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Fremde gehen

von

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„Guten Morgen, Uchiha-san“

„Morgen, Naruto…“
 

Er stellt meine abgewaschene Tasse ab und verschwindet kurz darauf aus meinem Büro. So wie jeden Morgen im letzten Jahr. Und so wie jeden Morgen im letzten Jahr bringt diese triviale Begegnung mein Herz zum verrückten Flimmern. Tja, seitdem wir diesen neuen Assistenten angestellt haben, steht mein Leben auf dem Kopf.
 

Ich bin 42, einer der Vorstandsvorsitzenden eines internationalen Großkonzerns, Ehemann und zweifacher Vater. Meine Familie bedeutet mir alles. Ich würde sie bis zum bitteren Ende mit allen mir zustehenden Mitteln beschützen. Alles, damit es ihnen gut geht. Und dafür arbeite ich jeden Tag.
 

Trotzdem knalle ich meinen 23-jährigen Assistenten und lüge meiner Frau ins Gesicht.
 

Das ist schon ziemlich verwerflich, oder?
 

Ja, natürlich ist es das. Trotzdem möchte ich anmerken, dass es von vornherein so abgemacht war, dass niemand an dieses belanglose Miteinander Erwartungen haben soll. Ganz am Anfang haben wir uns darauf geeinigt, dass es nur um ein bisschen Spaß geht. Ich werde meine Familie nicht verlassen, ganz bestimmt nicht für ihn. Davon weiß er auch. Das hier ist ziemlich simpel: Keine versteckten Kosten, keine Verträge, keine Pflichten… und auch überhaupt keine Rechte. Niemand sollte sich ernsthaft reinsteigern. Mit diesem Grundgedanken sind wir in diese Miteinander reingegangen. Und dann hat Naruto alle Regel gebrochen.
 

Er hat sich ernsthaft in mich verliebt.
 

Woher weiß ich, dass es „verliebt“ und „ernst“ ist? Weil er es mir gesagt hat. Außerdem ist es ziemlich offensichtlich, dass er sich kümmert. Denn so geliebt wie von diesem Jungen wurde ich von niemandem.
 

„Naruto, kannst du bitte morgen irgendwie einen einstündigen Slot für Orochimaru-san finden?“, rufe ich nach einem Meeting durch.

„Sie wissen schon, dass ein Tag nur 24 Stunden hat, oder?“
 

Ich grinse. Ist dieser Junge dreist! Er ist schlagfertig und kann seine Dreistigkeit ziemlich elegant verpacken. Dafür bekommt er immer wieder Punkte.
 

„Ja, das ist mir durchaus bewusst“, fahre ich locker fort.

„Und dass Orochimaru-san wirklich jeden Tag schlafen muss, wissen Sie auch, richtig?“
 

Mir bleibt ein kleines Kichern im Rachen stecken. Was denkt er, darf er sich eigentlich erlauben? So ein freches Miststück, dieser Naruto!
 

„Ja“, erwidere ich weiterhin möglichst teilnahmslos. Er soll nicht merken, dass ich dabei Spaß habe. „Krieg es bitte hin, okay?“

„Aber Sie haben morgen schon 6 Besprechungen und sie gehen nahtlos ineinander über.“

„Na und?“

„Und ich darf auch niemanden schieben, richtig?“

„Das hast du gut erkannt.“

„Und das mit Orochimaru-san muss unbedingt morgen stattfinden, korrekt?“

„Genau so ist es…“
 

Er seufzt und es wird kurz stumm. Ich höre von seiner Seite aus ein regelmäßiges Tastaturklappern. Er guckt sich bestimmt meinen Kalender an und macht dabei ein sehr unzufriedene Miene, wo er mit der Stirn runzelt und konzentriert den Bildschirm anstarrt. Ja-ja genau die… kann ich mir richtig gut vorstellen.
 

„Uchiha-san, Sie machen es einem definitiv nicht leicht“, meldet sich das andere Ende nach einer kurzen Pause.

„Ich weiß, tut mir leid.“

„Nein, tut es Ihnen nicht.“
 

Mir bleibt noch ein kurzes Kicher im Rachen stecken. Hat er damit recht? Irgendwie ja, aber irgendwie auch nein… ich will eigentlich keinem unnötige Umstände bereiten, meinen Assistenten inklusive.
 

Am anderen Ende wird es mal wieder stumm. Und wieder das Tastaturklappern… Mein Blick schweift zur Wanduhr. Dieses Gespräch dauert schon ganze fünf Minuten. Ich sollte eigentlich gleich nach der Anweisung aufgelegt haben. Irgendwie mag ich dieses sinnlose Gespräch. Warum eigentlich? Neuerdings passiert mir sowas ziemlich oft. Ich bleibe zu lange in seiner Leitung hängen, ich bring ihm etwas vorbei, was er selbst abholen kann, ich koche Kaffee für zwei und eins geht an ihn… was ist eigentlich mit mir los?
 

„Und?“, frage ich nach einer halben Minute Stille.

„Ich hab es arrangieren können.“

„Yass! Ich liebe meinen Retter!“, exklamiere ich begeistert und gleichzeitig erlöst.
 

Scheiße. Ich wollte es nicht laut sagen. Während der Arbeitszeit bin ich lediglich sein Chef. Ich muss extrem darauf aufpassen, was ich sage. Nicht, dass er es irgendwie falsch aufnimmt.
 

„Ich dich auch, Sasuke…", spricht er sanft aus und legt den Hörer auf. Mein Herz rast wie verrückt.
 

Die nächsten Stunden werde ich damit verbringen, die Fälle der letzten Woche zu schließen. Die Akten auf meinem Tisch bilden mittlerweile einen so großen Berg, dass er einem Mount Everest sehr nahe kommt. Eine gute Nachricht ist, dass dieser Berg nur so fürchterlich aussieht. In Wirklichkeit lassen sich die meisten Fälle routinemäßig eins nach dem anderen abarbeiten. Ich liebe mein Handwerk. Selbst nachdem ich in die Chefetagen befördert wurde, wollte ich weiterhin am täglichen Geschäft beteiligt sein. Diese Bitte wurde befriedigt und jetzt darf ich einmal pro Woche für drei Stunden meinen alten geliebten Job machen. Während dieser Zeit komm ich zur Ruhe und reflektiere über alles, was in der letzten Woche vorgefallen ist. Diese Stunden sind sehr meditativ. Allerdings diese Woche werden sie von einem komischen Gefühl begleitet. Denn diese Woche sind meine Meditationsstunden ausschließlich Naruto Uzumaki gewidmet.
 

Plötzlich ploppt eine Nachricht auf dem Monitor auf.
 

„Uchiha-san, Sie haben einen Besuch. Soll ich die Person reinlassen?“
 

Ich hab jetzt ehrlich gesagt keine Lust auf Besucher. Aber es könnte wichtig sein.
 

„Wer ist denn da?“, tippe ich die Antwort ein.

„Danzou-san.“
 

Mein Gott, was will denn der schon wieder? Dieser alte Greis versteht nicht, dass unser Unternehmen an der Zusammenarbeit nicht interessiert ist und ich hab es satt, es ihm jede Woche erneut zu erklären.
 

„Ne, schick ihn weg. Er muss sich einen Termin holen, wie alle anderen.“

„Okay, wird erledigt.“

„Danke.“
 

Naruto ist wahrscheinlich derjenige, der mein „Danke“ tausend mal pro Tag hört oder liest. Wahrscheinlich nimmt er es nicht mehr richtig ernst. Aber ich bedanke mich bei ihm selten auf Autopilot. Keine Ahnung, ob ihm völlig bewusst ist, wie oft am Tag er meinen Arsch rettet. So wie er mit den Terminen jonglieren und die wichtigen Leute auf eine sehr nette Art überzeugen kann, ist schon sehr beeindruckend. Darüberhinaus kann er meiner Laune immer intuitiv folgen. Er weiß immer, wann man mich um Sachen bittet, wie man es tut und ob es Aussicht auf Erfolg hat. Er weiß, wie man mich auf meine Fehler aufmerksam macht und mich an scheinbar unwichtige Dinge erinnert. Und außerdem kann er sehr gut zwischen den Zeilen lesen. Ich verlasse mich oft auf seine Meinung, wenn es darum geht, jemanden um etwas zu bitten, was eigentlich zu gestern fällig war. Seitdem er mein Assistent ist, läuft die Verwaltung wie ein sicheres Uhrwerk. Ich merke nichts davon und es funktioniert zu jeder Zeit. Und alles ist immer irgendwie möglich. Auf diesem Gebiet ist er ein echter Zauberer. Da verlasse ich mich auf ihn komplett. Vielleicht lasse ich mich dadurch zu sehr verwöhnen. Er kann nicht für immer mein Assistent sein, das wissen wir alle. Sobald er mit seinem Studium fertig ist, ist er hier weg. Wann das passiert, ist mir zum Glück nicht bekannt. Wir sprechen selten über Privates. Schließlich soll ja jeder jederzeit dieses Miteinander beenden können. Dafür setze ich mich ein.
 

„Du musst langsam fertig werden, du hast noch deine Weihnachtsfeier.“
 

Mein Gedankengang wurde plötzlich unterbrochen. Naruto duzt mich jetzt. Ist es schon so spät? Ich blicke auf die Wanduhr. Ja, tatsächlich. Wow, die Zeit rennt immer davon, besonders wenn man in eine Aufgabe vertieft ist.
 

„Du kannst den schwarzen Anzug anziehen. Ich konnte ihn noch Last-Minute reinigen. Das Hotelzimmer hab ich verlängert. Und einen Abholservice von der Feier zum Hotel konnte ich für dich auch organisieren. Musst einfach am Empfang sagen, dass du Uchiha mit dem Nachnamen heißt.“
 

Wow, er hat tatsächlich an alles gedacht. Ich bin wie immer wirklich begeistert. Respekt. In solchen Momenten will ich ein Monument in seiner Ehre aufstellen. Keine Ahnung, wie er das macht. Man, das mit dem Retten ist nicht übertrieben. Dafür verdient er einen aufrichtigen Lob.
 

„Richtig beeindruckend, Uzumaki-san. Wie immer danke, ne?“, sage ich enthusiastisch und lächele ihn an.

„Na klar!“
 

Was sagt die Uhr? Noch ne Viertelstunde? Verdammt, ich schaff nicht mehr zu duschen…
 

„Beeil dich, du hast nur 15 Minuten bis zum Taxi.“

„Ich weiß, habe gerade genau daran gedacht.“ Dabei knöpfe ich die unteren Knöpfe des Hemds zu.

„Du behältst also selbst die Zeit im Blick, ja?“ Sein Kopf neigt sich nach links und sein Blick wird frech: „Man glaubt es kaum, aber sie werden so schnell erwachsen!“, wirft er mir selbstgefällig zu und grinst wie verrückt.

„Hallo!“ Ich verpasse ihm eins in den Nacken.
 

Vor Empörung ist mir nichts besseres als das eingefallen. Er kichert und hängt mein Sakko von der Bügel ab. Seine Körperhaltung lädt mich ein, in den Sakko hineinzuschlüpfen. Okay gut… ich gucke kurz in den Spiegel. Hmmm, sehe ich akzeptabel aus? Ja, oder? Ach, wird schon passen. Naruto tritt vor mich, knöpft das Sakko zu, macht einen Schritt nach hinten und begutachtet mich ebenfalls. „Passt“, lautet sein Urteil. Cool, dann sind wir uns darüber einig.
 

„Hast du irgendwo meine Fliege gesehen?“

„Natürlich, sie ist hier. Komm her, ich binde sie schnell.“
 

Ich breche die Schranksuche ab und drehe mich zu ihm hin. Naruto stellt mein Kragen auf und legt die Krawatte um meinen Hals herum.
 

„Du siehst richtig schick aus.“ Seine flinken Finger werkeln immer noch um meinen Hals.

„Kannst dir selbst dafür Lob aussprechen“, lächele ich ihn an.

„Stimmt! Gut gemacht, Herr Assistent!“ Seine Mundwinkel wandern ebenfalls nach oben.
 

Jedesmal, wenn er mich so anlächelt, bin ich für eine ganze Weile verhext. Wie ein Falter von einem hellen Licht in einer stockfinsteren Nacht. Ich weiß nicht, was in solchen Momenten passiert. Vielleicht ordnet sich das Universum irgendwie speziell an. Vielleicht sind die…
 

„Und schon wieder guckst du so.“
 

Es wird plötzlich richtig still und richtig peinlich. Was? Warum hat er das überhaupt gesagt? Seine Aussage ist komplett daneben. Warum hört sie sich auf einmal so verträumt an?
 

„Wie «so»?“, frage ich vorsichtig nach.

„Na… so, als würdest du dich eben kümmern…“ Er zieht die Schleife fest. Zu fest… der Konten drückt unangenehm.
 

Oh nein… er wird unnötig emotional.
 

„Fang bitte nicht schon wieder damit an“, sage ich leise.

„Sorry… ich wollt nicht… aber wenn du mich so liebevoll anguckst, machst du es mir extrem einfach…“ Er lockert die Fliege. Jetzt sitzt sie genau richtig.
 

Gut. Reicht.
 

„Ich muss jetzt los. Mein Taxi ist bestimmt schon unten.“

„Viel Spaß“, wirft er mir hinterher.
 

Oh man, ich sollte mich jetzt beeilen, bevor er noch etwas komisches sagt.
 

„Sasuke!“

Auf seinen Zuruf drehe ich mich automatisch um. „Was denn?“

„Ich liebe dich!“
 

Die Tür fällt endlich zu und wir sind räumlich getrennt. Ich lande abrupt im stockdunklen Flur. Krass, man kann hier fast nichts sehen. Verdammt, wo ist denn hier der dumme Schalter? Ich suche kurz die Wand ab. Ach, da! Klick… ich werde geblendet. Los, Sasuke beeil dich!
 

Ach, sehr schön, mein Taxi ist schon hier. Prima! Ich muss nicht blöd rumstehen. Draußen sieht es nämlich so aus, als würde es bald regnen wollen. Ich steige ein, grüße den Fahrer und schon geht es los. Sehr gut. Weg von diesen unnötigen Zärtlichkeiten. Einfach weg von hier.
 

Das Fenster in meinem Büro springt mir beim Vorbeifahren noch ein letztes Mal ins Auge. Im hell beleuchteten Raum steht eine dunkle Silhouette und ich weiß genau, wem sie gehört. Dieser Junge ey! Dass er unbedingt unser unkompliziertes Miteinander mit den Gefühlen verunreinigen wollte, ist ja seine Sache. Aber warum muss er mich stets daran erinnern?! So war das überhaupt nicht abgemacht! Ich wollte ja nur… ähm… ich wollte ja… ich wollte…
 

Was wollte ich eigentlich?
 

Keine Ahnung. Und überhaupt ist es für solche Fragen definitiv schon zu spät heute. Oder zu früh halt, ich trinke ja nachher was… jedenfalls will ich jetzt nicht darüber den Kopf zerbrechen. Jetzt gibt es erstmal einen Empfang, den ich genießen werde. Und dann soll das, was auch immer das ist, der Zukunfts-Sasuke klären, okay?
 

Okay, das klingt nach einem wunderbaren Plan.
 

Perfekt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Onlyknow3
2021-01-11T16:06:16+00:00 11.01.2021 17:06
Wenn Sasuke denkt, das er Naruto wieder los wird, täuscht er sich sicher.
Aber ich lasse mich auch gerne Überraschen.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  suugakusan
11.01.2021 23:19
ich bin auch gespannt, wie es mit den beiden ausgeht :)
Von:  Scorbion1984
2020-12-27T17:56:33+00:00 27.12.2020 18:56
Da macht es sich der liebe Sasuke aber einfach. Wenn er sich da mal nicht die Finger verbrennt.
Antwort von:  suugakusan
28.12.2020 13:12
Jo, der Uchiha hier ist nicht besonders rücksichtsvoll


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