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Von der Kunst, richtig zu sein

von

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Kapitel 66

    "Was ist los, Shinji?"

    Nate wirkte nicht wirklich sauer, aber seine Stimme klang energisch. Er wollte eine Antwort darauf, für einen Moment wusste Shinji nur nicht, ob er ihm die wirklich geben wollte.

    "Lass mich", zischte er deshalb und drückte sich von Nate weg, um sich anzuziehen. Er wollte nicht reden. Er konnte ja doch nichts machen. Alles was er sagte, würde Nate nur weiter von ihm treiben.

    Er ging zurück ins Bad und zog sich an. Er wusste nicht wohin mit sich. Er konnte nicht weg, aber er konnte auch nicht bleiben. Es zerriss ihn innerlich. Aber er konnte nichts tun. Er war komplett machtlos.

    Nate stand noch immer im Türrahmen, als er wieder aussah. Durch den Schleier seiner Tränen wirkte sein Freund sehr verschwommen.

    "Wenn du mir jetzt nicht sagst, was los ist…"

    Konnte Nate sich das denn nicht denken?!

    "Ich mache mir Sorgen um dich, Shinji. Du musst mit mir reden."

    Als die ersten Tränen aus seinen Augen traten, war Nate da, um sie aufzufangen.

    "Bitte sag mir, was los ist."

    "Ich kann nicht!", stieß er gepresst und gequält aus. Alles was er sagte, würde Nate von ihm treiben. Das einzige was er wirklich tun konnte, war ihn in sein Verderben rennen zu lassen.

    Er hätte sich gerne an Nate gelehnt, hätte sich gerne ins Ohr flüstern lassen, dass alles gut werden würde. Gleichzeitig ertrug er diese Lüge aber nicht. Es gab kein Happy End für ihn. Es war wahrscheinlich nie eines für ihn vorgesehen gewesen.

    "Es ist mir scheiß egal, wie lange es braucht, bis du mir sagst, was los ist."

    Beinahe hätte Shinji dazu trocken aufgelacht. Es waren doch maximal noch ein paar Wochen, die er aussitzen musste.

    "Aber friss deine Probleme nicht ständig in dich rein und lass mich verdammt noch mal daran teilhaben. Ich bin dein bester Freund. Ich bin dein Partner. Ich will wissen, was in dir vorgeht."

    Doch statt nachzugeben, versuchte er wieder auf Abstand zu gehen: "Lass mich doch einfach! Es nutzt doch sowieso nichts, wenn…" …du bald nicht mehr da bist.

    Nein!

    Er presste sich die Handballen auf die Augen und versuchte sich zur Ruhe zu zwingen. Er konnte Nate keinen Vorwurf machen. Nate würde bleiben, wenn er ihn nur lange genug bearbeitete und er würde es ihm niemals verzeihen. Er musste sich beruhigen, oder abhauen, aber Nate anzuschreien war keine Option.

    "Wenn, was?", presste Nate dennoch weiter.

    Und dann wurde es plötzlich ganz still um sie beide. So still, dass es Shinji förmlich in den Ohren weh tat.

    Als er die Hände sinken ließ, spürte er eine Hand, die sich sanft auf seinen Schopf legte.

    "Ich habe mich schon gefragt, wann du deshalb rebellierst."

    Nate hatte begriffen.

    "Ich rebelliere nicht!", zischte er sofort zurück und wusste gleichzeitig, dass es zwecklos war. Nate ließ sich trotzdem nicht mehr aus der Ruhe bringen:

    "Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich keinen Einsatz mehr mitmachen würde. Aber ich muss zurück. Ein letztes Mal. Ich muss einen Schlussstrich ziehen, verstehst du? Ich kann es so nicht enden lassen. Das bin ich meinen Kameraden schuldig."

    "Ich weiß doch!", stieß er wütend und verzweifelt und vollkommen am Ende aus. Er wusste, warum Nate das tat, weshalb er nicht einmal sauer sein konnte. Nicht wirklich. Er verstand es. Empathie war scheiße.

    "Shinji. Es wird das letzte Mal sein. Danach ziehen wir in die neue Wohnung und ich such mir einen neuen Job. Nur bitte… warte auf mich, okay?"

    "Natürlich wird es das letzte Mal sein", schluchzte Shinji verzweifelt. Natürlich würde es das… denn Nate würde nicht wieder kommen.

    Als er die Hände wieder zu seinem Gesicht heben wollte, bemerkte er, dass Nate sie festhielt. So fest, als hätte er Angst, er würde ihm weglaufen.

    "Willst du, dass ich bleibe?"

    "Ich will nicht darüber reden!", spie er als Antwort. Was dachte Nate denn, was er auf diese Frage sonst antworten würde? 'Nein'? 'Geh ruhig, und lass dich umbringen, ist mir egal'? Diese Frage war nicht fair!

    "Shinji, ich verstehe es, wenn du glaubst, dass ich dir nicht fair gegenüber bin. Ich bin ein Idiot, dass ich dir dieses Versprechen überhaupt gegeben habe. Trotzdem… du weißt, wie ich darüber denke. Du weißt, wie ich ticke. Besser als jeder andere. Aber das Schlimmste das mir passieren könnte, wäre dich zu verlieren. Wenn du mir also sagst, dass ich bleiben soll, dann bleibe ich."

    Der Griff um seine Hände wurde fester. Er konnte Nates Zerissenheit spüren. Aber er spürte auch, dass er es ernst meinte.

    "Was denkst du denn, was ich sagen werde? Denkst du ernsthaft, ich verlange von dir, dass du bleibst? Soll ich dich damit erpressen, dass ich verschwinde, wenn du gehst? Für was hältst du mich!? Ich will nicht darüber reden! Ich will nicht anfangen dir Dinge zu sagen, die du nichts verdienst! Es ist mein Problem! Was willst du schon tun? Was erwratest du? Dass ich den verdammten Trugschluss nochmal fresse, um dann noch tiefer zu fallen, wenn wieder alles in Scherben liegt? Das kannst du nicht von mir verlangen!"

    "Verdammt noch mal, wann hörst du endlich damit auf, es immer als dein Problem zu sehen!?", grollte Nate als Antwort. "Es betrifft mich genauso wie dich! Du musst uns endlich als Team akzeptieren."

    "Wo ist denn da noch ein Team, wenn du nicht mehr da bist!?"

    Nate hatte ihm versprochen, er würde ihn nicht mehr alleine lassen. Er hatte es versprochen und ihm versichert, dass er es ernst meinte. Shinji hatte ihm geglaubt…

    Nate trat von ihm zurück. Für einen Augenblick war es wieder still zwischen ihnen. Als Nate wieder sprach, war seine Stimme ruhiger:

    "Ich habe nicht vor, drüben zu sterben. Ich komme auf jeden Fall zu dir zurück. Und weißt du, warum ich so sicher bin? Weil ich uns auch noch im hohen Alter zusammen sehe. Du warst von Anfang an mein Ziel. Ich werde immer zu dir zurück kommen. Shinji… warum glaubst du nicht daran?"

    "Weil du es mir nicht versichern kannst!", schluchzte er verzweifelt. "Du hast auch das letzte Mal gesagt, dass alles gut wird."

    Er drückte sich an Nate vorbei und ging zurück ins Zimmer. "Ich will nicht darüber reden", sagte er noch einmal. "Hättest du mich einfach in Ruhe gelassen, wärst du jetzt nicht sauer."

    Er klang wie ein trotziges Kind, das war ihm klar. Er wollte sich ja beruhigen, aber alles was er empfand, war Verzweiflung.

    Er legte sich aufs Bett und rollte sich dort zusammen. Er hörte wie Nate ebenfalls ins Zimmer kam. Auf der anderen Seite senkte sich die Matratze wieder, aber Nate legte sich nicht dazu.

    

    "Es tut mir leid." Shinji wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, in der sie sich einfach nur angeschwiegen hatten. "Ich wollte dir das nicht sagen. Das ist nicht fair. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich weiß, dass du das brauchst. Ich würde niemals aus deinem Leben verschwinden. Ich habe nur Angst… ich habe Angst, dass du nicht wieder kommst."

    Die Matratze bewegte sich und schon im nächsten Moment wurde er an einen warmen Körper gezogen. "Ich bin beim letzten Mal aber auch zu dir zurückgekommen, oder etwa nicht? Mein Platz wird immer an deiner Seite sein."

    Er konnte nicht mehr. Er gab auf. Es war zu viel. Er rollte sich herum, krallte sich an Nates Brust und begann hemmungslos zu heulen. Er sagte kein Wort mehr, trieb nur all die Verzweiflung und die Wut aus sich selbst, die Welt und Nate aus sich heraus.

    Seine ganze Zukunft färbte sich rabenschwarz. Es fühlte sich an, als würde Nate weg gehen, um nicht wieder zu kommen. Als wäre das ein Abschied für immer.

    Er sah sich schon an seinem Grab stehen, weit außerhalb, damit ihn niemand sah und ihn niemand fragen konnte, wie sie zueinander gestanden hatten. Er sah das Militärbegräbnis vor sich, sah Lily und Hana, die bitterlich weinten und er sah sich, der von der Dunkelheit langsam verschlungen wurde.

    Er würde das nicht ertragen, er könnte nicht zurück in sein altes Leben. Er konnte nicht von neu anfangen. Nicht schon wieder.

    Er wollte das nicht sehen… er wollte den Entschluss nicht fassen, den er unweigerlich fassen würde. Niemand konnte von ihm verlangen, dieses Leben weiter zu leben… dieses Leben das nie eines gewesen war. Es war immer nur ein Funktionieren gewesen, ein aufbegehren gegen die Welt, weil er sie nicht hatte gewinnen lassen wollen. Weil er allen hatte zeigen wollen, dass er trotz allem weiter kämpfte, dass er zwar immer weiter abwärts, aber doch auch immer weiter vorwärts ging. Niemand konnte verlangen, dass er wieder dorthin zurückkehrte. Es würde auch niemanden interessieren, ob er das tot oder nicht. Lily und Hana würde er sagen, dass er umzog, weil er es nicht mehr ertrug und dann würden sie einfach nichts mehr von ihm hören. Keiner würde das. Niemand konnte verlangen, dass er weiter kämpfte, wenn es doch keinen Sinn mehr hatte.

    

    "Hey, Shinji? Kannst du dich daran erinnern, als ich dir sagte, ich würde dich vom Fleck weg heiraten?"

    Nates sanfte Stimme drang nur langsam durch die Schwärze seiner Gedanken.

    "Ich würde es noch immer sofort machen, wenn ich könnte. Mich in meinen besten Freund zu verlieben, war das Beste, das mir je passieren konnte. Und wer hat schon so viel Glück, dass der andere die Gefühle erwidert? Wer hat schon so viel Glück, sich nach all den Jahren durch Zufall wieder zu begegnen? Und die Gefühle sogar die Zeit überdauern? Wer hat schon das Glück, trotz aller Widrigkeiten wieder zusammen zu finden? Du denkst vielleicht, dass wir von einer Katastrophe in die nächste schlittern, aber ich sehe das anders. Ich sehe, dass wir von Anfang an füreinander bestimmt waren. Du hattest gar keine andere Wahl, als dich auf mich einzulassen. Es ist dein Schicksal, mit mir alt zu werden. Und ja… mit alt meine ich so alt, dass die dritten Zähne in einem Glas auf dem Nachttisch schwimmen."

    Er glaubte nicht an Schicksal. Er glaubte auch nicht an Bestimmung und so schön Nates Grundvertrauen auch war, das alles nutzte ihm nichts, wenn ihn drüben eine Kugel traf oder sie über eine Miene fuhren. Das brachte doch alles nichts.

    "Warte bitte auf mich, Shinji. Warte auf mich, okay?"

    Shinji krampfte die Finger erneut um den Stoff von Nates Oberteil und hielt ihn fest.

    "Wenn du es wagst nicht wieder zu kommen, geh ich dich suchen und bringe dich eigenhändig noch mal um.", knurrte er drohend. "Und wenn du auch nur mit einem gekrümmten Haar nach Hause kommst, mache ich dir die Hölle heiß!"

    Gegen diese harschen Worte sprach sein Körper, der sich weiter an den anderen presste und sich in dessen Armen vergrub.

    "Ein scheiß falscher Schritt da drübern und ich werde dir niemals verzeihen. Also sieh gefälligst zu, dass alles glatt läuft. Und wenn du den Wichsern da drüben nicht so gehörig in den Arsch trittst, dass die Welt die nächsten zweihundert Jahre nicht mehr von ihnen hört, dann brauchst du gar nicht erst wieder zu kommen! Wag es bloß nicht, da drüben irgendwas halbherziges zu machen und dann auf die Idee zu kommen, noch einmal rüber zu müssen!"

    Nate war für einen kurzen Augenblick vollkommen baff, umschloss Shinjis Körper aber dann fast vollkommen mit seinem und drückte seine Nase sanft in Shinjis Schopf.

    "Alles klar."

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch allen schöne Festtage.

Morgen gibt es noch den Epilog und eine kleine Überraschung ;)



Bleibt gesund und weg von zu vielen Verwandten! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2020-12-25T10:20:51+00:00 25.12.2020 11:20
WIeder werden sie auseinader gerissen, die beiden tun mir wirklich schon leid.
Bleibt zu hoffen das Nate dieses mal wirklich gesund zurückkommt.
Frohe Weihnachten, bleib gesund komm gut ins neue Jahr.
Weiter so, freue mich auf das Ende.

LG
Onlyknow3


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