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Dating (nicht ganz) bis zum Tode

Fierrochase
von

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Erstes Date

Ich würde euch echt gerne erzählen, dass es magische, mythische Dinge waren, die mein Date haben ins Wasser fallen lassen, aber das wäre eine Lüge. Wobei, eigentlich könnt ihr es nicht besser wissen, also ... Aua!

Schon gut, schon gut. Ich erzähle die richtige Geschichte, ja? Okay.

Zu meiner Verteidigung: Ich habe vor meinem Tod keinerlei Möglichkeit gehabt irgendwelche Erfahrung mit Dates zu sammeln. Meine Mum ist gestorben, als ich vierzehn war, dann habe ich auf der Straße gelebt, wo ich definitiv andere Dinge im Kopf hatte ... Tja, und dann bin ich gestorben.

Aber hey, Magnus Chase, besser spät als nie. Und so hatte ich mein erstes Date als ich gerade neun Monate tot war.

Zu sagen, dass ich nervös war, wäre eine grauenvolle Untertreibung gewesen. Ich war außer mir. Ich hatte in der Nacht vorher nicht geschlafen, war in der Früh beim Training gleich drei Mal gestorben und hatte danach Blitzen für knappe zwei Stunden in den Wahnsinn getrieben, während er versucht hatte mich einzukleiden.

Übertrieb ich? Fraglos. Nein, ehrlich. Ich habe übertrieben, ich weiß es ja. Aber hey, erstes Date. Keinerlei Erfahrung. Was erwartet ihr? Noch dazu war mein Date mit Alex Fierro, dem Kind Lokis und dem absoluten ...

Ähm ... Ja. Keinerlei Erfahrung. Vielleicht hätte ich einen der Datekurse in Valhalla besuchen sollen. Gab es dort welche? Ich bin mir nicht sicher, aber auszuschließen war es nicht. Ich hatte nicht nachgeschaut, da es fraglos ein „Dating bis zum Tode“ Kurs geworden wäre und ich hatte mir für mein erstes Date vorgenommen, dabei nicht zu sterben. Und natürlich auch dafür zu sorgen, dass Alex überlebte. Ja, ein hohes Ziel. Aber hey, deswegen trafen wir uns auch in Midgard, nicht in Valhalla.

Davon abgesehen, dass wir noch mehr als genug Zeit in Hotel Valhalla verbringen würden - nur bis zu Ragnarök, das hoffentlich noch eine Weile auf sich warten ließ - hatte ich mir überlegt, dass wir irgendetwas mit Natur machen.

Es war naheliegend. Alex und ich mochten die Natur. Unsere Hotelräume waren sich nicht umsonst sehr ähnlich. Wir beide schliefen auf einer Art freier Lichtung unter einem Dach aus Blättern. Entsprechend: Ja, eine Wanderung war wirklich naheliegend gewesen.

Außerdem hatte ich mir gedacht, dass wir uns so zumindest nicht langweilen würden. Und einmal ehrlich: Ich wusste trotz unserer gemeinsamen Abenteuer sonst wenig über Alex. Ich wusste nicht mal, was für Essen ihr Lieblingsessen war oder was für Filme sie gerne mochte. Also abgesehen davon, dass sie Filme mit zu vielen weißen Typen nicht mochte.

Ja, ja, ich komme ja schon zum Punkt.

Das Date. Das Date ... Oh, Odin, wo soll ich anfangen?

Ich hatte mich mit Alex am Rand der Middlesex Fell Reservation verabredet. Es war in Boston, es war für uns gut zu erreichen und ich war mir halbwegs sicher, dass wir dort nicht von einem Riesen angegriffen werden würden. Also wartete ich dort.

Ich trug einen festen Pullover in einem matten blau. Auf dem ersten Blick war er aus einfachen Stoff, vielleicht Baumwolle, doch hielt er einige Überraschungen bereit. Im Stoff war ein Gewebe aus Eisenringen versteckt. Immerhin entsprang der Pullover Blitzens neuer Kollektion. Dazu trug ich eine ausgewaschene Jeansjacke. Ohne besondere Eigenschaften, abgesehen von ein paar Aufnähern, die laut Blitzen einige notwendigen farbigen Accente setzten. Die Hose war aus Leinen, dunkel. Meine Füße steckten in dunklen Sportschuhen.

Es war nahe genug an meiner üblichen Kleidung dran. Vielleicht zu nahe? Hätte ich mich besser kleiden sollen?

Ich war mir unsicher. Schon zum fünften Mal, seit ich wartete, richtete ich meinen Zopf neu. Immerhin mochte Alex es am liebsten, wenn ich mein blondes Haar in einem Zopf trug. Also tat ich ihr, ähm, ihm den Gefallen.

Eine Sache machte mich weiterhin nervös: Mein Runenstein hing wie immer an einer Kette um meinen Hals. Es war die Gestalt meines Schwertes Sumarbrander, das den Namen Jack bevorzugte. Warum es mich nervös machte? Weil ich nie sicher sein konnte, dass es, er plötzlich erwachte und begann mein Date zu stören.

Ich hatte ernsthaft lange überlegt, Jack im Hotel zurückzulassen, doch hatte ich mich eines Besseren besonnen: Ein Schwert war weniger Unterbrechung, als vollkommen ohne Waffe auf ein Date zu gehen.

Also musste ich das Risiko mit Jack eingehen.

So stand ich also da. Ich wartete, verlagerte mein Gewicht ständig von einem Bein auf das andere. Eigentlich war ich gerade einmal vier Minuten hier, doch die vier Minuten fühlten sich wie eine ganze Ewigkeit an. Ich war zu früh, das wusste ich, doch gleichzeitig konnte ich die schiere Panik kaum verdrängen.

Ja, das war ich. Ich hatte - mehr schlecht als recht - Riesen bekämpft, hatte mich dem Fenris-Wolf gestellt und diverse Abenteuer bestanden. Doch ein einfaches Date? Nope. Das war zu viel.

Da sah ich ihn. Alex. Sein grün gefärbtes Haar war schon von weitem auffällig und sein grün-pink karierter Pullover war definitiv ein Hingucker. Also trug er auch dieselben Sachen wie normal. Gut. Vielleicht hätte ich über meine Kleidung gar nicht so nervös sein müssen.

Besser Vorsicht, als Nachsicht.

Etwas steif kam ich auf ihn zu.

Lächeln, erinnerte ich mich und verzog mein Gesicht.

Es hatte zumindest ein Ergebnis. Ein Grinsen breitete sich auf Alex' Gesicht aus. Er prustete. „Was machst du mit deinem Gesicht, Magnus?“, fragte er.

Ja, er. Aktuell war Alex eindeutig ein Junge. Fragt mich nicht, woher ich es wusste. Meistens wusste ich es einfach.

Ohne drüber nachzudenken tastete ich nach meinem Gesicht – verstärkte damit Alex' Lachkrampf noch mehr. „Was ist mit meinem Gesicht?“

„Du schaust so verkrampft aus“, meinte er. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Er griff nach meiner Hand. „Jetzt sei nicht so verkrampft, man.“

Ich lachte verlegen. „Ich versuche es?“

„Gut.“ Er lachte noch immer, beruhigte sich aber langsam. „Also, was machen wir heute so?“

„Ähm.“ Ich brauchte etwas, um mich zu fangen. „Ich dachte, wir könnten einfach ... Laufen.“ Das klang irgendwie langweilig. Dabei hatte ich mir Gedanken gemacht. Ernsthaft. Doch in dem Moment schien mein Hirn komplett leergefegt.

„Klingt gut“, meinte er.

Wahrscheinlich meinte er es nicht so.

Immerhin war das Wetter gut. Zu gut vielleicht, denn meine Pulli-Jacken-Kombi war etwas zu warm. Vielleicht hätte ich doch ein einfaches T-Shirt anziehen sollen. Zu spät. Ich war unsicher, was ich tun sollte. Worüber redete man überhaupt auf einem Date?

Warum hatte ich nicht Annabeth gefragt? Auf einmal kam es mir wie die offensichtlichste Lösung vor. Ich hätte Annabeth fragen sollen. Sie und Percy hatten sicher mehr als genug Dating-Erfahrung! Die waren ja schon seit einer halben Ewigkeit zusammen. Auf der anderen Seite waren sie so zuckrig zusammen und im Moment konnte ich mir nicht vorstellen, dass Alex und ich je so gut miteinander sein konnten. Ich stellte mir vor, wie Alex mich so ansehen würde, wie Annabeth Percy.

Röte stieg in mein Gesicht.

„Mache ich dich nervös?“, fragte Alex.

Ich sah ihn an. „Ähm ...“ Mir fehlten die Worte, was an sich schon Antwort genug war.

Wieder kicherte er. „Entspann dich. Ich werde mich ganz bestimmt nicht über dich lustig machen.“

„Ähm ...“ Ja, das war genau die Art von Eloquenz, die man von dem Einherja erwartete, der Loki in einem Flyting besiegt hatte. Doch zu meiner Verteidigung: Ich hatte damals Kvasirs Met getrunken und habe außerdem nicht mit dem hübschesten Jungen in ganz Hotel Valhalla - zumindest meiner Meinung nach – Händchen gehalten. Es war einfach eine andere Situation!

Odin. Er hielt wirklich meine Hand!

„Okay, jedenfalls nicht vor anderen“, meinte Alex. „Komm schon. Red mit mir, Maggie.“

„Ich versuch's?“ Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.

Alex zeigte mit dem Daumen nach oben. „Guter Anfang. Das waren immerhin schon zwei Wörter.“

Das brachte mich zumindest etwas zum Lachen. „Ja. Zwei Worte.“ Keine intelligente Antwort, aber immerhin. „Äh ... Warst du hier schon mal?“

„Ja, sicher. Ich bin auch in Boston aufgewachsen. Außerdem hat mein ...“ Er zögerte kurz. „Mein Vater hat mich hier in den Sommerferien bei so einer Freizeit abgesetzt, als er nicht wusste, was er sonst mit mir anfangen sollte.“ Er wich meinem Blick aus.

Ich konnte es verstehen. Familien waren für uns beide ein heikles Thema. Aber hey, Alex gewann definitiv im Wettbewerb um die beschissensten Eltern. Immerhin war mein alter Herr im Verhältnis okay, glänzte halt nur durch göttliche Abwesenheit. Und meine Mutter war die Beste gewesen, bis Lokis Wölfe sie umgebracht hatten.

Dagegen hatte Alex einen Vater gehabt, der ihn nicht hatte akzeptieren können. Und seine Mutter? Seine Mutter war Loki gewesen. Mehr musste man eigentlich nicht wissen. Kurzum: Familiengeschichten waren heikel.

„Und, was hast du da gemacht?“

„Ach, das übliche. Wir waren am Tag hier und wurden von irgendwelchen Erziehern bespaßt. Das heißt wir waren Wandern, haben so eine Art Pfadfindertraining gemacht, waren Kajak Fahren und haben künstlerischen Kram gemacht.“ Er verdrehte die Augen.

Ich konnte es lesen. „Keine Töpferei?“

„Natürlich nicht. Stattdessen haben wir irgendeinen Unsinn aus Naturkram gebastelt und Bilder gemalt.“ Er seufzte frustriert. „Sagen wir es so: Meine künstlerische Ausdrucksweise wurde nicht zu schätzen gewusst.“

Ich lachte verlegen. „Das ist doch typisch bei sowas, oder?“

„Sag's du mir? Ich habe mich danach immer geweigert an so etwas teilzunehmen.“

Was sollte ich darauf antworten. „Ähm ...“ Oh, nicht schon wieder.

„Warst du auf solchen Freizeiten?“, fragte er.

„Ich habe, als ich klein war, ab und an was mit meiner Mum gemacht“, meinte er. „Aber nicht so ... Insofern habe ich da wenig Erfahrungen.“

„Dabei hätte ich ja fast damit gerechnet, dass du bei den Pfadfindern warst.“

„Wirklich?“

Er lachte. „Nein, nicht wirklich.“

Sollte ich darüber beleidigt sein? Wirkte ich so unpfadfinderhaft?

Wir kamen am Spotsee an. Kindergeschrei und -lachen erfüllte die Luft. Wir waren definitiv nicht das einzige Paar, das hier war. Die Paare waren jedoch deutlich den Familien mit mindestens zwei Kindern deutlich zahlenmäßig unterlegen. Kinder und Hunde plantschten im Wasser. Ich war mir beinahe sicher, dass sie das nicht einmal durften. Auch war der See mit Booten verschiedenster Formen gefüllt.

„Warst du denn mit deiner Mutter Bootfahren? Oder Kanu oder Kajak?“, fragte Alex mich.

Wieder brauchte ich, um zu antworten. „Ähm ...“ Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. „Also wir waren ein paar Mal Rudern.“

„Magst du?“, fragte Alex mit strahlenden Augen.

Als ob ich ihm „Nein“ hätte sagen können. Ich nickte vage. „Äh. Gern.“

Alex grinste und zog mich um den See herum, an eine Anlegestelle. Ein Schild informierte darüber, dass man hier Kajaks, Kanus und einfache Tretboote ausleihen konnte. Wenn ich ehrlich war, wäre mir ein Tretboot lieber gewesen.

Zugegebener Maßen war ich jedoch in diesem Moment vor allem überfordert. Ich hatte dergleichen nicht geplant, selbst wenn ich nicht sicher war, was ich sonst geplant hatte. Eigentlich hatte ich nur mit Alex Zeit verbringen und halt ein einfaches Date haben wollen. Was auch immer das hieß. Und Dates bedeuteten doch auch, dass man gemeinsam was machte, an dem man Spaß hatte, nicht? Und ganz offenbar hatte Alex daran Spaß.

Ich wollte seine Begeisterung nicht zügeln. Was war auch schon das schlimmste, was passieren konnte? Hey, wir hatten in einem bananengelben Wikingerschiff den Atlantik durchsegelt. Was war das Schlimmste, was mir in einem Kajak passieren konnte?

Der aufmerksame Leser wird sich an dieser Stelle das ein oder andere denken. Vielleicht, weil er selbst Erfahrungen mit Kajaks hat. Vielleicht auch einfach, da ihm aufgefallen ist, dass ich am Anfang andeutete, dass auf diesem Date nicht alles so verlief, wie ich es geplant hatte. Und ja, die Verkettung der Ereignisse, die dieses Date mehrfach ins Wasser fallen lies, begann genau in dem Moment, als ich in dem Kajak saß, ein Doppelruder in der Hand und die Hose bereits nass.

Nein, natürlich hatte ich nicht ... Nein. Der Boden des verdammten Kajaks war nass gewesen.

Jedenfalls: Nasse Hose. Kein guter Anfang.

„Sollten wir nicht eine Rettungsweste anziehen?“, fragte ich.

Alex sah sich zu mir um. Er zuckte mit den Schultern. „Der See ist nicht wirklich tief. Und hey, auf der Großen Banane haben wir auch keine Rettungswesten getragen.“

„Und wären beinahe mehrfach ertrunken“, merkte ich an.

„Wenn du magst, kann ich noch welche holen.“ Er stand auf, brachte das Kajak damit zum Schwanken.

Wäre ich vernünftig gewesen, wäre ich darauf eingegangen. Doch natürlich war ich nicht vernünftig. Ich winkte ab. „Schon gut.“ Was war schon das Schlimmste, was passieren konnte?

Prüfend sah Alex mich an, grinste dann aber. „Gut.“ Er nahm sein Ruder, stieß sich damit vom Steg ab, ruderte.

„Wohin fahren wir?“, fragte ich.

Er überlegte. Dann zeigte er: „Dahinten ist eine Insel. Wir könnten dahin rudern. Da wären wir wahrscheinlich auch allein.“

„Wenn da nicht schon andere sind.“

„Ich könnte mich in einen Bären verwandeln und sie vertreiben“, meinte Alex.

„Das würdest du nicht tun.“

Er lachte. „Natürlich nicht.“ Dann begann er zu rudern.

Mein Großvater ist ein Seegott. Man sollte glauben, dass mir so etwas, wie Rudeln irgendwie im Blut liegen sollte. Leider war es nicht der Fall. Was ich Alex gesagt hatte, stimmte schon: Ich war mit meiner Mum auf unseren Wanderungen auch ab und an Rudern gewesen. Doch war das meistens in einem Kanu oder einem einfachen Boot gewesen. Kein Kajak. Keine Doppelruder.

Was Alex tat, einmal links, einmal rechts, wieder links, wieder rechts, sah einfach und rhythmisch aus. Es sah aus, als wäre es überhaupt nicht schwer.

Es sollte einfach sein. Leider jedoch war es das nicht.

„Was machst du?“ Alex drehte sich zu mir um. Wir fuhren, nun, drehten uns eher im Kreis. Fraglos aufgrund der unkoordinierten Bewegungen, die ich versuchte wie Rudern aussehen zu lassen.

„Ich ruder'?“ Ein verlegendes Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit.

„Ich dachte, du hättest Erfahrung.“

„Nicht mit einem Kajak“, gab ich zu. „Nur Kanus und ... Na ja, normale Boote eben.“

Alex verdrehte die Augen. „Warum hast du nichts gesagt?“

„Ähm.“ Die Wahrheit war, dass er so begeistert gewesen war und ich mich nicht hatte dazu bringen können, ihm zu widersprechen. Jetzt kam ich mir dumm dafür vor. „Ähm“, setzte ich erneut an.

Alex seufzte auf dramatische Art. „Okay, Maggie. Eigentlich ist es nicht schwer. Du brauchst nur einen gleichmäßigen Rhythmus. Und du musst darauf achten, dass du auf jeder Seite etwa gleichstark zuschlägst. Zu zweit funktioniert es am besten, wenn du immer auf der anderen Seite ruderst, als ich. Versuch es mal langsamer. Mit einer kreisenden Bewegung. Möglichst aus dem Oberkörper heraus. Schau mal.“ Er machte es vor.

Ich versuchte es.

Das Kajak bewegte sich ein Stück voran.

„Siehst du, das ist doch schon gut“, lobte Alex. „Andere Seite?“

Vorsichtig ruderte ich auf der linken Seite des Boots.

„Geht doch. Jetzt nur noch im Rhythmus bleiben“, meinte er.

Leichter gesagt, als getan. Was für ein Rhythmus denn überhaupt? Hatten solche Ruderteams nicht immer jemanden, der mit einer Trommel den Rhythmus angab?

„Vorsicht“, warnte Alex, als wir auf ein anderes Boot zutrieben.

„Sorry!“ Ich fühlte mich furchtbar. Warum musste ich mich auch so ungeschickt anstellen? Konnte ich nicht ein wenig cooler sein? „Sorry“, rief ich auch der Mutter mit kleinen Jungen zu, die in dem Ruderboot saßen, mit dem wir beinahe kollidiert waren.

„Schon gut“, rief sie.

Der Junge, ein rothaariger kleiner Knirps von vielleicht vier Jahren grinste zu Alex. „Du hast coole Haare!“

Alex lachte. „Danke.“

Zumindest keine dummen Anmerkungen. „Moment“, meinte ich und versuchte uns von dem Kanu wegzustoßen. Ich holte mit dem Ruder aus, stieß gegen den Rand des Kanus und dann ... Dann war die Welt auf einmal nass.

Wahrscheinlich war es Blitzens Pullover. Das zwergische Metall war vielleicht leicht, aber immer noch schwerer als Stoff. Jedenfalls bestehe ich darauf, dass als den Grund herzuhalten, warum das Kajak sich in diesem Moment dazu beschloss, eine 180 Grad Drehung zu machen und damit Alex und mich ins Wasser zu befördern.

Positiv: Mir war nicht mehr zu heiß.

Negativ: Ich hatte nicht einmal Zeit gehabt, Luft zu holen, atmete instinktiv Wasser ein und hatte dabei nicht einmal Ahnung, wo oben oder unten war.

Irgendwie hatten sich meine Beine aus dem Kajak gelöst. Meine ganze Umgebung war eine grünbraune Brühe, die von einem seltsamen Zwielicht erfüllt war. Aus welcher Richtung das Licht kam, konnte ich nicht sagen. Die Tatsache, dass ich am Prusten war und panisch versuchte, Kontrolle über meine Lungen zu erhalten, half definitiv nicht.

Ich musste hoch. Ich musste aus dem Wasser. Aber wo war oben? Wo war unten? Jeansjacke und Kettenpullover machten es nicht einfacher, mich zu bewegen.

Das schlimmste: Hier draußen war ich sterblich. Also sterblich in dem Sinne, das tot, tot bedeutete. Wenn ich hier starb, würde ich nicht einfach wieder eine halbe Stunde später in meinem Hotelzimmer aufwachen, dann würde ich ... Tja, was auch immer mit Einherja-Seelen geschah, die außerhalb von Hotel Valhalla verblassten.

Dankbarerweise kam es nicht dazu.

Etwas Kühles, seltsam Gummiartiges schob sich unter mich, schob mich nach oben. Zumindest konnte ich einige Sekunden später schließen, dass die Richtung „oben“ war, als mein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach.

Dann tauchte Alex neben mir auf und die Puzzlestücke fielen zusammen.

Das Gummiartige gerade musste Alex gewesen sein. Wahrscheinlich in der Gestalt von - was? Einem Delfin vielleicht.

Für den Moment konnte ich mich dafür nicht bedanken. Ich prustete nur, hustete, spuckte Wasser, während Alex sich unter meinen Arm schob.

„Hey, Magnus. Bleib bei mir, ja?“

Ich versuchte ein Nicken, während meine Arme hoffnungslos ins Wasser schlugen, im verzweifelten Versuch ein weiteres Untergehen zu verhindern.

Dann griff eine Hand nach der meinen. Jemand zog mich.

Die Mutter mit ihrem rothaarigen Sohn, der sich gegen die andere Seite des Bootes lehnte, als könne er wirklich ein Gegengewicht für mich darstellen. Schon sah ich vor meinem geistigen Auge auch dieses Boot einen Überschlag machen, doch irgendwie geschah es nicht.

Einen Moment später lag ich atemlos auf dem hölzernen Bootboden, japste nach Luft.

„Bist du okay?“, fragte die Frau.

Ich brachte keine Worte zusammen, zeigte nur einen Daumen nach oben. Alles bestens. Ich war nicht tot. Ich hatte nur gefühlte drei Liter Wasser in meinen Lungen.

Ich drehte mich zur Seite, hustete, beförderte damit Wasser aus meiner Lunge auf den Bootsboden. Zumindest gratulierte ich mir dazu, es irgendwie zu schaffen, mich zusätzlich nicht noch zu übergeben.

Man sollte immer die kleinen Erfolge feiern.

Dann fiel es mir brennend ein: „Alex?“ Ich richtete mich auf, sah mich um.

Alex hatte es irgendwie geschafft wieder in das Kajak zu kommen. Zwar war sein Haar nass, sein Pullover nun durchweg grünlich, doch grinste er.

„Lebst du noch?“, erkundigte er sich.

Einmal ehrlich: Ich kam mir absolut dumm vor. Eigentlich war nichts passiert. Abgesehen davon, dass ich mich zum absoluten Affen gemacht hatte und beinahe einen meiner peinlichsten Tode erlebt hätte. Deswegen fiel meine Antwort sehr einsilbig aus: „Ähm.“

„Ich werte das mal als ein Ja“, meinte Alex.

„Sollen wir dich zum Ufer zurückbringen“, fragte die Frau und legte eine Hand auf meine Schulter. „Sollen wir vielleicht einen Krankenwagen rufen?“

Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Es geht schon. Also ... Ufer. Ja. Kein Krankenwagen.“ Das würde nur zu seltsamen Fragen führen.

„Was war das für ein Delfin?“, fragte der Junge mich.

„Was?“

„Der Delfin, der dich gerettet hat“, meinte der Kleine und setzte sich auf die Holzbank.

„Ähm.“

„Da war kein Delfin, Toby“, lachte seine Mutter und strich durch sein Haar. „Hier gibt es keine Delfine.“

„Ich habe aber einen gesehen!“, protestierte Toby. „Er hat den Jungen nach oben getragen.“

Ich sagte nichts.

Kinder waren besser, als manche Erwachsene darin, magische Dinge zu sehen. Wenn seine Mutter irgendetwas gesehen hatte, dann wahrscheinlich einfach nur Alex. Ein Thema, über das man mit Menschen besser nicht redete.

„Ich sehe dich an Land, Maggie“, meinte Alex und ruderte los.

Deprimiert musste ich sehen, dass er ohne mich keine Probleme hatte, das Kajak die ohnehin geringe Strecke zum Steg zurückzubringen.

Dort wartete bereits einer der Männer vom Bootsverleih. Offenbar hatte er meinen unfreiwilligen Badegang gesehen.

Dann war ich auch schon am Steg, wurde von Alex aus dem Boot gezogen.

„Alles okay?“, fragte der Mann, dessen Namensschild ihn als „Gregor Amsworth“ identifizierte. Er legte mir eine Decke um die Schultern, noch bevor ich protestieren konnte. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?“

„Nein. Auf keinen Fall einen Krankenwagen!“, protestierte ich, nun zumindest wieder halbwegs fähig zu sprechen. Jedoch nicht ganz ohne einen Hustenanfall.

Alex legte klopfte auf meinen Rücken. „Na ja, das war eine Abkühlung“, meinte er.

„Uhum.“ Mein Gesicht brannte. Warum musste sowas eigentlich mir passieren? Am liebsten wäre ich im Boden versunken - also sprichwörtlich. Auf die wortwörtliche Variante konnte ich verzichten. Überlebenstraining zum Tode. Fragt besser nicht.

„Komm erst mal mit“, wies mich Gregor derweil an.

„Uhum.“ Ich wollte hier weg.

Eigentlich konnte ich meine, unsere Kleidung mit Sonnenwärme trocknen. Hey, eine der wenigsten Sachen, bei der ein Vater, der ein Frühjahrs- und Sommergott ist, positiv sein kann. Doch vor Gregor wäre das wohl schwer zu erklären gewesen. Nebel hin oder her.

Zugegebener Maßen fiel es mir in diesem Moment auch schwer, meine Kraft zu sammeln und so ließ ich mich von Alex ins Bootshaus bringen, wo wir zwei Minuten später auf einer Bank in zwei Decken gehüllt saßen.

Ich prustete schon wieder, während Alex meinen Rücken klopfte.

„Wirklich sicher, dass du keinen Arzt brauchst“, fragte Gregor.

Ich nickte. „Ja. Ganz sicher. Nicht versichert.“ Hurra, Amerika.

Damit schien er sich zufrieden zu geben. Er schien ein wenig unschlüssig, was er mit uns machen sollte. Schließlich zuckte er mit den Schultern. „Kaffee?“

Wir sahen einander an, nickten dann aber beinahe synchron. „Danke.“

Wie sollten wir jetzt hier herauskommen? Was, wenn der gute Gregor auf die Idee kam, unsere Eltern anrufen zu wollen? Das würde einige Erklärung bedürfen.

„Sorry“, murmelte ich, während er in einen Nebenraum ging.

Ich fühlte mich so albern. Es war so typisch Magnus. Das Date war gerade einmal eine halbe Stunde lang und war schon auf äußerst glorreiche Art ins Wasser gefallen. Wortwörtlich. Viel mehr konnte doch nicht schief gehen.

Alex legte einen Arm um meine Schultern. „Ach, es war zumindest unterhaltsam“, meinte er. „Du hättest den Blick auf deinem Gesicht sehen sollen.“

Ich antwortete nicht darauf. Ich kam mir einfach zu albern vor.

„Hey, es hätte viel schlimmer sein können. Du hättest wirklich absaufen können. Das wäre ein mieses Date gewesen!“

Ich verdrehte die Augen, doch zumindest kroch ein leichtes Lächeln auf mein Gesicht zurück. „Ja, ich nehme an, ich könnte mich noch steigern.“

„Vielleicht sollte ich dich herausfordern, Maggie“, meinte Alex und grinste mich an. Dann wanderte seine Hand in mein Haar, zog etwas daraus hervor. Irgendeine Art von Seealge. „Wie nannte deine Cousine noch mal ihren Freund? Algenhirn?“ Er lachte. „Willst du ihm etwa Konkurrenz machen?“

Ich nahm ihm die Alge ab, nur um dann mit dem glitschigen Ding in der Hand da zu sitzen, ohne zu wissen, wohin damit. „Na, besser nicht.“

„Mach dir einfach nicht so viele Gedanken. Das nächste Mal weiß ich Bescheid: Kein Kajak.“

„Vielleicht am besten keine Boote“, murmelte ich. „Außer du wärst bereit Tretboot zu fahren.“

Alex überlegte. „Glaubst du, sie haben hier irgendwo Schwanentretboote?“

„Das wäre aber ziemlich Klischee.“ Ich grinste verlegen.

„Eben.“ Er streckte sich, küsste mich auf die Wange. „Wäre vielleicht gar nicht so dumm.“

Wieder war ich wie erstarrt. Ich sah ihn an, grinste eventuell auch etwas dümmlich. Vielleicht hätte ich noch etwas anderes getan, hätte es vielleicht sogar gewagt, ihn meinerseits zu küssen, doch in dem Moment kam Gregor mit zwei dampfenden Tassen zurück.
 

Als wir das Bootshaus eine Stunde später verließen, trugen wir beide dunkelblaue und absolut nicht modische T-Shirts mit dem Logo des Bootsverleihs, zusammen mit hellen Khaki-Hosen. Unsere Haare waren entalgt. Die nasse Kleidung trugen wir in zwei Plastiktüten.

Natürlich sah Alex auch in diesem seltsamen Ensemble, das für seine Verhältnisse viel zu farblos wirkte, umwerfend aus. Er schaffte es einfach jeden Look modisch wirken zu lassen.

„Was meinst du“, fragte er und griff nach meiner Hand. „Wollen wir vielleicht irgendetwas ungefährliches probieren?“

Ich sah ihn an. „Zum Beispiel?“, fragte ich.

„Zum Beispiel in den Zoo gehen“, meinte er. „Da hinten ist einer.“ Er zeigte zum nördlichen Ende des Sees. „Solange du mir versprichst, dabei nicht ins Seelöwengehege zu fallen.“

Ich sah wahrscheinlich etwas beleidigt aus, da Alex meine Hand griff. „Hey. Ich nehm' dir die Sache nicht übel. Ich werde dich nur noch ein wenig damit triezen.“

„Ich fühle mich dennoch mies“, murmelte ich. Wie viel durfte ich überhaupt sagen? Ich meine, sollte ich jetzt einen auf hart und selbstbewusst machen und das ganze überspielen? Vielleicht hätte ich doch „Dating bis zum Tode“ besuchen sollen. „Das muss das mieseste Date sein, auf dem du je warst.“

Alex zuckte mit den Schultern. „Es war das mieseste und beste Date soweit.“ Er sah mich amüsiert an. „Hey, es ist mein erstes Date. Was glaubst du denn?“

Eine gute Frage. Was hatte ich geglaubt? Es machte Sinn, dass seine Erfahrungen soweit ähnlich wie die meinen waren.

„Und es ist noch nicht vorbei, oder?“, meinte er. „Also kann man es noch deutlich verbessern.“

„Bist du sicher, dass du nicht nach Valhalla zurückwillst?“ Ich sah ihn verlegen an.

„Ach was. Wenn ich so schnell aufgeben würde, dann ...“ Er brachte den Satz nicht zu Ende, schien sich stattdessen entschieden auf nicht-verbale Kommunikation überzugehen. Ehe ich eine Chance hatte zu reagieren, drückte er seine Lippen gegen die meinen.

Für einen Moment stand meine Welt still. Ich musste arg an mich halten, um nicht gänzlich zu zerschmelzen.

Dann löste er sich von mir. „Schau nicht so depri aus. Ich mag dich immer noch.“

„Das ist gut“, gab ich zu.

„Also, was sagst du: Zoo? Du darfst mich sogar auf ein Softeis einladen.“

Ich holte tief Luft, riss mich dann zusammen. Man, es war Alex. Alex hatte schon größeren Scheiß mit mir durchgemacht. Wie oft waren wir zusammen schon fast gestorben? Eigentlich war das hier doch harmlos. Selbst wenn es unter dem Label eines Dates geschah.

„Softeis klingt gut“, brachte ich schließlich hervor. Unsicher griff ich nach seiner Hand, hielt sie. „Und keine Boote mehr für heute.“

„Wir könnten ja zusammen Kajaking zum Tode belegen“, sagte er. „Ich wette im letzten Teil bist du richtig gut.“ Damit drückte er meine Hand, setzte sich in Bewegung.

„Ja. Wahrscheinlich.“ Damit ging ich neben ihm her.

Zoo. Softeis. Das war wirklich Klischee. So Klischee, dass ich es eigentlich hatte vermeiden wollen. Dabei mochte ich den Gedanken doch irgendwie. Ein klischeehaftes Date, wie in einer der 90er-Jahre Romcoms, die andere Mütter noch so gerne schauten. Was war schon das schlimmste, was dabei passieren konnte? Also, solange man nicht in einem Musical landete. Denn auf mein Gesangstalent wollte ich es auch nicht ankommen lassen.

Der Rest des Dates? Der Rest des Dates war gar nicht so schlecht. Ich möchte an dieser Stelle stolz berichten, dass ich es zumindest geschafft habe ein Soft-Eis zu verspeisen, ohne mich zum Affen zu machen.

Und wo wir beim Thema Affen sind, so hatte Alex definitiv Spaß daran, sich selbst zum Affen zu machen – vor dem Affengehege zur Verwirrung der dort lebenden Affen.

Natürlich war das nicht alles, was noch an diesem Tag passiert ist. Doch zumindest eine Sache war sicher: Es gab weder Götter, noch magische Wesen noch Wölfe, die mein erstes Date unterbrachen.

Als wir am Abend zum Hotel Valhalla zurückkehrten waren wir allerdings schon wieder durchnässt. Dieses Mal dank dem Gewitter, das am frühen Abend über Boston einbrach. Kurzum: Es war ein sehr nasses Date.

„Was?“, höre ich euch an dieser Stelle sagen. „Davon erzählst du uns nicht?“ Und was soll ich darauf antworten?

Die Geschichte ist so schon lang und peinlich genug. Viel zu lang für den eigentlichen Punkt, zu dem ich kommen wollte: Einherja-Dates können auch gänzlich ohne göttliche Intervention ins Wasser fallen und beinahe tödlich enden. Dafür braucht es nicht einmal besondere Talente oder besonders viel Zeit. Nur einen Kettenhemdpulli, zwei linke Hände und ein Kajak. Wobei andere Kombinationen auch denkbar sind.

Das Positive ist jedoch, dass es nicht mein letztes Date mit Alex Fierro war und ich definitiv berichten kann, dass wir uns deutlich gebessert haben. Wir hatten soweit zumindest zwei Dates, die nicht im kompletten Desaster geendet sind und keine Nahtoderlebnisse beinhaltet haben. Bei einem davon bin ich sogar gar nicht gestorben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sternenschwester
2019-06-10T16:26:54+00:00 10.06.2019 18:26
Ich habe mich sehr gefreut über die beiden hier was zu finden. Ein gut zu lesende kleine FF für Zwischendurch.
lg, Sternenschwester
Antwort von:  Alaiya
10.06.2019 18:43
Vielen lieben Dank für den Kommentar


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