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Eros' Fluch

von

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[ I N F E C T E D ]

Auch heute machte Toshiya wieder einen erschöpften Eindruck auf Dai. Seit ungefähr einer Woche ging das nun schon so - morgens wirkte der Bassists ausgeruht, ja regelrecht vital, doch umso weiter der Tag voranschritt, desto auffälliger wurden seine Augenringe und seine nicht zu verhehlende unbändige, körperliche Müdigkeit. Eine Weile lang hatte Dai nicht sonderlich viel auf seine Beobachtungen gegeben, da er der Einzige zu sein schien, der Toshiyas seltsame Verfassungszustände bemerkte, aber inzwischen hatten selbst die anderen Wind davon bekommen. Doch auf die Frage, ob Toshiya denn krank war oder einfach nur schlecht schlief hatten sie nie eine Antwort erhalten. Der Bassist beteuerte stets, dass alles in bester Ordnung sei, trotz der Tatsache, dass er während der Gigs nicht mehr sein Bestes gab, es einfach nicht schaffte. Bevor sie auf die Bretter gingen, wirkte Toshiya noch einigermaßen fit und zuversichtlich, voll abzurocken, doch nach nur wenigen Minuten on Stage schwand seine Energie zusehends. Bis er sich ausgelaugt samt schlurfenden Schritten in Dais und sein gemeinsames Hotelzimmer zurückziehen durfte, schien er sich förmlich zu quälen. Anfangs noch hatte der Gitarrist angenommen, dass sein Kumpel sofort einschlafen würde, wenn er einmal in die Federn gefallen war, doch oft lag er lange wach. Und für gewöhnlich zog er sich nach einiger Zeit wieder an, um das Zimmer zu verlassen, auch wenn ihm dann offensichtlich jeder einzelne Schritt unheimlich schwer fiel.

Dai war das Rätselraten leid. Aber Toshiya verriet selbst ihm nicht einmal ein Sterbenswörtchen über seine mysteriöse Krankheit. Anstelle schwiegen sie sich an, wenn sie spät abends auf ihren Betten lagen und irgendwelchen Nichtigkeiten an Handy oder PC nachgingen. Ab und an spähte Dai abschätzend zu Toshiya hinüber und spannte die Lippen vor Sorge an, während er die dunklen Schatten unter den Augen des Bassisten begutachtete, nur um sich daraufhin prompt selbst zu maßregeln. Verflucht, er war nicht Toshiyas Mutter. Was machte er sich nur solche Gedanken um den anderen? Klar, er war sein Kumpel, ein cooler Typ, mit dem man Pferde stehlen konnte, und vielleicht ging ihm die Sache deshalb so nahe. Ein Wort verlor er allerdings schon lange nicht mehr darüber, schließlich schwieg Toshiya ohnehin wie ein Grab. Während er aussah wie der Tod auf Latschen.

Kurz wandte Dai, der sich nun inzwischen ebenfalls mit der Müdigkeit konfrontiert sah, sich seinem Handy zu und tippte eine Nachricht an einen Freund, doch als er mitbekam, wie Toshiya sich seinen Laptop an Land zog, schnellte sein Blick prompt wieder hinüber zu dem anderen Bett. Angestrahlt vom Licht, welches von dem Bildschirm ausging, sah Toshiya gleich noch einmal so krank und elend aus, aber das war es nicht, was Dais Aufmerksamkeit einforderte. Er war der Meinung, gesehen zu haben, wie der Bassist eine Website aufrief, auf der sich zahlreiche Bilder von halbnackten, hübschen Mädchen tummelten, was natürlich seinen Argwohn erweckte.

"Bitte zieh dir jetzt keinen Porno rein", äußerte Dai beinahe verzweifelt klingend, da es ihn auch tatsächlich ziemlich zu verstören vermocht hätte, wenn Toshiya sich nun in seiner Anwesenheit einen von der Palme gewedelt hätte. "Ich schmeiß dich raus, wenn du es wagst, klar?"

"Ich guck mir keinen Porno an", kam es träge von Toshiya; man merkte, wie viel Mühe es ihn selbst das Sprechen kostete.

"Was denn dann?" Dai hielt es nun nicht mehr in seiner Ungewissheit aus. Toshiya warf ohnehin schon viel zu viele Rätsel auf, weshalb er ja wohl wenigstens dieses eine selbständig lüften durfte. So schob er sich von seiner Matratze und beugte sich hinab zu dem Bassisten und dessen Laptop, um einen genauen Blick auf das zu werfen, was er sich da anschaute. Nachdem er seine Aufmerksamkeit von den vielen Brüsten gerissen hatte, die ihn förmlich anlachten, realisierte er, dass es sich bei der Seite tatsächlich nicht um ein Pornoportal handelte. Sondern...

"Nee, nicht dein Ernst! Du willst dir ne Nutte bestellen?" Dai fuhr förmlich aus der Haut. "Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?"

"Tut mir leid", murmelte Toshiya, den der Ausbruch des Rothaarigen nicht weiter tangierte. Schlaftrunken rieb er sich die Augen. "Ich habe leider keine andere Wahl."

"Aber..." Dai rang nach Worten und heftete seinen misstrauischen Blick schließlich auf Toshiyas Hinterkopf. "Aber du wirst niemanden hier empfangen, oder? Du wirst mit der Dame in die Büsche gehen. In den Hof. Oder in den Keller. Von mir aus auch in den Fahrstuhl..."

Toshiya erwiderte daraufhin nichts. Er bemüßigte sich lediglich dazu, Dai bittend sowie gleichermaßen niedergeschlagen aus kleinen, müden Augen anzusehen. Was dem Bassisten genügte, um fassungslos den Kopf zu schütteln.

"Du tickst doch echt nicht mehr sauber." Davon war er mittlerweile mehr als nur überzeugt. Dass Toshiya einen Dachschaden hatte, aber einen gewaltigen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. "Du willst ernsthaft in meiner Anwesenheit vögeln? Also, da wäre es mir ja noch lieber gewesen, du hättest dir einen Porno reingezogen." Toshiyas Blick wirkte immer entmutigter und inzwischen lag eine aufrichtige Entschuldigung in ihm. Es wirkte fast so, als hätte Toshiya seine Entscheidung nicht aus freien Stücken getroffen. Was natürlich absurd war. "Du solltest vielleicht mal zum Arzt gehen, wenn du es so bitter nötig hast. Das kann nicht gesund sein, genauso wenig wie deine fetten Augenringe. Du brauchst dich wirklich gar nicht mehr zu schminken, wie es mir scheint."

Offenbar hatte er mit diesen Worten einen wunden Punkt in Toshiya getroffen. Mit zusammengepressten Lippen starrte er auf den Bildschirm, ehe er leise zu sprechen begann.

"Ein Arzt kann mir auch nicht helfen", meinte er und klang dabei ungemein resigniert. Wie ein Todkranker, den man zum Sterben nach Hause geschickt hatte, da die Doktoren alles in ihrer Macht stehende versucht hatten, vergebens. Und genau dieses Selbstmitleid konnte Dai nicht ertragen. Es war zum Ausrasten mit Toshiya.

"Dann werden wir eben eigenhändig deinen Sexentzug vornehmen", bestimmte Dai, und natürlich sagte er das nur, weil er die Situation ohne eine Portion Zynismus wohl nicht mehr ertragen hätte. "Wir kaufen eine BDSM-Ausrüstung in einem Sexshop und fesseln dich dann an-"

"Wenn du wüsstest, wie ernst die Angelegenheit wirklich ist, würdest du keine dummen Scherze mehr reißen."

Toshiya sah ihn nicht mehr an. Und trotzdem konnte Dai, dem die letzten Worte im Hals stecken geblieben waren, erkennen, wie traurig der andere wirkte. Wie traurig und unverstanden. Dies ließ ihn inne halten. Vielleicht hatte er es doch ein wenig übertrieben. Vielleicht litt Toshiya ja wirklich, fraglich nur, woran.

"Na gut, es geht mich ja eigentlich auch nichts an, wie oft und mit wem du vögelst", lenkte Dai nun ein, reckte aber dennoch ärgerlich das Kinn vor. "Aber du wirst es nicht in meinem Beisein tun. Wenn du kein Schamgefühl besitzt, ist es eine Sache, aber ich verfüge über eines und möchte nicht, dass es allzu sehr strapaziert wird."

Als Toshiya ihm neuerlich einen Blick zuwarf schnürte sich Dai fast die Kehle zu. Nicht nur, dass seine Augen so unglaublich betrübt wirkten, nein, auch sein Teint schien noch fahler als zuvor. Seine Wangenknochen traten scharf hervor und irgendetwas verriet Dai, dass der andere am Ende war. Wirklich am Ende. Wie kurz vorm Abkratzen.

"Bitte, Dai", hauchte Toshiya mit letzter Kraft und holpernder Stimme. "Ich würde es nicht tun, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gäbe. Wenn du wirklich mein Freund bist, erlaubst du es. Dai..."

Der andere zog skeptisch die Augenbrauen empor.

"Ich hab zwar keinen blassen Schimmer, was hier vor sich geht, aber ich werde wohl nicht drum rum kommen." Missbilligend schnaubte er, um seine unbändige Sorge um seinen so schlecht aussehenden Kumpel hinter einer Maske der Coolness zu verbergen. "Bestell dir schon deine Nutte. Ich kann mir ja derweil die Augen zuhalten."

"Danke." Nun klang Toshiya ungemein erleichtert, und er griff unverzüglich zu seinem Handy. "Du hast was gut bei mir, Mann."

Von dieser Aussicht aber vermochte Dai sich auch nichts zu kaufen. Die 'Vorfreude', Toshiya gleich in sexueller Aktion zu erleben schnürte ihm den Magen zu. Nicht, weil er prüde war, sondern schlichtweg, weil er befürchtete, dass die Situation äußerst befremdlich anmuten würde. Und sie sich danach vielleicht nie wieder in die Augen schauen können würden.

 

Dai fühlte sich wie ein Schwein, welches auf die Schlachtbank geführt werden sollte, während er gemeinsam mit Toshiya auf die nächtliche Besucherin wartete. Sie sprachen in dieser Zeit wieder kein einziges Wort, die Stimmung war viel zu beklommen und außerdem schien Toshiya sich schon wieder um einiges schlechter zu fühlen. Inzwischen konnte er noch nicht einmal mehr den Arm heben, um seine Wasserflasche aufzunehmen - selbst dabei musste Dai ihm helfen. Als er schließlich trank, tat er es mit langsamen, bemühten Zügen, von denen ihn jeder einzelne unbändige Kraft kosten musste. So wie er die Flasche absetzte, stand ihm der Schweiß auf der käsigen Stirn und er japste bemüht nach Luft.

"Soll ich nicht doch lieber den Arzt rufen?", befand Dai, dem allmählich Himmelangst wurde. Vor seinem geistigen Auge sah er Toshiya bereits den Arsch hochmachen, denn dies traute er dem Bassisten zu. Seine Verfassung wirkte nun mehr als besorgniserregend, und sie schien sich von Minute zu Minute zu verschlechtern. Nur mehr ein Schatten seiner selbst war Toshiya, mit seinen eingefallenen Wangen und dem verschleierten Blick.

Noch ehe der Kranke sich zu einer Erwiderung aufraffen konnte, klopfte es zaghaft an der Tür.

"Könntest du bitte...", krächzte Toshiya, woraufhin Dai ihm einen verständnislosen Blick zuwarf, aber sich dennoch erhob. Wahrscheinlich war das, was er hier tat, vollkommen verantwortungslos, doch er fühlte sich so schrecklich hilflos. Er wollte seinem Kumpel auf keinen Fall beim Sterben zusehen, aber andererseits hatte er das Gefühl, als wüsste Toshiya, was er tat. Dass er sich wieder besser fühlen würde, wenn er Sex hatte. Dass ihn dies zu heilen vermochte.

In Dais Augen natürlich völliger Schwachsinn, aber nun war es ohnehin zu spät, um in das Geschehen einzuwirken.

Immerhin sah die Dame nicht schlecht aus, die Toshiya beordert hatte - sein Kumpel hatte Geschmack. Er selbst hätte sie wohl auch nicht verschmäht, aber er dachte noch nicht einmal im Traum daran, ihr irgendwelche Avancen zu machen und schickte sie anstelle zu Toshiya, der schlaff in den Kissen hing und sich bereits mit letzter Kraft an seinem Gürtel zu schaffen machte.

Zweifelnd nahm Dai dies hin und verzog sich schluckend auf sein Bett, von dem aus er so tun wollte, als würde sich nichts Ungewöhnliches abspielen. Gute Miene zum bösen Spiel. Doch dies war einfacher gesagt als getan. Die Situation nämlich war mindestens genauso bizarr, wie er sie sich vorgestellt hatte.

Trotz Kopfhörer in den Ohren und der heftigsten Musik, die er auf seinem iPod hatte ausfindig machen können, vermochte er das lautstarke Gestöhn der Dame deutlich zu vernehmen, die sich rhythmisch auf Toshiyas Schoß auf und ab bewegte. Immerhin stand es ihm frei, den Blick abzuwenden, wenn er seine Ohren schon nicht vollständig von dem Geschehen abschirmen konnte. Allerdings erwischte er sich immer wieder dabei, wie er zu dem Nachbarbett linste. Dai war als neugierige Natur längst in Verruf geraten, und bislang hatte ihn diese Eigenschaft nicht gestört, aber heute vermochte er sich mit ihr selbst zu nerven. Aber er interessierte sich schlichtweg brennend für das, was Toshiya da tat. Er gestand es sich nicht gern ein, aber der Bassist war nun einmal ein gutaussehender Kerl, zumindest dann, wenn er vor Vitalität und Männlichkeit strotzte. Er verfügte nicht nur über ein perfektes Gesicht, sondern auch über einen prächtig gebauten Körper. Dai hatte da nie mithalten können, was ihn jedoch eher weniger gejuckt hatte. Viel mehr, als dass er Toshiya als Konkurrenten sah, ergötzte er sich an seiner Statur, an seiner ganzen Erscheinung.

Auch jetzt tat er es, still und heimlich. Denn es dauerte nicht lange, bis Toshiya wieder wesentlich gesünder aussah. Seine Wangen wirkten rosig, und seine Hände kräftig, als sie sich an die Hüften der Frau legten und ihre Bewegungen unterstützten. Die Sehnen traten hervor, auch an seinen Unterarmen. Eines der Details, das Dai in seinen Bann zog, ein weiteres war die Tatsache, dass Toshiya sich mehrfach angestrengt über die Lippen leckte. Aber am prekärsten war immer noch, dass Dai sich nicht einmal anstrengen musste, um einen Blick auf Toshiyas Glied zu erhaschen. Er sah die Stelle, an jener es mit der Frau auf seinem Schoß verschmolz, er sah, wie es hinaus und wieder hineinglitt...und Toshiya hatte viel. Erschreckend viel. Aber sein Körper suggerierte auch nichts anderes. War dies nun etwas, auf das Dai neidisch war? Nein. Er verspürte alles andere als Missgunst, so wie er Toshiyas Liebesspiel zuschaute. Viel mehr fühlte er sich davon erregt, auch wenn die seltsame Begebenheit die Entfaltung seiner vollen Lust ein wenig eindämmte. Auch Toshiya schien es so zu ergehen, denn er schien befangen, und immer wieder wanderten seine Blicke hinüber zu Dai. Anfangs noch hatte eine stumme, matte Entschuldigung in ihm gelegen, doch umso heftiger die Frau sich bewegte, desto heißer hatte die Glut gebrannt, das Feuer, welches dem schwarzhaarigen Teufel so unheimlich gut zu Gesicht stand. So hatte er Dai in die Augen gesehen, und irgendwann war das Feuer auf diesen übergesprungen und schwelte auch in seinem Blick, wenn auch gegen dessen Willen. Es war, als wäre Stück für Stück etwas von ihren Hemmungen abgefallen, als hätte die Gleichgültigkeit ihre Befangenheit mit sich gerissen. Nur die Neugierde war Dai geblieben. Und der Genuss. Es stellte einen verführerischen Anblick dar, Toshiya so zu erleben, halb entblößten Körpers und vollkommen nackten Augen. Dai war auf solche Gefühlsregungen nicht gefasst gewesen, aber er musste sie als gegeben akzeptieren. Was auch bedeutete, dass er sie gern füttern wollte. Stillen.

 

Toshiya sah aus wie das pure Leben, als es ihn erwischte. An seinen besten Tagen hatte er nie so gesund gewirkt, so voll Vitalität und von innerer Ruhe erfasst. Abermals glänzte seine Stirn schweißig, aber das Fieber, welches ihm jetzt zu schaffen machte, war eines angenehmer Natur. So wie jedes einzelne erschöpfte, tiefe Keuchen von Glückseligkeit zeugte und nicht von Krankheit und Schwäche. Trotzdem Dai kaum mehr einen klaren Gedanken zu fassen vermochte aufgrund dessen, was er eben miterlebt hatte, musste er feststellen, dass Toshiya wie auf wundersame Weise von seiner mysteriösen Krankheit geheilt wirkte. Nur um morgen denselben Prozess von neuem zu durchleben.

Er verdrängte diese Gewissheit jedoch und winkte die Dame zu sich heran, nachdem sie von Toshiya abgestiegen war und sich gerade wieder ankleiden wollte.

"Ich könnte es nun auch vertragen", urteilte er mit einem spitzbübischen Schmunzeln und öffnete schon einmal seine Hose, unter der sein Penis verräterisch spannte. "Du hast doch noch ein wenig Zeit für mich, mh?"

"Nein!"

Das Wort der Ablehnung kam nicht etwa von der Dame, sondern von Toshiya. Dai erschreckte sich beinahe, als sein Kumpel ihn derart anbrüllte und ihn dazu mit Blicken nahezu lynchte.

Es dauerte ein paar geschlagene Sekunden, ehe Dai sich wieder gefangen hatte und stirnrunzelnd nachhaken konnte.

"Wieso denn nicht? Gleiches Recht für alle, würde ich sagen."

Die Fähigkeit, lockere Sprüche zu reißen, sollte ihm allerdings abspenstig gemacht werden. Toshiya saß nun kerzengerade auf der Matratze und schaute seinen Freund flehend an.

"Wenn du mit ihr schläfst, wirst du die gleiche Krankheit bekommen wie ich", verriet er ihm mit zitternder Stimme, was dafür sorgte, dass die Dame sich skeptisch einschaltete.

"Was für eine Krankheit?"

Verlegen kratzte Toshiya sich den Hinterkopf.

"Die Sexsucht", wand er sich heraus und wirkte sehr erleichtert, als die Dame daraufhin leise lachte. Auch Dai schmunzelte, aber es war kein Schmunzeln gelöster Natur. Er wusste, dass mehr hinter dieser Krankheit stecken musste, als Toshiya zugeben wollte. Dass er sich nicht nur die Sexsucht ins Haus holen würde, wenn er...

Nein, das war doch Unsinn. Dai glaubte nicht an Märchen. Wahrscheinlich hatte er es sich vorhin auch nur eingebildet, dass Toshiya aussah, als würde er jeden Moment verrecken. Seine Fantasie spielte ihm hin und wieder ziemlich böse Streiche. Das wusste er doch ganz genau.

Die Dame gesellte sich nun zu ihm, und er zog sie zufrieden an sich, allerdings nicht, ohne Toshiya noch einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. Dieser blinzelte nicht mehr, sondern starrte Dai nur voll Hilflosigkeit an. Und dies die ganze Zeit über, während er mit der Dame zugange war, was seine Lust natürlich stark minderte. Doch als Schlappschwanz wünschte er auf keinen Fall dazustehen, weshalb er versuchte, sich nur auf sich und die Frau auf seinem Schoß zu konzentrieren. Kein einfaches Unterfangen, wenn der Kumpel einen vorwurfsvoll anschaute und einem ein schlechtes Gewissen bereitete. Die Gewissheit, dass mit Toshiya etwas nicht stimmte, verfestigte sich. Aber ihm endlich Informationen entlocken? Unmöglich. Dafür aber sollte ihm das Schicksal schon bald die Antworten auf seine Fragen offenbaren.

 

*

 

Wie üblich wirkte Toshiya auch am Morgen nach der seltsamen Nacht wieder fit wie ein Turnschuh und verzog sich schon lange bevor Dai auch nur ans Aufstehen dachte in das Badezimmer, um sich anschließend etwas überzuziehen und sich in den Frühstücksraum zu begeben. Trotzdem wirkte sein Blick ungemein düster, so wie er über den noch halb schlafenden Dai glitt, der nicht ahnen konnte, in was für eine Gefahr er sich gestern Nacht begeben hatte. Wie gern hätte er ihm vor diesem Schicksal bewahrt, aber es war ihm nicht möglich gewesen, auch dann nicht, wenn er ihm die ganze Wahrheit erzählt hätte. Dai hätte ihm ja doch nicht geglaubt. Denn dies hatte er anfangs auch nicht. Weil es einfach zu lächerlich anmutete. Bis man dann am eigenen Leib zu spüren bekam, wie es einen veränderte. Wie es einen mit sich riss. Und dem Tod nahe brachte.

Er ließ Dai allein zurück, welcher ganz froh darüber war, dass er erst einmal Ruhe vor Toshiya hatte. So recht konnte er dessen Gesellschaft nämlich nicht mehr ertragen. Wahrscheinlich war nun doch der Fall eingetreten, dass sie nicht mehr unbefangen miteinander umgehen konnten.

Dai wollte gerade beginnen, dies zu bedauern, als sich sein Handy bemerkbar machte. Eine SMS war eingegangen, was höchst seltsam anmutete, schließlich hatte er mit seinen Bekannten und Kollegen vereinbart, dass sie ihn anrufen sollten, wenn sie etwas von ihm wollten, schließlich vergaß er oft, seine Textnachrichten zu checken.

Er zog sich sein Mobiltelefon vom Nachtschränkchen, rieb sich die noch verschlafenen Augen und öffnete die Nachricht, in der Erwartung, dass irgendjemand nachfragte, wie es ihm ging und was er heute so machte. Doch er sollte eine Überraschung erleben.

 

Du wurdest gestern Nacht, 23:51 Uhr, mit dem Fluch des Eros‘ belegt. Dies bedeutet, dass du nun als Inkubus durch die Welt wandeln wirst.

Für den Fluch gibt es keinerlei Heilung, noch nicht einmal Linderung. Du wirst dich mit ihm arrangieren müssen.

Man sagt Inkubi gern nach, dass sie die Fähigkeit besitzen, jeden Menschen zu verführen, den sie begehren, doch dies ist lediglich ein alter Aberglaube. Es entspricht lediglich der Wahrheit, dass sie sich von Energie ernähren, da sie über diese nicht selber verfügen. Dies bedeutet, dass Inkubi etwas von dieser Energie aus externer Quelle zu sich nehmen müssen. Voll aufgetankt genügt der Vorrat für einen Tag, allerdings lässt die Kraft mit vorgeschrittener Stunde immer weiter nach. Findet ein Inkubus innerhalb von 24 Stunden kein Opfer, dem er mittels körperlicher Vereinigung seine sexuelle Energie rauben kann, wird er einen Schwächetod sterben.

Du solltest die Sache also ernst nehmen, frischgebackener Inkubus. Ansonsten wirst du deine Naivität mit deinem Leben bezahlen.

 

Dai brauchte einen Moment, um seine Gedanken bezüglich des eben gelesenen zu ordnen. Das sollte doch ein schlechter Scherz sein, oder? Man hörte ja des Öfteren von fiesen Kettenbriefen, die ihre Runden machten und den Leuten Angst einjagen sollten.

Natürlich konnte es so etwas wie einen Inkubus nicht geben. Eros' Fluch, was für ein hanebüchener Unsinn.

Kopfschüttelnd legte Dai das Handy weg und fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht. Wahrscheinlich stammte die SMS von Toshiya, der ihn ein wenig auf die Schippe nehmen wollte, da er sich gestern Nacht solche Sorgen um seinen Gesundheitszustand gemacht hatte. Andererseits traute er etwas derart Gemeines nicht einmal dem Bassisten zu. Mit dem Tod drohte man noch nicht einmal seinem schlimmsten Feind, es sei denn, man war vollkommen verrückt geworden.

Vielleicht aber wollte sein Kumpel sich auch nur an ihm rächen und prüfen, ob er selbst ebenfalls zu einer Verzweiflungstat imstande war, wie sie Toshiya gestern getätigt hatte. Doch zu einer solch albernen Nummer wie der mit der Nutte würde er sich niemals hinreißen lassen. Wenn Toshiya an den Mist glaubte, war das seine Sache (und offensichtlich tat er das, wahrscheinlich hatte er gar denselben dämlichen Kettenbrief bekommen), aber Dai würde sich hüten, darauf hereinzufallen.

So straffte er die Schultern und beschloss, sich endlich für den Tag vorzubereiten. Heute gab es viel zu tun, und er fühlte sich im Grunde prächtig, wäre da nicht diese doofe Nachricht gewesen, die ihm den ganzen Tag über im Kopf herumschwirren sollte.

 

Gegen Nachmittag fühlte er eine bleierne Müdigkeit in sich aufwallen und genehmigte sich einen Kaffee, um sie zu bekämpfen, doch dieser schien nicht gegen sie anzukommen. Nun ja, vielleicht hatte er einfach nur schlecht geschlafen, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, in der Nacht auch nur einmal erwacht zu sein. Toshiya wies abermals die Ansätze von Augenringen auf und wirkte reichlich blass, während er Dai ein mitfühlendes, schmallippiges Lächeln schenkte. Es erinnerte Dai an ein solches, wie ein Krieger es seinem Komplizen im Kampf zugeworfen hätte. Wie eines, mit dem man jemandem besah, dessen Schicksal man teilte. Den man verstand.

Den Gig zu absolvieren fiel ihm schwer. Sehr schwer. Er bemerkte rasch, dass er sich nicht so flüssig und kraftvoll bewegen konnte wie an anderen Tagen und war heilfroh, als er endlich von den Brettern treten konnte und seinen Feierabend genießen durfte. Doch von genießen konnte keine große Rede sein - er bekam sicherlich eine Grippe, so matt und abgeschlagen, wie er sich fühlte, weshalb er entschied, heute früh zu Bett zu gehen, um bis morgen hoffentlich wieder auskuriert zu sein.

So lag er schließlich in den Federn, mit trockener Kehle und schwachen Gliedern. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment platzen, und an Bewegung war nicht mal mehr im Traum zu denken. Ob er genauso schlecht aussah wie Toshiya es tat? Der andere hatte sich ebenfalls in sein Bett verzogen und schien mit seinem Schicksal zu hadern. Dai wollte ihn etwas fragen, doch die Gedanken in seinem Kopf fühlten sich an wie ein zäher Brei, den er nicht zu formen in der Lage war.

"Wir haben nicht mehr lange", hörte er Toshiyas Stimme irgendwann an sein Ohr dringen, wie aus weiter Ferne. "Noch knapp zwei Stunden. Dann klappen wir zusammen."

"Woher willst du das wissen?", krächzte Dai und raffte dafür seinen letzten Rest Energie zusammen. "Du glaubst doch nicht wirklich an...an diesen Schwachsinn..."

"Leider ist es kein Schwachsinn." Toshiya wirkte ebenfalls entkräftet und sehr, sehr müde, und so sah er auch aus. "Ich war dem Hungertod einmal ganz nahe. Meine Sinne waren schon fast vollständig geschwunden und das Bewusstsein hätte mich fast verlassen..."

Dai runzelte die Stirn.

"So ein Schwachsinn."

Er wollte es nicht wahrhaben. Das musste doch ein böser Traum sein. So etwas fand man nur in Mangas, aber nicht im realen Leben.

"Auch wenn du nicht daran glaubst, du wirst nicht gewinnen können." Toshiya sah träge zu ihm herüber, seine Augen glänzten fiebrig. "Dai, ich will dich nicht verlieren. Genauso wenig, wie ich mich verlieren möchte. Aber immer...jeden Tag Prostituierte...das ist keine Lösung. Und geht ins Geld."

Ich will dich nicht verlieren.

Etwas hatte Toshiya mit diesen Worten in dem Rothaarigen berührt. Eine ganz empfindliche Stelle, die, wenn man sie derart antippte, Wärme durch seinen ganzen Körper schickte. Zuneigung wallte in ihm auf, Zuneigung zu Toshiya, den er schon immer gern gemocht hatte, dem er sich nun aber näher als jemals zuvor fühlte.

Das wohlige Kribbeln jedoch wurde alsbald überschattet von der Angst, denn allmählich wurde sich Dai der Bedrohung doch gewahr. Nicht, dass er restlos davon überzeugt war, einem Fluch unterlegen zu sein, aber er fürchtete sich nun doch davor, das Wertvollste zu riskieren, das er hatte. Sein Leben.

"Wir können aber nicht einfach sterben", sagte er mit starrem, furchterfülltem Blick hin zur Decke. Der Tod war ihm stets so weit weg erschienen, und nun fühlte er sich ihm näher als je zuvor. Als wäre er zum ersten Mal eine reale Bedrohung für ihn. Der Endgegner winkte ihm zu, und er wollte sich auf keinen Fall in seine Obhut begeben.

"Wenn wir nicht innerhalb von zwei Stunden jemanden finden, der mit uns schläft, werden wir draufgehen." Toshiya senkte betrübt die Lider. Trotz seiner fehlenden Gesichtsfarbe und den eingefallen Wangen fand Dai ihn noch gewissermaßen schön. Seine Wimpern warfen feine Schatten auf seine Wangenknochen, und Dai fürchtete sich davor, eine Träne entdecken zu müssen, aber da war nichts. Der andere wehrte sich nicht mehr gegen sein Schicksal, sondern schaute ihm ins Angesicht.

Er würde sterben. Genau wie er selbst.

Eine Idee reifte in Dais Kopf heran, geboren aus Verzweiflung und dem leisen, heimlichen Wunsch, der schon seit einiger Zeit in seiner Brust schwelte, aber wohl auf ewig in dieser versteckt geblieben wäre, hätte die Situation ihn nicht an die Oberfläche geholt. Lange musterte er den Bassisten, der sich kaum mehr rührte, sondern sich offenbar längst dem Fluch ergab, der auf ihm lastete. Lange und fragend streiften seine Blicke das Gesicht des anderen, bis seine Lippen schließlich Worte formten.

"Und...wenn wir...?"

Toshiya bemühte sich, die schweren Lider zu öffnen. Dunkle, verschleierte Augen sahen Dai an. Nein, Toshiya war nicht schön, er war wunderschön, selbst nun, wo der Tod deutlich sichtbar an ihm nagte. Auf groteske Weise stand er ihm sogar. Er ließ ihn noch teuflischer und kaputter wirken. Eigenschaften, die Dai anzuziehen wussten.

"Ich...es war nur eine Idee."

Er meinte, gesehen zu haben, dass Toshiya nichts von seinem Plan hielt und nahm ihn rasch zurück. Immerhin wollte er nicht mitten im Streit mit seinem Kumpel sterben. Sie sollten im Guten auseinandergehen. Das war Dais letzter Wunsch.

So wie er den Blick abwandte, vernahm er, wie Toshiyas Matratze leise knarrte. Der andere schien aufgestanden zu sein und kam nun mit schweren Schritten auf Dais Bett zu geschlichen, auf welchem er sich schließlich niederlies.

Es dauerte nur ein paar Sekunden, ehe sie sich einander nahe waren. Aufgrund dieser Berührung fühlte Dai sich augenblicklich ein wenig lebendiger, wenn auch noch immer eindeutig dem Tode geweiht. Dennoch gab Toshiya ihm nun Zuversicht, als er ihm ins Gesicht sah, den Blick von Entschlossenheit erfüllt.

"Es muss nicht schön sein", flüsterte Dai, den Toshiyas Gewicht tiefer in die Kissen drückte. "Hauptsache, es ist zweckmäßig. So lange, bis wir jemand anderen gefunden haben. Jemand besseren."

Toshiya jedoch ignorierte seine Worte und schaute ihn lediglich abschätzend an.

"Ich hoffe, dass wir dazu in der Lage sind, Energie zu erzeugen, um von ihr zu zehren", meinte er und strich hauchzart über Dais Wange, mit bebenden, feuchten Fingern. "Aber falls nicht...dann sterben wir immerhin einen schönen Tod. Den schönsten, den man sich vorstellen kann."

Ja. Vereint mit Toshiya zu sein, körperlich wie auch im Herzen, während das Lebenslicht erlosch, das war ein schöner Tod.

Etwas, wofür es sich zu sterben lohnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kyo_aka_Ne-chan
2017-04-08T12:41:57+00:00 08.04.2017 14:41
Ich bin es schon wieder :D
Ich sah das Pairing und musste es einfach lesen ;)
Es haben sich ein paar Kommafehler eingeschlichen und eins zwei grammatikalische Sachen, aber das stört nicht viel. Ich mag die Idee sehr, das Pairing sowieso und ich musste alles in einem Stück lesen, ich hätte es sonst nicht ausgehalten. Ich glaube, ich muss doch mal deine anderen Sachen lesen, bist ein neuer Geheimtipp wie mir scheint :)
Weiter sooooo!!!! <3

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Antwort von:  Anemia
09.04.2017 12:25
Erstmal: Ein Hoch auf das Pairing. ;P Ich habe mich ja total in es verguckt. ;)
Wow, die Geschichte scheint es dir ja echt angetan zu haben. Das freut mich ungemein. :D
Nun ja, 'neu' ist relativ - ich schreibe schon seit ungefähr acht Jahren, bin aber erst seit kurzem im J-Rock-Bereich tätig. Vorher hörte ich nur die Musik, aber nun haben mich die Musiker an sich vollkommen in ihren Bann gezogen. Folge: Sie inspirieren mich heftig und fördern eben solche Dinge zutage. ;P
Ein Geheimtipp bin (und bleibe) ich aber gerne, da mir eh nichts dran liegt, die Massen zu erreichen. Dafür sind meine Ideen eh zu ausgeflippt, glaube ich. xD


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