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Staying Behind

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Staying Behind

Sie hat die Hoffnung aufgegeben. Oder vielleicht auch nicht, denn ihr Blick wandert selbst nach all den Wochen noch täglich suchend über den Bahnsteig, auf dem sie auf ihren Zug nach Hause wartet. Ihre Augen huschen von einer Person zur nächsten, ständig auf der Suche nach dem braunen Haarschopf von dem Jungen, der ihr Herz gestohlen hat. Aber auch das stimmt nicht ganz. Mashima Taichi hat ihr Herz nicht gestohlen, viel eher hat Sumire es ihm vor die Füße gelegt, obwohl sie recht früh begriffen hat, dass er nur Augen für Chihaya-senpai hat.

Der Gedanke schmerzt ihr immer noch, aber er ist nicht so schlimm wie die Tatsache, dass er dem Karutaclub den Rücken gekehrt hat und nicht zurückkommen wird. Sumire hat angenommen, dass sie noch ein gesamtes Jahr gemeinsam Karuta spielen würden. Dass sie noch ein Jahr haben wird, um Taichi von sich zu überzeugen und ihn dazu zu bringen, sie zu sehen und sich in sie zu verlieben. Andererseits ist es schwer sich etwas vorzumachen, nachdem Taichi ihr Geständnis zum Valentinstag gehört hat und ihr später Schokolade zusammen mit den Worten gegeben hat, dass er ihrem Ratschlag Folge leisten und Chihaya seine Liebe gestehen wird.

Im Nachhinein wird sie den Gedanken nicht los, dass es ihre Schuld gewesen ist, dass erst Taichi und dann auch Chihaya den Club verlassen haben. Die Schuld wiegt schwer auf ihr, noch schwerer ist es jedoch zu akzeptieren, dass es nie mehr so sein wird wie zuvor.

Ein Seufzen bahnt sich den Weg über Sumires Lippen, doch sie verschluckt sich halb an ihm, als ihr Blick an Taichi hängen bleibt. Er steht zwischen einigen Menschen auf dem Bahnsteig und obgleich der Entfernung wirkt er zum Greifen nah.

Sumires Herzschlag überschlägt sich, als sie ihn beobachtet. Was macht er hier? Seit er den Club verlassen hat, hat er kein einziges Mal mehr denselben Zug wie sie genommen. Was er nun nach der Schule tat und wo er sich aufhielt, war Sumire ein Rätsel. Bei den Clubaktivitäten hat sie aber auch keine Zeit um Nachforschungen anzustellen. So oder so weiß sie, dass sie Taichi nicht zurückbringen kann und ihm nie mehr so nah sein wird, als während ihrer gemeinsamen Zeit im Karutaclub.

Obwohl sie sich so gewünscht hat Taichi hier anzutreffen, zögert Sumire nun. Was soll sie ihm sagen? Sie will es nicht noch schlimmer machen und in Taichis Wunden herumstochern. Man sagt ihr oft Oberflächlichkeit nach, doch selbst sie weiß, dass er gelitten und sich verbogen hat, damit Chihaya ihn sieht, richtig sieht. Sie kennt das Gefühl.

Bevor sie realisiert was geschieht, setzt sie langsam einen Fuß vor den anderen und ihre Beine tragen sie zu Taichi hinüber, bis sie hinter ihrem Senpai stehen bleibt. „Mashima-senpai?“, entweicht es ihr mit leiser Stimme. Scheinbar ist es trotzdem laut genug, denn Taichi hebt den Blick von dem kleinen Heftchen, das er in der Hand hält und liest. Er sieht sich um, bis er sich umdreht und sie bemerkt. Überraschung huscht über sein Gesicht, bis seine Lippen sich zu einer schmalen Linie zusammenpressen. Seine Miene ist ausdruckslos, was an sich nicht ungewöhnlich ist. Nur seine Augen verraten ihn, denn sie enthalten nicht mehr die vertraute Wärme. Nein, stattdessen liegt etwas Kaltes in seinem Blick, eine Vorsicht, die Distanz zwischen ihnen kreiert. „Hanano-san…“

Sumire versucht zu lächeln, versagt jedoch kläglich. Aus der Ferne, als sie ihn gerade auf dem Bahnhof entdeckt hat, scheint er ihr plötzlich so nah gewesen zu sein, doch sie hat sich geirrt. Taichi ist immer schon unerreichbar für sie gewesen, nun ist es jedoch seine Absicht die Mauer zwischen ihnen zu bewahren. Er möchte sie nicht sehen, denn sie erinnert ihn an den Karutaclub, an die anderen, vor allem jedoch an Chihaya. Taichi sieht sie einfach nicht. Er sieht sie nie als die Hanano Sumire, die sie sein möchte.

„Störe ich, Mashima-senpai?“, erkundigt sie sich und ihr Griff um ihre Schultasche festigt sich.

Taichi klappt das Heftchen zu und lässt es sinken. „Nein. Natürlich nicht.“ Seine Antwort klingt halbherzig, doch Sumire ist egoistisch und nimmt das bisschen Aufmerksamkeit, das Taichi ihr bereit ist zu geben, Höflichkeit hin oder her.

„Wie geht das Lernen voran?“, fragt sie, als er nichts weiter sagt, und zwingt ihre Mundwinkel erneut sich zu heben. Sie wünscht, sie hätte mehr Make-up aufgetragen und ihre Haare wären nicht in einem einfachen, unordentlichen Dutt hochgesteckt. Es würde nichts ändern, aber sie möchte gut für Taichi aussehen. „Ich bin sicher, dass du dein Bestes gibst, senpai!“

Taichi lächelt, kurz und so schmal, dass es fast Einbildung sein könnte. Doch Sumire hält an dem Lächeln fest, denn das letzte ist schon so lange her. Die Erinnerung an einen glücklichen Taichi ist so verschwommen und rieselte ihr mit jedem weiteren Tag wie Sand durch die Finger. „Ich habe auf jeden Fall nun mehr Zeit dafür.“ Er öffnet den Mund, als will er etwas hinzufügen, doch bevor ein weiterer Laut es aus seinem Mund schafft, ertönt das scharfe Pfeifen der Bahn, die ihnen heißen Wind ins Gesicht bläst und an ihren Haaren zieht.

Stille folgt, währen der Zug quietschend auf den Schienen zum Stehen kommt. Taichi steigt ein und Sumire folgt ihm, doch anders als die anderen Passagiere setzt sie sich nicht, sondern stellt sich zu Taichi.

Dieser betrachtet sie aus den Augenwinkeln heraus und Sumires Wangen fühlen sich unter seinem Blick hitzig an. Sie möchte so viel sagen und ihm ihre Gefühle gestehen, die so groß sind, dass sie so viele ihrer Gedanken und Träume einnehmen. Sie will ihm vom Training erzählen, von den neuen Mitgliedern. Gleichzeitig möchte sie ihn fragen, wo er zum Lernen hingeht und wie es ihm geht, wie es ihm wirklich geht. Sie möchte wissen, ob er noch Karuta spielt.

Sumire presst die Lider aufeinander und ihre Hände verkrampfen sich um den Riemen ihrer Tasche, bis ihre Knöchel schmerzen. Ihre Augenwinkel brennen und sind feucht, weil die Frustration und die Traurigkeit ihr den Atem rauben. Sie möchte Taichi so nah sein, aber er will nur von ihr weg und—

„Hanano-san?“, erklingt Taichis Stimme. „Alles in Ordnung?“

Die Augen aufreißend starrt sie Taichi mit verschwommener Sicht an und sie kämpft mit sich und den Worten auf ihrer Zunge, den Gefühlen in ihrem Bauch. „Mashima-senpai, bin ich schuld, dass du den Club verlassen hast? Ist mein Ratschlag der Grund gewesen?“, platzt es aus ihr heraus, so laut und schrill, dass einige Leute um sie herum im Zug zu ihnen hinüberschauen. Sumire ist es egal, denn nur die Emotionen, die abwechselnd über Taichis Gesicht huschen, sind wichtig. Sie kann ihm ansehen, wie unangenehm ihm dieses Gespräch ist, wie unerwartet er es findet und wie wenig er eine Antwort parat hat.

Er senkt den Blick zu seinen Schuhen hinunter, ehe er ihn aus der Fensterscheibe der Tür richtet und die vorbeifliegende Landschaft betrachtet, als läge die Antwort auf Sumires Fragen irgendwo dort draußen versteckt. „Nein“, sagt er schlussendlich. „Ich hätte alle meine Entscheidungen trotzdem auf dieselbe Art und Weise getroffen.“ Seine Nachdenklichkeit verrät, dass es nicht einfach daher gesagt ist, sondern das er meint, was er sagt.

Sumire lächelt, denn das ist der Taichi, den sie in Erinnerung hat. Trotz all der Veränderungen in den letzten Wochen hat Taichi sich nicht verändert und Sumire wischt sich mit den Fingerspitzen über den linken Augenwinkel, bevor die Träne ihren Maskara verwischen kann.

„Alle im Club vermissen dich, Mashima-senpai“, sagt sie, schluckt aber Chihayas Abwesenheit beim Karuta hinunter. „Ich vermisse dich“, baut sie ein, redet aber sogleich weiter, bevor sich eine Stille zwischen ihnen aufbauen kann. „Wir haben ein paar neue Mitglieder. Erstklässler natürlich. Und ich muss gestehen, dass sie ganz schön merkwürdig sind, aber Ehrgeiz haben sie schon. Jedenfalls habe ich mit ihnen alle Hände voll zu tun, jetzt da ich für sie verantwortlich bin.“

Taichis Blick gilt noch immer der Landschaft, doch seine Mundwinkel heben sich. Etwas Weiches hat sich in seine Augen geschlichen. „Ich bin froh, dass du und die anderen gut auf den Club aufpassen. Du bist also jetzt auch ein Senpai. Nicht wahr, Hanano-san?“

Sumire steigt erneut die Hitze ins Gesicht und ein freudiges Kribbeln breitet sich in ihrem Bauch aus. Sie strahlt. „Genau! Sie nennen mich ‘Hanano-senpai’. Es fühlt sich wirklich gut an.“ Mit Taichi hier auf seine Haltestelle warten und mit ihm sprechen fühlt sich gut an. Mehr braucht Sumire nicht, solange Taichi nicht mehr als ein paar Meter von ihr entfernt steht und dieses schmale, aber doch vertraute, Lächeln auf seinen Lippen ruht.

„Ich bin auch über etwas froh. Ich bin froh, dass wir uns mal wieder auf dem Bahnsteig getroffen haben, Mashima-senpai.“

Taichi gibt einen zustimmenden Laut von sich. Als der Zug seine Geschwindigkeit drosselt und Taichis Haltestelle in Sicht kommt, sagt er: „Das war nicht das letzte Mal, dass sich unsere Wege kreuzen, Hanano-san.“

Mit diesen kryptischen Worten steigt Taichi schließlich aus, die Schultasche über seine Schulter geschwungen.

Sumire sieht ihm mit verblüfftem Gesichtsausdruck hinterher und unterdrückt den Impuls sich zwischen den schließenden Türen hindurch zu quetschen, um Taichi hinterher zu jagen. Stattdessen atmet sie ruhig durch und hält an seinen Worten, an seinem Versprechen, fest. Sie werden sich wiedersehen und vielleicht werden bessere Zeiten kommen, in denen sie alle wieder gemeinsam lachen können.



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