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Crystal Eyes

reloaded
von

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Ein nervtötendes Piepen erklang. Adam stöhnte. Der Wecker. Sechs Uhr morgens. Er hasste dieses Geräusch.
 

Mit einem genervten Laut drehte er sich noch einmal um, wickelte die Decke enger um sich und kuschelte sich etwas tiefer in die Kissen.
 

Moment.
 

Irgendwas war hier falsch. Das Bett hatte viel zu viel Platz für ihn. Da war kein anderer Atem, keine andere Haut an seiner Haut. Kein...
 

Leon!!!
 

Leon???
 

Mit einem Ruck fuhr er hoch und sah sich im Zimmer um. Das Tablett, das er am vorherigen Abend nach oben gebracht hatte, fehlte samt der Tassen und dem Keksteller, aber er war nackt und am Boden lag seine gestrige Kleidung verstreut. Er konnte das unmöglich geträumt haben. Hatte Leon sich ernsthaft mitten in der Nacht davon geschlichen?
 

Hastig zog er sich ein paar frische Sachen an, strubbelte sich einmal durchs Haar und verließ sein Zimmer. Ihm stieg der Duft von frischgekochtem Kaffee in die Nase. Das Radio in der Küche spielte leise einen Popsong, gemischt mit dem Gemurmel einer Unterhaltung. Seine Eltern waren wach. Seine Eltern und...
 

Sein Magen verkrampfte sich, als er langsam die Treppe hinunter lief und in die Küche lugte. Bei dem Anblick, der sich im bot, musste er ein hysterisches Lachen unterdrücken. Leon stand an ihrem Herd, neben sich eine Tasse mit Kaffee, auf der das kitschige „Ohne Dich ist alles doof“-Schaf prangte, und wendete gerade ein Spiegelei. Seine Haare hatte er locker nach hinten gebunden, seine Hemdsärmel hochgekrempelt, und den Kopf leicht zur Seite geneigt. Er war vertieft in ein Gespräch mit Adams Mutter, die neben ihm an die Arbeitsplatte gelehnt stand. Ihr langes, krauses Haar war wirr wie immer, und sie trug ein altes Holzfällerhemd von seinem Vater, mindestens drei Nummern zu groß und ein paar Mal zu oft gewaschen und getragen. Die alten Jeans wiesen zahlreiche Löcher auf, und ihre Füße zierten ihre Hausschuhe in Tigertatzenform, wirkte ansonsten aber wie das sprudelnde Leben selbst und lachte immer wieder leise auf. Adams Vater hingegen saß bereits am alten, abgenutzen Küchentisch, fertig angezogen für die Arbeit, aber noch nicht ganz wach. Er machte einen etwas verwirrten Eindruck, nicht ganz er selbst, wie immer um diese Uhrzeit – vermutlich trug Leons Anwesenheit noch ihr übriges zu diesem Zustand bei –, und blätterte in der Morgenzeitung, während er aus einer Tasse Kaffee trank, auf der „Der beste Papa der Welt“ stand. Ein Geschenk, dass Adam ihm irgendwann in der Grundschule gemacht hatte, und das immer noch in regem Gebrauch war.
 

Adam schluckte. Gut, er hatte nicht gedacht, dass er Leon heimlich, still und leise aus dem Haus befördern konnte, aber... er machte Spiegeleier in ihrer Küche, unterhielt sich blendend mit seiner Mutter und hatte bestimmt auch das ein oder andere Wort mit seinem Vater gewechselt. Irgendwie hatte er sich die Einführung in die Familie etwas anders vorgestellt.
 

„Ehm...“
 

Alle drei wendeten sich ihm zu.
 

„Adam! Du bist wach!“
 

Seine Mutter stürzte auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf die Schläfe, während Leon sein Lächeln hinter einem Schluck aus seiner Tasse versteckte.
 

„Jaaaa.... hab ich was verpasst?“
 

„Verpasst? Nein, warum? Wir haben wohl eher was verpasst...“ Sie grinste, ein Grinsen, das besagte, dass es noch ein pädagogisch wertvolles Folgegespräch geben würde. „Mich hat ein wunderbarer Kaffeeduft geweckt... Leon ist ja der perfekte Gast! Und Spiegeleier machen kann er auch! Und kochen übrigens auch.. du hättest ihn ruhig früher herbringen können.“
 

„Ähm...“
 

Er tauschte mit seinem Vater einen verwirrten Blick aus, der nur hilflos mit seinen Schultern zuckte. Sein Vater hatte sich wohl gottergeben der Situation gebeugt, wobei er offensichtlich überfordert war. Da stand er morgens nichts ahnend auf und fand sich plötzlich einem wunderschön anzusehenden Pfau in seiner Küche gegenüber. Ein Pfau im Hühnerstall, der Kaffee kochte und Spiegeleier briet.
 

„Geh und mach dich ansehnlich! Frühstück ist gleich fertig... du hast dir noch nicht mal das Gesicht gewaschen, oder? Los, los!“ Sie schob ihn aus der Küche und flüsterte dann leise: „Leon ist ja ein Schnuckel. Der ist ja nicht nur chic anzusehen, der kann auch was! Den behalten wir, nicht wahr?“ Mit einem Grinsen gab sie ihm noch einen Stupser, drehte sich dann wieder um und gesellte sich zu den beiden Männern.
 

Für einen Moment blieb Adam verdattert im Flur stehen. Das war zu viel auf einmal. Der ganze gestrige Abend, die Nacht, der Morgen. Sein Herz flatterte. Das war zu viel des Guten. Gab es nicht so was wie Karma? Oder das Gesetz des Universums? Auf zu viel Positives musste was Negatives folgen? War es nicht die letzten Wochen dauernd so gewesen? Er schluckte und tapste ins Bad, machte sich frisch, und blieb dann an der Spüle stehen und starrte in den Spiegel. Seine Haut war ein wenig fahl, unter seinen Augen zeichneten sich Augenringe ab. Wie lange hatte er geschlafen? Drei, vier Stunden? Wie lange hatte er die letzten Nächte geschlafen? Vermutlich noch weniger.
 

Konnte es so einfach sein?
 

Sie waren zusammen, und seine Mutter hatte Leon wohl schon als Lieblingsschwiegersohn auserkoren.
 

Leon und Adam. Adam und Leon.
 

Am liebsten hätte er etwas unfassbar Kitschiges und Nerviges gemacht. Auf Facebook den Single-Status ändern und im Newsfeed der ganzen Welt verkünden, wie verdammt verliebt und glücklich und happy und überhaupt er war. Oder den gestrigen Tag mit fettem Rotstift und mit Millionen kleiner Herzchen umrahmen. Dumm nur, dass er weder einen Facebook-Account noch einen Kalender hatte.
 

Er wusste, dass es nicht so einfach war. Dass es noch Tausend offene Fragen gab, Tausend Fragezeichen, blinde Flecken, unausgesprochene Worte. Tausend Abers und Wenns und Jedochs.
 

Jetzt wollte er aber nur glücklich sein. So glücklich wie ein bis über beide Ohren verliebter Jugendlicher zu sein hatte.
 

Etwas wacher und beschwingter kehrte er in die Küche zurück. Sie hatten sich inzwischen alle an den Tisch gesetzt, in der Mitte die Pfanne mit den Spiegeleiern, zusätzlich zum restlichen Frühstückskram wie Brot, Butter und verschiedener Aufschnitt. An seinem Platz dampfte bereits heiße Schokolade in einer Tasse. An seinem Platz direkt neben Leon.
 

„Das ging ja schnell! Los, setz dich, ich hab Hunger!“ Seine Mutter legte ihm ein Ei auf den Teller und schüttete sich Kaffee nach.
 

Für einen Augenblick stockte er. Eigentlich hatten Leon und er sich noch gar nicht richtig begrüßt, da ihn seine Mutter direkt überfallen hatte. Wie sollten sie das machen, vor seinen Eltern? Mit einem Kuss? Eher nicht. Er glitt auf seinen Stuhl und starrte für einen Moment auf seinen Teller, als er an seinem Knie einen Stupser spürte. Ein Stupser von Knie zu Knie. Er sah auf, sah Leons Lächeln, milde, müde, aber zufrieden.
 

„Guten Morgen...“
 

Sein Herz setzte für einen Moment aus.
 

„Guten Morgen!“
 

Mit einem verlegenen Grinsen nahm er einen Schluck von seiner Schokolade. Er entspannte sich, während er dem Gespräch von seiner Mutter und Leon zuhörte. Sie diskutierten irgendeine Nachricht aus der Zeitung. Ab und zu warf sein Vater einen Kommentar ein, blätterte die meiste Zeit jedoch schweigend in seiner Lektüre. Ein harmonisches Frühstück. Der beste Beginn für diesen Tag. Für jeden Tag.
 

Konnte es so einfach sein?
 

Kurze Zeit später verließen sie gemeinsam das Haus. Leons Heimweg führte an Adams Schule vorbei, weswegen Adam vehement ablehnte, als seine Mutter anbot, sie beide zu fahren. Er wollte wenigstens noch ein bisschen Zweisamkeit genießen.
 

Sie schwiegen. Während Leon seine erste Zigarette rauchte, hatte Adam seine Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Wie benahm man sich als frisches Paar? Nein, wie benahm man sich als frisches Paar, wovon der eine Teil jemand wie Leon war? Konnte er einfach seine Hand nehmen? Händchen halten, eine Guten Morgen- und Gute Nacht-Nachricht schicken? Einfach eine Nachricht schreiben, ohne wirklichen Sinn... nur „Ich vermiss dich“ oder „Ich will dich sehen“ oder „Es war ein schöner Tag“? Eher nicht.
 

„Deine Eltern sind nett.“
 

Leons leise Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
 

„Mhm.“ Adam lachte auf. „Ich war etwas... überrascht, dich da unten zu sehen. Oder, eher, milde geschockt. Ich muss mir später bestimmt noch einiges von ihnen anhören.“
 

„Entschuldige.“ Leon zuckte mit den Schultern. „Ich bin Frühaufsteher. Und ich hab einen Kaffee gebraucht. Und du wirktest nicht, als ob du aufwachen willst.“
 

Adam gähnte. „Zumindest nicht vor um sechs Uhr morgens. Und danach eigentlich auch nicht...“
 

Leon lachte leise, hielt dann aber nachdenklich inne. „Kommst du morgen eigentlich?“
 

„Morgen?“
 

„Donnerstag. Unser Termin, den du ausgesetzt hast?“
 

„Ah!“ Natürlich. Trotz allem war er ja immer noch Leons Modell. „Ja.“ Er grinste. „Ja, jetzt spricht nichts mehr dagegen. Ich komme.“
 

Der Künstler lächelte spitzbübisch. „Muss ich dich dann eigentlich weiterhin bezahlen? Immerhin sind wir ja jetzt... zusammen.“
 

Adam gluckte belustigt. Klar, der arme Künstler musste natürlich an seinem Modell sparen. Sonst konnte er es sich ja unter gar keinen Umständen leisten. Er lehnte seinen Kopf etwas nach hinten und sah Leon von unten her an.
 

„Natürlich. Meine Arbeit muss doch entlohnt werden.“ Er tippte sich nachdenklich an die Unterlippe. „Aber wir könnten über die Art der Bezahlung sprechen. Heiße Schokolade nehm ich auch. Und Küsse. Und Streicheleinheiten. Und gemeinsame Nächte.“
 

Ein leises, raues Lachen. „Ich denke, das kann ich mir noch leisten.“
 

Lächelnd trat er einen Schritt näher an Leons Seite und lehnte sich gegen seine Schulter. „Bekomm ich eine Anzahlung?“
 

Ein belustigtes Funkeln trat in die rauchgrauen Augen, als Leon sich über ihn beugte, sanft seinen Kopf nach hinten neigte und ihn küsste. Ihre kalten Lippen berührten sich zärtlich. Nicht fordernd, nicht wild, wie in der Nacht. Zärtlich, ein Hauch, eine flüchtige Berührung. Unendlich süß.
 

Er hörte ein Summen, ein Tuscheln um ihn herum. Sie waren nicht mehr weit von seiner Schule entfernt, und die Straße war entsprechend um diese Uhrzeit voller Schüler. Natürlich war das Bild von zwei sich küssenden Männern ein gefundenes Fressen für die Klatschtanten und alle anderen, die mehr als nötig neugierig waren. Aber das war ihm egal. Das war ihm so so so egal.
 

Sie lösten sich voneinander, und wie selbstverständlich nahm Leon seine Hand, verschränkte seine Finger mit Adams. Falls er die Blicke der Passanten bemerkte, das leise Wispern, das sie umgab, dann störte es ihn nicht. Aber es war auch Leon. Adam lachte innerlich auf. Er brauchte nur irgendwo aufzutauchen und herumzustehen, und würde schon die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Neugierige oder kritische Blicke, Getuschel und Gewisper war er wohl mehr als gewohnt.
 

Vor dem Schultor blieben sie stehen. Erst jetzt bemerkte Adam so richtig, wie unglücklich seine Idee gewesen war, zusammen mit Leon hierher zu kommen. Alle, wirklich alle starrten. Die Menge teilte sich um sie, aber er spürte jeden einzelnen Blick auf sich. Er hatte noch nie so sehr im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden. Und eigentlich war er auch nicht scharf drauf. Eigentlich hatte er doch immer ein unauffälliges Leben führen wollen. Sein beglücktes Grinsen konnte er jedoch trotzdem nicht unterdrücken.
 

Scheiß auf die Anderen!
 

„Wir sehen uns morgen?“
 

Die leise Frage versetzte Adam einen kurzen Stich. Natürlich, Leon würde ihn trotz ihrer Beziehung bestimmt nicht jeden Tag um sich haben wollen. Wie würde das ab jetzt aussehen? Die Modellstunden, und dann... Dates? Gemeinsame TV-Abende? Was machte man eigentlich als Paar so?
 

„Mhm.“ Er zuckte kurz mit den Schultern. „Darf ich dir schreiben? Wenn wir uns nicht so oft sehen... sowas wie.. guten Morgen, gute Nacht.. und so.“ Die Unsicherheit in seiner Stimme nervte ihn. „Sowas... du weißt schon, sowas pärchentypisches...“
 

„Hör mal...“ Leon strich sich mit beiden Händen einige Strähnen zurück, bevor er die neugierige Menge um sich herum bemerkte. Er schnalzte unwillig mit der Zunge, zog Adam näher zu sich heran und kam mit seinem Mund nah an sein Ohr. „Mach es nicht zu kompliziert. Wenn du mir schreiben willst, dann schreib mir. Wenn ich dir antworten will, werde ich antworten. Wenn nicht... dann nicht.“
 

„Du hast das auch nicht sonderlich durchdacht, hm?“
 

Er wusste nicht, ob er darüber lachen sollte. Natürlich, es war Leon. Pärchentypisch war nicht gerade ein Adjektiv, das zu ihm passte. Er würde ihm keine süßen, zärtlichen Nachrichten schreiben. Er würde keinen Jahrestag feiern – falls das überhaupt alles so lange hielt. Er würde sich nichts aus dem Valentinstag machen oder plötzlich mit einem Strauß Rosen vor der Tür stehen. Es war eine pragmatische Lösung für ihn. In dieser trunkenen Glückseligkeit, diesem Hochgefühl war es leicht, die ganzen Umstände zu vergessen.
 

„Nein, habe ich nicht. Ich hab es auch nicht als notwendig erachtet, mir über... pärchentypische Aktivitäten Gedanken zu machen.“
 

Adam starrte für einen kurzen Moment auf seine Schuhspitzen, etwas wehmütig, hob dann aber mit einem Lächeln den Kopf.
 

„Okay. Dann werde ich einfach machen, wie es mir in den Kram passt. Und du... naja, du wirst es mich schon wissen lassen, wenn ich dir auf die Nerven gehe, nicht wahr?“
 

Leon sah ihn nur an. Wieder diese unleserliche Miene, aber in seinen Augen lag ein warmer Glanz. Er nickte, beugte sich nach unten und küsste Adam zart.
 

„Bis morgen.“
 

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging. Adam gönnte es sich, ihm kurz nachzusehen, bevor er selber im Schulgebäude verschwand. Das Kribbeln in seinem Bauch, die Schmetterlinge, die ihn so lange gequält hatten, waren jetzt warm. Ruhig, friedlich. Trunken vor Glück. Es war nicht alles perfekt, noch lange nicht. Er grinste. Aber für den Moment war es perfekt genug.
 

Auf einem der Flure entdeckte er Muse' Silhouette. Mit einigen schnellen Schritten holte er ihn ein und hakte sich mit Schwung unter. Muse strauchelte kurz, bevor er sich fing und Adam entgeistert ansah.
 

„Waa... was zum...“ Er sah das Grinsen, das Leuchten in den hellblauen Augen, das Strahlen, das sich über das ganze Gesicht ausbreitete. „Was ist passiert?“
 

„Wir sind zusammen!“ Es war nur ein Flüstern, ein unterdrücktes Flüstern, das eigentlich ein lauter Schrei sein sollte. „Wir sind zusammen!!!“
 

„Wer... ihr... Leon und du?“ Muse' Augen weiteten sich ungläubig. „Ernsthaft?“
 

„Ernsthaft!“
 

„Er... hat gesagt, dass...“
 

„Nein.“ Adam schüttelte leicht den Kopf. „Nein, das nicht. Eigentlich hat er sogar gesagt, dass er mich definitiv nicht liebt. Aber... er will mit mir zusammen sein.“
 

„Adam.“ Muse kratzte sich nachdenklich am Hals. „Ich weiß nicht, ob ich glücklich für dich sein soll. Das klingt... Ich weiß nicht. Als ob er.. als ob er das nur sagt, um dich festzuhalten.“
 

„Ich weiß.“ Sie schlenderten langsam in Richtung ihrer Klassenzimmer. „Aber so ist es nicht. Du warst nicht dabei.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht, was ich für ihn bin. Ich glaube, er weiß es selber nicht. Aber er will mit mir zusammen sein. Mit allen Folgen.“
 

„Allen Folgen?“
 

„Treue zum Beispiel.“ Jetzt grinste Adam wieder. „Und dass ich ihn mit SMS zuspammen darf. Oder seine Hand halten. Ihn küssen. Ohne dauernd zu fragen, oder zu befürchten, dass das irgendwie falsch rüberkommt. Sowas halt.“
 

„Hm. Ich verstehe.“ Muse zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber wenn du glücklich bist mit diesem... Arrangement, dann will ich nichts sagen.“
 

Adam schielte seitlich zu seinem Freund, mit einem Blick, der einen süßen Welpen verdächtig ähnlich sah. „Kannst du... wenigstens versuchen, dich mit ihm zu verstehen? Wenigstens, dass ihr euch nicht an die Gurgel geht, wenn ihr im gleichen Raum seid?“
 

„Ich kann es versuchen.“ Ein schiefes Grinsen. „Ich bin ja eigentlich recht friedfer...“
 

Jemand lief an ihm vorbei und rempelte ihn an. Mit voller Wucht. Muse unterdrückte einen Schmerzenslaut, während er sich durch den Aufprall halb nach hinten drehte.
 

„Bringt ihr Schwuchteln eure Stecher jetzt auch noch hierher mit?“
 

Pete. Adam und Muse drehten sich komplett zu ihm um, zu ihm und seinen beiden besten Freunden, die wie eine Mauer einige Schritte hinter ihnen standen. Sein Gesicht war vor Ekel verzogen.
 

„Was soll das?“, zischte Adam, die Fäuste geballt. Er spürte Muse' Hand auf seinem Oberarm.
 

„Lass, schon gut.“ Muse drehte sich schnell wieder weg und zog ihn mit sich. Aus den Augenwinkeln sahen sie nur, wie Pete ihnen folgen wollte, aber ebenfalls von einem seiner Freunde aufgehalten wurde.
 

„Verzieht euch, ihr Schwanzlutscher!“
 

„Fuck!“ Adam öffnete und schloß seine Hände, um nicht mit der Faust gegen die nächste Wand zu donnern. „Warum lässt du dir das gefallen?“
 

„Was sollen wir denn machen?“ Sein Freund rieb sich die schmerzende Schulter, und warf Adam einen resiginierten Blick zu. „Willst du dich mit denen prügeln? Und dann?“
 

„Weiß ich nicht.“ Es war nur ein Flüstern. Natürlich würde es nichts ändern, im Gegenteil, vermutlich würde es ihre Situation sogar verschlimmern. Aber es wäre so befriedigend. Es wäre einfach nur befriedigend.
 

„Lass gut sein. In zwei Jahren sind wir hier fertig.“
 

Adam musterte Muse von der Seite. Den Blick, der es aufgegeben hatte, dagegen vorzugehen. Der vielleicht nie auch nur damit angefangen hatte. Er war erst seit wenigen Wochen mit diesen Schikanen konfrontiert, und das sogar relativ selten. Sie waren ihm auch nicht wichtig. Irgendwelche dummen Menschen, die meinten, ihre dummen Ansichten an ihm auszutragen, was sollte ihn das stören?
 

Aber Muse hatte das – wie lange? Zwei Jahre? Drei? – fast täglich ertragen. Dumme Kommentare, abwertende Blicke, anzügliche Briefe im Spind. Rempler auf dem Schulflur, offene Anfeindungen. Die Lehrer, die Schüler, alle. Er war bestimmt nicht der einzige Schwule an der Schule, aber sein ganzes, sanftes, zurückhaltendes Wesen, seine friedliche Art, die Angewohnheit, sich bei Ärger zu verziehen, alles zu ertragen, nichts zu sagen, das alles machte ihn scheinbar zum perfekten Opfer. Warum war er in der Lage, sich für ihn mit Leon anzulegen, aber für sich selber scheute er den Kampf? Warum zum Teufel hatte er so wenig für sich selber übrig?
 

Er ging ein paar Schritte hinter ihm, betrachtete ihn. Die blonden Haare, die er inzwischen meist zusammen gebunden hatte. Die Schultern, die ein wenig nach vorne gebeugt waren, so, als ob er sich kleiner machen wollte als er war. Der dunkle Kapuzenpulli, dessen Ärmel er immer bis zu seinen Handflächen gezogen hatte. Über einer Schulter trug er locker den Rucksack, hielt ihn mit einer Hand am Träger. Die langen Finger, die rauen Handflächen.
 

Muse drehte sich halb zu ihm und sah ihn fragend aus seinen braunen, sanften Augen an. „Wo bleibst du?“
 

Er wollte ihn beschützen. Er wollte ihn vor diesem ganzen Scheiß beschützen.
 

Er wusste nur nicht, wie.



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