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Shards of Red

Endeavor x Hawks
von

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Ruby

Es ist seltsam, wie schnell man sich an etwas gewöhnen kann…oder an jemanden.

Enji ertappt sich nicht zum ersten Mal, wie er morgens neben sich greift, in der Annahme, er würde ein paar rote Federn erwischen. Natürlich liegt Hawks nicht neben ihm auf dem Futon. Hat er nie. Sie treffen sich ausschließlich in seiner Hütte mit Onsen oder im Hotel. Hier wohnen seine Kinder und wenn eines von ihnen erfahren würde, was er mit dem Winged Hero alles…treibt…nein. Er hat schon einen schlechten Stand, da braucht er nicht noch mehr Minuspunkte.

Dabei treffen sie sich nicht einmal so oft, dass es Routine sein könnte. Unregelmäßige Zeitabstände. Sie sind beide beschäftigt. Leben nicht in derselben Stadt.

Enji hasst es, dass er den Vogel vermisst, wenn sie sich besonders lange nicht gesehen haben. Eigentlich vermisst er ihn schon jetzt. Er seufzt genervt und dreht sich auf den Rücken, blickt vor sich hin, während er auf seinem traditionellen Futon liegt. Er wird gleich duschen, sich anziehen und dann zur Patrouille aufbrechen.

Abends wird Fuyumi kochen. Sie werden zu viert sein. Eine der wenigen Familienrunden, die scheinbar nur seiner Tochter am Herzen liegen.

Enji seufzt stumm, denn eigentlich bedeutet es ihm auch etwas. Er erträgt nur Shoutos Schweigen und Natsuos Ablehnung nicht – auch wenn er weiß, dass er sie verdient hat. Die gemeinsamen Essen sind mehr eine Herausforderung als ein harmonischer Abend, doch für Fuyumi versucht er es. Auch, weil er nicht wie ein Feigling vor seiner Verantwortung weglaufen will.

Möglicherweise verzeihen ihm seine Kinder nie, das kann er nicht ändern…aber das heißt nicht, dass er sich nicht bemühen muss. Er will eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Er will, dass Rei nach Hause kommt, selbst wenn er dann ausziehen wird. Vielleicht lässt er auch ein neues Haus für die vier bauen. Der Gedanke kommt ihm in letzter Zeit immer öfter, denn an ihrem jetzigen Zuhause hängen einfach zu viele schlechte Erinnerungen. Auch wegen Touya…

Er atmet einmal tief durch, ehe er sich aufrafft, um sich fertig zu machen. Wenigstens seinem Job als aktuelle Nummer eins will er gerecht werden.
 

Als er abends in seinem Büro in der Agentur sitzt und den Papierkram erledigt, erwischt er sich zwischendurch dabei, wie er immer mal wieder auf sein Handy schaut. Die einzige private Nachricht, die er bekommen hat, ist von Fuyumi. Ob er es pünktlich zum Essen schafft – was er bejaht hat. Der Tag ist nicht sonderlich ereignisreich gewesen. Er hat ein paar jugendliche Nachwuchsbösewichte, die einen Laden überfallen haben, zum Heulen gebracht und der Polizei übergeben, eine alte, demente Dame zurück nach Hause gebracht und zwei Menschen aus einem brennenden Gebäude gerettet. Alltag. Keine Spur von der League of Villains oder einem anderen großen Fisch, den es sich zu fangen lohnt.

Es frustriert ihn, obwohl er weiß, dass jede Tat seine Wichtigkeit hat. Dennoch, wenn er an den Vorfall in Kyushu denkt, pocht seine Narbe warnend. Er sieht den Nomu vor sich, kurz bevor er ihm das Gesicht aufschlitzt. Dabis verrücktes Lachen hallt in seinem Kopf wider.

Enji unterschreibt ein weiteres Dokument, legt es auf den Stapel neben sich und wirft einen Blick auf die Uhr. In einer halben Stunde muss er los, wenn er nicht zu spät kommen will.

Abermals fasst er das Display seines Handys ins Auge. Es ist nicht so, dass sich Hawks täglich bei ihm meldet, aber es sind jetzt schon ein paar Tage ohne ein Lebenszeichen vergangen. Manchmal schickt Hawks ihm ein Foto von sich…oder letztens von seinem nackten Hintern. Dieses schamlose Stück…

Gelegentlich kommen ein paar dumme Sprüche oder Behauptungen, dass er ihm fehlt. Trotzdem er meistens einsilbig antwortet, tut es ihm irgendwie gut. Zu wissen, dass jemand gern in seiner Nähe ist und ihn vermisst. Es ist nicht seine Art, seine Gefühle und Wünsche so offen darzulegen, wie Hawks es tut. Er will es auch gar nicht, denn was dabei herumkommt, wenn er versucht, sich anzupassen, hat er ja bei diesem Jungen gesehen, der ihn um ein Autogramm gebeten hat. Nein. So eine peinliche Nummer leistet er sich bestimmt nicht noch mal. Er ist kein dauergrinsender All Might und er ist kein Plappermaul wie Hawks. Er ist nun mal eher ernst und grimmig.

Außerdem will Hawks ihn auch gar nicht anders haben. Jedenfalls, wenn das letztens die Wahrheit gewesen ist. Enji hat zu Anfang gedacht, er wüsste, was für eine Sorte Mensch der freche Vogel ist. Ein Großmaul mit dem Kopf in den Wolken, überheblich und provokant. So falsch hat er damit auch nicht gelegen, aber da ist noch mehr. Eine Seite, die Hawks ihm nicht zeigen will, die aber dennoch ab und zu durchsickert. Vielleicht irgendwann…

In den letzten Wochen hat man Bilder von All Might auf jeder Titelseite prangen gesehen. Der Kerl ist sogar berühmt, wenn er im Ruhestand ist. Er und sein skurriler…Freund, von dem es kaum ein vernünftiges Bild gibt, abgesehen von den Schnappschüssen auf der Pressekonferenz, die schon einige Zeit zurückliegt. Die beiden passen irgendwie kein Stück zusammen…genau wie Hawks und er selbst.
 

Aber scheinbar muss er sich nicht um ein sogenanntes Coming Out sorgen. Schließlich hat Hawks ja selbst gesagt, dass er sowas nicht möchte. Wahrscheinlich weiß auch er, dass die Medien sie zerreißen würden. Er, der geile alte Bock, der sich an den aufstrebenden Jüngling ranmacht. Er sieht die Schlagzeilen schon vor sich. Wer würde ihm glauben, dass es Hawks ist, der ihn verführt hat? Nahezu jeder würde glauben, dass er dem armen Vögelchen Versprechungen gemacht hat, ihn ausnutzt oder unter Druck gesetzt hat. Oder sie drehen es so, dass Hawks das Flittchen ist, das seine Ehe zerstört hat. Na ja, den Teil hat er gut selbst hinbekommen, dafür braucht er den Jüngeren nicht. Jedenfalls ist jedes Szenario gleichbedeutend tödlich für ihre Karriere.

Wenn er sich dann noch die Reaktionen seiner Familie vorstellt, wird ihm speiübel. Natsuo würde ausrasten, das tut er ja schon jetzt zur Genüge. Mit einer Affäre, die nicht viel älter ist als sein Sohn, hätte er es endgültig versaut. Vermutlich würden sie alle dasselbe denken – dass er Hawks zwingt und misshandelt. Wenn sie überhaupt damit klarkommen würden, dass er mit einem Kerl…nein. Es gibt Sachen, die niemals passieren dürfen.

Hawks will ihn für sich? Sehr gut. Er will dasselbe. Und apropos Hawks…vielleicht sollte er ihm ausnahmsweise als Erster schreiben. Es ist einige Zeit her, das sollte also in Ordnung sein und nicht so…wirken, als würde er ihn…verzweifelt vermissen. Oder? Zwiespalt.

Enji nimmt zähneknirschend sein Handy in die Hand und öffnet den Chatverlauf, wobei ihm Hawks‘ zwinkerndes Profilbild direkt ins Auge springt.
 

Bin heiß drauf, mal wieder ein paar Yakitori mit dir zu teilen, wenn du weißt, was ich meine~
 

Das ist die letzte Nachricht, die Enji unkommentiert gelassen hat. Hinter den Satz hat der Vogel drei Flammen-Emojis gesetzt. Hawks macht das gern. Irgendwelche Emojis hinter seine zweideutigen Sprüche packen. Bei manchen ist Enji nicht immer sicher, was sie bedeuten, doch zugeben wird er das nicht.

Er zögert merklich, während sein Zeigefinger über dem Touchscreen schwebt. Was will er eigentlich schreiben? Ohne dass er sich blamiert…

Er tippt einen Satz…und ändert ihn. Schreibt ihn neu…
 

Komm mal wieder vorbei geflattert. ;-)
 

…und löscht ihn komplett. Was für ein Unsinn. Verdammt. Noch mal von vorn.
 

Bist du demnächst mal wieder in der Gegend?
 

Enji liest sich den Satz dreimal durch. Keine Zweideutigkeit, kein komischer Slang, keine Smileys…aber es klingt nach ihm. Ja, damit kann er leben, ohne sich später in Grund und Boden zu schämen. Er schickt die Nachricht ab. Wartet ein paar Minuten. Anscheinend ist Hawks beschäftigt, denn die Haken färben sich nicht blau.

Gut. Dann eben später. Er muss jetzt sowieso los, wenn er zuhause schnell duschen und sich umziehen will, bevor das Abendessen beginnt. Vielleicht antwortet Hawks heute auch gar nicht mehr, sie haben eben beide einen anspruchsvollen Job. Enji seufzt und erhebt sich dann von seinem Stuhl, steckt das Handy weg, ehe er sich auf den Weg macht.
 

Als er heimkommt, ist Fuyumi schon dabei, alles vorzubereiten, und begrüßt ihn mit einem freundlichen Lächeln. Sie trägt ihre rosa Schürze, hat die Haare zusammengebunden, damit sie nicht beim Kochen stören. Shouto und Natsuo sind noch nicht da. Auf die Frage, ob er ihr helfen soll, schüttelt sie bloß den Kopf und meint, dass er in Ruhe duschen und sich fertig machen soll. Sie ist ein Engel. Anders kann man das nicht sagen. Auch wenn er weiß, dass sie ebenfalls Narben von seinen Fehlern davongetragen hat, ist sie die Einzige, die sich wohl um eine annehmbare Beziehung zu ihm bemüht – obwohl sie das nicht müsste. Er kann ihr dafür nicht genug danken und hofft, dass das Abendessen einigermaßen friedlich verläuft.

Er checkt noch zweimal sein Handy, doch die Nachricht ist weiterhin ungelesen. Die aufsteigende Enttäuschung kommt ihm selbst lächerlich vor, schließlich ist er ja auch nicht immer erreichbar. Muss daran liegen, dass er den frechen Vogel allmählich doch vermisst.

Enji blickt grimmig in sein Spiegelbild, das vom heißen Wasserdampf noch ein bisschen verschwommen ist. Die Narbe sticht zuerst hervor, man kann sie nicht übersehen, weil sie nahezu sein halbes Gesicht überzieht. Hawks findet sie sexy. Er selbst findet sie hässlich, aber es ist auch nicht so, als würde es ihn groß kümmern. Sie steht für etwas und er hat sie verdient.

Sein Körper ist durchtrainiert, doch das hat er sich selbst erarbeitet und muss auch jetzt dran bleiben. Er hat keinen Quirk, der sowas für ihn regelt. Nicht wie gewisse andere Menschen. Er schnaubt leise und trocknet sich dann ab, um sich anzuziehen. Weißes Hemd, dunkelgraue Hose, so wie meistens, wenn er sein Kostüm nicht trägt.
 

Als er die Küche betritt, scheint Fuyumi in den letzten Zügen zu sein und es riecht auch schon sehr gut. Ein Lächeln liegt auf ihren Lippen, während sie dort steht und ihr Mapu Tofu in eine große Schüssel füllt. Seitdem Rei nicht mehr bei ihnen wohnt, hat sie das Kochen übernommen. Scheinbar tut sie es gern, kann es inzwischen auch wirklich sehr gut, aber…manchmal fragt er sich, ob das so richtig ist. Ob das nicht eine weitere Bürde ist, die er ihr aufgehalst hat.

Er räuspert sich und sie sieht auf, lächelt ihn an.

„Oh! Ich bin so gut wie fertig! Natsu und Shouto sitzen schon drüben…uhm, nimmst du das hier noch mit rüber? Und…uhm…ich dachte, es wäre nett, wenn wir vielleicht mal nicht nur zu viert sind.“

Enji runzelt die Stirn, hört zwar, was sie sagt, doch weiß er nicht, was sie meint. Hat sie jemanden eingeladen? Hoffentlich nicht. Das Dilemma kann sich ja keiner antun.

Rei schließt er von vornherein aus, schließlich wissen sie alle, dass es ihren halbwegs stabilen Zustand wieder verschlechtern würde, wenn sie sich begegnen würden. Nein. Das muss selbst Fuyumi, die sich so sehr um eine heile Familie bemüht, einsehen.

„Das heißt?“, fragt er schroff und nimmt die Schüssel mit dem Mapu Tofu sowie eine weitere mit Reis an sich.

„Du wirst dich sicher freuen!“, verspricht sie und zwinkert ihm zu.

Er könnte sie jetzt weiter dazu drängen, ihm zu sagen, wer da noch sitzt, aber wozu, wenn er selbst schauen kann. Dennoch…das ungute Gefühl, das ihn plötzlich beschleicht, wird er nicht los. Es gibt ja nicht allzu viele Möglichkeiten und die eine, die ihm gerade in den Sinn kommt…nein. Das würde er nicht wagen. Das…darf nicht wahr sein.

Er hört durch die dünnen Schiebewände aus Papier Stimmen und eine davon…gehört hier definitiv nicht hin. Ihm wird heiß und kalt, als er die Tür mit dem Fuß zur Seite schiebt und…

„Heeeey Number One! Da bist du ja! Ui, und so gut gekleidet…jetzt komm ich mir underdressed vor, haha…“

Drei Augenpaare starren ihn an. Ein zweifarbiges, monoton wie eh und je…ein graues, missmutig, sodass er weiß, wie unerwünscht er ist…und das dritte. Bernstein. Raubvogelaugen, die ihn gerade aber so freudig anblicken, dass es schon regelrecht unangenehm ist.

Stille.

Enji wird ihn umbringen.

„Ach, mach dir nix draus, Hawks-san…er ist der Einzige, der sich hier ‘n Hemd anzieht. Wie du siehst, sind wir alle eher leger, nicht wahr, Shouto?“

„Hm.“

„Okay~! Das beruhigt mich!“, zwitschert Hawks los und strahlt von einem zum anderen, ehe er ihn wieder ansieht. „Soll ich dir was abnehmen, Endeavor-san?“

„Was machst du hier?!“, knurrt er anstelle einer Antwort und platziert die Schüsseln auf dem großen Tisch.

Hawks neigt den Kopf zur rechten Seite, lächelt immer noch.

„Ich wurde eingeladen! Ganz zuuufällig war ich nämlich in der Gegend und Fuyumi-chan hat mich schon vor einer Weile kontaktiert und gemeint, es wäre schön, wenn ich’s beim nächsten Essen einrichten könnte! Wäre doch unhöflich, so eine nette Einladung auszuschlagen, hm?“

Vor einer Weile. Enjis Braue zuckt merklich, während er sich bemüht, nicht aus der Haut zu fahren. Es fällt ihm schwer und er spürt bereits, wie die Temperatur im Raum ansteigt. Was fällt Hawks ein, ihn auf diese Weise zu hintergehen und sich wie ein Parasit am Tisch seiner Familie breit zu machen? Noch dazu ohne Absprache? Er wird ihn erwürgen.
 

„Das stimmt, Otou-san!“, lässt ihn Fuyumis fröhliche Stimme innehalten.

Er sieht seine Tochter an, die soeben den Raum betritt und das restliche Essen auf dem Tisch platziert. Sie ist der Grund, weswegen er es schafft, die Wut und damit auch die Hitze in sich zu regulieren. Er will hier kein Theater machen, wo sie sich solche Mühe gibt.

„Ich dachte, es wäre schön, wenn wir mal einen Freund von dir kennenlernen! Hawks-san und du habt so gut in Kyushu zusammengearbeitet…und letztens auf der Gala gab es ja auch schon Schnappschüsse von euch! Und das eine Mal, als du bei Facebook sein Profil-“

„Ja. Ich verstehe“, fährt er ihr rasch dazwischen und spürt, wie sie ihn schon wieder alle anstarren.

Dieser Abend wird ihm das Genick brechen. Definitiv. Dazu muss nicht mal rauskommen, in welcher Beziehung Hawks und er wirklich zueinander stehen. Er ist geliefert.

„Du hast Facebook?“, kommt es stumpf von Shouto.

„Du hast Freunde?“, ätzt Natsuo in altbekannter Feindseligkeit.

„Du stalkst mein Profil?“, fragt Hawks grinsend. „Aww…wusste gar nicht, dass du so schüchtern bist, Endeavor-san! Du kannst mir ruhig ne Freundschaftsanfrage schicken! Ich würde niemals so gemein sein und ablehnen!“

Enji weiß nicht, wie er reagieren soll. Ob er das überhaupt beantworten soll. Sein gesunder Menschenverstand rät ihm davon ab, sein Stolz will dieser Farce ein Ende machen…und den Raum in Brand setzen. Letztendlich siegt die Vernunft.

„Ich habe kein Facebook-“

„Instagram?“

„…und daher auch keine Freundschaftsanfrage verschicken wollen“, fährt er grimmig fort und ignoriert Hawks‘ Einwurf. „Außerdem sind wir Kollegen, keine Freunde.“

Da ist ein Funkeln in Hawks‘ Augen, das ihm missfällt. Muss er Panik bekommen? Nein. Nein, Hawks ist kein Dummkopf und sicher auch nicht lebensmüde. Er ist nicht hier, um ihm und sich selbst das Leben zur Hölle zu machen, oder? Er wird sich nicht verplappern, das riskieren, was da zwischen ihnen ist. Ruhig bleiben und durchatmen.

Fuyumi guckt ein bisschen bedröppelt und Enji bereut, dass er die Sache mit den Freunden nicht einfach so hingenommen hat. Es wäre nichts dabei gewesen, wenn er so darüber nachdenkt. Auch das ist allerdings Hawks‘ Schuld, weil er ihn nicht vorgewarnt hat. Er blickt den Verantwortlichen finster an, was diesen so gar nicht kümmert, denn er lächelt immer noch, wendet sich nun an Fuyumi.

„Von allen Kollegen ist Endeavor-san mein Lieblingskollege, also noch mal vielen Dank für die Einladung! Ich hab mich riesig gefreut!“, zwitschert er los, was seine Tochter aufzuheitern scheint.

Enjis Befürchtung, dass sie ihm etwas Gutes hat tun wollen und nun glaubt, seine Wut auf sich gezogen zu haben, bestätigt sich. Verdammt.

„Ist auch besser, nicht mit ihm befreundet zu sein“, brummt Natsuo missgelaunt. „Wundert mich, dass du es überhaupt mit ihm aushältst…“

Zweifellos hat auch er bemerkt, dass seine Worte Fuyumi verletzt haben. Er hat die Spitze also verdient und lässt sie unkommentiert, setzt sich stattdessen an das Kopfende des Tisches.

„Aaaach, so schlimm ist er gar nicht! Man muss nur durch die harte Schale blicken!“, behauptet Hawks, der neben seinem Jüngsten sitzt.

Shouto hebt eine Braue, lässt die Worte aber mal so stehen, während Natsuo aussieht, als würde er gleich an seiner Zunge ersticken.

„Wenn du es sagst…“, bringt er hervor.

Enji weiß, dass er sich nur wegen Fuyumi zusammenreißt. Eben diese klatscht gerade einmal in die Hände, merklich erleichtert, dass nicht weiter darüber gesprochen wird.

„So, da wir jetzt alle beisammen sind…sollten wir essen, hm?“

Dagegen hat zumindest niemand Einwände und nach einem gemurmelten „Guten Appetit“ von allen Seiten wird auch zugelangt. Enji nutzt dies, um einen Blick in Hawks‘ Richtung zu werfen. Rausgeputzt hat er sich nicht, aber das hier ist auch keine Gala und selbst da hat er die Mitte getroffen. Er trägt ein rubinrotes Shirt unter der offen stehenden, schwarzen Jacke, dazu dunkelblaue Jeans…und jede Menge Schmuck. Ohrringe, Ketten, Armbänder. Der Schnickschnack ist Enji schon öfter aufgefallen. Er selbst trägt höchstens eine Uhr. Aber er sollte wohl froh sein, dass der Winged Hero keines seiner Merchandise Shirts trägt. Allein der Gedanke…

Hawks schaut in diesem Moment auf, die mit Reis gefüllte Schüssel noch in der Hand, und zuckt kaum merklich mit den Schultern, das Grinsen noch auf den Lippen. Was soll das sein? Eine halbherzige Entschuldigung, dass er dieses Tabu gebrochen hat, ohne ihm auch nur ein Wort davon zu sagen? Oder ein „Mach dir keine Sorgen“? Beides stößt bei ihm nicht gerade auf Verständnis, sodass er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Essen lenkt.
 

„Hawks-san, du bist doch in meinem Alter und hast schon so einen erfolgreichen Aufstieg geschafft. Wie ist das so? Ich meine, ich bin Lehrerin und liebe meinen Job, auch wenn er eine Herausforderung ist…aber ich habe meine festen Zeiten, abgesehen von Korrekturen. Ein so berühmter Held wie du zu sein, ist aber ja etwas ganz anderes. Du hast ja bestimmt nicht viel Zeit für dich selbst, oder?“, bricht Fuyumi das typische Schweigen ihrer Familie und lächelt den Blonden an.

Enji hält sich raus, auch wenn er dazu etwas sagen könnte. Mit 20 Jahren ist er schließlich selbst die Nummer 2 gewesen. Wahrscheinlich will nur niemand von ihnen etwas dazu von ihm hören. Was soll er auch schon sagen, außer, dass er alles vernachlässigt hat, um diese Position zu erreichen?

Hawks schiebt sich noch was von dem Mapu Tofu in den Mund und legt den Kopf schief, als sei er ein richtiger Vogel. Er kaut zu Ende, scheint über die Frage kurz nachzudenken.

„Na ja, ich bin’s nicht anders gewohnt, hab früh angefangen. Früher als andere, denk ich, und da sich immer alles um den einen Traum gedreht hat, vermiss ich auch nichts. Also Hobbys oder sowas…ich schätze, ich bin grade ziemlich glücklich, so wie es ist.“

Und dabei grinste er doch tatsächlich in seine Richtung. Enji sieht ihn mürrisch an und schiebt sich mehr Reis in den Mund.

„Kann ich verstehen“, brummt Natsuo. „Wenn man so beliebt ist, wie du es bist…ich meine, die Fans liegen dir echt zu Füßen, oder? Vor allem die Mädchen. Muss schön sein, so beliebt bei denen zu sein.“

Hawks‘ Grinsen wankt keine Sekunde, doch Enji fühlt sich, als hätte man ihm gerade in den Magen geboxt. Das Gerede über irgendwelche Mädchen, die sich an Hawks ranmachen, missfällt ihm, vor allem, da er weiß, dass er das nicht zeigen darf.

„Es ist echt schmeichelhaft, wenn sie deinen Namen rufen, Selfies oder Autogramme wollen, das stimmt“, gibt Hawks unumwunden zu.

„Aber eine Freundin hast du nicht, oder?“

„Natsu! Hawks-san möchte bestimmt nicht, dass das jemand weiß, wenn es da wen gibt…du musst darüber nicht reden!“, grätscht Fuyumi dazwischen, woraufhin ihr Bruder grummelt.

„Ich hab ja nicht vor, irgendwas an die Presse zu verkaufen…“

„Trotzdem!“

Hawks hört den beiden mit einem amüsierten Lächeln zu, ehe er sich dazu äußert.

„Na ja, da gibt’s schon eine, die mich interessiert. Aber wir sehen uns nicht so oft. Die Entfernung, der Job…ist nicht so einfach und ich möchte sie auch nicht in Schwierigkeiten bringen. Wenn es öffentlich wird, hängt sie da automatisch mit drin. Von daher halten wie es geheim.“

Er zwinkert ihnen zu, während sie an seinen Lippen kleben und Enji nicht fassen kann, was er da von sich gibt. Scheinbar unbeteiligt blickt er in seine Reisschale, weil ihn das ja eigentlich, unter anderen Umständen, nichts angehen würde. Da er eine Affäre mit Hawks hat…und dieses besagte Mädchen ist, tut es das leider doch.

„Oh, das muss so hart sein“, meint Fuyumi mitfühlend. „Keine Sorge, von uns erfährt keiner was!“

„Ja, genau!“, pflichtet Natsuo ihr bei, während Shouto seine Soba schlürft.

Scheinbar ist auch er der Ansicht, dass ihn dieses Thema nichts angeht. Wenigstens das.

„Cool, das ist nett von euch!“, erwidert Hawks breit grinsend und schaufelt sich noch mehr Mapu Tofu in den Schlund. „Das Essen ist übrigens mega lecker! Weiß nicht, wann ich das letzte Mal so gut gegessen habe!“

Fresssack. Gott sei Dank macht Fuyumi immer genügend zu essen, sodass es wohl reichen sollte…und zudem glühen ihre Wangen vor Freude, als sie das Kompliment hört.

Shouto derweil beobachtet den Winged Hero nachdenklich und Enji hofft, dass keine solch unangenehmen Fragen mehr folgen.
 

„Was hat dich eigentlich dazu bewegt?“

„Hm?“

Hawks wirft ihm einen irritierten Blick zu, während er die Backen noch voll hat.

„Diesen Weg einzuschlagen. Ein Held zu werden.“

Die Frage lässt Enji aufsehen, doch sein Sohn blickt konsequent Hawks an. Es hat Zeiten gegeben, in denen Shouto mit glänzenden Augen vorm Fernseher gesessen und die Berichte über All Might verfolgt hat. Enji selbst ist nie sein Vorbild gewesen und wird es auch nicht mehr werden. Es ist, wie Shouto einst gesagt hat; er benutzt ihn für seinen Traum. So wie Enji ihn benutzt hat. Das ist nur fair.

Enji weiß, dass Hawks kein großer All Might Fan ist, umso mehr ist er auf die Antwort gespannt. Der Winged Hero blickt auf die frittierte Garnele, die er sich eben noch mit den Stäbchen geschnappt hat, herunter.

Ihm wird wieder bewusst, dass er nicht viel über Hawks weiß. Wo er herkommt, wie er aufgewachsen ist und warum er sich diese Arbeit ausgesucht hat. Eigentlich weiß er nur, dass er einer seiner wenigen Fans ist. Nicht erst, seit er die Nummer eins ist. Weil er sich bemüht und darum gekämpft hat, besser als All Might zu sein. Was er dafür geopfert hat, glaubt Hawks vielleicht zu wissen und zu verstehen…die Wahrheit ist jedoch, dass er nur einen Bruchteil seiner Taten kennt.

„Schätze, das ist bei mir wie bei den meisten Kids gewesen…“, bricht Hawks die gespannte Stille und pustet sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Mir hat ein gewisser Held ziemlich imponiert, als ich klein war. Der Kerl hat nie aufgegeben, egal wie hart es auch war und trotzdem er nicht so beliebt wie zum Beispiel All Might war. Und…ich wusste, wenn ich seinen Rücken sehe, wird alles gut. Deswegen hab ich mir vorgenommen, dass ich mal genau wie er werde. Ein Held, auf den die Leute sich verlassen können.“

Das ist unerwartet…intim und anhand der Reaktionen seiner Kinder ist Enji wohl nicht der Einzige, der so darüber denkt. Es berührt etwas in Enji…und er fragt sich, ob er ihn damit meinen kann oder ob er sich hier überschätzt. Andererseits…für niemand anderen ist er das, was er für Hawks ist…nicht so. Nicht, wie er es gerade beschrieben hat. Niemand sieht ihn so, wie Hawks ihn sieht.

Und dann ist da noch dieses ungewohnt ruhige, warme Lächeln. Es ist nicht sein typisches Hawks-Grinsen, wenn er herumalbert. Das geht irgendwie tiefer. Er kann jetzt nichts dazu sagen, aber er nimmt sich vor, das noch zu tun – zumindest bis Hawks plötzlich breit grinst und mit der freien Hand ausschweifend zu gestikulieren beginnt. Seine Armbänder klimpern dabei.
 

„Oh, und man wird gut bezahlt! Man trägt ein cooles Outfit, ist ständig auf jedem Titelblatt abgebildet und alle lieben einen! Nicht zu vergessen, wie oft man umsonst eingeladen wird, haha! Im Ernst, da kann man sich so richtig gut den Bauch vollschlagen und – woah! Ruhig, Number One, du setzt noch euer Haus in Brand!“

Enjis Flammen schießen mittlerweile aus seinem Bart, während er Hawks zornig anstarrt. Da denkt man einmal, dass was Vernünftiges kommt…und dann schlägt er die Richtung ein. Unglaublich!

„Dann quatsch nicht so ein dummes Zeug, du egoistischer, frecher Bengel! Das hat mit dem Heldendasein nichts zu tun!“

„Ich bin nur ehrlich~“, zwitschert Hawks freudig und stopft sich die Garnele in den Mund. „Mh~ so lecker, Fuyumi-chan!“

Auch die anderen scheinen von dem plötzlichen Stimmungswechsel irritiert, zumindest runzeln sie alle die Stirn. Na ja, bis auf Natsuo, der ihn in diesem Moment von der Seite anknurrt.

„Du solltest ja wohl als Letztes jemandem vorschreiben, wie sich ein Held zu verhalten hat!“

Enjis Flammen verlöschen abrupt bei den Worten. Er schnaubt leise, sieht seinen Sohn an.

„Wenn du mir was zu sagen hast, sag es“, brummt er knapp, darauf gefasst, dass es gleich eskaliert.

Natsuo blickt ihn verbissen an, scheint abzuwägen, ob es ihm das wert ist.

„Ich meine, dass du kein Recht hast, ihn so anzuschnauzen!“, grollt er schließlich. „Behandle wenigstens deine Kollegen mit Respekt!“

Es wird still und angespannt am Tisch. Eine typische Situation, auch wenn sie vor Hawks unangenehmer als sonst ist.

„Natsu…“, kommt es bittend von Fuyumi.

„Ich hab doch Recht! Er soll sich nicht so aufspielen, als sei er…was Besseres! Das ist er nämlich nicht!“, kommt es von seinem Sohn. „Das…diese Heuchelei…kotzt mich einfach an…“

Abermals herrscht für einige Sekunden Schweigen und keiner scheint sich richtig äußern zu wollen. Vielleicht ist es an ihm, etwas zu entgegnen, auch wenn er da nur verlieren kann.

„Es ist wirklich lieb von dir, dass du mich verteidigen willst, Natsuo-kun, aber es ist schon okay“, mischt sich Hawks da lächelnd ein, bevor Enji etwas dazu sagen kann.

Ihm fällt auch nicht viel dazu ein. Er ist Natsuos Abneigung gewöhnt, aber was er in Bezug auf Hawks sagt, gibt ihm zu denken. Es stimmt an sich schon, aber er hat doch nur…

„Ich…“, beginnt er, doch Hawks unterbricht ihn.

„Ist ja eigentlich gar nix passiert. Endeavor-san meint das doch gar nicht so böse, wie es rüberkommt!“

Natsuo scheint das anders zu sehen, denn er schnaubt verächtlich.

„Er meint es genau, wie er es gesagt hat. Glaub mir.“

„Ach was. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, oder wie heißt es? Weißt du, das ist unser Ding! Ich ärgere Endeavor-san, bis er zur Fackel wird, er schnauzt mich an, dann geht es hin und her wie beim Pingpong…und am Ende lachen wir darüber! Nicht wahr? Wie gute, alte Freunde! Also keine Sorge! Wir verstehen uns schon! Alles in Butter!“

Nicht nur Enji sieht ihn ungläubig an, auch seine drei Kinder. Wobei. Nein. Eher noch verstört. Keiner von ihnen hat ihn jemals lachen sehen. Jedenfalls lange nicht mehr.
 

„Hawks-san…“

Der Angesprochene wendet sich gut gelaunt Natsuo zu, welcher ihn ansieht, als würde er ihn zum ersten Mal richtig wahrnehmen. Dann kommt ihm eine Erkenntnis, die ihn wohl ernsthaft verstört.

„Du…magst den Kerl wirklich…oder?“, fragt er, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit.

Nun, für ihn ist es das wohl. Fuyumi schlägt die Hände vors Gesicht, als befürchte sie, dass gleich erneut Flammen aus seinem Körper schießen, während Shouto in seinen Soba herumrührt, von einem zum anderen sieht. Hawks dagegen legt erneut den Kopf schief, wiegt ihn hin und her, ehe er grinst.

„Natürlich! Er guckt zwar immer etwas grimmig und ist ne olle Spaßbremse, aber wir sind ein verdammt gutes Team! Wir ergänzen uns und ich kann mich immer auf euren Dad verlassen! Das ist ne gute Eigenschaft, hehe~“, fährt er begeistert fort und Enji weiß nicht, wie er damit umgehen soll.

„Ist gut jetzt“, brummt er, weil er diese Lobpreisung hier unangebracht findet.

Natsuo sieht ihn immer noch so merkwürdig an. So, als glaube er, Enji würde Hawks mit irgendwas erpressen, damit dieser nette Dinge über ihn sagt. Fuyumi dagegen atmet hörbar aus und lächelt dann in die Runde.

„Das ist doch schön, hm? Dass ihr euch so gut versteht, freut mich sehr.“

„Ja, nicht wahr? Wir sind die besten Freunde, gehen durch dick und d-“

„Du trägst zu dick auf. Lass den Unsinn!“, schneidet Enji ihm das Wort ab. „Nervensäge.“

„Waaas? Sag sowas nicht! Damit verletzt du meine Gefühle!“, behauptet Hawks wehleidig und wirbelt mit den Stäbchen in der Luft herum.

Ehrlich. Wo hat der Bengel seine schlechten Manieren her…

Allerdings scheint es die Stimmung aufzuheitern, denn Fuyumi kichert und Natsuo scheint zumindest nicht weiter diskutieren zu wollen, während er und Shouto sich vermutlich im Stillen wundern. Nie haben sie erlebt, dass jemand mit ihm so umspringt, wie es Hawks tut…und damit durchkommt.

„Oh! Da fällt mir ein! Shouto-kun! Du gehst doch in Tsukuyomi-kuns Klasse oder? Wie geht’s ihm so? Kommt ihr gut klar? Und wie läuft es bei dir so? Erzähl mal!“

Das lockt seinen eher stillen Sohn aus der Reserve, wenn er auch knapp und besonnen wie immer antwortet.

„Uhm…ja. Wir sind in einer Klasse. Er ist in Ordnung…und ich denke, er kommt ganz gut zurecht.“

„Ja? Das freut mich! Und hat er schon seine Flügel perfektioniert? Oh, und was ist mit dir? Neue Moves? Immer raus damit!“

Nun, zumindest bricht Hawks das Eis, das sich sonst bei ihren Familienabenden hartnäckig hält. Das muss man ihm lassen…und auch, wenn er es nicht zugeben kann, ist er letztendlich froh, dass Fuyumi ihn eingeladen hat. Hawks tut wohl nicht nur ihm selbst gut.
 

Die restlichen Gespräche verlaufen einigermaßen ruhig und weitgehend ohne Streit. Das ist selten der Fall. Sie sind alle drei traurig, dass Hawks nicht über Nacht bleiben will – Enji dagegen ist erleichtert. Hawks in seinem Haus. Nur wenige Zimmer weiter. Er traut weder dem Winged Hero noch sich selbst, dass da nichts passiert. Dafür haben sie einander zu lange nicht gesehen. Falls Hawks noch ein-zwei Tage länger in der Stadt ist, können sie die Zweisamkeit sicher nachholen.

Schließlich stehen sie im Flur, verabschieden den blonden Vogel, den sie wohl alle ins Herz geschlossen haben. Wundern tut es ihn nicht wirklich, Hawks hat so eine Art, die einen einnimmt. Er weiß, wovon er spricht…

„Es ist wirklich schön, dass du kommen konntest, Hawks-san!“, sagt Fuyumi gerade und strahlt ihn dabei an. „Du bist jederzeit hier willkommen – nicht wahr, Otou-san?“

Sie sieht zwischen ihnen hin und her, woraufhin Enji nur brummt und mit den Schultern zuckt. Hawks scheint es nicht sonderlich zu verletzen, denn er grinst bis über beide Ohren.

„Genau, Hawks-san! War cool, dich mal persönlich kennenzulernen – und wie Nee-san sagt, komm gern mal wieder vorbei! Egal, was der Typ da sagt!“, fährt Natsuo dazwischen. „Lass dich ja nicht von dem runtermachen!“

Enji schnaubt leise, wirft seinem Sohn einen missgelaunten Blick zu.

„Ich mache ihn nicht runter.“

Eigentlich will er ihn fragen, wofür er ihn hält, doch er verbeißt sich dies dann doch; die Antwort darauf will er nicht hören.

„Haha, alles klar! Ihr seid alle so nett! Ich komm gern mal wieder, wenn ich darf! Oh, und Shouto-kun, grüß Tsukuyomi-kun von mir, ja?“

Shouto zeigt ein seltenes Lächeln und nickt.

„Mache ich.“

„War schön, euch drei auch mal kennenzulernen! Du hast tolle Kinder, Endeavor-san! Da kannst du stolz drauf sein!“, zwitschert Hawks los und Enji fühlt sich beschämt.

Weil es stimmt. Er hat tolle Kinder…und er hat es versaut. Dass sie so großartig sind, ist nicht sein Verdienst…das weiß er, weswegen er ihre abwartenden Blicke meidet, als er etwas darauf erwidert.

„Das bin ich.“

Er spürt, wie sie ihn ansehen, eine Mischung aus Verwunderung und Misstrauen. Weil er so etwas nie zuvor von sich gegeben hat. Weil er lieber auf Druck oder Ignoranz gesetzt hat. Aber er will sich ändern und es besser als vorher machen – es ist ihm ernst.

„Ich bring dich noch raus, Hawks.“

„Okay~! Lieb von dir! Also dann, man sieht sich! Und danke noch mal~!“
 

„Du hättest mir sagen sollen, dass du herkommst.“

Trotzdem Enjis Wut vom Anfang verflogen ist, kann er den Vorwurf nicht unterlassen. Er verschränkt die Arme und funkelt den Winged Hero, der mit ihm an der Straße steht, an, wovon sich dieser natürlich nicht beeindrucken lässt.

„Da hast du vermutlich Recht“, gibt er jedoch zu seiner Überraschung zu und kratzt sich an der Schläfe. „Sorry dafür, aber es war echt eine Kurzschlussentscheidung und na ja…ich dachte, wenn ich dir Bescheid sage, kommst du vielleicht nicht oder lädst mich aus und dann hätte ich deine nette Tochter enttäuschen müssen und…mal ehrlich, das wäre doch echt unmenschlich, oder?“

Er grinst ihn unschuldig an, aber Enji weiß, was er meint. Fuyumi hat Enttäuschungen wirklich nicht verdient – auch wenn es eine freche Ausrede ist.

„Woher hat sie überhaupt deine Nummer?“

„Facebook~! Du solltest echt mal überlegen, dich anzumelden!“

„Nein.“

„Ohhhw~ ich wär so gern mit dir befreundet, Number One~“, mault Hawks, grinst aber.

„Hn.“

„Und übrigens…ich war schon auf dem Weg, als du mir geschrieben hast…ich hab die Nachricht also vorher gar nicht mehr gelesen.“

„…aha.“

„Ach, nun schau doch nicht so grimmig, Endeavor-san! Ich war doch echt Zucker pur, hm? Deine Kinder lieben mich, haha!“

„…nur weil sie nicht wissen, was für ein Teufel du bist.“

„Ohw~ sag doch sowas nicht! Ich hab extra aufgepasst, was ich von mir gebe! Oder denkst du, dass ich dich auflaufen lassen wollte?“

„…nein.“

„Na siehst du! Also sei besänftigt und nicht mehr sauer auf mich, hm?“

Dabei blickt er ihn so lieblich an, dass selbst, wenn Enji noch sauer sein würde, es ihm jetzt schwer fallen würde. Auch weil Hawks Recht hat. Er hat nichts Schlimmes gesagt oder getan.

„Ich bin nicht sauer“, brummt er und Hawks‘ Miene hellt sich auf.

Seine roten Schwingen entfalten sich etwas mehr, wirken…plötzlich plüschiger, als würde er sich darüber freuen. Wenigstens fällt er ihm nicht um den Hals – das geht hier einfach nicht.

„Nicht? Uff, da fällt mir echt ein Stein vom Herzen…ich hab schon Bedenken gehabt, aber gut, okay, umsonst gesorgt, haha…“

Er ist wirklich ein schräger Vogel, wie er da steht und lacht und sich darüber freut. Enji betrachtet ihn einige Sekunden lang, ehe ihm etwas einfällt.

„Hawks.“

„Hm?“

„Was du vorhin gesagt hast…wieso du dich dazu entschieden hast, ein Held zu werden…“

Der Jüngere stockt bei seinen Worten, faltet die Schwingen auf seinem Rücken zusammen und er scheint zu zögern. Es ist nicht seine Art, mit Antworten hinterm Berg zu halten. Also muss es ihm wirklich viel bedeuten.

„Ui, ausgerechnet darauf willst du mich festnageln?“, fragt er mit einem schiefen Lächeln. „Ich denke nicht, dass sie wissen, wen ich damit meinte…falls es das ist, was dich beunruhigt.“

Enji merkt, dass er nicht versteht, worum es ihm dabei geht. Innerlich seufzt er, ehe er den Kopf schüttelt, ihn fest ansieht.

„Es beunruhigt mich nicht.“

„Ach nein?“

„Nein…und auch wenn sie es nicht wissen, weiß ich es.“

Hawks hält inne, schaut zu ihm auf und anhand seines verwirrten Ausdrucks merkt Enji, dass er immer noch nicht versteht. Vielleicht muss er deutlicher werden, auch wenn das nicht seine Art ist. Generell sind Worte nicht seine Stärke, aber wenn er Hawks schon nicht zeigen kann, was er fühlt, muss es eben auf anderem Weg geschehen.
 

„…danke, dass du…an mich glaubst.“

Hawks‘ Reaktion besteht darin, dass er ihn anstarrt, als sei er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Irgendwie verdutzt und…ungläubig. Dann passiert das Letzte, womit Enji gerechnet hat: Hawks wird rot…und bleibt still.

„Und auch wegen vorhin, also…was du über mich gesagt hast…es war…nett. Es…ist nie einfach…und deine Anwesenheit hat es…erträglicher als sonst gemacht“, brummt Enji und hofft, dass er nicht mehr dazu äußern muss.

Wie gesagt, er ist normalerweise kein Mann großer Worte. Hawks räuspert sich verlegen und reibt sich den Nacken, ehe er ihn wieder ansieht. Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen, so warm wie vorhin, und seine bernsteinfarbenen Augen funkeln.

„Schon gut. Ich hab nichts gesagt, was ich nicht auch so meine, von daher…“

Und Enji glaubt ihm. Bei jedem anderen hätte er da Bedenken, aber wie Natsuo schon widerwillig erkannt hat – Hawks mag ihn. Was auch immer er in ihm sieht…er meint es ernst. Er glaubt an ihn…und es ist sein Rücken, der ihm Sicherheit gibt. Nicht All Mights. Nicht irgendjemandes Rücken…seiner. Die Wärme, die in ihm aufsteigt, hat ausnahmsweise mal nichts mit seinem Quirk zu tun – und Hawks scheint es ebenso zu gehen, so, wie er ihn anschaut.

„Ich bereue grade wirklich, dass wir vor deinem Haus stehen, Endeavor-san…du weißt nicht, was ich gerade tun will.“

„Kann’s mir denken.“

Hawks lacht hell auf und Enji wird wieder bewusst, wie sehr er den verrückten Vogel vermisst hat. Seine Mundwinkel zucken und er fühlt, wie seine Last leichter wird, einfach weil Hawks in seiner Nähe ist.

„Das holen wir nach, ja? Ich bin morgen noch in der Stadt…und diesmal melde ich mich direkt~“

Er zwinkert ihm zu, woraufhin Enji grinsen muss.

„Ich nehme dich beim Wort.“

„Das kannst du auch~“, flötet Hawks gut gelaunt und spreizt seine eindrucksvollen, roten Schwingen. „Wir sehen uns morgen~!“

Enji nickt und sieht zu, wie sich der Jüngere in die Lüfte erhebt, wo er mit einigen heftigen Flügelschlägen am dunklen Himmel verschwindet. Er sieht ihm noch eine Weile gedankenverloren nach, ehe er sich umdreht und wieder ins Haus geht.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Uff, es ist vollbracht.
Ohne Lichtregen hätte ich es nicht innerhalb einer Woche gepackt. xD
Das passiert, wenn man jemandem ein neues Lieblingspairing aufschwatzt, jaja...
Ich bin nach der ganzen Überarbeitung echt durch, aber auch stolz.
Die letzten Monate waren hart und ich denke, es geht nicht nur mir so aufgrund der aktuellen Situation.
Dementsprechend hoffe ich, dass sich jemand an dem OS erfreut.
Haltet zusammen, bleibt gesund und tut, was euch glücklich macht.

LG
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Palmira
2020-12-15T11:04:38+00:00 15.12.2020 12:04
(Wheee, die Benachrichtigung über Animexx hat nicht funktioniert... entweder weil ich sie falsch gemacht hab oder weil damit was nicht stimmt, yay. Ich bin eigentlich gekommen, um die Story noch mal zu lesen :D Heh.)
Sehr schönes Kapitel, diesmal eher entschleunigt und reflektierend. Ich bin kein Fan von Erasermight, aber ich muss es ja auch nicht sein, um nachzuvollziehen, wie das Verfolgen eines Coming Outs für Enji ist - dass er einerseits dasselbe tun will, andererseits natürlich auch nicht, wie im vorigen Kapitel bereits erwähnt. Die Reaktionen, die er sich dafür ausrechnet, sind ziemlich erbarmungslos, aber vermutlich zutreffend.
Und oh Gott, Familiendinner. Ich mag es, dass du Natsuo wirklich nicht entschärft hast - man zuckt beim Lesen unwillkürlich zusammen, weil er Recht hat, aber auch nur Hawks die Situation entschärfen kann. Das war ein ziemlich starker Moment, auch zum Beziehungsaufbau und so einer Art... Annäherung. Enji erkennt, die Hawks ihn sieht, aber auch, wie Hawks vielleicht die Sicht seiner Kinder auf ihn verändert, indem er ihm Zuneigung ausdrückt.
(Außerdem mushy und ich bin ein Sucker dafür, dass alles gut ging und man am Ende... richtig durchatmen konnte, weil nichts Schlimmes passiert ist.)
Also - auch ohne Körperlichkeit war es am Ende sehr intim, sehr persönlich, das hinterließ richtig eine Spur Schmetterlinge auch bei mir :)
... hat damit nichts zu tun, aber ich hab so dumm gelacht, dass Hawks ein Bild von seinem. Blanken. Arsch. Schickt. Die kleine Mistbiene :D
Von: Lichtregen
2020-11-25T20:39:54+00:00 25.11.2020 21:39
Oh, ich liebe Enjis Entwicklung! Wie sehr er Hawks vermisst, es sich aber irgendwie auch nicht eingestehen will. XD Und er tut mir leid, dass er selbst so wenig Aussicht auf Verbesserung seiner familiären Situation sieht. Auch wenn er es, wie er selbst einsieht, natürlich selbst verbockt hat und jetzt die Scherben aufsammeln muss.
Enjis Gedanken zu ihrer Beziehung und warum es niemals öffentlich werden darf, waren auch sehr gut nachvollziehbar. Egal, wie man es dreht und wendet, er kommt einfach schlecht weg. Schon blöd, wenn der Jüngere ihn verführt und erst in diese Richtung gestoßen hat, aber hinterher wird ihm alles in die Schuhe geschoben.
Die Textnachrichten waren echt der Hammer. Ich hab mich scheckig gelacht, als ich Enjis stümperhafte Versuche gelesen habe. Komm mal wieder vorbeigeflattert... Boah, peinlicher geht es auch nicht mehr! Gut, dass er das wieder gelöscht hat. Das war richtig zum Fremdschämen. XD Und wie sehnsüchtig er darauf wartet, dass Hawks seine Nachricht liest... echt süß von dem alten vernarrten Mann. XD
Und jaah, die Narbe ist sexy!! *__*
Oh, und dann der Überraschungsgast! Enjis Reaktion und Zorn waren sehr amüsant zu lesen. Ist ja alles gut gegangen, aber wie er sich die ganze Zeit beherrschen musste und dann doch sein Zorn und seine Hitze durchgekommen sind, war typisch für ihn und sehr in character. :) Parasit, also wirklich. ^^‘
Richtig geil war auch die Sache mit dem Facebookprofil. Ich hab so herzhaft gelacht. XD Auch wenn Enji mal wieder über das Ziel hinausschießt, indem er sagt, sie seien nur Kollegen und keine Freunde. *seufz* Gut, dass Hawks sowas anscheinend nicht so ernst nimmt. Natsuo ist jedenfalls mies gelaunt wie immer. Umso schöner zu sehen, dass er versteht, dass Hawks Enji wirklich mag. :) Auch wenn die Vorstellung, Enji könnte lachen, wahrscheinlich echt erst mal verstört hat. XD
Die Erklärung, wieso Hawks ein Held werden wollte, und die ungeschönte Wahrheit und Enjis Reaktion waren auch ein Highlight und schön subtil umgesetzt. :)
Enji, das Mädchen, ist auch echt eifersüchtig. XD
Insgesamt war die Dynamik mit der Familie sehr interessant. Und es hat auch ihre Beziehung vorangebracht, weil sie jeweils doch auch Persönliches von sich preisgegeben haben.
Bei der Abschiedsszene habe ich die Spannung zwischen den beiden, sich durch Berührung verabschieden zu wollen, förmlich gespürt. Aber das geht natürlich nicht. Ich liebe ja solche verbotenen Beziehungen in FFs. :D
PS: Shouto ist echt schwer einzubringen. XD


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