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Mord-Semester

Magister Magicae 3
von

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Hoher Besuch

Nikolai warf einen Blick auf das Schreiben in seiner Hand und verglich die Ortsangabe mit der Türbeschilderung vor seiner Nase. Bis zu seinem ominösen Termin hatte er zwar fast noch eine Viertelstunde Zeit, aber sei´s drum. Besser als wenn er zu spät gekommen wäre. Er studierte hier an der Universität für Höhere Magie in Moskau und der Dekan hatte ihn ganz förmlich zu sich bestellt. Mit Vorladung und allem drum und dran. Nikolai hatte kürzlich eine umfangreiche Hausarbeit über die Bedeutung der Gestaltwandlung in der Undercover-Ermittlung eingereicht, und wie man diese aufdeckte. Die Hausarbeit sollte eigentlich zum Vor-Diplom avancieren. Er wollte mit diesem Thema auf den Abschluss hin weiterarbeiten. Aber statt einer Bewertung hatte er eine Vorladung beim Leiter der Universität erhalten. Er hatte den blöden Verdacht, daß da ein Zusammenhang bestand. Ob er mit seiner Hausarbeit irgendjemandem auf die Füße getreten war?

Nikolai schaute nochmal abschätzend auf die Uhr, seufzte leise und klopfte einfach. Konferenzraum No. 3, das klang als würde ihn hier ein ganzes Tribunal erwarten. Als er augenblicklich hereingebeten wurde, fand er darin aber tatsächlich nur den Dekan in Gesellschaft eines älteren, wichtig aussehenden Herrn in Anzug und Krawatte, der gerade demonstrativ einige Unterlagen durchsah.

„Nikolai, komm rein. Du bist früh dran“, grüßte der Dekan freundlich und sah dabei zum Glück nicht böse oder ernst aus.

Ein Teil seiner Anspannung fiel von Nikolai ab. Es schien nicht, als würde ihm hier ein Drama drohen.

„Setz dich!“

Der Student nickte vorsichtig und suchte sich wortlos einen Sitzplatz aus. Schräg auf Ecke. Ganz hinten am anderen Ende des Konferenztisches zu sitzen, hätte sicherlich blöd ausgesehen.

„Das hier ist Hektor Gontscharow vom Büro für interne Millieu-Überwachung“, stellte der Dekan ihm den Mann an seiner Seite vor.

Nikolai hielt kurz den Atem an. Also doch. Die Kriminalbeauftragten. Und zwar nicht die Offiziellen, sondern die Geheimpolizei. Seine Hausarbeit hatte bis dort hin Kreise gezogen und das Interesse solcher Leute geweckt? Er hatte ja gewusst, daß denen kaum etwas entging, aber war das gut oder schlecht?

„Nikolai Grigorijewitsch“, begann der Fremde förmlich. Seine dunkle, volle Stimme klang dabei sehr autoritär. Was er hier zu sagen hatte, hatte nicht den Charakter einer Bitte oder unverbindlichen Information.

Nikolai nickte eingeschüchtert.

„21 Jahre alt, ja? Du studierst hier Gestaltwandlung?“

„Ja“, bestätigte der Student und strich sich seine langen, schwarzen Haare auf einer Seite hinter das Ohr. Es verunsicherte ihn, daß der Fremde ihn direkt so herabwürdigend mit 'du' ansprach, als wäre er ranghöher. „Im 5. Semester, Herr Gontscharow“, fügte er kleinlaut noch an.

„Und du hast gute Noten, wie ich sehe.“

Das war eine Feststellung, keine Frage. Trotzdem fühlte Nikolai sich genötigt, etwas dazu zu sagen. „Der Jahrgangsbeste bin ich zwar nicht, aber schon vorn dabei, ja.“

„Du interessierst dich für Verbrecher?“

Nikolais Blick irrte kurz suchend über die Tischplatte, als gäbe es da vorgefertigte Antworten für ihn abzulesen. „Ich ... ähm ... habe eine Abhandlung geschrieben, wie man Gestaltwandler enttarnt. Es war eine hypothetische Annahme, daß solche Gestaltwandler gern als Maulwürfe agieren, eben weil sie sich hinter ihrer Tarngestalt in Sicherheit fühlen. Es ging da eher um Spionage-Abwehr.“

„Findest du das gut?“

„Wie bitte?“, machte Nikolai nun endgültig überfordert und hilflos. Er war blockiert und hatte keine Ahnung, was der Mann meinte.

„Ich sag dir, worauf ich hinaus will. Du hast in deiner Hausarbeit ...“ Gontscharow hielt vielsagend das betreffende Werk hoch. „... die Motus erwähnt. Ich gehe also davon aus, daß dir geläufig ist, was die treiben. Dieses Verbrecher-Kartell ist massiv am expandieren und es fällt uns zunehmend schwer, all ihre Ausläufer im Auge zu behalten. Wir könnten jemanden gebrauchen, der sich innerhalb der Motus bewegt, als V-Mann aktiv ist und für uns alles im Blick behält. Einen Insider.“

„Sie meinen, da ich selber Gestaltwandler bin, wäre ich ein guter Kandidat dafür?“

„Das, und weil du offensichtlich weißt, wie man es anstellt, nicht aufzufliegen.“

Nikolai atmete überrumpelt durch und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken.

Der Dekan lächelte zuversichtlich. „Die russische Geheimpolizei nimmt niemals Bewerbungen von Freiwilligen an. Sie rekrutieren ihre Leute immer von sich aus. Als Leiter der Universität von Moskau ist es unter anderem meine Aufgabe, unter meinen Studenten nach möglichen Kandidaten Ausschau zu halten. Aufgefallen bist du mir schon länger, aber deine Hausarbeit war der letzte Anstoß. Ich darf dir versichern, daß du die besten Empfehlungen für einen Posten bei der Geheimpolizei hast.“

„Wird das meinem Studium im Weg stehen?“, wollte Nikolai wissen. „Mir ist eigentlich sehr daran gelegen, meinen Abschluss in die Tasche zu kriegen.“

„Es obliegt dir, das unter einen Hut zu bringen“, gab Gontscharow zurück. „Ausschließen muss es sich gegenseitig nicht. Aber es ist deine Sache, dir den Kontakt mit der Motus so einzurichten, daß du die Universität weiter besuchen kannst.“

„Okaaayyyyy~?“, erwiderte Nikolai gedehnt, weil er einfach zu überrumpelt war, um direkt antworten zu können. „Muss ich mich jetzt sofort entscheiden?“, hakte er wehleidig nach. Himmel, war er so einer Sache überhaupt gewachsen? „Ich meine, was bieten Sie mir denn im Gegenzug überhaupt?“

„Soweit ich informiert bin, bist du Vollwaise und hast kaum genug Geld, um dir das Studium leisten zu können. Ich denke, finanziell lässt sich da was machen.“

Der Junge verzichtete darauf, das zu korrigieren. Er war kein Waise im klassischen Sinne. Seine Eltern lebten ganz sicher noch irgendwo. Nur kannte er sie eben nicht. Trotzdem war das Angebot von Gontscharow nicht von der Hand zu weisen.

„Es versteht sich“, meinte der Geheimdienst-Vertreter, „daß von deiner V-Mann-Aktivität keiner was wissen darf. Wir setzen Verschwiegenheit voraus.“

„Natürlich.“

Kaum 20 Minuten später kam Nikolai aus derm Konferenzraum und musste sich draußen erstmal geplättet gegen die Wand stützen. Er hatte das Gefühl, daß ihm das alles viel zu schnell gegangen war. Und daß es auch so schnell weitergehen würde. Man hatte ihm kaum das Nötigste erklärt. Und übermorgen sollte er sich bereits mit jemandem treffen, der ihn in die Motus einschleusen würde. Verdammt wenig Zeit, um sich auf ein Verbrecher-Kartell diesen Kalibers oder ein Undercover-Agenten-Dasein vorzubereiten. Er hatte ja nun nicht unbedingt Erfahrung mit sowas, geschweige denn eine haltbare Geheimdienst-Ausbildung. Ihm kam das alles nicht sonderlich sicher und seriös vor. Aber er war dennoch gewillt, es drauf ankommen zu lassen, zur Not auch per Sprung ins kalte Wasser, wenn es eben nicht anders ging. Gegen Verbrecher vorzugehen, war bestimmt eine gerechte Sache.
 

Nadeschda warf am nächsten Tag im Lesesaal ihre Tasche neben Nikolai auf den Tisch und setzte sich. Sie grinste ihn breit an. Nikolai hatte das akute Bedürfnis, sich umzusetzen, aber er kam nicht mehr dazu, da auch der Dozent gerade herein schneite. Still zähneknirschend nahm er also die Gesellschaft der drahtigen, brünetten Dame mit den Nutten-Klamotten und der Tonne Make-Up im Gesicht hin.

„Hallo, Kolja. Hier ist doch noch frei, oder?“, grüßte Nadeschda.

„Gott, nenn mich nie wieder Kolja!“

„Wieso nicht? Anatolij nennt dich auch so.“

„Anatolij darf das. Er ist älter“, knurrte Nikolai. Er hasste es eigentlich, mit der Koseform seines Vornamens angesprochen zu werden. Anatolij war in der Tat der einzige, der das durfte, obwohl Kosenamen hier in Russland gang und gebe waren.

„Gewöhn dich dran. Bei der Motus wird dich jeder so nennen.“

Es dauerte einen Moment bis diese Aussage so richtig in Nikolais Bewusstsein vorgedrungen war. Er blinzelte irritiert und drehte ihre Worte noch ein paar Mal im Kopf hin und her, ob er sich vielleicht verhört hatte, oder ob sie wirklich Sinn ergaben. „Bitte was!?“, rückversicherte er sich dann.

Nadeschda lächelte wieder. Diesmal so aufrichtig und authentisch, wie Nikolai sie noch nie hatte lächeln sehen. Als sei alles, was er bisher von ihr gesehen hatte, nur Schein und Fassade gewesen. „Ich soll dich bei der Motus einschleusen.“

„Du arbeitest für die Geheimpolizei?“, raunte Nikolai fassungslos, aber so leise, daß es hoffentlich keiner mithörte.

„Nicht direkt. Ich kooperiere nur mit ihnen. Was glaubst du, warum ich mich die ganze Zeit so auffallend in deiner Nähe gehalten habe? Ich wollte rauskriegen, aus welchem Holz du geschnitzt bist und ob du das Zeug für einen Undercover-Agenten hast. Ich habe dich beobachtet. Anatolij interessiert mich herzlich wenig. Aber er war ein gutes Mittel zum Zweck, um an dich ranzukommen. Er konnte mir viel über dich erzählen, mir Zugang zu deinen Sachen verschaffen und mich in deine Nähe bringen.“

Nikolai schaute sie mit reichlich dummem Gesicht an und wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Das war unglaublich.

„Ich werde auch künftig deine Verbindungsperson zum Geheimdienst sein.“

„Lass uns nach der Vorlesung weiterreden“, entschied er kurzerhand, um das Thema vorläufig zu vertagen. Er kam sich furchtbar hintergangen vor, das musste er erstmal sacken lassen.

„Du musst nach der Vorlesung aber sofort auf Arbeit“, gab die junge Frau neunmalklug zurück, um gleich mal zu demonstrieren, wie gut sie über ihn im Bilde war.

„Dann komm halt mit, wenn´s nicht anders geht. Du kannst mir ja auf dem Weg dahin alles erzählen.“
 

„Nikolai, die Fischkonserven gehören ins linke Kühlfach, nicht ins mittlere!“

„Hm? ... Oh, entschuldige“, machte der Student erschrocken und sortierte das falsch eingeräumte Eisfach schnell wieder aus.

„Was ist denn heute los mit dir? Du arbeitest schon seit fast 2 Jahren in diesem Laden. Du müsstest doch langsam mal wissen, was wo steht“, legte Andrej tadelnd nach.

„Ich weiß nicht. Bin heute irgendwie nicht bei der Sache ...“

„Das merke ich. Du bist schon die ganze Zeit total in Gedanken“, erklärte sein Kollege und hielt vielsagend eine Kekspackung hoch, die er aus dem Suppenregal nahm. Ebenfalls falsch einsortiert.

„Wird Zeit, daß ich Feierabend habe“, nuschelte Nikolai.

„Ist alles okay bei dir?“

„Das ist nur eine Phase. Das klärt sich.“

„Prüfungsstress?“, vermutete Andrej.

Nikolai nickte lächelnd. „Ja“, log er. Diese Ausrede nahm er gern an. Er konnte seinem Kollegen ja schlecht sagen, daß gestern die Russische Geheimpolizei an ihn herangetreten war und er von jetzt an in Verbrecher-Kreisen verkehren würde.

„Komm, lass mich das machen und scher dich nach Hause. Mach Schluss für heute. Die letzte Stunde schaff ich alleine“, trug Andrej ihm auf und trieb ihn mit scheuchenden Handbewegungen von der Kühltruhe weg.

„Danke.“

Nachdem er sich umgezogen hatte und wieder in Alltagsklamotten steckte, entschied sich Nikolai, heute zu Fuß heim zu gehen. Eigentlich wollte er gar nicht nach Hause. Er fühlte sich dort nicht mehr sicher. Und er musste nachdenken. Sein Kumpel Anatolij, der ihm quasi seit 3 Jahren das Überleben sicherte und ein Dach über dem Kopf gewährte, der eine Kumpel, dem er so vorbehaltlos vertraut hatte, dieser Anatolij hatte ihn mörderisch verraten. Sicher, er konnte nicht viel dafür. Anatolij hatte ja nicht gewusst, daß Nadeschda ihn nur benutzen und im Namen der Geheimpolizei aushorchen wollte. Aber es änderte nichts an der Tatsache, daß die Geheimpolizei nun wirklich ALLES über ihn wusste. Vorwürfe hin oder her, Nikolai musste so schnell wie möglich dort ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen. Er fühlte sich bei Anatolij nicht mehr wohl. Nicht mehr in guter Gesellschaft. Er vertraute Anatolij nicht mehr. Wahrscheinlich würde er den Kontakt zu ihm komplett abbrechen. War vielleicht auch besser für Anatolij. Umso geringer war die Gefahr, daß der versehentlich in irgendeinen kriminellen Mist mit reingezogen wurde. Die Motus war nicht zu unterschätzen. Aber in erster Linie wollte Nikolai vermeiden, daß Anatolij der Geheimpolizei auch weiterhin alles mögliche erzählte. Gemein war, daß Nikolai ihn nichtmal darauf ansprechen und zur Rede stellen konnte. Er durfte ja seine Verbindung zur Geheimpolizei nicht offenlegen. Und er sollte besser auch nicht mitkriegen, daß Nikolai künftig bei der Motus verkehrte. Anatolij würde niemals erfahren, was er da eigentlich angerichtet hatte.

Und mit Nadeschda musste er sich erst anfreunden. Auch ganz unabhängig davon, daß sie ihn so dreist ausspioniert hatte und ihm deshalb nicht gerade vertrauenerweckend im Bewusstsein blieb, fand er sie unsympathisch. Es fiel ihm schwer, sich damit abzufinden, daß von so jemandem am Ende vielleicht sein Leben abhing. Sie war sein Kontakt zum Geheimdienst und damit der entscheidende Einflussfaktor auf alles, was ihm in der Motus passieren oder nicht passieren konnte. Sie musste ihn decken, sie musste für ihn Hilfe anfordern, sie hatte in der Hand, welche Ergebnisse und Berichte sie in welcher Form an den Geheimdienst weiterleiten wollte. Sie war augenscheinlich diejenige, die ihn jederzeit abschießen und sich selbst überlassen konnte. Wenigstens hatte er im Gegenzug nun auch ein bisschen was über sie erfahren. Bisher hatte er ja nicht gerade viel über Nadeschda gewusst, außer, daß sie Bann-Magie an der Universität in Moskau studierte. Natürlich tat sie das nicht wirklich. Das war nur eine Tarn-Identität. Sie war eine Zentaurin, arbeitete bei der Motus als Bann-Magierin und belegte die neuen Sklaven mit Bannzaubern, damit sie nicht rebellierten. Dadurch bekam sie mit, auf welche Arten von Genii die Motus Jagd machte und wohin diese verschleppt wurden. Sie hatte bisher Sklavenhandel zwischen Russland und drei Ländern Mitteleuropas mitverfolgt. Und dort würde auch Nikolai mit einsteigen: beim Sklaventransport. Das war der einfachste Weg, ihn in die Motus einzuschleusen. Er musste sich vom kleinen Handlanger hocharbeiten. Das war ihm auch Recht.

Die Motus selber war übrigens ein echt boshafter, gewissenloser Haufen. Es gab auf dieser Welt Wesen, die den Menschen schadeten oder sie gar töteten. Manche Kreaturen fraßen Menschen oder zerstörten ihre Häuser und Scheunen, einfach weil es in ihrer Natur lag. Die Motus hatte es sich zur Aufgabe gemacht, gegen solche mörderischen Genii vorzugehen. Angefangen hatte alles mit einer harmlosen Bauern-Inititative, die ihre Schafherden vor Trollen schützen wollten, die aus den alten, germanischen Gegenden zunehmend nach Russland vordrangen. Es ging dabei um Warnsysteme und eine sichere Befestigung der Weiden, mehr nicht. Ein gewisser Vladislav Michailowitsch Jegotow, der heutige Chef der Motus, hatte sich diese lokale Gruppierung zu Nutze gemacht, um ein viel weitreichenderes Konstrukt zu gründen. Die Liste der Wesen, gegen die man vorgehen wollte, war rasch länger geworden, die Methoden rasch brutaler, das Einzugsgebiet rasch größer. Die Motus agierte inzwischen in ganz Russland, hatte gewaltige Geld- und Waffenressourcen und so viele Mitglieder, daß sie hierarchisch strukturiert werden musste. Auch internationale Aktivitäten konnte man ihnen bereits nachweisen, auch wenn man noch nicht wusste, wie weit die wirklich reichten. Genau darum war auch noch niemand gegen die Motus vorgegangen: man wusste einfach zu wenig über sie. Keiner kannte die gesamte Organisation. Wenn man zu früh eingriff, legte man vielleicht nur eine kleine Abteilung lahm, verlor dafür aber dutzende anderer unwiederbringlich aus den Augen, die davon aufgeschreckt und gewarnt wurden und sich wer weiß wohin zurückzogen, um von wo anders aus die Arbeit fortzusetzen. Man hatte bisher noch keine Idee, wie man die Motus wirksam ausschalten sollte, ohne daß die auseinander stoben wie die Kakerlaken, wenn das Licht anging. Und natürlich war 'Vladislav Jegotow' nur ein Deckname. Man müsste erstmal rausfinden, wer der Mann wirklich war.
 

Inzwischen war Nikolai zu Hause angekommen. Anatolijs Wohnung, in der er mietfrei mitwohnen durfte. Er hatte einen ganzen Haufen Probleme hin und her gewälzt, aber keines gelöst. Lösungen waren nie einfach. Mit gemischten Gefühlen schob er jetzt den Schlüssel ins Schloss und trat ein.

Sofort streckte Anatolij seinen Kopf und einen Kochlöffel aus der Küche heraus. Er war wohl gerade dabei, das Abendbrot zu machen. „Hey, Kolja, du bist aber spät dran. Hast du wieder länger gearbeitet?“

„Nein, ich bin ... Ich habe noch einen Umweg gemacht“, redete er sich heraus und stellte seine große Umhängetasche in den Flur.

„Das Essen ist schon lange fertig. Komm, lass uns essen, bevor es ganz kalt ist. Ich konnte es nicht mehr auf dem Herd stehen lassen, da wäre es zerkocht.“

Nikolai nickte nur wortlos und kam der Aufforderung nach.

„Alles in Ordnung?“, hakte Anatolij skeptisch nach. So wortkarg kannte er seinen Mitbewohner gar nicht.

„War bloß ein langer Tag.“ Nikolai setzte sich an den Esstisch und ließ sich überraschen, was Anatolij ihm auftafelte. Wenn er schon zum Essen eingeladen wurde, war er nicht wählerisch. Dabei verschränkte er distanziert die Arme vor der Brust.

Anatolij stellte ihm den Teller mit Bratkartoffeln vor die Nase, setzte sich mit seinem eigenen Teller gegenüber und strich sich die blonden, ohnehin schon zurückgegeelten Haare nochmal extra glatt. Dabei musterte er den jüngeren Studenten die ganze Zeit aufmerksam. „Ist wirklich alles okay bei dir?“

Nikolai zog ein etwas griesgrämiges Gesicht. Er musste sich abgewöhnen, so durchschaubar zu sein, wenn er es als Undercover-Agent zu was bringen wollte. Aber Anatolij kannte ihn wohl einfach schon zu lange und zu gut. „Hör zu ...“, begann er ernst und hörte auf, nach diplomatischen Floskeln zu suchen. „Ich werde ausziehen. Ich such mir eine eigene Wohnung“, brachte er es einfach gnadenlos auf den Punkt. Dann griff er nach der Gabel und spickte ein paar Kartoffeln auf.

„Wieso das denn? Und wovon willst du das bezahlen?“

„Ich habe eine Arbeit angeboten bekommen, mit der ich mir eine eigene Wohnung leisten kann. Dann muss ich dir nicht mehr auf der Tasche liegen.“

„Naja ...“, machte Anatolij überrumpelt. „Dann beteilige dich doch an meiner Miete, wenn du unbedingt willst. Deshalb musst du doch nicht ausziehen.“

„Ich habe es satt, auf deinem Sofa zu schlafen. Ich will ein eigenes Schlafzimmer und ein Bett haben.“

Anatolij kniff argwöhnisch die Augen zusammen. Das klang zwar plausibel, aber irgendwie sehr kühl. „Um´s Geld geht es hier wohl nicht, soviel ist sicher“, mutmaßte er.

Nikolai zwang sich zu einem Lächeln. „Es liegt nicht an dir. Wir bleiben trotzdem Freunde, in Ordnung?“ Das war eine Lüge. Aber Nikolai konnte ihm ja schwerlich ins Gesicht sagen, daß er sich von ihm verraten und verkauft fühlte und ihm nicht mehr vertraute.

„Ist es wegen Nadeschda?“, bohrte Anatolij weiter. „Du störst dich daran, daß du uns unsere Intimsphäre lassen musst, oder? Du willst nicht mehr den ganzen Abend aus bleiben, damit wir zwei ungestört sind.“

„Meinetwegen auch das“, grummelte Nikolai und widmete sich dem Essen.

„Du würdest mir doch sagen, wenn irgendwas wäre, ja?“

„Sicher.“



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