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Ein Herz aus Glas

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben und einen schönen Samstag morgen euch,

ja ich wollte eigentlich immer Sonntags hochladen, ich wieß, aber zurzeit ist einfach so viel los, dass ich es nicht schaffe, daher lade ich jetzt schnell noch das Kapitel hoch, damit ihr nicht lange warten müsst.

Ich wünsche euch ganz viel Spaß mit diesem Kapitel und bis nächste Woche ;-)

LG
Sharry Komplett anzeigen

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Kapitel 3

 

„Kageyama, hey Kageyama, warte doch mal!“

„Schrei hier nicht so rum, du Vollidiot. Was willst du? Das Training ist vorbei und ich muss nach Hause Hausaufgaben machen.“

„Als würdest du Hausaufgaben machen.“

Im letzten Moment konnte Hinata der Sporttasche ausweichen, die der Zuspieler nach ihm warf.

Es war ein Tag wie jeder andere gewesen, Morgentraining, langweiliger Unterricht, das Training am Nachmittag, alles war wie immer.

Fast wie immer.

Selbst dem aufgedrehten Hinata war aufgefallen, dass etwas anders war.

„Es ist wie damals“, murmelte er und reichte Kageyama dessen Sporttasche, „findest du nicht auch?“

„Was meinst du?“, entgegnete der andere unbeeindruckt und ging weiter.

Bis auf Sugawara und Daichi, die noch mit Trainer Ukai, Herr Takeda, Kiyoko und Hitoka einige organisatorische Dinge zu besprechen hatten, waren alle anderen schon gegangen.

„Na wie Suga und Daichi drein geguckt haben, wann immer jemand Asahi erwähnt hat. Es war wieder genauso wie am Anfang.“

„Findest du?“, murmelte Kageyama und blieb stehen, den Blick durch die leere Sporthalle streifend. „Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass alle ganz gut gelaunt waren. Insbesondere Nishinoya scheint das Trainingsspiel gut verkraftet zu haben. Daichi und Sugawara machen sich bestimmt nur Sorgen, weil Azumane jetzt schon zwei Tage krank ist.“

Hinata antwortete nicht, sondern verschränkte die Arme, dann jedoch nickte er als hätte er eine schwerwiegende Entscheidung getroffen.

„Okay, Kageyama, lass uns Asahi besuchen gehen.“

„Was?“

Verdutzt über den plötzlichen Vorschlag sah der Zuspieler auf.

„Wieso sollten wir das tun? Wir kennen ihn doch außerhalb vom Volleyballclub gar nicht, da können wir nicht einfach bei ihm Zuhause auftauchen.“

„Warum nicht?“, widersprach Hinata. „Du bist doch derjenige der überhaupt daran zweifelt, dass Asahi krank ist. Wir könnten vorbeigehen und ihm das erzählen was Herr Ukai gestern gesagt hat, dann ist er mit Sicherheit wieder schnell auf den Beinen und kommt morgen wieder zum Training.“

„Du Vollidiot“, murrte Kageyama nun und rieb sich durchs Gesicht. „Hast du nicht mitbekommen, dass wir Azumane das eben nicht erzählen sollen, um ihn nicht unnötig unter Druck zu setzen? Er ist nicht so selbstbewusst wie du Hohlbirne, kapiert? Wenn wir ihm sagen, dass er viel besser sein kann als er es bisher gezeigt hat, wird er jedes Mal, wenn er das eben nicht hinkriegt total von sich enttäuscht sein und am Ende vielleicht wirklich den Spaß am Volleyball verlieren. Das willst du doch nicht, oder?“

„Nein, natürlich nicht“, murmelte Hinata niedergeschlagen.

„Eben, ich muss außerdem noch Hausaufgaben machen und wir wissen noch nicht mal wo Azumane wohnt. Es macht also gar keinen Sinn Asahi zu besuchen.“

„Ihr wollt zu Asahi?“

Beide Erstklässler drehten sich herum.

Im Gespräch waren sie allmählich Richtung Ausgang gewandert und hatten nicht bemerkt, dass Shimizu hinter ihnen aufgetaucht war.

„Das trifft sich ja sehr gut“, meinte sie und begann in ihrer Tasche zu kramen, „könnt ihr ihm dann die hier geben?“

Sie zog eine dunkelblaue Mappe hervor und hielt sie Kageyama hin.

„Ich habe seine Klassenkameraden nach den Unterlagen von gestern und heute gefragt, da ich mir sicher bin, dass Asahi sie durcharbeiten möchte sobald es ihm besser geht. Aber er wird sich mit Sicherheit viel mehr darüber freuen, wenn ihr ihn besucht als wenn ich das tue.“

„Glaube ich kaum“, widersprach Hinata hinter vorgehaltener Hand sodass Kiyoko ihn nicht hören konnte.

„Also ich...“, versuchte Kageyama abzulehnen, nahm jedoch gleichzeitig die Mappe entgegen während ihre Managerin weitersprach.

„Ihr würdet mir damit wirklich einen großen Gefallen tun. Ich mache mir um ehrlich zu sein wirklich etwas Sorgen um unser Ass und würde am liebsten selbst bei ihm vorbeischauen, aber ich habe jetzt gleich noch meine Lerngruppe und würde sonst wahrscheinlich zu spät kommen.“

Nun war es so gut wie unmöglich ihre Bitte auszuschlagen.

Wenige Minuten später gingen die beiden Erstklässler den Weg entlang, den Kiyoko ihnen erklärt hatte. Hinata schob sein Fahrrad und betrachtete die handgemalte Karte während Kageyama im Laufen versuchte Englischvokabeln zu wiederholen.

„Ich wusste gar nicht, dass du das Lernen mittlerweile so ernst nimmst“, bemerkte der Mittelblocker leichtfertig und verglich die Skizze der Managerin mit der Straßenkreuzung vor ihnen.

„Na und? Meinst du ich will wieder einen Tag Trainingscamp verpassen nur weil ich in irgendeiner Klausur durchgefallen bin?“

„Oh, deswegen also.“

Schweigend gingen sie weiter.

„Warum glaubst du eigentlich, dass Asahi nicht krank ist?“, fragte Hinata dann unschuldig nach.

„Ganz einfach, es ist physisch sehr unwahrscheinlich, dass er an einem Tag topfit ist und dann am nächsten so krank, dass er noch nicht mal zum Unterricht kommen kann und niemandem Bescheid gibt, das ist es auch schon“, antwortete Kageyama ebenso sachlich.

„Aber warum sollte er dann einfach nicht zum Training kommen, oh und zum Unterricht?“

Der Zuspieler zuckte mit den Achseln.

„Keine Ahnung. Sugawara hat schon Recht, es passt nicht zu ihm einfach zu schwänzen. Aber...“ Er verstummte.

„Aber was?“, hakte Hinata nach als sie in die Zielstraße abbogen. Tatsächlich war der Umweg für Kageyama nicht annähernd so groß wie er erwartet hatte.

„Ach nichts. Ich hab nur daran gedacht, was Sugawara uns damals gesagt hat.“

„Hmm?“

„Dass Azumane sich alles immer sehr schnell zu Herzen nimmt.“

„Ach ja“, erinnerte sich auch Hinata dran. „Stimmt ja, Daichi und Nishinoya sagen ja auch immer, dass er ein Herz aus Glas hat.“

Kageyama brummte etwas Zustimmendes und blieb vor dem Haus der Familie Azumane stehen. Hinata rannte bereits vor während der Zuspieler das Haus noch einen Moment betrachtete.

„Aber was passiert wohl wenn dieses Glasherz bricht?“, fragte er sich selbst ehe er auch weiterging. Hinata klingelte bereits.

„Warte doch, du Blödmann“, murrte er und eilte nach vorne. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es zur Haustüre als diese bereits aufgemacht wurde.

Halb in der Verbeugung erstarrten beide Schüler.

„Asahi?“, murmelte Hinata verwirrt.

Es musste Asahi, wenn Asahi kurze Haare und einen Vollbart tragen würde.

„Wie bitte?“

Schnell packte Kageyama Hinatas Hinterkopf und zerrte ihn mit sich in eine tiefe Verbeugung.

„Guten Abend, ich bin Tobio Kageyama und das hier ist Shoyo Hinata von der Karasuno Oberschule. Es tut uns leid, dass wir so spät noch stören. Wir sind mit Asahi zusammen im Volleyballclub und wollten ihm die Unterrichtsmaterialien der letzten zwei Tage vorbeibringen, die uns seine Klassenkameraden gegeben haben.“

„Oh, ihr seid Asahis Freunde? Kommt doch rein.“

Ähnlich wie Asahi schien auch dieser Mann deutlich warmherziger zu sein als er auf den ersten Blick wirkte. Er hatte die gleichen warmen braunen Augen, ebenso braun wie seine gescheitelten Haare. Das Hemd mit blauer Krawatte zusammen mit dem Vollbart und der kleinen Sorgenfalte auf der Stirn machte jedoch deutlich, dass er älter als Asahi sein musste, auch wenn sie sich glichen wie ein Ei dem anderen.

„Jaja, Kageyama und Hinata, Asahi hat viel von euch erzählt, die beiden Erstklässler mit dem wahnwitzigen Schnellangriff“, lachte der Fremde und ließ sie herein. „Nicht, dass ich wüsste was das bedeutet. Meine Volleyballkentnisse sind bestenfalls rudimentär.“

Schnell tauschten die beiden Angesprochenen einen Blick.

Im Eingang zogen sie eilig ihre Schuhe aus und folgten dem Mann, der ihrem Ass so ähnlich war. Im offenen Esszimmer blieben sie stehen, links ging es in eine kleine Kochnische und rechts führte ein dunkler Flur in die Tiefen des Hauses hinein.

„Ich wusste gar nicht, dass Asahi einen großen Bruder hat, du etwa?“, murmelte Hinata so leise, dass nur Kageyama ihn hören konnte, doch bevor der andere antworten konnte sprach Asahi2.0 bereits weiter: „Möchtet ihr was trinken? Euch setzen? Ich habe leider noch nicht gekocht, da meine Frau erst später nach Hause kommt und ich auch erst seit knapp einer halben Stunde wieder da bin, aber wenn ihr solange bleiben wollt...“

„Seine Frau? Er ist der Vater?!“, flüsterte Hinata lautlos, sein Blick gefangen zwischen Bewunderung und Panik. Auch Kageyama war überrascht, aber konnte es deutlich besser verbergen.

Diese herzliche Gastfreundschaft war wirklich ungewöhnlich und verstörte ihn beinahe noch mehr. Er wusste einfach nicht, wie er damit umgehen sollte.

„Vielen Dank, aber so lange wollen wir Sie wirklich nicht belästigen“, entschuldigte er sich rasch.

„Ach natürlich, ich vergaß; ihr habt morgen mit Sicherheit Training obwohl Samstag ist, nicht wahr? Ihr seid wirklich alle sehr fleißig und ehrgeizig. Asahi hat großes Glück ein Team wie eures zu haben.“

Beide Erstklässler konnten nicht verhindern unter dem Lob von Asahis Vater zu erröten und bedankten sich mit einer tiefen Verbeugung.

Eilig kramte Kageyama die dunkelblaue Mappe heraus, die Kiyoko ihm gegeben hatte.

„Hier sind die Unterlagen für Asahi. Wissen Sie wie es ihm geht? Kann er morgen wieder zum Training kommen?“

„Das kann ich euch leider nicht sagen. Es geht ihm wirklich nicht gut.“

Mit einem vielsagenden ‚Na siehst du, Asahi ist doch krank‘-Blick beäugte Hinata seinen Mitspieler ehe er sich erneut Asahis Vater zuwandte.

„Was hat er denn? Die Grippe? Einen Magen-Darm-Virus? Meine Mutter sagt es würde zurzeit was in der Grundschule rumgehen, vielleicht...“

„Hinata!“, unterbrach Kageyama ihn über seine unangebrachte Neugierde.

„Ach, ist schon in Ordnung“, winkte Herr Azumane ab, doch sein bedrückter Gesichtsausdruck blieb.

„Es ist - nun ja wie soll ich sagen - es geht Asahi wirklich nicht gut, aber es ist nicht so, dass er...“

„Hey Papa, Asahi hat wieder nichts… oh, wir haben Besuch?“

Überrascht wandten sich die drei Männer zum Flur um.

Dort stand ein junges Mädchen, in etwa so groß wie Hinata, mit einem Tuch um den Kopf gebunden und einem Tablett in den Händen. Im Gegensatz zu den Männern aus der Familie wirkte sie schmal, beinahe bleich, doch ihr Blick war messerscharf und sie konnte mit Leichtigkeit mit Nishinoyas selbstbewussten Auftreten mithalten.

Auf dem Tablett in ihren Händen stand ein ganz offensichtlich unberührtes Frühstück.

„Akemi, meine Liebe, du bist auf? Solltest du dich nicht noch ein bisschen ausruhen?“, fragte ihr Vater offensichtlich besorgt.

Doch sie winkte nur mit einer Hand ab, während sie das Tablett gegen ihre Hüfte stützte, und verbeugte sich knapp. Die beiden Erstklässler taten es ihr gleich, während Herr Azumane sie einander vorstellte: „Das ist meine Tochter Akemi und diese jungen Herren hier sind Tobio Kageyama und Shoyo Hinata. Sie sind Teamkameraden aus Asahis Volleyballmannschaft.“

Ganz anders als ihr Vater, der sie so freundlich begrüßt hatte, wurde ihr Gesichtsausdruck abweisend.

„Aha“, meinte sie nur kühl und ging dann an ihnen vorbei in die Küche.

„Bitte entschuldigt sie, meiner Tochter geht es derzeit nicht so...“

„Mir geht es gut, Papa“, unterbrach sie ihn aus der Küche und kam zurück, nun ohne Tablett und dafür mit verschränkten Armen. Ablehnend begutachtete sie Kageyama und Hinata. „Du solltest dir eher Sorgen um Asahi machen; er hat schon wieder nichts gegessen.“

Die beiden Erstklässler sahen einander hilflos an, während Herr Azumane sich für einen Moment entschuldigte als sein Handy klingelte.

Zurück blieb nur die kleine Schwester, die sie immer noch so abwertend ansah.

„Ihr spielt also mit meinem Bruder Volleyball?“, fragte sie unbeeindruckt.

Sie nickten synchron.

„Lasst mich raten. Groß, schwarze Haare, teilnahmsloser Gesichtsausdruck, du bist dieser seltsame Wunderzuspieler der Sugi seinen Stammplatz weggenommen hat.“

„Also so war das nicht“, stammelte Kageyama recht überfordert von der direkten Anklage des Mädchens, Hinata konnte sich gerade ein Kichern verkneifen, wobei er selbst nicht wusste worüber er sich mehr amüsierte, ihren Spitznamen für Sugawara oder wie sie Kageyama anging.

„Und du, klein, zerzauste Frisur und ein bisschen wie ein Kind mit Zuckerschock, du bist dieser durchgedrehte Lockvogel, der nicht in ganzen Sätzen reden kann.“

„Waaas?“

Kageyama hinter Hinata nickte halb zustimmend, so Unrecht hatte sie mit ihrer Beschreibung nicht.

„Was wollt ihr hier?“ Obwohl sie bleich und zierlich war jagte sie zumindest einem der beiden Erstklässler eine Heidenangst ein.

„Wir wollten nach Asahi sehen und ihm seine Schulaufgaben bringen“, antwortete Kageyama ehrlich und hob die blaue Mappe hoch, die er immer noch festhielt.

Sie zog nur eine Augenbraue hoch und kratzte sich am Nacken.

„Ja, die könnt ihr mir geben und dann gehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Asahi euch nicht sehen will“, behauptete sie schroff.

„Wieso sollte Asahi uns nicht sehen wollen?“, fragte Hinata eine Spur zu laut. „Wir sind doch schließlich Freunde!“

„Sicher“, schnaubte sie auf.

„Du hast ein Problem mit uns“, stellte Kageyama sachlich fest, was ihn einen verwunderten Blick sowohl von Asahis kleiner Schwester als auch von Hinata einbrachte.

Einen Moment überlegte sie, ehe sie schließlich nickte und sich nun am Kopf kratzte.

„Also, ja klar. Schließlich geht es meinem Bruder nur wegen euch so beschissen.“

„Was redest du denn da? Als hätten wir Asahi irgendwas getan!“

Hinata machte zwei Schritte nach vorne, wurde jedoch von Kageyama aufgehalten.

„Tze!“ Erneut verschränkte sie die Arme.

„Ihr könnt sagen was ihr wollt, aber wenn es Asahi schlecht geht, dann hat es immer etwas mit diesem verdammten Volleyballclub zu tun. Ich war echt froh als er im März aufgehört hatte und dann taucht ihr zwei schrägen Vögel auf und zieht ihn da wieder mit hinein. Er wäre besser nie zurückgekehrt.“

„Hey, was redest du denn da?!“

„Nicht so laut, Hinata!“

„Warum sollte Asahi mit dem Volleyball aufhören? Er liebt es! Es macht ihm Spaß und er ist verdammt gut darin, darum ist er ja auch unser Ass!“

Vernichtend sah sie Hinata an und trat auf ihn zu bis ihre Nasenspitzen nur noch wenige Zentimeter Abstand voneinander hatten, ein seltsamer undefinierbarer Geruch schlich dem Angreifer in die Nase, den er nicht zuordnen konnte.

„Ja, ich weiß, dass er es liebt“, flüsterte sie heiser, „aber das Problem bei meinem Bruderherz ist, dass er mehr fühlt als der durchschnittliche Mensch und tiefer und vereinnahmender. Und genau aus diesem Grund nimmt er sich Dinge auch so sehr zu Herzen und jedes Mal, wenn er so am Ende ist wie jetzt, dann liegt es jedes Mal an diesem verdammten scheiß Volley...“

„Akemi!“

Herr Azumane war wiederaufgetaucht, das Handy noch in seiner Hand.

„Bitte rede nicht so unhöflich mit unseren Gästen, die extra vorbeigekommen sind, nur um nach ihrem Teamkameraden zu sehen.“

Wütend plusterte sie ihre Wangen auf und drückte sich an ihrem Vater vorbei. Ihre stampfenden Schritte verhallten im Haus.

„Ich muss mich sehr für meine Tochter entschuldigen. Sie hat es derzeit nicht leicht und wenn es ihrem großen Bruder dann auch noch schlecht geht, leidet sie sehr. Ich bitte euch über ihr schlechtes Benehmen hinwegzusehen.“

Kageyama und Hinata nuschelten etwas Höfliches als Antwort und hatten ihr Augen fest auf den Boden gerichtet.

„Wenn ihr wollt könnt ihr gerne zu Asahi gehen, allerdings kann ich euch nicht versprechen, dass er aufmacht. Wenn es ihm nicht gut geht schließt er sich meist in seinem Zimmer ein und will uns nicht stören. Aber probiert es ruhig, es ist die dritte Tür auf der linken Seite.“

Der Mann, der seinem Sohn so unheimlich ähnlich sah, deutete den Flur hinunter in dem seine Tochter erst vor wenigen Sekunden verschwunden war.

Die beiden Erstklässler bedankten und verbeugten sich schnell, ehe Hinata Kageyama vor sich her den Flur hinunter schob.

„Was hast du denn?“, murrte der Zuspieler als sie die dritte Tür erreicht hatten.

„Ich hab Angst, dass das Mädchen von eben wieder auftaucht. Die war ja wahnsinnig.“

„Zumindest ist sie deutlich streitlustiger als ihr großer Bruder“, stimmte Kageyama zu und sah die Tür an, auf der ein kindlich gemaltes Bild einer auf- oder untergehenden Sonne klebte.

„Vielleicht sollten wir...“

„Hey Asahi! Wir sind‘s Hinata und Kageyama, wir wollten mal sehen wie‘s dir geht und wir haben...“

„Nicht. So. Laut!“, knurrte Kageyama und klatschte Hinata auf den Hinterkopf, der wie ein wildgewordener Berserker gegen die Zimmertür hämmerte.

Von der anderen Seite der Türe konnten sie nichts hören und als nach mehreren Sekunden immer noch nichts passiert war nickte Kageyama seinem Mitspieler seufzend zu, hob aber bedächtig einen Zeigefinger.

Erneut klopfte Hinata gegen die Türe, diesmal jedoch wie ein normaler Mensch.

„Hey Asahi. Wir sind‘s, wir haben Unterlagen von deinen Klassenkameraden dabei. Wir wollen dich wirklich nicht stören, aber wir machen uns etwas Sorgen um dich. Bist du krank oder so?“

Wieder tat sich absolut gar nichts und Hinata wollte schon wieder anklopfen als Kageyama ihn leicht zur Seite drückte.

„Ich will nicht aufdringlich sein, aber ich musste Shimizu versprechen nicht zu gehen ehe ich dir diese Mappe persönlich überreicht habe und ich muss wirklich dringend nach Hause und Hausaufgaben machen, also könntest du bitte die Türe öffnen damit wir sehen, dass du zumindest noch am Leben bist?“

Seine Stimme war wie so oft relativ gleichgültig, wofür Hinata ihn auch sofort anzischte.

„Du kannst ihm doch nicht so etwas gemeines an die Zimmertür werfen, wenn es ihm eh schon so schlecht geht“, flüsterte Hinata.

„Was hab ich denn geworfen?“, entgegnete Kageyama nur verwirrt. Er hatte nur die Wahrheit gesagt und hatte keine Ahnung wo das Problem lag.

Erneut war es für circa zehn Sekunden mucksmäuschenstill, doch dann konnten sie schwere, schlurfende Schritte hören, die immer näher kamen.

Genau vor der Türe verstummten sie.

„Irgendwie fühle ich mich gerade wie in einem Horrorfilm“, murmelte Hinata und versteckte sich hinter dem ähnlich bleichen Zuspieler.

Mit einem Klicken wurde die Türe aufgeschlossen und Hinata schluckte ängstlich, auch Kageyama wappnete sich vor dem was da kommen mochte.

Schwerfällig öffnete die Türe sich einen Spalt und beide Erstklässler erstarrten.

„Asahi?“, flüsterte Hinata ungläubig und wollte seinen Augen nicht trauen.

Der breitschultrige, muskulöse junge Mann wirkte dürr und ausgelaugt. Seine sonst so sanften Augen waren eingefallen und stumpf, gleichzeitig waren sie geschwollen und im linken Auge war ein Äderchen aufgeplatzt. In wilden Zotteln hing sein Haar herunter und verdeckte mehr schlecht als recht sein fahles, ausgemergeltes Gesicht. Im Dämmerlicht des dunklen Zimmers hinter ihm schien seine Haut gräulich und seine Lippen aufgerissen.

Er hatte den Blick zu Boden gerichtet und den Kopf halb abgewandt.

„Du siehst ja furchtbar aus“, stellte Hinata vorlaut fest, woraufhin der andere zusammenzuckte. „Das heißt, du kommst morgen nicht zum Training?“

Diese unschuldige Frage ließ Kageyama mit den Augen rollen.

„Natürlich nicht, du siehst doch wie beschissen er aussieht.“

Immer noch sagte Asahi nicht ein Wort.

„Aber immerhin bist du am Leben“, murrte Kageyama – während Hinata ihn ungläubig anstarrte - und hielt dem Drittklässler die Mappe hin.

Nach einem Moment streckte Asahi seine Hand aus und nahm sie entgegen.

„Danke.“

Seine Stimme klang genauso gebrochen und heiser wie er aussah.

„Hey Asahi“, murmelte Hinata nun mit einem aufmunternden Grinsen, „guck, dass du dich übers Wochenende gut erholst und dann trainieren wir nächste Woche weiter, ja?“

Zum ersten Mal sah der Drittklässler auf, für eine Sekunde leuchteten seine dumpfen, zugeschwollenen Augen auf, doch dann verdunkelten sie sich rasch und seine Unterlippe begann zu zittern.

„Hinata, setz ihn nicht so unter Druck.“ Kageyama drängte den anderen zur Seite und sah Asahi ernst an. „Ich hoffe, dass es dir bald wieder besser geht, Azumane.“

Dann verbeugte er sich knapp und nickte Hinata zu.

„Komm schon, ich muss noch Hausaufgaben machen.“

Aufstöhnend rollte der andere mit den Augen, ehe er breit lächelnd Asahi zuwinkte.

„Okay, dann mach‘s mal gut und werd' schnell wieder gesund, ja?“

Hinata eilte immer noch winkend den Flur hinunter und Kageyama folgte ihm, blieb dann jedoch stehen, als Asahi sich anschickte die Türe zu schließen.

„Azumane, was glaubst du ist deine größte Schwäche?“

Verwirrt blieb Hinata stehen und beobachtete verwundert wie der reguläre Zuspieler ihres Teams den Drittklässler direkt ansah.

„Glaubst du es ist deine Technik oder deine Geschwindigkeit oder vielleicht deine Annahme?“ Kageyama klang kühl, beinahe herablassend, auf jeden Fall viel zu dreist, um so mit einem älteren Schüler in dessen Haus zu sprechen. „Mag sein, dass das alles noch nicht perfekt ist, aber es nicht deine Schwäche. Im Gegenteil, du hast all die körperlichen Voraussetzungen und das Talent was es braucht um ein herausragender Spieler zu werden. Herr Ukai sagte gestern sogar, dass du das Potential hast die Voraussetzungen eines Asses neu zu definieren. Aber...“

„Kageyama!“, rief Hinata dazwischen, doch Kageyama sprach ungehindert weiter und zeigte nun direkt auf Asahi: „Aber du stehst dir selbst im Weg. Du bist deine eigene größte Schwäche. Herr Ukai hat uns gesagt, wir sollen dir nicht die Wahrheit sagen, um dich nicht unter Druck zu setzen, aber ich sehe das anders.“

Immer noch starrte Kageyama den Drittklässler direkt an und ließ sich auch nicht von dem aufgebrachten Hinata aus der Ruhe bringen.

„Auch wenn es von mir als Erstklässler anmaßend klingen mag: Es ist mir egal, ob du Volleyball spielen willst oder nicht, ob du bereit bist dein Bestes zu geben oder nicht. Aber nachdem ich am Mittwoch gesehen habe wozu du in der Lage sein kannst, werde ich nicht dabei mitmachen dir eine Ausrede zu bieten, damit du es noch nicht einmal zu versuchen brauchst. Damit du dich noch nicht einmal mit deinen Möglichkeiten auseinandersetzen zu brauchst.“

Nun klang er noch härter, noch erbarmungsloser, versuchte noch nicht mal seine Worte zu entschärfen.

„Ich will es in die Nationalmannschaft schaffen und ich habe das Talent und den Ehrgeiz, um das auch zu erreichen. Mir ist egal, was du mit deinem Talent machst, aber mich würde es immens ankotzen so viel Potential einfach wegzuwerfen. Nicht jeder hat die körperlichen Vorteile, die wir haben.“ Nun nickte er zu Hinata hinüber. „Und trotzdem geben die anderen alles was sie können, um es zu den Besten zu schaffen während du dich hier versteckst. Das pisst mich wirklich an.“

„Kageyama“, murmelte Hinata erneut, aber dieses Mal viel schwächer, während Asahi den Zuspieler immer noch fassungslos anstarrte, nicht in der Lage irgendetwas zu tun oder zu sagen.

„Ich weiß nicht was du gerade durchmachst“, erklärte Kageyama nun und verschränkte die Arme, „aber jetzt, wo du weißt was für ein Potential in dir schlummert, bist du wirklich zufrieden mit dem Wissen, dass deine Volleyballkarriere mit diesem Schuljahr enden wird?“

Kageyama drehte sich um und schritt weg. Als er den ebenfalls entsetzten Hinata erreichte, blieb er noch einmal stehen.

„Ich zumindest weiß, dass das mir nicht reichen würde, aber ich bin nicht du und kann diese Entscheidung nicht für dich treffen.“

Für einen Moment war es totenstill.

„Allerdings würde ich dir jederzeit den Ball zuspielen solange du nur nach ihm rufst, vielleicht eines Tages sogar im Nationalmannschaftstrikot.“

Dann packte er Hinata am Kragen und schliff ihn mit sich mit, verabschiedete sich noch nicht einmal bei Herrn Azumane, der in der Küche am Kochen war, und ließ Asahi hinter sich zurück. Erst auf der Straße ließ er von dem sich windenden Lockvogel ab.

„Was sollte das Kageyama?!“, brüllte dieser und baute sich mit seinen 164,2 Zentimetern vor dem Zuspieler auf. „Hast du eben nicht noch gesagt, dass wir es Asahi auf keinen Fall sagen sollen?! Herr Ukai hat uns verboten ihn so unter Druck zu setzen und dann noch dein Tonfall. Wenn Asahi jetzt nicht mehr spielen will ist das deine Schuld.“

„Nein“, widersprach der Größere kühl und schritt davon.

„Was meinst du mit Nein?!“

Hinata packte sein Fahrrad und verfolgte den anderen.

„Ich meine damit, dass es keinen Unterschied mehr gemacht hat, ob ich es ihm gesagt hätte oder nicht. Aber nun weiß er zumindest alle Fakten und kann damit eine ernsthafte Entscheidung treffen.“

Verwirrt hielt Hinata mit dem anderen Schritt.

„Wovon redest du? Warum hat es keinen Unterschied mehr gemacht? Was für eine Entscheidung?“

Doch Kageyama ging einfach weiter, den Blick stur geradeaus gerichtet.

„Zerbrochen ist zerbrochen“, murmelte er schließlich und bemerkte noch nicht einmal wie Hinata ihn mit großen Augen anstarrte.

„Was? Wovon redest du?“

Erneut schwieg der Jüngere, nun wusste er die Antwort auf seine Frage, nun wusste er was passierte, wenn das Herz aus Glas zerbrach. Nichts blieb übrig, nichts außer Scherben.

 

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  KleinAya
2020-06-15T22:42:58+00:00 16.06.2020 00:42
Endlich konnte ich das nächste Kapitel lesen :)

Ich kann mich so gut in Asahi hineinversetzen :( Ich hab auch Tage an denen ich nichtmal aufstehen kann. In so einem Fall hilft oft wirklich nur ein A**tritt damit man wieder auf die Beine kommt! Es kommen wieder bessere Tage Asahi!!!! Hoffe ich zumindest XD
Antwort von:  Sharry
16.06.2020 16:18
Vielen lieben Dank für deinen süßen Kommentar.

Es war mir wirklich wichtig, Asahi realistisch darzustellen in seiner Situation und ich weiß, wie schwierig solche Zeiten sein können, daher verstehe ich genau, was du meinst... und ja, es kommen wieder bessere Tage!

Liebe Grüße
Von: Crispie
2019-06-29T07:17:30+00:00 29.06.2019 09:17
Okay das war mit Abstand das herzzereißendste Kapitel von dir - definitiv. Doch erst einmal der Reihe nach.

Es ist inzwischen amtlich: Bisher ist mein Lieblingschara in deiner Geschichte eindeutig Kageyama. Wie ich dir bereits in meinem letzten Review erklärt hatte, ist deine Umsetzung seines Charas einfach perfekt. Ich kann mich also definitiv nicht beschweren ❤

Zugegeben: Ich musste am Anfang ziemlich lachen, als Kageyama seine Tasche nach Hinata geworfen hatte - das ist so schön IC ^^ Und auch, dass er Shimizu nicht abschlagen kann, Asahi zu besuchen!

Im Hause Asahi ging es ganz schön rund. Vor allen Dingen durch Akemi. Ich bin ganz schön baff gewesen, als ich ihr Wesen gelesen und auch etwas gruselig fand, aber ich würde als Schwester meinen Bruder ebenfalls mit Leib und Seele schützen wollen D:

OH MEIN GOTT ! Dieser letzte Abschnitt hat es mir angetan...es beschreibt und widerspiegelt Asahis Zustand perfekt wieder und Kageyama hat es richtig erkannt. Asahis Herz aus Glas ist zerbrochen und so reflektiert er es an die Außenwelt wieder. Seine Ansage mag vielleicht ein bisschen barsch gewesen sein, aber nun hat ihm Kageyama wenigstens die Möglichkeit gegeben selbst Entscheidungen treffen zu können.

Was die Dramen betrifft, kannst du sie wunderbar hervorstechen lassen und auch die Emotionen der jeweiligen Person hervorragend zur Geltung bringen ❤ Ich liebe einfach diese Geschichte jetzt schon und freue mich auf nächste Woche :3

Liebste Grüße
Crispie♡
Antwort von:  Sharry
06.07.2019 11:22
Und gleich noch ein Kommentar XD Ich freue mich sehr.

Und danke für dein Lob, wenn es mir gelingt die Charaktere IC darzustellen, und auch noch eine relativ realistische, utnerhaltsame Story hinzukriegen, dann bin ich glücklich (aber ja, Kageyama macht es mir auch leicht und daher freut es mich, dass er dir so gefällt^^)

Ach ja, Drama ist mein bevorzugter Bereich, wenn die Emotionen wild werden, daher bestehen meine Geschichten zu 80% daraus (und der Rest versucht dann, es halbwegs logisch in einen Kontext zu verpacken^^')

Wünsche dir auf jeden Fall wieder viel Spaß mit dem nächsten Kapitel ;-)

LG
Sharry


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