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Götterdämmerung

von

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Julfest

Die Tage vergingen ohne weitere Vorkommnisse. Hicks tüftelte an einer neuen Konstruktion, mit der er den Flug des Nachtschattes noch präziser werden lassen konnte. Astrid verbrachte viel Zeit auf Patrouille, denn Schnelle Stachel kamen immer wieder über das bereits stellenweise gefrorene Meer auf die Insel. Rotzbakke und Fischbein halfen ihr dabei, die blitzschnellen Drachen wieder von der Drachenklippe zu vertreiben. Die Zwillinge hatten wie immer hauptsächlich Flausen im Kopf und taten, mehr schlecht als recht, ihr Übriges für die Allgemeinheit. So tüftelten sie beispielsweise weiterhin an dem Ausbau ihrer Wildschweingrube, da sie der Ansicht waren, dass jedes Dorf unbedingt eine solche, stinkige Schlammpfütze bräuchte. Aska nahm ihre ersten Flugstunden auf Ohnezahn. Während Astrid sie weiterhin versuchte, im Umgang mit Waffen zu schulen, hatte Hicks sich dazu bereit erklärt, ihr die Grundlagen des Drachenreitens beizubringen. Aska verbrachte auch viel Zeit bei Fischbein, der ihr die Theorie des Fliegens näherbrachte und den sie beim Kochen tatkräftig unterstützte. Sie hatte zwar das Gefühl, tatsächlich noch nie Gemüse geschnippelt, oder Brot gebacken zu haben, aber sie hatte – woher auch immer – köstliche Rezepte auf Lager. Sie verstand sich sehr gut mit den Drachenreitern, allerdings schien Rotzbakke ihr aus dem Weg zu gehen und sie ertappte ihn des Öfteren dabei, wie er sie heimlich beobachtete. Doch Aska hatte keine Zeit sich über sein seltsames Verhalten Gedanken zu machen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, über die Mondrune auf ihrem Rücken und der furchtbaren Prophezeiung in der großen Halle nachzudenken. Mit Erleichterung hatte sie festgestellt, dass das Elixier des Büffelstachels bereits nach der ersten Anwendung seine Wirkung zeigte. Die Entzündung war zurück gegangen und die Schmerzen waren vollständig abgeklungen. Auch waren die Linien schmaler geworden und es blieb nur eine feine helle Narbe zurück. An einem stürmischen Nachmittag stand sie wie so oft bei Fischbein an der wohlig warmen Kochstelle. Er schien trotz eines milden Lächelns auf den Lippen besorgt zu sein. Aska sprach ihn darauf an. „Ich habe Schreckenspost von Heidrun erhalten.“, sagte er seufzend. Aska wusste mittlerweile, dass Heidrun seine Freundin war und seit Monaten gemeinsam mit ihrem Bruder Dagur auf der Suche nach ihrem Vater waren. Sie schrieben sich regelmäßig Briefe, die sie sich mit den kleinen flinken Drachen, den Schrecklichen Schrecken, zusandten. Fischbein hatte ihr das Postsystem damit erklärt, dass die kleinen Drachen reviertreu seien und so immer wieder an ihren Geburtsort, in diesem Fall die Drachenklippe, zurückfinden würden. „Heidrun schickt uns eine Warnung. Auf ihrer Suche sind sie seltsamen vermummten Gestalten begegnet, die nach etwas oder jemandem zu suchen scheinen. Sie macht sich Sorgen, dass es etwas mit Hicks und Ohnezahn zu tun haben könnte. Die beiden wurden in der Vergangenheit schon so oft gejagt.“ Das Mädchen hatte schon gehört, dass es vor noch nicht all zu langer Zeit, viele Probleme mit korrupten Drachenjägern gegeben hatte und auch deshalb regelmäßig Patrouille um die Insel geflogen wurde. Es rumste hinter ihnen. Hicks war die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen, eine alte Karte auf dem langen Holztisch zu entziffern. Entnervt hatte er soeben mit der flachen Hand auf das vergilbte Pergament geschlagen. Ein Krug, der neben ihm stand, hüpfte bei der Erschütterung auf und Wasser spritzte auf die hölzerne Tafel. „Um Thors Willen! Das kann doch nicht so kompliziert sein!“, fluchte er, sammelte sich aber sofort wieder und strich sich das wirre Haar aus der Stirn. Fischbein ging zu ihm hinüber und beäugte die Karte akribisch. Nach einer Weile musst auch der dicke Junge sich eingestehen, nichts von den Hieroglyphen entziffern zu können. Aska hatte ein Tuch geholt und wischte die kleine Überschwemmung auf dem Tisch auf, die Hicks mit seinem entnervten Schlag auf die Karte verursacht hatte. Hicks sah zu ihr auf, denn er hatte bemerkt, wie Aska mit aufmerksamem Blick die Karte studierte. Ihre Augen wanderten stakkatomäßig von oben nach unten und dann wieder von oben nach unten. „Du … du kannst das lesen!“, stellte Hicks überrascht fest. Aska war noch einen Moment in die Karte vertieft, dann nickte sie zustimmend. „Ja! Ich kann dir zwar nicht sagen, welche Sprache das sein soll, aber ich kann dir sagen, was hier draufsteht.“, sagte sie, selbst erstaunt über ihre ungeahnte Fähigkeit, zu den beiden gewandt. „Hier ist eine Sternenkonstellation beschrieben. Sie führt über den Nordstern und den Thiazisternen direkt zum Weltenbaum. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich sie in die richtige Richtung deuten kann. Entweder bezeichnet das hier Asgard, oder …“, sie hielt kurz inne, „Helheim.“, endete sie leise. Sie hatte dabei den Finger auf ein Zeichen gelegt, das sowohl von oben, als auch von unten gelesen, ein und das selbe Bildnis blieb. „Die Heimat der Götter … oder das Totenreich.“ Fischbein schauderte bei der Nennung der Unterwelt. Die Drei starrten das alte Pergament verunsichert an. „Wo hast du sie her?“, wollte Aska von Hicks wissen. Der sah weiterhin nachdenklich auf die Karte, die nun nicht mehr nur einfach ein friedlicher Fetzen Papier zu sein schien. „Ich habe sie vor einiger Zeit in einer Höhle gefunden, als wir mal wieder ein Problem mit dem Brüllenden Tod hatten.“ Der gigantische Albinodrache, der immer wieder wie aus dem Nichts auftauchte, hatte Berk vor einigen Jahren in Angst und Schrecken versetzt und drohte die Felseninsel und auch sämtliche andere Inseln, auf denen die Drachenreiter die verschiedenen Drachen erkundeten, in Schutt und Asche zu legen. Bei einem gemütlichen Abend am Lagerfeuer, hatten die Zwillinge von diesem Monster geschwärmt. Fischbein sah ängstlich zu dem Fetzen auf dem Tisch, als würde er ihn jeden Augenblick anspringen. „Das ist mir nicht geheuer! Eine Karte die den Weg ins Totenreich weist kann nichts Gutes bedeuten!“, sagte er mit todernster Miene. Hicks nickte stumm, rollte die Karte zusammen und legte sie in eine Eisentruhe, die er auch geschwind mit einem schweren Schloss verriegelte. Seine Augen, die er eben noch nachdenklich zusammen gekniffen hatte, schienen sich zu entspannen. „Naja, jetzt ist sie erstmal sicher vor den Drachenjägern. Lasst uns lieber mal die anderen suchen. Astrid und Rotzbakke müssten eigentlich gleich wieder von ihrem Kontrollflug zurück kommen.“ Er lächelte wieder und die angespannte Stimmung schien sich aufzulockern.
 

Der Sturm hatte sich gelegt und elegant landete Astrid mit zufriedenem Ausdruck. Sie hatten seit etlichen Tagen keine Drachenjäger mehr gesichtet. Sie war sich sicher, vor dem Frühjahr würden sie auch auf keine mehr treffen. Im Meer trieben weiße Eisschollen, die ein Durchkommen mit dem Schiff unmöglich machten. Die gefrorene Brücke, auf der auch die Schnellen Stachel gekommen waren, hatte sie nach der Vertreibung der wilden Drachen, mit einem Magnesiumstrahl zerstört. Astrid fühlte sich seit langer Zeit wieder völlig sicher und freute sich auf das bevorstehende Julfest. Hinter ihr krachte der Riesenhafte Alptraum unsanft auf den Boden. Rotzbakke war sichtlich durchgefroren, was auf einem glühenden Drachen der Feuerklasse, wie ein schlechter Witz, der in frostigen Schlaf gehüllten Natur wirkte. Bibbernd, mit einem kleinen Eiszapfen an der Nase, lief der kurzgewachsene Junge steif zu Hicks Hütte, aus der es mit köstlichen Düften lockte. Die anderen sahen ihm nur schweigend nach. Aska erklärte sich bereit, die beiden Drachen in ihre Stallungen zu bringen, denn sie sah, wie auch Astrid vor Kälte zitterte. Da sie nun im Drachenreiten unterrichtet wurde, kannte sie sich nun etwas im Umgang mit ihnen aus. Die Verpflegung der Flügelwesen gehörte zum Unterrichtsinhalt selbstverständlich dazu. Während Aska mit Hakenzahn und Sturmpfeil im Schlepptau Richtung Stall stapfte, begleitete Hicks die blonde Wikingerin zu seiner Hütte, in der Fischbein mit dem Essen wartete.
 

Im Stall war es sehr warm. Der Geruch nach verkohltem Holz und Schwefel störte das weißhaarige Mädchen schon lange nicht mehr. Im Gegenteil. Er war ihr mittlerweile vertraut und hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie mochte die Drachen. Diese faszinierenden Wesen hatten trotz ihres monströsen Äußeren eine liebevolle Art an sich. Sie wirkten oft wie schuppige Riesenbabys mit viel zu großen Zähnen und ledrigen Flügeln, die mit Fressen wunderbar ruhig zu stellen waren. Jeder Drache hatte etwas mit seinem Besitzer gemeinsam. Sturmpfeil war anmutig und tapfer, genauso wie seine mutige Reiterin und Ohnezahn hatte das gleiche loyale und unerschrockene Wesen wie Hicks. Fleischklops war liebevoll und freundlich und aß mindestens genauso gerne wie Fischbein. Kotz und Würg waren, genau wie die Zwillinge, etwas verplant und für jeden Streich zu haben. Hakenzahn, dem Aska gerade einen vollen Eimer frischen Fischs hinstellte, war genau wie Rotzbakke, sehr eitel und er liebte die kleinen Machtkämpfe mit seinem Reiter. Hakenzahn stürzte sich auf den stinkenden Eimer, fraß und blieb vor lauter Gier mit der Schnauze im Eimer stecken. Empört über seine Maulsperre, spreizte er die Schwingen, reckte sich und schüttelte seinen mächtigen Kopf, bis der Eimer in hohem Bogen davon flog. Während er sich schüttelte, drang eine gelartige grüne Flüssigkeit zwischen seinen roten Schuppen hervor und bespritzte die Wände und Aska, die sich noch versuchte schützend wegzudrehen. Das Gel des Riesenhaften Alptraums zog schnell in die feinen Wollfasern ihres Pullovers ein. Aska hatte schon mehrfach gesehen, dass das Gel sich selbst entzünden konnte und von den Drachenreitern für Verteidigungszwecke eingesetzt wurde. Bei der Vorstellung, nun jederzeit in Flammen aufgehen zu können, versuchte Aska panisch sich ihrer befleckten Oberbekleidung zu entledigen. Sie suchte einen vollen Wassertrog und wusch hektisch schrubbend das Gel aus ihrem Pullover. Indes kam Rotzbakke durch die Tür, um Haki – wie er seinen Drachen liebevoll nannte – noch ein Betthupferl vorbei zu bringen. Auch wenn die riesige Echse ihn oft zum Narren hielt und ihn gerne vor den anderen Wikingern auflaufen lies, war Hakenzahn doch sein ganzer Stolz und bester Freund. Rotzbakke hatte den Tumult in Hakenzahns Stall mitbekommen und stand nun vor einem halbnackten Mädchen, das Kleidung in einem Wassertrog wusch und dadurch zu abgelenkt war, um die Ankunft des jungen Wikingers mitzubekommen. Vor Scham versteckte er sich hinter einem Stapel leerer Kisten. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. Er überlegte kurz, wie er sich wieder unbemerkt davonstehlen könnte, da fiel ihm vor seinem geistigen Auge etwas auf. War da nicht eben etwas auf ihrem Rücken gewesen? Vorsichtig schob er seinen Kopf ein Stückweit an den Kisten vorbei und riskierte einen neugierigen Blick. Tatsächlich! Von einer silbrigen Strähne halb verdeckt erkannte er eine feine rötliche Narbe zwischen ihren Schulterblättern. Durch das heftige Schrubben wippte die Locke zur Seite und gab den gesamten Blick darauf frei. Es handelte sich nicht, wie zuerst von Rotzbakke vermutet, um eine einfache Narbe. Er erkannte ein mysteriöses Symbol auf dem bleichen Rücken des Mädchens. Er hatte dieses Mal schon einmal gesehen. Sein Vater hatte ihm in der Nacht auf Berk von Gothis Prophezeiung erzählt und ihm dieses Zeichen aufgemalt. Die Mondrune! Sein Vater gab sich im Gegensatz zu Haudrauf und Grobian nicht mit der Annahme zufrieden, Gothi hätte einfach einen schlechten Tag gehabt. Kotzbakke mistraute der Fremden, die angeblich keine Erinnerungen mehr an ihre geheimnisvolle Herkunft hatte. Er hatte seinen Sohn mit seinem Argwohn angesteckt. Seit dem Besuch auf Berk ging Rotzbakke Aska aus dem Weg, denn der Gedanke daran, dass die Prophezeiung wahr werden würde, machte ihm Angst. Und nun schien sich alles zu bewahrheiten. Er duckte sich und schlich heimlich aus dem Stall, in der Hand immer noch die zarte Makrele, die er für Hakenzahn dabei gehabt hatte. Er beschloss den anderen vorerst nichts von seiner Entdeckung zu erzählen. Wenn jemand diese Hexe dem hohen Rat auslieferte, dann war er das!
 

Am nächsten Tag, dem Jultag, verbrachten alle gemeinsam die Zeit bei einer Runde Drachenball. Bei diesem Spiel durfte keine Feuerkraft eingesetzt werden und jeder Reiter bildete zusammen mit seinem Drachen ein Team. Nur durch Geschick durfte man den geworfenen Schneebällen ausweichen, oder diese fangen und als Geschoss weiterverwenden. Wer als letztes noch nicht von einem Schneeball getroffen worden war, hatte gewonnen. Fischbein hatte sich eine Strategie überlegt, wurde während der Planbesprechung mit Klöpschen allerdings schon von Hicks abgeworfen. Rotzbakke wurde gerade von den Zwillingen eingekesselt, die ihn mit den langen Hälsen des Wahnsinnigen Zippers in einer scherenartigen Formation verfolgten, als Astrid alle Drei mit zielsicheren Würfen traf. Nun waren nur noch sie und Hicks übrig. Mit waghalsigen Manövern versuchten sie sich gegenseitig abzuwerfen, doch beide waren zu schnell. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in denen die beiden sich abwechselnd immer wieder fast erwischt hätten, erklärte Aska, die als Schiedsrichterin auf einem Felsvorsprung stand, das Spiel für unentschieden. Hicks lächelte Astrid verschmitzt an, denn er wusste genau, dass sie sich mit einem Unentschieden niemals zufrieden gab. Und als hätte sie seine Gedanken gelesen, warf sie ihm aus nächster Nähe eine Hand voll Schnee ins Gesicht und lachte triumphierend. Hicks klopfte sich entgeistert den Schnee von den Schultern und sah säuerlich zu Ohnezahn, der mit einem gurgelnden Geräusch lachte. Es wurde sehr früh dunkel und sie zündeten Fackeln um den Platz vor den Hütten an. Die Raunächte standen bevor und traditionell wurde die längste Nacht des Jahres, die Wintersonnwende, die die Raunächte einläutete, ausgiebig gefeiert, denn nach dieser Zeit würden die Tage wieder länger und die Sonne wieder heller werden. Feldfrüchte wurden für die Göttin Frigg geopfert, was in einer theatralischen Zeremonie von den Zwillingen übernommen wurde. Mit dem Verbrennen der Opfergaben begann eine besinnliche Zeit, in der man noch einmal in sich kehrte und auf das vergangene Jahr zurückblickte. Aber es Begann auch eine sehr mystische, düstere Zeit, denn man erzählte sich, dass in den folgenden zwölf Nächten die toten Seelen auf der Erde wandeln würden, denn die Tore der Unterwelt würden in dieser Zeit offen stehen. Nach der Opferzeremonie nahm sich jeder einen glühenden Spahn aus der Feuerschale, in der die Gaben verbrannt waren, huldigte mit einem stummen Gebet den Göttern und anschließend wurden alle Gebäude schweigsam damit ausgeräuchert. Dieser Brauch sollte die Last und die negativen Energien aus dem alten Jahr vertreiben. Nachdem sich alle wieder auf dem, vom Fackelglanz erhellten Platz versammelt hatten, begann der fröhliche Teil der heiligsten aller Nächte. Sie zogen befreit von allen Sorgen in Hicks Hütte, in der bereits ein warmes freundliches Feuer loderte und bereiteten gemeinsam das Festmahl vor. Jeder steuerte etwas dazu bei. Hicks brachte gebratene Äpfel und getrocknete Rosinen, Astrid geröstete Kartoffeln und ein duftendes Kaninchenragout und Fischbein drehte im Feuer ein Spanferkel. Rotzbakke öffnete ein Fass köstlichen Malzbieres und die Zwillinge hatten Brote gebacken, die Aska kritisch beäugte. Sie selbst hatte kleine gezuckerte Kuchen gebacken, die sie mit Nüssen verziert hatte. Ihr waren diese Bräuche geläufig und sie liebte dieses heilige Fest, obwohl sie sich nicht an ein einziges erinnerte. Sie hatte sich während des Backens vorgestellt, sie würde die Küchlein nach dem Rezept ihrer Großmutter für ihre lieben Eltern backen. Sie sehnte sich nach ihrer Familie, die nur in ihrer Fantasie existierte. Schwermut lag auf ihrem Herzen. Nach dem köstlichen Festmahl packte Fischbein eine Laute aus und begann ein heiteres Lied anzustimmen. Die anderen stimmten mit ein und der Klang der Laute wurde im scheppernden Takt von Taff und Raff begleitet, die mehr grölend als singend mit ihrem Besteck auf den Tisch hämmerten. Die Stimmung war sehr ausgelassen und jeder kam mal an die Reihe, ein Lied anzusingen. Bis auf eines, kannte Aska die Lieder nicht, aber sie klatschte begeistert mit und ihre Augen strahlten. In diesem Moment waren die Sorgen der vergangenen Wochen vergessen und sie verspürte nur ein wohliges Gefühl der Heiterkeit. Dann war sie an der Reihe. Sie überlegte kurz und es fiel ihr tatsächlich ein kleines Lied ein. Glücklich darüber, fing sie mit heller Stimme an zu singen und bemerkte nicht einmal, dass es ein recht düsterer Vers war. Die anderen sahen sie verwundert an, aber die lustige Melodie und Askas fröhliches Lachen ließen sie ausgelassen klatschen und mit den Füßen stampfen.
 

„Nacht, Nacht, der Wolf erwacht,
 

bleckt seine Zung´, jagt Alt und Jung.
 

Frisst nicht Schaf, frisst nicht Huhn,
 

braucht keinen Schlaf, muss nicht ruh´n.
 

Kinderlein, gebt nur acht,
 

geht nicht raus, nie in der Nacht.
 

Blut, so rot.
 

Sieh dich um,
 

sonst bist du tot.“
 


 

Es war nur ein alberner Kindervers, ein Lied, das Aska aus ihrer Kindheit kannte. Ein Lied, dass sie oft im Ringelreih mit ihrer kleinen Schwester gesungen hatte. Sie erstarrte mitten im Tanz. Hicks hatte sie abgelöst und nun begonnen, mit schiefen Tönen ein neues Lied zu trällern, das von den anderen grölend begleitet wurde. Niemand bemerkte, wie sie mit versteinerter Miene vor den lodernden Flammen des Kamins stand. Beißender Rauch stieg ihr in die Augen. Sie sah im flackernden Schein ein kleines, pausbackiges Mädchen, das nicht älter als fünf sein konnte. Es hatte dieselben grauen Augen wie Aska, das selbe, silbrigweiße Haar, das ihr in lustigen Zöpfen über die Schultern fiel. Astari! Ihre Schwester! Unter einem Schleier aus heißen Tränen rannte sie, von ihren feiernden Freunden unbemerkt, aus der Hütte, direkt auf die Klippe zu. Dort blieb sie mit schnellem Atem stehen und sah flehend hinauf zu den Sternen.



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