Teil 2 - Das Ende
Leise knirschte der Kies unter seinen Schritten, während er durch die Stille des Friedhofes lief. Er mochte den Ort nicht. Hatte es immer befremdlich gefunden, dass die Menschen zum Trauern an die Stelle zurückkehrten, wo die Körper ihrer Liebsten verrotteten. Auf seiner Heimatwelt hatte es so etwas nicht gegeben. Es gab keine Feier, kein Ort zum Gedenken. Tot war tot. Alles, was von den Verstorbenen geblieben war, war das Andenken in den Erinnerungen, die man hatte. Der Rest war stumpf sentimental. Aber er hatte sich verändert. War in vielerlei Hinsicht mehr Mensch geworden, als ihm tatsächlich gut tat. Die Jahre auf der Erde hatten ihn geprägt, besonders die Frau, an deren Grab er nun stand.
Ihr Grabstein war edel, aber schlicht. So wie die Frau es gewesen war. Für ihn war es dennoch merkwürdig, denn auf dem Friedhof herrschte Stille und Bulma war vieles gewesen, aber still mit Sicherheit nicht. Sie war laut und temperamentvoll gewesen. Genau das hatte er gebraucht. Jemanden, der ihn in seine Schranken wies und ihn mit Humor so nahm, wie er eben war. Er wusste, dass es nicht immer einfach für seine Frau gewesen war und doch war sie immer bei ihm geblieben. Sie hatte ihm die Freiheiten gegeben, die sein unbändiges Wesen, seine Kriegerpersönlichkeit gebraucht hatte und im Laufe der langen Jahre, die sie verheiratet waren, war er von alleine immer ruhiger geworden. Das lag aber auch daran, dass Bulma ihn geerdet hatte.
Vor zwei Jahren war Bulma gestorben. An Altersschwäche. Sie war alt geworden. 96 Jahre. Er selbst war inzwischen auch schon 99 Jahre, doch im Gegensatz zu einem Menschen alterte er als Saiyajin deutlich langsamer. Vegeta war sich bewusst gewesen, dass er seine Frau überleben würde, sollte er nicht zuvor im Kampf getötet werden. Mit fast 100 hatte er noch immer den Körper eines 50.-Jährigen. Obwohl er in den letzten Jahren mehr und mehr daran denken musste, dass Bulma ihn alleine lassen würde, war er an ihrer Seite geblieben. Er hatte sie sehr geliebt. So sehr, dass er jetzt an ihrem Grab stand, wissend, dass sie ihn nicht hören konnte. Ihre Seele war längst wiedergeboren worden. Das hatte sie sich vom Herrn der Unterwelt gewünscht. Irgendwie beruhigte es ihn dennoch, ihr Grab zu besuchen. Ein Teil von ihr war noch hier und daran klammerte er sich.
Er war einsam. Sein Sohn führte längst ein selbstständiges Leben und Vegeta lebte alleine in der großen Capsule Corporation. Oft schon hatte er überlegt, ob er die Erde verlassen sollte, sich sein Raumschiff nehmen und wieder auf Wanderschaft durch das Weltall gehen sollte. Hier gab es nichts mehr, das ihn hielt.
Mit einer geschmeidigen Bewegung bückte er sich, legte die Blumen, die er in Händen hielt, auf den glänzenden Stein, in dem in goldener Schrift Bulmas Name gemeißelt stand. Rosen und Lilien, beides ihre Lieblingsblumen, auch wenn sie in Kontrast zueinander standen. Rot und Weiß. Liebe und Unschuld. Vegeta lächelte leicht. So war auch Bulma gewesen. Wechselhaft und launisch wie das Wetter. Niemals langweilig und immer liebevoll. Er seufzte. „Danke“, sagte er, ein einziges Wort. Mehr brachte er niemals über seine Lippen, mehr gab es nicht zu sagen. Einfach nur Danke, weil dieses Wort alles sagte.
Ebenso langsam, wie er gekommen war, verließ er den Friedhof wieder. Schon als er das große, schwere Tor sah, war er nicht mehr alleine. Er wurde abgeholt. Vegeta wusste nicht, was er davon halten sollte.
„Kakarott“, begrüßte er den anderen Mann.
„Hallo Vegeta!“ Der Jüngere sah ihn freundlich an.
„Warum bist du gekommen?“ Seit der Beerdigung von Bulma hatten sie sich kaum mehr als fünf Mal gesehen.
„Wie geht es dir?“, kam die Gegenfrage und gemeinsam liefen sie die Straße entlang.
„Wie soll es mir schon gehen? Wie immer.“
„Ist das jetzt gut oder schlecht?“ Neugierde blickte aus dem attraktiven Gesicht.
„Was willst du, Kakarott?“
Vegeta besah sich seinen Freund genauer. In all den Jahren, seit sie sich kannten, hatte dieser sich kaum verändert. Ja, er war älter geworden, aber wie Vegeta aufgrund der Saiyajingene körperlich jung geblieben. Selbst der Tod seiner Frau Chichi, der schon einige Jahre zurücklag, hatte ihn kaum verändert. Vielleicht lag das daran, dass er bei den großen Familien seiner Söhne Halt gefunden hatte.
„Ich glaube, es wird Zeit, dich aus deiner Isolation zu holen.“
„Was meinst du damit?“
„Bulma ist seit 2 Jahren tot. Ihre Seele ist längst wiedergeboren. Du solltest loslassen und wieder mehr unter Menschen gehen. Trunks sagt, dass er dich schon monatelang nicht mehr gesehen hat. Seine Einladungen schlägst du immer aus.“
„Ich will ihn und seine Frau nicht stören. Die beiden haben erst geheiratet. Die sollen sich austoben. Außerdem bin ich beschäftigt. Ich trainiere, will ja nicht so aus dem Leim gehen, wie du.“ Vegeta stichelte, das war seine Art, wenngleich Kakarott muskulös und trainiert wie immer aussah.
Ungeachtet der anderen Passanten erhob sich Vegeta in die Luft. Das erschrockene Keuchen ignorierte er. Es wunderte ihn, dass die Menschen nicht schon längst an ihn, Kakarott und die anderen Z-Krieger gewohnt waren. Sicher, die Besetzung war eine andere, da die meisten Freunde gestorben waren, aber selbst die neue Generation Krieger konnte ihr Ki kontrollieren. Sie retteten die Erde so oft, dass es ihn verwunderte, dass seine Bewohner sich noch immer über ihre Fähigkeiten erschreckten. Er wollte gerade beschleunigen, als er bemerkte, dass Kakarott ihm gefolgt war. Eigentlich hatte er geglaubt, seine Haltung wäre ablehnend genug gewesen. Ohne ein Wort flog ihm sein Freund hinterher, gleich welche Schleife, welchen Umweg er auch machte. Kakarott war sein Schatten. Missmutig duldete er ihn, bis er zu Hause ankam.
„Willst du jetzt auch noch mit rein?“, fauchte Vegeta ihn an. Sein Temperament war trotz des hohen Alters ungebrochen.
„Du hast doch bestimmt etwas zu trinken für mich?“ Kakarott lachte unbeschwert, so als wüsste er nicht, dass er Vegeta damit bis aufs Blut reizte.
Einige Minuten später saßen sie im Garten, jeder einen Drink in der Hand. Die Sonne war bereits untergegangen und eine laue Sommernacht hatte Einzug gehalten. Glühwürmchen tanzten durch den Garten und Vegeta lauschte den Geräuschen der Nacht. Es war ein friedlicher Abend. In der angenehmen Stille konnte er sogar Kakarott ertragen. Mehr noch, es fühlte sich gut an, nicht alleine zu sein, auch wenn sie nicht sprachen. Vegeta ahnte jedoch, dass Kakarott diesen Zustand nicht lange aushalten würde. Also genoss er einfach, bis dieser nur wenige Minuten später die Stimmung mit seiner Frage durchbrach.
„Erinnerst du dich noch? Wir lagen schon einmal auf diesen Liegen und haben eine Sommernacht miteinander verbracht.“
Vegeta musste einige Minuten überlegen, ehe er sich an den Abend erinnerte. „Du hat mich nach dieser Nacht wirklich in Ruhe gelassen“, meinte er. „Du hast nie wieder versucht, mich anzugraben. Ich habe gewusst, dass deine Gefühle nur eine Phase waren.“ Leichte Selbstgefälligkeit sprach aus seinen Worten.
„Du irrst dich.“ Kakarott kam zu ihm hinüber und kniete sich neben seine Liege. „Ich mag dich noch immer. Mehr sogar noch als damals.“
„Was willst du?“
„Du hast mir damals etwas versprochen, weißt du noch?“
Ihm wurde heiß. Ein unangenehmes Feuer von Hitze breitete sich in seinem Inneren aus. Er hatte es all die Jahre verdrängt. Nun jedoch erwachten Kakarotts Worte in seinem Kopf zu neuem Leben und wiederholten sich wie in einer Endlosschleife.
„Wenn eines Tages weder Bulma, noch Chichi zwischen uns stehen, würdest du dich dann auf mich einlassen?“
„Bist du deswegen gekommen?“, fragte Vegeta. „Willst du jetzt einfordern, was ich dir damals in Aussicht gestellt habe?“ Er blickte Kakarott an, der ihn ernst, aber mit Wärme in den Augen ansah.
„Ich wollte nur, dass du weißt, dass du nicht alleine bist. Deine Trauer über Bulma – ich kann sie spüren, aber ich merke auch, dass du einen Teil von dir selbst vergisst. Kapsel dich nicht von denen ab, die deine Familie sind.“
„Bulma war meine Familie.“
„Trunks ist das auch. Dein Sohn wartet nur darauf, dass du auf ihn zugehst. Wir alle machen das.“
„Mir ist nicht danach.“
„Ich weiß. Es wird nur nicht besser, wenn du dich weiterhin verkriechst. Manchmal muss man aus seinem Schneckenhaus herauskommen, um zu bemerken, was einem wirklich fehlt.“
„Bulma fehlt mir.“ Vegeta zitterte innerlich. Er konnte den Schmerz in seiner Brust wie eine scharfe, wütende Klinge spüren. Zwei Jahre und er vermisste sie noch immer unendlich.
Kakarott schwieg, dann machte er das Einzige, das er in dieser Situation machen konnte. Er umarmte hin. Große, starke Arme hielten ihn. Der erste Impuls in Vegeta wollte ihn von sich stoßen, doch dann überrollte ihn das Gefühl von Geborgenheit. Vielleicht lag es nur daran, dass Kakarott so viel größer war, dass dessen mächtiger Körper ihn umwickelte, aber Vegeta ließ es zu, dass ihm Trost gespendet wurde. Ihm tat die Nähe gut.
„Ich vermisse sie auch. Sie war meine Freundin. Ich vermisse sie ebenso, wie ich Chichi vermisse.“
„Wird es irgendwann besser?“
„Wenn du es zulässt, jeden Tag ein wenig.“
„Du kannst mich wieder loslassen.“
Plötzlich konnte Vegeta die Wärme nicht mehr ertragen. Etwas in ihm wollte wieder die Kontrolle über seine Gefühlswelt haben. Er distanzierte sich. Fühlte es und doch brauchte er die Distanz, da er sich sonst noch ganz vergessen könnte.
„Was jetzt? Willst du um mich werben?“
Kakarott lachte. „Du meinst, ob ich dich zum Essen ausführe oder dir Blumen bringe?“
„Keine Ahnung. Weiß nicht, wie die das hier auf der Erde machen. Bulma hat sich mich einfach geschnappt.“
„Mit Chichi war das auch nicht anders. Hab ich dir eigentlich jemals erzählt, weshalb wir geheiratet haben?“
„Nein.“ Vegeta war neugierig geworden.
„Sie hat mich gefragt, ob ich sie heiraten möchte und weil ich dachte, das sei etwas zu Essen, habe ich ja gesagt.“
„Ist nicht wahr! Warst du wirklich so blöd?“
„Scheint so.“ Noch immer lachte er und kratzte sich dabei am Hinterkopf. „Zum Glück habe ich sie lieben gelernt, aber du hättest mein Gesicht sehen sollen, als ich kapiert habe, was Heirat wirklich bedeutet.“
„Ich kann’s mir bildlich vorstellen.“ Nun musste auch Vegeta grinsen. „Als ich Bulma um ihre Hand gebeten habe, habe ich mir Mühe gegeben. Sie lag mir ja schon ein paar Jahren in den Ohren, dass wir endlich heiraten könnten und ich hab es ignoriert. Es war ganz schön schwer, den Antrag zu planen. Sie war so verdammt neugierig, dass ich Trunks um seine Hilfe gebeten habe. Anders wäre es mir niemals gelungen, sie lange genug abzulenken. Es war hier in diesem Garten gewesen, als ich sie fragte.“ Ein sanftes Lächeln legte sich bei der Erinnerung auf sein Gesicht. „Wir haben uns mal wieder gestritten und ich habe sie in den Garten gelockt. Keine Ahnung mehr, was sie mir an den Kopf geworfen hat, aber auf ein Zeichen hin hat es im Garten Kirschblüten geregnet. Es waren so viele, dass sie einfach verstummt ist und verwundert um sich gesehen hat. Als sie wieder zu mir blickte, habe ich ihr die Schachtel mit dem Ring vor die Nase gehalten, mich hingekniet und sie gefragt. Sie ist mir heulend um den Hals gefallen und hat wie verrückt ‚ja‘ gerufen. Noch Jahre später hat sie gesagt, dass dies das einzig romantische war, was ich jemals für sie getan habe.“
Für einen Moment herrschte andächtiges Schweigen und Kakarott ließ Vegeta die Zeit, um die Erinnerung in sich nachklingen zu lassen.
„Vegeta…“, sagte Kakarott leise.
„Hm…“
„Du warst ihr ein guter Ehemann und ich möchte auch nicht, dass du sie vergisst. Bulma war deine große Liebe und damit kann ich nicht konkurrieren. Ich will nur…“
In den dunklen Augen stand so viel Sehnsucht, so viel Verzweiflung, dass Vegeta die starke Emotionalität in Kakarott spürten konnte. Die Stimmung um sie wurde elektrischer, ergreifender. Eine neue Form von Gefühl lag zwischen ihnen.
„Was, Kakarott?“ Vegetas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Darf ich nach all den Jahren hoffen? Darf ich hoffen, dass du mir eine Chance gibst? Wenn es sein muss, warte ich noch mal 40 Jahre, bis du Bulma überwunden hast, aber darf ich hoffen?“
Vegeta besah sich den Mann vor ihm genauer. Er war groß, attraktiv und hatte trotz des hohen Alters noch immer das Gemüt eines Kindes. Um seine Augen waren kleine Fältchen, die vom Lachen kamen und seine Lippen waren noch immer sinnlich und verlockend. Was Vegeta aber am meisten erschütterte, war die Verzweiflung in den schönen Augen, die ihn so flehend ansahen. Er wusste, Kakarott meinte jedes seiner Worte ernst. All die Jahre… All die Jahre, die er glücklich mit Bulma war, die Kakarott mit Chichi verbracht hatte, all die Jahre über hatte ein Teil seiner Gefühle Vegeta gehört. Er musste sich eingestehen, dass er es immer geahnt hatte, doch er hatte es ignoriert. Vegeta war Kakarott dankbar, dass er nach jener Nacht nie mehr versucht hatte, ihn zu verführen, ihn Bulma auszuspannen. Er hätte nicht gewusst, wohin es sie sonst geführt hätte.
„Vielleicht“, hatte er damals gesagt und gelogen. Wäre Bulma nicht gewesen, er hätte sich auf ihn eingelassen. Was hielt ihn davon ab? Seine Frau war gestorben und wiedergeboren. Sie würde nirgends auf ihn warten. Nicht im Leben und nicht im Tod.
„Komm her“, flüsterte er und legte seine Stirn auf Kakarotts. „Ich kann dir nichts versprechen. Werde nie von Liebe reden, aber ich will nicht mehr allein sein. Ich kann das einfach nicht mehr. Wenn ich mich auf dich einlasse, dann musst du mich nehmen, wie ich bin.“
„Das tue ich doch schon…“, wisperte Kakarott. „Ich will dich zu nichts zwingen. Du musst sie nicht vergessen. Sie ist ein Teil von dir. Alles, was ich möchte, ist doch nur eine Chance.“
„Okay“. Vegeta nickte. Er zitterte. Sein Innerstes war so verletzlich. Er brauchte Halt. Halt, den er mit Bulmas Tod verloren hatte und er fühlte, dass er ihn bei Kakarott finden konnte. Dass er alles bei Kakarott finden konnte. „Jetzt küss mich, du Idiot“, hauchte er und als er die weichen Lippen Kakarotts auf seinen spüren konnte, wusste er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Ende Teil 2