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Crystal Eyes

reloaded
von

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„Oh, verdammt! Beweg dich nicht, Leon, wag es nicht mal zu Atmen, verdammt!“
 

„Was denn, soll ich etwa sterben oder was?“
 

„Halt bloß die Klappe! Meinetwegen, Hauptsache, du störst mich nicht.“
 

„Mit deinem Geschrei machst du das nur noch schlimmer. Da bewirkt mein ruhiges Geplätscher auch ni...“
 

„Aaaaaaaaaaaaah, verdammt, verdammt, verdammt, das lag soooo gut. Nur weil du mich abgelenkt hast!“
 

„Hey, schieb mir nicht die Schuld in die Schuhe, wenn du zu zittrig bist.“
 

„Du hast mich abgelenkt! Das hast du absichtlich gemacht!“
 

„Das nennt sich Strategie. Ah, ich bin dran. Und ich nehme... das.“
 

„Das ist nicht fair. Nur weil ich meinen Zug versaut habe, hast du es jetzt so leicht.“
 

„Na, wenigstens gibst du jetzt zu, dass du selber Schuld warst. Du bist halt viel zu zappelig.“
 

„Ich bin nicht zappelig! Du lenkst mich nur ab! Du bist Schuld!“
 

Leon lachte und wich dem versuchten Schlag von Adam aus. „Du bist halt zu schlecht.“
 

„Ts. Mit Muse war ich besser. Okay, er hat mich da zwar auch geschlagen, aber ich war besser.“
 

Adam funkelte Leon halb wütend an und starrte dann wieder auf den Haufen von Mikadostäbchen vor sich. Sie saßen im Wohnzimmer, Leon auf der Couch, während Adam es sich auf dem weichen Teppich bequem gemacht hatte, und spielten Mikado. Auf einem kleinen Tischchen nebenan standen eine Flasche mit Wasser, zwei Gläser so wie eine heiße Schokolade und Leons obligatorischer Früchtetee, diesmal Kirsch-Erdbeere. Draußen war es bereits dunkel, also hatten sie gedämmtes Licht angemacht, um wenigstens ein bisschen was zu sehen. Sie beide trugen im Moment nur Bademäntel, Leon einen marineblauen mit hellblauen Mustern, und Adam einen komplett weißen. Und obwohl keiner von ihnen die Nacht geschlafen hatte, waren sie immer noch putzmunter. Somit war nach dem Abendessen die Frage aufgekommen, was sie noch machen wollten, und sie hatten sich für Mikado entschieden. Wieder eine weitere Sache, die Adam an Leon kennen gelernt hatte. Dieser egozentrische und höchst erwachsen wirkende Künstler hatte eine breite Sammlung an Spielen, von Karten- über Brett- bis hin zu Gesellschafts- und Konsolenspielen, die er scheinbar auch regelmäßig mit Sachiko und anderen Spielbegeisterten herauskramte. Und diesmal war eben Adam das Opfer gewesen.
 

Dieser musste lächeln, als er den Tag noch einmal Review passieren ließ, während er Leon zuschaute, wie er sich auf das nächste Stäbchen, das er aus dem Haufen rausklauben wollte, konzentrierte. Seine hochgesteckten, immer noch feuchten Haare fielen ihm dabei teilweise über die Schuler und hinterließen einige Wassertropfen auf der Glasoberfläche des Tisches.
 

Nach einem äußert schmackhaften Frühstück hatte Leon Adam zur Schule gefahren, was Adam letztenendes sogar ganz recht gewesen war, da er sich direkt an Muse’ Hals geschmissen und ihm alles brühwarm erzählt hatte. Dieser hatte ihn nur äußerst überrascht angeschaut und ihn dann wegen des fehlenden Kondoms zusammen geschissen, jedoch war es bei Adam in einem Ohr rein gegangen und beim anderen wieder rausgekommen, ohne bleibende Wirkung in seinem Gehirn zu verursachen. Er hatte den gesamten Vormittag förmlich in irgendeiner Traumwelt geschwebt, was ihm nicht nur die ein der andere Rüge der Lehrer eingebracht hatte, sondern auch freundschaftliche Neckereien von Muse. Schließlich hatte ihn Leon auch abgeholt, der die Zeit nicht zum Schlafen, sondern zum Einkaufen und Kochen verwendet hatte, wie Adam feststellen musste, als sie wieder zurück in der Villa waren. Und, was er nie gedacht hatte, Leon war ein begnadeter Koch, ein äußerst begnadeter Koch. Er hatte ihm ein Drei-Gänge-Menü serviert, und das auf höchstem Niveau. Wenn er es genau bedachte, war Leon eigentlich die perfekte Hausfrau. Er kochte erstklassig, räumte regelmäßig und höchst penibel auf, wusch und bügelte sogar seine Wäsche selber und scheute sich nicht, sich Samstagvormittag in das Einkaufsgetümmel der Supermärkte zu stürzen. Wäre er eine Frau, hätten ihn die Männer wohl schon reihenweise geheiratet. Dummerweise fehlten ihm dabei jedoch gewisse weibliche Eigenschaften und Attribute. Dafür hatte er gewisse andere zu Genüge.
 

Was er Adam auch kurz nach dem Mittagessen erneut bewiesen hatte.
 

Sie hatten noch einmal miteinander geschlafen. Mitten am Tag im Wohnzimmer. Bei dem Gedanken daran musste Adam ein hungriges Grinsen unterdrücken. Tatsächlich hätte er es sich nie träumen lassen, wie scharf er auf diese Berührungen hätte werden können, aber es gefiel ihm. Es gefiel ihm verdammt gut, Leon zu spüren, in seinen Armen zu liegen, von ihm umarmt zu werden, ihn zu küssen. Er liebte seinen Geruch, diese Mischung aus Aftershave und Zigarettenrauch, das Gefühl seiner warmen, glatten Haut, den Geschmack seiner Lippen und seiner Zunge. Seine zärtlichen, manchmal etwas rauen Berührungen, die sowohl sinnlich wie auch beruhigend sein konnten. Das Gewicht seines Körpers auf ihm. Den Glanz in seinen Augen, wenn er ihn hungrig erregt anschaute. Seine leise, etwas heisere Stimme, wenn er sprach, wenn er keuchte oder stöhnte. Adam liebte es. Alles.
 

Und er bereute es nicht im Geringsten, diesen Schritt gewagt, seine Angst überwunden zu haben. Er hatte weitere Seiten von Leon kennen gelernt. Und er hatte Seiten von sich selber gesehen, die er nie für möglich gehalten hatte. Wundervolle Seiten, zauberhafte Seiten. Mal davon abgesehen schien ihm die Beziehung zu Leon jetzt tiefer und besser, gelöster, auf gewisse Art vertrauensvoller. Kein Wunder, sie hatten etwas sehr Intimes miteinander geteilt. Vielleicht nicht bei allen Personen, die miteinander schliefen, war es so, aber bei ihnen änderte es eine ganze Menge.
 

Adam seufzte leise und musterte Leon, der sich immer noch auf sein Mikadostäbchen konzentrierte, die Stirn leicht gerunzelt hatte und an seiner Unterlippe nagte. Von Zeit zu Zeit kam ihm der Gedanke, ob er die gleichen Gefühle bei einer anderen Person haben würde. André zum Beispiel. Ob sie sich wohl überhaupt ähneln würde. Ob er die gleiche Lust, den gleichen Hunger verspüren würde. Jedoch waren diese Gedanken zu verführerisch. Er schuldete Leon nichts, natürlich, sie waren schließlich nicht zusammen. Trotzdem wusste er instinktiv, Leon würde es nicht gefallen, wenn Adam mit jemand anderem ins Bett ginge. Nicht aus Liebe, eher aus Besitzgier. Und er wollte um keinen Preis dieses Gefühl, dieses Etwas, was zwischen ihnen herrschte, er jedoch nicht konkret benennen konnte, aufs Spiel setzen. Es war zu kostbar, zu wertvoll. Mal davon abgesehen, dass er im Moment nicht ernsthaft jemand anderen an seinen Körper lassen wollte als Leon. Leon und seine Finger, Leon und seinen Mund, Leon und seine Hände. Alles, Hauptsache, es gehörte zu Leon.
 

Genüsslich dachte Adam an den Nachmittag zurück, nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Es war ja schon die reinste Seelenfreude, ein Bad in einem Whirlpool zu nehmen, aber ein Bad in einem Whirlpool zu nehmen und dabei in Leons Armen zu liegen, kam dem Paradies schon sehr, sehr nahe. Und der erotische Touch blieb dabei in keinster Weise aus. Er seufzte innerlich. Zwei Mal Sex und er war schon zu einem Nymphomanen mutiert. Nun ja, nach achtzehn Jahren kompletter Abstinenz war es vielleicht nicht mal verwunderlich. Und wenn ein Mann wie Leon der Grund für die Beendung der Abstinenz war, war es dann wohl wirklich keine Überraschung, wenn man plötzlich eine neue Sucht entwickelte.
 

Danach hatten sie jedenfalls nur etwas Kleines zu Abend gegessen und sich dann ins Wohnzimmer begeben, immer noch in ihren Bademänteln. Aber da in Leons Kleinvilla so ziemlich jeder Raum rund um die Uhr beheizt zu sein schien, war es selbst bei dem stürmischen Wetter nicht störend, nur so leicht bekleidet zu sein. Und zumindest kam Adam auf diese Weise immer wieder dazu, den Anblick von Leons Schenkeln zu genießen.
 

„Mist.“ Leon sah fast schon vorwurfsvoll das Stäbchen an, das gegen ein anderes gestoßen war. „Du bist dran.“
 

„Ha, der große Leon scheint auch nicht perfekt zu sein.“ Adam grinste ihn an und begutachtete dann kritisch den Haufen, der ihn vor ein schier unlösbares Problem stellte. Es war kein einziges Stäbchen vorhanden, das er bekommen konnte, ohne nicht zig andere zu verwackeln.
 

„Hab ich auch nie behauptet. Nur, dass ich sehr, sehr nahe dran bin.“
 

„Ich liebe deine Arroganz, wirklich.“
 

„Was denn, nur meine Arroganz? Jetzt bin ich ernsthaft verletzt.“
 

Die Lippen leicht empört gekräuselt sah Adam auf und beugte sich vor, um Leon einen spielerischen Schlag aufs Knie zu geben, rutschte jedoch mit der einen Hand, mit der er sich auf dem Tisch abgestützt hatte, an der glatten Glasoberfläche aus und knallte ziemlich ungalant auf den weichen Teppich, wobei er den Tisch zum Wackeln und damit auch den Mikadohaufen zum Einsturz brachte.
 

„Au, au, au... alles deine Schuld, Leon. Arg, hör auch zu Lachen!“
 

„Das sah aber so putzig aus.“ Leon lehnte sich laut lachend nach hinten, den Kopf zurück gelehnt, und hielt sich halb eine Hand vor den Mund.
 

„Putzig? PUTZIG? Du nennst mich putzig? Ich zeig dir gleich, wie putzig ich sein kann!“
 

Ohne weiter auf das Chaos auf dem Tisch zu achten, stürzte er sich auf Leon, so dass dieser durch den Schwung mit dem Rücken auf die Couch fiel, und ließ seine Hände unter seinen Bademantel gleiten. Er hatte während ihrem gemeinsamen Bad noch etwas herausgefunden: Leon war kitzelig. Verdammt kitzelig. Also nutze er diese Erkenntnis und kitzelte ihn an seinen empfindlichen Seiten entlang, was bei diesem sofort einen weiteren Lachanfall wie auch atemloses Keuchen hervorrief.
 

„Ah... Adam... hör auf, verdammt!“
 

Bevor Adam ihn komplett außer Gefecht setzen konnte, zog er den Jungen an sich heran und küsste ihn. Behutsam, aber trotzdem ein bisschen rau, ließ er seine Zunge über seine Lippen gleiten, saugte leicht an der Unterlippe und biss vorsichtig hinein. Seine Taktik zeigte, wie er es auch nicht anders erwartet hatte, sofort Wirkung. Adam hielt inne und erwiderte den Kuss. Schloss genießerisch die Augen, entspannte sich, nahm seine Hände jedoch nicht von Leons Seiten.
 

Nach einigen Augenblicken löste Leon sich mit einem Lächeln von Adam.
 

„Du bist wirklich ein kleiner Kampftiger.“
 

Adam legte sich etwas bequemer auf seinem Gastgeber hin und sah ihn von unten her an. „Und du unfair. Das ist ne ganze linke Masche, weißt du das? Richtig fiese Taktik.“
 

„Anders bringt man dich ja kaum zur Räson. Selber Schuld, wenn du so wild bist.“
 

„Ts, das nennst du wild? Du bist wohl nur Schmusekätzchen gewöhnt, was?“
 

„Allerdings. Kampftiger wie du sind mir noch nicht untergekommen. Wobei, du kannst ja durchaus auch zur Schmusekatze mutieren.“
 

„Miau!“
 

Leon lachte leise, und Adam spürte seinen Brustkorb an seinem Gesicht vibrieren. Er musste lächeln. So, wie jetzt, könnte er ewig liegen bleiben. Er spürte Leons Hand in seinem Haar, wie er sanft durch die schwarzen Strähnen strich, zum Nacken runter und ihn leicht kraulte. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass er seine Augen geschlossen hatte und sanft, entspannt, lächelte. Adam kuschelte sich noch etwas enger an ihn, strich mit den Fingerspitzen einer Hand zärtlich seine Seiten entlang nach oben zu seiner Brust. Er spürte, wie sie sich durch Leons ruhigen Atem hob und senkte, hörte seinen Herzschlag, fühlte die Wärme. Mal wieder war er nahe dran zu Schnurren. Er schien tatsächlich mehr von einer Katze zu haben als er bisher gedacht hatte. Jedoch musste er zugeben, dass es weitaus Schlimmeres denn Katzengene gab.
 

Leicht geistesabwesend umkreiste er mit einer Fingerkuppe Leons Brustwarze, strich ab und zu sanft drüber, ohne großartig auf Leons Reaktion, die ein kehliges Schnurren darstellte, zu achten.
 

“Mhm... ich könnt ewig so liegen bleiben.“
 

„Lieber nicht.“ Leon nahm seine Hand, verschränkte seine Finger mit den eigenen und drückte einen Kuss auf die Gelenke. „Irgendwann wirst du mir doch zu schwer werden.“
 

„Du bist aber so bequem.“ Adam verzog gespielt schmollend den Mund und drückte einen Kuss auf Leons Brustbein. „Oh...“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Erinnere mich bitte morgen dran, dass ich noch zur Arbeit muss. Würd mich nicht wundern, wenn ich es vergesse.“
 

„Arbeit?“
 

„Ja. Ich arbeite doch im ‚Paradise Hill’, hab’s dir doch erzählt. Jeden Samstag in der Nacht.“
 

„Mhm.“ Leon lehnte seinen Kopf zurück. Seine nicht vorhandene Begeisterung war ihm deutlich anzusehen. „Musst du da arbeiten? Ich bin nicht sonderlich angetan davon.“
 

„Wieso?“ Adam rückte sich etwas zurecht und sah auf. „Hab gehört, du warst früher auch ab und zu dort.“
 

„Ja, war ich. Und kann deswegen auch aus Erfahrung sprechen. Die meisten Gäste sind zwar ziemlich in Ordnung, aber es gibt immer mal wieder welche, die sich nicht zurück halten können. Und die lassen dann nicht nur ihre Finger nicht bei sich, sondern auch ihren Schwanz.“
 

„Naja, es ist ja nicht so, dass ich alleine da bin. Die anderen passen schon auf mich auf.“
 

„Ach, bringen sie dich etwa auch nach Hause?“
 

„Ehm...“ Adam biss sich auf die Unterlippe. „Leon, ich bin kein kleiner Junge, ich kann auf mich aufpassen. Und, nein, sie bringen mich nicht nach Hause. Ich geh alleine.“
 

„Dacht ich mir fast schon.“ Er seufzte und fuhr ihm durch die Haare. „Und das gefällt mir nicht. Mitten in der Nacht, du alleine... das ist ein gefundenes Fressen.“
 

„Du bist ja die reinste Glucke. Du machst dir zu viele Sorgen.“
 

“Ich bin nur realistisch. Und ich weiß, was dort für Typen rumlaufen.“ Mit nachdenklichem Blick strich er sich einige Strähnen zurück. „Gut. Du hast doch bestimmt nichts dagegen, wenn ich dich abhole, oder?“
 

„Eh, was?“ Leicht irritiert sah er ihn an. „Du weißt schon, dass meine Schicht bis um fünf Uhr geht? Das ist mitten in der Nacht.“
 

„Macht nichts. Dann kann ich aber zumindest beruhigt sein, dass es dir gut geht.“
 

Er machte sich Sorgen. Adam konnte ihn einige Augenblicke lang nur sprachlos anschauen. Er machte sich ernsthaft Sorgen, so sehr, dass er sogar bereit war, ihn mitten in der Nacht von der Arbeit abzuholen. War das denn zu fassen? Sein Herz schien vor Freude überzuquellen. Das war ein Traum, ein Traum!
 

“Ist das dein Ernst?“ Er schluckte. „Macht dir das auch wirklich nichts aus?“
 

„Sonst hätte ich es ja nicht angeboten, oder?“
 

„Aaaaah.“ Mit einem fetten Grinsen stütze sich Adam auf und drückte Leon, der leicht überrascht zusammen zuckte, einen Kuss auf die Lippen. „Danke, vielen, vielen Dank. Ich glaub, da kriegst du auch noch nen Knutscher von meinen Eltern, die haben sich da nämlich auch ziemliche Sorgen gemacht.“
 

„Arg, du bist schwer.“ Leon schob ihn ein wenig auf sich zurecht und umschlang mit seinen Armen Adams schmale Hüften. „Freut mich, dass sie glücklich sein werden, auch wenn ich von deinem Vater wohl eher weniger einen Knutscher erfahren darf. Und bei deiner Mutter hab ich beim besten Willen nichts dagegen.“ Er runzelte leicht die Stirn. „Wie bist du eigentlich zu diesem dämlichen Job gekommen?“
 

„Muse hat mich gefragt. Er arbeitet dort jetzt schon seit zwei Jahren oder so, und hat mich mal eingeladen, dort vorbei zu schauen. Das war, als du in New York warst. Naja, und da er wegen seinem Lover nicht immer Zeit hat, hat er mich gefragt, ob ich nicht auch dort arbeiten will. Samstags ist es halt regulär, damit ich mich auch eingewöhne und so, und ansonsten eben immer, wenn Muse ausfällt.“
 

„Muse also, mhm.“
 

„Du magst ihn nicht.“ Es klang vorwurfsvoll.
 

„Tatsächlich? Ist dir das auch aufgefallen?“ Leon seufzte und setzte sich ein wenig auf. „Ich weiß, er ist dein Freund, du magst ihn und was weiß ich nicht was, aber... er gefällt mir nicht. Er ist zu labil, um dir gut zu tun.“
 

„Hatten wir das nicht schon mal? Ich hab dir doch gesagt, dass er stärker ist, als er vielleicht aussieht. Immerhin hat er sich auch mit dir angelegt.“
 

„Das hat nichts zu bedeuten. Es gibt viele Leute, die sich ohne mit der Wimper zu zucken mit mir anlegen. Trotzdem springen sie dann aus irgendwelchen anderen Gründen von der Brücke.“ Er strich sich überlegend durch die Haare. „Er ist der Typ Mensch, der sich vollkommen für die Leute, die er liebt, aufopfert. Und wenn sie ihn verlassen, ohne sie nicht mehr leben kann.“
 

„Du übertreibst.“
 

„Nein, das glaub ich nicht. Es würd mich ehrlich nicht wundern, wenn er sich von einem Hochhaus stürzt, falls sein Lover ihn mal verlässt.“
 

„Leon, die sind jetzt seit zwei Jahren zusammen.“ Adam setzte sich auf und sah seinen Maler kritisch an. „Zwei Jahre! Oh, und, was du ja nicht weißt, sein Lover ist eigentlich verheiratet und hat ein Kind. Das heißt, Muse hat es inzwischen zwei Jahre lang ausgehalten, dass er nur eine Affäre ist, die man geheim halten muss. Glaubst du ernsthaft, es gäbe irgendwas, was ihn dann noch in den Selbstmord treiben würde?“
 

„Ich mein ja nur. So wirkt er auf mich.“ Leon rieb sich kurz über die Augen. „Was wäre, wenn sein Lover ihn verlässt, weil seine Frau etwas herausfindet? Oder weil einfach bei seinem Freund die Liebe abkühlt? Sowas passiert, tagtäglich. Glaubst du wirklich, dass Muse damit zurecht kommt? Er mag ja stark auf dich wirken, aber ich bezweifle es.“
 

„Ich bin da. Und andere Leute sind auch da. Die Leute aus dem ‚Paradise’. Seine Familie. Wir würden ihn helfen und auffangen.“ Adam musterte Leon einen langen Augenblick, sah in seine rauchgrauen, im Moment sehr sanften Augen. „Es trennen sich täglich irgendwelche Paare, aber nicht jeder begeht Selbstmord. Wieso glaubst du also, dass das passieren könnte?“ Er hielt kurz inne. „Kennst du so jemanden?“
 

„Einige.“ Leon seufzte. „Einige viele. Ich kenn verdammt viele Leute, und viele, die psychisch labil sind. Leute wie Muse, die eigentlich bis in ihr tiefstes Innerstes zerbrechlich sind, obwohl sie nicht so wirken. Die eigentlich ein Wrack sind, Zeitbomben, die jederzeit explodieren können. Wie ein Pulverfass, es braucht nur den richtigen Zündstoff.“
 

„Du irrst dich.“ Adam biss sich auf die Unterlippe. „Du irrst dich gewaltig. Muse ist nicht so. Und... na ja, sollte das dir eigentlich nicht egal sein? Du magst ihn doch nicht.“
 

„Ja, er ist mir egal.“ Mit einem schiefen Lächeln strich er Adam einige Strähnen aus der Stirn. „Aber du nicht. Ich weiß inzwischen, wie sehr du ihn magst. Und wenn du ihn verlieren würdest, würdest du es aushalten? Würdest du es verkraften können?“
 

Sein Herz schlug ein bisschen schneller. „Du wärst doch da, um mich aufzufangen, oder?“
 

Die Frage war ernst gemeint. Vielleicht war er dumm und naiv, doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass Leon für ihn da sein würde. Egal was passierte, er würde ihn in den Arm nehmen, ihm tröstende Worte zusprechen, ihn sanft streicheln. Vielleicht war es lächerlich und kindisch, aber er war davon überzeugt.
 

Doch Leon schüttelte nur leicht den Kopf.
 

„Ich fürchte nicht. Ich fürchte, in einigen Dingen kann ich dir nicht helfen.“
 

Überrascht sah ihn Adam an, fast wie ein getretener Hund. „Wieso nicht?“
 

„Weil ich nicht perfekt bin. Und einige Schwächen habe. Weil ich häufig jemanden verletzte, ohne es zu wollen, oder ihn dann im Stich lasse, wenn er es am meisten braucht. Ich bin keine Stütze, auf die du dich verlassen kannst. Deswegen gefällt es mir nicht, dass du durch Muse vielleicht irgendwann mal so eine Stütze brauchen wirst.“
 

„Du machst dir zu viele Sorgen.“
 

Adam lächelte sanft, nahm vorsichtig Leons Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. Auch wenn ihr Gesprächsthema eher einen deprimierenden Inhalt hatte, wollte sein Herz schier überquellen vor Freude. Leon machte sich Sorgen um ihn, kümmerte sich um ihn. Er wollte ihn schützen, wollte für ihn da sein, selbst wenn er es eigentlich nicht konnte. Da war was. Er hatte Recht gehabt. Da war was zwischen ihnen, was er noch nicht benennen konnte. Was aber unheimlich wertvoll, unheimlich zart und noch unheimlich zerbrechlich war. Aber es war da. Und er wollte es schützen, es stärken, so gut er konnte.
 

„Ich vertraue dir. Wenn ich dich brauche, wirst du sicher da sein. Bis jetzt hast du mich auch immer irgendwie aufgebaut, wenn ich nicht so ganz auf der Höhe war.“ Er musste grinsen. „Du wirkst zwar nach außen hin verdammt arrogant und egozentrisch, aber inzwischen weiß ich es etwas besser. Du hast deine zärtlichen, sanften Seiten, auch wenn du sie nicht immer zeigst. Und auch wenn du sie unter deinem Egoismus begraben willst, sie sind da.“ Er tippte ihm leicht gegen das Brustbein. „Ich hab sie gesehen.“
 

Leon sah ihn an. Für einen Moment sah er ihn einfach nur, ohne ein Wort zu sagen. Dann öffnete er den Mund, hielt aber inne und drehte den Kopf zur Seite, sich leicht auf einen Finger beißend. Seine Lippen verzogen sich zu einem selbstironischen Lächeln.
 

„Was ist?“ Adam legte den Kopf leicht schief. „Geschockt?“
 

„Nun, sowas hat auch noch keiner zu mir gesagt. Ja, ich bin leicht überrascht.“
 

„Ts, umso besser. Wär ja langweilig, wenn dich nichts mehr überraschen könnte. Tu ich mit Freuden, glaub mir. Dein überraschtes oder fassungsloses Gesicht ist wirklich goldwert.“
 

„Na dann, her damit, mit dem Gold.“ Er lächelte ihn schmunzelnd an.
 

„Hab ich nicht, bin eine arme Maus.“ Adam beugte sich vor und leckte kurz über Leons Hals. „Ich kann aber mit etwas anderem bezahlen, Monsieur.“
 

„Oh, gut zu wissen. Aber nicht heute Nacht. Dafür sind wir wohl beide zu müde. Außerdem sollte sich dein Hintern auch mal ausruhen dürfen.“
 

„Das stimmt allerdings.“ Er streckte sich kurz, gähnte und sah zu dem Mikadohaufen auf dem Tisch. „Schlaf hört sich verdammt verführerisch an. Aber das Zeug muss auch noch aufgeräumt werden.“
 

„Lass liegen. Das können wir auch morgen machen. Aber“, Leon warf ihm einen auffordernden Blick zu, „würdest du dich vielleicht von mir runter begeben? Leicht bist du nicht gerade, und auf der Couch schlafen will ich auch nicht.“
 

„Och, sie ist ganz bequem. Ich spreche aus Erfahrung.“
 

„Sehr schön. Ich will die Erfahrung trotzdem nicht machen.“
 

„Schon gut, schon gut, bin ja schon weg.“
 

Mit einem Lachen stand Adam auf und wartete, bis auch Leon sich in die Vertikale begeben hatte. Er schluckte kurz. Jetzt stellte sich nur die Frage, wo er die Nacht verbringen würde. Sex wollten sie beide ja nicht, also wäre es eigentlich nur normal, wenn Adam in sein eigenes Gästezimmer gehen würde, wie die Nächte davor auch. Aber irgendwie schien es nur natürlich, wenn er mit zu Leon kam. Nur war es ihm verdammt peinlich, danach zu fragen. Es wirkte aufdringlich. So, als ob er unbedingt in Leons Nähe sein wollte. Nun, es entsprach zwar den Tatsachen, aber das brauchte er ja Leon nicht unbedingt auf die Nase zu binden. Aber wenn Leon jetzt erwartete, dass er mit zu ihm ins Bett kam, er selber aber einfach in sein eigenes Zimmer gehen würde, würde er ihn wohl verletzten. Verdammt. Wieso konnte man nicht einfach fragen? So ein Mist aber auch.
 

„Willst du bei mir schlafen?“
 

Leons Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Hatte man ihm seine Gedankengänge etwa auf dem Gesicht ablesen können? Adam musterte kurz den Künstler und schüttelte dann innerlich den Kopf. Nein, Leon hatte sich vermutlich einfach das Gleiche gedacht und sich nichts draus gemacht, auch nachzufragen. Manchmal schien er keine Skrupel zu haben. Gab es eigentlich irgendetwas, was ihm peinlich war? Anscheinend ja nicht.
 

„Mhm.“ Eine leichte Röte zog sich über Adams Wangen. ‚Mhm’ war keine sonderlich tolle Antwort, aber ein begeistertes ‚JA!’ war auch nicht grad das Wahre.
 

„Ich interpretier das einfach mal als Zustimmung.“ Mit einem skeptischen Lächeln sah Leon Adam kurz an und rückte sich dann seinen Bademantel zurecht. „Gehen wir, ansonsten schlaf ich hier noch im Stehen ein.“
 

Er löschte das Licht und ging Adam voraus in sein Schlafzimmer. Ohne ein weiteres Wort schüttelte er Decke und Kissen auf, zog seinen Bademantel aus und legte sich hin, während Adam ihm dabei zuschaute und selber keinen Finger rührte. Dann warf er einen auffordernden Blick zu seinem Kampftigerchen.
 

„Also, du musst nicht ins Bett kommen, wenn du nicht willst. Du kannst auch gern die Nacht über dort stehen bleiben, aber ich weiß nicht, ob das so bequem ist.“
 

Adam zuckte zusammen, aus seinen Gedanken gerissen, und starrte Leon an. Dann, mit einem glücklichen Grinsen, das Leon in der Dunkelheit zum Glück nicht sehen konnte, ließ er den Bademantel nach unten gleiten und schlüpfte zu seinem Geliebten unter die Decke. Fast sofort schloss Leon seine Arme um ihn und zog ihn näher zu sich. Adam drückte seine Wange gegen Leons Brust und unterdrückte einen freudigen Laut. Die Wärme von Leons Haut, sein angenehmer, herber Geruch, seine starken Arme. Die reinste Wohltat. Ein Traum, der wahr geworden war.
 

„Gute Nacht, Adam.“
 

„Gute Nacht.“
 

Es dauerte nicht lange, da hörte Adam Leons regelmäßigen, ruhigen Atem. Er jedoch blieb noch eine Weile wach, genoss das Gefühl, in den Armen des Mannes zu liegen, den er liebte. Den er von Tag zu Tag, von Augenblick zu Augenblick immer mehr liebte. Langsam aber sicher kamen ihm seine Fehler nichtig vor, nicht der Rede wert. So, wie er es ihm vorhin gesagt hatte. Er mochte nach außen hin arrogant und egozentrisch wirken, doch damit übertünchte er nur seine zärtlichen, fürsorglichen und verletzlichen Seiten. Und egal, was jetzt noch passieren würde, was er noch erfahren würde oder wie Leon ihn vielleicht auch verletzten, fallen lassen würde, diese Meinung, dieses Gefühl würde sich nie ändern. Für ihn würde er immer der Mann bleiben, bei dem er sein wollte, mit dem er die Zeit, vielleicht sogar den Rest seines Lebens verbringen wollte. Er musste lächeln. Jetzt musste er diesen Mann nur noch davon überzeugen, dass er, Adam, für ihn das Selbe bedeutete.
 

Schließlich kuschelte er sich noch etwas näher an ihn, lauschte für einige Augenblicke noch auf den regelmäßigen Atem, bevor er einschlief. Bevor er die erste Nacht in den Armen des Mannes schlief, den er liebte.



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