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Juni • A Chapter Ends

Inter High Vorrunden. Viertelfinale. Gegen Niiyama.

Maika schlug das Herz bis zum Hals, während sie darauf wartete, hinaus auf den Platz zu kommen. Noch hockten sie vor der Halle und warteten, dass das Spiel zu Ende ging, das gerade noch lief. Sie knautschte unruhig das kleine Katzenplüschtier, das ihre Mutter ihr heute Morgen als Glücksbringer geschenkt hatte. Das niedliche Gesichtchen der Katze starrte sie aus Knopfaugen aufmerksam an, während sie es wieder und wieder in die groteskesten Formen drückte.

„Du siehst aus, als würdest du gleich tot umfallen vor Nervosität“, kommentierte Hayashi gut gelaunt. Sie sah aus, als wäre Nervosität ein Fremdwort für sie, hockte grinsend vor Maika und sah strahlend zu ihr hinunter. Zwischen ihren Fingern baumelte ein kleiner Talisman in Form einer Winkekatze.

„Noch ein bisschen Glück“, erklärte sie, als sie ihn einfach in Maikas Schoß fallen ließ. Und dann fiel sie selbst, gut gelaunt auf den Hintern, stützte sich auf ihren Händen ab.

„Ist übel, ne? Das erste große High-School-Turnier. Ich hab damals fast gekotzt.“

„Futaba.“

Hayashi lachte.

„Entschuldige, Ricchan~!“

Sie grinste, zwinkerte.

„Ich hab mich fast übergeben. Es war schrecklich.“

 

Maika grinste schief, als sie merkte, dass die alberne kleine Anekdote tatsächlich ein bisschen half, ihre Nerven zu beruhigen. Sie lächelte Hayashi kurz zu, drückte das kleine Kätzchen, das das Mädchen ihr in den Schoß geworfen hatte.

 

Es war nicht, dass sie schlecht war. Maika wusste, dass sie objektiv betrachtet gut war. Das war nicht das Problem. Das Problem war, dass sie gut für eine Erstklässlerin war. Ihre Senpai hatten ihr natürlich einiges voraus.

Dass sie trotzdem Teil der Startaufstellung war, lag zum größten Teil daran, dass sie groß war. Sie überragte jede der anderen Spielerinnen im Team, sie überragte regulär fast alle anderen Volleyballspielerinnen, die in ihrer Altersklasse da draußen herumliefen, was ihnen einen undiskutablen Vorteil in der Verteidigung einbrachte, solange Maika nur vor dem Netz stand und blocken musste. Blocken konnte sie. Meisterlich, behauptete Captain Numanoi, und Maika war auch selbst sehr stolz auf ihre Blockerfähigkeiten.

Ihre Annahmen hingegen…

 

Sie waren nicht per se schlecht.

 

Sie waren aber auch nicht per se gut. Sie war irgendwo im Mittelfeld, wo sie mit den anderen Erstklässlerinnen mühelos mithalten konnte, aber von den Zweitklässlerinnen schon deutlich abgehängt wurde. Auch wenn Hayashi ihr extra noch einen Crashkurs gegeben hatte, die wenigen Wochen hatten die Welt nicht verändert. Sie war immer noch Maika. Die große, breitschultrige Maika mit den langen Armen, die viel zu genau wusste, wie sie einen Ball blocken konnte, aber weiche Knie bekam, sobald sie ihn annehmen und zur Zuspielerin befördern sollte.

Die meiste Zeit ging es gut. Bisher war es auch kein Problem gewesen, bisher hatten sie noch jedes Match gewonnen, trotz einiger Schwächen in ihrer Aufstellung.

 

Aber jetzt standen sie nicht irgendwem gegenüber. Kein Provinzteam, das keine Gefahr darstellte, sondern Niiyama, die seit Jahren die Miyagi-Repräsentanten bei nationalen Turnieren waren. Die Königinnen des High-School-Volleyballs.  

 

Das Signal, dass sie die Halle betreten konnten, ließ ihren Magen doch wieder nervös krampfen. Hayashi sah aufmunternd zu ihr hinunter, klopfte ihr auf die Schulter.

„Vergiss nicht! Ich bin da. Wir sind alle da. Und deine Kätzchen auch.“

Maika lachte leise. Sie warf einen Blick auf ihre Tasche mit dem aufgedruckten Katzenmotiv, sah zu dem Anhänger in Katzenform, der schon seit Ewigkeiten daran baumelte, seit ihre Oma ihn ihr zum dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte, zusammen mit einem weiteren Haufen Geschenken. Sie stieß betont ruhig die Luft aus und erhob sich, fühlte sich trotz ihrer Größe unangenehm klein.

Das Gefühl wurde nicht besser, als sie die Halle betraten. Obwohl es die gleiche war, in der sie auch ihre anderen Vorrundenspiele hinter sich gebracht hatten, fühlte Maika sich plötzlich verloren unter dem grellen Hallenlicht. Sie erhaschte erste Blicke auf ihre Gegnerinnen.

Selbst aus der Nähe wirkten Niiyamas Spielerinnen überlebensgroß, weil sie einfach so ein Selbstbewusstsein ausstrahlten.

 

Sie wünschte sich, die Aufwärmphase würde nie zu Ende gehen. Oder wahlweise so schnell vorbei sein, dass sie keinerlei Gelegenheit bekam, auch nur einen halben Blick zu ihren Gegnerinnen zu werfen.

 

Im Endeffekt standen sie viel zu bald und nicht bald genug auf dem Feld.

Maika hatte Angst. Sie wusste, dass das objektiv gesehen sehr dumm war. Sie wusste, dass sie gerade jetzt alle Nerven und alles Selbstbewusstsein brauchte, aber trotzdem fühlten ihre Knie sich wie Pudding an und ihr Magen schlug Purzelbäume, die alles andere als angenehm waren. Sie versuchte, sich auf die Erleichterung zu konzentrieren, die ihr Hayashis Ablenkung vorhin verschafft hatte, aber das Gefühl war in ungreifbare Ferne gerückt. Sie versuchte, an das plüschige Gefühl der Katze zu denken, die sie vorhin geknautscht hatte. An irgendetwas, das sie davon ablenkte, dass ihre Nerven eine nach der anderen lachend Selbstmord begingen.

„Steh gerade!“, mahnte Numanoi plötzlich, eine Hand kollidierte mit Maikas Rücken und sie richtete sich instinktiv tatsächlich weiter auf – sie hatte nicht einmal gemerkt, wie sie eingesunken war. Ihr Captain grinste, ein wilder Blick unter genauso wildem Haar, und das Selbstvertrauen, das ihr von dem Mädchen entgegenstrahlte, war ansteckend genug, dass es ihren Magen kurzzeitig beruhigte. Das Gefühl der Erleichterung kam zurück und Maika konnte es greifen.

Sie holte tief Luft.

 

Sie startete vor dem Netz. Dort, wo sie sich wohlfühlte. Wo sie wusste, dass sie eine klare Bereicherung fürs Team war. So weit es realisierbar war, würde sie in der hinteren Reihe gar nicht spielen, sondern durch ihre Libero ausgetauscht werden.

Es würde gutgehen.

Es musste gehen.

 

 
 

***

 

 

Es ging nicht gut.

 

Nach dem Spiel war die allgemeine Stimmung im Keller. In der Umkleide war es still, bis auf die wenigen schluchzenden Stimmen, die sich nicht gut genug unter Kontrolle hatten. Beinahe alle weinten, ob die Ersatzbank oder die aktiven Spieler. Es war ein grausiges Gefühl.

Objektiv betrachtet wusste Maika, dass es nicht ihre Schuld war. In einem Teamsport war nie einer allein schuld, und sie hatten alle Fehler gemacht. Aber es war ein unumstößlicher Fakt, dass Niiyama durchaus Punkte an ihrer eher mäßigen Verteidigung in der Hinterreihe gemacht hatte. Hayashi hatte nicht alles abfangen können, nicht immer für sie auf dem Feld gestanden.

Sie war wütend. Enttäuscht, frustriert, verärgert. Mit Tränen in den Augen sah sie auf ihre Tasche hinunter, sah verschwommen den fröhlichen Katzenprint. Gerade hätte sie die Tasche und ihr blödes Grinsen am Liebsten gegen die Wand gepfeffert. Sie wollte alles gegen die Wand klatschen, angefangen mit ihrer Frustration und ihrem Ärger, und gleichzeitig machte sie das nur noch wütender, weil sie sich so undankbar damit fühlte. Sie hatte es noch am besten getroffen!

Sie hatte doch noch zwei Jahre vor sich, in denen sie gewinnen konnte.

 

Anders als die anderen. Und ausgerechnet die Drittklässlerinnen trugen es mit der meisten Fassung. Obwohl sie selbst weinten oder den Tränen nahe waren, hatten sie genug Kraft, um die jüngeren Mädchen zu trösten. Maika musste ihre Kraft bewundern, während sie beobachtete, wie Yanaizumi gleich zwei weinende Erstkässlerinnen in die Arme schloss. Sie gaben ein unglaublich erbärmliches Bild ab, alle drei laut heulend, aber gleichzeitig war es irgendwie erleichternd. Numanoi und Tatamiya hatten die Köpfe zusammengesteckt und diskutierten unter Tränen und Schniefen eifrig miteinander – da wurde gerade der neue Trainingsplan geboren, da war Maika sich sicher. Und er würde noch härter werden als der letzte, noch besser, und sie würden ächzen und jammern und insgeheim dankbar darum sein.

Hayashi weinte auch. Laut und herzzerreißend, wo sie bis zuletzt mit unbeirrbarem Optimismus geglänzt hatte. Jetzt war davon nichts mehr übrig, und sie vergrub das Gesicht im Schoß ihrer Freundin Han, die eine der wenigen war, die nicht nach Tränen aussah. Sie lächelte still, traurig, müde, erschöpft, aber alles in allem gefasst, während sie durch das vom Spiel völlig zerzauste Haar des anderen Mädchens strich.

Maika bewunderte sie alle, die jetzt noch die Kraft hatten, Trost zu spenden, auch wenn sie gerade selbst weinten. Oder unglücklich waren.

In ein oder zwei Jahren wollte sie das auch können, stark zu sein für ihr Team.

Heute konnte sie es noch nicht, heute weinte sie, als gäbe es kein Morgen, und alle Selbstbeherrschung, die sie hatte, ging schon dafür drauf, dass sie nicht laut das Plärren anfing. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, blendete ihre Umwelt aus, so gut es ging. Sie war nicht stark genug, das Elend der Anderen noch länger mit anzusehen.

 

„Hey.“
 

Als sie schließlich wieder unter Tränen aufsah, stand Tatamiya vor ihr. Sie lächelte, obwohl ihre Wimpern tränenverklebt waren. Sie sah aus, als würde sie gleich das Heulen wieder anfangen, sobald keiner mehr hinsah, aber trotzdem lächelte sie gerade. Maika zog undamenhaft die Nase hoch, presste die Lippen zusammen. Sie wollte auch aufhören zu weinen, doch es gelang ihr überhaupt nicht. Ihr Vizecaptain reichte ihr ein Stofftaschentuch und lächelte noch ein bisschen breiter.

Maika kannte niemanden, der Stofftaschentücher bei sich hatte. Außer Tatamiya. Nicht einmal nur Stofftaschentücher für sich selbst, sondern für das ganze Team. Sie wusste, dass Tatamiya mindestens die Lieblingsfarben ihrer Kameradinnen abdecken konnte.

Mit einem leise gemurmelten Dank nahm sie das Taschentuch entgegen, sah tränenverschleiert darauf hinunter. Da war ein Kätzchen in die Ecke gestickt. Maika schnaubte hilflos, dann lachte sie auf.

Katzen. Es waren immer Katzen. Sie hatte eine riesige Plüschkatze zuhause. Katzenförmige Radiergummis. Katzen auf ihrem Notizblock. Sie konnte nicht einmal mehr festpinnen, woher die Angewohnheit kam, aber irgendwann hatte es angefangen und nicht mehr aufgehört. Da war ein Kätzchen auf ihrer Sporttasche. Ein Anhänger, der an ihrer Schultasche baumelte. Ein weiterer am Handy. Ihre Handyhülle zeigte Hello Kitty. Sie bekam zu jeder Gelegenheit etwas katziges geschenkt. Vielleicht hatte es mit ihrer Großmutter angefangen, schon vor vielen Jahren. Oder war es zu Grundschulzeiten gewesen? Das eine Geschenk, das ihr Grundschulschwarm ihr gemacht hatte…

 

Keine vollen drei Monate im Team, und schon hatte der Volleyballclub das auch adaptiert. Es brachte Maika wieder zum Lachen, als sie auf das Taschentuch sah, auf dem sich dunkle Flecken von ihren Tränen breitgemacht hatten.

Katzen. Immer Katzen. Wahrscheinlich würde auf ihrem Grabstein noch eine Katze sein!

„Tatamiya-San?“

„Hm?“

Sie blinzelte. Irgendwann zwischen Lachen, Weinen und Katzen waren ihre Tränen so langsam versiegt, hinterließen nur noch das eklige Gefühl von verklebten, feuchten Wimpern und trocknenden Tränenspuren auf ihrem Gesicht.

„Darf ich dir ein Geheimnis verraten?“

Sie ahnte, es würde nicht lange ein Geheimnis bleiben. Tatamiya war nicht gut in solchen Dingen. Aber der bemüht gefasste Blick der Älteren hellte sich auf bei ihren Worten, und das war Maika die ganze Sache wert.

„Immer!“

Außerdem war es vielleicht leichter so. Irgendwie schaffte sie es sonst nie, etwas zu sagen – und so brauchte sie nur einmal erklären.

 

„Ich mag gar keine Katzen.“



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