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Stolen Dreams Ⅻ

von

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5. Kapitel

„Du hast genau fünf Minuten Zeit, mir zu erzählen, wer Vanya ist und was du über ihn weißt“, zischte Valentin ungeduldig und verschränkte die Arme vor der Brust. Er und Yuri saßen im Wohnzimmer. Der Fernseher lief noch und zeigte nun die Wettervorschau, aber niemand hörte der Moderatorin zu.

Yuri schien sich in einer Trance zu befinden. Sein Blick haftete an einem unsichtbaren Punkt, der einige Zentimeter über dem Wohnzimmertisch schwebte, seine Hände zitterten und er schluckte so nervös, dass es den Anschein erweckte, er hätte einen Dolch im Rachen stecken.

„Bist du taub? Ich rede mit dir.“

„I-ich... ich möchte nicht darüber sprechen“, hauchte Yuri und erhob sich mit zitternden Knien vom Sessel. Er wollte zur Tür gehen, aber Valentin verhinderte das, indem er seinen Fuß auf der Armlehne des Sessels ablegte und dem Jungen mit seinem Bein den Weg abschnitt. Ein normaler Mensch wäre einfach über das Bein gestiegen, aber für Yuri, der einen geprellten Knöchel besaß und diesen kaum belasten konnte, stellte das keine Option dar.
 

„Du hast noch vier Minuten.“

„Lass mich durch.“

„Setz dich wieder hin und rede mit mir oder ich werde dich dazu bringen.“

„Nein, ich--“

Valentin konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er stand auf und verpasste Yuri einen kräftigen Stoß, der ihm das Gleichgewicht nahm. Der Junge fiel rücklings in den Sessel und verzog das Gesicht. Irgendeine Stelle seines verletzten und geschwächten Körpers bereitete ihm anscheinend Schmerzen, aber das interessierte Valentin nicht. Alles, was er wollte, war eine verdammte Antwort.

„Sag mir, wer Vanya ist. Jetzt.

Er platzierte seinen linken Fuß erneut auf der Lehne, stützte den Ellbogen auf seinem Knie ab und sah genervt auf Yuri nieder, der den Blick abwandte und verzweifelt seufzte.
 

„Vanya ist... ein ehemaliger Kollege meines Erzeugers und einer dieser Männer, die Frauen verachten und sich selbst als nett beschreiben, obwohl sie es nicht sind. Er hat Sonja gefragt, ob sie mit ihm ausgehen möchte, und ziemlich kindisch auf ihre Abweisung reagiert. Er ist aggressiv und kann schnell handgreiflich werden – vor allem, wenn er betrunken ist – und... ich denke, dass er es getan haben könnte.“

„Du denkst? Gerade eben klangst du aber viel sicherer. So, als wüsstest du es.“

„Ich... es ist nur eine Vermutung. Ich will keine falschen Anschuldigungen aussprechen.“

Valentin musterte den Jungen von oben bis unten, ehe er schließlich von ihm abließ und sich in sein Büro zurückzog, um mehr über diesen Vanya herauszufinden. Eigentlich musste er sich nicht um die Angelegenheit kümmern, weil es kinderleicht war, Oleg die Schuld in die Schuhe zu schieben und die Sache damit abzuschließen, aber irgendetwas, das er nicht benennen konnte, verlieh ihm das Gefühl, dass mehr hinter diesem Mord steckte, als er dachte.
 

Ich finde es komisch, dass Yuri seinen Vater nicht für den möglichen Täter hält, obwohl dieser ihn doch von der Treppe gestoßen hat und damit das Risiko eingegangen ist, Yuri versehentlich umzubringen. Außerdem: Warum sollte Oleg die Polizei rufen, wenn er weiß, dass eine Leiche in seinem Keller liegt? Hat er sie vergessen? Nein, so etwas vergisst man nicht.

Moment...

Was ist, wenn Oleg das mit Absicht gemacht hat? Er könnte Yuri dazu benutzt haben, Anna und mich zu seinem Haus zu locken, damit er jemanden hat, dem er den Mord anhängen kann. Es ist nämlich ein ziemlich seltsamer Zufall, dass Yuri ausgerechnet dann abgeholt werden möchte, wenn eine Leiche in seinem Haus liegt.

Gedankenverloren ließ Valentin sich die Informationen durch den Kopf gehen, die er vorhin von einem seiner Männer erhalten hatte. Sonja war am Freitag zwischen zehn und zwölf Uhr abends gestorben... also kurz vor dem Zeitpunkt, an dem Anna verlangt hatte, Yuri hier wohnen zu lassen.
 

Er überlegte, ob er Anna bitten sollte, ihn einen Blick auf ihr Handy werfen zu lassen, als plötzlich sein eigenes Smartphone zu klingeln begann. Es war der gleiche Mann, der Valentin am heutigen Morgen von den Ermittlungsfortschritten berichtet hatte.

„Es gibt Neuigkeiten, Boss“, sagte die leicht verzerrt klingende Stimme. „Die Polizei hat die Anwohner befragt. Angeblich hat Oleg das Haus in der Nacht des Mordes kein einziges Mal verlassen.“

„Und das ist wichtig, weil...?“

„Sonja wurde erstickt, aber anscheinend nicht mit einem Gegenstand, sondern...“ Im Hintergrund war das Rascheln von Papieren zu hören. „Wie hieß die Methode noch mal? Ach ja, Burking. Das Opfer wird auf den Boden gedrückt, während der Täter ihm Mund und Nase zuhält und sich auf den Rücken oder den Bauch des Opfers setzt, um das Atmen zu erschweren. Diese Methode ist schwer nachzuweisen, aber in Sonjas Lungen wurde ein wenig Regenwasser gefunden; vermutlich geschmolzener Schnee.“
 

„Aber selbst wenn sie draußen umgebracht wurde – irgendwie muss sie in diesen Keller geraten sein.“

„Die Polizei weiß auch nicht weiter. Oleg behauptet, Yuri könnte seine Unschuld bezeugen und dass ‘‘der wahre Täter‘‘ ihn deswegen entführt hätte. Er streitet immer noch ab, Sonja vergewaltigt zu haben.“

„Okay... Kannst du dich noch an die Liste mit den Leuten erinnern, die sich in Yuris Haus aufgehalten haben? Einer von den Kerlen heißt Vanya; ich möchte, dass du mir ein paar Informationen zu ihm beschaffst.“

„Wird erledigt, Boss.“

Valentin legte auf und seufzte. Sich das kinnlange Haar raufend, das die Farbe von feuchter Erde besaß, dachte er darüber nach, ob er sich einen weiteren Kaffee machen oder direkt zum Alkohol greifen sollte, als plötzlich jemand an der Tür klopfte. Es war Anna, die nicht auf eine Antwort wartete, sondern direkt reinkam.

„Hast du dich mit Yuri gestritten? Er hat sich in seinem Zimmer eingesperrt und will nicht rauskommen.“
 

„Nicht mein Problem“, antwortete Valentin und erkannte erst danach, dass eine unwissende Verneinung sinnvoller gewesen wäre. „Okay, bevor du irgendetwas sagst – schau dir das hier an.“

Anna, die ihrem Vater nur einen wütenden Blick zu bieten hatte, wurde am Oberarm gepackt und in den Bürostuhl gedrückt. Valentin schaltete seinen Laptop an, besuchte die Seite des Nachrichtensenders, der über den Mord berichtet hatte, und zeigte Anna die exakte Folge, die auch er und Yuri gesehen hatten.

„Oh mein Gott“, murmelte Anna erschrocken, während ihr Zorn sich in Überraschung und Sorge verwandelte. „Ich wusste, dass Oleg ein Arschloch ist, aber dass er sogar so etwas machen würde...“

„Also glaubst du auch, dass er es war?“
 

Anna sah Valentin an, als hätte er gefragt, ob eins plus eins wirklich zwei ergeben würde. „Bitte?“

„Glaubst du, dass es Oleg war?“

„Wer denn sonst? Der Weihnachtsmann?“ Plötzlich erschien wieder der wütende Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Du denkst doch nicht ernsthaft, dass es Yuri war, oder? Oder?!“

„Es wäre nicht unmöglich.“

„Du hast sie doch nicht mehr alle!“, rief sie gereizt und sprang vom Stuhl auf. „Was fällt dir ein, ihm so etwas zuzutrauen?!“

„Ich--“

„Insbesondere wenn man bedenkt, dass du hier derjenige bist, der Schüler vergewaltigt und umbringt“, fügte sie leiser hinzu. „Du wirst jetzt zu ihm gehen und dich entschuldigen.“
 

„Ich habe ihn bloß gefragt, ob er etwas weiß, dass die Medien nicht wissen“, erwiderte Valentin ruhig, obwohl er gerne die Stimme erhoben hätte. Er ließ sich von einer 16-jährigen Göre nicht sagen, was er zu tun und zu lassen hatte, und dass sie die eine Sache erwähnt hatte, die Valentin am liebsten aus ihrem Gedächtnis löschen würde, trug nicht viel dazu bei, ihn friedlicher zu stimmen. „Yuri denkt, dass es nicht Oleg, sondern ein Typ namens Vanya war, und mir macht das Ganze ein wenig Sorgen. Kennst du diesen Vanya?“

„Nie von ihm gehört. Und du solltest trotzdem mit Yuri reden. Stell dir vor, dein Vater wäre des Mordes beschuldigt worden.“

Valentin wollte sagen, dass er seinen Vater nicht kannte und es ihm scheißegal war, was mit ihm passierte, falls er überhaupt noch lebte, doch stattdessen verdrehte er genervt stöhnend die Augen und machte sich mit Anna zu Yuris Zimmer auf, gegen dessen Tür er klopfte.

„Was soll ich überhaupt zu ihm sagen?“
 

„Keine Ahnung. Sei einfach nett.“

Valentin gab ein weiteres Stöhnen von sich und lehnte seine Stirn gegen die Tür. Warum mussten Kinder so verdammt anstrengend sein?

„Yuri, komm da raus“, rief er und schlug ungeduldig gegen das Holz. „Jetzt.“

Er sah im Augenwinkel, wie Anna die Arme vor der Brust verschränkte und enttäuscht den Kopf schüttelte. Im Zimmer wurden hektisch Sachen weggeräumt, ehe der Schreibtischstuhl leise knarrte und sich humpelnde Schritte der Tür näherten. Kurz daraufhin erschien ein betrübt dreinblickender Yuri vor Valentin.

„Was ist denn?“

„Gar nichts. Du sollst bloß aufhören, dich einzusperren.“

„Ich...“ Unsicher huschten Yuris blaue Augen zwischen Anna und Valentin hin und her. „Ich brauche nur ein bisschen Zeit für mich selbst.“
 

„Mir scheißegal. Ich will, dass ihr beiden mich in Ruhe lasst.“

Mit diesen Worten wandte sich Valentin von den zwei Jugendlichen ab und verschwand in seinem Büro. Yuri sah ihm deprimiert hinterher. Womit hatte er es verdient, von diesem Mann so verachtet zu werden?

„Dein Vater hasst mich, nicht wahr?“

„Nein. Er geht mit jedem so um. Wirklich, Yuri, das ist nichts Persönliches. Würde er dich hassen, hätte er dich schon längst rausgeworfen.“

Der Junge seufzte betrübt. Das mit Valentin konnte doch kein Zufall sein. Er war auch schon in seiner Klasse ein Außenseiter gewesen und von seinen Mitschülern entweder ignoriert oder grundlos gehasst worden. Wenn er wenigstens wüsste, warum man ihn so verabscheuungswürdig fand...

„Valentin hat mir die Nachrichten gezeigt. Fast schon ironisch, nicht wahr? Immerhin haben wir uns immer gewünscht, Sonja würde an ihrer Arroganz ersticken.“
 

Ein schiefes Lächeln erschien auf Yuris Gesicht. Ein kleiner Teil von ihm empfand bei dem Wissen, was mit Sonja passiert war, Genugtuung, aber der Rest von ihm würde das Ganze am liebsten vergessen. Ja, Sonja war nicht nett zu ihm gewesen, aber damit verdiente sie nicht gleich den Tod. Und wie es sich für ihre armen Eltern anfühlen musste, das eigene Kind zu verlieren, wollte er sich gar nicht erst vorstellen.

„Belastet es dich sehr?“, fragte Anna vorsichtig, woraufhin Yuri langsam den Kopf schüttelte. „Was hältst du davon, wenn wir irgendetwas zusammen machen? Wir können uns vor den Fernseher setzen oder...“

„Danke für das Angebot, aber ich brauche jetzt ein bisschen Zeit für mich selbst. Morgen vielleicht, okay?“

Anna nickte leicht verunsichert. „Ich bin unten, falls du es dir anders überlegst“, sagte sie, ehe sie sich umdrehte und am Ende des Flurs die Treppe herunterstieg. Yuri sah ihr hinterher, seufzte und verschwand dann in seinem Zimmer.
 

Valentin hatte die beiden von seinem Büro aus belauscht und auf neue Informationen gehofft, doch nichts Brauchbares erhalten. Frustriert setzte er sich an seinen Laptop und überprüfte, ob er neue Emails erhalten hatte, aber auch hier wurde er enttäuscht. Nicht wissend, was er jetzt tun sollte, surfte er ein wenig im Internet, klickte sich von einer Seite zur anderen und landete schließlich mehr oder weniger absichtlich in der Ecke des Internets, in der Minderjährige nichts zu suchen hatten.

Habe ich die Tür abgeschlossen? Ach, scheiß drauf, dann werde ich halt erwischt; Annas Ansicht von mir ist sowieso schon ruiniert. Und Yuri ist mir auch egal – dann weiß er wenigstens, dass er sich von mir fernhalten sollte.

Gelangweilt wühlte er sich durch die verschiedenen Videos. Es gab einige, die an der Oberfläche von Valentins Geschmack kratzten, aber wirkliches Interesse wecken, konnte keines. Er wollte keine Amateure sehen, die sich gegenseitig ein wenig Schmerz zufügten und danach sofort zur Sache kamen. Vor allem das Wissen, dass man die Szene jederzeit abbrechen könnte, war für ihn, als würde er sich tierisch auf einen guten Film freuen und dann von jemandem gespoilert werden.
 

Was Valentin wollte, war echtes Leid, kein gespieltes. Er wollte sehen, wie sich die jungen Männer in den Pornos vor Schmerzen krümmten. Wie sie gedemütigt wurden und sich die Seele aus dem Leib schrien. Wie sie ächzend und japsend um Gnade winselten und zitternd zu Valentin hochsahen, dessen Silhouette sich in den tränennassen und vor Angst weit aufgerissenen Augen widerspiegelte. Genau das war es, mit dem Valentin sich vergnügen würde… wenn nur diese verdammten Kinder nicht wären.

Valentin schloss den Browser und überlegte, ob er seine beiden Quälgeister für zwei bis drei Stunden alleine lassen konnte, als plötzlich eine Email in seinem Postfach erschien. Sie enthielt die erhofften Informationen zu Vanya, um die Valentin vor etwa einer halben Stunde gebeten hatte.

Das ging schnell. Also, was haben wir denn hier... Mitte dreißig, unverheiratet, blablabla... Hmm, scheint ‘n gewöhnlicher Kerl zu sein. Nur sein Arbeitsplatz sagt mir nichts. Ist das ‘ne Tankstelle?

Valentin schaute nach und fand heraus, dass es sich bei Vanyas Arbeitsplatz tatsächlich um eine Tankstelle handelte. Sie war etwa eine Viertelstunde Fahrt von Olegs Haus entfernt und hatte heute geschlossen. Kein Wunder, es war ja auch Sonntag, aber morgen würde sie aufhaben und dann würde Valentin diesem Vanya mal einen Besuch abstatten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yunaxxx
2019-01-10T11:15:42+00:00 10.01.2019 12:15
Ich mag deine Geschichte. Ich finde die einfach klasse. Ich freue mich jedes mal wenn du ein Stolen Dreams reinstellst. Alle sind total unterschiedlich und total spannend.
Ich bin gespannt wenn Valentin diesen Vanya besucht.
Für mich steht fest das Yuri den Mord begannen hat. Spannend ist ob es jetzt raus kommt oder erst im späteren Verlauf der Story. ich kann mir nicht vorstellen, dass es nie rauskommen wird.
LG Yunaxxx
Von:  Onlyknow3
2019-01-02T10:46:52+00:00 02.01.2019 11:46
Den Mord an Sonja, hat doch Yuri begangen? Das da keiner drauf kommt.
Ob das Überhaupt mal raus kommt das er es war?
Was dann wohl Valentin mit ihm macht?
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.
Ein Gutes neues Jahr wünsche ich dir.

LG
Onlyknow3


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