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Piernik Królewski

von

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Jacob seufzte verdrießlich. Er hatte sich schon wieder in diesem Labyrinth verlaufen, das als Schule für angehende Hexen und Magier fungierte. Eine riesige Schlossanlage in den Schottischen Highlands, Hogwarts genannt, und wenn er seinem Freund Newt Glauben schenkte, die beste Schule für Zauberei auf dem Planeten.

Seit vier Tagen war Jacob nun hier zu Gast. Einer der Lehrer, der hier ein hohes Tier zu sein schien, hatte ihm und den anderen freundlicherweise erlaubt, für einige Zeit hier unterzukommen. Jacob schämte sich, seinen Namen schon wieder vergessen zu haben.

„War es was mit ‚Flubbermore‘ ...? Ach ich weiß auch nicht ...“

Newt hatte er nur sehr selten gesehen. Auch die anderen Hexen und Zauberer, die mit ihm hier angekommen waren, hatte er kaum zu Gesicht bekommen. Tina, die ihn aus dem Mausoleum gerettet hatte. Newts Bruder Theseus, der den Mord an seiner Verlobten mit ansehen musste. Yusuf Kama, den Jacob nur flüchtig kannte, der aber geholfen hatte, die Zerstörung von Paris zu verhindern.

Jacob kam sich furchtbar einsam vor in dieser belebten Schule. Er schob es darauf, dass er der einzige Muggel war unter hunderten Hexen und Magiern. Den Begriff hatte er von Newt gelernt. Er bezeichnete gewöhnliche Menschen, die keinen Funken Magie in sich hatten.

Du hast mich verzaubert‘, hatte Queenie immer gesagt.

Die Monate, die er mit der charmanten, blonden Hexe, Tinas Schwester, verbracht hatte, erschien ihm wie eine Episode aus einem früheren Leben. Ein besseres Leben, friedlich, die Frau, die er lieben und schätzen gelernt hatte, an seiner Seite. Bis sie ihn mit einem Liebeszauber verhext hatte.

Gefügig machte‘, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.

Jacob blickte auf den grasbewachsenen Innenhof. Tief hängende Wolken kündigten schlechteres Wetter an. Der Wind hatte in der vergangenen Nacht aufgefrischt und wehte heute scharf von Nordwesten kommend. Ende September brachte er bereits die erste Polarluft mit sich. Jacob schauderte.

Weder Schüler noch Lehrer waren zu sehen. Es war früher Nachmittag, der zweite Unterrichtsblock nach der Pause hatte bereits begonnen. Bis die nächste Stunde begann, würde sicherlich noch einige Zeit vergehen.

Er ließ sich weiter treiben. Vertrocknete Blätter wirbelten über den Rasen, den jemand vor nicht allzu langer Zeit geschnitten hatte. Eine verzauberte Harke bemühte sich, die Grünfläche von den Blättern zu befreien. Vergeblich. Jacob schaute ihr eine Weile zu, zuckte mit den Schultern und ging.

Er betrat einen lichtdurchfluteten Korridor und stutzte dann. Lief da eben ein Hauself mit einem Tablett? Jacob kannte diese Art Geschöpfe bereits. Er beschloss, ihm zu folgen.

„Oder ihr ...“

Der Weg des Hauselfen führte ihn den Gang entlang und dann nach links. Jacob musste sich beeilen, um nicht abgehängt zu werden. Er folgte ihm tiefer ins Schloss hinein, vorbei an Sanitärräumen und ein Stockwerk tiefer. Was zunächst wie ein Keller wirkte, entpuppte sich schnell als neuerlicher Durchgang, der auf der anderen Seite des Schlosses wieder hinaus führt. Die hügelige Lage machte es möglich.

Doch der Hauself wandte sich nun erneut nach links und verschwand in einem schmalen Durchgang.

Jacob folgte ihm und schluckte dann. Eine enge Wendeltreppe führte in die Tiefe.

„Wer sind Sie?“, fragte ihn eine Stimme aus der Dunkelheit.

Jacob zuckte zusammen.

„Ich, äh ... Ich heiße Jacob. Jacob Kowalski“, stellte er sich vor.

Der Hauself, dem er eben gefolgt war, kam einige Stufen die Treppe hoch. Sein Gesicht tauchte gespenstisch aus den Schatten auf. Er inspizierte Jacob.

„Folgen Sie mir“, meinte er dann lapidar.

Jacob ging vorsichtig die Stufen hinab. Er ertastete sie mehr mit seinen Füßen, als dass er sie sah. Unten öffnete sich eine schwere Eichentür und wurde offen gehalten. Aus dem Raum dahinter drang warmes Licht und viel Geschnatter. Jacob beeilte sich, um nach unten zu kommen. Er trat neben den Hauselfen, der ihm die Tür hielt und ihm mit einem Nicken bedeutete, einzutreten.

Jacob reckte seine Nase in die Luft. Offenbar war er in der Küche angekommen. Sofort verflüchtigten sich seine trübseligen Gedanken. Erinnerungen kamen hoch an die Zeit, die er mit seiner Grußmutter backend und lachend in ihrer Küche verbracht hatte. Interessiert sah er sich um.

Zahlreiche Hauselfen waren hier beschäftigt, schnippelten Zutaten, rührten in Kochtöpfen oder kneteten Teige. Jacob hatte seine Mühe damit, die vielen verschiedenen Gerüche zuzuordnen, die hier im Raum waberten. Er sah durch den Raum und blieb dann an einem rötlichen Haarschopf hängen. Jacob trat zu ihm.

„Hallo“, grüßte er.

Theseus hob den Kopf, lächelte ihn nur schwach an und sah dann wieder wo anders hin. Jacob traute sich nicht, den jungen Mann noch einmal anzusprechen. Fünf Tage danach hatte Newts Bruder immer noch gerötete Augen.

Jacob sah sich stattdessen noch einmal in der Küche um. Er trat zu zwei Hauselfen, die gemeinsam an einem Mürbteig arbeiteten. Interessiert trat er näher.

„Was wird das?“

„Shortbread“, antwortete der Hauself, der die Schüssel hielt.

„Was kommt alles in den Teig?“

„Butter, Zucker und Mehl sind die Hauptzutaten. Je nach Geschmack kann man diese aber noch mit Orange oder Whiskey verfeinern.“

„Ah, auf das Wesentliche beschränkt.“

Interessiert sah Jacob den beiden dabei zu, wie sie den Teig nun auf einem Blech gleichmäßig verteilten.

„Ist was?“, fragte einer, nachdem sie das Blech in einem massiven Steinofen geschoben hatten, wo was Shortbread backen konnte.

„Ich backe auch“, seufzte Jacob.

Er sah sich erneut verträumt in der Küche um.

„Entschuldigung“, meinte er dann, als sein Blick wieder auf die zwei Hauselfen fiel.

Die beiden starrten ihn an. Jacob tat sich schwer damit, ihren Gesichtsausdruck zu lesen. Waren sie wütend auf ihn, dass er einfach so in ihre Küche eingebrochen war? Unsicher setzte er sich auf eine abgewetzte Holzbank. Einer der beiden Hauselfen begann, die benutzte Schüssel wegzuräumen. Der andere blieb vor Jacob stehen, drehte verlegen den großen Zeh seines rechten Fußes auf dem Boden. Sah schüchtern zu Boden.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Jacob höflich.

„Was backen Sie denn so?“, fragte der Elf.

„Oh, nun, ganz unterschiedliche Sachen. Hauptsächlich Paczki. Donuts werden sie in den USA genannt. Ab und zu backe ich aber auch Kuchen nach Rezepten meiner Großmutter. Und natürlich ...“

Ich liebe die Faworki deiner Großmutter.

Jacob schüttelte den Kopf.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte der Hauself.

„Nein, ich ... Ich habe mich nur an etwas erinnert.“

„Warum backen Sie nur so selten nach Rezepten Ihrer Großmutter?“

„Oh, nun. In den Staaten kommt polnisches Gebäck nicht so gut an.“

„Polnisches Gebäck?“

Der Hauself schien verwirrt.

„Ja, meine Familie mütterlicherseits stammt ursprünglich aus Polen.“

„Oh.“

Jacob hatte den Eindruck, dass der Hauself nicht so viel damit anzufangen wusste. Das schien diesen aber nicht zu bekümmern.

„Ich würde gerne einmal ein Rezept Ihrer Großmutter probieren.“

„Ein Rezept meiner Großmutter?“

Verwundert blickte Jacob auf den Hauselfen.

„Backen ist wohl deine Leidenschaft?“, fragte er.

Der Hauself nickte eifrig. Jacob überlegte. Die Rezepte seiner Großmutter hatte er alle im Kopf. Schnell hatte er sich auf eines festgelegt.

„Also gut. Wir brauchen Weizenmehl, Zucker, Butter, fünf Eier. Hm, Zimt, Kardamom, Nelken, Orangenschalen und Sternanis. Außerdem Honig, dunkles Bier und natürlich Backpulver.“

Der Hauself schaute ihn entsetzt an.

„Bier? Wo soll ich denn in einer Schule Bier hernehmen?“

„Oh, nun.“

Jacob hatte nicht nachgedacht, als er die Zutaten aufgeführt hat.

„Vielleicht hat einer der Lehrer Bier?“

Der Hauself wirkte wenig überzeugt. Trotzdem war er im nächsten Augenblick verschwunden. Jacob schätzte, dass dies der gleiche Verschwindezauber war, mit dem er bereits mit Newt und Queenie gereist war. Ihm war danach immer furchtbar schlecht geworden.

„Hab ich ihn jetzt vertrieben?“, wunderte Jacob sich.

Er sah sich um. Theseus hatte die Küche scheinbar verlassen. Jedenfalls konnte Jacob seinen Lockenkopf nicht mehr ausfindig machen. Die anderen Hauselfen beachteten ihn nicht weiter und gingen ihrer Arbeit nach.

„Das ist alles, was ich kriegen konnte.“

Jacob zuckte zusammen. Der Hauself war direkt hinter ihm wieder aufgetaucht, in der Hand eine Flasche Bier, dessen Etikett ihm nichts sagte.

„Professor Duncan war nicht sehr erfreut, sie herausrücken zu müssen.“

„Oh, nun. Ich weiß zufällig, wie wir das Gemüt des Professors milde stimmen können.“

„Der Professorin.“

Jacob legte den Kopf schief. Der Hauself seinerseits sprang auf die Bank und stellte die Flasche Bier ab. Danach schnippte er mit dem Finger und allerlei Zutaten kamen zu ihnen geflogen. Obwohl Jacob ein halbes Jahr mit Queenie zusammen gelebt hatte, war er immer noch fasziniert davon, wie akkurat der Zauber die Zutaten anrichtete. Gerade so, als wüsste er genau, in welcher Reihenfolge sie zu verarbeiten waren. 

Jacob krempelte die Ärmel hoch.
 

***
 

Drei Stunden später holten Hauself und NoMaj den Kuchen vom Fensterbrett, wo sie ihn zum Auskühlen hingestellt hatten.

„Und nun glasieren wir ihn?“, fragte der Hauself.

Jacob nickte. Der Kuchen hatte eine Gugelhupfform. Jacob hatte zu ihr gegriffen, weil die Kastenformen der Schule alle belegt zu sein schienen.

„Piernik Królewski kann man auf viele verschiedene Arten machen“, erzählte Jacob. „Im Hinterland Polens hat fast jedes Dorf sein eigenes Rezept.“

„Scheint ja ein Nationalgericht zu sein“, mutmaßte der Hauself.

„So ungefähr. Eigentlich ist es ein Kuchen, der üblicherweise zu Weihnachten serviert wird.“

Jacob stockte. Warum hatte er dem Elfen ausgerechnet ein Weihnachtsrezept gezeigt? Er sah auf den Kuchen hinab. Er duftete geradezu nach weihnachtlichen Gewürzen. Während er den Teig angerührt hatte, war es ihm nicht aufgefallen. Auch die Hauselfen hatten nichts gesagt. Nur eine wohlige Wärme hatte sich in Jacobs Unterbewusstsein breitgemacht. Wie immer, wenn er nach einem Rezept seiner Großmutter backte.

„Kennt ihr Weihnachten?“, fragte Jacob den Hauselfen.

„Ja. Doch wir feiern es nicht.“

„Oh. Warum nicht?“

Der Hauself legte den Kopf schief.

„Wir Hauselfen haben an Weihnachten in der Regel immer sehr viel zu arbeiten. Außerdem haben die Feiertage von Hexen und Zauberern für uns keine Bedeutung.“

„Verstehe. Und eure Feiertage?“, hakte Jacob nach.

„Mister Kowalski. Sie scheinen eine völlig falsche Vorstellung von Hauselfen zu haben.“

Jacob nickte.

„Wenn ich ehrlich sein soll, sind Sie der erste Hauself, mit dem ich mich länger unterhalten kann“, erklärte er. „Verzeihen Sie bitte, wenn ich eine unpassende Frage gestellt habe.“

Der Hauself ließ es auf sich beruhen und wandte sich wieder ihrem Kuchen zu.

„Sie erwähnten, dass der Piernik królewski noch zu glasieren ist. Was nimmt man dafür in Polen?“

Auch Jacob konzentrierte sich wieder auf den Kuchen.

„Oh, das ist ganz unterschiedlich. Meine Großmutter hat ihn immer mit dunkler Schokolade glasiert und ihn mit gehakten Mandeln bestreut. Aber natürlich können wir auch etwas anderes als Dekoration auf die Schokolade geben. Zum Beispiel Trockenfrüchte.“

„Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns so nah wie möglich an Ihrem Rezept halten. Ich fürchte nur, dass wir keine gehakten Mandeln mehr haben. Nur noch gehobelte. Oder ganze, denen man erst die Haut abziehen müsste und sie dann haken.“

„Nur keine Umstände. Lassen Sie uns zuerst die Schokolade schmelzen.“

NoMaj und Hauself wandten sich wieder dem Herd zu. Inzwischen waren nur noch sehr wenige andere Hauselfen hier und sie konnten in Ruhe arbeiten. Jacob brachte den Kochtopf mit Wasser zum Kochen, während der Hauself die Schokolade in grobe Stücke hakte und in einen kleineren Kochtopf gab. Als das Wasser blubberte, regulierte Jacob die Hitze und vorsichtig stellten sie den kleineren Topf in das Wasserbad.

„Es sollte eigentlich ziemlich schnell gehen. Vergessen Sie nur nicht, umzurühren“, meinte der Hauself.

Jacob nickte und nahm einen Holzlöffel zur Hand.

„Ich kümmere mich in der Zeit um die Mandeln.“

Der Hauself verschwand. Jacob blieb allein zurück und rührte gelegentlich in dem kleinen Topf um. Einige Minuten später seufzte er schwer. Als er zuletzt gebacken hatte, hatte er dies gemeinsam mit Queenie getan. Nun war sie weg, verschwunden, dorthin gegangen, wohin sie dieser Verrückte gelockt hatte. Grindelwald.

Jacob war sich sicher, dass Newt und die anderen irgendwo in diesem Schloss die Köpfe zusammensteckten und beratschlagten, wie man diesem Wahnsinnigen beikommen könne. Dass Grindelwald wahnsinnig war, daran hatte Jacob nach seiner Rede in Paris keinen Zweifel mehr. Niemand könne ernsthaft noch einen weiteren Krieg in Europa wollen.

„Was machen Sie denn da?!“

Jacob zuckte zusammen und blickte in den kleinen Topf. Schnell rührte er um, merkte aber auch so, dass ihm ein bisschen von der Schokolade angebrannt war. Entschuldigend sah er zu dem Hauselfen.

„So schlimm ist es nicht.“

Der Hauself schnippte mit dem Finger und ein Schemel kam angeflogen, auf den er nun stieg, um ebenfalls in den Topf zu blicken.

„Haben Sie ein Glück! Jetzt aber schnell von der Herdplatte damit, bevor es noch schlimmer wird.“

Jacob griff zu den Topflappen, doch der Hauself war schneller. Er schnippte erneut mit dem Finger. Fasziniert beobachtete Jacob, wie der kleine Topf mit der Schokolade aus dem großen heraus und zum Kuchen an den Tisch flog, während der große Topf zu den überdimensionierten Spülbecken flog.

„Kommen Sie!“

Die beiden gingen zum Kuchen. Daneben stand eine Schüssel.

„Jetzt haben Sie ja doch gehakte Mandeln organisiert!“, meinte Jacob vorwurfsvoll.

Der Hauself zuckte mit den Schultern. Dann bekam er für seine Verhältnisse große Augen.

„Wollen Sie keinen Pinsel nehmen?“

Jacob schüttelte den Kopf. Er hatte den Topf mit der geschmolzenen Schokolade mit den Topflappen genommen und kippte den Inhalt nun vorsichtig auf den Kuchen. Die Schokolade verteilte sich gleichmäßig und lief an den Seiten hinab.

„Als Kind durfte ich das selbst nie machen“, erzählte Jacob. „Großmutter hat mich schon immer geschimpft, obwohl ich den heißen Topf nicht mal angefasst hatte.“

Zum Schluss kratzte er die letzten, noch brauchbaren Reste der Schokolade mit dem Holzlöffel heraus.

„So, und jetzt die Mandeln.“

„Seien Sie bloß nicht zu sparsam damit.“

„Natürlich nicht!“

Am Ende blieben ihnen trotzdem noch Mandelstückchen übrig, die sich Jacob in einem unbeobachteten Moment in den Mund schob. Der Hauself räumte das benutzte Geschirr weg und kam mit Kuchentellern und -gabeln sowie einem Messer wieder.

„Da wird ja nichts übrig bleiben“, meinte Jacob, als er die vielen Teller sah.

„Besser, wir verteilen ihn gleich an die Leute, die Ihnen wichtig sind. Wenn wir ihn hier unbeaufsichtigt stehen lassen, bekommt er Füße.“

Jacob lachte herzhaft und reichte dem Hauselfen die Teller an, damit dieser die Kuchenstücke darauf verteilen konnte. Nachdem sie alles verteilt hatten, schnappte Jacob sich zwei Teller und zwei Gabeln.

„Für Ihre Liebste?“

Jacob schüttelte den Kopf.

„Nein, ich ...“

Warum musste der Hauself ausgerechnet mit diesem Thema kommen?

„Ich möchte damit jemand anderem eine Freude machen.“

„Verstehe.“

Der Hauself wollte sich mit den anderen Tellern im Schleppflug absetzen, doch Jacob räusperte sich.

„Könnten Sie die Kuchenstücke bitte Newt und den anderen bringen?“

Der Hauself nickte.

„Und sagen Sie, haben Sie eine Ahnung, wo Theseus hingegangen sein könnte?“, fragte er.

„Scamander? Wieso schauen Sie nicht in der Eulerei vorbei?“

Jacob nickte und bedankte sich bei dem Hauselfen.

 

***

 

„Kurwa mać!“, fluchte Jacob.

Eine Schülerin hatte ihm grob den Weg zur Eulerei erklärt und ihm netterweise noch eine Laterne besorgt. Hätte Jacob vorher gewusst, dass die Vogelresidenz nur so schwer zu erreichen war, hätte er sein Unterfangen bleiben lassen. Es war bereits dunkel. Die Schule war natürlich nicht elektrifiziert worden, weshalb er jetzt nur sehr langsam voran kam. Wenigstens hatte er den Fuß des Turms erreicht, die Stufen außen die Felsen hinauf waren relativ breit, aber sehr ausgetreten. Jacob fror. Der Wind hatte mittlerweile gedreht und kam direkt aus Westen. Doch statt Regen fielen einige Schneeflocken vom Himmel. Ende September viel zu früh für diese Gegend, wie er schätzte.

Vorsichtig balancierte er die zwei Kuchenteller zum Eingang des Turms, die Laterne hing ihm vom rechten Unterarm. Er sah sich um. Nur wenige der majestätischen Greifvögel hielten sich hier gerade auf. Wie es ihre Natur verlangte, verließen sie die Nester zum Jagen, sobald die Nacht anbrach. Vereinzelte Augenpaare richteten sich auf ihn.

„Hallo?“, rief Jacob vorsichtig in die Stille hinein. „Theseus?“

Ins obere Stockwerk kam Bewegung. Einige der Eulen zuckten zusammen, als feste Schritte oben herum stampften.

„Jacob, bist du das?“, rief Theseus zu ihm hinunter.

„Ja.“

„Was machst du hier?“

Jacob trat in die Mitte des Turms und blickte nach oben. Theseus stand auf der Wendeltreppe und leuchtete ihm mit seinem Zauberstab entgegen.

„Ich, ... einer der Hauselfen und ich, wir haben einen Kuchen gebacken. Ich dachte, vielleicht möchtest du ein Stück probieren?“

Theseus zögerte. Einen Augenblick später kam er langsam die Treppe herab und auf Jacob zu. Letzterer hielt ihm einen der Kuchenteller hin und stellte die Laterne ab. Theseus steckte seinen Zauberstab weg und sie setzten sich auf eine Holzbank.

„Wie komme ich zu der Ehre?“, fragte Theseus und griff nach der Kuchengabel, um ein Stück zu probieren.

„Nach den Ereignissen der vergangenen Tage ... Ich brauchte einfach etwas Ablenkung, verstehen Sie?“

Im fahlen Schein der Laterne konnte Jacob Theseus‘ Gesicht nicht genau erkennen. Der Zauberer schien sich auf seinen Kuchen zu konzentrieren.

„Ich muss gestehen, ich fühle mich etwas fehl am Platz“, fuhr Jacob fort.

„Verstehe. Ich denke, Sie werden nicht mehr lange hier sein müssen.“

Theseus hatte seinen Kuchen zur Hälfte gegessen. Täuschte Jacob sich, oder hielt er sich beim Essen zurück?

„So meinte ich das nicht. Ich fühle mich hier wohl ... Es ist nur, als einziger Nichtzauberer kommt man sich in einer Schule für Hexen und Zauberer doch verloren vor.“

Theseus schwieg.

„Es kann auf Dauer ziemlich langweilig werden.“

Der Zauberer hatte das Kuchenstück nun vollständig verputzt.

„Hat mein Bruder Sie nicht gebeten, sich um seine Tierwesen zu kümmern?“

Jacob verschluckte sich fast an seinem letzten Bissen.

„Doch, schon. Aber nur die Handzahmen ... Und mit denen bin ich inzwischen geübt. Die anderen versorgt Newt selber. Oder der Lehrer für ... für ...“

„Der Wildhüter?“

„Ja, genau der!“

Theseus legte den Kopf schief.

„Und wie haben Sie meinen Bruder kennengelernt?“, fragte er.

Jacobs Herz machte einen Freudensprung. Newts Bruder schien inzwischen doch interessiert an einem Gespräch mit ihm zu sein. Der Kuchen hatte seinen Zweck wohl erfüllt.

„Ich bin auf dem Weg in eine Bank über seinen Koffer gestolpert.“

„Oh. Das sieht ihm ähnlich.“

„Na es ist ja nichts passiert. Aber bei dem Zusammenstoß haben wir versehentlich unsere Koffer vertauscht.“

Dass Newt eigentlich den Banksafe geknackt hatte, erwähnte Jacob lieber nicht.

„Und Sie hatten seinen Koffer mit den Tieren?“, fragte Theseus entsetzt.

„Ja, nun ... Ihr Bruder kam noch rechtzeitig, bevor Schlimmeres passieren konnte.“

Jacob kratzte sich verlegen am Hals, dort, wo ihm vor bald einem Jahr der Murtlap gebissen hatte. Auch diese Information verschwieg er. Theseus dagegen schien wenig überzeugt.

„Ich glaube, ich muss ein ernstes Wörtchen mit ihm reden.“

„Oh Gott. Seien Sie bloß nicht zu streng!“

Theseus sah ihn schief an.

„Wie würden Sie denn reagieren, wenn Ihr kleiner Bruder wilde Tiere auf Unbeteiligte loslässt? Von Zauberei und magischen Tierwesen ist da noch gar nicht die Rede! Stellen Sie sich vor, was alles hätte entkommen können?“

Theseus war von seinem Platz aufgesprungen und stiefelte nun im untersten Stock der Eulerei herum.

„Nun, es ist ja zum Glück glimpflich ausgegangen“, versuchte Jacob, Theseus zu beschwichtigen.

„‘Glimpflich ausgegangen‘? Halb New York wurde zerstört.“

„Daran trägt Ihr Bruder aber keine Schuld!“, konterte Jacob.

Er war ebenfalls aufgestanden.

„Hören Sie. Die Methoden Ihres Bruders scheinen ... unkonventionell zu sein. Trotzdem hat er etwas an sich, das ...“

Theseus wandte sich zu ihm um und zog eine Augenbraue nach oben. Die Laterne schickte flackernde Schatten über sein Gesicht.

„Das was?“

„Nun, er hat eine Gabe, Leute für sich und seine Tiere zu begeistern. Ich sehe es an mir selbst. Ich war nie ein großer Tierfreund. Ihr Bruder hat mir ihre Schönheit gezeigt, ihre Vielseitigkeit und ihre Liebenswürdigkeit. Anderen ergeht es auch so, wenn Newt von seinen Tierwesen erzählt. Zum Beispiel Tina, und ... Queenie.“

„Queenie? Wer ist Queenie?“

Jacob schluckte. Jetzt ging ihr Gespräch doch in diese Richtung.

„Queenie ist Tinas Schwester.“

„Ah. Und warum zögern Sie, ihren Namen zu nennen?“

Jacob stellte seinen Teller neben sich auf die Bank und sah bedrückt zu Boden.

„Sie ist mit Grindewald gegangen.“

Jacob spürte Theseus‘ Blick auf sich. Der Zauberer schwieg. Gemeinsam starrten sie in die Dunkelheit vor sich, die nur durch ein gelegentliches Flackern der Laterne unterbrochen wurde.

„Da sitzen wir wohl im selben Boot ...“, meinte Theseus nach einer Weile leise.

„Hn. Der Kuchen war eigentlich dazu gedacht, mich etwas von meinen Sorgen abzulenken. Aber es hat wohl nicht so recht geklappt.“

„Oh. Aber er ist sehr gut.“

„Danke. Es ist nach einem Rezept meiner Großmutter.“

„Das erklärt alles. Großmutters Rezepte sind noch immer die besten.“

„Ja. Ich hoffe, die anderen haben sich wenigstens etwas daran erfreuen können.“

„Die anderen?“

„Ja. Ich bat den Hauselfen, die anderen Stücke entsprechend zu verteilen. Ich glaube, wir hatten alle eine kleine Aufmunterung nötig. Man sieht es Ihrem Bruder nicht an, aber ich glaube, der Verlust von ...“

Jacob brach ab und sah besorgt zu Theseus. Dieser sah andächtig auf seinen Teller, was in dem fahlen Licht seine Wirkung verfehlte. Nur die leicht glänzenden Augen verrieten, was Theseus gerade durch den Kopf gehen musste.

„Entschuldigen Sie ... Ich wollte nicht ...“

„Sie haben ein gutes Herz, Mr. Kowalski“, unterbrach ihn Theseus.

Jacob sah zu Theseus und hielt ihm die Hand hin.

„Nennen Sie mich bitte Jacob.“

Theseus zögerte einen Moment, ergriff dann die Hand.

„Theseus.“

Die beiden seufzten.

„Na was meinen Sie, wollen wir zurückgehen?“, fragte Theseus dann.

„Ja. Bevor ich hier festfriere.“

Jacob stand auf, nahm die beiden Teller und die Laterne auf.

„Huch!“

Theseus stand am Eingang zur Eulerei. Jacob trat zu ihm. Fasziniert blickten sie auf die dünne Schneedecke, die die Ländereien von Hogwarts mittlerweile umgab. 

„Als wäre es schon Weihnachten ...“, befand Jacob andächtig.

Sich machten sich auf den Rückweg.
 

ENDE



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