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Fremde gehen

von

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„Ich liebe dich.“

„Das ist schön.“

„Und was fühlst du zu mir?“

„Dasselbe, glaub ich.”

“Glaubst du?”

“Ja. Ich glaube, dasselbe zu dir zu fühlen.“

„Achso.“
 

***
 

Heute ist Narutos letzter Arbeitstag. Mein Angebot mit dem Krankschreiben hat er komischerweise abgelehnt. Ich dachte, eine frühere faktische Entlassung würde ihm Freude bereiten, aber irgendwie doch nicht. Seitdem haben wir uns deutlich weniger gestritten. In den letzten zwei Wochen hat er sich zusammengerissen und seine unmittelbaren Aufgaben gut erledigt. Es war fast genauso gut, wie ich es von ihm sonst gewöhnt bin. Die Verwaltung lief mal wieder wie ein sicheres Uhrwerk und die Zusammenarbeit mit ihm war wie immer sehr zufriedenstellend. Es war natürlich nicht so ganz wie früher. Die persönlichen Gespräche wurden durch Emails ausgetauscht. Für ihn gab es keine langen Abende mehr. Punkt 18 Uhr ist er nach Hause gegangen. Dementsprechend gab es auch keine gemeinsamen Übernachtungen im Hotel. Und ich bin so unfassbar dumm. Obwohl sein Fortgehen schon lange angekündigt war, hat es mich trotzdem ziemlich kalt erwischt. Die Zeit rennt katastrophal davon. Mit heutigem Tag soll die allerletzte Spur der Existenz meines besten Assistenten verschwinden. Es macht mich schon irgendwie traurig. Schlussendlich haben wir uns zum größten Teil gut verstanden. Er hat mich mit seiner Überflieger-Leistungen richtig schlimm verwöhnt und es wird mir definitiv fehlen. Allgemein wird er hier im Büro fehlen. Sein Wesen hat den Büroalltag unaufdringlich versüßt. Außerdem war er eine antreibende Kraft für viele kleinen aber wichtigen Dinge. Ja, die Verbleibenden werden sich erstmal an seine Abwesenheit gewöhnen müssen. Andererseits ist keiner Mitarbeiter unersetzlich. Der Firma wird’s auch ohne ihn gut gehen, daran habe ich keine Zweifel.
 

Ob es ihm dabei auch gut gehen wird?
 

Das weiß ich nicht. Was er ab jetzt macht, sollte eigentlich nicht meine Sorge sein. Ich hoffe nur, dass das, war er vorhat, ihm guttut, was auch immer es ist. Das wünsche ich ihm sehr. Da bin ich zuversichtlich, dass das auch so kommt. Er macht letzter Zeit den üblichen munteren Eindruck und das freut mich echt. Das ist doch was Gutes, oder?
 

Und was ist mit mir?
 

Was soll schon mit mir sein? Ich werd’s überleben. Auf was für komische Gedanken komm ich denn auf einmal?
 

Oh, die sehnsüchtig erwartete Email! Sehr gut, dann klingele ich Tsunade mal schnell an.
 

***
 

„So!“ Er legt demonstrativ einen Stick vor mich hin und grinst dabei breit. „Meine letzten Amtshandlungen als Sasuke Uchihas Assistent: Die Unterlagen, auf die du gewartet hast, sind hier drauf. Orochimaru-san habe ich auf Mittwoch geschoben. Die Einladungen zum Firmenjubiläum habe ich in Auftrag gegeben. Wenn alles gut läuft, sollen sie schon nächste Woche verschickt werden. Und deinen Anzug konnte ich doch noch abholen. Hängt jetzt im Schrank.“

„Vielen lieben Dank.“

„Kein Ding…“

„Uzumaki, weißt du, dass du mich für alle anderen Assistenten so richtig schlimm verdorben hast?“

„Pfff, ist doch nicht mein Problem.“

Ich grinse leicht: „Da hast du recht.“
 

Mein Blick streift unabsichtlich über sein Gesicht und wir bauen für eine Millisekunde einen direkten Blickkontakt auf. Er bricht ihn sofort ab und ich bleibe für noch eine weitere schmerzhafte halbe Sekunde darin hängen. Seine Augen wandern planlos durch den Raum und er wirkt verlegen. Die Luft um uns verklumpt sich. Ja, neuerdings wenn wir allein sind, wird es viel zu schnell viel zu peinlich.
 

„Hast du noch irgendwas? Ich könnte noch eine letzte kleine Bitte erledigen.“ Seine Stimme klingt unpassend locker und es macht mich neugierig. Ich würde so gerne in sein Gesicht hineingucken, aber dafür fehlt mir jeglicher Mut. Und abgesehen davon… ist es jetzt ein echtes Angebot oder irgendeine mysteriöse Falle? Was erwartet er denn? „Na?“, drückt er unaufdringlich nach.

„Ja, da gäbe es tatsächlich was“, reagiere ich reflexartig. „Wie viel Zeit hast du noch?“

„So, fünfzehn Minuten?“

„Okay, passt. Dann…“ Ich lege eine kurze Pause an und hole tief Luft.
 

Einundzwanzig, zweiundzwanzig…
 

„…würde ich mich gern bei dir entschuldigen.“ So, der Satz ist zu Ende.

„Oh, okay“, erwidert er unsicher. „Dann höre ich gerne zu.“
 

Obwohl wir uns nicht angucken, weiß ich ganz genau, dass er gerade auch innerlich durchdreht. Ich stehe auf, hole aus der Jackentasche eine Schachtel Zigaretten, stelle mich ans offene Fenster und zünde eine Kippe an. Der warme Rauch dringt in mein Inneres ein und ich habe das Gefühl, dass er beruhigend wirkt. Das ist es nämlich gar nicht. Ich habe nur schlechte Angewohnheiten. Er stellt sich neben mir und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an. Also habe ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Jetzt bin ich aber mit dem Reden dran.
 

„Es tut mir aufrichtig leid.“ Ich zwinge mich dabei, ihn direkt anzugucken. „Und zwar alles.“
 

Statt einer Reaktion zieht er an seiner Zigarette. Mein Blick macht ihn leicht nervös. Das kann ich von seiner nachdenklichen Miene ablesen.
 

„Danke. Ich weiß deine Mühe zu schätzen, aber denkst du nicht, dass es ein wenig… zu wenig ist?“ Nach einer peinlichen Pause führt er seinen Gedanken zu Ende: „Also für eine anständige Entschuldigung zumindest.“

„Okay, ich versuch’s nochmal. Also… das mit uns… es tut mir leid. Das mit der Trennung… das auch. Dass es dir so schlecht ging… auch das. Unsere Streite…“

„Das auch noch?“, beendet er meinen Satz und ich bemerkte ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht.

„Ja…“

„Gottverdammt bist du schlecht in sowas!“

„Ich weiß. Das tut mir übrigens auch leid…“ Er lächelt weiterhin und ich füge hinzu: „Du weißt es doch auch.“

„Natürlich, du alter Streber.“

Ich überhöre seine Bemerkung: „Und ich möchte mich bei dir für alles bedanken. Du bist bis dato mein bester Assistent. Wir konnten eigentlich sehr gut arbeiten. Also danke dafür.“

„Sag mal, haben dir die außerberuflichen Dinge überhaupt nichts bedeutet? Ich höre immer nur das mit dem besten Assistenten. War ich wirklich nur das für dich?“

„Nein, du warst mir wichtig. Sehr wichtig sogar. Es ist nur so, dass ich deinen Stellenwert in meiner Welt bis heute nicht ganz begreifen kann.“

„Bist du so dermaßen verwirrt?“

„Ja. Jetzt gehe ich sogar zum Therapeuten und sie kann auch nicht genau sagen, was mit mir falsch ist.“

„Oh, diese Liste ist viel zu lang“, lässt er verträumt ab.
 

Es wird stumm. Den letzten Satz hat er so lieblich ausgesprochen, dass ich davon Schmetterlinge im Bauch kriege. Es ist so verdammt peinlich! Ich nehme mir nächste Zigarette. Heute bin ich ausgesprochen nervös.
 

„Das lässt mich jetzt nicht los. Wenn ich dir sehr wichtig war, warum hast du dann trotzdem nein gesagt?“

„Ich war verheiratet“, erwidere ich nachdenklich.

„Okay. Und warum hast du dich nicht scheiden lassen?“

„Keine Ahnung, Naruto. Was denkst denn du darüber?“

„Soll ich wirklich meine ehrliche Meinung äußern? Vorwarnung: Sie wird dir vermutlich nicht gefallen.“

„Nur zu.“

„Du belügst dich und bist zu dem eine Drama Queen. Deswegen hast du nein gesagt.“

„Wie ist denn das bitte gemeint?“

„Du hast kein Plan, was dich glücklich macht, und du leidest gern, so ist das gemeint.“

„Quatsch.“

„Na doch! Warum sonst würdest du mich abgewiesen haben?“

„Das macht überhaupt keinen Sinn.“

„Doch-doch. Ich hab’s mir gut überlegt. Guck mal, du hattest mich so gern, dass du gegen alle deine Prinzipien verstoßen hast. Du hast sogar deine geliebte Frau betrogen. Das würdest du nicht einfach so tun. Erstens liebst du sie wirklich und zweitens kannst du dich ausgesprochen gut beherrschen. Außerdem passt eine niedere Affäre mit einem Sekretär überhaupt nicht zu dir. Und trotzdem war all das irrelevant. Jetzt frag dich selbst wieso. Ich denke, weil du endlich das bekommen hast, was dich glücklich machen könnte. Deswegen hast du überhaupt mitgemacht. Du bist kein Musterfamilienvater aus der Vorstadt, Sasuke! Wenn du das ernsthaft denkst, dann belügst du dich.“ Ich verziehe skeptisch das Gesicht. Naruto bemerkt es, fährt aber seinen Gedanken fort: „Du bist ein leicht misanthropischer, aber zugleich brillanter Vorstandschef…“ Jetzt werfe ich ihm einen misstrauischen Blick zu, den er nicht ignorieren kann: „Doch-doch, guck nicht so! Die Leute hier denken so über dich. Du hast furchtbar viel Ahnung und lieferst immer nur absolute Spitzenergebnisse. Das weiß hier jeder. Dafür wirst du auch respektiert. Andererseits schreckst du damit die meisten ab. Sie haben kein Verständnis dafür, dass man sich so kaputt schuftet. Und dann ist dein Charakter… ähm… sehr speziell. Deswegen halten fast alle Abstand von dir. Viele hier denken, dass du sonderbar bist. So ne Art verrücktes Genie…“

„Waaaaas?“, lasse ich etwas dumm ab.

„Ja. Das ist so. Du bist extrem intelligent, kühl und bissig, da ist es doch nicht verwunderlich. Rede doch mit deinen Angestellten auch mal privat. Nicht immer nur Probleme abklappern. Interessiere dich ein bisschen für sie. Leute mögen generell sowas.“
 

Er legt eine kurze Pause an. In dieser Sekunde rasen tausend Gedanken durch meinen Kopf. Ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, was er sagt. Trotzdem verspüre ich eine gewisse Klarheit im Kopf. Er könnte eventuell mit allem recht haben. Selbst wenn es mir absolut zuwider ist.
 

„Aber zurück zum Thema: Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie sich das anfühlt, wenn einem etwas wirklich-wirklich wichtig ist. Man ist wie besessen davon und man kann es nicht lassen. Für diese eine Sache ist es dann auch überhaupt nicht schwer, das eigene Wohlbefinden zurückzustellen, sogar wenn es einem selbst schadet. Ich glaube, da sind wir uns sehr ähnlich. Vermutlich deswegen hat es zwischen uns gegen jegliche Vernunft sofort gefunkt. Jetzt gibt es einen Haken an der Sache: Du bist eine Drama Queen. Du kannst nicht einfach das Glück annehmen. Es gibt ja kein Drama mehr. Deswegen war unser Scheitern irgendwie vorprogrammiert. Aber das war vielleicht wirklich zum Besten. Dadurch ist mir klar geworden, dass ich sowas überhaupt nicht ausstehen kann.“
 

Es wird wieder schmerzhaft stumm. Er bedient sich erneut an der Schachtel.
 

„Wow… da könnte eventuell was dran sein. Jedenfalls hast du deine Gedanken echt gekonnt auf den Punkt gebracht“, lasse ich leise ab.

„Tja, ich hab fünf lange einsame Wochen in der Psychiatrie verbracht. Da hat man alle Zeit der Welt um aufs eigene Leben zurückzublicken.“

„Hmmm, klingt furchtbar. Aber dir geht’s jetzt einigermaßen gut, oder?“
 

Er löscht seine kaum angefangene Zigarette und wirft die Überreste aus dem Fenster. Krass ist es hoch! Wenn man aus dieser Höhe abstürzt, hat man überhaupt eine Chance aufs Überleben? Keine Ahnung. Plötzlich spüre ich seine Nähe. Seine Schulter berührt meine und er guckt mich intensiv an. Er ist eine Aufforderung. Ich füge mich, drehe den Kopf und schon bin ich sein Gefangener. Sein furchtloser und leicht feindseliger Blick fesselt mich. Wenn er mich so anguckt, erinnert es mich an die Feuergottheit, in die er sich am Trennungsfreitag verwandelt hat. Er zischt giftig direkt in mein Gesicht:
 

„Mir geht’s überhaupt nicht gut. Du hast mir das Herz gebrochen. Deinetwegen bin ich immer noch innerlich kaputt. Aber das ist okay. Früher oder später komm ich damit klar. Also…“
 

Plötzlich passiert etwas unerklärliches. Seine Gesichtszüge werden weicher und er legt vorsichtig seine Lippen auf meine. Diese Berührung ist so zärtlich! Ich ergebe mich und schließe die Augen. Er soll mich dorthin treiben, wohin er in dieser Sekunde nur möchte. Ich würde ihm überall folgen. Egal wohin. Seine Entscheidung.
 

Und er führt uns an unser endgültiges Ende. Seine Lippen trennen sich von meinen. Er stellt einen akzeptablen Abstand zwischen uns wieder her und wispert:
 

„Leb wohl, Sasuke.“
 

In nächster Sekunde bin ich allein, als wäre überhaupt nichts passiert. Er ist so schnell aus meinem Büro verschwunden, dass ich irgendwie an der Echtheit dieses Gesprächs zweifle. Ist es nur eine Einbildung gewesen? Nein, kann nicht sein. In der Schachtel fehlen vier Zigaretten, auf dem Tisch liegt der Stick mit den Unterlagen, Orochimaru steht am Mittwoch in meinem Terminkalender und meine Lippen prickeln immer noch leicht. Ich gehe in den Empfang rüber. Der Tisch ist abgeräumt. Auf der Garderobe hängt keine Kleidung. Im Schrank stehen keine Wechselschuhe. Keine Spur von meinem besten Assistenten. Jetzt bleiben mir nur noch die Erinnerungen. Der Rest von seiner Existenz in meiner Welt hat sich bereits komplett verflüchtigt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Onlyknow3
2021-05-23T13:57:44+00:00 23.05.2021 15:57
Hier kam die Einsicht zu spät, Sasuke Uchiha. Leide, leide so wie Naruto gelitten hat, und noch immer leidet.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Scorbion1984
2021-05-22T20:20:58+00:00 22.05.2021 22:20
So nun ist er wieder einsam ,ist es das was er wirklich will oder braucht?
Ich denke nicht, schade ich hatte gehofft das es sich mit den Beiden wieder einrenkt.


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