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Blutsbande

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey-ho, Ladys and Gentlemen,

schön, dass ihr den Weg durchs WorldWideWeb hierher gefunden habt. Ich freue mich sehr, euch meine Geschichte "Blutsbande" vorstellen zu dürfen und hoffe sehr, dass möglichst viele da draußen vor den Bildschirmen mich auf meiner Reise begleiten möchten.
Für diese FF setze ich die Geschichte von "Naruto" auf die Zeit vor dem Massaker zurück und anstatt Itachi seine Familie massakrieren zu lassen, werden die Uchiha eine Chance bekommen, ihren Putsch durchzuführen. Wie wäre dieser Abend wohl abgelaufen? Was passiert danach? Wie wird sich Konoha unter Fugakus Führung wohl entwickeln? Was wird aus Sasuke, wenn er seinen Eltern nicht beim Sterben zusehen muss? Wenn ihr euch (wie ich) diese und weitere Fragen immer mal wieder gestellt habt, lade ich euch herzlich ein, an dieser Geschichte teilzuhaben, denn ich werde versuchen, sie alle zu beantworten.
Ich freue mich übrigens über jeden Favoriten-Eintrag und jeden Kommentar - also, feel free =)
Cheers,
Cedar.

P.S.: Kleine Warnung vorab - die Umstände der Geschichte verlangen es so ein bisschen, dass ich den ein oder anderen OC einbaue. Über Shisuis ehemaliges Team ist nun mal nichts bekannt und da bei dem Massaker so ziemlich alle Uchiha ins Gras gebissen haben, muss da auch ein bisschen nachgeholfen werden. Ich weiß, OCs sind nicht jedermanns Sache, aber ich würde mich sehr freuen, wenn man der Geschichte trotzdem eine Chance gibt ^^ Komplett anzeigen

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Teil 1. Verschwörung. Verrat. Auftakt.


 

Teil 1.

Verschwörung. Verrat.

Auftakt.
 

I

They say before you start a war

You better know what you're fighting for

[Angel with a Shotgun – The Cab]
 

„Jetzt gibt es kein Zurück mehr, oder?“, fragte sie, als sie das Blut sah. Es tropfte von seinen Händen.

„Nein“, antwortete er und zog die Tür hinter sich zu.

Ihre Arme schlossen sich fester um den schlafenden Jungen auf ihrem Schoß. „Sie alle, ja?“

„Fast.“ Mit einem weißen Handtuch rieb er sich das feuchte Rot von der Haut. Nur unter seinen Fingernägeln blieben dunkle Ränder zurück. „Danzō fehlt noch.“

„Und... Itachi?“, fragte sie zögerlich. „Was ist mit ihm?“ Keine Antwort. Das sprach wohl für sich. Ihre Sicht verschwamm. „Bitte, Fugaku.“ Sie zitterte. „Falls er-... Oder wenn du ihn-... Ich will wirklich nur wissen, ob-...“ Eine erste Träne rann über ihre Wange. Für einen kurzen Moment sah sie klar, dann trübte ihre Sicht wieder ein; wurde wieder klar, als die zweite Träne aus ihrem Augenwinkel perlte. „Geht es ihm gut?“

Fugaku legte das Handtuch zur Seite. „Keine Sorge, er lebt. Wir haben ihn in der Nähe des Nakano-Flusses gestellt und verhaftet.“

Ihr Herz pochte so wild, dass sie fürchtete, es könnte den Jungen in ihren Armen wecken. „Und was wird jetzt aus ihm?“

Fugaku streifte sich das blutgetränkte Hemd vom Körper. Ein frisches lag schon bereit. Als er vor ein paar Stunden aufgebrochen war, hatte sie gewusst, dass er eines brauchen würde. Er entfaltete es. „Ist noch nicht entschieden. Aber Verrat ist Verrat, Mikoto.“

Mikoto strich sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. „Verstehe...“

Schweigen. Minuten lang. Aber Mikoto hatte dieses Gefühl, dass Fugaku auch ohne Worte deutlich hören könnte, was sie dachte.

„Ich werde mich für ihn einsetzen“, sagte er schließlich. „Aber ich weiß nicht, ob das etwas nutzt.“

„Du musst tun, was du kannst.“ Mikoto konnte kaum sprechen, so sehr bemühte sie sich, die Tränen zurückzuhalten. Ihre Stimme klang ungewohnt hart. „Itachi ist trotz allem unser Sohn. Vergiss das bitte nicht. Ich will ihn nicht verlieren! 

„Das haben wir schon längst.“ Fugaku stand mit dem Rücken zu ihr; so konnte sie nicht sehen, dass auch seine Augen verräterisch glitzerten. „Itachi hat seine Seite gewählt. Selbst wenn ich es schaffe, die anderen davon zu überzeugen, sein Leben zu verschonen, ändert das nichts. Er hat sich entschieden! Und egal, wie oft ich ihn vor die Wahl stelle, er wird seine Meinung nicht ändern. Er wird sich immer wieder gegen uns entscheiden. Er ist weg – endgültig und unerreichbar.“ Fugakus Schultern bebten. „Es wäre weniger schmerzhaft, wenn er... wenn er...“

„Wenn er einfach tot wäre“, flüsterte Mikoto. Sie hob den Jungen in ihren Armen ein paar Zentimeter an, zog ihre Beine unter seinem Körper hervor und bettete ihn vorsichtig auf die Tatami-Matten auf dem Fußboden.

„Ja, das wäre es“, fuhr sie fort, während sie sich erhob und auf ihren Mann zu ging. „Den Tod unseres Sohnes betrauern zu dürfen wäre weniger schmerzhaft, als ihn für seinen Verrat verachten zu müssen .“

Von dort, wo sie gesessen hatte, bis zu Fugaku waren es genau elf Schritte: ...acht. Neun. Zehn. Elf...

Mikoto schloss ihre Arme um seinen Bauch. Ihr Kinn schmiegte sich an seine Schulter. Sie küsste seinen Hals.

Seufzend ließ Fugaku seine Wange gegen ihr Haar sinken. „Das werde ich nie, oder? Ich werde ihn niemals verachten.“

„Wie könntest du?“, murmelte sie. „Er ist dein Sohn. Du wirst ihn immer lieben.“ Und du wirst dich nie davon erholen, dass du ihn verloren hast. Es wird immer weh tun. „Lass' nur niemals irgendjemanden außer mir wissen, wie du wirklich empfindest. Sie würden deinen Schmerz falsch verstehen und das Vertrauen in dich verlieren.“

Er drehte sich in ihrer Umarmung herum. Ich weiß, sagte der trostlose Ausdruck in seinem Gesicht.

Mikotos Herz wollte brechen, als sie seine geröteten Augen und die Nässe auf seinen Wangen sah.

Sie schluchzte. Ihre Finger vergruben sich in den Falten seines Hemdes. „Wenn sie auf seinen Tod bestehen, darfst du nicht zögern. Tu' es einfach.“ Sie zitterte wieder. „Tu' es wirklich selbst, um sicherzugehen, dass es schnell geht und er nicht leiden muss. Verrat hin oder her – das bist du unserem Sohn schuldig.“

Fugaku hob die linke Hand, berührte mit den Fingerspitzen ihre Schläfe und erfühlte so ihren rasenden Puls. Er glitt über ihren Kiefer, ihre Wange und schließlich mit dem Daumen über ihre Lippen, ehe er diese mit seinen berührte. „Versprochen“, flüsterte er in den Kuss.

Seufzend schlang Mikoto beide Arme um seinen Nacken und schmiegte sich enger an ihn. Du bist ein guter Mensch, Fugaku, dachte sie dabei. Ich wünschte, die Welt wüsste das.

Hinter ihnen klopfte es an die Tür. „Wir sind so weit, Taichō. Es kann losgehen.“

Mikoto spürte – oder glaubte zu spüren – dass Fugaku seine Lippen nur widerwillig von ihren löste. „Gleich“, sagte er über die Schulter durch das Holz. Die plötzliche Härte in seiner Stimme versetzte Mikoto einen Stich. „Geht schon mal vor. Ich komme nach.“

Hai.“ Verhallende Schritte im Flur hinter der Tür.

Mikoto zögerte kurz, ehe sie Fugaku die Tränen aus dem Gesicht strich. Trotz ihrer eigenen zwang sie sich zu lächeln. „Bist du bereit?“

„Fest entschlossen auf jeden Fall.“

Fugaku nahm ihre Hände in seine und behauchte sie mit einem Kuss, bevor er sich vorsichtig an ihr vorbei schob, um die elf Schritte zu gehen, die der schlafende Junge von ihnen entfernt lag.

Mikoto blieb an Ort und Stelle zurück. Frische Tränen füllten ihre Augen, als sie sah, wie Fugaku sich neben dem Jungen niederkniete, ihm das schwarze Haar aus dem Gesicht strich und seine Stirn küsste. „Ich liebe dich, mein Sohn“, flüsterte er dem Kind zu. „Wenn du das nächste Mal aufwachst, wird es vorbei sein. Dann wird endlich alles gut.“ Fugaku küsste den Jungen ein zweites Mal. „Ich versprech's dir.
 

 
 

II

Out of the blue and into the black

[My my, hey hey (Out of the Blue) – Neil Young]
 

Hätte Amaya sich bei einer Mission zwei Wochen zuvor nicht die linke Schulter ausgerenkt, wäre an jenem Abend wohl vieles anders gekommen.

Vermutlich wäre sie mit ihrem Team irgendwo auf der Strecke zwischen Na no Kuni und Konoha unterwegs gewesen, anstatt zu Hause über dem Spülbecken zu hängen und das Gesicht schlürfend im roten Fruchtfleisch einer Wassermelone zu vergraben.

Tropfen des klebrigen Safts trieften ihr bei jedem Bissen über die Finger und plätscherten mit hohlen „Plong!“-Geräuschen in den Abfluss.

Sie stand barfuß in der Küche, nur in ein weißes Handtuch mit dunkelblauen Tupfen gewickelt. Auf ihrer Haut glitzerten noch kleine Schweißperlen vom heißen Bad, das sie vor wenigen Minuten genommen hatte. In knotigen Strähnen klebte das nasse Haar an ihrem Rücken und auf ihren Schultern.

An den Längen ihrer violetten Locken rannen kleine Wassertropfen herab und sammelten sich in den Spitzen, bis sie zu schwer wurden und auf die weißen Fliesen stürzten. Amaya spürte die winzigen Spritzer auf ihren Zehen.

Das Fenster stand offen. Eine kühle Brise wehte durch das Haus und trug aus der Ferne die Worte einer harschen Stimme mit sich: „An alle Dorfbewohner: zieht euch sofort in die Evakuierungstunnel zurück! Das ist ein Befehl des Hokage! Konoha ist in Gefahr! Helft euch gegenseitig!“ Amaya hörte den Ruf, nahm ihn aber nicht wahr. Er war noch zu fern, zu dumpf, um herauszustechen; nur ein Geräusch unter vielen neben Vogelgezwitscher, dem klingelnden Windspiel vor dem Fenster und den bellenden Hunden der Inuzuka, deren Anwesen auf der anderen Straßenseite lag. „Alle Ninja versammeln sich auf dem 34. Übungsgelände! Wartet auf weitere Befehle!“

Amaya ließ die abgenagte Melonenschale ins Spülbecken klatschen und leckte sich den süßen Saft von Fingern von Lippen, ehe sie zum nächsten Stück griff. Ein paar der braun-schwarzen Kerne plumpsten auf ihre nackten Zehen, als sie von diesem zweiten Schnitz abbiss, sich aber nicht schnell genug nach vorne über das Spülbecken lehnte. Im gleichen Augenblick klingelte es an der Tür.

Schmatzend schielte Amaya zur Uhr über dem Herd.

Zu früh, behaupteten die Zeiger. Und zwar eine Stunde.

Amaya legte das angeknabberte Melonenstück auf den Teller zurück und wischte sich mit einem karierten Geschirrtuch Mund und Finger ab.

„Ick bing nock nickt fergig, Anko“, rief sie auf dem Weg zur Tür; undeutlich, weil sie sich mit einem Zahnstocher Fruchtfleisch aus den Zahnzwischenräumen pulte. „Aber im Kühlschrank ist noch etwas Sake, falls du-“

Amaya brach ab, weil sie nun nahe genug am Hauseingang war, um zu erkennen, dass zwei Personen hinter der Schiebetür warteten: zwischen den Gitterstreben warfen ihre Körper krumme Schatten auf das cremefarbene Reispapier mit seinem dunkelgrünen Bambusdruck. Eine Faust hämmerte gegen den Holzrahmen.

„Aufmachen!“

„Es gibt ein Problem!“

Amaya klemmte sich das Handtuch sorgfältig unter den Achseln fest, denn den Stimmen nach zu nach zu urteilen gehörten die Schatten vor der Tür zu zwei Männern.

Vorsichtig zog sie die Tür kleinen Spalt weit auf, um nach draußen zu spähen, zwei Paar blutroter Sharingan-Augen entgegen. „Ja?“

„Wir wollen zu Tetsuka Jun“, sagte einer der beiden Männer, ein glatzköpfiger Hüne. Er überragte Amaya um zwei Köpfe, seinen Begleiter immerhin noch um einen. „Er soll sich sofort im Konferenzraum der Hokage-Residenz melden. Befehl des Sandaime.“

Die Sonne stand schon recht tief über dem Horizont, sodass ihr Licht in einem ungünstigen Winkel auf das Haus der Tetsuka fiel und Amaya blendete. Sie musste ihre Augen mit der Hand abschirmen, um nicht zu blinzeln. „Mein Vater ist auf einer Mission“, erklärte sie. „Ich weiß nicht, wann er wiederkommt.“

Die Männer tauschten einen kurzen Blick. Der Typ mit der Glatze zuckte die Achseln.

„Wie heißt du, Mädchen?“, fragte der andere. Seine Augen funkelten, als er Amaya ansah.

Sie zog das Handtuch straffer. „Tetsuka Amaya.“

„Tetsuka Amaya“, wiederholte er und nickte dabei langsam. Amaya erinnerte sich diesem Moment plötzlich sehr deutlich daran, wie sie vor vielen Jahren das erste Mal eine fauchende Klapperschlange am Wegrand gesehen hatte. Deren Augen hatten nämlich so ähnlich gefunkelt wie seine. „Dann wirst du anstelle deines Vaters gehen. Das wird schon niemanden stören. Hauptsache der Tetsuka-Clan ist vertreten...“

Amaya schüttelte den Kopf. „Vertreten wobei? Was ist denn los?“

„An alle Dorfbewohner: zieht euch sofort in die Evakuierungstunnel zurück! Das ist ein Befehl des Hokage! Konoha ist in Gefahr! Helft euch gegenseitig! Alle Ninja versammeln sich auf dem 34. Übungsgelände! Wartet auf weitere Befehle!“

Automatisch wand Amaya den Kopf in die Richtung, aus der sie den Ruf vermutete. Dieses Mal nahm sie ihn wahr: vom Dorfzentrum war er in den vergangenen Minuten näher an den Bezirk im Süden gerückt, in dem Amaya mit ihrem Vater lebte.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

„Was ist hier los?“, fragte sie wieder. Ihre Stimme zitterte.

Der Typ mit den funkelnden Augen winkte ab: „Du wirst es früh genug erfahren.“

„Beeil' dich einfach“, fügte sein Begleiter hinzu. „Im Konferenzraum der Hokage-Residenz. Es ist wirklich dringend.

Ohne ein weiteres Wort der Erklärung kehrten die beiden Männer Amaya den Rücken und schritten hintereinander die drei Stufen des Treppenaufgangs hinab, der Vorgarten und Veranda miteinander verband. Die Rückseiten ihrer grauen Hemden waren mit dem Uchiha-Wappen bestickt.

Amaya blieb ratlos im Türrahmen zurück und sah den beiden Männern mit pochendem Herzen und einem unangenehmen Ziehen im Unterbauch hinterher, wie sie den schmalen Schotterweg durch den Vorgarten nahmen, an den gelben Chrysanthemen, den lila gesprenkelten Krötenlilien und den goldorangen Azaleen vorbei. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, bis sie das von Efeu überwucherte Messinggatter im Gartenzaun hinter sich ließen.

Staub wirbelte von der trockenen Straße auf, als die beiden Uchiha sie in einer diagonalen Linie überquerten. Vor dem Holztor, das zum Inuzuka-Anwesen führte, blieben sie stehen.

Das Tor war mit einem Schild versehen, das einen schwarz-grauen Hund mit gesträubtem Fell zeigte. Über dem rechten Auge trug das Tier eine Augenklappe, sein linkes Ohr fehlte. Die zurückgezogenen Lefzen entblößten vergilbte Reiß- und Fangzähne. „Ich brauche fünf Sekunden zur Tür“, stand in roten Schriftzeichen neben der Fotografie. „Und du?“

Unbeirrt hämmerte der glatzköpfige Uchiha mit der Faust gegen das Holztor – direkt auf die Schnauze des Hundes auf dem Schild. „Aufmachen!“

Und der andere fügte hinzu: „Es gibt ein Problem!“

Hinter der Mauer brach ein Sturm von Knurren, Kläffen und Jaulen los, unterlegt von zischenden „Pssst!“-Lauten oder „Aus! Aus!“-Rufen, ehe das Tor aufschwang. Ein kleiner Junge mit braunem Haar kam dahinter zum Vorschein. Auf seinem Kopf trug er einen weißen Welpen.

„Jaaaa?“, hörte Amaya den Kleinen mit seiner hohen Kinderstimme fragen.

„Wir wollen zu Inuzuka Tsume.“

„Maaaamaaaa! Komm' mal!“

Amaya atmete tief durch und zog sich ins Haus zurück, um sich anzuziehen. Sie begann zu verstehen: Der Hokage versammelt die Anführer der Clans. Was immer uns bevor steht, es ist schlimm.

Dass der Hokage zu diesem Zeitpunkt allerdings schon tot war, konnte sie nicht ahnen.
 

 
 

III

For too long now, there were secrets in my mind

For too long now, there were things I should have said

In the darkness, I was stumbling for the door

To find a reason, to find the time, the place, the hour

[Tears of the Dragon – Bruce Dickinson]
 

„Hattest du deine Hände schon mal im Kopf eines Menschen?“, fragte Natsume.

Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand steckten in einer Augenhöhle, aus der mehr Blut sprudelte als diese fassen konnte.

Satoshi zog die Nase kraus. „Nein.“

„Das wirst du in ein paar Sekunden nicht mehr sagen können – komm' mal her.“

Zögerlich kam Satoshi ein paar Schritte näher und ließ sich neben Natsume im Gras nieder. Der Druck seiner Knie presste versickertes Blut aus der Erde, das an die Oberfläche quoll und den Stoff seiner hellgrauen Hose durchdrang.

„Meine Finger verstopfen die Wunde, aus der er blutet“, erklärte Natsume. „Ich kann sie schließen, aber ich brauch' ein, zwei Minuten, um das Jutsu vorzubereiten. Du drückst hier so lange, damit er nicht noch mehr Blut verliert.“

Satoshi schluckte. „Ist das dein Ernst?“

„Bei so etwas scherze ich eher selten, weißt du.“ Der Körper des bewusstlosen Jungen unter Natsumes Hand zuckte. „Na, mach' schon – bevor er zu sich kommt.“

„Soll ich meine Hände vorher desinfizieren?“, fragte Satoshi. Sein Blick klebte nervös an Natsumes Hand, deren Zeige- und Mittelfinger halb zwischen Wimpern und geschlossenen Lidern verschwanden.

Natsume zog eine Augenbraue nach oben. „Was glaubst du wohl, hm?“

„Entschuldige.“ Satoshi räusperte sich ,,Ich hab' so was noch nie gemacht.“

Die kleine Plastikflasche mit dem Desinfektionsmittel lag noch im Gras neben dem bewusstlosen Jungen, auf dessen T-Shirt das Emblem der Uchiha prangte. Satoshis Hand zitterte, als er sie aufhob und ihren schnabelförmigen Deckel mehrmals hintereinander herunter drückte.

Feiner Sprühnebel benetzte seine Haut und sammelte sich zu einem dünnen Film. Satoshi verrieb ihn sorgfältig auf beiden Händen. Der Geruch von Alkohol brannte in seiner Nase und die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf – teils wegen des kühlen Desinfektionssprays; teils ob des Gedankens, gleich in eine blutende Augenhöhle zu fassen.

Er streckte die Hand nach dem fleischigen Loch aus, zögerte aber beim Anblick seiner Fingernägel: mit einem Mal kamen sie ihm vor wie Klauen.

„Baka!“, zischte Natsume, als Satoshi sich ohne Vorwarnung die Hand mit einer raschen Bewegung in den Mund steckte, um seine Fingernägel bis auf die Kuppe abzuknabbern. „Jetzt kannst du deine Hände noch mal desinfizieren! Mach' das doch davor.“

Satoshi hob das Desinfektionsspray ein zweites Mal auf. „Entschuldige“, sagte er wieder und spuckte einen dünnen Fetzen Horn aus, den er vom Nagel seines Zeigefingers abgezupft hatte. „Ich hab' so was wirklich noch nie gemacht.“

„Glaub' mir“, seufzte Natsume, „das sehe ich: du musst es mir nicht alle paar Sekunden sagen.“

„Sehr hilfreich, Mann. Wirklich. Danke.“

Natsume schnalzte mit der Zunge. „Jetzt steck' endlich deine Finger da rein!“

Satoshi zauderte, während er seinen Zeigefinger vorsichtig in die rote Pfütze tunkte. Sein Mittelfinger folgte.

Das ist nur ein Glas mit Erdbeermarmelade, das zu lange in der Sonne stand, beschwor er sich selbst. Deshalb ist es warm. Deshalb ist es klebrig. Weil es geschmolzene Erdbeermarmelade ist, kein Blut: süße Marmelade, die Wespen anlockt und schimmelt, wenn man sie nicht in den Kühlschrank stellt.

Mit einem schmatzenden Geräusch verdrängten Satoshis Finger Blut (Erdbeermarmelade!) aus der Augenhöhle (dem Marmeladenglas!). Es schwappte über die Ränder und verlief auf dem blassen Gesicht des bewusstlosen Uchiha: über seine Schläfen in die Ohren; über Wangen, Lippen, Kinn und Hals in seine Kleidung; über die Brauen und Stirn in den Ansatz seiner schwarzen, struppigen Haare.

Die Wand der Augenhöhle (des Marmeladenglas'!) war wie Matsch von fauligem Obst (verkochte Erdbeeren!) und das Blut fühlte sich noch klebriger, schleimigeran als erwartet. Eher wie Sirup als Marmelade.

Fetzen von bereits geronnenem Blut trieben in dem Seim und Satoshi kam es so vor, als wohnte diesen ein Eigenleben inne, sodass sie sich aktivum seinen Finger schlingen konnten.

„Ich glaub', mir wird schlecht...“, murmelte er.

Sein Handgelenk stieß gegen Natsumes. Sie kamen sich in der engen Augenhöhle (dem Marmeladenglas!) gegenseitig in die Quere.

„Hast du's?“, fragte Natsume.

Satoshis Finger glitten an die Stelle von Natsumes. Etwas pulsierte gegen seine Haut und er hatte das Gefühl, in einer zerquetschten Nacktschnecke herumzupulen.

Erdbeermarmelade! Erdbeersirup!, schrie Satoshi sich in Gedanken an. Erdbeermarmeladeerdbeersiruperdbeermarmeladeerdbeersirup!
 

 
 

IV

No mercy from the edge of the blade

Dare escape and learn the price to be paid

Let the water flow with shades of red now

[Hail to the King – Avanged Sevenfold]
 

Die Explosion schien nur darauf gewartet zu haben, dass Amaya das Haus verließ: kaum hatte sie den zweiten Fuß über die Türschwelle gesetzt, schoss nahe beim Haupttor der rubinrote Blitz zum Himmel empor. Nur einen Herzschlag später brach eine Welle von gleißendem Licht über die Dächer von Konoha hinweg.

Die Luft flimmerte und der Boden vibrierte. Die Fenster der umliegenden Häuser bogen sich ächzend nach innen.

Etwas streichelte über Amayas Körper; sanft wie eine Katzenpfote, aber unerträglich heiß. Hinter ihr fing das Reispapier der Schiebetür Feuer.

Runter!, befahl ihr Verstand. Auf den Boden!

Amaya nahm alle drei Stufen zwischen Veranda und Vorgarten auf ein Mal. Kaum berührten ihre Füße den Boden, warf sie sich bäuchlings in den Schotter zwischen den Blumenbeeten. Zum Schutz von Hals und Kopf verschränkte sie die Hände im Nacken.

Mit einem schwingenden Krachen barst das gebogene Glas der Fensterscheiben. Wie Blütenblätter im Frühling fegten scharfe Splitter über Amaya hinweg und regneten dumpf klirrend auf ihren Körper, den Schotter, die Dächer und die Blumenbeete nieder.

Nur zögerlich hob sie ihren Kopf wieder an und erstarrte: Was zur Hölle ist das?!

Vornüber gekrümmt und stocksteif stand es da, am östlichen Rande des Dorfes, jenseits der Mauer: dieses halbdurchsichtige Geisterskelett, das goldgelb leuchtete und von zuckenden Flammen umschlängelt wurde.

Es ragte weit aus den Baumwipfeln empor und über die Dorfmauer hinweg. Allein einer seiner Halswirbel war größer als Amaya selbst und die Dächer der höchsten Häuser Konohas reichten ihm gerade mal bis zu den untersten seiner nackten Rippen. Wie Klauen klammerten diese sich am Brustbein des strahlenden Knochenwesens fest. Kein Herz schlug dahinter.

Die Augenhöhlen des blanken Schädels glühten rot und anstatt einer Nase war da ein schwarz-gelbes Loch in Form eines um 180 Grad gewendeten Herzens. Ober- und Unterkiefer lagen fest aufeinander gepresst und grinsten das hämische Totenkopfgrinsen einer Piratenflagge. Selbst auf eine Entfernung von mindestens zwei Kilometern konnte Amaya die Rillen in seinem Zahnschmelz deutlich erkennen.

Vorsichtig hob sie den Bauch an und kroch auf allen Vieren rückwärts. Nur ihre Zehen- und Fingerspitzen berührten den Boden. Die Glassplitter der zerbrochenen Fensterscheiben bohrten sich in ihre Haut. Warmes Blut tropfte aus den Schnitten.

Das bemerkte Amaya jedoch genauso wenig, wie sie glauben wollte, was sie da sah: wie Ranken kletterten Fasern an dem leuchtenden Skelett empor, spannten sich um die blanken Knochen und richteten die krumme Wirbelsäule auf.

Leben regte sich in dem Wesen. Es hob den Kopf, neigte das Kinn und streckte den linken Arm empor. Die Finger zogen sich dabei einem nach dem anderen zusammen, schlossen sich zu einer Faust.

Trotz der Entfernung konnte Amaya sehen, wirklich sehen, wie die einzelnen Muskelstränge und Sehnen in Arm und Hand kontrahierten.

Eine plötzliche Böe erhob sich und stürmte der Gestalt von Westen her entgegen.

Auf Amayas Körper fühlte sich der Windstoß an wie der Hieb einer Peitsche. Ihre Haut rötete sich und ihre Augen tränten.

Als die Böe auf das Geisterwesen traf, materialisierte sich die Luft, wurde zu Haut und, so unglaublich es auch klingen mag, einer kompletten Rüstung mit Helm, Brustpanzer, Schulterplatten, Hüft- und Beckenschutz, sowie Arm- Ober- und Unterschenkelschienen.

Das Gesicht des Geistes verbarg sich hinter einer grinsenden Maske, die eine grausige Fratze mit tiefen Falten, angeklebtem Bart und Reißzähnen zeigte. Auf dem Helm trug er zwei Ochsenhörner.

Ein Samurai, dachte Amaya ungläubig und schluckte. Ein leuchtender Geister-Samurai!

Der Krieger drehte langsam den Kopf von der einen zur anderen Seite und traf dabei mit dem feurigen Glühen seiner roten Augen Amayas Blick. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber lange genug, um ihr scheinbar jede Kraft aus den Muskeln zu saugen. Arme und Beine gaben unter ihrem Gewicht nach und sie sank der Länge nach bäuchlings zurück auf den Boden. Dieses Mal blieb sie liegen und schielte zitternd zu dem Samurai hinauf.

Der hob derweil das rechte Bein an und ging einen Schritt nach vorne. Die Dorfmauer barst unter seinem Fuß. Amaya schauderte bei dem Lärm: so musste es klingen, wenn man einen Ziegelstein zwischen seinen Zähnen zermahlte.

Sie sah Staub aufwirbeln, in dem der Geister-Samurai bis zu den Schultern versank; die geballte Faust immer noch empor gehoben. Dann ein erneutes Krachen und eine frische Fontäne aus braunem Dunst von einem zweiten Schritt. Wie die Flügel einer Motte sah die v-förmige Kluft zwischen den Bruchrädern der Dorfmauer hinter dem Samurai aus. Er stand zwischen den Häusern im östlichen Teil von Konoha.

Amayas Haut kribbelte, als sie daran dachte, dass das Monster vermutlich nicht nur zwischen den Häusern, sondern auch auf den Trümmern einiger Gebäude (samt Menschen) stand.

Es hob das Kinn um ein paar Grad, legte seinen Kopf ins Genick und wieder sah Amaya die Kontraktion jedes einzelnen Muskelstrangs. Sogar durch die Rüstung und wunderte sich nicht mal darüber, dass das überhaupt möglich war.

Die Brust des Geistes spannte sich, der Rücken wurde lang und formte ein Hohlkreuz. Sein rechtes Schulterblatt zog seinen hängenden Arm zurück, während der erhobene sich noch ein Stückchen weiter dem Himmel entgegen reckte.

Es... es sammelt Kraft! Es ist bereit zuzuschlagen!

Und tatsächlich: der Samurai stieß einen Schrei, ein grelles Kreischen aus. Amaya war, als würden die Schallwellen durch ihre Haut und ihr Fleisch bis in ihre Knochen hervor dringen und diese zum Schwingen bringen. Die Glasscherben auf dem Boden schepperten.

Amaya stöhnte auf, ließ die Stirn zu Boden sinken und wartete nur darauf, dass ihre Knochen unter dem Kreischen des Samurai zersprangen. So konnte sie nicht sehen, wie seine erhobene Faust des Samurai zu Boden sauste und mit der geballten Kraft ungezügelter Wut einschlug.

Die Erde sprang auf. Eine tiefer Krater fraß sich durch Konohas Straßen. Häuser brachen auseinander und versanken in wirbelnden Schwaden von Staub.

Amaya spürte nur die Erschütterung und das Beben unter ihrem Körper, stark genug um sie durch den Schotter schlittern zu lassen – mehrere Zentimeter von rechts nach links, vor und zurück. Ihr Kiefer klapperte, obwohl sie ihre Zähne so fest aufeinander presste wie sie nur konnte.

Sieh nicht hin, riet ihr Verstand. Sieh einfach nicht hin.

Denn was sie spürte, hörte und roch reichte ihrer Fantasie vollkommen aus, um sie mit ihrem geistigen Auge sehen zu lassen, was um sie herum geschah.

Sie hörte Schreie; hohle Schreie wie abgespielt von einem Tonband in einer Art bizarrem Kanon ohne Melodie oder Musik. Prasseln. Rauschen. Schläge. Immer wieder Schläge. Metallische Schläge. Hölzerne Schläge. Dumpfe Schläge. Grelle Schläge.

Der Gestank von Schwefel und Rauch lag in der Luft und trieb Amaya die Übelkeit in den Magen. Sie würgte leise.

Erst Minuten, nachdem die Erde sich beruhigt hatte, wagte sie es den Kopf zu heben, obwohl der Lärm weiter dröhnte. Vom Himmel rieselten hellgraue Ascheflocken herab. Der Geister-Samurai war verschwunden.

Dort, wo er gestanden hatte, zuckten noch rote und gelbe Blitze durch die Luft. Durch die v-förmige Kluft in der Dorfmauer sah Amaya die Schneise, die sein Fausthieb in den Wald gerissen hatte: die Grasnarbe fraß sich mehrere Meter tief in den Boden und reichte kilometerweit ins Unterholz. Wurzeln ragten dazwischen heraus.

Das Holz der Bäume am zerwühlten Kraterrand war gesplittert und die Wipfel beinahe vollkommen kahl. Was grün und lebendig sein sollte, war nun schwarz und verbrannt.

Die Schneise setzte sich in entgegengesetzte Richtung auch ins Dorfzentrum fort, aber die Häuser verdeckten Amaya die Sicht. Sie sah nur eine Wand aus Staub, in der sich Schatten von Hausfassaden abzeichneten, die ihr lichter schienen als zuvor. Flammen schlugen meterhoch zum Himmel, eingehüllt von dickem, schwarzen Rauch.

Die Wand aus Staub durchschnitt das halbe Dorf: sie reichte bis zum Großen Marktplatz im Herzen von Konoha. Von dort, aus dem braunen Dunst, den Flammen und dem Rauch, schallte der Lärm; die hohlen Schreie, das Wimmern, das Wehklagen...

Amaya wurde schwindelig.

„Bewahrt Ruhe!“, setzte sich da die harsche Stimme wieder über den Lärm hinweg. „Setzt die Evakuierung fort! Helft euch gegenseitig! Ninja, befolgt eure Befehle!“

„Befolge deine Befehle!“, ermahnte Amaya sich selbst und schüttelte den Kopf, um den Schwindel zu vertreiben, ehe sie sich mit zittrigen Beinen aufrappelte und dem Turm zu Füßen des Hokage-Monumentes entgegen hastete – über das Bett von Scherben hinweg, die in der Sonne glitzerten.

Ihre Haut hing in weißen Fetzen von blutigen Schnitten, zwischen denen Kieselsteine steckten und Glassplitter funkelten. Es sollte weh tun, brennen, aber Amya spürte keinen Schmerz.

Es gibt einen Plan, sagte sie sich in Gedanken während sie durch die Straßen hetzte und über die Dächer des Dorfes, sofern noch vorhanden, hinwegsetzte. Es muss einen Plan geben! Hokage-sama wird uns erklären wollen, was jeder von uns tun muss, wenn... sobald dieses Ungeheuer wieder auftaucht. Deshalb ruft er uns zusammen! Jeder von uns, jeder Clan wird eine Aufgabe erhalten und gemeinsam werden wir dieses Monster schlagen. Ja, es gibt einen Plan. Der Sandaime hat einen Plan!

Amaya wagte nicht an etwas anderes zu denken, denn was wäre die Alternative?

Ein Blutbad wie im Oktober vor sieben Jahren, als der Neunschwänzige über Konoha hergefallen war.

Bei den Erinnerungen daran zuckte Amaya unwillkürlich zusammen: „Dieses Mal gibt es einen Plan!“

Sie rannte schneller.
 

 
 

V

Time will show

If you did right to put your sails

Into the wind, over the sea, into the storm

[Darkest Age – Renegade Five]
 

Das grün-türkise Leuchten des Chakra um Natsumes rechte Hand wurde dichter: die Energie sammelte sich aus seinen Fingerspitzen und dem Handrücken in einem einzigen Punkt auf ihrer Innenfläche. Die Farbe verblasste und das Leuchten strahlte heller. Wie ein Funken an einer herab brennenden Lunte kroch es flackernd von Natsumes Handinnenfläche an seinem Zeigefinger entlang bis zu dessen Kuppe.

„Vorsicht“, warnte Natsume und streckte die Hand von seinem Gesicht weg. „Heiß.“

„Was hast du vor?“, fragte Satoshi und lehnte sich etwas zurück, um dem seltsamen, grünlich-weißen Licht ebenfalls nicht zu nahe zu kommen.

„Das ist eine Variation des Shōsen Jutsu“, erklärte Natsume. „Hab' ich entwickelt: indem ich das Chaka des Jutsu auf kleinster Fläche zusammenpresse, vergrößere ich seine Energiedichte. So entsteht Hitze.“

„Und?“

„Ich zeig's dir. Halt still, ja?“

Der Hinweis war gut, denn ohne ihn hätte Satoshi in diesem Moment seine Hand wohl augenblicklich weggezogen: Natsume beugte sich zu dem Gesicht des Uchiha hinab und stülpte seine Lippen über dessen Brauen und Wangenknochen.

Satoshi zuckte zusammen, als er dabei das feuchte Zahnfleisch und die Zunge seines Kameraden auf der eigenen Haut spürte. Sie wurde angesaugt.

„Jetzt ist mir schlecht...“

Natsume ließ von der Wunde ab und drehte das Gesicht leicht zur Seite, den glühenden Zeigefinger dabei so weit wie möglich von allem weg gestreckt, was lebendiges Fleisch war.

Er spuckte aus: Blut, Speichel und einen schleimigen Faden, in dem das eine am anderen klebte und der sich erst von Natsumes Mundwinkel löste, als er ihn mit seiner freien Hand wegwischte.

„Du, mein Freund, bist abartig“, kommentierte Satoshi und starrte fassungslos auf das rotzige Blut-Spucke-Gemisch zwischen den Grashalmen.

Natsume zuckte die Achseln. Übersetzung: Wie soll ich's denn sonst machen?

Aus seiner Shuriken-Tasche holte er eine weiße Mullbinde hervor und presste sie in die Augenhöhle, um auch die letzten Blutstropfen herauszuziehen und sie so trocken wie möglich zu legen.

Anschließend brachte er den Kopf des Uchiha in Position. Dessen linke Gesichtshälfte war geschwollen und unter verkrustetem Blut schimmerte blau-violette Haut hervor. Seines Kiefer neigte sich schräg im Uhrzeigersinn.

„Bereit?“, fragte Natsume. Satoshi nickte. Auch wenn er nicht wusste, wofür. „Auf drei ziehst du deine Hand da weg, verstanden?“ Satoshi nickte wieder. „Falls du kotzen musst, dreh' den Kopf zur Seite, damit die Wunde nichts abbekommt.“

„Ich werd' schon nicht kotzen. Ich habe genug gesehen, um so einen Anblick ertragen zu können.“

Außerdem steckt meine Hand gerade im Kopf eines Menschen und übergebe mich nicht, obwohl du eben noch daran genuckelt hast!

Natsume zuckte wieder mit den Schultern. Wart's ab, bedeutete die Geste diesmal. „Eins. Zwei. Drei.“

Satoshi zog seine Hand zurück. Natsume nahm seinen Platz ein.

Die leuchtende Chakra-Konzentration in seiner Fingerspitze berührte die offene Stelle in der Augenhöhle nur ganz leicht, aber das reichte.

Die Hitze ließ die Flüssigkeit im Gewebe verdampfen. Es zischte.

Darum hatte Natsume die Augenhöhle zuvor mit dem Mund abgesaugt: das Blut hätte sonst zu kochen begonnen und den Schädel von innen verbrüht. So trocknete die Hitze nur die zerfetzten Enden der abgerissenen Gefäße aus, verschweißte sie. Die Blutung stand.

Satoshi verdrehte unwillkürlich die Augen: der Gestank von verbranntem Fleisch, der in kleinen Dampfwölkchen von dem besinnungslosen Gesicht aufstieg, war abartig... und irgendwie süßlich; wie ein Schlag für den Geruchssinn, der tief im Magen traf.

Satoshis Lippen entwich ein kurzes Stöhnen, als er sich umdrehte und einen Schwall zähflüssiges Orange erbrach. „Mit geht’s gut“, erklärte er ungefragt und würgte einen zweiten Schwall hervor.

Natsume ließ es unkommentiert. Er schraubte den Pumpdeckel des Desinfektionsmittels auf und kippte einen Teil davon in die frisch versorgte Augenhöhle. Dann zerschnitt er mit einem Kunai eine zweite Mullbinde, tränkte diese mit dem Rest des Desinfektionssprays und stopfte den Verband unter die Augenlider des Uchiha, bevor er ein quadratisches Pflaster darüber klebte.

Erst dann wendete er sich Satoshi zu, der gerade einen dritten Schwall halbverdauter Nahrung aufstieß – einen Teil davon durch die Nase: „Alles klar, Kumpel?“

„Du hast mir nicht gesagt, dass das so stinken würde!“, krächzte Satoshi. Seine Kehle und die Innenwände seiner Nase brannten wie Feuer. Er roch und schmeckte eine süßlich-bittere Mischung von Mandeln, Grüntee und Pfirsichen „Kami, und ich dachte, wir könnten uns heute einen entspannten Abend machen.“

„Daraus wird nichts.“ Natsume seufzte. „Das Auge ist nicht im Eifer des Gefechts verloren gegangen, sondern sehr gezielt herausgerissen worden.“

Satoshi spuckte aus, fuhr sich mit dem Unterarm über seinen triefenden Mund und verzog angewidert das Gesicht, als er sah, dass farblose Brocken an seinem Handgelenk kleben blieben. „Wegen des Sharingan.“ Satoshi wischte den Arm an seiner Hose ab.

„Konoha hat ein echtes Problem, wenn die Geheimnisse der Uchiha in die falschen Hände geraten.“

„Du denkst an Orochimaru.“

Natsume nickte. „Wir müssen das melden: geh' ins Dorf und sag' dem Hokage, er soll einen Trupp losschicken. Die Wunde war ganz frisch. Wer immer das war, kann nicht weit gekommen sein. Vielleicht kriegen wir ihn noch. Und sorg' dafür, dass sich ein paar Sanitäter auf den Weg hier her machen.“

Satoshi seufzte nun ebenfalls und betrachtete nachdenklich den verletzten Uchiha am Boden, dessen Brust sich unruhig hob und senkte. Ob er in seiner Ohnmacht wirklich keine Schmerzen spüren konnte wie Natsume behauptete? Satoshi war sich da nicht so sicher. „Armer Kerl...“

„Shisui“, sagte Natsume. „Sein Name ist Shisui.“ Auf Satoshis fragenden Blick hin fügte er hinzu: „Als Ge-Nin waren wir zusammen in einem Team. Es ist zwar schon ein paar Jahre her, aber... Eine Zeit lang waren ein Team – Shisui, Amaya und ich. Bis er zur Anbu ging und du seinen Platz eingenommen hast.“

„Ich verstehe.“ Satoshi stand auf. Seine Kleidung klebte von Blut und Erbrochenem. „Schaffst du das hier allein?“

Natsume fuhr sich übers Gesicht. Blutige Spuren blieben auf seiner Haut zurück. „Mir bleibt nichts anderes übrig. Lass' mich nur nicht zu lange warten.“

„Ich beeil' mich. Versprochen.“
 

 
 

VI

Master of puppets, I'm pulling your strings

Twisting your mind and smashing your dreams

Blinded by me, you can't see a thing

Just call my name, 'cause I'll hear you scream

[Master of Puppets – Metallica]
 

Sie rannten.

Sie schrien.

Sie stießen einander zur Seite und stolperten übereinander hinweg.

Konoha glich an jenem Abend einem Ameisenhaufen, den ein dummer Junge mit einem Stock auseinandernahm. Jede noch so kleine Seitengasse war vollgestopft mit hastenden Menschen, die versuchten, sich zu den Evakuierungstunneln im Herzen des Hokage-Monumentes durchzuschlagen. Und durchschlagen war wörtlich zu nehmen!

Da war zum Beispiel dieses Mädchen auf der Nord-Süd-Hauptstraße. Es hockte weinend vor den Trümmern des Yamanaka-Blumenladens, dessen obere Stockwerke samt Dach in den Verkaufsraum gestürzt waren. Vom Nachbargebäude, einem Grill-Restaurant, hatte Feuer auf den Blumenladen der Yamanaka übergriffen, sodass Flammen unter herunter gebrochenen Balken und gesprungenen Ziegeln hervor krochen.

Das kurze, fransige Haar des weinenden Mädchens stand zerzaust in alle Richtungen von seinem Kopf ab. Die blonden Strähnen verschwanden beinahe komplett unter hellgrauen Ascheflocken. Ihr Gesicht war überzogen von einer staubigen Schicht Schwarz, die dort verschwamm, wo die Tränen über ihre Wangen strömten.

„Mami“, jammerte sie und rieb sich den Ruß aus den blauen Augen. Um sie herum lagen zertrampelte Blumen und bunte Scherben von zerbrochenen Vasen. „Mami.“

Unter einem der herabgestürzten Balken lugte ein schwarzer Klumpen mit menschlicher Silhouette hervor. Das verkohlte Etwas von einem kahlen Schädel mit zwei Löchern, fehlender Nase und einer ovalen Kuhle mutete an wie die Maske einer geschmolzenen Wachsfigur und hatte kaum noch etwas mit einem menschlichen Gesicht gemein.

Für Amaya war das kleine Mädchen nur ein paar wenige Sekunden sichtbar, bevor es zwischen fliehenden Beinen verschwand. Die Leute stolperten einfach über die Kleine hinweg.

Kurz spielte Amaya mit dem Gedanken, sich in die Menge zu werfen, das Kind aus der gesichtslosen Masse hastender Füße zu fischen und irgendjemandem in die Arme zu drücken, der es in Sicherheit bringen konnte. Aber noch im selben Augenblick verwarf sie die Idee wieder.

Befolge deine Befehle, sagte sie sich und hielt weiter auf die Hokage-Residenz zu. Befolge deine Befehle. Jeder muss seine Aufgabe erfüllen.

Bei den Sprüngen von Dach zu Dach konnte Amaya nun auch sehen, welche Verwüstung der Fausthieb des Geister-Samurai tatsächlich angerichtet hatte: der Krater von zerwühlte Erde fraß sich von der Dorfmauer bis ins Zentrum des Dorfes. Er war bestimmt drei Meter tief und gut zehn Meter breit. Aus geplatzten Wasserleitungen schossen Fontänen empor, die an Geysire erinnerten. Sie verwandelten die Schneise in eine Rinne voller metertiefem Matsch. Unzählige Körper suhlten sich in dem Schlamm; Körper, von denen Amaya sich nicht vorstellen konnte (wollte), dass sie vor wenigen Minuten noch lebendige Menschen gewesen waren.

Sie waren zerfetzt oder zerquetscht, sodass man sie für geplatzte Wassermelonen hätte halten können. Wassermelonen... Amaya wurde schlecht.

Manchmal schauten nur Beine oder Füße aus dem verwaschenen Boden heraus. Manchmal steckten Menschen bis zum Hals verschüttet darin fest. Teilweise lebten sie noch. Ihre Gesichter waren blau angelaufen und die Münder zu stummen Hilfeschreien verzerrt, die sie nicht von sich geben konnten, weil die Erdmassen ihnen den Sauerstoff aus den Lungen pressten.

Amaya fragte sich, warum kein Shinobi ihnen half. Ein Doton-Nutzer hätte die, die so elendig ersticken mussten, mit Leichtigkeit aus ihrem matschigen Gefängnis befreien können. Wo waren all die Ninja, die die Bewohner beschützen sollten?

Es schien Amaya schier unmöglich, dass sie das Dorf alle schon verlassen und sich auf dem 34. Übungsgelände versammelt hatten.

Doch auch sie selbst unternahm nichts und so sehr sie sich darüber auch wunderte, war es, als könnte sie nicht anders; als müsste sie die Leute im Stich lassen. Der Befehl, sich im Konferenzraum der Hokage-Residenz einzufinden schien mehr zu sein als eine mündliche Anweisung. Ein unbewusster Teil in Amayas Verstand wusste, dass allein der Versuch sich zu widersetzen gescheitert wäre. Sie hatte keine andere Wahl als all das Chaos zu ignorieren. Es steckte tief in ihr.

So half sie nicht einmal Kiba, dem Inuzuka-Jungen von gegenüber, der am Rand des Marktplatzes zwischen zermatschtem Obst bei dem Händler kauerte, in dessen Holzkisten das Schriftzeichen 'frisch' eingeritzt war. Hier hatte Amaya erst gestern noch eingekauft.

Kibas Kleidung hing in Fetzen von seinem Körper. Die nackte Haut darunter schimmerte rot, war aufgesprungen und übersät von kleinen Pusteln, aus denen Blut und eine klebrige, durchsichtige Flüssigkeit tropften.

Der Kleine schrie. Um Hilfe. Nach seiner Mutter Tsume. Nach seiner Schwester Hana.

In den zitternden Armen hielt er Akamarus schlaffen Körper. Akamaru war der weiße Welpe, den der Junge vorhin auf dem Kopf getragen hatte.

Am Morgen noch hatte der Hund sich durch den Gartenzaun der Tetsuka gequetscht und in die goldorangen Azaleen gepinkelt. Jetzt hing er in Kibas Umklammerung und die Zunge baumelte zwischen seinen spitzen Zähnen hervor. Seine Lider waren weit aufgerissen und die Äderchen in seinen Augäpfeln geplatzt. Rot tropfte aus seinem weißen Fell.

Amaya setzte nahe den beiden auf dem Boden auf, ging in eine Hocke, um Schwung für den nächsten Sprung zu holen. Ein Fisch zerplatzte unter ihren Füßen. Seine Säfte und Eingeweide drangen in ihre Schuhe.

Einen einzigen Herzschlag lang traf ihr Blick den von Kiba, bevor sie wieder durch die Luft segelte und auf dem Vordach der Marktplatz-Konditorei landete. Sie setzte über den Giebel des Hauses hinweg.

Auf der anderen Seite schlitterte Amaya die Dachschräge hinab und bremste, indem sie beide Fersen gegen die Regenrinne stemmte. Mit einem kontrollierten Sprung landete sie sicher wieder auf der Straße.

Keuchend stützte sie sich mit beiden Händen auf ihren Oberschenkeln ab. Strähnen ihres langen Haares hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und hingen ihr wirr ins Gesicht. Heißer Schweiß perlte über ihre Stirn. Geronnenes Blut blätterte in braunen Klümpchen von ihrer zerschnittenen Haut. Jeder Atemzug brannte in ihrer Kehle.

„Ich kann nicht mehr“, japste sie und leckte sich über die trockenen Lippen. „Ich kann nicht mehr...“

Seit sie von Zuhause aufgebrochen war, war bestimmt schon über eine Stunde vergangen, in der sie durch das Chaos im Dorf irrte, ohne ihrem Ziel näher zu kommen.

Es war, als hätte der Angriff dieses Geister-Samurai die komplette Architektur des Dorfes durcheinander gebracht. Egal, wo sie abbog; egal, wie schnell sie lief – der Hokage-Turm blieb in unerreichbarer Ferne.

Ich bin gefangen.

Amaya fuhr erschreckt zusammen, als diese drei Worte durch ihren Verstand zuckten. Sie fühlten sich mächtig an; nicht wie ein Gedanke, sondern viel mehr wie ein beherzter Schlag gegen die Innenseite ihres Schädels.

Atemlos blickte Amaya sich nach allen Seiten um. „Gefangen“, murmelte sie benommen. „Ich bin gefangen.“

Plötzlich war es ganz still.

Die Wucht dieser drei Worte verursachte einen rasenden Schmerz („Was zur Hölle ist hier los?!“) hinter Amayas Stirn. Ein Teil ihres Gehirns... ein betäubter Teil ihres Gehirns war dabei aufzuwachen, erahnte bereits die Bedeutung hinter diesem kurzen Satz: „Ich bin gefangen...“

Aber sie war noch nicht („Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.“) in der Lage, es zu realisieren. Sie taumelte und presste beide Hände gegen ihren Kopf, weil sie glaubte, er würde gleich (peng!) explodieren: da war diese Erkenntnis. Sie war da, sie pirschte sich an und würde sehr bald mit voller Wucht zuschlagen. Amaya spürte es ganz genau.

Sie hörte sich nicht mehr denken, sie sah zu, wie ihr Verstand diese Erkenntnis formte – Kontur um Kontur, Nuance um Nuance wurde sie klarer; erst nur ein Schatten, dann eine Silhouette. Je klarer die Erkenntnis wurde, desto mehr verschwammen die stumm schreienden, sterbenden, fliehenden Menschen um sie. Sie verblassten einfach, als würde („Unser Taichō möchte nur eine kleine Angelegenheit mit euch besprechen.“) eine unsichtbare Hand sie ausradieren.

„Ich. Bin. Gefangen“, murmelte Amaya ein drittes Mal.

Jedes Wort für sich genommen hatte Inhalt und Bedeutung, doch sobald Amaya versuchte, sie in einen Zusammenhang zu setzen, verloren sie jeden Sinn. Sie verkamen zu einer Aneinanderreihung von („Und was sollen dann die Fesseln?“) willkürlichen Silben, einem Kauderwelsch genauso unsinnig wie 'dorkileb' oder 'telinaram'.

Amaya keuchte auf: die Farben um sie herum bluteten aus. Sie flossen („Fugaku, du hast dreißig Sekunden Zeit, um das hier zu erklären!“) einfach vom Himmel, den Bäumen, den Häusern und der Erde. Zurück blieb ein schwarz-weißes Gitter von Formen, deren Umrisse nur noch mit großer Fantasie an das erinnerten, was sie („Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, so mit mir zu reden, Tsume.“) zuvor gewesen waren.

Nur der Himmel über ihr wurde nicht Schwarz oder Weiß. Er färbte sich Rot. Blutrot. Granitgraue Wolken zogen wie im Zeitraffer über die blutrote Fläche hinweg.

Die Erkenntnis schlug zu. „Gen-Jutsu!“, stieß Amaya beinahe tonlos hervor. „Ich bin gefangen! Gen-Jutsu! Verdammt!“

Am blutroten Himmel, jenseits der fliehenden Wolken regte sich etwas – Augen? Ja, Augen! Blinzelnde Augen. Blinzelnde Sharingan-Augen, die sie drohend („Wo ist der Hokage?“) anstarrten.

Amaya wich einen Schritt zurück. Ihr Fuß trat ins Leere. Sie stürzte und fiel unendlich tief in einen schwarzen Tunnel, dessen triefende Wände aus bröckelnden („Verhindert.“) Ziegelsteinen bestand.

Sie verschwammen, der blutrote Himmel mit den drohend starrenden Sharinganaugen und das schwarz-weiße Gitter von Formen; sie zogen sich in einem winzigen Punkt in der Ferne zusammen. Alles Licht schwand.

Gen-Jutsu!, schrie Amaya sich stumm an. Ich falle nicht! Nicht wirklich! Das ist nur eine Geistestäuschung, eine verdammte Illusion. Aufwachen. Ich muss aufwachen.

Als Amaya das dachte, drehten sich die Gesetzte der Physik („Er hat uns überhaupt nicht hergerufen, oder?“) plötzlich um: anstatt zu fallen, stieg sie empor. Sie stieg schnell, wie eine menschliche Luftblase, für die es auch aus den dunkelsten Tiefen („Gut beobachtet.“) des Ozeans nur ein Ziel gab – die Oberfläche.

In der Finsternis sah Amaya Nebel, hinter dem ein bläulicher Schimmer glomm.

Die trüben Schwaden manifestierten für ihren Verstand die Grenze („Was willst du von uns, Fugaku?“) zwischen Illusion und Realität; die Membran, die ihr Geist durchdringen musste, um an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu gelangen.

Amaya tauchte in den Nebel ein und glitt durch ihn hindurch. Er fühlte sich zäh an, schleimig („Die Kontrolle über dieses Dorf.“) wie Gelee, sodass sie nicht atmen konnte.

Licht – ich muss zu dem Licht.

Der bläuliche Schimmer leuchtete heller. Seine Strahlen drangen in die Pupillen von Amayas geistigem Auge ein, durchstießen die Netzhaut und glitten an ihrem Sehnerv entlang direkt in ihr Gehirn. Hier, im Zentrum ihres Verstandes, explodierte das Licht. Es drang in jede ihrer Hirnwindungen ein, erhellte ihren Geist und überstrahlte die grausigen Bilder, die er zu sehen glaubte.

Amaya riss die Augen auf. Ihre Brust („Was soll das bedeuten?“) spannte sich, als sie nach Luft schnappte. Die Membran war durchstoßen. Die Realität hatte sie wieder: „Es bedeutet, dass Konoha morgen früh entweder von den Uchiha angeführt wird, oder aber in Trümmern liegt.“
 

 
 

VII

Hello, hello, hello, how low?

Hello, hello, hello, how low?

Hello, hello, hello, how low?

Hello, hello, hello

[Smells like Teen Spirit - Nirvana]
 

Shuu-hu-mlnn-shu-hu-u-u...

Shisui lag flach auf dem Bauch; getragen von Kälte, die im Schritt zwickte und seine Brustwarzen hart machte. In seiner Vorstellung sah er die verwackelten Umrisse seines Körpers unter der schaumigen Gischt von tanzenden Wellen hervorschimmern: er hielt seine Arme so weit nach vorne ausgestreckt wie es ihre Länge zuließ. Die Innenflächen seiner Hände lagen wie zum Gebet platt aneinander, sodass seine Daumen nach Oben wiesen und seine Fingerspitzen einen Keil formten, der zu seinen Schultern hin breiter wurde. Seine Zehen reckten sich in die entgegengesetzte Richtung.

Aus der Vogelperspektive betrachtet musste er aussehen wie ein menschlicher Pfeil.

Aber abgesehen der Tatsache, dass er dahinglitt, hatte Uchiha Shisui nichts mehr mit einem schnellen, zielstrebigen Pfeil gemeinsam... nichts mehr.

Inzwischen war Uchiha Shisui nur noch ein Stück bleiches, nacktes Fleisch, das in der scheinbaren Unendlichkeit kalter, schwarzer Nässe trieb.

Nässe, die wie Wasser aussah, sich so anfühlte und die er deshalb auch so nannte, aber mit Sicherheit keines war: sie schmeckte bitterer als Galle und brannte entsetzlich

Shisui drehte seine Handflächen nach außen und zog die Arme zurück. Sie beschrieben einen Kreis und verdrängten die kalte, schwarze Nässe, die er Wasser nannte, obwohl sie keines war.

Gleichzeitig zog er die Knie in Richtung Oberkörper und ließ den Oberschenkel in der Hüfte auswärts rotieren.

Lass' es. Genug. Es ist zu spät.

Shisuis Handflächen berührten sich vor seiner Brust – platt aneinander. Wie zum Gebet.

Die Bewegung von Armen und Beinen trieb seinen Körper an die Wasseroberfläche. Sein Oberer Rücken durchdrang sie zuerst, bevor auch sein Hals und zuletzt sein Kopf auftauchten.

Shuu-hu-shu-hu-u-u...

Eine kalte Böe fegte über seine Schultern hinweg und verbiss sich in seinem Nacken. Die Haut in seinem Gesichts spannte sich, sodass Shisui glaubte, sie würde zerreißen. Nur mühsam gelang es ihm, den Mund zu öffnen, um Luft zu holen und konnte nicht anders, als mit ihr er auch etwas von dem Wasser einzusaugen.

Es triefte über seine Lippen und jeder Tropfen, der hinter seine Zähne gelangte, schien sich wie glühend heißes Eisen erst in die Schleimhäute seiner Mundhöhle zu fressen, um anschließend in seiner Kehle zu versickern.

Shuu-hu-mlnn-shu-hu-u-u...

Mit schiefen Tönen umpfiff der Wind Shisuis Ohren, denn der Winkel, in dem die Windstöße auf die brechenden Wellen trafen, bestimmte die Tonhöhe ihres Heulens. Die Willkür hatte ein grauenvolles Ohr für Melodik.

Mlsh-nnnn-huu-u-shu...

Shisui zog das Kinn Richtung Brust und während sein Kopf abtauchte, schob er seine Arme dem finsteren Wasserwiderstand entgegen und stieß seine Fußsohlen nach hinten weg. Zehen und Fingerspitzen reckten sich wieder in entgegen gesetzte Richtungen. Die kalte, schwarze Nässe zog an ihm vorbei. Shisui glitt dahin.

Du hast Schmerzen. Du bist müde. Du kannst nicht mehr. Warum wehrst du dich da noch? Lass' doch einfach los.

Eine Wolke von sprudelnden Blasen blubberte an Shisuis Gesicht vorbei, als er ausatmete. An der Oberfläche einige Zentimeter über seinem Kopf zerplatzen sie und wühlten das Wasser so sehr auf, dass es ihm die Sicht nahm.

Es zersetzt dich. Spürst du das nicht? Du löst dich auf!

Die Stimme hinter Shisuis Stirn wurde allmählich lauter. Ihm war klar, dass da sein eigener, schwindender Wille sprach. Und, verdammt noch mal, der Mistkerl hatte recht: das Wasser hatte ihm tatsächlich schon sein rechte Auge weggeätzt (obgleich ein Teil von Shisui sehr genau wusste, dass er es auf eine andere Weise verloren hatte – aber das war einerlei: weg ist weg).

Es wird aufhören, sobald du aufhörst. Also, hör' auf! Hör' auf und lass' es einfach zu.

Armzug-Beinschlag. Auftauchen. Beißender Wind. Shuu-hu-shu-hu-u-u... Einatmen. Shuu-hu-mlnn-shu-hu-u-u... Wasser im Mund. Brennen in der Kehle. Shuu-hu-mlnn-shu-hu-u-u... Untertauchen. Ausatmen. Sprudelnde Blasen. Gleiten. Armzug-Beinschlag.

Wo schwimmst du hin? Zu Itachi? Glaubst du, du findest ihn hier draußen? Glaubst du, du könntest ihn noch rechtzeitig warnen? Was willst du ihm sagen, hm? Dass er die Sache in die Hand nehmen muss, weil du versagt hast? Junge, sieh's ein: es ist zu spät! Du hast getan, was du konntest. Jetzt lass' es gut sein. Es ist genug – genug der Zweifel, genug der Opfer, genug des Sträubens. Geh' einfach! Gehe reinen Gewissens, denn auch wenn du versagt hast, trifft dich keine Schuld. Bewahre dir einen Funken Frieden. Du verdienst diesen Frieden.

Und das war er – der Moment, in dem auch der letzte Teil von Shisuis kämpfenden Geist nicht mehr kämpfen wollte.

Er hörte einfach auf... Ließ los... Wusste, dass es geschehen würde...

Seine Muskeln erschlafften. Eine Welle erfasste seinen Körper und wirbelte ihn mehrmals im Kreis herum. Die Welt verlor ihre Form: oben, unten, links, rechts; Norden, Süden, Osten, Westen – all das existierte plötzlich nicht mehr. Mehr noch; es war viel mehr so, als hätte nichts davon jemals existiert.

Shisui schloss die Augen und lächelte. Er vergaß. Das war gut, das war tröstlich.

All die Zweifel, als die Opfer, all das Sträuben – einfach vergessen. Vergessen. Vergessen. Vergessen?

Was bedeutet dieses Wort?

Während er noch darüber nachdachte, spürte Shisui dumpf, wie der Sog der Wellen ihn in die Tiefe zog und er nach sehr langer Zeit auf losem, sandigen Grund liegen blieb.

Das Wasser zwängte sich in seine Nasenlöcher, kroch durch die Nasenhöhle in seinen Rachen und floss hier in Luft- und Speiseröhre. Magen und Lunge liefen voll wie ein gefluteter Keller.

Genug ist genug. Shisui war froh, dass es vorbei war.

Doch das war es noch nicht: ein Mund wurde über seinen gestülpt, der warm, weich und trocken war. Der Atem aus diesem Mund drang tief in Shisuis ein, blies seine Kehle hinunter und verdrängte das Wasser aus seiner Lunge, sodass die sich aufblähen konnte.

Die Penetration des fremden Atems endete. Die warmen, weichen, trockenen Lippen zogen sich zurück. Dafür bohrte sich etwas Festes in Shisuis Brustkorb und wippte gegen das Xylophon seiner Rippen. Sie knirschten. Die Luft entwich ihm wieder durch Mund und Nase.

Atme, rief eine Stimme, von der Shisui genau wusste, dass sie nicht aus seinem Kopf stammte.

Die Lippen senkten sich wieder herab. Der Atem blies wieder seine Kehle hinunter. Shisui schmeckte ihn auf seiner Zunge: eine Spur von Blut, ein Hauch von Fisch, ein bisschen Ingwer und das Salz von Sojasauce. Etwas ekelte er sich davor, aber der Ekel wurde schnell von erleichtertem Staunen verdrängt: Ich schmecke etwas.

Atme, forderte die unsichtbare Stimme wieder. Sie klang, als würde sie keinen Widerspruch dulden.

Shisuis Rippen knirschten wieder. Die Luft entwich.

Er spürte ein leichtes Stechen, dessen Ursprung er nicht lokalisieren konnte. Über seinem Kopf rauschte das Wasser und obwohl Shisui es nicht sah, wusste er doch, dass es zurückwich: das Rauschen glich dem in einem Abfluss, wenn man den Stöpsel aus einem Becken zieht. Der Wasserspiegel sank.

Mach' schon! Atme!

Shisui versuchte es, aber noch ehe er recht damit anfangen konnte, drückten sich die unsichtbaren Lippen zum dritten Mal auf seine. ffffffffff – machte die Luft, als sie seinen Rachen hinab kroch.

Als der Mund dieses dritte Mal von seinem weggenommen wurde, entwich der fremde Atem nicht einfach, sondern wurde von Shisui ausgestoßen. Gierig sog er frischen Sauerstoff ein.

Shisui wartete darauf, dass seine Brust sich wieder von allein hob und senkte, wie sie es sein ganzes Leben getan hatte. Doch sie blieb starr. Also schnappte er ein weiteres Mal hektisch nach Luft und dann, endlich, atmete er wieder von selbst. Er tat es keuchend, beinahe hechelnd, aber er tat es.

Das Wasser versickerte...



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