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YORU - Was die Nacht verrät

von

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Ein Ninja muss...

Aber Raphael schlief nicht nur eine halbe Stunde, wie er beabsichtigt hatte. Als er aus seinem Zimmer kam, hatte er bereits die erste Trainingseinheit und das Frühstück verpasst. Unausgeschlafen, steif und mürrisch betrat er die Küche und wurde von sechs Augen erstaunt gemustert. Nur Michelangelo war nirgends zu sehen, was Raphael die Hoffnung eingab doch nicht der Letzte zu sein, der aufgestanden war.

„Guten Morgen, Raphael.“, begrüßte ihn Meister Splinter in seiner gewohnten ruhigen Art, aber irgendetwas an seinem Blick war seltsam.

„Guten Morgen, Sensei.“, gab der müde Turtle zurück und rang sich alle Haltung ab, die er aufbringen konnte. Nur mühsam unterdrückte er ein Gähnen und ging in den Raum hinein auf den Tisch zu, an dem sein Lehrmeister und zwei seiner Brüder vor leeren Tellern saßen.

„Fühlst du dich heute nicht gut? Bist du vielleicht krank?“, fragte Splinter und seine Ruhe verursachte Raphael fast eine Gänsehaut. Irgendetwas ging hier vor, das spürte er bis in seine abgenutzten roten Bandanaspitzen, aber er kam nicht darauf was es war. Ein schneller Seitenblick zu Leonardo und Donatello half ihm auch nicht weiter, denn die verbissen sich jeweils ein schadenfrohes Grinsen und warfen sich hämische Blicke zu. In höchstem Maße misstrauisch setzte sich der muskelbepackte Turtle an den Tisch und sah verstohlen von einem zum anderen. Langsam keimte in ihm der Verdacht, dass Michelangelo doch nicht dicht gehalten hatte und die anderen ihn jetzt für einen Weichling hielten. Dann war es wirklich gesünder für den Kleinen abwesend zu sein, dachte Raphael grimmig. Als sein Blick nun zu Splinter wanderte, sah der ihm direkt in die Augen und machte es dem Sai-Kämpfer damit schwer wieder weg zu sehen. Da fiel ihm ein, dass der ihn ja etwas gefragt hatte und er gab endlich die ausstehende Antwort.

„Nein, ich fühle mich bestens.“

Nun zeigte sich das drohende Unwetter deutlich in Splinters pelzigem Rattengesicht. Ruckartig nahm er sie Ohren zurück, richtete seinen Rücken noch gerader auf und durchbohrte Raphael mit stechenden rotbraunen Augen.

„Dann verstehe ich nicht wieso du das Training versäumst und erst nach dem Frühstück hier auftauchst! Donatello sagt, du hättest ihn quer durch das Zimmer getreten, als er dich wecken wollte!“, tadelte er streng und seine scharfen Schneidezähne blitzten. Raphael blickte den Sensei überrascht an, dann sah er zu Donatello, der ihm böse entgegen blickte. Nun konnte er sich ein fieses Kichern doch nicht verkneifen und lehnte sich selbstgefällig in seinem Stuhl zurück, denn Ellbogen lässig auf der Lehne, bevor er wieder den Mutanten ansah, der ihn aufgezogen hatte.

„Davon habe ich gar nichts gemerkt. Jetzt bin ich sogar noch im Schlaf besser als Donnie.“, erklärte er und grinste dabei breit und selbstzufrieden. Donatellos Gesicht verfinsterte sich und auch Splinter schien die Sache leicht anders zu sehen. Er räusperte sich vielsagend und sah seinen Schützling durchdringend an. Raphael hob unschuldig Hände und Schultern. „Was? Stimmt doch.“

„Raphael!“

„Was denn?“

„Entschuldige dich bei Donatello!“, verlangte der Ninjutsu-Meister. Raphael fiel aus seinen Wolken der Selbstgefälligkeit. Er versuchte immer krampfhaft sein Temperament zu beherrschen, wenn der Sensei in der Nähe war, aber das ging ihm jetzt zu weit. Das war ungerecht und absolut unfair! Anklagend gestikulierte er mit den Armen und zeigte erst auf Meister Splinter, dann auf Donatello und schließlich auf sich selbst. „Aber Sensei, wozu lehrt Ihr uns denn immer kampfbereit zu sein, wenn ich es dann nicht sein darf. Das ich Donnie eine verpasst hab war doch nicht mal Absicht!“ Die Ratte stieß ihren Jadestab einmal hart auf den Boden und Raph verstummte mit feurigem Blick. Splinter strich sich über den langen dünnen Bart und Raphael hätte am liebsten frustriert aufgeschrien, denn er wusste, dass jetzt wieder einer seiner berüchtigten Vorträge kam.

„Ein Ninja muss nicht nur kämpfen können. Er muss auch mit allen Sinnen wach sein und Verantwortung für seine Taten übernehmen.“ Der erhabene Blick der Ratte traf den jähzornigsten seiner Söhne und seine Schnurrhaare erzitterten. Raphaels Kiefer mahlten und auf seiner Stirn trat eine Ader hervor, die Michelangelo sicher nicht unkommentiert gelassen hätte. Er saß nun vorn über gebeugt und versteckte die geballten Fäuste unter der Tischplatte. Eine unangenehme erwartungsvolle Stille trat ein. Dann ruckte der Muskelmann mit dem Kopf, um seine Brüder mit Blicken zu erdolchen, wobei ihm seine abgenutzten Bandanaenden nach vorn über die rechte Schulter flogen. „Sorry.“, knurrte er so bissig, das Donatellos rötliche Augen für einen kurzen Moment zur Tür huschten, weil er nicht wusste, ob er vielleicht lieber abhauen sollte. Splinter zog am anderen Tischende die buschigen weißen Augenbrauen zusammen und hätte diese 'Entschuldigung' wohl nicht gelten lassen, wenn Donatello nicht gleich darauf eingegangen wäre. Der Bo-Kämpfer nahm die Hände hinter den Panzer, grinste unbehaglich, sodass man seine Zahnlücke sah und meinte nervös kichernd: „Ist schon gut.“, dabei wanderte eine Hand wieder hinter seinem Rücken hervor und er kratzte sich damit am Kopf. Leonardo beobachtete die Situation aufmerksam und schwieg. In diesem Moment hörten sie alle das Geräusch der Badezimmertür und wenig später betrat Michelangelo die Küche. Als er Raphael sah bekam sein Gesicht einen schelmischen Ausdruck. „Na du Langschläfer.“, neckte er ihn fröhlich und fing sich dafür ein gefährliches Knurren von seinem missgelaunten Bruder. Die Ader auf dessen Stirn begann zu pochen. Wenn Michelangelo die Warnzeichen sah, ignorierte er sie.

„Du hast schon voll viel verpasst, weißt du das?“, fragte der Kleine weiter, während er Haferbrei, Rührei und Toast auf einem Teller zusammenwarf. Da zerplatzte Raphaels Hoffnung, doch nicht der letzte gewesen zu sein und mit einem schneidenden Geräusch zerriss sein ramponierter Geduldsfaden.

„MIKEY!“, schrie er auf, stützte die Hände auf die Tischplatte und stieß beim Absprung den Stuhl mit solcher Wucht um, dass der bis an die Küchenwand schlitterte. Mit einem Satz hechtete Raphael über den Tisch auf seinen frechen Bruder zu, der reflexartig die Arme hob, um den Angriff abzufangen, oder doch wenigstens sein Gesicht zu schützen. Mitten im Flug erwischte Meister Splinters jadegrüner Spazierstock den Sai-Kämpfer im Nacken und schmetterte ihn hart auf die Tischplatte, sodass die leeren Teller darauf klappernd hüpften. Raphael war total perplex und starrte um sich, bis er verstand was passiert war. Leonardo und Donatello waren für einen Augenblick ebenso erstaunt. Dann hob das Genie der Truppe die dreifingrige Hand vor den Mund, um ein schadenfrohes Lachen zu verstecken. Es gelang ihm nicht sehr gut, denn seine Augen verrieten ihn. Leonardo schüttelte fast unmerklich den Kopf über so viel Unausgeglichenheit, was Raphael aber glücklicherweise nicht bemerkte, denn der Sensei drückte ihm zur selben Zeit das Ende seines Jadestabs in den Nacken und fixierte ihn so auf dem Tisch. „Michelangelo war heute sogar als erster wach und hat für uns alle Frühstück gemacht.“, erklärte er gelassen. „Ich schlage vor, dass du isst und dann das Training nachholst.“ Es war weniger ein Vorschlag, als eine Anweisung, daran ließ der Schmerz in Raphaels Nacken keinen Zweifel.

Splinter blieb noch drei Sekunden so stehen, bevor er den Stab weg nahm und seinen anderen Söhnen winkte, ihm ins Dojo zu folgen. Leonardo und Donatello kamen der Aufforderung ihres Senseis sofort nach. Letzterer sah allerdings noch lange über die Schulter auf Raphael zurück, der sich auf alle Viere aufraffte und sich erst das Kinn und dann den Nacken rieb. Michelangelo hielt immer noch den Teller mit dem Frühstück in Händen und stellte ihn nun mit weit von sich gestreckten Armen neben seinem Bruder ab, um aus dessen Reichweite zu bleiben. Dann folgte er den anderen aus der Küche. Geschlagen rutschte der Sai-Spezialist vom Tisch und hob seinen Stuhl auf, um sich wieder darauf zu setzen. Nur mühsam überhörte er Leonardo, der draußen zu den anderen meinte: „Der hat ja wieder 'ne Laune. Ist wohl mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden.“ Raphael schloss die Faust um ein Paar Stäbchen und hieb damit wütend, weil unverstanden, auf seine Eier ein.
 

Es war ganz gut, dass Splinter ihn dazu verdonnert hatte im Einzeltraining die verpassten Einheiten nachzuholen. Auf diese Weise hinkte er den anderen immer eineinhalb Stunden hinterher und war bis nachmittags mit sich alleine, sodass er genug Zeit hatte sein erhitztes Gemüt wieder abzukühlen. So war er wieder ausgeglichen, als er wieder zu den anderen stieß, die längst Pause hatten. Aufgeputscht wie er war, schwang er sich auf der Sofalehne in den Handstand und ließ sich dann rückwärts ins Polster zwischen Mikey und Leonardo fallen. Sofort klemmte er breit grinsend Michelangelos Kopf unter seinem Arm ein und polierte ihm mit den Fingerknöcheln die Kopfhaut. Der Kleine zappelte und schrie, aber es gab kein Entkommen. Diese Rache wurde noch dadurch verschlimmert, dass Raphael in der letzten Woche nicht einmal geduscht hatte und das Opfer mit dem Gesicht direkt unter seiner Achsel klemmte. Schließlich ließ er Michelangelo wieder frei, der halb erstickt weg kroch und nach Luft schnappte.

„Und womit geht’s weiter?“, fragte Raphael tatendurstig und ließ die Sais durch seine Finger wirbeln. Alle schraken zusammen, als Splinter plötzlich wie aus dem Nichts hinter dem Sofa stand und sie ansprach.

„Meine Söhne. Ihr habt die letzten Wochen von morgens bis abends trainiert ohne euch zu beklagen. Darum setze ich das restliche Training für heute aus. Nutzt die Zeit am Besten für Meditationen.“, damit wandte er sich um und tat einen Schritt auf das Dojo zu, um höchstwahrscheinlich seinen eigenen Rat zu befolgen. Doch dann hielt er inne und wandte noch einmal den Kopf.

„Besonders dir empfehle ich deine innere Ruhe zu suchen, Raphael.“, schickte er noch hinterher, bevor er wirklich ging. Die Turtles sahen sich einen Moment lang gegenseitig an. Dann sprang Donatello auf und lief in seine Werkstatt. Leonardo folgte dem Sensei ins Dojo. Raphael sah ihm missbilligend hinterher und knurrte: „So ein Streber.“

Neben ihm krabbelte Michelangelo über den Boden, um den Fernseher einzuschalten. Raphael erwischte ihn gerade noch am Bein und zog ihn zurück, sodass der kleinere Turtle vorn über kippte und auf dem Boden aufschlug. Sauer drehte er sich auf den Rücken und setzte sich auf.

„Wird das jetzt ewig so weiter gehen? Ich hab schon lauter Schrammen von dir!“, beschwerte sich Michelangelo erbost. Der ärgerliche Blick ließ den jüngsten der Turtles noch niedlicher aussehen. Raphael kümmerte das allerdings wenig.

„Sag bloß ich hab dir weh getan.“, spottete er hämisch, stand aber auf und zog den Mutanten mit dem Bandana in orange wieder auf die Füße. Mikey zog trotzdem schmollend eine Schute.

„Ich mein's ernst, Mann! Du kannst mir nicht mein supersüßes Gesicht demolieren! Das ist mein Markenzeichen!“, erklärte er und stieß dem muskulösen Bruder unversehens den Finger gegen den Brustpanzer. Dieser schnappte sich den Finger und quetschte ihn zwischen den eigenen Fingern wie in einem Schraubstock ein. Zutiefst befriedigt sah er zu wie sich die Augen des Bruders vor Schmerz weiteten und er leise zu wimmern begann. Genüsslich zog er ihn noch ein Stück näher an dem Finger zu sich und sah ihm lächelnd ins Gesicht.

„Dann nehme ich mir in Zukunft eben deine Arme und Beine vor. Ist dir das lieber?“, fragte er süffisant. Michelangelo versuchte vergeblich Raphaels Griff mit der linken Hand aufzubrechen. Dessen Laune besserte sich dadurch erheblich.

„Sag es.“, verlangte er und erntete einen empörten Blick.

„Wieso? Ich hab doch gar nichts gemacht!“, beschwerte sich der gefangene Nunchaku-Krieger, woraufhin ihn der Stärkere an seinem Finger ein Stück in die Höhe zog.

„Au! Au! Ok, Ok.!“, jammerte er.

„Sag es.“, wiederholte Raph gelassen. Mikey stiegen nun die Schmerzenstränen in die Augen und er gab auf.

„Raphael ist allwissend und überaus mächtig.“, leierte er tonos. Der so gepriesene ließ nicht los, also leierte Mikey weiter.

„Er ist der Größte und ich bin seiner unwürdig.“ Das reichte Raphael. Er ließ sein Opfer los, das sich sofort den schmerzenden Finger in den Mund steckte.

„Und jetzt komm mit, wir haben zu tun.“, erinnerte er und zog den Witzbold am Arm hinter sich her aus der Wartestation hinaus und immer tiefer in die Kanalisation.



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