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Lieben und geliebt werden

von

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Ein Kindermädchen

Gilbert stieg eine leichte Röte ins Gesicht, als er einen flüchtigen Blick aus dem Fenster erhaschte. Da spazierte sie wieder – dieses engelsgleiche Geschöpf, das vor anderthalb Monaten hier auf dieses Anwesen gebracht wurde. Sie war mehr tot als lebendig gewesen, aber dank der Fürsorge von Lady Oscar und der medizinischen Behandlung von diesem wundersamen Doktor Lasonne, blieb sie am Leben. Es hatte lange gedauert, bis sie auf die Beine kam und zu sich selbst wieder fand. Dennoch verlor sie kaum ein Wort und lächelte nie. Sie war stets in sich versunken und manchmal nur das helle Lachen der knapp zwei Monate alten Zwillinge konnte ihr ein seligen Glanz in ihren trüben, haselnussbraunen Augen entlocken. So, als fände sie langsam bei den Kindern ihren Frieden. Gilbert wusste nicht viel von ihr, außer dass ihr Bräutigam sie sitzen gelassen hatte und sie deshalb nicht mehr leben wollte. Wegen eines verarmten Adligen, der sich für eine reichere Frau entschieden hatte?

 

Gilbert seufzte. Das würde er nie verstehen. Das engelsgleiche Wesen lief da draußen wie ein Geist ohne ihn am Fenster wahrzunehmen, unter den fast kahlen Bäumen des Gartens, in Begleitung ihrer Mutter und Gilbert stellte sich vor, wie die gefallenen, bunten Blätter unter ihren Füßen raschelten.

 

„...wir können gleich damit beginnen. Gilbert, du kannst gleich ein paar Botengänge für uns erledigen, da wir in die Kaserne aufbrechen müssen“, hörte er mit halben Ohr zu, aber konnte sich nicht gleich vom Fenster losreißen. „Gilbert! Hörst du mir überhaupt zu?!“ Erst der erhöhter Ton in der Stimme ließ ihn zusammenfahren. „Bitte verzeiht, Lady Oscar...“, entschuldigte er sich geknickt.

 

Oscar baute sich vor ihm turmhoch auf und verzog noch strenger ihr Gesicht. „Was ist mit dir in letzter Zeit los?! Du bist anderweitig in irgendwelchen Gedanken und verpasst die Hälfte deiner Aufgaben! Wenn du nicht daran teilnehmen willst, dann musst es du es nur sagen! Ich zwinge niemanden zu etwas und du kannst jederzeit nach Arras zurückkehren, wenn du willst!“

 

„Ich gelobe Besserung, Lady Oscar, ich schwöre es...“ Das klang nicht gerade überzeugend und eine Schamröte verbreitete sich noch dazu über sein ganzes Gesicht.

 

„Oscar, komm ganz kurz her...“ André hatte derweilen aus dem Fenster geschaut und ein wissendes Lächeln umspielte dabei seine Lippen. „Ich glaube den Grund seiner geistigen Abwesenheit zu kennen...“

 

Oscar schob Gilbert etwas zur Seite und stand schon mit wenigen Schritten an der Seite ihres Mannes am Fenster. Ihr streng verzogener Gesichtsausdruck verwandelte sich augenblicklich in Mischung aus Staunen und Geistesblitz. „Jetzt wird mir auch alles klar...“ Sie wandte sich an den jungen Mann wieder, der aus Scham und Verlegenheit bereits in Grund und Boden versank. Ihre Mundwinkel zogen sich sogleich leicht nach oben. „Warum sagst du uns nicht gleich, dass du verliebt bist?“

 

„Ich... ähm...“ Gilbert suchte verzweifelt nach einer passenden Ausrede. Dann richtete er sich plötzlich auf und wirkte entschlossener, als gerade eben. „Es gibt doch so vieles zu tun und deswegen bleibt für so etwas keine Zeit, Lady Oscar.“

 

„Da hast du nicht unrecht.“ Oscar wurde wieder ernst. „Im Grunde genommen ist das die Sache zwischen dir und Diane. Sie ist ein gutes Mädchen und deines Alters, aber lass ihr noch Zeit. Und nun zurück zum Wesentlichen: Wie ich bereits sagte, sind die Staatskassen leer und die Missernte wird den armen Menschen im Winter das Leben noch schwerer machen. Zum Glück sind unsere Kornspeicher noch genug gefüllt – wie auch hier, so auch in Arras und in der Normandie. Das wird uns noch eine Weile über die Runden halten können. Deswegen ist deine Aufgabe nach Arras zu reiten und dich mit dem Wirt in meinem Namen in Verbindung zu setzen und alles genauer zu überprüfen, was wir noch haben, was wir teilen können und was wir für uns brauchen zum Überleben. Alles klar soweit?“

 

„Jawohl, Lady Oscar, ich bin schon auf dem Weg!“ Gilbert salutierte, verneigte sich und war schon fort.

 

„Er ist ein zuverlässiger und guter Junge“, meinte André im Hintergrund und schaute weiterhin aus dem Fenster. „Und Diane ist ein bezauberndes Mädchen. Obwohl sie nichts im Vergleich zu dir ist, aber trotzdem wünsche ich ihr vom Herzen, dass sie wieder glücklich wird.“

 

Oscar verstand und stand wieder an seiner Seite. „Und Gilbert wäre deswegen eine gute Partie für sie.“

 

„Ich fürchte, da würde Alain nicht mitspielen.“, seufzte André. „Nachdem seine Schwester dem Tod knapp entkam, ist er ziemlich wortkarg geworden und niemand wagt mehr Diane in seiner Gegenwart zu erwähnen, weil er gleich Fäuste sprechen lässt. Ich hoffe das vergeht bald, sonst verliert er die Freundschaft und Gefolgschaft seiner Kameraden.“

 

„Ich werde mit ihm bei einer günstigen Gelegenheit sprechen.“ Oscar musste ihrem Mann recht geben. Auch wenn sie bezweifelte, dass Alain auf sie hören würde, trotzdem dürfte die Kameradschaft zwischen ihm und den Söldnern wegen Diane nicht in Frage gestellt werden. Denn es brachen schwere Zeiten an und eine zerstrittene Kompanie wäre gerade fehl am Platz. Heutzutage müssten alle zusammenhalten, wenn sie weiter kommen und vieles erreichen wollten.

 

Leise öffnete sich die Tür zu ihrem Aufenthaltssalon und als das Ehepaar sich umdrehte, kam Rosalie auf sie zu. „Lady Oscar. André. Eure Kinder sind satt und zufrieden eingeschlafen.“

 

„Danke dir, Rosalie.“ Oscar lächelte gütig. „Ich weiß gar nicht, was wir ohne dich gemacht hätten.“

 

„Ihr braucht mir nicht zu Danken. Im Gegenteil, ich habe zu danken. Es ist mir eine Freude, hier bei euch wieder zu sein und mich um eure Kinder zu kümmern.“ Rosalie bekundete diese Freude mit einem reinen Lächeln und erhaschte einen Blick aus dem Fenster. „Arme Diane... Ich frage mich manchmal, was schlimmer ist, zuzusehen wie jemand stirbt oder dem Tod selbst zu entkommen...“

 

„Rosalie!“ Oscar sog erschrocken die Luft an. „Sage nicht so etwas! Beides ist schlimm genug, um die anderen, liebenden Menschen traurig zu machen!“

 

„Ihr habt recht, Lady Oscar, bitte verzeiht mir...“ Rosalie ging näher ans Fenster heran. „Aber ja, schon gut...“, hörte sie Lady Oscar im versöhnlichen Ton sagen und legte ihre Handfläche an die Glasscheibe. „Vor ein paar Tagen sagte mir Diane...“

 

„Was?“, unterbrach das Ehepaar sie im Chor. „Diane sagte?“, meinte überrascht André und Oscar ergänzte ebenso verwundert: „Du meinst, Diane hat gesprochen?“

 

Rosalie lächelte leise. „Ja, vor wenigen Tagen beschäftigte sie sich mit einem eurer Kinder, während ich das andere Stillte. Das Kind in ihren Armen war sehr fröhlich und sie sagte dabei, dass, wenn sie die Zwillinge sieht und mit ihnen spielen darf, dann vergisst sie ihre Trauer und will weiter mit ihnen spielen und sie fröhlich aufwachsen sehen. Aber das kann sie nicht, weil sie irgendwann gehen muss...“

 

„Wer hat gesagt, dass sie gehen muss?“, wunderte sich Oscar.

 

„Niemand, Lady Oscar. Das waren nur ihre Gedanken, die sie laut ausgesprochen hatte und danach kam wieder kein Wort von ihr...“

 

Oscar sah zu André, verständigte sich mit ihm mit einem stummen Blickwechsel und dann sagte sie zu Rosalie: „Diane kann mit ihrer Mutter hier auf dem Anwesen so lange wohnen wie sie wollen, und auch mit den Kindern spielen, wenn es ihr eine Freude bereitet und sie dadurch ins Leben zurückkommt. Ich werde das so veranlassen, dass ich ein neues Dienstmädchen und ein Kindermädchen für die Zwillinge eingestellt habe. Ich denke, das wird kein Problem sein und so kannst du es Diane ausrichten.“

 

„Das wird sie bestimmt erfreuen.“ Rosalies Mundwinkeln zogen sich noch mehr nach oben und ihre Augen glänzten freudig. Sie konnte es nicht verbergen, dass sie Diane bereits ins Herz geschlossen hatte und ihr gerne geholfen hätte, ihr das Leid zu mindern. Und nebenbei ihr eigenes ganz zu vergessen.

 

„Das werde ich dann auch Alain sagen, wenn wir in der Kaserne sind.“, fügte André hinzu.

 

„Ja, das kannst du machen. Vielleicht würde diese Neuigkeit ihm bessere Laune bringen.“ Oscar hakte sich kurz bei ihrem Mann ein. „Und jetzt verabschieden wir uns von unseren Kindern und brechen endlich nach Paris auf.“

 

So zog Diane und ihre Mutter bei Oscar endgültig ein – als ein neuer Personal und Kinderfrau für die Zwillinge versteht sich. Der jungen Frau ging es von Tag zu Tag immer besser – die Beschäftigung mit den kleinen Kindern half ihr das Erlebte immer mehr zu verdrängen, aber die Zeiten selbst wurden immer schwieriger: Aufstände flammten zunehmender auf, die Kutschen der Adligen wurden überfallen und kein so erhabener Mensch war in Paris mehr sicher.



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