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HIM - Philophobia

von

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Fuck off

„Wie geht es deinem Bein?“

Jeonghun blickte von seinem Laptop auf, mit dem er es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa bequem gemacht hatte.

Natürlich hätte er damit auch in seinem Zimmer bleiben können, aber bei einer Temperatur von 35 Grad war es in seinem Dachzimmer tagsüber unerträglich. Er war weder diese Temperaturen noch die Luftfeuchtigkeit gewöhnt, weshalb ihm das Klima in Ulsan etwas mehr zusetzte als er dachte.
 

„Alles okay.“, antwortete er.

Dafür das er nicht gern mit Menschen redete, oder es aufgegeben hatte, war er richtig gut darin sich mit seiner Großmutter zu unterhalten. Zwar handelte es sich bei diesen Unterhaltungen seinerseits zwar meistens nur um Antworten, aber auch das war nicht unbedingt selbstverständlich für ihn. Er war stolz auf sich.

Es war nicht so als hätte er die Hoffnung gehabt sich nach seiner Rückkehr nach Seoul auf einmal normal mit Anderen unterhalten zu können, aber es war zumindest ein Fortschritt, dass er sich in Gegenwart seiner Großmutter nicht unwohl oder eingeengt fühlte und ihr antworten konnte, ohne zuerst eine gefühlte Ewigkeit nach Worten suchen zu müssen.
 

„Du solltest es trotzdem langsam angehen lassen.“, ermahnte ihn seine Großmutter und er gab ein murrendes Geräusch von sich.

Eine Woche war vergangen seit sie ihren Ausflug an den Strand gemacht hatten. Die Hälfte der Woche war er damit beschäftigt gewesen, sein Bein hochzulegen und ein Kühlpad unter seine Kniekehle zu schieben, während er gegoogelt hatte ob er vielleicht doch zum Arzt gehen sollte.

Nach vier Tagen war die Schwellung abgeklungen und zurück blieb ein dunkler Bluterguss der schmerzte. Zwar musste Jeonghun nicht mehr humpeln, aber er spürte trotzdem bei jedem Auftreten einen kleinen Stich, aber den konnte er ignorieren.
 

„Ich meine das Ernst. Ich werde deine Laufschuhe konfiszieren!“

Jeonghun drehte sich halb zu seiner Großmutter um, die in der Mitte des Wohnzimmers stand, und die Wäsche bügelte.

„Ist ja gut, ich hab's verstanden.“

Jeonghun wusste auch so, dass sein Knie noch nicht eine volle Belastung aushalten würde, also sagte er nichts gegen das Verbot. Wobei es eigentlich kein Verbot war, sondern ein fürsorglicher Rat.
 

Sein Blick wanderte zum Fernseher, in dem irgendeine kitschige Liebesserie lief, die seine Großmutter offenbar sehr gerne mochte, und er abgrundtief hasste.

Allerdings sagte er nichts dazu, denn er hätte genauso gut in seinem Zimmer schmelzen können, anstatt im einigermaßen erträglich warmen Wohnzimmer zu sitzen, während seine Großmutter ihre Lieblingsserie ansah.

Also ertrug Jeonghun stoisch die Liebesschwüre aus dem Fernseher, und wandte sich stattdessen seinem Laptop zu, auf welchem er sich auf Facebook einloggte.
 

Das erste was ihm ins Auge sprang war, dass er keine neuen Nachrichten hatte.

Aber das war nichts neues, und um ehrlich zu sein hätte er auch gar nicht gewusst, wer ihm hätte schreiben sollen.

Na gut, vielleicht hatte er erwartet, dass seine sogenannten Freunde sich melden würden, und wenn es bloß ein simples 'Hey was läuft?' gewesen wäre.

Auf der anderen Seite hatte er seine Freunde nie wirklich als Freunde gesehen, eben nur als Leute mit denen er abhing und Scheiße baute.

Trotzdem hatte er wenigstens gehofft, dass ihn irgendjemand vermissen würde.
 

Dafür hatten die Jungs aus seiner Clique gestern allerdings eine Menge Spaß gehabt. Das sagten ihm zumindest die Fotos die einige von ihnen von einer Party hochgeladen hatten. Auf den meisten konnte man sehr deutlich sehen, dass sie alle total betrunken waren, aber ihren Spaß hatten.

Und Jeonghun hasste es in diesem Moment in Ulsan fest zu sitzen, wo es nichts gab, außer ihm, seiner Großmutter und einer unbekannten Stadt in der er nicht wusste was er mit sich anfangen sollte.
 

Eigentlich gab es keinen wirklichen Grund dafür. Seine Großmutter war nett, das Zimmer war nett und der Strand war schön, zumindest das was er davon gesehen hatte.

Er war wütend auf sich selbst, weil er niemanden hatte der ihn vermisste oder sich dafür interessierte wie es ihm ging, allein in einer fremden Stadt. Aber am meisten war er wütend auf seine Eltern, die mit ihren lächerlichen Streitigkeiten und ihrem Egoismus dafür verantwortlich waren, dass er nun hier fest saß.
 

Jeonghun klappte den Laptop zu, und stand auf bevor er nach oben in sein Zimmer ging.

Er war mies gelaunt, und wollte lieber alleine sein als in Gesellschaft seiner Großmutter und ihrer Lieblingsserie.

Den Laptop stellte er auf dem Tisch ab, ehe er sich einfach auf sein Bett fallen ließ und an die Dachschräge starrte.

Es waren noch nicht mal drei Minuten vergangen seit er sein Zimmer betreten hatte, doch ihm war jetzt schon zu heiß und er begann leicht zu schwitzen.

Murrend rollte er sich von einer auf die andere Seite, aber es wurde nicht unbedingt besser. Er hatte es schon mit offenem Fenster versucht, aber dadurch kam noch mehr Wärme und Luftfeuchtigkeit ins Zimmer, weshalb er das Fenster doch lieber zu ließ. Wie er auf Dauer mit dieser klebrigen Luft klar kommen sollte, war ihm ein Rätsel.
 

Während Jeonghun seinen Gedanken nachhing, hörte er unten das Telefon läuten. Vermutlich rief wieder die beste Freundin seiner Großmutter an, so wie jeden Tag. Jeonghun hatte die Frau noch nicht kennengelernt, aber einmal den Fehler gemacht ans Telefon zu gehen. Bis zu jenem Tag hatte er noch nicht gewusst, dass es Menschen gab die reden konnten ohne zu atmen. Er hatte die Frau irgendwann mit einem „Ich hol Oma.“, unterbrochen, und erst da war ihr aufgefallen das sie alles der falschen Person erzählt hatte.

Seitdem hütete er sich davor ans Telefon zu gehen, und ließ es notfalls eben einfach klingeln, auch wenn seine Großmutter keinen Anrufbeantworter besaß.
 

Als es an seiner Türe klopfte, wandte er sich dieser zu und gab ein Geräusch von sich, dass mit viel Fantasie einem 'herein' glich.

Natürlich war es seine Großmutter, wer auch sonst? Irritiert war er nur durch das Telefon das sie ihm entgegen streckte.

„Deine Mutter.“
 

Jeonghun verzog unweigerlich das Gesicht, setzte sich aber auf und nahm das Telefon entgegen.

Er hatte wirklich keine Lust mit seiner Mutter zu reden, zumal er nicht mal wusste was er überhaupt sagen sollte, oder was sie von ihm wollte.

„Ja?“, meldete er sich trotzdem, während er seiner Großmutter dabei zusah, wie sie das Zimmer verließ. Vermutlich um ihm Privatsphäre bei dem Telefonat mit seiner Mutter zu geben.
 

„Schätzchen, wie geht es dir?“

Das sie ihn so etwas tatsächlich fragte, war an sich schon ein Witz. Wie sollte sich jemand fühlen der einfach so in eine andere Stadt gekarrt wurde, nur weil seine Eltern mit ihrem Leben nicht klar kamen?

„Passt.“, antwortete er kurz angebunden wie gewohnt.
 

„Das freut mich das es dir gut geht. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, dass du dich nicht wohl fühlen würdest.“

Offenbar wusste seine Mutter auch nicht was der unterschied zwischen 'gut' und 'passt' war, aber er sagte darauf nichts sondern schwieg stattdessen lieber.

„Dein Vater und ich wohnen im Moment getrennt. Ich bin bei einer Freundin untergekommen. Hat er sich schon bei dir gemeldet? Wir wissen immer noch nicht ob wir uns scheiden lassen wollen oder nicht, aber wenn wir es tun, bei wem würdest du am liebsten bleiben wollen? Aber ich habe dir ja noch gar nicht von der Tochter unserer Nachbarin erzählt. Hör zu:“
 

Jeonghun lehnte sich zurück und schwieg weiterhin, während seine Mutter ihm die Geschichte der Nachbarstochter erzählte, die nun wohl schwanger war, was er nicht unbedingt verwerflich fand in Anbetracht der Tatsache das sie glücklich vergeben war und bereits Ende zwanzig.

Die Fragen die seine Mutter ihm während ihres Redeschwalls gestellt hatte, ignorierte er. Nein, sein Vater hatte sich nicht bei ihm gemeldet. Und es war ihm egal bei wem er landete, wenn seine Eltern sich scheiden ließen. Er konnte mit Beiden nicht besonders viel anfangen.
 

Während seine Mutter weiter redete, dachte er darüber nach wie er eigentlich so verkorkst hatte werden können. Zwar hatte seine Großmutter gesagt, dass er sich manchmal anhörte wie sein Großvater, aber er bezweifelte das dieser so verkorkst gewesen war wie er. Wenn dem so wäre, wie hätte er an eine so nette und liebe Frau wie seine Großmutter geraten können, die das überhaupt nicht störte und die stattdessen fast 60 Jahre mit ihm verheiratete war. So etwas musste einen doch in den Wahnsinn treiben.

Angenommen er wäre wie andere Jungs in seinem Alter und könnte normal mit Menschen umgehen, er würde mit jemandem wie sich wahnsinnig werden.

Er konnte sich aber nicht erinnern wann es angefangen hatte, dass er sich zurück zog und abkapselte, weshalb er nicht sagen konnte was der Auslöser gewesen war. Jeonghun erinnerte sich nur, dass er im Kindergarten tatsächlich Freunde hatte und jeden Tag mit diesen gespielt hatte. In der ersten oder zweiten Klasse war dem aber nicht mehr so gewesen, nur konnte er sich nicht erinnern warum.
 

Am Ende brachte es sowieso nichts darüber nachzudenken, weil man die Vergangenheit nicht ändern konnte. Auch wenn es ihn wirklich interessierte warum er so war, wie er nun einmal war.

Vielleicht fand er das irgendwann einmal heraus, oder erinnerte sich daran was schief gelaufen war.
 

„Hörst du mir eigentlich zu?“

Jeonghun blinzelte und registrierte, dass er mal wieder mit seinen Gedanken woanders gewesen war, anstatt seiner Mutter zu zuhören.

„Nein.“, antwortete er.

Vielleicht hätte er ja sagen sollen, oder so tun sollen als hätte er nur das letzte was sie gesagt hatte nicht verstanden, aber was brachte es schon so zu tun als würde man sich für etwas interessieren, wofür man sich eigentlich nicht interessierte? Dazu gehörten in erster Linie nun mal dumme Gerüchte und Geschichten über die Nachbarn oder die Arbeitskolleginnen seiner Mutter.
 

„Das ist so typisch für dich. Nie interessierst du dich für Andere, sondern immer nur für dich selbst. Ich frage mich wirklich was ich bei dir falsch gemacht habe, dass du so bist!“, kam es schrill aus dem Hörer.

„Das fragst dich vermutlich nicht nur du, sondern die Nachbarn und alle anderen auch.“

„Was soll das denn heißen?“

„Warum rufst du mich an? Du interessierst dich doch überhaupt nicht dafür wie es mir geht, oder ob sich Papa gemeldet hat oder sonst was, sonst würdest du mich mal antworten lassen.“, gab er zurück.

„Du redest doch sowieso nie!“

„Ich weiß auch wieso!“, mit diesen Worten beendete er das Gespräch und knirschte mit den Zähnen.
 

Jeonghun sprang vom Bett auf und schob seinen Geldbeutel in die Hosentasche, ehe er die Treppen nach unten lief, und das Telefon auf die Kommode legte.

Er musste hier raus!

Wenn er davor schon wütend gewesen war, hatte das Telefonat mit seiner Mutter alles nur noch schlimmer gemacht. Und es war einfach besser, wenn er das Haus verließ um nicht seiner Großmutter über den Weg zu laufen, und seine Laune an ihr auszulassen.
 

Hastig zog er seine Sneakers an, ehe er die Haustüre aufriss und beinahe von einer Hitzewelle erschlagen wurde.

Trotzdem zog er die Türe hinter sich zu, und rannte los. Vor ungefähr einer Stunde war es ihm noch logisch erschienen, dass sein Knie noch Ruhe verlangte, aber jetzt gab er einen Scheiß darauf, und rannte einfach die Straßen entlang.

Er war gut im Rennen und er brauchte es, da er so den Stress und Frust los wurde, den er manchmal in sich anstaute.
 


 

Jeonghun hielt erst an, als sein Knie, oder vielmehr seine Kniekehle, ihm unmissverständlich klar machte, dass sie jetzt ihre Ruhe wollte und sich nicht weiter malträtieren ließ.

So stand er nun irgendwo, stützte sich mit den Händen auf den Knien ab und atmete schwer, während ihm die Hitze und die Luftfeuchtigkeit zusetzte. Sein Shirt klebte an ihm und seine Haare waren feucht vom Schwitzen, während seine Kniekehle ihm Schmerzimpulse in Form von Morsezeichen durch sein Bein schickte.
 

Nachdem sich sein Atem beruhigt hatte, richtete er sich auf und sah sich um.

Er hatte keine Ahnung wo er war.

Zumindest nicht wo genau, denn das er am Rand des Stadtzentrums stand war ihm klar, als er die riesigen Gebäude sah, die er schon bei der Zugfahrt und der Fahrt mit seiner Oma gesehen hatte.

Kurz überlegte er, ob er wieder zurück laufen sollte, entschied sich dann aber dagegen.

Wenn er schon einmal hier war, konnte er sich genauso gut auch im Zentrum umsehen und herausfinden ob es hier nicht etwas gab, was er machen könnte, anstatt die ganze Zeit im Haus seiner Großmutter herumzusitzen. Na gut, er wollte auch oft an den Strand gehen, und das würde er auch tun, aber es schadete ja nicht noch eine Alternative zu haben.
 

Langsam setzte er sich in Bewegung und zog eine Grimasse, als seine Kniekehle sich wieder meldete. Vielleicht war es doch eine blöde Idee gewesen zu rennen, und nun humpelte er wieder etwas, aber lange nicht so schlimm wie vor einer Woche.

Jeonghun verlangsamte seinen Schritt und ging weiter in Richtung Zentrumsmitte. Das schöne an Großstädten war, dass niemand jemandem große Aufmerksamkeit schenkte. Hier liefen so viele Menschen herum, dass er trotz leichtem Humpeln und verschwitzt nicht sonderlich auffiel oder angesprochen wurde. Vermutlich wäre das in einem Dorf anders, und er war gerade sehr Dankbar das seine Großmutter in Ulsan lebte und nicht auf einem Dorf irgendwo im nirgendwo.
 

Jeonghun schlenderte durch die Straßen und sah sich um, immer noch dabei herauszufinden was er hier großartig machen konnte.

Clubs schieden schon mal aus, weil er zwar kein Problem mit Menschenmassen hatte, aber zu schüchtern war um allein in einen Club zu gehen.

Fitnessstudio wäre eine gute Wahl gewesen, aber dafür musste man Mitglied sein, und da er nicht wusste wie lange er hier bleiben musste, war das eine dumme Idee.

Nach ungefähr einer Stunde in der er durch die Straßen gelaufen war, blieb er vor einem Game Center stehen und zog die Brauen zusammen.

Sah so aus als hätte er seine Bestimmung gefunden. Er spielte gerne Games am Computer oder auf seiner Playstation.

Obwohl er in Seoul geboren und aufgewachsen war, war er noch nie in einem Game Center gewesen. Er und seine Freunde gingen nun mal eher auf Partys oder hingen einfach so herum, machten Mist und betranken sich.
 

Kurz zögerte Jeonghun, trat dann aber doch durch die Glastüre in das Innere des Game Centers.

Es war gar nicht so voller Menschen wie er gedacht hatte, was ihn innerlich aufatmen ließ.

Er ging durch das Center und sah sich die verschiedenen Spiele an, ehe er schlussendlich bei dem Klassiker Mario Kart endete.
 


 

Jeonghun hatte gar nicht wirklich mitbekommen, wie lange er im Game Center gewesen war.

Offenbar aber lange genug, da die Sonne im Begriff war unterzugehen, als er das Gebäude verließ.

Er tastete seine Hosentaschen nach seine Handy ab, fand aber nichts. Kurz dachte Jeonghun, dass er sein Handy beim rennen vielleicht verloren hatte, bis ihm einfiel das er es gar nicht eingesteckt hatte, als er fluchtartig das Haus verlassen hatte.

Seine Großmutter machte sich wahrscheinlich Sorgen, und er war natürlich nicht erreichbar. Das hatte er ja mal wieder großartig hinbekommen.
 

Von sich selbst genervt machte er sich auf den Rückweg. Bis zum Rand des Stadtzentrums fand er wieder, danach ging es darum mehr oder weniger die Richtung zu finden aus der er gekommen war.

Er hatte nicht sonderlich darauf geachtet wohin er gerannt war, weswegen das eher ein Raten als ein sicheres Gehen wurde.
 

Wie lange genau er lief und versuchte sich in dem immer weniger werdenden Tageslicht zu orientieren, wusste Jeonghun nicht, aber er war sich relativ sicher das er in die richtige Richtung lief. Er musste lediglich darauf achten die großen Gebäude schräg im Rücken zu haben, denn so sah er sie vom Haus seiner Großmutter aus. Das war das Einzige an dem er sich orientieren konnte, aber das war immerhin besser als gar nichts.
 

Nach einer Weile konnte er die Leuchtreklame des Supermarktes sehen, an dem er und seine Großmutter vorbei gekommen waren, als sie zum Strand gegangen waren.

Jeonghun atmete erleichtert aus, da er nun ungefähr wusste wo er war und nicht mehr oder weniger orientierungslos durch die Gegend laufen musste. Jetzt waren es vielleicht nur noch 15 Minuten bis zum Haus seiner Großmutter, und der sich darin befindenden Dusche, die er dringend brauchte.
 

Am Supermarkt bog er nach links ab und entspannte sich zusehends. Im Endeffekt musste er jetzt nur noch geradeaus laufen, dann noch einmal nach links und an dem kleinen Spielplatz vorbei und am Ende der Straße nach rechts, und dann wäre er auch schon fast da. Und auf dem Weg dorthin konnte er sich schon einmal eine gute Entschuldigung einfallen lassen.
 

Jeonghun vergrub die Hände in den Taschen seiner Hose, während er die Straße entlang lief, und darüber nachdachte wie er seiner Großmutter am Besten klar machen konnte, dass sie und Ulsan nichts mit seiner Flucht zu tun hatten, eher das es ihn förmlich krank machte nichts mit sich anzufangen zu wissen und das Telefonate mit seiner Mutter es nicht unbedingt besser machten.

Vermutlich wäre die Wahrheit am Besten, aber er verstand sich manchmal ja nicht einmal selbst, wie konnte er da erwarten, dass ihn andere Leute verstanden?
 

Er bog nach links ab, und zog die Brauen zusammen als seine Gedanken durch ein Geräusch gestört wurden. Wobei Geräusch vielleicht der falsche Ausdruck war, es war eher ein Stöhnen und ein Winseln, weshalb er stehen blieb und zu dem Spielplatz zu seiner Rechten sah.

Eigentlich hatte er eher damit gerechnet ein Kind zu sehen, dass von einer Schaukel gefallen war. Auch wenn er sich wirklich gefragt hätte, was ein Kind um diese Uhrzeit noch auf dem Spielplatz machte. Ulsan war vielleicht anders als Seoul, aber er bezweifelte das Eltern ihre Kinder selbst hier auf die Straße ließen wenn es dunkel wurde.
 

Stattdessen sah er einen Mann auf dem Boden liegen, und sich vor Schmerzen krümmen, während dieser sich krampfhaft die Schulter hielt.

Durch die nun schon fast vollständig untergegangene Sonne und die magere Beleuchtung durch Straßenlaternen konnte Jeonghun nicht besonders viel erkennen, aber das war offensichtlich.

Genauso wie der Typ der dem am Boden Liegenden gerade mit voller Wucht in den Bauch trat, so das dieser vor Schmerzen erneut wimmerte.
 

Jeonghun hatte nicht das Bedürfnis sich in die Angelegenheiten Anderer einzumischen, aber die Situation war vermutlich die Ausnahme von der Regel, da es den Anschein machte, als würde der Angreifer den am Boden Liegenden tot treten. Und ob er dann noch ruhig schlafen konnte, wagte er zu bezweifeln.

Er stieß die Luft aus, während er sich in Bewegung setzte, und direkt auf den Angreifer zuhielt. Irgendwie hatte er das Gefühl er würde das noch bereuen.
 

Jeonghun näherte sich von hinten, aber irgendwie schien der Andere ihn zu bemerken, indem er auswich, so aber von seinem Opfer ablassen musste, dass sich aufrappelte und das Weite suchte. Womit Jeonghun nun allein mit diesem Typen auf dem Spielplatz war.
 

„Das darf doch nicht-“, stieß der Angreifer aus, unterbrach sich aber selbst, indem er sich zu Jeonghun umdrehte und ihn wütend an funkelte.

„Weißt du wie anstrengend war dieses Arschloch zu finden?“, knurrte der Kleinere.
 

Nein, wusste Jeonghun nicht, zumal er nicht mal wusste worum es überhaupt ging. Es war auch eher eine Kurzschlussreaktion gewesen sich einzumischen, anstatt wohlüberlegtes Handeln.

Aber das war nebensächlich, da er gerade etwas anderes realisiert hatte.

Sein Gegenüber war ungefähr zwei Köpfe kleiner als er, und auch dementsprechend zierlich. Im Schein der wenigen, und schlechten, Straßenlaternen, leuchtete sein Haar rot, und das war so ziemlich das auffälligste an ihm.

Die Frage die sich Jeonghun nun aber stellte war, wie es jemand mit dieser Statur und Körpergröße geschafft hatte einen Mann so zu Boden zu kriegen und zu verletzen, der vermutlich drei Köpfe größer und auch dementsprechend schwerer und kräftiger war.
 

Die Frage beantwortete sich schnell von alleine. Jeonghun konnte dem ersten Schlag ausweichen, und packte den Kleineren am Handgelenk, was diesen nicht zu stören schien, da er sich blitzschnell umdrehte und Jeonghun seinen Ellenbogen ins Gesicht rammte.

Ein unglaublicher Schmerz durchzuckte seinen rechten Wangenknochen, und er ließ den Anderen automatisch los, ehe er Hände an seinen Schultern fühlten, die ihn nach unten drückten, bevor sein Gesicht von einem Knie getroffen wurde, und er zu Boden ging.
 

Ohne eingebildet klingen zu wollen, aber er war weder schwach, noch schlecht darin Leute zu verprügeln, auch wenn das vermutlich nichts war worauf man stolz sein sollte. Aber die Leute hier in Ulsan waren entweder alle Mitglieder in diversen Kampfsportschulen oder gemeingefährlich. Vielleicht auch Beides.
 

Stöhnend rollte Jeonghun sich auf den Rücken und hielt sich die Nase, die, so hoffte er zumindest, nicht gebrochen war.

Er hörte Schritte neben sich und öffnete automatisch die Augen, in Erwartung jetzt ebenfalls einige Tritte abzubekommen, aber sein Angreifer beugte sich lediglich über ihn.

„Das kommt davon wenn man sich einmischt.“
 

Er hatte ja gewusst, dass er das bereuen würde. Das nächste mal würde er einfach auf sein Bauchgefühl hören, schwor sich Jeonghun, während er auf die Brust des Anderen starrte.

„Von wegen die 'Wolves' sind umgänglich.“, nuschelte er eher zu sich selbst, als zu seinem Angreifer, der dies aber offenbar gehört hatte, da sich seine Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln nach oben zogen.

„Wer hat das Gerücht denn in die Welt gesetzt? Schon mal zahme Wölfe gesehen?“, scherzte dieser, als er sich entfernte und den Spielplatz schlussendlich verließ.
 

Nein, aber hatte im Allgemeinen noch nie Wölfe gesehen. Allerdings hatte er auch noch nie eine kleine und zierliche Person, mit einer Stimme die so klar und unschuldig klang, Leute verprügeln sehen die viel größer und besser gebaut waren als er.
 


 

„Mein Gott, kann man dich aus dem Haus lassen, ohne das du in Schwierigkeiten gerätst?“

Jeonghun war irgendwann aufgestanden und zum Haus seiner Großmutter gelaufen, nachdem seine Nase aufgehört hatte zu bluten.

Zu seiner Überraschung war seine Großmutter über seinen Abgang überhaupt nicht wütend, sondern brachte ihm Verständnis dafür entgegen, dass Telefonate mit seiner Mutter nicht unbedingt zu seinem seelischen Gleichgewicht beitrugen.
 

„Das passiert irgendwie so.“, nuschelte er, während er sich ein feuchtes und kühles Tuch an die Nase hielt, und seine Großmutter seinen Wangenknochen untersuchte und das Blut daran vorsichtig abtupfte.

Im Groben hatte er ihr erzählt was gewesen war. Allerdings auch nur, weil sie nett zu ihm war und nicht versuchte Dinge aus ihm heraus zu pressen, über die er nicht reden wollte, oder ihn im Allgemeinen zum reden nötigte. Sie ließ ihn einfach. Wenn er reden wollte redete sie mit ihm, wollte er nicht reden, dann brachte sie Verständnis dafür auf. Ob er sich daran jemals würde gewöhnen können, wusste er nicht so recht.
 

„Na ja, es ist sehr lobenswert das du jemandem helfen wolltest.“

Vielleicht war das lobenswert, aber definitiv ein Fehler, und er wusste nicht einmal warum er sich eingemischt hatte. Es lag nicht in seiner Natur anderen Leuten zu helfen, zumal er noch nie in dieser Situation gewesen war.

„Und du sagst es war einer der 'Wolves'?“, harkte seine Großmutter nach, und Jeonghun gab einen bestätigenden Laut von sich, während er gleichzeitig zurück zuckte als der Kratzer an seinem Wangenknochen mit Jod behandelt wurde.

„Stell dich nicht so an. Du bist schon ein großer Junge und prügelst dich doch ständig.“, neckte sie ihn.
 

Ja, aber das tat nichts zur Sache. Er war noch nie jemandem begegnet, der sich so schnell und so präzise bewegt hatte, wie dieser Typ von den 'Wolves' vorhin.

Jeonghun kam es zudem so vor, als wären das keine Glückstreffer gewesen, sondern als wüsste dieser Typ ganz genau was er tat. Was nichts anderes hieß, als das der Typ es gewohnt war sich mit Leuten anzulegen, die ihm eigentlich rein körperlich überlegen waren.
 


 

Nachdem seine Großmutter ihn fertig verarztet hatte, war Jeonghun nach oben gegangen, hatte kurz geduscht und sich umgezogen, ehe er einfach ins Bett gefallen war.

Auf seinem Handy checkte er noch kurz Instagram, aber bis auf die Partyfotos von seinen Freunden, die er schon auf Facebook gesehen hatte, war nicht wirklich etwas neues dabei. Vermutlich half es auch nicht nur seinen Freunden zu folgen, aber das war ihm im Moment herzlichst egal.
 

Jeonghun schoss ein Selfie von sich und postete es mit der Unterschrift 'I had a nice day!'.

Vielleicht war er nicht unbedingt gut darin mit Leuten klar zu kommen, aber er war gut darin sein Leben auf Instagram zu dokumentieren, was im Endeffekt nichts anders hieß, als das sich dort Selfies von ihm tummelten, oder Fotos mit seinen Freunden auf irgendwelchen Partys.

Ab und zu postete er auch Fotos von Dingen, die ihm einfach so gefielen, wie zum Beispiel eine Hecke mit Schnee bedeckt, in dem Man die Silhouette eines Pandas ausmachen konnte. Manchmal postete er auch Bilder von irgendwelchen Sketches die er gezeichnet hatte, dass dann aber doch eher selten.
 

Jeonghun legte sein Handy auf den Nachttisch und schaltete das Licht aus, ehe er versuche herauszufinden, auf welcher Seite es sich am besten Schlafen ließ, bis er schlussendlich auf dem Rücken liegen blieb.
 

Sein letzter Gedanke bevor er einschlief war, dass der Typ recht hatte. Es gab keine zahmen Wölfe. Natürlich konnte man einen Wolf zähmen, genauso wie jedes andere wilde Tier, aber sie waren nun einmal wilde Tiere und auch gezähmt unberechenbar.



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