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Haikyu - Asanoya-Tana

Wahre Freundschaft und mehr
von

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Zerrissen (Nishinoya)

Wir stehen vor unserer Haustür. Asahi hat mich nach Hause begleitet. Es ist nicht nötig, das habe ich ihm auch schon oft gesagt, doch er besteht darauf und das finde ich toll.

Ich werfe meine Arme nach oben und verschränke die Hände in seinem Nacken, während ich mich auf die Zehenspitzen stelle. Ich strecke meinen Körper und erreiche so gerade seine Kinnhöhe. Er neigt sich zu mir runter, küsst mich zärtlich und ich fahre mit den Fingern sanft über seinen Wange, als ich mich wieder auf die Fersen absenke.

„Mach´s gut. Bis Morgen.“, sage ich mit weicher Stimme und er küsst meine Stirn, als wolle er sich noch nicht verabschieden.

„Bis Morgen nach der Schule.“, entgegnet er lächelnd, dreht sich um und geht winkend die Straße entlang. Sehnsüchtig sehe ich ihm nach bis er um die Ecke biegt. Breit grinsend gehe ich durch den Vorgarten und öffne die Haustür. Mein Herz klopft immer noch etwas zu schnell. Es ist so schön mit Asahi, ich kann es mir gar nicht besser wünschen.

„Ich bin zuhause.“, sage ich fröhlich und ziehe meine Schuhe aus. Als ich aufsehe, steht mein Vater vor mir, die Arme in die Hüfte gestemmt. Ich sehe ihn unsicher an, sein Blick ist verurteilend. Meine Brust zieht sich zusammen. Was ist? Warum guckt er so, als will er schimpfen?

„Ich habe nicht richtig gesehen oder?“, sagt er mit zornig tiefer Stimme.

„Was meinst du?“. entgegne ich, verlagere mein Gewicht auf den hinteren Fuß.

„Dort gerade. Vor der Tür unseres Hauses.“ Er sieht mich auffordernd an, sein Blick durchbohrt mich förmlich.

„Was? Meinst du Asahi?“, frage ich und ziehe die Augenbrauen zusammen.

„Yu.“ Reflexartig stelle ich mich gerade hin. So starten seine Schimpftiraden. „Yu, hat dieser Junge...“ Ich sehe ihm fest in die Augen, es fällt ihm wohl schwer weiter zu sprechen, doch er schafft es schließlich. „Hat dieser Junge dich geküsst? Hier, direkt vor unserem Haus?“

Mein Herz klopft aufgeregt. Er hätte es sowieso irgendwann erfahren. Dann eben jetzt.

„Ja.“, sage ich trocken und kann sehen, wie der Schock ihm in die Glieder fährt. „Asahi ist mein Freund, mein fester Freund. Wir sind ein Paar.“

Einen Moment lang starren wir uns an, dann merke ich, wie die Wut in ihm aufsteigt und presse eingeschüchtert die Arme an meine Seiten.

„Was zum...“ Er ringt offensichtlich nach Worten. Er ist wirklich wütend. „Ist das dein ernst?“

Ich zucke zusammen, balle die Hände zu Fäusten. „Ja.“, sage ich so fest ich kann.

Plötzlich macht er einen schnellen Schritt auf mich zu, ich weiche zurück. „Was ist nur verkehrt bei dir?“, ruft er zornig, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen. „Ich habe immer versucht, das Beste für dich zu ermöglichen. Und so dankst du es mir?“ Ich sehe überfordert zu ihm hoch. „Du bringst Schande über mein Haus.“

Seine Worte treffen mich wie Messer. Es tut weh, ihn offensichtlich zu enttäuschen. Doch ich werde mich nicht einfach unterwerfen.

„Indem ich glücklich bin?“, frage ich provokant. „Das entehrt dich?“ Er schnaubt verächtlich.

„Er ist ein Mann!“, entgegnet er, als wäre es ein Konter zu meinen Worten. Meine Fingernägel bohren sich schmerzhaft in die Handinnenflächen. „Na und?“ „Du bist verwirrt, mein Sohn. Er nutzt dich nur aus.“

Was fällt ihm ein so über Asahi zu sprechen?! „Du hast doch keine Ahnung!“, schnauze ich ihn an. Er blickt mich entsetzt an. Dann stürmt er auf mich zu. Ich bleibe angespannt stehen, sehe zu ihm auf.„Ich liebe ihn, Papa. Er ist gut zu mir.“

„Du bist ein Narr!“ Er holt aus, dann geht alles zu schnell.

Ich spüre einen harten Schlag auf die rechte Wange, direkt unter meinem Auge. Perplex reißt mich der Schwung seiner Hand mit und ich stürze zur Seite, falle unsanft auf meinen linken Arm. Mir stockt der Atem, während ich meine Hand langsam anhebe und über meine pochende Wange lege. Er hat... Er hat... Ich hätte ihm einiges zugetraut, aber nicht das. Er hat mich ins Gesicht geschlagen...

„Yu.“, höre ich seine aufgeregte Stimme. Ich sehe zu ihm auf, meine Augen sind tränengefüllt. Er sieht mich erschrocken an. „Ich... Ich wollte nicht...“ Verunsicherung schwankt in seiner Stimme mit. Mein Hals fühlt sich an, als würde ihn jemand zudrücken. „Es tut mir leid.“ Seine Stimme ist bedrückt leise.

Ich sehe ihn an mit zitternder Unterlippe, unfähig etwas zu sagen.

„Es war nie meine Absicht dir wehzutun.“ Er neigt sich zu mir runter, ich sehe weg. „Bitte vergebe mir. Meine Wut hat mich kontrolliert. Das hätte nie geschehen dürfen.“ Seine Stimme zittert, woraufhin ich ihn ansehe. Er wirkt aufgewühlt, als würde es ihm ehrlich leid tun. So erschüttert wie ich auch bin, ich glaube ihm. Er muss sich schrecklich fühlen. Das würde ich ihm zumindest raten. Ich schlucke und stehe wieder auf. „Ist schon ok, Papa.“, sage ich leise.

„Ich bin so enttäuscht von dir, Yu, dass mich schon meine Sinne verlassen.“ Ich spüre deutlich den Schmerz in meinem Herzen, den seine Worte verursachen. Ich sehe zu Boden. „Gib mir dein Handy.“ Mechanisch greife ich in meine Hosentasche und überreiche es ihm. Ich fühle mich gebrochen, habe keine Kraft mehr gegen zu argumentieren. „Du hast Hausarrest.“ Damit habe ich schon gerechnet. „Geh auf dein Zimmer.“ Ich spüre die Tränen in meinen Augen ansteigen. Schnell drehe ich mich um und laufe los zur Treppe. Gerade als ich die ersten Stufen hoch renne, höre ich wie sich die Haustüre öffnet und meine Mutter hinein kommt. Ich laufe schluchzend weiter, bis in mein Zimmer und werfe mich auf das Bett.

Es ist so ungerecht. Warum kann mein Vater mich nicht einfach in Ruhe lassen? Immer muss er sich einmischen und macht es nur noch schlimmer. Ein brennender Schmerz macht sich in mir breit. Ich ersticke mein Wimmern im Kopfkissen.
 

Es dauert nicht lange, bis es an meiner Zimmertüre klopft.

„Yu, mein Schatz.“, dringt die Stimme meiner Mutter sanft durch die Türe. „Darf ich zu dir rein kommen?“

Ich hebe den Kopf aus dem Kissen und überlege kurz. „Ja, Mama.“, sage ich mit gebrochener Stimme. Ich höre ihre Schritte und wie sie zu mir zum Bett kommt. Die Matratze gibt nach, sie hat sich wohl neben mich gesetzt. Ich richte mich auf, setze mich neben sie, halte den Kopf gesenkt.

„Was ist denn nur passiert?“, sagt sie besorgt und reibt mir fürsorglich den Rücken. „Papa ist so außer sich, er bringt kein Wort heraus. Er hat nur geknurrt, als ich ihn gefragt habe.“

Ich schniefe. Da habe ich ihn wohl ziemlich aus dem Konzept gebracht. „Wir haben uns gestritten.“

„Und worüber?“ Ich schlucke, bin unsicher wie Mutter reagieren wird.

„Weil ich mich in Asahi verliebt habe.“ Ich drücke meine Hände im Schoß zusammen.

„Ich hatte befürchtet, dass er so reagiert...“ „Du wusstest es?“, frage ich überrascht, starre meine Finger an. „Natürlich.“, sagt sie und ein Lächeln schwingt in ihrer Stimme mit. „Eine Mutter weiß immer, wie es ihrem Kind geht.“ „Und für dich ist das ok?“ „Selbstverständlich.“ Ich schlucke, reibe mir Tränen aus den Augen. Ihre Zuneigung erfüllt mich erleichternd. Sie drückt mich an sich.

„Ach, Yu.“ Sie reibt stärker über meinen Rücken. „Papa kommt aus einer sehr traditionellen Familie, das weißt du.“ Ich nicke schluchzend. „Gib ihm ein bisschen Zeit. Dann wird er erkennen, dass Asahi eine gute Wahl ist.“ Sie lacht auf. „So ein anständiger junger Mann.“ Ich sehe Asahi vor meinem inneren Auge und ein Lächeln zieht sich über meine Lippen. „Ok?“, fragt sie schließlich und drückt mich kurz, bevor sie mich loslässt.

„Ok.“, sage ich mit wackliger Stimme.

Sie legt die Hand an meine linke Wange und dreht mein Gesicht zu sich. Ich sehe sie an, als sie mir ein paar Haare aus der Stirn streicht. Sie lächelt liebevoll. Dann wandert ihr Blick zu meiner rechten Wange und sie erstarrt. Mit weit aufgerissenen Augen sieht sie mich an.

„Was...?“, sagt sie geschockt und dreht meinen Kopf zwischen ihren Händen, fokussiert mein Gesicht. Als sie mit dem Daumen über meine Wange streicht, durchfährt mich ein glühender Schmerz und die Stelle, die sie berührt hat beginnt zu pochen. Ich kneife ein Auge zu. „Wie... wie ist das denn passiert?“, fragt sie aufgebracht.

Ich senke den Blick. „Papa ist vollkommen ausgerastet als er von Asahi erfahren hat.“ Ein geschockter Laut entsteigt Mutters Kehle und sie schlägt die Hand vor den Mund. „Er hat sich direkt entschuldigt.“, sage ich schnell, doch ihr Blick bleibt eingefroren.

„Oh nein... Yu... Mein Schatz...“ Sie wirft sich nach vorne und drückt meinen Kopf an ihre Brust. Dann höre ich ein Schluchzen, dass mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Mein Baby...“ Mir schießen Tränen in die Augen. Meine Mutter weint.

„Mama, bitte hör auf zu weinen...“, sage ich erstickt, doch sie drückt mich nur an sich. „Bitte... Es ist wirklich nicht so schlimm. Papa sagt, es tut ihm leid... Ich glaube ihm.“

Sie streichelt über meinen Kopf und lockert schließlich ihren Griff. Besorgt sieht sie mich an, während sie die Tränen aus ihrem Gesicht wischt.

„Ich werde mit deinem Vater sprechen.“, sagt sie ernst. „So geht das nicht.“

Ich nicke etwas überfordert. Ja, sie soll ihm ruhig die Meinung geigen. Ich sehe sie an, wie sie meine Wange anstarrt. Plötzlich sieht sie erschrocken aus.

„Was hast du?“, frage ich besorgt und sie legt die Hand über meine Wange, die spürbar angeschwollen ist.

„Was werden sie wohl sagen...“, sagt sie, wie unter Schock mit starrem Blick. Sie schluchzt. „Sie werden sagen, die Nishinoyas schlagen ihre Kinder.“ Sie keucht entsetzt auf, schlägt die Hände vors Gesicht, während es mir kalt den Rücken hinunter läuft. Oh nein. Ich will nicht, dass man über Mutter tratscht. Das hat sie nicht verdient.

„Nein, Mama.“, sage ich schnell und umfasse ihre Handgelenke. „Es... Es muss ja keiner erfahren.“

„Yu, aber sie haben doch Augen. Wenn sie dich sehen...“ Ich schüttele den Kopf.

„Werden sie nicht.“ Mutter sieht fragend zu mir auf. „Ich... Wir werden einfach sagen, ich sei krank. Morgen ist Donnerstag, dann ist schon Freitag... und am Montag wird man nichts mehr von dem blauen Auge sehen. Ich bleibe einfach zu Hause.“ Sie sieht mich mit großen Augen an und ich versuche mich an einem beruhigenden Lächeln. „Das ist schon ok.“

„Ach, Schatz.“, haucht sie und umarmt mich. Ich lege meinen Kopf auf ihre Schulter, lasse mich halten. Ja... Es ist schon ok...

***

Ohne mein Handy ist es mir nicht möglich Asahi oder Ryu zu kontaktieren und so kommt es, wie es eigentlich zu erwarten war. Sie besuchen mich nach der Schule. Natürlich haben sie mich vermisst, habe ich mich schließlich nicht mal abgemeldet. Ich höre das Klingeln, setze mich aufs Bett und drücke mein Kopfkissen an mich. Unten erklingt die Stimme meines Vaters, auch Ryu kann ich hören. Ich würde jetzt so gerne mit ihm reden. Ich kann nicht verstehen, was Papa sagt, doch er schickt ihn fort. Deprimiert lasse ich den Kopf hängen.

Wenige Sekunden später höre ich ein Klacken an der Fensterscheibe. Hab ich mir das eingebildet? Ich sehe hin und kann einen kleinen Stein erkennen, der gegen mein Fenster schlägt. Ryu! Ich springe auf und schiebe das Glas nach oben, um mich nach draußen zu lehnen. „Ryu...“, hauche ich und meine Haare fallen mir in die Stirn. Unten steht Ryu und auch Asahi ist da. Mein Herz macht einen Freudensprung, Es ist schön, sie zu sehen.

„Noya.“, sagt er mit erleichtertem Tonfall. Er hat sich sicher Sorgen gemacht. „Warum gehst du nicht ans Handy?“ „Ich habe Hausarrest.“ Ryu weiß, dass das bedeutet, dass Vater mein Handy einkassiert hat. Er stöhnt genervt. Ich kann ihn verstehen. So fühle ich mich auch.

„Geht es dir gut?“, ruft Asahi leise und ein Lächeln zieht sich über meine Lippen. Seine Stimme verursacht eine wohlige Wärme in meinem Bauch.

„Ja, macht euch keine Sorgen.“ Asahi legt erleichtert eine Hand auf die Brust, während Ryu skeptisch zu mir hoch sieht.

„Warum kommst du nicht zur Schule?“

„Ich soll zu Hause bleiben.“, sage ich spontan, in der Hoffnung, mein Hausarrest genügt ihm als Grund für meine Abwesenheit. Offenbar glaubt er mir nicht.

„Quatsch.“ Ich zucke zusammen. Vor Ryu kann ich nichts verbergen. Er liest mich wie ein Buch. Ich bin beeindruckt und gleichermaßen stolz, ihn zum Freund zu haben. Ich bedeute ihm etwas. Sonst würde er sich nicht solche Mühe für mich geben. Aber ich brocke ihm nur Ärger ein, wenn er bleibt.

„Ihr geht jetzt besser. Wenn mein Vater euch erwischt, gibt es Ärger.“

„Ist mir egal.“ Natürlich ist es das, ich habe nichts anderes erwartet. „Du lügst. Es geht dir nicht gut.“ Warum versuche ich es überhaupt, natürlich merkt er es...

„Ryu... Es ist wirklich ok.“, lenke ich ein.

Dann sehe ich, wie er in den Vorgarten steigt und sich an der Hauswand zu schaffen macht. Will er etwa zu mir hoch klettern?! Er fordert Asahi auf, ihm zu helfen. Oh nein!

„Leute. Das ist gefährlich.“, rufe ich halblaut, wären Ryu die Wand hinauf klettert. „Geh sofort wieder nach unten! Wenn du hinunterfällst, brichst du dir das Genick!“

„Nix da.“, knurrt Ryu und greift durch mein Fenster. Gleich ist er drinnen.

Plötzlich bewegt er sich ruckartig nach unten. Er hat den Halt verloren!

„Ryu!“, rufe ich erschrocken und werfe mich nach vorne. Mit festem Griff packe ich seinen Oberarm. Ich versuche ihn hochzuziehen, doch er ist viel zu schwer für mich. Ich stöhne angestrengt. „Halt dich fest, du bist zu schwer...“, gebe ich widerwillig zu. Schließlich kann er sich am Fensterrahmen abdrücken und ich kann ihn zu mir ziehen. Gemeinsam stürzen wir über die Fensterbank zurück in mein Zimmer. Keuchend sitzen wir auf dem Boden, als Ryu auflacht.

„Das war knapp.“, sagt er grinsend und ich sehe ihn entsetzt an. „Du bist echt der Wahnsinn.“ „Das wusstest du doch.“ Wir sehen uns an und ich muss auch lachen. Auch wenn er nicht hier sein sollte, so freue ich mich gerade unendlich, dass er da ist. Doch leider, ist es besser, wenn er wieder geht. Ich senke den Kopf tief, will meine Verletzung verstecken, die er offenbar noch nicht bemerkt hat.

„Das war nicht nötig, es ist alles in Ordnung, wie du siehst.“ Ich versuche so ernst wie möglich zu sprechen, um ihn zu überzeugen, doch sein Tonfall verrät mir schon, es ist vergebens.

„Sieh mir in de Augen und sag das nochmal. Dann gehe ich auf der Stelle.“, fordert er und ich drehe den Kopf weg. „Noya, sieh mich an.“ Ich balle die Hände zu Fäusten, muss mit aller Kraft dagegen ankämpfen, ihn anzusehen „Komm schon, bitte.“ Seine Stimme ist so zart, fast flehend. Ich kann das nicht ertragen, kann ihn nicht weiter belügen. Doch den Mund bekomme ich auch nicht auf. Ein fester Kloß hat sich in meinen Hals gebildet. Ich versuche durchzuatmen, dann gebe ich auf, drehe langsam meinen Kopf zu ihm und sehe ihm auf die Knie. Ich beobachte, wie sich seine Hand an mein Kinn legt und spüre, den Druck, mir dem er meinen Kopf anhebt. Ich gebe nach, neige den Kopf in den Nacken, weiche aber weiterhin seinem Blick aus. Jetzt kann er es sehen, das Ausmaß meiner Schande... Wie er wohl reagiert? Ich hebe den Blick, um meine Frage zu beantworten und wir sehen uns kurz in die Augen. Er starrt auf meine pochende Wange.

„Was zum...?“, dringt es erstickt aus seinem Mund. Der Schock ist ihm ins Gesicht geschrieben. Ich muss es ihm sagen, ich kann nicht anders.

„Er... Er hat es erfahren...“, meine Stimme ist kratzig, mein Blick trübt sich. „Das... mit Asahi. Das wir... jetzt ein Paar sind.“ Ich will nicht weinen, doch ich kann es auch nicht verhindern. Ich fühle mich so zerrissen. „Es hat ihm nicht gefallen... wie du sehen kannst...“ Ryu sieht mich entsetzt an, sein Mund leicht geöffnet, doch ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt atmet. „Er... hat sich direkt entschuldigt.... also...“

Plötzlich verschwindet der Ausdruck in seinen Augen und er steht ruckartig auf.

„Ryu...?“, frage ich überrascht und richte mich ebenfalls auf. Er geht auf die Zimmertür zu. Was hat er vor? Er will doch nicht etwa zu meinem Vater gehen? „Ryu!“ Ich greife sein Handgelenk und versuche ihn zurückzuhalten, doch er stemmt sich gegen mein Gewicht. Er ist stärker als ich. „Ryu, was hast du vor?“

„Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme klingt bedrohlich tief, wie ein Raubtier. Ich erschrecke. Ich muss ihn aufhalten!

„Ryu, lass das. Bitte. Du machst es nur schlimmer...“ Ich spüre die Tränen in mir aufsteigen und schnappe nach Luft. Er fährt herum, fasst mich an den Schultern.

„Noya, er hat dich geschlagen!“ Ich weiß. Doch was soll ich darauf antworten? „Er ist zu weit gegangen!“ Ja, da hast du Recht.

„Ja, das stimmt. Das weiß er auch.“, bringe ich erstickt hervor.

„Und jetzt versteckt er dich hier, damit niemand davon erfährt!“ Ryus wütende Stimme ist furchteinflößend. „Nein.“ Entgegne ich fast panisch. „Doch!“ Wie soll ich ihn nur aufhalten? Mir fällt nicht besseres als die Wahrheit ein. „Wenn es das wäre, wäre ich längst ausgebrochen.“

Anscheinend dringen meine Wort auch durch all seine Wut zu ihm durch, denn seine Haltung entspannt sich ein wenig. Ich lege die Finger um seine Handgelenke. Er hält still.

„Ich verstecke mich wegen meiner Mutter.“, gebe ich zu und lasse ihn los. Ich erzähle ihm von ihren Tränen, schlucke schwer gegen den Kloß in meinem Hals. Mich an ihr Schluchzen zu erinnern, bricht mir das Herz. „Sie glaubt meinem Vater, dass er die Beherrschung verloren hat. Er hat versprochen, dass es nie wieder passiert und sich entschuldigt.“ Ich hole tief Luft. Es tut tatsächlich ein bisschen gut, dass Ryu es jetzt weiß. Ich finde es schrecklich ihn zu belügen.

„Glaubst du ihm auch?“, fragt er mit angestrengt ruhiger Stimme. Ich nicke, erkläre ihm, dass ich zu Hause bleiben werde, bis meine Wange wieder abgeheilt ist. Er schüttelt nur ablehnend den Kopf. Ryu, ich brauche jetzt deine Unterstützung. „Die Leute reden, Ryu...“

Er sieht mir tief in die Augen, dass mir fast schwindelig wird. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie fest und durchdringend sein Blick sein kann. Als würde er direkt in meine Seele blicken.

Plötzlich nimmt er meine Hand. „Verstehe...“

Dann steht er auf und geht zur Türe. Entgeistert folge ich ihm, versuche ihn aufzuhalten, indem ich seinen Namen rufe, doch es ist als würde oder besser wolle er mich nicht hören. Er geht die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Ich fasse den Bund seiner Hemdes, als er vor meinen Eltern stehen bleibt, die sich ihm und mir überrascht zuwenden. Vater sieht wütend aus. Ich drücke den Stoff zwischen meinen Fingern zusammen.

„Lassen Sie Noya zur Schule gehen.“ Was? Ich habe doch eben gerade erklärt, dass das nicht geht. Was verspricht er sich von meinem Vater?

Mein Vater verneint, macht einen Schritt auf uns zu. Ich stelle mich dicht hinter Ryu und er legt den Arm um mich. Sofort fühle ich mich geborgen. Ryu wird nicht zulassen, dass mir etwas passiert. Doch gerade habe ich Sorge, dass ich ihn nicht beschützen könnte. Wenn Vater jetzt noch einmal ausrastet und ihn angreift...

Plötzlich sieht Vater mich bedauernd an. „Es... Es tut mir leid, Yu.“, sagt er bedrückt.

„Ich weiß, Papa.“, gebe ich kleinlaut zurück. Ryu festigt seinen Griff an meiner Hüfte. Er steht mir zur Seite. Ich halte mich an ihm fest.

„Nur... die Folgen meines Fehlers sind sichtbar....“, gibt Vater widerwillig zu. Dann sagt Ryu etwas, dass ich nicht erwartet habe.

„Ich war es.“ Ich sehe überrascht zu ihm auf. „Ich werde sagen, dass ich Noya verletzt habe. Unabsichtlich natürlich. Sie werden mir glauben.“ „Ryu...“, sage ich überwältigt und er lächelt mich an. „Das ist ok für mich. Dann kannst du zur Schule gehen und zum Training kommen.“

Ach, Ryu... Wie kann ein Mensch so gutherzig sein? Überfordert drücke ich mein Gesicht an seine Arm, kämpfe dagegen an in Tränen auszubrechen.

„Danke, Ryunosuke.“, sagt Mutter erleichtert. „Von mir aus.“, grummelt Vater.

Ryu macht einen Schritt nach vorne, wodurch sein Arm aus meinem Klammergriff rutscht. Überrascht sehe ich zu ihm auf, wie er sich vor meinem Vater aufbaut. Was...

„Das war das erste und letzte Mal, dass Sie Ihre Hand gegen Ihren Sohn erhoben haben. Lernen Sie ihn so zu akzeptieren, wie er ist und nicht, wie Sie ihn gerne hätten. Er ist ein anständiger junger Mann mit Mut und Ehre und wird es weit in seinem Leben bringen. Kommen Sie damit klar oder Sie lernen mich von einer anderen Seite kennen.“ Geschockt starre ich Ryu an und kann sehen, wie Vater wütend wird. Er hat sich einiges raus genommen, so respektlos zu sein. Ich habe ein wenig Angst, doch ich bin auch sehr stolz auf ihn.

„Verlass mein Haus. Auf der Stelle.“, sagt Vater mit festem Blick.

Ryu ist sogar so anständig sich zum Abschied zu verneigen. Doch bevor er geht, dreht es sich noch einmal zu mir um, packt mich fest an den Schultern, dass ich zusammenschrecke.

„Du bist stark.“, sagt er und es ist ein unerschütterlicher Ernst in seiner Stimme, dass mein Herz schneller zu schlagen beginnt. Es sagt mir liebe Wort, macht mir Komplimente, dass mir die Tränen kommen. „Lass dir von niemandem etwas anderes erzählen.“ Danke, Ryu.

„Ja.“

Er verlässt das Haus und ich sehe ihm mit großen Augen nach.

„Was fällt ihm ein?“, beginnt mein Vater zu schimpfen. „Dieser freche...“

Wütend balle ich die Hände zu Fäusten. Ich werde ihn nicht so über Ryu reden lassen. Doch bevor ich etwas sage kann, ergreift meine Mutter das Wort.

„Jetzt reicht es aber, Yosuke.“ Ihre Stimme ist so fest, dass sich mein Vater und ich gleichermaßen erschrecken. „Man könnte ja meinen, sein bester Freund würde deinen Sohn mehr lieben als du es tust.“ Er blinzelt irritiert und ich spüre Wärme in meiner Brust. Ich bin wirklich froh, dass ich Ryu habe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hypsilon
2021-10-22T05:07:21+00:00 22.10.2021 07:07
Das war eine richtig gute Idee, dieses Kapitel so zu beginnen und es dennoch als zweites dieser Passage zu setzen. Das hat vorhergehende viel spannender gemacht.
Und hier fühlt man echt die Emotionen mit. Das Noya so denkt und seinem Vater glaubt, ist naheliegend. Allerdings wird es wohl leichter sein, ein zweites Mal die Hand auskommen zu lassen, wie beim ersten Mal und irgendwann... wird es dann zur Gewohnheit. Schlimmes Thema, das du da aufgreifst, aber es liest sich sehr echt und ich bin gespannt, was du noch damit machst.

Grüße Hyps


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