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Tod- und Lebensmüde

Happy End nach dem Tod
von

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Was einen im Schlafzimmer alles erwarten kann...

“Du existierst gar nicht mehr.”

“Ich fühl mich sehr real an.”

Tenten starrte Neji an. Es war Zeit zu Bett zu gehen und wie jeden Abend hatte sie sich im Bad fertig gemacht und war dann mit Zahnpasta noch im Mundwinkel in ihr Nachthemd geschlüpft und hatte sich auf zum Bett gemacht als sie ihn erblickt hatte. Ihren ersten Geist.

Neji stand wie ganz der Alte in ihrem Schlafzimmer. Er sah etwas verdattert aus, als hätte jemand ihn zu einer wichtigen Mission bestellt und ihn dann im Warteraum vergessen. Nein, das war nicht ganz der richtige Ausdruck. Dann wäre er wütend gewesen. Er sah so aus als habe sein Onkel ihn in sein Büro gebeten, um dann nur über Orchideen zu sprechen statt die Belange der Familie. Das traf es ziemlich genau.

Sein langes, seidiges Haar fiel ihm bis auf die Hüfte wie zu seiner Lebzeit auch; sein glattes bleiches Gesicht hatte beinahe jugendliche Züge, wenn es da nicht den starken Kiefer und die ausdrucksvolle gerade Nase gegeben hätte. Seine Stirn wurde wie immer von seinem Stirnband verdeckt. Nirgendwo war auch nur ein Blutspritzer zu sehen, obwohl er für einen Kampf gekleidet war. Nur die Waffen fehlten, möglicherweise waren sie jedoch verborgen.

Dass er gesprochen hatte brachte Tenten noch mehr aus dem Konzept. Sie stolperte rückwärts, fiel zu Boden und stieß sich den Kopf. Als sie die Augen wieder öffnete, war er weg.

Sie schluckte hart und versuchte tiefe, gleichmäßige Atemzüge zu nehmen. Dann kam sie übereilt auf die Füße, stolperte beinah wieder und fiel dem Lichtschalter geradezu entgegen. Auch im Hellen war nicht mehr von Nejis Anwesenheit zu spüren. Es war als wäre er nie da gewesen.

“War er ja auch nicht!”, schalt sie sich selbst und schlug sich gegen die Stirn. Trotzdem flackerten ihre Augen immer wieder zur Mitte des Raumes zu den dunklen Holzlatten am Boden, wo seine Füße gestanden hatte. Das letzte, was sie ihn hatte tun sehen war von sich selbst aufzusehen, wo er sich befühlt hatte als müsse er seine Realität überprüfen, und dann nach ihr zu greifen als sie fiel.

Tenten besuchte noch einmal das Bad, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Bis gerade eben war sie davon ausgegangen den Tod ihres Freundes schon vor Jahren ganz gut verarbeitet zu haben. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Aus dem Spiegel starrten zwei nervöse, braune Augen zurück.
 

Am nächsten Tag konnte Tenten das Gefühl beobachtet zu werden nicht abschütteln. Den ganzen Tag im Laden war sie ungeschickt und abwesend. Es ging so weit, dass Naruto sie drei Mal fragen musste, ob die von ihm bestellten Kunai angekommen waren.

“Huh? Wie bitte?” Tenten wandte ihren Blick von der schattigen Ecke ab und ihrem Kunden zu.

“Geht’s dir nicht gut?”, fragte der Blondschopf besorgt. Selbst als Hokage war er noch immer der fürsorgliche Freund, den man gewohnt war. Man sollte es nicht glauben, doch der Mann hatte es tatsächlich geschafft vom Dorftölpel zum Bürgermeister aufzusteigen. Er war sogar gut in seinem Amt. Er verstand es Leute zu inspirieren und so folgten sie ihm willig. Politische Eskalation beugte er mit Witz und Freundlichkeit vor. Er war die Art von Mann,der etwas Zeit brauchte, um den Respekt anderer zu gewinnen, doch hatte er dies einmal erreicht konnte man nicht anders als ihm ergeben zu sein. Tenten lächelte ihn eine Sekunde bewundernswert an, weil sie manchmal noch immer nicht fassen konnte wie sehr der kleine Junge gewachsen war.

“Ich hab nur schlecht geschlafen. Danke. Was wolltest du?”

“Kunai? Für die neuen Rekruten?”

“Hast du als Hokage nicht Angestellte, die so etwas für dich erledigen?”

Naruto grinste erst verschmitzt, dann unsicher: “Schon.”

Über ihre Schulter rief Tenten “Aber?” während sie in der Hinterkammer verschwand, um die Bestellung zu besehen.

“Ach...”, machte er. “Nichts.” Das war sehr seltsam. Es lag dem Hokage gar nicht herumzudrucksen.

“Wenn’s doch was ist, weißt du ja wo du mich findest”, lachte Tenten beim Zurückkommen. “Deine Ware ist hier. Ich lass sie auf deinen Karren bringen.”

“Danke.” Für einen Augenblick sah es so aus als wollte er doch etwas sagen oder sie fragen, entschied sich dann aber dagegen, winkte noch zum Abschied und ging dann hinaus um das Aufladen seiner Bestellung zu beaufsichtigen. Tentens Gedanken, ihrer Ablenkung beraubt, waren sofort wieder mit den schattigen Ecken ihres Ladens beschäftigt.
 

Der Ichiraku-Imbiss war schon lange nicht mehr der Treffpunkt des Dorfes. Jedenfalls nicht für Narutos Generation. Es stellt sich heraus, dass Krieg einem einen Geschmack für Sake gibt, nicht für Nudeln. Daher fand sich Tenten an meisten Abenden in einer Kneipe wieder. Lee traf sich oft mit Gai und da war Tenten natürlich auch mit von der Partie. Heute war sie allerdings stiller als sonst. Sie beschwerte sich noch nicht einmal über die blöden Sprüche, die Lee und sein ehemaliger Mentor immer noch rissen. Rollstuhl hin oder her, manche Dinge änderten sich nie. Gai trug sein Los sehr gut. Im letzten großen Krieg hatte er so schwere Verletzungen erlitten, dass er den Rest seines Lebens in dem blöden Ding verbringen musste, doch glücklicher - oder unglücklicherweise hatte das seinem Gemüt nicht geschadet. Er war noch immer genauso überheblich wie früher. Außerdem hatte der Mann die stärksten Arme in ganz Konoha - Er gewann Rennen mit seinem blöden Stuhl! Tenten scherzte oft, war insgeheim jedoch froh, dass Gai nie aufhörte das Beste aus sich zu machen.

Eine seiner starken Arme legte sich um ihre Schultern. “Tenten, was bist du so still heute?”, frage er. Auch Lee sah mit einer Mischung aus Neugier und Sorge drein. Tenten war normalerweise immer munter.

“Ich hab letzte Nacht komisch geschlafen”, erklärte sie nicht zum ersten Mal heute.

“Brauchst du eine neue Matratze?”, fragte Lee.

“Eine gute Matratze ist wichtig für die Erhaltung deiner Jugend!”, ermahnte Gai. Tenten verdrehte die Augen.

“Ich bin beinah dreißig. Mit meiner Jugend ist es bald eh dahin. Matratze oder nicht.” Sie lachte und trank einen großen Schluck. Altwerden störte sie nicht im Mindesten. Im Gegensatz zu anderen Frauen in ihrem Freundeskreis hörte sie keine Uhr ticken oder schämte sich ihrer Krähenfüße.

“Die Jugend im Herzen ist auch wichtig”, mahnte Gai und bedachte sie mit einem strengen Blick. Etwas anderes mischte sich auch hinein, doch Tenten konnte es nicht identifizieren. Lee trank den Rest seines Tees und erklärte, dass es Zeit sei, dass er Gai nach Hause begleitete. Tenten ließ die zwei ihrer Wege ziehen. Gai brauchte keine Hilfe um nach Hause zu kommen. Wahrscheinlich wollte Lee einfach allein mit ihm sein. Vermutlich um ihr nächstes Geburtstagsgeschenk zu besprechen. Wahrscheinlich eine Matratze.

Tenten verließ ihren Tisch, damit eine andere Gruppe sich dort niederlassen konnte, und setzte sich stattdessen an die Theke, der Ort für Alleintrinker. Es störte sie nicht. Sie hörte gern dem Leben in der Kneipe zu. Wie es pulsierte, unterbrochen durch lautes Gelächter alter Freunde, dem Schluchzen eines abgewiesenen Liebhabers, dem Triumpfschrei eines brandneuen Chu-nins, frisch aus der Prüfung. Sie spürte wie es sie berührte, am Leben hielt, hier in Konoha hielt. Es zog sie an, lullte sie ein. Sie fühlte sich nicht einsam, wenn sie allein an der Theke saß und trank. Sie fühlte sich lebendig. Sehr, sehr lebendig.

“Das fühl ich mich auch.”

Tenten fiel beinah vom Hocker. Die Stimme kannte sie.

Mit eisernen Fingern hielt sie sich am Rand der Tischplatte fest, sodass ihr Stuhl nicht umkippte. Als sie sich wieder aufgerichtet und den eiskalten Schweiß weggewischt hatte, der plötzlich auf ihrer Stirn ausgetreten war, schaute sie zu ihrer rechten. Neben ihr an der Bar saß Neji. Genauso unversehrt wie in ihrer Schlafkammer am Abend zuvor.

“Ich fühle mich… lebendig”, wiederholte er sinngemäß und starrte erst an seiner korporalen Gestalt und dann an ihrer hinab.

“Gut siehst du aus”, bemerkte er in seiner kühlen Art, die kein Lächeln in seinem Gesicht duldete. Tenten weigerte sich noch einmal mit einem Geist zu sprechen.

“Weißt du was man hier machen muss, um ein Bier zu bekommen?”, fragte er mit nur einer Spur Ungeduld in der Stimme.

Tenten trank noch einen Schluck und sah sich um als würde nicht ihr verstorbener Freund neben ihr hocken und versuchen die Aufmerksamkeit des Barmanns auf sich zu lenken.

“Ich kann mich nicht erinnern jemals zuvor dieses Problem gehabt zu haben”, äußerte er, ein wenig erstaunt.

“Natürlich nicht. Wenn du in eine Kneipe gegangen bist, war sich jeder sofort deiner Anwesenheit bewusst.”

Tenten wollte sich ohrfeigen. Sie hatte mit dem Geist gesprochen!

“Ich schätze niemand außer dir sieht mich hier.” Er sprach es aus als hätte er gerade einen Clou auf einer Mission entdeckt. Er sah sich um als suche er nach mehr.

“Neji...”, begann Tenten vorsichtig. Sie wusste nicht ganz was sie hier tat, doch dies schien ihr die richtige Frage, wenn sie schon mit ihm reden musste: “Warum bist du hier?”

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu. Die dünnen silbrigen Schlitze, seine Augen, weiteten sich ein wenig und er hob die Schultern. “Das weiß ich so sehr wie du.”

“Neji”, begann Tenten erneut. Sie nahm einen tiefen Zug, starrte in den Hals ihrer Flasche, beobachtete die braun schummrige Flüssigkeit am Boden und stieß leise aber bestimmt aus: “Du bist tot”. Keine Widerworte ertönten und als sie aufsah, war er fort. Der Hocker zu ihrer rechten war leer.

Sie seufzte. Natürlich war er leer. Neji, heil und auf einer Mission, war nur ein Figment ihrer Einbildung. Sobald sie sich daran erinnerte, dass er tot war, würde er immer verschwinden. Sie lachte ein bitteres Lachen.

Es ist nicht so, dass sie nicht überrascht gewesen war wie gut sie den Tod eines guten Freundes hatte überwinden können, doch es wunderte sie schon ein bisschen, dass es so lang gedauert hatte. Sie hatte erwartet ihn schon früher zu vermissen. Sie war davon überzeugt, dass die Einbildungen mit der Zeit wieder verschwinden würden. Dies war nur eine Phase. Nur eine der letzten Methoden ihres Gehirns die Erinnerung an ihren Freund zu erhalten. Vielleicht sollte sie sein Grab mal wieder besuchen. Das gäbe ihr bestimmt Frieden.

“Hey, willst du sein Bier?” Der junge Barmann sah sie fragend an.

“Wessen Bier?”, wollte Tenten wissen.

“Na, der Typ neben dir, der erst eins bestellt hat und dann einfach abgehauen ist.” Tenten konnte am genervten Gesichtsausdruck des anderen sehen, dass dieser keinen schlechten Scherz machte. Langsam nickte sie und das Bier wurde vor ihr abgestellt. Es war importiert und eins der teuersten auf der Karte. Genau was ein reicher Junge aus gutem Haus bestellen würde.
 

Am Abend nach der Kneipe hatte Tenten nicht schlafen können. Um ehrlich gesagt, hatte sie Angst davor gehabt sich zu bewegen. Sie war in der Kneipe auf ihrem Hocker geblieben bis man sie rausgeschmissen hatte. Dann war sie irgendwie nach Hause getorkelt und hatte auf dem harten Fußboden gelegen bis sie die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster lugen sehen konnte. Als sie versuchte aufzustehen, wurde ihr klar, dass sie noch immer betrunken war und beschloss, dass es keinen Sinn mehr machte auszunüchtern. Also ging sie zum Schrank im Wohnzimmer und schüttete sich einen Whiskey ein. Dann rief sie ihren Manager an und teilte ihm mit, dass sie heute nicht im Hauptladen vorbeikommen würde. Das Tolle daran seine eigene Kette an Waffenläden zu besitzen war, dass niemand einem Vorschriften machen konnte. Normalerweise genoß sie es mitanzupacken, selbst mit den Kunden zu sprechen und alles zu übersehen, doch sie hatte einen sehr fähigen Manager namens Hamilton, der es auch ohne sie fertig bringen würde. Nach dem Telefonanruf schlurfte sie ins Schlafzimmer und zog sich ihre feinsten Klamotten an. Zu spät fiel ihr ein, dass sie wahrscheinlich wie ein Bierfass stank und ihre Haare ungewaschen waren, doch irgendwie war es ihr auch egal. Sie quetschte sich in ihre feinen Schuhe, kämmte ihre Haare und zog sie dann streng zurück, um sie hochzustecken. Sie wusch sich das Gesicht und benutzte ein bisschen eines sehr teuren Parfums, das Lee ihr mal zu Weihnachten geschenkt hatte. Dann machte sie sich auf den Weg.

Obwohl sie normalerweise gern zu Fuß ging, winkte sie diesmal einen besonders früh wachen Jungen mit einem Laufkarren zu sich. Ihre Seidenschuhe hätten den Marsch niemals überlebt. Es fühlte sich falsch an von jemandem gezogen zu werden, doch die Morgenfrische tat ihr trotzdem gut. Es war noch recht kühl, obwohl jetzt schon klar war, dass das nicht lange anhalten würde. Die Sonne war jetzt schon fast grell.

Obgleich der Frühe herrschte im Anwesen der Hyuga schon reger Betrieb. Natürlich waren alle Bediensteten dabei den Tag für die Herrscher des Hauses vorzubereiten. Aus der Küche stieg ein herrlicher Duft von frischem Reisbrei mit Honig und Früchten. Als Tenten ausstieg sahen die Wachen sie verwundert an. Tenten kannte sie nicht.

“Holt den alten Gerd her” befahl sie. Die Wachen waren so verdutzt, dass der jüngere von beiden fast automatisch Folge geleistet hätte, doch der andere schüttelte sein Erstaunen schnell ab und sagte: “Du befehlst uns nicht.”

“Nein, ich weiß.” Tenten rollte die Augen. “Aber Gerd schon, also hol ihn bitte, damit er euch sagen kann, dass ihr mir verdammt noch mal den Weg freimachen solltet.”

Die zwei sahen unsicher drein. Tenten trug zwar ihren feinsten Kimono, aber ihr feinster war noch immer nicht besonders fein. Außerdem war er schlecht geknotet, sodass die Obi schief saß und eine ihrer Socken war heruntergerutscht. Sie trug auch keine traditionellen Holzschuhe, sondern die modernen Seidenschuhe aus dem Westen.

“Du könntest sie bewachen und ich könnte den Kommandant holen.” Der Jüngere flehte den Älteren beinahe an. “Ich habe noch niemanden den Kommandanten beim Namen nennen hören”, flüsterte er beschwörend.

“Still, du Dummkopf!”, erwiderte der Andere. Beide hatten mittlerweile ihre Piken ihr zugeneigt. Behutsam entnahm Tenten ihrem Kimono einen mit Stahl verstärkten Fächer. Sie machte drei Schritte auf den Älteren zu. Sofort erhob er die Waffe gegen sie. Mit dem Fächer fing sie den Schlag ab und leitete ihn nach unten weiter, während sie dem Stoß des Jüngeren mit Leichtigkeit auswich. Natürlich verfehlte der Stoß sie und Tenten konnte ihm die Waffe einfach entreißen, während er in seinem Übermut zu Boden ging. Den Älteren mit der neuerungenen Waffe k.o. zu schlagen war auch ein leichtes.

Sie ließ den Fächer wieder verschwinden, stubste den jüngeren Wachsoldaten mit seiner eigenen Pike an und fragte: “Wärst du so nett das Tor für mich zu öffnen?” Beeindruckt wie elegant sie die Waffe mit einer Hand führte, wagte er es nicht ihr zu widersprechen. Aber er wich auch nicht von ihrer Seite als sie in den Hof schritt.

“Schließ am besten hinter dir, Söhnchen”, riet Tenten. Der junge Soldat schnellte zurück, um das Tor wieder zu verschließen und holte sie dann auf dem Weg zum Wachhaus ein. Er öffnete die Tür für sie, machte einen Salut und rief in die Stube hinein: “Herr Kommandant, unbekannte Dame hat sich gewaltsam Einlass zum Anwesen verschafft!”

Seine Kumpanen sahen so aus als wollten sie ob eines Scherzes in Gelächter ausbrechen als sie beobachteten wie Tenten in ihren Kleidern zur hintersten Ecke trippelte, doch die Stille ihres Kommandanten hielt sie auf. Gerd war ein älterer Herr mit narbigem Gesicht, stämmigem Bau und einem groben aber nicht derben Sinn für Humor. Als er den Neuankömmling sah, bat er zwei der umstehenden Soldaten sich um das Tor zu kümmern und einen Verbandskasten mitzunehmen, bevor er aufstand und zu seinem Privatschrank schritt. Er holte zwei Gläser hervor und seinen feinsten Cognac. Ihre Worte hallten klar und deutlich durch die Stube, weil es so still geworden war. Keine einzige Rüstung klirrte.

“Tenten, du Luder.”

“Na, alter Sack.”

Er schenkte ihr und sich selbst großzügig ein und sie tranken in einem aus.

“Was für eine Verschwendung”, maulte Gerd, doch er schenkte ihnen gleich nochmal ein.

Als sie fertig getrunken hatten, erbot er sich: “Ich gehe ein Stück mit dir.”

Sie nickte nur und zusammen verließen sie die Stube unter neugierigen Blicken.

“Viele neue Gesichter”, bemerkte Tenten.

“Nicht wirklich. Es ist nur so, dass ich am Donnerstag alle neuen Rekruten trainiere, damit die alten Hasen einen Tag frei haben.”

“Wie lieb von dir.”

“War nicht meine Idee. Mademoiselle Hyuga hat es so eingerichtet. Sie mag die jüngeren Wachen lieber.”

Das wunderte Tenten und Gerd lachte ein bisschen. “Liegt nur daran, dass die jüngeren sie nicht aufwachsen gesehen haben. Sie betrachten sie mit anderen Augen. Das gefällt ihr.”

“Ah.” Das machte schon mehr Sinn. Hanabi stand lieber im Rampenlicht als ihre ältere Schwester. Gerd führte sie auf einem kleinen Pfad an der Wachstube und dem Haupthaus vorbei. Er schlängelte sich ein ganzes Weilchen durch die langweiligen, weniger stilvollen Teile des großen Gartens und endete im Familienmausoleum.

“Er war nicht großartig beliebt”, gestand Gerd. “Und ich versteh auch wieso”, fuhr er fort.

“Er war’n arroganter Schnösel”, lachten er und Tenten beide gleichzeitig.

Dann wurde seine Stimme wieder hart. “Aber ich find’s schön mit anzusehen wie du immer noch ein paar Mal im Jahr herkomst, nur um hierher zu wandern.”

Sie sah ihm fest in die Augen. “Ja, ich auch.”

Dann verabschiedeten sie sich und Tenten machte ihren Weg allein zum Grabstein, der ihr vertrauter war als alle anderen.

Als sie ankam, begann sie mit “Hey.”

Für eine schreckliche Sekunde hatte sie Angst, dass ihre Imagination ihr einen Streich spielen würde und sich gerade hier an diesem Ort freien Lauf lassen würde mit ihren neuerlichen Halluzinationen. Doch zum Glück antwortete keine ihr bekannte Stimme. Also fuhr sie fort.

“Lang nichts von dir gehört”, hätte sie normalerweise gesagt, doch dieser Witz hatte seit vorgestern einen bitteren Beigeschmack, also ließ sie es bleiben.

“Ich hab dir diesmal nichts mitgebracht. Ich bin ein bisschen impromptu hier. Das kannst du vielleicht auch riechen. Naja, wenn du noch eine Nase hättest, aber da sie größtenteils aus Knorpel besteht ist sie schon längst weg.” Sie lächelte den Grabstein an und fuhr fort. “So viel ist nicht passiert seit dem letzten Mal, dass ich hier war.”

Umständlich setzte sie sich neben den Grabstein und lehnte sich an. Ein paar verwelkte Blütenblätter waren von Wind und Wetter in den Stein geschweißt. Ansonsten sah alles noch sehr schön aus. Die Gärtner gaben sich große Mühe mit dem Friedhof. Sie sah auf zum Mausoleum. Das Gebäude war groß und ehrerbietig. Sie war so froh damals gekämpft zu haben. Tenten meinte nicht im Krieg. Sie meinte den Familienzwist der entstanden war als beschlossen werden musste wo Neji begraben werden würde. Sie konnte sich noch gut an Hinatas Ärger erinnern, wie ihre schneeweißen Augen vor Zorn aufgeblitzt waren und sogar ihr Vater davon Respekt eingeflößt wurde. Tenten war direkt an ihrer Seite gewesen, hoch aufgerichtet mit vorgerecktem Kinn. Sie war es die Hinata von Nejis Beerdigungswünschen erzählt hatte.

“Siehst du die Vögel da?”, hatte er sie einst zu Lebzeiten gefragt. Tenten hatte von ihren Schnürsenkeln aufgesehen und genickt.

“Ich will unter freiem Himmel begraben werden. Hast du gehört?” Wieder Nicken.

Zu dem Zeitpunkt hatte sie nicht verstanden warum er es ihr so gesagt hatte, aber sie glaubte es jetzt zumindest erahnen zu können.

“Ich wusste, dass ich auf dich zählen könnte.”

Tenten schreckte so schnell auf, dass sie sich den Kopf am Stein aufschlug.

“Entschuldige”, machte Neji kurzangebunden. Wenn er dieses Wort sagte konnte man nie genau wissen ob er es nur sagte, weil man es von seinen Manieren erwachtete oder ob er es tatsächlich meinte. Das hatte sich im Tod auch nicht geändert.

“Wird es nicht langsam Zeit, dass du mich in Ruhe lässt? Siehst du? Ich bin an dein Grab gekommen. Mein Gewissen ist rein. Du solltest langsam verschwinden.”

Neji runzelte die Stirn. Er stand da in derselben Kleidung wie an jenem ersten Abend, die Hände auf dem Rücken verschränkt als würde er gleich Kriegsstrategie mit seinem Onkel, ihr selbst und Hinata debattieren. Sein Blick glitt vom Mausoleum zu ihr herab.

“Kommst du nur hierher, weil du ein schlechtes Gewissen hast?”

Tenten stöhnte. Diese imaginäre Version war genauso nervtötend wie die echte Version.

“Verdreh meine Worte bitte nicht. Du kommst aus meinen Gedanken. Offenbar vermisse ich dich ...oder so. Ich versuche nur die Situation so gut wie möglich zu meistern.”

Er sah ihr lange in die Augen und sein intensiver Blick war ihr unangenehm. Warum ihre eigenen Gedanken sie so anstarren sollten war ihr schleierhaft.

“Warum bin ich hier?”, fragte er sie mit seiner dunklen Stimme, die noch genau so klang wie Tenten sie in Erinnerung hatte. Natürlich klang sie genauso. Sie war direkt aus Tentens Erinnerungen gepflückt worden. Sie war sich sicher, denn als er diese Frage stellte schlug es in ihrem Innern an, als vibrierten die Saiten eines Instruments dort.

Sie hob die Schultern. “Das weißt du besser als ich. Mir war nicht einmal bewusst, dass ich dich mehr vermisse als sonst. Vielleicht ist es Hinatas Hochzeit.” Sie lächelte den Neji ihrer Erinnerung an.

“Hinata heiratet?”, fragte er verdutzt. Tenten nickte verschmitzt. Natürlich würde der Neji ihrer Erinnerung nichts von der Hochzeit wissen.

“Wen?”, wollte er wissen, doch schon im nächsten Augenblick ging ihm ein Licht auf. “Natürlich”, machte er. Er hatte sich vollkommen im Griff. Was immer er darüber dachte, sein Gesicht verbarg es. Tenten lachte ihn sanft aus.

“Ich hoffe, sie hat dich eingeladen.”

Tenten nickte. “Natürlich, ich…”

Neji ließ sie nicht ausreden. Wie früher, ergriff er wie selbstverständlich das Wort: “Es ist nicht richtig dich von Familienfestivitäten auszuschließen nur weil du nicht denselben Rang hast.”

Tenten verdrehte die Augen. “In den Augen des Vaters der Braut ist nicht mal der Bräutigam von genügend Rang um seiner eigenen Hochzeit beizuwohnen.”

“Aber ich dachte, er sei Hokage”, äußerte Neji verwundert.

“Ja, ist er ja auch. Und dein Onkel ist wirklich sehr viel akzeptierender geworden. Was ich vorhin sagen wollte ist, dass ich nicht nur eingeladen, sondern zusammen mit Sakura eine der Brautjungfern bi-” Tenten hielt inne, ihre Lippen bebten. Wenn dieser Neji die Version ihres Freundes war, an den sie sich als Lebenden erinnerte, woher würde er dann wissen, dass Naruto Hokage war.

“Woher weißt du das? Woher weißt du, dass er Hokage ist?”

Er sah sie verwirrt an. “Das hast du selbst gesagt. Du meintest zu Naruto: ‘Hat man als Hokage dafür keine Angestellten’?” Er machte einen Schritt auf sie zu, doch Tenten ging in die Defensive.

Das hatte sie tatsächlich gestern gesagt. Gestern. Nicht als Neji noch lebte. Gestern.

“Wer bist du?”, zischte sie. Sie konnte nicht, fassen dass sie eben noch gelacht hatte. Das Bier gestern könnte noch zu erklären gewesen sein. Sie hatte einen Kerl außer Neji zwar nicht bemerkt, doch sie war in Gedanken gewesen. Jeder hätte zur Theke kommen, etwas bestellen und wieder gehen können. Aber was hier passierte war unheimlich. Hirngespinst oder nicht, das Ausmaß ihrer Halluzinationen begann sie zu ängstigen. Ganz zu schweigen von der unmöglichen Möglichkeit einen echten Geist - war das ein Oxymoron? - vor sich zu haben.

“Geh weg oder Schlimmes geschieht”, warnte sie ihren Gegenüber. Sein Haar wallte und bauschte sacht mit einer Windbö, die es bis in diesen entlegenen Winkel des Gartens geschafft hatte. Tenten richtete sich zu ihrer gesamten Größe auf und brachte den Fächer zum Vorschein. Abrupt ließ sie ihn das Bild sehen, dass sich aus den Falten des Fächers ergab. Es war Konoha aus der Vogelperspektive. Der Laut schien ihn zu verunsichern. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Dann ließ sie den Fächer einmal durch die Luft fahren. Neji war wie weggeblasen. Verstört sah Tenten sich um. Doch er war wirklich weg.

Sie sah Gerd in der Ferne den Weg zum Friedhof entlang kommen. Mit stählernen Nerven beschied sie ihn auf halbem Wege zu treffen. Angekommen informierte er sie, dass die Familie sie zum Frühstück einlud.

“Du musst ihnen nicht sagen, wenn ich hier ankomme, weißt du”, ermahnte sie ihn. Er hob die Schultern. “Ich glaube, es ist gut für alle, die involviert sind. Und technisch gesehen soll ich es melden, wenn Gäste durch das Tor kommen.”

Tenten verdrehte die Augen.

“Nebenbei bemerkt...”, begann Gerd. “Ich bin sicher niemand im Haus würde es beanstanden, wenn du einen jungen Mann offiziell mitbrächtest.” Die Art und Weise wie er ‘offiziell’ betonte kam ihr seltsam vor.

“Wie meinst du das?”

“War da nicht gerade ein junger Mann im Friedhof mit dir?” Offenbar hatte er gedacht, dass sie irgendwie jemanden hineingeschmuggelt hatte. Sie konnte fühlen wie die feinen Härchen in ihrem Nacken sich aufrichteten.

“Nein.”

“War es einer der Gärtner?”

Tenten schüttelte den Kopf. “Du musst dich geirrt haben”, gab sie mechanisch von sich. “Ich war allein.”

“Ach, echt?”

“Ganz allein.”
 

Die Halle der Hyugas war imponierend. Zum Glück war Tenten sie schon gewohnt. Ansonsten hätten die hohen Decken, die dicken Balken und Säulen und die unendlich lange Tafel sie sicher eingeschüchtert. Aber seit des Beerdigungsmahls hatte der Raum allen Schrecken verloren. Ironisch, hätten einige gesagt. Doch wenn man drei Studen lang langweilige Konversation mit Nejis langweiligen Verwandten machen musste verlor alles seinen Schrecken, sogar der Tod.

“... Und das war als er drei Jahre alt war. Als er vier war hatte er bereits gelernt sein Chakra perfekt zu beherrschen und-”, hatte eine Hiashis uralter Tanten zum Besten gegeben.

“Absolut beherrscht!”, hatte das Familienoberhaupt vom Tischende zugestimmt. “Der Junge verstand was von Chakra!”

Tenten hatte ein Seufzen unterdrückt und einen mitleidigen Blick mit Hinata getauscht, die dichter bei ihrem Vater gesessen hatte.

Tenten lächelte kurz, hörte auf in Erinnerungen zu schwelgen und sah vom Tisch auf, an dem sie damals gesessen hatte. Stattdessen wandte sie sich an Hinata, die bei einer der Säulen auf sie wartete. Zusammen schritten sie zum Esstisch und ließen sich nieder.

Hiaschi und viele andere saßen bereits. Andere strömten noch durch Seitentüren hinein.

“Tenten”, begann der früher so verhasste Onkel. “Schön dich wieder an unserem Tisch zu sehen. Es erfüllt mich mit Freude zu sehen wie du meinem Neffen noch immer den ihm gebührenden Respekt entgegenkommen lässt.”

“Sie tut es aus Freundschaft”, interjektierte Hinata tadelnd. Er schenkte ihr einen missbilligenden Blick, sagte jedoch nichts dazu.

“Es freut mich ebenfalls wieder die gute Küche Eurer Halle genießen zu können.”

Die Bediensteten des Hyugaanwesen waren wie einstudierte Synchronschwimmer. Sie bewegten sich in fließenden Bewegungen durch die Hallen. So auch als sie das Frühstück servierten. Beinah geräuschlos schlurfen sie mit flinken Füßen über den Boden und deckten den Tisch. Leider schauten sie einem nie in die Augen. Das war Tenten immer unangenehm. Sie wusste, dass Hinata es mittlerweile auch zu schaffen machte. Sie hatte Tenten anvertraut, dass sie in dem neuen Heim, das sie mit Naruto teilen würde, nicht so leben wollte.

“Wie ist es dir seit unserer letzten Begegnung ergangen?” Allen anderen am Tisch war es erst gestattet zu essen, nachdem Hiaschi den ersten Bissen getan hatte. Daher beeilte Tenten sich mit ihrer Antwort.

“Gut, sehr gut.”

“Ich hab gehört du warst im Krankenhaus.” Noch mehr Erkundigungen waren nicht unbedingt ungewöhnlich für Hiaschi, doch dass er alle davon abhielt zu essen schon. Es war fast so als wolle er absolute Stille für ihre Antwort.

“Mein Arm und ein paar Rippen waren gebrochen. Nichts was ich nicht schon früher durchgemacht hätte.”

“Wie kam es dazu?” Wenn er wusste, dass sie im Krankenhaus gewesen war, wäre es verwunderlich wenn er nicht wüsste warum. Tenten antwortete:

“Die Achse in einem meiner Lieferwägen ist gebrochen und ich wurde unter einer wagenladung Waffen begraben.”

Er starrte noch einen Augenblick in ihre tiefbraunen Augen, ließ es aber dann dabei beruhen. Endlich nahm er den ersten Bissen.
 

Nach dem Frühstück wollte Tenten eigentlich ihren Rausch ausschlafen gehen, doch Hinata bestand darauf noch etwas der Zeit ihrer Freundin einnehmen zu dürfen. Der lieben Hyuga-Anwärterin konnte sie nichts abschlagen.

“Ich mache mir ein wenig Sorgen um die Hochzeit”, gestand Hinata während sie im Garten spazierten. Tenten starrte in die Ferne, wo sie den obersten Teil des Mausoleumdaches durch ein paar Bäume erspähen konnte, doch schüttelte sich aus ihren bisherigen Gedanken frei.

“Wie meinst du das? Naruto wird sich benehmen, dafür Sorge ich schon. Mich interessiert es nicht die Bohne, dass er jetzt Hokage ist.”

Hinata brach in Lachen aus. Es war so ein lieblicher Klang. Es wärmte ihr immer das Herz. Hinata rief in ihr den eigentümlichen Drang wach sie zu beschützen. Besonders seitdem Neji nicht mehr dazu in der Lage war.

“Ich mache mir doch keine Sorgen um Naruto”, winkte Hinata ab. “Es geht um die Hochzeit. Um genauer zu sein, um die Größe.”

“Die Größe der Hochzeit?” Tenten verstand nicht ganz. Sie ging die Rechnungen im Kopf durch. “Alles ist bezahlt. Dein Vater ist glücklich und so sind alle deiner anderen zweihundert Verwandten. Deine Bediensteten sind disziplinierter als die meisten Shinobi, die ich kenne. Nichts wird schief gehen, egal wie groß.”

Hinata lachte immer mehr und Tenten wurde immer verwirrter.

“Du hast so einen praktischen Geist”, schmunzelte sie als sie an ein paar Orchideen vorbei wandelten. Hinata hielt inne, um sich am Duft und deren Anblick zu ergötzen.

“Ich mache mir Sorgen, dass ich es nicht...” Sie fand nicht die richtigen Worte. Ihr hübsches Gesicht zeigte angestrengtes Grübeln.

“Vielleicht ist es selbstsüchtig das zu denken”, gab sie schließlich zu. Nun war Tenten gespannt. Hinata war nicht für ihre selbstsüchtigen Gedanken bekannt!

“Ich bin etwas bang, dass mir meine eigene Hochzeit nicht gefällt”, gestand sie schließlich. Sie hatte sich beim Grübeln gebückt um an einer wunderschönen violetten Orchideenblüte zu schnüffeln. Jetzt hockte sie sich vollends hin und sah durch die Stengel als könnte sie dort die perfekte Zeremonie finden.

“Ich will mein Leben mit Naruto nicht mit so viel pompösen Gedöns beginnen. Das wär mir immer ein Dorn im Auge.”

“Wenn du’s nicht tust ist dein Vater dir immer ein Dorn im Auge”, gab die in der Tat praktische Tenten zu bedenken.

“Ich weiß”, lächelte Hinata, aber es war eine Spur wehmütig. Da hatte Tenten eine Idee.

“Hinata?”

“Ja?”

“Würdest du sagen, du vertraust mir?”

Die Frage überraschte sie eindeutig. Aber nachdem sie sich eine Strähne aus dem Gesicht gefischt und in Tentens Gesicht aufgesehen hatte, war ihre Antwort ohne Zweifel: “Mit meinem Leben.”

“Dann mach dir keine Sorgen mehr.”

Hinata erwägte die Aufforderung eine Sekunde lang und kam ihr dann nach. Mit einem Nicken gab sie ihr Einverständnis sich nicht mehr zu sorgen.

“Kann ich dir jetzt eine Frage stellen?”, wollte Hinata unvermittelt wissen als sie weiter dem Pfad folgten.

“Natürlich”, antwortete Tenten.

“Warum riechst du als hättest du die ganze Nacht durchzecht und dann in Parfum gebadet?”

Tenten stöhnte widerwillen. Wie sollte sie das nur erklären? Dein toter Cousin raubt mir den Schlaf? Das könnte funktionieren. Sie musste ja nicht sagen, dass er ihr den Schlaf raubte, weil er mit ihr sprach.

“Ich muss in letzter Zeit oft an Neji denken.” Halbwahrheiten war der beste Weg zu lügen. Hinata sah betroffen aus. Sie legte ihre feingliedrige Hand auf Tentens Arm, um ihr Mitgefühl auszudrücken.

“Es ist gut, dass du endlich den Mut hast es zu sagen.”

Tenten horchte auf. “Wie bitte?”

Hinata erläuterte: “Na ja, du hast nie wirklich geweint oder mit dem Schicksal gehadert. Nicht so wie ich oder Lee. Nach all den Jahren muss sich ganz schön was aufgebaut haben.”

Tenten war verwirrt. Offenbar war Hinata der Ansicht Tenten habe irgendwelche Gefühle unterdrückt. Doch dem war nicht so. Natürlich vermisste sie Neji. Sie vermisste ihn jeden Tag, wenn sie eine Waffe in Händen hielt, Lee einen Narren schalt, sich mit Hinata und Naruto traf. Natürlich wäre es schön wäre er noch am Leben und würde der ganzen Welt seine Missbilligung mit einem Stirnrunzeln kundtun. Aber es war nicht das Ende der Welt, dass er es nicht war. Es war sein Leben und er hatte es genauso beendet wie er wollte. Er hatte Frieden, Ruhe, vielleicht sogar etwas wie Freude gefunden und das war Tenten mehr wert als alles andere. Darum hatte sie nicht geweint. Doch sie wusste nicht genau wie sie das Hinata vermitteln sollte.

“Du missverstehst da was.” Sie wollte nicht unhöflich sein, doch sie musste Hinatas Hand behutsam von ihrem Arm nehmen.

“Hinata, hast du jemals das Gefühl, … dass Neji noch ...” Sie suchte nach den richtigen Worten.

“Noch bei uns weilt? Über uns wacht?”, fragte sie eilig. Ihr Gesicht strahlte vor Freude ob Tentens Nicken. “Aber ja, natürlich!”, antwortete sie. So griffbereit hatte sie diese Antwort nicht von Hinata erwartet.

“Wenn ich meine Augen schließe, kann ich ihn fühlen. Ich fühle wie er mir am Tisch gegenüber sitzt oder in der Halle hinter mir her läuft. Ich wusste nicht, dass es bei anderen auch so ist. Manchmal glaube ich ihn aus den Augenwinkeln beinahe sehen zu können, aber natürlich ist da nichts. Es ist nur ein Gefühl. So ähnlich wie wenn meine Sinne das Chakra eines anderen ertasten.”

Fasziniert lauschte Tenten.

“Hörst du ihn auch manchmal?”

Hinatas Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Sie sah besorgt drein.

“Nein, natürlich nicht, Tenten. Neji ist tot”, erklärte sie viel langsamer und deutlicher als nötig gewesen wäre. Tenten kicherte nervös.

“Natürlich”, stimmte sie zu und winkte ab.

“Ich hab keine Ahnung wovon sie spricht”, hauchte eine bekannte Stimme banal an ihrem Ohr. Tenten schrie auf und stieß Hinata zur Seite. Sie war so erschrocken, dass sie in dem engen Kimono um ihre eigenen Füße stolperte und wieder mal auf dem Boden landete. Hinata stürzte besorgt an ihre Seite.

“Geht’s dir gut? Hat dich was gestochen?” Sie sah sich überall nach einer Wespe oder Biene um. Unter anderem starrte sie ihrem toten Cousin neben sich direkt ins Gesicht. Er war ebenfalls in die Hocke gegangen, blickte ihr über die Schulter und wunderte sich wohl auch was mit Tenten los war.

“Ich kann mich nicht daran erinnern ihr durch die Hallen gefolgt zu sein”, äußerte er, während Hinata durch ihn hindurch nach Insekten suchte.

“Ich glaub das nicht”, murmelte Tenten und wandte den Blick von beiden Hyugas ab.

Hand in Hand

Es war 23:55 Uhr und Tenten saß schon drei Stunden lang reglos in ihrem Wohnzimmer. Nach dem Fiasko mit Hinata und Neji am Morgen hatte Tenten sich entschuldigt und war ziellos in der Stadt umhergeirrt. Ihre Seidenschuhe waren ruiniert und das alles hatte ihr überdem noch sämtliche Blasen beschieden. Darauffolgend hatte sie etwas aus ihrem Kühlschrank gefischt, es mit einem großen Schluck Whiskey gründlich heruntergespült und endlich beschlossen zu duschen. Die teure Kleidung hatte sie einfach zu Boden gleiten lassen und das warme Wasser hatte unglaublich gut getan. Ihr Haar hatte sich vollgesogen und das warme Wasser löste den strengen Zopf, sodass ihr langes braunes Haar auf ihre Schultern wallte. Als sie sich wieder sauber gefühlt hatte, war sie zur Couch geschlendert und da bis gerade mit ihrer Flasche Whiskey verblieben. Nun stand sie auf. Sie wusste nicht genau was sie tat, doch dieser Terror musste ein Ende nehmen.

Sie nahm noch einen letzten Schluck und ließ die Flasche auf dem Sofa zurück. In der Mitte des Raumes sagte sie bestimmt: “Neji. Ich muss mit dir reden.”

Nichts geschah.

“Neji. Sofort!”

Immer noch nichts. Tenten kam sich mittlerweile etwas dämlich vor.

Sie drehte sich ein paar Mal und sagte dann noch einmal in die Stille: “Bitte. Ich weiß, dass Flehen dich nicht milde stimmt, aber was hier vor sich geht ist inakzeptabel.”

Nur die leere Stille ihrer Wohnung antwortete.

Enttäuscht und erleichtert zugleich schlurfte Tenten in Richtung ihres Bettes.

Die Decke lag schwer auf ihren Schultern. Fast fühlte es sich an als schneide sie Tenten die Luft ab, während diese an ihre graublaue Decke starrte. Der Mond ließ einen silbrigen Schimmer in ihrem Zimmer Einzug halten, doch er machte das Atmen nicht leichter. Je mehr sie an ihre Decke starrte desto seltsamer kamen ihr die Ecken vor, als wäre sie in einem Van Gogh Bild. Die Perspektive schien falsch. Endlich nahm sie einen tiefen Atemzug, schlug die Decke beiseite und schwang die Beine aus dem Bett. Die Alarmuhr auf dem Nachttisch zeigte 1:38 Uhr an.

Mühsam schleppte Tenten sich ins Badezimmer. Ihr Nachthemd glitt lautlos zu Boden, behutsam stieg sie in ihre Dusche. Der Strahl schoss heiß und dampfend über ihren Körper. Ihre Augäpfel brannten hinter den Lidern. Ohne zum Shampoo oder der Seife zu greifen, schloss sie den Hahn wieder. Die Tür vorsichtig öffnend, griff sie nach dem Handtuch und trocknete sich sorgfältig ab, bevor sie es um sich wickelte und einen Fuß nach draußen setzte. Das braune Haar erschien schwarz vor Nässe und wickelte sich in einem komplizierten Muster um ihren Torso und Hals.

“Du siehst sehr ungewohnt aus.”

Tenten hielt sich im letzten Moment an der Duschtür fest, sodass sie nicht ausglitt.

“Verdammt!”, herrschte sie. Heftig schlug sie mit der Faust gegen die Tür noch bevor sie sich hochzog. Die Augen fest geschlossen, überlegte sie was sie als nächstes tun sollte. Ihre Augäpfel brannten noch immer. Schließlich öffnete sie ihre Lider und, ohne Zweifel, da stand ein sehr lebendig wirkender Neji. Sie gab auf.

“Bleib, geh, mir egal”, klärte sie ihn auf, wickelte das Tuch enger um ihre Brüste und spazierte hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei. Er folgte ihr.

“Ich war noch nie in deinem Schlafzimmer.”

“Mit gutem Grund.”

Sie spürte wie er sich umsah. Viel zu sehen gab es nicht. Das ausladende Bett nahm den meisten Platz ein. In der Ecke stand ein großer dreiteiliger Schrank, dessen verschiedene Abteilungen Kleidung für verschiedene Anlässe enthielt; Militär, Alltag und Schick. Einen Spiegel besaß sie nicht, doch unter dem Fenster war ein kleines Sofa, auf dem sie gerne las, und die Fensterbank selbst war auch mit Kissen bedeckt, da sie manchmal mit ihrem Buch darauf kletterte und dann ein Bein bis auf das Sofa baumeln ließ. Neji stand außerdem auf einem großen runden Teppich, der viel des Freiraumes bedeckte und sogar bis unter das Bett und beinah zum Schrank reichte.

“Flauschig, nehm ich an”, detektierte er mit bloßem Auge.

“Willst du irgendetwas?”, fragte Tenten vom Bett aus, wo sie mit fest zusammengekniffenen Beinen und festumwickelten Brüsten saß und auf das Bettlaken tropfte. Ihre nassen Haare wanden sich immer noch wirr um ihren Körper.

“Nein. Du etwa?”, fragte er zurück, während er den halboffenen Schrank näher in Augenschein nahm.

“Nein, natürlich nicht”, erwiderte Tenten verwirrt. “Du bist der ungebetene Gast hier”, erinnerte sie ihn.

Sein breiter Rücken war ihr noch immer zugewandt, doch sie spürte dass er nun nicht mehr erkundete.

“Sei ehrlich. Hast du mich nackt gesehen?”, erkundigte sie sich unvermittelt mit neutralem Ton.

Er wandte sich um. “Nein. Du trägst ein Tuch.” Er deutete darauf.

“Ja, aber...” Sie wusste noch nicht wirklich was sie darauf erwidern wollte. Der Gedanke war schon da, doch er ließ sich noch nicht ganz in Worte fassen.

“Ich meine … ” Sie wiegte den Kopf hin und her. “Davor. Bevor ich dich sehen konnte. Und außerdem … Kannst du nicht durch diese Dinge hindurchsehen oder so?”

“Ich bin tot … offensichtlich”, fügte er hinzu als sei er sich dessen selbst nicht so sicher. “Und keine Comicfigur.”

“Na ja, ich wusste nie so recht was du mit den Augen alles konntest.”

“Kannst”, korrigierte er. “Ich bin an deinen Brüsten nicht interessiert, Tenten”, stellte er klar und unterdrückte ein genervtes Seufzen. “Ich will wissen, warum ich hier bin.”

Tenten schnaubte. “Glaub mir, das will ich auch.”

“Warum gibst du mir dann den Eindruck ich solle verschwinden? Ich bin der Ansicht wir würden die Antwort viel schneller gemeinsam entdecken.”

Tenten vergrub ihr Gesicht in den Händen. “Neji, du hast dich gar nicht verändert”, stöhnte sie undeutlich.

“Natürlich nicht.” Mit zwei Schritten stand er bei ihr. “Das letzte woran ich mich erinnere ist Schmerz, der Geschmack von Blut im Mund, Narutos und Hinatas Gesichter und dann … nichts. Bis ich plötzlich hier in deinem Schlafzimmer auftauche und dir beim Umfallen zusehen darf.” Er klang wirklich nicht besonders erfreut über die Umstände. “Nebenbei bemerkt musst du wirklich wieder in Übung kommen. Stell dir vor ich wär der Feind gewesen. Du bist wie ein Tollpatsch zu Boden gegangen.”

Tenten starrte ihm ungläubig entgegen.

“Um dich bei allen für dein Benehmen zu entschuldigen bist du jedenfalls nicht zurückgekommen”, stellte sie nüchtern fest.

“Nein, wieso auch?”, wollte er wissen.

“Ach nichts”, machte Tenten und konnte nicht fassen wie sehr dieser Geist sie an ihren Freund erinnerte. Es war als sei er wahrhaftig vor ihr.

“Unfassbar”, murmelte sie.

“Was denn?”, wollte er wissen.

“Du.” Sie hob unschlüssig die Schultern. “Du siehst so echt aus. So lebendig.”

“Hörst du schlecht? Ich habe dasselbe vorhin erst gesagt.”

“Das war gestern Abend”, korrigierte Tenten ihn.

“Für mich war es gerade eben”, erklärte er. Tenten stutzte.

“Und wo bist du den Rest der Zeit?”

Seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an. “Nirgendwo”, sagte er sanft.

“Im wahrsten Sinne des Wortes”, stimmte Tenten ihm zu. Hörte er einfach auf zu existieren? Obwohl, eigentlich existierte er ja jetzt schon nicht...Gab es verschiedene Grade des Existierens?

“Ich glaube, wir sollten Tsunade hiervon berichte. Es ist höchst verstörend.”

Tenten brach beinah in Gelächter aus. “Vergiss es.” Sie machte eine finite Geste, die einige ihrer Haarsträhnen in Unruhe brachte.

“Ich erzähle niemandem hiervon. Außerdem ist Tsunade gar nicht mehr das Oberhaupt.”

“Stimmt. Naruto dann.” Sein Gesicht spiegelte kurz sein Befremden über die ungewohnte Benutzung dieses Namens in einem Autoritätskontext wieder.

“Niemandem”, wiederholte Tenten mit Emphase. “Wie säh das für mich aus? Hallo, Naruto. Ich führe Streitgespräche mit meinem toten Freund. Er glaubt übrigens du solltest hiervon in Kenntnis gesetzt werden. Ach so und außer mir kann niemand ihn sehen!” Sie schmiss die Hände aufgeregt in die Luft und ihr Badetuch lockerte sich etwas zu viel. Sofort machte sie sich daran es wieder zu festigen.

“Bist du sicher, dass ich noch nie hier war?”, erkundigte Neji sich unvermittelt. Er starrte hinüber zum Fenster, zu ihrer Leseecke.

“Ja, sehr”, beschied sie. “Ich hatte diese Wohnung noch gar nicht als du starbst.”

In seinem Blick las sie, dass er noch nicht ganz überzeugt war, aber für den Moment Ruhe geben würde. Seine Augen. Sie waren so lebensecht. Sie stand auf und trat an seine Gestalt heran, während er noch immer zum Fenster sah. All die kleinen Fältchen seiner Haut waren sichtbar, sie konnte einzelne Wimpern ausmachen sowie alte Narben, die sie noch von früher kannte. Sie sah wie er atmete, sein Brustkorb sich hob und senkte. Sie trat noch einen Schritt näher, was ihn dazu bewegte sich ihr zuzuwenden. Wahrscheinlich war es nur ihre Einbildung, doch sie meinte die Wärme seines großen Körpers fühlen zu können. Als sie ihm das Gesicht zuwandte dachte sie sogar seinen Atem im Antlitz spüren zu können.

“Du siehst so echt aus”, wiederholte sie noch einmal. Sie wusste einfach nichts anderes zu sagen.

“Ich fühl mich echt”, gestand er. “Tenten...”

Sie schenkte ihm ihre ganze Aufmerksamkeit.

“Ich kann mein Herz schlagen hören.”

Neji würde niemals lügen. Mit dem Kinn deutete er auf die linke Seite seiner Brust. Tenten konnte natürlich nichts hören. Sie wusste nicht genau wieso, doch sie hob ihre Hand. Natürlich ginge sie mitten durch seinen Körper durch. Geister waren keine physischen Wesen. Doch für einen Herzschlag wünschte Tenten sich sie könnte ihn berühren. Sie hatte sich so etwas nie gewünscht, nicht als er noch lebte und ganz bestimmt nicht als er tot war, doch jetzt war das Verlangen ihn noch ein einziges Mal zu berühren so stark, dass ihr flau im Magen wurde. Die Erkenntnis, dass sie es nie wieder tun können würde ließ sie erstarren. Ihre Hand schwebte über seiner geisterhaften Brust.

“Ich kann’s nicht”, sagte sie.

“Was?”

“Ich kann nicht durch dich hindurchgreifen. Das ist mir zu unheimlich. Ich will lieber die Illusion aufrechterhalten, dass du echt bist.”

“Das ist töricht”, gab er seine rationale Meinung kund. Sie verdrehte die Augen.

“Ich weiß. Ich bin sentimental gerade. Geht das in deinen dicken Schädel?”

Er zuckte abweisend mit einer Schulter.

“Was auch immer.”

“Du bist auch nicht besser. Du wünschst dir so sehr wieder zu leben, dass du dir einbildest deinen eigenen Herzschlag zu hören.” Tenten wollte die Hand sinken lassen, doch Neji ergriff sie entschlossen und legte sie sich an die Brust. Tenten kreischte vom Schock. Sie kreischte wieder und wieder. Dreimal insgesamt und starrte ihn an als habe sie einen Geist gesehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dann starrte sie auf seine Hand. Ihre hektische Atmung stand im krassen Kontrast zu seiner ruhigen. Ihre Knie wurden butterweich, ihr Leib begann zu zittern und langsam sank sie auf die Knie. Neji begriff was ihr solche Angst einflöste. Ihre Hand lag warm und lebendig in seiner. Es gab keinen Unterschied. Zumindest fühlte er keinen. Ihre Hände waren gleich, doch eine schleichende, drohende Stille ergriff ihn. Sein Blick hielt ihren gefangen.

“Lass mich nicht los”, bat er inbrünstiger als er es je zu Lebzeiten getan hätte. Seine Atemzüge wurden ebenfalls flacher und er hockte sich zu ihr auf den Boden.

“Ok”, hauchte sie und nickte unsicher, presste ihre Hand so hart sie konnte an seine Brust. Sie konnte seine straffe Muskulatur unter dem dicken Stoff seiner Weste fühlen so fest presste sie. Sie kamen einander immer näher bis sie beide in einem Wirrwarr aus Armen und Beinen am Boden knieten, verbunden an einer einzigen Stelle ihres Körpers, aber vereint durch ihre Atmung und einer geteilten Angst vor etwas das sie nicht identifizieren konnten.

“Du fühlst mich, nicht wahr?”, fragte er. Seine Stimme klang unstet. Sie nickte.

“Oh ja.” Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu nicken. Das Tuch glitt von ihr ab.

“Lass mich nicht los”, wiederholte er noch einmal.

“Niemals”, versicherte sie. Sie saßen so in dieser hektischen Panik eine halbe Ewigkeit. Seine Hand umfasste ihre so fest, dass ihr Finger taub wurden. Schließlich wurde es so schlimm, dass sie das Gefühl in der Hand verlor.

“Ich fühl dich nicht mehr”, gestand sie. Langsam bemerkte sie wie ihr Tränen in die Augen stiegen.

“Wie bitte?”, es war ein hastig, angstvoll ausgestoßener Wortschwall, ganz untypisch für ihn.

“Deine Hand… Meine Finger … ich fühl nichts mehr.” Sie versuchte ihre Finger zu bewegen.

“Ich kann deine Finger noch fühlen”, informierte er sie.

“Ich glaube, du schneidest mir das Blut ab.” Sie wusste nicht wieso doch plötzlich musste sie einmal laut schluchzen. Ihre linke Hand, die bisher nur reglos an ihr herabgehangen hatte legte sich auf seine und schälte seine Finger gewaltsam von ihrer Rechten. Fasziniert beobachteten sie wie das Blut in ihre sterbensweiße Hand zurückkehrte. Mit ihrer Linken ließ sie ihn nicht los. Sie krallte sich in seine Weste.

Ihre Rechte schmerzte unsäglich. Als würden tausend Nadelspitzen ihre Haut penetrieren. Neji zog seine Hand behutsam zurück.

“Entschuldige bitte.” Seine Stimme fand langsam zu seiner kühlen Distanziertheit zurück.

“Kein Thema.” Tenten klang auch schon mehr nach ihrem alten selbst.

Eine Weile lang konnten sie sich nicht ins Gesicht sehen ob des intensiven Momentes den sie geteilt hatten, doch Tenten verstand. Sie ließ ihre Linke nie von ihm weichen.

Als sie beide wieder ruhig atmeten, schluckte Tenten hart und fragte: “Was jetzt?”

“Ich finde immer noch wir sollten dem Hokage über die Geschehnisse Bericht erstatten.”

Tenten biss sich auf die Zunge, um keine unüberlegte Äußerung zu tun.

“Ok”, willigte sie ein. “Aber ich meinte jetzt. In diesem Augenblick.”

Sie sahen sich endlich wieder an und plötzlich wurde Tenten sich ihrer Nacktheit gewahr. Mit der schmerzenden Rechten ergriff sie das Tuch und bedeckte sich so gut wie möglich.

“Ich kann nicht die ganze Nacht so sitzen”, beschwerte sie sich. Sie erhaschte einen beunruhigten Gesichtsausdruck bevor Neji ihn sorgfältig verbarg und fügte an: “Nicht, dass ich nicht gewillt bin. Aber ich hab Angst, dass ich irgendwann einfach vor Müdigkeit wegkippe.”

Er schien über das Dilemma nachzudenken. Währenddessen half er ihr geistesabwesend das Tuch um ihren gesamten Oberkörper zu wickeln und befestigte es stramm unter ihrem linken Arm. Sie ersparte sich ihm zu danken.

“Ich habe die letzten Nächte nicht gerade gut geschlafen”, erläuterte sie ihm. Den anschuldigenden Ton konnte er nicht ganz verstehen, akzeptierte ihn aber dennoch. Vorsichtig befühlte er ihre linke Hand, die ihn noch immer mittels der Weste fest bei sich hielt.

“Fühlt sich ganz normal an”, wusste er zu berichten. Tenten stimmte ihm nickend zu.

“Warum versuchst du nicht ein bisschen zu schlafen”, schlug er vor. “Ich halte Wache.”

Die Absprache brachte alte Erinnerungen von gemeinsamen Missionen an die Oberfläche. Tenten kam die Situation plötzlich noch surrealer vor. Sie konnte die zwei Nejis einfach nicht vereinen. Der eine, aus ihren Erinnerungen, der gestorben war, und der zweite, der dem ersten zum Verwechseln ähnlich war, aber sich vollkommen echt anfühlte und den sie nicht loslassen konnte.

“Du hast wahrscheinlich Recht. Musst du nicht schlafen?”

Sie beide zuckten kurz mit den Mundwinkeln ob der Frage in diesen seltsamen Umständen.

“Ich weiß es nicht. Tote schlafen nicht, oder?”

“Vielleicht schlafen sie fortwährend?”, schlug Tenten vor.

“Na, dann sollte ich die letzten Jahre ja wohl genug bekommen haben.”

Tenten grinste ob seines trockenen Humors. Sie presste den rechten Arm eng an den Körper und zusammen erhoben sie sich mehr oder weniger elegant. Tenten setzte sich auf das Bett und schob sich Stück für Stück weiter hinauf, Neji ihr immer folgend, bis sie beide auf dem Bett waren. Dann legte sie sich seitlings hin und er streifte behutsam die Decke über sie.

Sie starrte ihre Linke an und realisierte, dass sie ihn wahrscheinlich im Schlaf loslassen würde.

“Neji?”

“Hm?”

“Lass mich nicht los”, echote sie seine Worte von früher.

“Ich halte dich gar nicht.”

Tenten rückte näher und zerrte an seiner Weste. Unbehaglich manövrierte er sich dichter an sie heran. Einen seiner Arme platzierte er ungeschickt unter ihrem Kopf und legte ihn um ihre nackten Schultern. Die Hand des anderen Arms ruhte auf ihrer Hüfte.

“Nicht loslassen bis ich aufwache”, befahl sie. Er nickte.

Sie zog ihn noch näher bis ihre Körper sich der Länge nach berührten. “Wenn es sich so anfühlt als würdest du … dünner werden...” Sie wusste nicht wirklich wie sie es besser beschreiben sollte. “... So als könntest du jede Sekunde verschwinden, dann weck mich auf, ok?”

“Einverstanden.”

Jetzt wo die Dinge geklärt waren, schloss Tenten die Augen und war beinahe augenblicklich eingeschlafen; das erste Mal in fast drei Tagen dass ihr Tiefschlaf gegönnt war.
 

Das nächste woran sie sich erinnerte war ein lautes Klopfen. Das nicht sehr lange andauerte.

“Tenten? Geht’s dir gut?”, hörte sie Lees Stimme durch ihre Wohnung hallen. Ein automatischer Gedankenfluss trat ein: Lee - Neji - Nichtloslassen. Ihre Finger verkrampften sich automatisch und sie fühlte eine korrespondierende Reaktion um ihren ganzen Körper. Sie öffnete die Augen und blickte schnurstracks in Nejis konzentriertes Gesicht.

“Das ist Lee”, stellte er fest.

“Ja, shht.”

“Wenn er mich nicht sehen kann, kann er mich auch nicht hören.”

“Ich bin hier, Lee!”, rief sie ihm zu. Sofort lenkte er seine Schritte gen Schlafzimmer.

“Ich komm rein!”, kündigte er kurz an bevor er auch schon hereinstürmte. Für einen klitzekleinen Augenblick war Tenten besorgt, dass Lee Neji plötzlich sehen könnte und sich fragen würde was Tenten eng umschlungen im Bett mit einem Toten machte, doch ihre Angst war unberechtigt. Lee schien nichts weiter ungewöhnliches zu sehen außer seiner Freundin, die an einem Arbeitstag noch im Bett lag. Besorgt kam er an ihr Bett, setzte sich nur Zentimeter von Neji entfernt an die Bettkante und lehnte sich über seinen toten Freund.

“Fühlst du dich nicht gut?”

“Nein, ganz und gar nicht”, krächzte Tenten und hustete demonstrativ. Neji verzog missbilligend das Gesicht. Offenbar wusste er es nicht zu schätzen, dass man ihm ins Gesicht hustete.

“Ohje, so krank habe ich dich ja selten gesehen.” Lee war tatsächlich besorgt. Tenten war so gut wie nie krank, schon gar nicht so sehr, dass sie das Bett hüten musste und nicht bei der Arbeit anrief. Sie warf einen Blick an Nejis Kopf vorbei auf die Uhr. Schon 9:33 Uhr!

“Tut mir leid. Mir geht es wirklich nicht gut. Gestern schon nicht und dann ist es über Nacht wohl schlechter geworden. Weißt du ob auf der Arbeit alles gut lief? Wir haben heute Morgen-”

“Eine große Lieferung bekommen”, unterbrach Lee sie und strich an Nejis Kopf vorbei ihr eine Strähne aus dem Gesicht. “Keine Sorge. Alles lief glatt. Aber deine Nummer Eins war so besorgt, dass er bei mir angerufen hat. Da bin ich sofort herüber gerast.” Er strich ihr liebevoll übers Gesicht. Nejis griesgrämige Grimasse war schwer zu ignorieren.

“Lee”, hustete Tenten. “Könntest du mir einen Tee machen bitte?” Lees Sorge wurde noch erger. Normalerweise wollte sie, dass man gar nichts für sie tat.

“Natürlich”, antwortete er schnell mit blassem Gesicht und eilte in die Küche. Er hatte noch nicht einmal seine Jacke oder Straßenschuhe ausgezogen.

“Ok, Neji. Wir haben sieben Minuten um herauszufinden wie’s weitergeht”, flüsterte Tenten, weil sie wusste wie lange ihr Wasserkocher brauchte. Doch Lee überraschte sie. Noch bevor Neji antworten konnte, kam Lee unerwartet zurück. Er hatte ein Thermometer in ihrer Küche gefunden.

“Hier, steck dir das in den Mund.” Tenten griff mit der Rechten danach.

“Du siehst sehr verkrampft aus”, bemerkte Lee und griff nach der Decke. Er wollte es ihr nur etwas gemütlicher machen. Sie sah nämlich aus als wäre sie im Schock erstarrt, doch Tenten winkte hektisch ab.

“Stop!”

Lee schreckte verdattert zurück. In der Küche konnten sie den Wasserkocher arbeiten hören.

“Ich ...”, begann Tenten. “... brauch eine Sekunde.”

“Ok”, machte Lee vorsichtig und beobachtete verstört wie sich ihre linke Faust noch strenger ballte. Er machte ein paar Schritte rückwärts und verließ dann behutsam den Raum.

Tenten steckte sich das Thermometer in den Mund und zog dann ihr Handtuch hoch, das während der Nacht viel zu weit herab gerutscht war. Neji half ihr diskret ohne nach unten zu schauen.

“Ich glaube, du solltest mich loslassen.” Neji sagte es allein aus praktischen Gründen. Und vielleicht ein bisschen, weil ihm seine gestrige Panik unangenehm war.

“Nein.” Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

“Is’ was, Tenten?”, rief Lee aus der Küche.

“Alles ok!”, erwiderte Tenten laut. Dann fuhr sie im Flüsterton fort: “Bist du sicher?”

“Du kannst nicht den ganzen Tag an mich gekettet sein.”

Seine Worte ergaben viel Sinn, doch bisher war er immer wieder nach kurzer Zeit verschwunden. Diesmal war er mehrere Stunden geblieben. Sie konnte nicht umhin daran zu glauben, dass es durch ihre Berührung kam.

“Das Risiko kann ich nicht eingehen”, machte sie klar. “Wir müssen irgendwie damit klar kommen. Man sieht dich nicht. Das muss doch irgendwie zu machen sein-”

“Denk nach”, schalt er sie. “Wie solltest du dich denn umziehen?”

“Dann bleiben wir eben hier”, schlug Tenten vor.

“Ich dachte, du hättest zugestimmt, dass wir dem Hokage bericht-”

“Lee!”, stieß Tenten aus als sie ihren Kumpel die Tür hereinkommen sah. Dann erinnerte sie sich, dass sie krank war und hustete Neji ordentlich ins Gesicht.

“Na toll”, grummelte dieser.

“Hier, Tenten”, machte Lee fürsorglich und stellte den Tee auf ihren Nachtisch. “Wie bist du nur so krank geworden?”

“Ich weiß nicht genau”, gestand Tenten. Im Grunde genommen war das die Wahrheit. “Es kam ziemlich plötzlich. Die Situation ist ziemlich ungewohnt für mich.”

“Wem sagst du das”, murrte Neji.

“Kann ich mir vorstellen”, bemitleidete Lee sie. “Willst du dich nicht aufsetzten?”, fragte er dann.

Neji seufzte. Mit einer Hand half er ihr Badetuch hochzuhalten, während Tenten sich aufstemmte, die Linke immer noch in seine Weste gekrallt. Das Ergebnis war das Tenten halb auf Neji lag. Sie hatte keinen Schimmer wie es für Lee aussehen musste, doch dieser schien nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Er steckte ihr ein Kissen in den Nacken und somit direkt in Nejis Gesicht, der unzufriedene Laute von sich gab.

“Hier”, sagte Lee und reichte ihr die heiße Tasse. “Wie wär’s wenn ich dir ein bisschen Suppe mache, hm?”

Tenten wusste nicht was sie sagen sollte. “Musst du nicht zur Arbeit?”, fragte sie schwach.

“Ich ruf da an. Das hier ist ein Notfall. Ich hab dich noch nie in so einem Zustand gesehen.” Er gab ihrer Tasse einen Stubs, damit sie nicht vergaß zu trinken.

Tenten unterdrückte ein Seufzen und krächzte “Suppe klingt wundervoll.”

“Ich lass auch die Hühnerhaut drin, genau wie du sie magst.”

Tenten lächelte aus tiefstem Herzen. Davon abgesehen, dass sie wirklich keine Suppe brauchte, war Lee doch einer der besten Freunde die man sie wünschen konnte.

“Danke”, krächzte sie.

“Ok, genug gesprochen”, befahl er. “Trink deinen Tee. Ich bin gleich wieder zurück.”

Mit diesen Worten blies er ihr einen Kuss zu und verschwand hastig. Wenig später fiel die Haustür hinter ihm ins Schloss.

Neji riss sich das Kissen vom Gesicht. “Seit wann hat er einen Hausschlüssel?”, wollte er wissen, während Tenten sich von ihm herunter manövrierte.

“Seitdem ich mich einmal ausgeschlossen und eine Ewigkeit auf einen Schlosser warten musste.”

Mit den Worten zog sie ihn aus den Federn und zum Bad.

Einen Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass sie schrecklich aussah. Ihr Haar stand in alle Richtungen ab. In dem kleinen Badezimmer waren sie gezwungen in unmittelbarer Nähe beieinander zu stehen.

“Nimm meine Hand”, befahl sie. Gehorsam tat er wie man ihm geheißen hatte. Seine große Hand war warm und trocken, noch immer sehr rau. Gestern war sie zu panisch gewesen um Details zu bemerken, doch jetzt konnte sie jede Schwiele ausfindig machen. Er blickte sie neugierig an, während sie ihn befühlte. Abrupt ließ sie es bleiben und bedeutete ihm sich umzudrehen. Dann zog sie ihn bis zur Duschtür, stieg in die Kabine und drehte den Hahn auf.

“Dir ist schon klar, dass auch ich nass werden kann?”, erkundigte er sich als er fühlte wie sein Ärmel in Schussweite des Duschkopfes gezogen wurde.

“Echt?”, fragte sie. Neji ließ die dämliche Frage unbeantwortet. In der Tat konnte sie sehen wie sein Ärmel sich dunkel färbte. Sie befühlte den Stoff verstohlen. Sie konnte es immer noch nicht ganz glauben.

Mit einer Hand zu duschen war recht kompliziert, stellte sie bald fest.

“Neji?”, rief sie.

“Ja?”, wollte er von draußen wissen. Sie konnte seine hohe Gestalt durch das Milchglas hindurch ausmachen. Er lehnte nonchalant, seinen Arm ließ er durch den Türspalt hängen.

“Würdest du mir helfen?”

Ohne Worte spürte sie schon, dass er nicht amüsiert war. Aber er würde es tun.

“Hier, ich massiere das Shampoo ein und du kämmst. Alles klar?”

“Das werde ich ja wohl noch hinkriegen.” Leichter gesagt als getan. Sie hatten ein paar Probleme ihre Aktionen zu koordinieren. Als Tenten versuchte seine Hand zu bewegen, schmierte sie sich aus Versehen Shampoo in die Augen und war trotz des Wasserstrahls blind. Lee wählte diesen Augenblick, um heimzukommen.

“Neji, die Tür!”, zischte sie. Neji zog sie halbwegs aus der Dusche als er einen großen Ausfallschritt gen Badezimmertür machte, um sie zu schließen. Weil Tenten blind war, rutschte sie aus und fiel. Neji riss sie an ihrer Hand hoch und fing sie mit seiner anderen auf.

Nach dem Gepolter rief sie vorsichtshalber “Alles ok!”, damit Lee nichts Überstürztes tat. “Ich dusche nur heiß!”

“Ich leg dir ein paar warme Sachen für danach raus!”, rief Lee an der anderen Seite der Tür.

“Ok!”

Sie hörte wie er in ihrem Schrank herumwühlte. Leise tuschelte sie: “Neji, hilf mir.”

Er stellte sie wieder aufrecht hin, half ihr die Augen auszuwaschen. Mittlerweile war die ganze Vorderseite seiner Kleidung durchnässt.

“Gib mir das”, herrschte er ungestüm und entriss ihr das Shampoo. Entschlossen drehte er den Hahn zu und entleerte dann eine traubengroße Ladung aus der Tube auf ihrer Handfläche.

“Einmassieren.”

“Kommandier mich nicht herum.” Sie tat aber trotzdem was er sagte. Dann schaltete er das Wasser wieder an. Er half ihr beim Auswaschen.

“War’s das?”

“Nein, wir brauchen noch Spülung und dann muss es gekämmt werden.”

“Ok, stimmt”, erinnerte er sich etwas verspätet. Er hatte sich lange nicht mehr die Haare gewaschen, so kam es ihm vor. Darüber hinaus war das Haarewaschen für ihn anders abgelaufen als es gerade der Fall war. Er hatte Bedienstete gehabt, die das Einmassieren und Ausspülen für ihn übernahmen während er im Badewasser saß und die Zeitung las. Das schien wesentlich weniger umständlich als diese Routine.

Mit dem Kamm fuhr er bestimmt aber nicht grob über ihren Schopf. Sein strenger Griff ließ ihr gesamtes Haar wissen, dass ein Knoten nicht geduldet werden würde.

Während er dem Wasser half die Spülung aus dem Haar zu entfernen, wusch Tenten sich einhändig, da sie sich noch immer weigerte von ihm abzulassen.

Für Neji wurde es ein wenig umständlich ihre Hand zu halten, denn sie war zum einen pitschnass und zum anderen war es unmöglich sie entspannt baumeln zu lassen. Denn dann hätten seine Finger sich nicht nur mit ihren verflochten, sondern auch mit ihren Schamhaaren.

Trotz der Mühsal schafften sie es schlussendlich Tenten präsentabel für den anstehenden Tag zu machen, auch wenn Neji sehr nass wurde. Er reichte ihr ein Handtuch und half ihr beim Abtrocknen.

Dass er ein bisschen ihres nackten Körpers sah störte sie gar nicht mehr so sehr. Es war Neji, tot, - die Situation war nicht gerade sexuell geladen. Tatsächlich gab es wahrscheinlich nichts Platonischeres als einem Toten dabei zu helfen am Leben zu bleiben. Jeder täte das für einen Fremden. Es nannte sich Erstehilfe. Vielleicht war das hier ein bisschen seltsamer, aber dasselbe Prinzip unterlag ihrer Motivation.

Dann öffnete er diskret die Tür und gab die Kleidung, die Lee ausgesucht hatte, an sie weiter. Sich anzuziehen war etwas komplizierter, doch auch das hatten sie im Nu heraus. Zusammen stülpten sie Tenten den Pullover über den Kopf, dann half Neji ihr in den Ärmel. Dann hielt sie seine andere Hand und er half ihr mit dem anderen Ärmel. Mit den Hosenbeinen machten sie es ähnlich. Auf einen BH verzichtete Tenten. An der Hand zog sie Neji aus dem Bad und sah nach wie weit Lee in der Küche war.

“Ich wollte nicht, dass du lange warten musst. Also habe ich einfach was aus meinem Gefrierschrank geholt.” Wenn Lee kochte, dann in großen Mengen. Er fror Eintopf, Suppen und dergleichen immer in Portionen verpackt ein.

“Du bist der Beste. Danke.”

“Kein Problem! Mach ich doch gerne. Wie geht’s dir?”

“Besser, aber ich ruf auf der Arbeit an, dass ich heute nicht mehr komme.” Sie lächelte kurz. “Du musst aber wirklich nicht länger bleiben.”

“Natürlich bleibe ich länger!”, empörte sich Lee. Sie konnte Neji neben sich stöhnen hören.

“Du gehörst ins Bett! Ich setz mich dazu und dann schauen wir alte Filme.”

Tenten wusste nicht ob sie weinen oder lachen sollte.

“Deine Freunde sind so nett”, zischte Neji schneidend sarkastisch.

Nachdem sie das Schlafzimmer wieder betreten hatten, zischte Tenten zurück: “Er ist dein Freund auch.”

“Nicht mehr”, bestritt er. “Ich bin tot, vergessen?”

“Du kannst das nicht benutzen, um einer Diskussion zu entrinnen!”

Leider konnten sie ihr Streitgespräch nicht fortsetzen, denn Lee kam mit einem Teller Suppe herein. Er stellte den Teller schnell ab und ging dann noch einmal hinaus.

“Schnell, setz dich.” Tenten bedeutete dem Geist sich auf dem Bett zu platzieren.

“Was? Muss ich etwa die ganze Zeit bleiben?” Jener war nicht erfreut.

“Was willst du sonst machen?”, warf sie ein. Sie beide erinnerten sich an das ‘Nirgendwo’. Still legten sie den Streit beiseite und versuchten sich unauffällig ins Bett zu manövrieren.

“Du bist ganz nass”, beschwerte sie sich.

“Das hast du wirklich nicht mir zu verdanken”, entgegnete er bissig.

“Ja, ich weiß, aber was machen wir denn jetzt?”

Sie standen wieder auf und Tenten bemerkte, dass Neji einen nassen Fleck auf ihrem Bett hinterlassen hatte.

“Seltsam”, murmelte sie. Doch dann hörte sie Lee wiederkommen.

“Schnell, zieh dich aus.”

“Wie bitte?”

“Zieh die nasse Kleidung aus!”

“Warte, Lee, ich bin nackt!”, rief sie verzweifelt.

“Oh, entschuldige!” Lee schien geduldig vor der Tür zu warten. Neji sprang in Rekordschnelle aus seiner Hose und mir geübter Effizienz zogen sie ihm in Teamarbeit erst die Weste, dann das schwarze Hemd über den Kopf. In Unterwäsche war Neji noch genauso echt wie vorher.

“Noch eine Sekunde!”, rief sie während sie Nejis Sachen über die Heizung zum Trocknen legte. Dann schubste sie Neji schnell ins Bett und krabbelte seine Hand haltend ihm nach. Sie schob ihm noch ein Kissen in den Rücken während sie “Ok!” rief. Lee trat ein und schob den Fernseher auf den Rollen durch die Tür, um ihn im Schlafzimmer anzuschließen. Er hatte sich auch eine Maske umgebunden, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Ungewahr des nackten Mannes im Bett auf Tentens anderer Seite, ließ er sich neben ihr nieder und gab ihr die Fernbedienung.

Mit der Wärme dreier Körper und des warmen Pullovers fühlte Tenten sich etwas schläfrig, vor allem weil das Intro von Lawrence of Arabia Ewigkeiten dauerte. Sie war froh, dass die Credits jetzt am Ende jedes Films liefen.

Um ihrem schläfrigen Zustand zu entrinnen, begann Tenten eine Konversation, deren Thema ihr gerade nah am Herzen lag: “Wenn du einen Menschen noch einmal sehen könntest. Einen Verstorbenen. Wen würdest du nochmal sehen wollen?”

“Meinen Vater”, antwortete Neji prompt, ungehört.

“Müsste ich denjenigen so sehen wie er gestorben ist?”, erkundigte sich Lee, an den die Frage eigentlich gerichtet war.

Tenten schüttelte den Kopf. Sie sah zu ihrer linken Seite, dann wieder zurück zu Lee.

“Nein, ganz normal.”

“Dann wahrscheinlich Neji.”

Sie fühlte wie sich ihr Gesprächsthema neben ihr versteifte und ihre Hand fester umfasste.

“Wirklich? Nicht deine Eltern?”

Lee schüttelte den Kopf.

“Ich habe keine schlechten Erinnerungen an meine Eltern. Aber ich seh Nejis blutverschmiertes Gesicht immer noch nachts.”

Mit ihrer freien Hand ergriff sie Lees Finger. Er drückte fest zurück.

“Warum fragst du?”, wollte er wissen. Neji und sie sahen sich an. Sie wusste nicht was sie sagen sollte.

“Sag ihm, du siehst mein Gesicht auch noch”, schlug er vor. Die Ironie entging ihr nicht. Sie sagte es ihm.

“Wow, Tenten. Das wusste ich gar nicht. Du behälst immer so einen kühlen Kopf.”

Sie zuckte mit den Schultern. Darauf wusste sie wieder nichts zu sagen.

Nach einer Weile fragte Lee unvermittelt “Wem gehört denn die Ausrüstung auf der Heizung?” Tenten verschluckte sich an ihrer Suppe.

“Welche?”

“Na die.”

“Ach so, die. Ja, das ist meine.”

“Sieht ein bisschen groß aus.”

“Das sieht nur so aus.”

Lee sah sie ganz seltsam von der Seite her an, beließ es aber dabei.
 

Nach der ersten Stunde war Lee bereits eingeschlafen. Neji hatte sich wieder angezogen - nach einem kurzen Zwiegespräch, weil Tenten der Ansicht war, dass es nicht wichtig war, da ihn sowieso niemand sah - und hatten sich auf den Weg nach draußen gemacht.

“Man kann dich anfassen-”

“Du kannst mich anfassen”, korrigierte er.

“Ich kann dich anfassen, niemand außer mir sieht dich, aber sobald du deine Kleidung ausziehst sieht man diese.”

“Und ich kann Gegenstände aufheben.”

“Stimmt. Und vielleicht kann man dich manchmal hören und sehen.”

Neji hob fragend die Brauen.

“Naja, in der Bar und am Friedhof sind ein paar seltsame Dinge passiert… Außerdem kannst du, glaube ich, manchmal meine Gedanken lesen.”

Das schien Neji zu verwundern. “Gerade ist das jedenfalls nicht der Fall”, stellte er fest.

Also machte Tenten sich daran es ihm zu erklären. “Manchmal, wenn du erscheinst, dann antwortest du auf Dinge, die ich nur gedacht habe.”

“Interessant”, befand Neji und versuchte ihre Gedanken zu lesen. Er war etwas enttäuscht als es nicht funktionierte.

Sie liefen die Straße entlang und Tenten hielt sich ein Telefon ans Ohr, damit niemand sie für verrückt hielt, weil man ihren Gesprächspartner nicht sah.

Hand in Hand liefen sie zum Anwesen des Hokage. Es war ein Freitag. Daher würde er im Büro sein. Als sie ankamen, war die Warteschlange natürlich lang. Shinobi warteten in den Hallen und den Warteräumen, aber Tenten ließ sich von Neji bestimmt bis an den Anfang jeder Schlange ziehen.

“Verzeihung”, sagte sie. “Ich bin eine Kunoichi mit Seniorenrang. Ich muss mit Na- dem Hokage sprechen.”

Die kaugummikauende Sekretärin starrte zu ihr hoch. Einer der jüngeren Shinobi wollte sich wieder vor sie drängeln, doch Neji gab ihm einen entschiedenen Stoß und sandte den Armen zu Boden. Verdattert sah er sich um und musste zum Schluss kommen, dass er merkwürdig gestrauchelt war.

“Jetzt”, sagte Tenten mit Nachdruck.

“Haben Sie einen Termin?”, fragte das Fräulein.

“Das hier ist Zeitverschwendung”, schätzte Neji die Situation ein, zu Recht. Tenten stöhnte.

“Ok, lass uns gehen”, murmelte sie zu jedermanns Verwunderung und stürmte einfach ins Gebäude hinein und an jeder Wache vorbei bis sie es zum Büro geschafft hatte. Sie klopfte nur kurz an, bevor Neji auch schon hineinstürmte. Naruto sah erst verärgert, dann besorgt von seinem Schreibtisch auf. Halbgegessene Ramen und eine Limonade machten das Bild vollkommen.

“Tenten, was’s los?”

Ein Wachsoldat stürmte hinter ihr herein und kündete an: “Eindringling!”

Naruto schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

“Ja, das seh ich auch. Ist schon gut. Zurück auf den Posten. Wir wollen nicht gestört werden.”

Er winkte seinen treuen Wachmann fort und bot Tenten einen Stuhl an. Seltsamerweise holte sie noch einen zweiten Stuhl, den sie noch nicht einmal benutzte.

“Geht’s dir gut?”

“Nein.”

“Bist du krank?”

“Nicht wirklich-” Das schrille Klingeln des Telefons unterbrach sie.

“Entschuldige, das Notfalllämpchen brennt. Das muss ich nehmen”, erklärte Naruto und meldete sich ungewohnt formell am Hörer.

Naruto hörte dem Anrufer zu, runzelte die Stirn und sah Tenten dann wieder an. Mit einer Hand über dem Hörer teilte er ihr mit: “Das ist ein sehr hysterischer Lee. Der übrigens meint, dass du sehr wohl krank bist-” Tenten verdrehte die Augen, entriss ihm den Hörer, bellte “Mir geht’s gut!” in den Hörer, legte auf und versuchte Narutos gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

“Ich bin nicht verrückt”, begann sie.

“Das war keine besonders gute Eröffnung”, tadelte Neji kopfschüttelnd.

“Halt’s Maul”, schnappte Tenten gestresst, worauf Naruto verdattert stammelte “Ich hab doch gar nichts-”

“Nicht du”, herrschte Tenten. “Der da!” Sie zeigte auf den leeren Stuhl. Naruto starrte dümmlich darauf. Er wusste nicht, dass er auf Nejis Schoß starrte.

“Ich glaube es wird Zeit, dass wir Tsunade oder Sakura rufen”, brachte Naruto mühsam heraus.

Tenten hatte das Gesicht in einer Hand vergraben.

“Er glaubt, du seist verrückt”, bemerkte Neji wenig hilfreich.

Tenten raffte sich wieder auf und schaute Naruto direkt ins Gesicht.

“Bin ich eine sentimentale Frau?”

Naruto musste nicht lange nachdenken: “Nein.”

“Würdest du sagen, dass ich der Typ von Mensch bin, der an seiner Trauer eingeht?”

Automatisch schüttelte er den Kopf. “Nein, ganz und gar nicht.”

“Dann ruf Tsunade besser. Denn Neji sitzt direkt neben mir und kann seine Klappe nicht darüber halten, dass ich dieses Gespräch verpatz- Würdest du wohl endlich still sein?!”

Der letzte Satz war nicht an Naruto gerichtet gewesen. Sie starrte etwas mehr als Augenhöhe links neben sich. Naruto fiel auch auf, dass sie ihre Hand seltsam hielt. Hatte Tenten einen Anschlag erlitten?

“Ich ruf jetzt Tsunade, ok?”

“Mach das”, stimmte Tenten zu, immer noch ohne ihn anzusehen.

“Es ist mir Ernst. Ich will’s nicht mehr hören”, hörte Naruto sie sagen. Offenbar sprach sie immer noch nicht mit ihm. Während er wählte, sah er zu wie sie der Luft links neben sich vehement vorhielt: “Du wolltest doch Tsunade von Anfang an - .... Das tut doch jetzt nichts mehr zur Sache. Sie ist vertrauenswürdig, ob sie die Hokage ist oder nich- … Naruto ist jetzt nunmal Hokage, find dich damit ab.” Sie ballte die Linke noch fester zur Faust, machte eine abschneidende Geste und war still. Dann wandte sie sich wieder Naruto zu. Jener wusste nicht was er sagen sollte. Oder konnte.

“Wie geht’s dem alten Jungen denn so?”, lachte er nervös. Tenten war nicht amüsiert.

“Naruto”, klärte sie ihn auf. “Ich denke nicht, dass er noch lebt. Ich weiß, dass er tot ist. Aber das ändert nichts daran, dass er neben mir sitzt und ich seine Hand halte.”

Narutos Braue zuckte.

“Du hälst seine Hand?”, wollte er sich versichern lassen. Das schien ihm unglaubwürdig. Am unglaubwürdigsten in diesem ganzen unglaubwürdigen Szenario.

“Lange Geschichte. Frag nicht”, winkte Tenten ab. Eine Weile lang warteten sie still auf Tsunades Ankunft. Tenten schien tatsächlich nicht ganz sie selbst zu sein, doch es war schwierig zu sagen, ob sie wirklich verrückt war (oder nicht). Naruto konnte leider einfach nicht die Tatsache ignorieren, dass sie mit purer Luft gesprochen hatte. Das war sehr unheimlich gewesen. Vom Krankenhaus war es nicht weit und so war Tsunade bald da und wurde vom selben verwirrten Wachsoldaten hineingeführt.

“Was gibt’s?”, fragte sie barsch. Sie schien Tentens seltsam angewinkelten Arm in Augenschein zu nehmen.

“Sag’s ihr”, forderte Naruto sie auf.

“Ich seh Tote”, gestand sie. Das schien Tsunade etwas aus dem Konzept zu bringen.

“Einen Toten”, korrigierte Tenten. “Ich sehe Neji. Ich kann ihn sogar anfassen.” Sie hob ihre Hand als sei es eine Bestätigung.

“Aha”, brachte Tsunade nur hervor und tauschte einen ratlosen Blick mit Naruto.

“Mir ist klar, dass das verrückt klingt”, fügte Tenten hinzu.

“Das ist ein gutes Zeichen”, teilte Tsunade mit, obwohl sie mehr mit Naruto zu sprechen schien.

“Hey, Tsunade, ich denk mir hier keine Geschichten aus. Der Krieg ist jetzt auch schon eine Weile her. Es wär sehr seltsam jetzt Anzeichen einer Psychose zu entwickeln, oder?”

Tsunade nickte vorsichtig. Dann fegte sie die alten Ramen beiseite und ließ sich auf der Schreibtischkante nieder. Wortlos ließ Naruto es geschehen.

Sie alle schwiegen eine Weile.

“Hinata sagt manchmal, dass sie fühlen kann, dass er bei ihr ist”, gab Naruto zum Besten.

“Ich fühle sehr seltsame Chakrabewegungen in diesem Raum”, teilte Tsunade mit.

Tenten fand das klang besser als sie erwartet hatte. “Also, für wie verrückt haltet ihr mich?”

“Bisschen”, sagte Naruto zur selben Zeit als Tsunade sagte “Sehr.”

Aber dann änderte sie ihre Meinung. “Lass mich dich untersuchen. Dein Chakra sieht ungewöhnlich aus aber spiegelt nicht die Symptome eines psychotischen Shinobis wider.”

Nach einer ausgiebigen Untersuchung hob Tsunade wieder ratlos die Schultern. “Nichts deutet darauf hin, dass mit ihren mentalen Fakultäten etwas nicht stimmt.”

“Danke”, bemerkte Tenten. Naruto nickte bedächtig, dann sagte er: “Ja. Aber sie sieht Tote. Tote, Tsunade.”

Jene nickte mehrmals. “Ja, ich verstehe das Problem, aber ich weiß auch nicht was ich sagen soll.”

In dem Augenblick, ging Tenten ein Licht auf.

“Neji”, sagte sie, was allen einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. “Stoß sie vom Tisch.”

Und nur eine Sekunde später fand Tsunade sich auf dem Boden wieder.

“Huch”, machte sie.

“Alles klar?” Naruto lehnte sich über den Schreibtisch. “Was’s passiert?”

“Bin gefallen.”

“Nein”, widersprach Tenten. “Er hat dich gestoßen.”

Zweifelnd blickte die Ärztin zu Tenten hoch.

“Hilf ihr hoch”, befahl Tenten und plötzlich fühlte Tsunade sich wie durch magische Kräfte empor gezogen.

“Ich weiß nicht-”, begann Naruto.

“Verpass ihm eine”, unterbrach Tenten schnell und Narutos Kopf wurde zur Seite gerissen und er hielt sich die schmerzende Wange.

“Ist das ein neues Jutsu?”, fragte er verwirrt.

“Nein”, begann Tenten leise. “Das ist ein wütender, toter Hyuga.”

Es war einen Augenblick totenstill. Neji fragte: “Soll ich ihn noch mal schlagen?”

Doch bevor Tenten antworten konnte, ließ Naruto einen langen Atemzug aus.

“Das ist definitiv der seltsamste Tag den ich jemals erlebt habe. Aber wisst ihr was?”

Sie alle sahen ihn erwartungsvoll an.

“Ich bin damit ok… Ich habe einen Fuchsdämon in mir, Leute wieder zum Leben erweckt und mit meinen toten Eltern gesprochen. Wenn Tenten sagt, dass Neji auf dem Stuhl da sitzt, dann glaub ich ihr das.” Er teilte einen vertrauensschwangeren Blick mit ihr bevor er fortfuhr. “Vor allen Dingen, wenn er so schmerzhafte Schellen austeilt.” Er rieb sich unglücklich die Wange.

“Du machst ein gutes Argument”, gab Tsunade zu und erhob sich endlich vom Boden.

“Gut, dass das geklärt wär”, meinte Naruto und ließ sich in seinen Stuhl sinken. “Du kannst jetzt gehen, Tenten.”

Sie stemmte eine ihrer Hände in die Hüften. “Aber was machen wir denn jetzt mit dieser Situation?”, wollte sie mit Nachdruck wissen.

“Woher soll ich das wissen?”, fragte Naruto, dann schlug er sich wieder mit der flachen Hand auf die Stirn. “Ach ja, ich bin ja Hokage.”

Tenten nickte bedeutungsvoll. Tsunade schüttelte den Kopf. Neji schien wenig überrascht, nicht dass es irgendwem auffiel.

Naruto kam in die Gänge. “Erstmal schreibe ich dir eine Vollmacht. Für den Fall, dass irgendetwas seltsames passiert und du die Kontrolle ergreifen musst. Dann hast du keine Probleme mehr mit Wachen.” Er legte eine kurze Pause ein. “Nicht, dass du besonders viele jetzt zu haben scheinst.”

Sie lächelte ihr altes verschmitztes Lächeln und nahm die Vollmacht an.

“Er sitzt wirklich da und hört jedes Wort das wir sagen?”, vergewisserte sich Naruto.

“Ja, du Dummkopf.”

“Jup”, antwortete Tenten etwas diplomatischer als Neji.

“Wie geht es ihm? Ist er verstört?”

Tenten warf kurz einen Blick zur Seite. Unnahbar, mit geradem Rücken und eiskaltem Blick.

“Nö. Eigentlich ist er wie immer.”

“Kann er sich an irgendetwas erinnern?”, wollte Tsunade wissen. Da erzählte Tenten ihnen die ganze Geschichte. Sie sparte aus die Intensität der vorherigen Nacht in ihrer ganzen Fülle

zu beschreiben. Sie ließ auch einige Details des Duschvorfalls aus.

“Und ihr seid jetzt sozusagen aneinander gekettet?”, stellte Naruto fest. Tenten nickte.

“Weil ihr fürchtet, dass er wieder verschwindet, wenn ihr los lasst?”, fügte Tsunade hinzu. Noch ein Nicken. Die Dorfälteste überlegte kurz.

“Wär es nicht vielleicht gut loszulassen? Vielleicht gehört er hier nicht hin und muss zurück, bevor er Frieden finden kann.”

Tenten blickte Neji an. Er schien nachzudenken. Schließlich sagte er: “Ich fühl mich nicht so als wär das die richtige Entscheidung. Ich fühle...” Gefühle in Worte zu fassen war noch nie seine Stärke gewesen. Tenten erklärte den anderen Zwei was vorging.

“Ich fühle mich als müsste ich hier noch etwas machen. Über etwas wachen, sicher gehen, dass etwas … ok wird?” Er sah ratlos in Tentens Gesicht. Sie hob die Schultern und gab seine Ansicht weiter.

“Aber er weiß nicht was”, murmelte Tsunade.

“Vielleicht die Hochzeit?”, schlug Tenten vor.

Naruto schien aufgeregt: “Ja, das könnte es sein! Das würde erklären warum er ausgerechnet jetzt zurückgekommen ist und nicht schon viel früher!”

“Das stimmt!” Tsunade fand das auch plausibel. “Könnte es das sein?”

Neji hob die Schultern. Tenten beantwortete Tsunades Frage für ihn: “Er weiß es nicht.”

Die Vier beratschlagten noch ein Weilchen weiter wie die Situation gehandhabt werden sollte. Tenten würde Hamilton, ihrem Manager, vorübergehend die meiste Arbeit anvertrauen, zumindest bis die Hochzeit vorbei war und sie würde Naruto jeden Tag Bericht erstatten. Bis dahin galt es herauszufinden, ob es sich bei der Aufgabe, die Neji noch zu erfüllen hatte, tatsächlich um die Hochzeit handelte. Des Weiteren entschieden sie, dass sie einmal am Tag von Tsunade untersucht werden würde. Am Ende der Konversation blieb nicht mehr viel zu sagen. Tenten hatte die ganze Zeit über für Neji geantwortet und daher hatten alle immer nur sie angesehen, doch plötzlich wandte Naruto sich an den leeren Stuhl. Er hob die Augen ungefähr zu Augenhöhe und sagte: “Neji, du bist ein wahrer Held und wir haben und werden auch in Zukunft nie vergessen was du getan hast.” Er sah kurz unsicher zu Tenten, doch diese hielt ihren Blick starr auf den leeren Stuhl gerichtet.

Tsunade fügte hinzu: “Du warst ein vorbildhafter Shinobi.” Sie lächelte kurz. “Ich finde es ganz und gar nicht verwunderlich, dass dein Pflichtgefühl dich bis in den Tod begleitet hat.”

Tenten sah gerührt aus. Sie schluckte hart, dann wandte sie sich an die Zwei und sagte: “Ihr kennt Neji. Er hat nur genickt, aber das heißt er ist euch sehr dankbar und drückt euch seinen formellen Dank aus.”

Die anderen verstanden. Weiter blieb wirklich nichts mehr zu sagen.

Tenten rief Lee noch einmal von Narutos Büro an und erklärte, dass sie auf einer geheimen Mission für Naruto war. Sie würde es ihm später erklären. Er verstand augenblicklich, vergab ihr und bot seine vollste Unterstützung an.

Dann überließen sie Naruto seinem Arbeitstag. Die Schlange war um etliches länger und viele warfen Tenten missbilligende Blicke zu, weil sie sich erst vorgedrängt und dann so viel Zeit eingenommen hatte. Ihr war es egal. Sie verabschiedete sich draußen von Tsunade und ging dann Hand in Hand mit ihrem Geist nach Hause.
 

“Vielleicht bin ich ja eine Art Poltergeist”, spekulierte Neji, während Tenten kalte Suppe schlürfte und Lawrence of Arabia guckte. Sie saßen im Bett. Ihre Hand lag über seiner, der Teller war in ihrem Schoß und sie scheffelte die Suppe mit einem großen Löffel in sich hinein. Als sie heimgekommen waren, hatte Tenten angekündigt, dass sie eine Pause von all dieser Skurrilität brauchte. Also hatten sie den Fernseher wieder eingeschaltet.

“Hm”, machte Tenten. “Aber die treiben doch Schabernack.”

“Aber sie können Dinge bewegen, werden aber nicht gesehen.”

“Stimmt”, musste Tenten eingestehen. “Aber warum bist du dann hier? Ich kann mir kaum vorstellen, dass du die Hochzeit deiner Cousine ruinieren möchtest, indem du die Stühle in Windeseile auf einem Tisch übereinander stapelst.”

“Worüber redest du?”, wollte Neji wissen, und Tenten schüttelte den Kopf.

“Ich vergesse, dass du keine Filme guckst.”

“Geguckt hast”, verbesserte er.

“Dann halt das”, stimmte sie zu und schlürfte noch mehr Suppe.

“Was hat es mit dieser Hochzeit auf sich?”, wollte Neji wissen. Tenten erklärte ihm. Wie sein Onkel alles geplant hatte und Hinata deswegen ein wenig nervös war.

“Wann findet es statt?”

“Nächsten Monat schon.”

“Das ist ziemlich lange hin”, fand er. Tenten aber schüttelte den Kopf.

“Für eine Hochzeit ist das kurz.”

“Und warum sollte ich bei dieser Festivität dabei sein?” Neji konnte sich nicht ausmalen, weshalb eine Hochzeit so viel Belang für ihn haben sollte. Wenn Hinata gern mit dem Blondschopf zusammen leben wollte, sollte sie das tun. Dafür war keine Zeremonie nötig, fand er.

“Keine Ahnung”, gestand Tenten. “Du bist dafür von den Toten auferstanden, nicht ich.”

“Klingt irgendwie nicht nach mir”, musste er sich eingestehen. Tenten stimmte ihm zu.

“Aber die echte Hochzeit findet sowieso nicht in einem Monat statt.”

“Nicht?”

Tenten schüttelte den Kopf. “Ich habe Hinata gestern gebeten mir zu vertrauen.”

Neji verstand die Signifikanz nicht.

“Ich werde dafür sorgen, dass sie die perfekte Hochzeit hat”, erklärte sie ihm. Nicht dass er es verstand. Also erklärte sie es ihm noch etwas ausführlicher.

“Und das wird sie glücklich machen?”, fragte er zweifelnd. Tenten nickte siegesgewiss.

“Wenn du das sagst.” Er sackte ein wenig an der Wand zusammen. Er wollte sich gerade aufrichten als ihm etwas auffiel.

“Tenten?”

“Huh?“

“Ich glaube … Ich glaube, ich bin müde.”

Nach der verdatternden Ankündigung hatte Tenten die Suppe weggestellt und ihm befohlen sich hinzulegen. Sie legte sich neben ihn und verschränkte die Finger ihrer Hand mit seinen.

“Hast du das Gefühl zu verschwinden?”

Neji schüttelte den Kopf. Tenten rückte noch näher.

“Ich glaube, dann ist es sicher.” Ihre Augen fielen ebenfalls zu.
 

Die Woche verflog wie im Nu. Neji und Tenten lernten sich wie eine synchrone Einheit zu bewegen. Frühstück, Duschen, Umziehen war alles kein Problem für sie. Sie lernten, dass Neji auch duschen, essen und schlafen musste. Noch immer waren sie wie an der Hüfte festgewachsen. Nachts schliefen sie fest umschlungen und draußen ließ Neji Tenten nie los. Sie hatten herausgefunden, dass es weniger seltsam aussah, wenn er einfach ihr Handgelenk umschloss. So konnte Tenten all ihre Vorbereitungen für Hinatas Überraschung treffen ohne dass es zu größeren Komplikationen kam.

Naruto erstatteten sie jeden Morgen um Punkt sieben Uhr Bericht. Normalerweise erhielten sie nur Gähnen als Antwort, weil der Tagesablauf eines vielbeschäftigten Staatsmannes nicht Narutos natürlichen Schlafrhythmus widerspiegelte. Danach meldeten sie sich bei Tsunade im Krankenhaus und Tenten musste sich einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Ihre werte veränderten sich allerdings nicht und augenscheinlich war sie noch immer kerngesund.

Das einzige was ihnen ein wenig zu schaffen machte, Tenten mehr als Neji, war dass sie seine geisterhafte Existenz vor Lee und Hinata geheimhielten. Nach ausgiebigem Überlegen hatten sie beschlossen weder der einen noch dem anderen von Neji zu erzählen. Hinata glaubte ihn bereits immer bei sich zu haben und Lee würde es nicht helfen das schauerliche Bild eines blutbeschmierten Gesichts aus seinem Gedächtnis zu löschen, wenn es nichts gab womit er es ersetzen könnte. Daher fanden sie war es so das Beste. Darüber hinaus wusste Tenten nicht ob sie noch so ein Gespräch wie mit Naruto und Tsunade hinter sich bringen könnte.

Als der Tag Tentens Überraschung immer näher rückte, wurde ihr Terminplan immer hektischer. Hol dies ab, bestell das. Neji war meistens nicht erfreut, weil er den Nutzen all dieser Arrangements nicht begriff. Aber Tenten wusste was sie tat.

Am Morgen des großen Tages standen Tenten und Neji gemeinsam vor dem Spiegel und versuchten ihre braune Haarflut auf elegante weise hochzustecken.

“Warum kannst du sie nicht einfach wie an jedem anderen Tag auch tragen?”, wollte er genervt wissen.

Tenten entschied ihn zu ignorieren und fragte stattdessen: “Meinst du du solltest einen Tuxedo tragen?”

“Niemand kann mich sehen”, erinnerte er sie.

“Ich weiß. Ich dachte nur.. Ach egal.”

Sie seufzte ob seiner unsentimentalen Art und schlüpfte in ihr cremefarbenes Chiffonkleid. Sakura klopfte an die Badezimmertür. “Fertig?”, fragte sie.

“Jup!” Tenten und Neji eilten nach draußen. Neji reichte ihr unauffällig den Brautstrauß vom Bett und sie machten sich auf den Weg. Sasuke wartete vor dem Haus auf sie, makellos in einem stilvollen Anzug. Sakura richtete seine Fliege, obwohl es vollkommen unnötig war.

“Ich bin so aufgeregt!” Sakura grinste von Ohr zu Ohr. Trotz ihrer Aufregung gab sie Acht den Kleidersack den sie über dem Arm trug nicht zu zerknautschen. Naruto stieß auf halbem Wege zu ihnen. Sakura trat auf ihn zu und im Gegensatz zu seinem Trauzeugen konnte seine Fliege sehr wohl ein paar kleine Korrekturen vertragen.

“Die Dinger zu binden ist unglaublich schwierig”, entschuldigte er sich.

“Kein Problem”, meinte Sakura nur und zupfte daran bis sie perfekt saß.

Zusammen marschierten sie die Straße entlang und gaben wohl einen urkomischen Eindruck ab, doch zum Glück war es so früh, dass noch niemand wach war. Der Morgen war noch grau, weil die Sonne gerade erst über den Rand der Welt lugte.

Beim Hyuga-Anwesen angekommen, erwartete Gerd sie bereits. Er öffnete ihnen das Tor und eskortierte sie zum Orchideengarten, wo der Priester bereits auf sie wartete. Freundlich wurden alle miteinander bekannt gemacht.

“Schaut mal”, rief Naruto und wandte jedermanns Aufmerksamkeit auf die neue Statue, die seit kurzem den Orchideengarten zierte.

“Ich hab sie Hinata Anfang dieser Woche geschenkt.”

Es war eine wunderschön gehauene Marmorstatue, die eine elegante Venus im Kontrapost darstellte. Aus einem einzigen Marmorblock hatte der Künstler die Schönheit befreit. Ihre sanft geschwungenen Augenlider schienen verheißungsvoll, ihre Wange aus Stein wirkte zart wie Seide.

“Gut ausgesucht”, erkannte Tenten erstaunt.

“Ich hab geholfen”, gestand Sakura.

“Ich bin nicht überrascht”, lachte Tenten.

“Hey!”, machte Naruto spielerisch empört. Er schritt an die Statue heran und deutete auf ihr Gesicht. “Sieht genauso schön aus wie Hinatas, oder?”

Die anderen konnten keine genaue Ähnlichkeit feststellen, stimmten aber trotzdem zu.

“Hinata hat eine ganz andere Knochenstruktur”, sagte einer von ihnen. Zum Glück konnte ihn niemand außer Tenten hören.

Naruto hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt um auf das Gesicht zeigen können. Jetzt kam er wieder auf den ganzen Fuß herunter und wollte sich lässig anlehnen. Das war ein großer Fehler, denn die Statue stand auf unebenem Boden und wankte gefährlich.

“Vorsicht!”, rief Sakura. Sasuke zog seinen besten Freund hastig vom Stein weg. Die Venus kam wieder zur Ruhe und ein Desaster wurde abgewendet.

Tentens Herz setzte einen Schlag aus. “Das wär’s noch. Ein Toter auf dieser Hochzeit ist genug für meinen Geschmack.”

Gerd hatte mittlerweile die verdatterte Hinata unter einem Vorwand aus ihrem Zimmer gelockt. Tenten wusste dies, weil sie den Zeitplan am Vortag noch mit dem alten Kommandanten besprochen hatte. Just in diesem Augenblick würde er die Hyuga-Anwärtin auf einen Balkon hinausführen und zum Orchideengarten deuten, wo ihre schneeweißen Augen einen nervös doch munteren Naruto und all ihre engsten Freunde erblicken würde. Daraufhin gäbe Gerd ihr das Kleid und Hinata würde sich voller Vorfreude ankleiden gehen. In der Tat musste es sich so abgespielt haben, denn pünktlich auf die Minute geleitete Gerd die wunderschöne Braut in einem Traum aus weißer Seide zu dem geheimen Treffen. Sie strahlte geradezu vor Stolz und Glück.

“Tenten”, schalt sie als sie ankam. “Ich dachte, du wolltest, dass ich früh aufwache, damit wir in der Stadt gemeinsam frühstücken können.”

Tenten schüttelte überdrüssigerweise den Kopf.

“Nein”, erwiderte diese grinsend. “Wir halten nur eine geheime Hochzeit für euch ab.” Etwas ernster fuhr sie fort: “Eure erste. Die mit dem ihr euer Leben beginnt.”

Hinata gab ihr eine innige Umarmung. Tenten drückte ihr wortlos den Brautstrauß in die Hände. “Dankeschön”, hauchte die Braut. Die Sonne warf noch lange Schatten, doch stieg immer höher. Aus der Küche konnte man die ersten Geräusche hören.

“Es ist Hochzeitszeit”, verkündete Tenten fröhlich, sodass sich alle an die Seite eines imaginären Mittelschiffs einer imaginären Kirche stellten. Sakura trat an ihre Seite und wischte sich verstohlen mit einem Spitzentaschentuch über die verräterisch feuchten Augen. Ihnen gegenüber stellte Sasuke sich zu Naruto und dem Priester, während Hinata sich wieder bei Gerd unterhakte und bis zum Bräutigam führen ließ. Auch ohne Musik einer Orgel oder Bänken voller Zuschauer war die Zeremonie wunderschön, im taufrischen Gras begleitet bei Vogelgesang. Der Priester verkündete das neue Paar mit größter Würde und Hinata und Naruto küssten sich mit Inbrunst nachdem sie sich das Ja-Wort gegeben hatten.

“Ok, Mädels, jetzt kommt der Strauß”, kündigte Hinata an. Tenten hatte gehofft mit nur zwei Brautjungfern dieser alten Tradition entronnen zu sein, doch offenbar war dem nicht so. Hinata drehte sich um und hob die Arme wurfbereit. Während Sakura aufgeregt die Arme ausbreitete, machte Tenten schnell ein paar Schritte an Neji vorbei zur Seite, damit sie den Strauß auch ja nicht aus Versehen fing. Diese Reaktion ihrerseits hatte ihr toter Partner nicht kommen gesehen. Trotzdem reagierte er blitzschnell als Tenten gegen die Venus taumelte. Hastig riss er sie aus dem Weg der fallenden Statue. Tenten strauchelte und fiel vorwärts auf ihre Hände. Währenddessen stürzte Venus wie eine Guillotine auf den bereits toten Neji hinab. Nur Tenten vernahm mit tiefem Schrecken das grässliche Geräusch seiner brechenden Knochen und berstendem Fleisch.

Natürlich eilten alle Lebenden sofort an Tentens Seite, doch diese schüttelte alle helfenden Hände ab und krauchte panisch zur gefallenen Venus, der Göttin der Liebe.

“Neji?”, rief sie mit zittriger Stimme.

“Neji?”, fragten Sakura und Hinata gleichzeitig, während sie einen verwunderten Blick tauschten. Nur Naruto wurde schlagartig blass, weil er plötzlich begriff was vor sich ging, und stürzte an Tentens Seite. Diese war gerade mit dem Versuch beschäftigt die schwere Statue beiseite zu rollen. Völlig hoffnungslos, natürlich.

Narutos Knie gruben sich in den Boden als er sich neben ihr niederließ; es kümmerte ihn noch nicht einmal, dass es seinen Hochzeitsanzug ruinierte.

“Ach du Scheiße”, hauchte er nur und beeilte sich ihr zu helfen. Hätte er sehen können wovon Tenten den Blick nicht wenden konnte so hätte er in das aschfahle Gesicht des tuxedolosen Shinobi starren müssen, sein blutiger Körper zerfurcht durch die große, elegante Statue. Er hätte auch gesehen wie der wieder-sterbende Neji verzweifelt versuchte nach Tentens Händen zu greifen, diese aber immer nur an dem harten Marmor interessiert waren. Naruto hätte auch gehört wie der Sterbende ihrem Geschrei mit ihrem Namen begegnete. Jedes “Neji?!” konterte er mit mindestens zwei “Tenten!”, doch sie war so mit dem aussichtslosen Unterfangen beschäftigt die Statue von ihm zu entfernen, dass sie ihm nicht zuhörte. Sie schien in ihre eigene panikerfülllte Welt versunken zu sein. Die Tatsache, dass Neji nur eine Hand frei hatte machte es nicht einfacher für ihn ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Doch schließlich bekam er durch das chaotische Greifen ihrer Hände ihren Kleidausschnitt zu fassen und zog sie zu sich herab. Ihr standen unverhofft Tränen in den Augen.

“Hör mir zu”, bat er herrisch. Er konnte fühlen wie er langsam verschwand, das ‘Nirgendwo’ sog ihn auf. Obwohl sein Körper zertrümmert war, spürte er kaum Schmerzen. Wahrscheinlich lag es daran, dass sein Körper sowieso nicht echt gewesen war. Der Herzschlag, die Berührungen waren alles nur Illusionen gewesen. Gespinste, Träume, die ein Ende nehmen mussten.

Indessen war Naruto hin und her gerissen; da Tenten nur stocksteif vornüber gebeugt saß und , er natürlich nur eine Seite der Konversation mitbekam, wusste er nicht, ob er weiter versuchen sollte die Statue zu bewegen oder nicht. Sasuke kam herbei, um Tenten auf Hinata und Sakuras Geheiß auf die Füße ziehen, doch Naruto verbot es mit einer hastigen jedoch sehr bestimmten Geste.

Als Tenten nach etlichen Minuten immer noch in die Leere zu starren schien, sah der Hokage sich nach etwas um das er als Hebel benutzen konnte. Kurz verfluchte er die Hyugas und ihre sorgfältigen Gärtner, denn es war weit und breit kein robuster Ast in Sicht.

Tenten war in ihren apathischen Zustand geschlittert, weil Neji ihre Hand so fest umfasst hielt wie in der Nacht als er nicht verschwinden wollte. Als spräche er mit einem störrischen Kind, sagte er: “Wir haben’s herausgefunden. Das hier war’s, nicht die Hochzeit. Ich fühl es.” Er sprach mit Überzeugung. Sie wusste nicht wieso, doch dieses Szenario kam ihr surreal vor. In Anbetracht aller Geschehnisse könnte man sagen, dass ihr alles so hätte vorkommen müssen, doch dem war nicht so. Am entfremdesten fühlte sie sich gerade jetzt, da sie ihrem Freund ins Gesicht sah und erkannte, dass er ein zweites Mal sterben würde, weil er jemanden gerettet hatte. Dass er seine letzte Ruhe unterbrochen hatte, um sie als Geist heimzusuchen und die gleiche Art von sinnvollen Tod zu sterben wie letztes Mal. Sinnvoll. Denn alles was er tat war sinnvoll. Trotzdem konnte Tenten das Gefühl der Sinnlosigkeit nicht abschütteln. Sie wollte nicht, dass es Sinn ergab. Sie wollte einen Augenblick lang mit dem Schicksal hadern und wütend sein. Er war doch gerade erst wieder zurück.

Naruto hatte von Gerd ein Brecheisen erhalten, welches er aus einem nahen Schuppen herbeigeholt hatte, und versuchte damit den Marmor hochzuhebeln. Obwohl sie nicht wussten warum halfen Gerd und Sasuke ihrem Hokage, während die zwei anderen Frauen dem bizarren Geschehen mit fasziniertem Horror folgten. Die braunhaarige Kunoichi kniete still in einem Hain aus Erde, geschaffen durch das wilde Streben ihrer Füße, und starrte immerwährend auf eine fixierte Stelle; ihre Hände griffen ins Nichts als hielten sie eine unsichtbare Hand.

Sie hatte endlich erkannt wie tief der Marmor in seinem Brustkorb eingebettet war. Wäre Neji am leben gewesen als die Statue in traf, so wären sein Herz und seine Lunge zerschmettert gewesen. Doch er war nicht am Leben. Sie wusste nicht weshalb sie Blut, Knochen und Eingeweide sah. Sie wusste nicht weshalb Neji langsam an seinem eigenen Blut erstickte, doch sie hatte begriffen, dass er von Anfang an schon tot gewesen war.

Die restlichen Hochzeitsgäste sahen gespannt und besorgt mit an wie Tenten ihre Hände langsam sinken ließ und dann entkrampfte. Niemand verstand so recht was hier vor sich ging.

Neji konnte in ihrem Blick lesen was sie dachte und sah seine Vermutung wenige Sekunden später bestätigt als sie ihn endlich losließ.

“Ich will, dass du jetzt aufstehst, dich umdrehst, lächelst und allen sagst was für ein Glück es ist, dass nichts geschehen ist. Hast du mich verstanden?”, erteilte er ihr einen seiner letzten schroffen Wünsche mit.

Naruto konnte nur sehen wie Tenten wiederholt nickte. Ihre Hände zitterten. Dann wischte sie sich übers Gesicht, stand auf und sagte laut und deutlich: “Pui, zum Glück ist nichts passiert!”

Zehn Augenpaare starrten sie unruhig an so als könnte sie jeden Moment wie ein Vulkan ausbrechen, oder jemanden morden, oder etwas anderes unvorhergesehen Schreckliches tun. Doch Tentens Lächeln war beharrlich.

Endlich war es Hinata, die als erste aus ihrer Starre erwachte und Tenten fest an sich zog. Sie hatte letzte Woche schon gespürt, dass ihre Freundin irgendein Trauma durchmachte und begriff auch, dass gerade eine Art Nervenzusammenbruch stattgefunden hatte, doch sie war einfach so erleichtert, dass ihre Freundin noch lebte, dass ihr das ganze verrückte Verhalten belanglos vorkam.

“Ja”, schluchzte sie und fuhr Tenten immer wieder über ihre hochgesteckte Frisur bis sich überall Strähnen lösten. Dann lachte die Braut plötzlich unter Schluchzen auf: “Das war etwas zu viel Aufregung, sogar für eine Hochzeit!”, gestand sie und wischte sich mit Tentens Kleidärmel über die tränennassen Augen. “Für einen Augenblick dachte ich, es würde wieder geschehen!”, seufzte sie hin und her gerissen zwischen positiven und negativen Emotionen. Schließlich gewannen die positiven die Oberhand. “Zum Glück bist du diesmal ausgewichen!”, brach es aus ihr hervor. Sie und Naruto hatten beschlossen sie nie auf dieses Geschehnis anzusprechen, doch Hinata konnte diesen kleinen Kommentar einfach nicht mehr zurückhalten. Ihre Erleichterung war zu prägnant.

Sakura kam nun auch hinzu um Tenten so fest sie nur konnte zu drücken. Sasuke und Gerd standen nur ein wenig peinlich berührt im Hintergrund. Keiner von beiden hatte die Waffenmeisterin je so gesehen und es war ihnen mehr unheimlich als alles andere.

Naruto hielt sich zurück. Er hatte so eine Ahnung, dass Tenten am liebsten allein gewesen wäre, doch es gab eine Hochzeit zu feiern. Wohingegen der Rest der Truppe das exzentrische Geschehen abschütteln wollte, begriff Naruto dass es an ihm war etwas zu Tenten zu sagen. Auf dem Pfad vor ihnen lachten Sakura und Hinata darüber wie es keine Hochzeit ohne Drama sein würde. Die Stimmung wurde langsam etwas munterer. Naruto ließ sich unauffällig zurückfallen bis er neben Tenten ging, die gerade über einen Witz von Gerd lachte.

“Alles ist jetzt gut”, flüsterte er ihr zu. Sie lächelte und für einen Herzschlag lang drückte Naruto ihre Hand ganz fest. Dann begann sie ein Gespräch mit Gerd darüber wie hungrig sie war. Fröhlich bahnte die Gruppe sich ihren Weg den windenden Pfad entlang zur Wachstube, wo Gerd ihnen ein kleines aber festliches Frühstück hatte anrichten lassen. Nur Naruto warf noch einen wehmütigen Blick auf die Venusstatue, die nun scheinbar friedlich im Gras lag.

Hinatas Worte waren das letzte was Neji gehörte hatte, bevor er die Augen schloss.

Verschmelzung

Tenten wusste nun was Lee meinte, wenn er sagte er könne das blutige Gesicht seines Freundes nicht vergessen. Sie sah es schon den ganzen Tag vor Augen und fragte sich ob sie dasselbe Schicksal wie Lee ereilen würde. Egal was in der Welt um sie herum vorging, - ein lachendes Brautpaar, ein herrliches Frühstück, eine Rede über Glück, Liebe, und die Zukunft - vor ihrem inneren Auge blitzte immer wieder sein Gesicht auf. Sie seufzte.

Sich allein die Haare zu waschen fühlte sich plötzlich einsam an. Automatisch hatte sie auch einen Spalt in der Duschtür offenlassen wollen. Aber das alles war jetzt nicht mehr nötig. Sie kämmte ausführlich durch das lange Haar bis es sich in einem langen glatten Strang ihren Rücken herabwand. Erst dann drehte sie den Hahn zu und griff nach dem Tuch. Sorgfältig wrang sie ihr Haar aus, bevor sie die Duschkabine verließ. Achtlos ließ sie das Tuch auf den Boden fallen. Sie machte sich noch nicht einmal die Mühe ein Nachthemd überzuziehen. Sie wollte einfach nur ins Bett und diesen schrecklichen Tag vergessen. Behände glitt sie unter die Decke und starrte wieder einmal an ihre graue Decke. Das erste Mal war er wenigstens für einen guten Grund gestorben. Diesmal war es nur Tentens Leben gewesen …

Schweiß glitzerte auf seinem blassen Gesicht, ein tiefrotes Rinnsal bahnte sich einen Weg vom Mundwinkel zum starken Kiefer; auch die ehemals weißen Zähne waren blutig umgeben von einem Mund der den grausamsten Lippenstift trug. Seine perlweißen Augen trübten sich, versuchten verzweifelt ihre gefangen zu nehmen. Nur für sie. Es war doch nur die kleine Tenten gewesen.

Sie schüttelte den Gedanken ab. Dann drehte sich auf die Seite. Mit einem Schrei schoss sie hoch. Sie starrte geradeaus. Da stand er.

“Ich fühl mich echt an”, wiederholte er. Tenten fragte sich ob sie bereits eingeschlafen war und jetzt träumte.

Er sah genauso aus wie an dem ersten Tag, dass er in ihrem Schlafzimmer erschienen war. Vielleicht ein bisschen weniger verwirrt als dann. Doch das lange Haar fiel ihm sacht über die Schultern, der Soldatenaufzug unterstrich seine militärische Haltung, und seine blasse Haut schimmerte silbrig im Mondschein.

Kein Hauch von Blut.

“Neji?”, wisperte sie.

“Hm?”

Sie hatte keine Worte. Still streckte sie die Hand nach ihm aus. Er kam auf sie zu.

“Ich weiß warum ich hier bin”, gestand er. Ihre Fingerspitzen berührten einander. Sie ergriff sein Handgelenk und zog ihn hastig zu sich. Geschickt ließ er sich neben ihr nieder. Mit beiden Händen umschlang sie sein kantiges Gesicht und sah ihm lang in die Augen. Verstohlen befühlte sie seine Porzellanhaut. Sie konnte gar nicht aufhören ihn abzutasten.

“Warum denn?”, krächzte sie schließlich. Er verteilte sein Gewicht anders und rutschte dabei etwas näher. Das Zucken eines Mundwinkels verriet Tenten, dass ihm eigentlich nicht nach Reden zumute war. Zu ihrem Erstaunen tat er es trotzdem.

“Die Venus war nicht das erste Mal seit meinem Tod”, erklärte er.

“Erste was?”, flüsterte Tenten; ihre Hände hielten sein Antlitz noch immer dicht bei ihr.

“Dass ich von etwas zerschmettert wurde.” Sein Blick wurde so intensiv, dass es Tenten körperlich auf der Haut wehtat. Er berührte einen ihrer Arme und ließ seine Handfläche über die Rippen derselben Seite fahren, ohne jemals den Blick von ihrem zu lösen. Tentens Kehle war wie zugeschnürt. Nur mühsam konnte sie “Die Wagenladung”, hervorpressen. Er nickte.

Er dachte an Hinatas Worte. Als sie zu ihm durchdrangen, hatten ihn seine post mortem Erinnerungen einfach eingeholt, ihn getroffen wie der Blitz. Alles was er getan hatte seit seinem Tod, die Stunden, die er dem ‘Nirgendwo’ abgerungen hatte, um sie zu sehen. Sie alle. Er hatte sich daran erinnert wie er Hinata durch die Hallen seines alten Heims gefolgt war, Naruto an seinem Schreibtisch gesehen hatte, und an Tenten. Wie sie las, in der Dusche saß, die Lichter ausschaltete und im Dunkeln lag, allein an der Theke trank. Er hatte all die Blicke gesehen, die keinem Lebenden aufgefallen waren.

“Zum Glück bist du diesmal ausgewichen’ - da hab ich mich erinnert.” Er machte eine kurze Pause. Lange Reden waren nie sein Ding gewesen. Sogar im Tod fielen sie ihm noch schwer.

“Warum nicht?”, verlangte er zu wissen.

Er konnte sich jetzt ganz klar an den Moment erinnern. Sie hatte reglos dagestanden. Tentens Gedanken hatten nach ihm gegriffen. Aber auch wenn er sie nicht gewusst hätte, wäre offensichtlich gewesen was sie vorhatte. Sie hatte das Holz bersten gehört, sah den fallenden Kisten stolz entgegen.

Eine Antwort war ihr nicht möglich. Sie spürte wie seine Finger sich in ihre Schultern bohrten. Er wiederholte sogar seine Frage. Es war offensichtlich, dass er wirklich eine Antwort hören wollte, doch Tenten hatte keine für ihn. Als ihm klar wurde, dass sie nicht antworten würde, fuhr er etwas anders fort:

“Ich hatte auch Recht mit dem Gefühl schon einmal hier gewesen zu sein”, eröffnete er ihr. “Ich habe dich immer beim Lesen beobachtet. Manchmal hab ich mitgelesen. Da drüben.” Er deutete mit dem Daumen über die Schulter auf die Leseecke. Tentens Lippen begannen zu beben.

“Sogar Hinata hatte Recht. Ich bin ihr wirklich gefolgt. Ich wollte einfach von Zeit zu Zeit sichergehen, dass es euch gut ging… Manchmal ist das Gefühl so durchdringend, dass ich aus dem ‘Nirgendwo’ aufwache. Dann bin ich hier.” Bei dem letzten Wort atmete er mühsam aus. Tenten weigerte sich noch immer sein Gesicht loszulassen. Sprechen konnte sie jedoch auch nicht.

“Aber du bist hier nicht sicher.” Es war eine Feststellung seinerseits, keine Frage. Das Beben ihrer Lippen breitete sich auf ihren ganzen Körper aus.

“Lass nicht los”, bat er still. Sie umgriff seinen Hals fest, doch er schüttelte nur den Kopf. Er hatte sich nur an die Worte erinnern können, nicht was er eigentlich damit meinte. Die überwältigende Angst war nicht, dass sie ihn losließ.

“Lass es nicht los”, bat er, diesmal in einem anderen Tonfall. Tenten verstand und als hätte man plötzlich irgendwo einen Schalter umgelegt ballte sie sich zu einem kleinen Ball dicht an seinem Körper zusammen und ließ ihn die Arme um sie schließen. Dann weinte sie, laut, hemmungslos. Und erzählte ihm von ihrem Leben. Sie erzählte ihm vom Nachbeben des Kriegs, der Verwüstung, dem Wiederaufbau. Sie erzählte ihm von ihren Versuchen ein normales Leben zu führen; wie sie nicht kochen konnte und nie die Motivation fand ihre Kleider aufzuheben. Sie ließ auch all die Männer nicht aus, die versucht hatten sie für sich zu gewinnen. Von Männern, die nach ihrem Rocksaum griffen, ‘Komm schon’ murmelten, gierige Lippen, reumütige Geschenke. Sie erzählte ihm wie sie kämpfte, jeden Tag, darum den Krieg nicht zu vergessen, obwohl sie gleichzeitig nichts lieber tun würde. Konoha wurde wieder aufgebaut, all die Verwüstung wich neueren, besseren Gebäuden. All die alten Krieger wichen neueren Shinobi. Doch sie waren nicht immer besser. Sie konnten sich nicht vorstellen was sich hinter den Augen Tentens abspielte. Tenten arbeitete in all den lokalen Museen, damit nicht in Vergessenheit geriet warum Frieden wichtig war. Warum es wichtig war, dass sie andere Dörfer respektierten. Sie kam als Gastlektor in die Schule und unterrichtete im Umgang mit Waffen. Das war alles was sie gut konnte. Blutrünstige, riesige, winzige, pfeilschnelle. Es machte keinen Unterschied, Hauptsache es war ein Instrument des Mordens. Und obwohl sie jeden Tag dankbar war, dass sie nicht mehr in Kriegszeiten lebten und alles daran tat es so zu halten, bemerkte sie mehr und mehr wie sie zu einem überflüssigen Relikt wurde.

Gerade war Frieden und Kinder liefen glücklich in den Straßen herum, doch alles was Tenten sah waren Leichen. Wenn man sie nicht vorbereitete, wären sie alle verloren. Sie war hin und hergerissen. Sie konnte den Frieden nicht genießen. Die Leute wollten ihre Waffen nicht kaufen, denn es erinnerte sie an unangenehme Zeiten, doch Tenten lebte noch immer in den unangenehmen Zeiten. Sie erinnerte sich noch gut an die Tage der Dunkelheit, jede Mission konnte fatal sein.

In Nejis Armen weinte Tenten über ihre waffengeübten Hände. - Für sie war kein Platz in Zeiten des Friedens. Diese Hände krallten sich in seine Haut am Nacken bis er blutete.

“Ich gehör hier nicht hin. Egal was ich mache, ich gehör hier nicht mehr hin”, schluchzte sie, grub die Nägel immer tiefer in sein Fleisch. “Es macht nur Sinn, dass meine eigenen Waffen mich aus dieser Welt nehmen sollten.”

Er umschloss sie noch fester und hielt sie. Er hielt sie so fest als wäre sie es, die jeden Augenblick verschwinden könnte, als sei sie der Geist. Ein Schimmer aus Trotz und Stolz umgab sie, wurde aber stetig transparenter, weil sie ihm all ihre Geheimnisse offenbart hatte. Er hielt sie bis das Schluchzen abebbte. Schluchzen wurde zu Wimmern, Wimmern wurde zu einem Hummen und Hummen wurde zu tiefen, regelmäßigen Atemzügen.

“Überrascht?”, fragte sie schließlich, versuchte gleichzeitig den Kopf zu heben, um ihm ein falsches Lächeln zu zeigen.

Er schüttelte den Kopf. “Ich habe dich ständig beobachtet. Es war mir bereits schmerzlich bewusst.” Seine kurzangebundene, kühle Zuneigung verfehlte ihre Wirkung nicht. Tenten fühlte sich geborgen. Die alte Kameradschaft gab ihr etwas zurück, das sie verloren gedacht hatte.

“Nobel, dass du deswegen zurück bist.”

Wieder schüttelte er den Kopf.

“Das ist der Anlass, nicht der Grund.”

Die Frage lag Tenten auf den Lippen. Was ist der Grund?, doch sie brauchte sie nicht einmal aussprechen. Seine Stirn berührte ihre. Er lehnte sich an sie. Behutsam hob er die Lippen an ihre, verharrte jedoch. Stattdessen blieben sie zwei einfach eine Weile Stirn an Stirn eng umschlungen im warmen Bett liegen. Tenten schmeckte seinen Atem, so warm und lebendig. Ihre Finger waren glitschig von seinem Blut im Nacken. Sie lagen eine ganze Ewigkeit so, lauschten einander. Bis Tentens Atem stockte. Bis sie ihn sacht auf die nahen Lippen küsste.

Federleicht zuerst, mit den Fingern auf seine Wunde im Nacken drückend. Ihre trockene Haut riss und ließ Neji Blut schmecken; es erweckte seine Zunge, sodass er ihr zärtlich über den Mund leckte. Ihr gesamter Körper kam in Wallung; er spürte ihr Knie an seinem, ihre nackten Brüste an seiner Brust. Zögerlich begann er ihre Intimität zu erwidern. Es fühlte sich so ähnlich an wie das erste Mal, dass sie sich berührt hatten, nur dass sie diesmal eine ganz andere Form von Panik fühlten. Seine Lippen griffen verzweifelt nach ihren, weich doch fest. Er wollte ihr wieder sagen, dass sie nicht loslassen durfte, doch sie schien es bereits zu begreifen. Eng schmiegte sie sich an ihn; er kniff die Augen fest zu und ergötzte sich an den Lauten, die in ihrer Kehle vibrierten. Ihre Fingerspitzen verschmierten Blut über seinen gesamten Hals als seine Hände zum ersten Mal über ihren bloßen Busen fuhren. Nachgiebig und klein. Es waren die ersten Brüste die Neji je berührt hatte, in seinem Leben sowie im Tod. Ihr Gefühl in seiner großen rauen Hand trieb ihm Tränen in die Augen. Tentens Küsse schmolzen sein verwestes Herz, während sie das Salz auf seinen Wangen schmeckte. Ihre Blicke verschränkten sich, sodass sie einander darin ertränkten. Tentens Tod war in großen, weißen Eisseen, seiner war in dunklen, tiefbraunen Sümpfen. Da begann sie an seiner Weste und Hosenbund zu nesteln. Ruhig ließ er es geschehen.

Er hatte auch noch nie geweint, sein Tod war voller neuer Erfahrungen. Wie die Berührung ihrer Hände auf seiner nackten Brust. Sie zogen einen Feuerschweif nach sich. Er zwang Neji zu einem Schauern. Entschieden kratzte sie ihn. Dann noch einmal. Und wieder. Bis auch seine Brust mit Blut besudelt war. Willig ließ er es geschehen. Sein Mund erwartete ihren Kuss, mit welchem er sie hoch drängte. Ihr Haar verwickelte sich in seinen Fingern, sodass er sie hinzerren konnte wo immer er wollte. Grob drückte er sie in die Kissen, ihre Finger wischten über seine Tränen. Sie wisperte. Er küsste sie mit Inbrunst; nach ihrem Mund küsste er ihren Hals. Die gewaltige Schlagader pulsierte mächtig und elegant unter ihrer zarten Haut bis sie unter ihrem Schlüsselbein verschwand. Neji fand es war ein passender Name. Der Knochen war der Schlüssel zum Rest ihres Körpers. Gierig fuhr sein Mund darüber, ließ die harten Rundungen des Knochens hinter sich für die weichen ihrer Brüste. Die Knospen ihrer Brusthöfe schmiegten sich erst faltig dann spitz an seine Zunge, wohingegen ihr Bauchnabel seine Zunge geradezu verschlang. Dann fraß er die warmen Spalten ihres Geschlechts, kaute an ihrem feinen Fleisch, lauschte ihrer Stimme. Seine Finger wanden sich dazwischen, spürten die fremde neue Welt, eine Höhle der Empfindungen. Ihre Schenkel wiegten ihn sanft bis sie zitterten. So wie das Zitten wuchs, wurde ihr Griff aggressiv. Seine Haarflut spülte über sie beide als sie ihn empor riss und sich selbst an seinen Lippen schmeckte; ein kurzer doch heftiger Kampf um die Oberhand folgte. Tenten gewann als sie einen Fuß aufstellte und ihn so hart küsste, dass ihre Zähne aufeinander prallten. Das Nachbeben durchzuckte noch seinen Kiefer als sie auf ihn stieg; Handflächen fest an seine gepresst, schluchzte sie auf. Ihr Brustkorb zersprang; er griff nach einer ihrer Rippen, hielt sich daran fest als Fleisch mit Fleisch verschmolz. Hände fest ineinander gepresst, konnte Neji spüren wie sein Atem flacher wurde. Seine Atmung wurde immer schwerer bis sie stillte. Er konnte keinen Sauerstoff mehr aufnehmen. Tenten küsste ihn, sodass er sie zurückküssen musste. Ihr Körper an seinem, ihre Häute vibrierten an einander, harmonierten mit einer unsichtbaren Stimmgabel. Er fühlte ihren Körper immer mehr, fühlte sich selbst in ihrem Leib; die Bleiche seiner Haut verlief in Farben über ihrem. Sie griff nach ihm, doch ihre Hand traf nur hautfarbene Nässe, versank darin. Ihre Blicke wurden größer, die Seen wuchsen zu einem Ozean. Tenten schrie ekstatisch sowie panisch auf, lehnte sich in ihn und er verschwand in ihr. Sie hörte seine Gedanken, alle. Sie hörte alle, die er je gehabt hatte, doch es war so ein Wirrwarr, dass ihre Augen schmerzten. Sie konnte sie sehen und spüren; sie beide waren von ihnen umgeben.

“Lass nicht los”, flüsterte seine Stimme von irgendwo her. Tenten öffnete die Augen und entließ zitternd ihren angehaltenen Atem. Das Bett war feucht von ihrem Schweiß, die Laken hatten sich hoffnungslos um ihre Knöchel gewickelt. Ihre Hände griffen unter die Kissen. Sie war allein.

Fröstelnd setzte sie sich auf. Etwas in ihr bewegte sich, es kroch aus ihrem Hirn in ihre Hände. Sie küsste ihre Nagelspitzen. Es griff nach ihrem Herzen. Einen Herzschlag lang kniff sie die Lider zusammen, beim Ausatmen wisperte sie und als sie wieder sehen konnte, lag er neben ihr.

“Das hat sich mehr als lebendig angefühlt”, murmelte er. Tenten konnte nicht anders als die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen. Ihr Herzschlag begann sich zu beruhigen.

“Was war das?”, fragte sie ihn. Doch, wie immer, hatte er genauso viele Antworten wie sie. Er zuckte die Schultern. Dann stutzte er jedoch.

“Siehst du das?”, wollte er wissen. Sie sah an sich herab. Doch alles was sie sah waren ihre hellen Leiber gegen das dunkle Laken ihres Bettes.

“Dieses Band...”, begann er. Er griff nach ihr und ein weiteres Zittern durchlief sie. Seine Gedanken umgaben sie wieder. Diesmal konnte sie sie lesen.

“Du bleibst bei mir”, eröffnete sie ihm. Du brauchst nicht immer einen Körper.

“Ein Körper ist jedoch sehr interessant”, gab er zu bedenken. Tenten schlang die Arme um ihn und schmiegte sich enger an seine korporale Gestalt in ihrem Bett. Eine Strähne wurde ihr aus dem Gesicht gestrichen. Die untypisch überflüssige Bewegung schien ihnen beiden fremd, doch Tenten begriff, dass es schwierig war neue Dinge zu erlernen nachdem man nicht mehr am Leben war.

“Wird es reißen?”, erkundigte sich Tenten und meinte damit das Band, von dem Neji gesprochen hatte.

“Hm”, machte er. “Es ist wie ein silbriger Schimmer. Ich kann fühlen wie es an mir zerrt”, beschrieb er.

“Ich glaube nicht, dass es sich löst”, beschloss Tenten. Ihre Finger malten immer größer werdende Kreise auf seinem Brustkorb.

“Kannst du fühlen was ich denke?”, fragte sie unvermittelt. Er wiegte seinen Kopf hin und her.

“Es klingt wie ein schlechter Radiosender”, gestand er. Tenten kicherte widerwillen.

“Das ist ziemlich seltsam, weißt du?” Sie sprach aus was bereits deutlich war.

“Seltsamere Dingen sind geschehen.”

Tenten zeigte sich skeptisch. “Ich hab das Gefühl als seist du in mir gewesen.”

Er nickte.

“In meiner Seele”, stellte sie klar, damit er nicht nur an Sex dachte. Dann wurde ihr bewusst, dass er das nicht tat.

“Ich glaube”, begann sie. “Ich bin auch in deiner.”

Das verwirrte Neji. Er rückte auf dem großen Bett herum bis er komfortabel lag, doch seine Hand verließ ihre Taille nie als sei er noch immer besorgt, dass er einfach aus ihrer Welt ausgestoßen werden würde, wenn sie ihn nicht damit verband.

“Heißt das, du bist jetzt ein bisschen tot?”, fragte er. Der Hauch von Sorge schwang in seinem gewöhnlichen Ton mit. Die Kühle seiner Stimme stand im Kontrast zu seiner besorgten, angespannten Körperhaltung.

Tenten ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Schließlich sagte sie: “Ich glaube, ich war vorher etwas tot.” Das Geständnis traf ihn nicht ganz unvorbereitet.

“Ich musste dich heimsuchen”, machte er seinerseits ein Geständnis. Sie sah an seinem Adamsapfel wie er schluckte. “Ich musste noch ein bisschen leben.”

Tenten wusste bereits Bescheid. Ihr Blick fuhr sanft über seinen, karessierte ihn zärtlich.

Später in der Dusche verschmolz er noch einmal mit ihr. Wenn sie die Hand hob, tat er es auch. Sie waren kongruent. Ineinander half er ihr sich die Haare zu waschen und Tenten begriff, dass sie nie wieder allein sein würde.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Aliesa
2017-09-29T01:49:54+00:00 29.09.2017 03:49
heda!
ich hab hier am anfang so sehr gelacht. das is die erste szene wo neji und tenten echt reden. vorher is sie ja mehr geschockt und so und man merkt einfach seine neji-heit. ein paar von meinen lieblingssätzen:

“Ich war noch nie in deinem Schlafzimmer.”
“Mit gutem Grund.”

obwohl ich nich wirklich weiß was tenten hiermiit meint kann ich mehr super gut vorstellen dass es 100.000 gründe gibt warum neji noch nie da warxD

“Sei ehrlich. Hast du mich nackt gesehen?”, erkundigte sie sich unvermittelt mit neutralem Ton.
Er wandte sich um. “Nein. Du trägst ein Tuch.” Er deutete darauf.

wie er hier einfach das offensichtliche sagt ist sehr rational. ich glaub er begreift tentens panik gar nicht, seine verbindung zu ihr ist tiefgreifender als das. trotzdem ist diese bestimmte szene hier lustig! ;)

“Um dich bei allen für dein Benehmen zu entschuldigen bist du jedenfalls nicht zurückgekommen”, stellte sie nüchtern fest.
“Nein, wieso auch?”, wollte er wissen.

einfach nur neji! xD


die duschszene hat mir natürlich auch gefallen und dass sie als ein team zusammenarbeiten. das bringt diese zwei immer gut zusammen. traurig war natürlich die letzte szene. das war hart. mir ist sogar egal dass man nicht wirklich verstehen soll wie das mit nejis totsein funktioniert. ich glaub das soll man auch nicht. die mechanik hinter seinem geistwesen ist im hintergrund und man soll einfach auf die emotionale connection achten. und die ist mir echt aufgefallen. dieses kappi passt auch perfekt zum bild ;))

<3
Von:  Aliesa
2017-09-29T01:34:45+00:00 29.09.2017 03:34
hiho!
erstmal mega dankeschön für deine geschenkgeschichten. ich freu mich immer tierisch jeds jahr!! <3
ich freu mich dieses jahr besonders über diese fanfic weil du weißt wie sauer ich war als neji tot war. und dass du ihn in dieser ff widerbelebst erinner mich en bissl an ghost (ja, hab ich neulich gesehen, war gut! ;)))
zu dem kapitel: wie neji immer wieder auftaucht is super witzig xD
konnte mir richtig vorstellen wie Hinata nach der wespe sucht und neji einfach das gespräch kommentiert!

sry übrigenz dass ich erst nich geschrieben hab. hab sie verschlungen aber dann keine zeit fürn kommi gehabt <3

kuss,
aliesa
Von:  Kaninchensklave
2017-09-09T21:05:59+00:00 09.09.2017 23:05
ein shcöner OS wenn auch zeitlich ziemlich versetzt

denn HInata war beriets verheiratete und hatte zwei Kinder als Naruto Hokage wurde aber darüber kann man etwas hinweg sehen das es nicht ganz Canon ist von der Zeit her ;)

tja trotz seines Todes wird Neji immer in TenTen weiter leben denn sie waren einfahc Seelen verwandt was wohl daran leigt
das sie mit Guy und Lee in einem team waren sowas schweisst ja bekanntlich zusammen wenn man zwei Verrückte im im selben tzeam hat xD

jedoch hätte Neji sihc wohl keinen besseren Cousin aussuchen können als Naruto denn da weiss er ja das HInata in gten Händen ist denn über hInata lässt naruto mit sihcerheit nicht schlecht reden und der jenig der es versucht in dessen Haut möcjhte keiner stecken


ich persönlioch fand es schade das Neji sterben musste, Kiba hätte wohl nur die wneigsten eine träne nahc geweint
aber dann wäre es wohl auch nciht so dramatsich gewesen wie bei Neji, denn ich hätte beide gerne als Canon paar gesehen

GVLG


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