

»Oh, mein armes Kind«, flüsterte Alaine, als sie von dem Mann abließ. Sie lief mit offenen Armen auf Valnar zu.
 

»Was haben sie dir nur angetan!«, heulte sie auf und Valnar übergab ihr ihr gemeinsames Kind.
 

Lilea aber, hörte gar nicht mehr auf zu schreien und zu weinen, und es versetzte Valnar einen Stich in sein untotes Herz. Mit blutüberströmten Mund hielt Alaine ihre Tochter. Nein, was sie hier taten, war falsch. Alles, was sie erreichten, war, dass sie ihr Kind in Angst und Schrecken versetzten. Sie wurden genau zu den Monstern, die sie nicht sein wollten.
 

Alaine lief wutentbrannt auf die beiden Menschen zu. »Wir sollten sie beide dafür umbringen!«
 

Valnar griff nach ihrem Arm. »Nein. Hör auf, Alaine.«
 

Alaine schaute ihn fassungslos an. »Was?! Sie ist UNSERE Tochter!«
 

»Wir sind viel zu weit gegangen. Glaubst du wirklich, es würde ihr bei uns gut gehen? Was ist, wenn wir uns nicht mehr kontrollieren können? Oder willst du sie gar mit dem Vampirismus verfluchen?« Sein Blick wurde sanfter. Traurig. »Lilea hat neue Eltern, die sich um sie kümmern. Menschliche Eltern. Sie gehört zu ihresgleichen.« So sehr es ihn verletzte, sie mussten sie aufgeben. Mit diesen beiden Menschen hätte ihre Tochter ein ruhiges und sicheres Leben.
 

»Ich-«, setzte Alaine an, aber sie brachte keinen Ton mehr raus. Sie fiel auf die Knie und weinte, ihr Kind fest umschlossen. Wieder würde sie ihre Tochter verlieren.
 

Valnar eilte zu ihr und umarmte sie. »Lass sie ihr Leben in Frieden leben. Wir werden sie von Weitem beschützen.« Tränen bildeten sich in seinen Augen, aber er musste für sie beide stark sein.
 

»Du hast recht ...«, schluchzte Alaine. Sie war am Boden zerstört, so wie er. »Was hätten wir nur fast getan?«
 

Beide wollten nicht aussprechen, dass es auch gegenüber Lilea hätte passieren können. Zum Glück hatten sie diese beiden Menschen noch nicht umgebracht oder sie hätten es sich niemals verzeihen können.
 

Leise weinend gab Alaine Lilea einen Kuss und brachte sie zurück in ihr Bett, wo sie sich wieder etwas beruhigte. Valnar strich ihr ein letztes Mal über den Kopf, als Alaine sich auf Knien an die Krippe lehnte.
 

»Wir werden immer auf dich Acht geben«, versprach er ihr und packte Alaine sanft an die Schultern.
 

»Komm ...«, flüsterte er und nach kurzem Zögern nickte sie ihm zu.
 

Alaine stand auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Wir lieben dich so sehr, mein Schatz. Vergiss das nicht.«
 

Noch ein letztes Mal blickten sie auf ihre Tochter, dann verließen sie das Haus. Die Menschen würden gleich wieder aufwachen und sich an nichts erinnern.
 

*
 

Auf einem Berg über Melsan schauten Valnar und Alaine auf das Dorf hinunter. Jeder, der es wagen sollte, diese Gegend zu gefährden, würde es mit ihnen zu tun bekommen.
 

»Wir haben das Richtige getan.« Alaine und hielt seine Hand, als sie seinen schmerzerfüllten Blick bemerkte.
 

Valnar nickte. »Ja, das haben wir.« Sie hatte denselben Blick und er zwang sich zu lächeln.
 

Ihr beider Schmerz würde wahrscheinlich niemals vergehen, aber es war die richtige Entscheidung, auch wenn sie nie wieder bei ihrem geliebten Kind sein konnten.
 

So würden sie für immer von Weitem ihre gemeinsame Tochter beschützen.



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