Zum Inhalt der Seite

Perfect little liars

wie wir waren und wie wir immer sein werden
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß nicht, wie gut mir dieses Kapitel gelungen ist. Ich habe mir jedenfalls die größt, erdenkliche Mühe gegeben, das Ganze mit dem adeligen Hintergrund zu beleuchten und die Situation angemessen darzustellen xD
Also viel Spaß dabei... Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Machtspielchen

Bevor der Captain auch nur ansatzweise Worte an seinen Kollegen Gonzales richtete, schaute er aus dem Fenster. Alles war ruhig. Die Soldaten verrichteten ihre ihnen aufgetragene Arbeit und auch ansonsten war absolut niemand in der Amtsstube. Der Kommandant und der Leutnant machten ihre geheimen Pläne in ihrem stillen Kämmerlein, stets ungestört. Eigentlich waren sie ganz genauso.

„Ich habe Sie hergebeten, Gonzales, um ganz offen und ehrlich mit Ihnen sprechen zu können.“ Der Ältere arbeitete gerne mit dem Dicken. Ganz zum Gegenteil zu Gabriel oder Raymond, die dem Mann rein gar nichts zutrauten. Man musste ihn nur richtig leiten, dann war er durchaus mehr als brauchbar. Er hatte jedenfalls keinen Grund, ihn pausenlos anzuschnauzen und zu schikanieren. Er nahm sich solcher angeblich schwierigen Leute gerne an.

„Das wird kein Dienstgespräch, ich interessiere mich für Ihre Meinung. Dieses Gespräch sollte nicht nach außen dringen. In der Sache kann ich Ihnen ja vertrauen, nicht wahr?“

Gonzales hatte seine Füße hochgelegt und saß am Tisch, dabei polierte er seinen Degen, was ab und zu einfach notwendig war. Bisher hatte er seinen Vorgesetzten nicht angesehen und sich auf das Polieren konzentriert, doch bei der Ansage musste er ihm einfach einen Blick schenken. Es sah dem Oberst nicht ähnlich, so etwas zu sagen. Jedenfalls hatte er es bisher nie getan. „Hier findet man längst kaum noch jemandem, dem man vertrauen kann und sollte“, fing er an, „manchmal habe ich sogar das Gefühl, meine eigenen Leute betrügen mich und selbst ein Bandit würde einem eher die Hand reichen, statt einen hinterrücks zu ermorden. Ich bin mir meiner mangelnden Beliebtheit bewusst. Die Soldaten finden empfinden mich als Ungeheuer, dabei mache ich nur meine Arbeit, wie es sich gehört. Sie nehmen nur ungern Befehle von mir an, aber wenn sie es müssen, tun sie es wahrscheinlich aus Angst, nur um dann im erstbesten Moment beim Kommandant vorzusprechen, dass ich zweifelhafte Befehle gebe.“ Man wollte ihn loswerden. „Aber nicht nur die einfachen Soldaten. Viel gefährlicher noch ist Gabriel. Er nutzt jede Gelegenheit um sich beim bei meinem Vorgesetzten einzuschleimen, dazu benutzt er sogar mich. Es wäre nicht das erste Mal, dass er mich anschwärzt. Es bleibt mir also keine andere Wahl, als entweder nur auf mich selbst zu vertrauen, oder jemanden einzuweihen. Nun, ich bin Einzelgänger wenn es sein muss, aber ich hasse Alleingänge. In meiner Zeit in Spanien habe ich gelernt, dass ein einzelner Mann niemals gegen eine Truppe angehen soll. Und unsere feinde sind leider zahlreicher. Können Sie mir so weit folgen, Gonzales?“

Der dickere Mann verstand den Missmut des Oberst, legte sein Schwert beiseite und dachte ernsthaft darüber nach, wie er ein aufmunterndes Wort sprechen konnte. „Ich war immer allein gegen alle. Selbst die einfachen Soldaten missachten so manches Mal meine Befehle, aber dass sie das bei Ihnen auch tun, ist eine Frechheit. Es stimmt, dass man hier niemandem trauen kann… Manchmal braucht man einfach jemanden, den man vertrauen kann. Sie können sich sicher sein, dass alles, was Sie mir sagen, nicht weiter getragen wird. So etwas ist gemein, das macht man nicht.“ Er war fair und ehrlich, genauso wie Diego. Deswegen war er sein guter Freund. „Meistens plappere ich in der Taverne mit Don Diego… Ich weiß, dass man so etwas nicht machen sollte und ich entschuldige mich. Aber manchmal weiß ich nicht, wohin mit meinem Leid. Also klage ich ihm mein Leid bei einem Glas Wein, oder bei vielen Gläsern Wein.“

„Aha.“ Der Oberst verschränkte die Arme und schloss geheimnisvoll die Augen. „Und da denken Sie so ein harmloser Kerl wie Diego, dem kann man vertrauen und alles erzählen… So ist es doch, oder?“

Es gab kaum jemand vertrauensseligeres, fand Gonzales. „Genau. Diego würde mich niemals beim Kommandant anschwärzen, was hätte er davon? Werden Sie das melden, Oberst?“ Er schwitzte, denn es war sehr unklug gewesen, dies so anzusprechen, auch wenn es Jekyll ähnlich ging. „ich wusste nicht, dass es Ihnen genauso geht, dann hätte ich mich eher mit Ihnen unterhalten.“

„Das mag sein, dass Diego nichts davon hätte, Sie anzuschwärzen, aber was wenn…?“ Er sah dem jungen Sergeant direkt in die Augen und sprach zunächst nicht weiter… „Lassen Sie es mich so ausdrücken… Was wäre wenn Diego Zorro wäre?“

Jekyll legte die Karten auf den Tisch, sprach nicht in einer heimtückischen Weise, sondern konfrontierte sein Gegenüber mit seinem zwar haltlosen Verdacht, aber ganz unbegründet war dieser nicht. Umso schlimmer war es, als nun Gonzales schallend zu lachen begann.

Doch der Oberst lachte nicht mit ihm, er blieb todernst und es dauerte zwar einen kleinen Moment, aber der Dicke merkte bald, dass Jekyll dies nicht so komisch fand, wie er. „Also wenn Diego Zorro ist, dann bin ich der König von Spanien“, scherzte er, doch noch immer trat noch nicht einmal ein Grinsen auf das Gesicht des Älteren.

„Jetzt wirklich im Ernst? Wie kommen Sie auf so eine absurde Idee? Diego ist der harmloseste Zeitgenosse, den man weit und breit findet. Seine Künste mit dem Degen entsprechen denen eines Tölpels. Er verletzt sich eher selbst als seinen Widersacher. Er könnte nie so…“ Gonzales verstummte und begriff nun langsam, worauf sein Vorgesetzter hinaus wollte. „…Aber es würde bedeuten, dass ich immer all unsere Pläne an Zorro verraten hätte. Sie haben natürlich Recht. Es war dumm von mir.“

Er stand auf, stellte sich kerzengerade vor dem Oberst und salutierte. „Ich bitte untertänigst um Verzeihung!“ Er war sich seines Fehlers durchaus bewusst, doch dann trat ein bekümmerter Ausdruck auf sein Gesicht. „Manchmal habe ich bewusst die Pläne unseres Kommandanten verraten. Einige Male sagte ich sogar zu Diego, ich würde hoffen, dass Zorro kommt… Immer dann, wenn ich etwas als unrichtig empfand. Der Kommandant ist, mit Verlaub, ein Tyrann, den man stoppen muss.“ Es war seine ehrliche Meinung und er hoffte einfach, dass Jekyll dies verstand, wo er den Kommandant selbst nicht gerade gut leiden konnte.

„Ich mache Ihnen keinen Vorwurf deswegen. Ich selbst ermittle gegen meine eigenen Leute. Das ist genauso schlimm!“ Er drehte sich herum und sah erneut aus dem Fenster. „Das darf keiner wissen! Aber ich vertraue dir. Ich weiß, dass ich das kann.“ Er hatte eine gute Menschenkenntnis. „Wenn ich Zorro vertrauen kann, dann dir doch erst recht.“ Er hasste es, die Sache von dieser Seite zu sehen. „Das soll nicht heißen, dass ich es gutheiße, was er macht. Aber ich finde auch nicht, dass man ihn hinrichten sollte, deswegen hoffe ich eigentlich, dass er davon kommt. Solange, bis man hier tatsächlich von Gerechtigkeit sprechen kann. Das, was der Kommandant macht… das ist keine.“

Jekyll drehte sich zu seinem Kollegen herum. „Aber was wäre, wenn er Zorro wäre? Denkt bitte ernsthaft darüber nach.“

„Aber er ist nicht Zorro!“ lachte Gonzales. „Niemals ist dieser Feigling ein Freiheitskämpfer. Das passt doch überhaupt nicht zu ihm.“ Es passte nicht, es passierte überhaupt nicht, kein bisschen passte es. „Aber Lolita, die wäre überglücklich, wenn Diego der berüchtigte Zorro wäre. Sie würde jubeln und na ja… ihn küssen vor Glück.“ Er dachte wirklich darüber nach, wie ihre Reaktion ausfallen würde, dabei schaute er einmal zur Decke und rollte die Augen. „… Es ist absurd wahrscheinlich, aber dann müsste er sich nicht mehr so anstrengen, sie für sich zu gewinnen.“

Jekylls Gesicht verdunkelte sich und er bedachte den Jüngeren mit einem äußerst traurigen Seitenblick. „Glaubst du das wirklich?“ Beinahe war Gonzales wie ein kleiner Junge, in kindlicher Naivität ging er davon aus, dass Lolita sich wünschte, Zorro wäre ihr Freund Diego… Er hingegen sah es ernsthaft.

„Das wäre sehr töricht von ihr… Man wird ihn mit dem Tode bestrafen, wenn man ihn fängt. Sie ist ein kluges Mädchen. Ich für meinen Teil denke, sie ist Zorro gar nicht so hörig, wie man denkt. Ich denke, sie weiß sehr wohl, dass Diego die bessere Partie für sie ist…“

Gonzales blinzelte und sah dann runter. „Von der Seite habe ich es nie betrachtet.“ Aber auch ihn machte der Gedanke traurig, was man mit Zorro anstellen würde, sollte man ihn je kriegen. „Jetzt verstehe ich das ganze Theater endlich. Sie hat eingesehen, dass es so besser ist. Die ganze Zeit hatte ich Tomaten auf den Augen. Das würde endlich erklären, warum sie sich so sehr verändert hat. Sie scheinen ein Herz und eine Seele zu sein.“

„Es bleibt ihr wohl kaum etwas anderes übrig. Sie weiß, dass auf Zorro der Galgen wartet, auch wenn sie immer noch hofft, dass man ihn nie erwischt.“

Es war immer noch ein Verdacht, aber er bekam ihn nicht los, egal was Gonzales darüber dachte. „Dennoch… Es gibt einige Indizien dafür, dass Zorro in engem Kontakt mit Lolita steht und auch mit DIR. Viele Menschen kommen dafür nicht in Frage. In meinen Augen ist Diego ein ganz großer und begnadeter Schwindler, der dich ausnutzt. Wenn er nicht selbst Zorro ist, dann kennt er ihn. Für einen Mann, der Lolita anscheinend liebt, bleibt er viel zu ruhig. Und jetzt erzähle mir ja nicht, dass Don Alejandro es schon richten und dafür sorgen wird, dass die Hochzeit zustande kommt… Das ist Unfug und das weißt du.“

Gonzales merkte, dass Jekyll tief in sich gerade aufgetaut war und sie sich nun duzten. Aber es war wirklich schön zu wissen, dass er nun einen zweiten Freund hier in der Stadt hatte, dem man anscheinend vertrauen konnte. Er wollte Diego weiterhin vertrauen, denn wenn er wirklich Zorro kannte und ihm alles verriet, dann war es ihm gerade nur recht. Es war nicht so, dass er nie bemerkt hatte, wenn er Diego etwas sagte, dass Zorro es wusste. Manchmal machte er das sogar ziemlich bewusst und absichtlich.

„Falls es ein nächstes Mal gibt und Gefahr im Verzug ist. Sollte Diego irgendwo in der Nähe sein, dann halte ihn davon ab, wegzulaufen. Und dann schauen wir mal, ob Zorro dann auch auftaucht.“

Gonzales schluckte und ihm lief der eiskalte Schweiß von der Stirn. Er hoffte natürlich, dass Zorro auftauchen würde… und irgendwie hatte er mächtig Schiss davor, so etwas zu tun. Es klang geradezu, als wollte der Oberst ihm eine Falle stellen.
 

Sie hatten ihr Gespräch nicht weiterführen können, weil Gabriel wenig später Jekyll mitteilte, dass der Kommandant nach ihm schickte… Und sie wussten im Grunde, dass das nie etwas Gutes zu heißen hatte…

Aber dieses eine Mal war es keine Rüge, kein Auftrag, sondern eine Einladung zu einem Fest. Jekyll überlegte, wie er sich wohl geschickt aus der Affäre ziehen konnte, um drum herum zu kommen. Aber der Kommandant befahl ihm am Ende anwesend zu sein. Der Kommandant zog ihn ab, als Patrouille, nicht gar nur als Gast. Sie sollten anwesend sein, da die vornehmen Leute in voller Pracht erscheinen würden. Es gab also für die Banditen dieses Landes jede Menge zu klauen. Ganz unrecht hatte der Mann nicht, aber es missfiel ihm dennoch für die Reichen den Beschützer zu spielen, während sie so viel wichtigere Dinge zu tun hatten, als deren Klunker vor dem Diebstahl zu schützen. Aber Raymond teilte auch sein Amüsement mit und spottete dabei nicht wenig, da es sich um eine Feierlichkeit der reichsten und adeligsten Familie handelte. Eine der de la Vegas. Noch dazu eine förmliche, mit einem Anlass, der ihn einfach schmunzeln ließ. Endlich bewies dieser Taugenichts von Sohn, dass sein Vater Macht besaß und diese Macht nun endlich Anwendung fand… Man konnte von Zwingen, oder gar Erpressen sprechen. In seinen Augen jedenfalls. Sonst würde dieses eigenwillige Weibsbild Lolita Pulido niemals freiwillig die Braut für Diego spielen… Er spottete auch ein wenig darüber, dass man Leutnant Gabriel zu dieser Farce von Verlobung eingeladen hatte. Er sollte ja gut aufpassen, dass der junge Leutnant nicht der Kragen platzte und er Diego am Ende erwürgte… Aber es war eine Sache der Höflichkeit, der Einladung des Dons nachzukommen.
 

Es wurde jede angesehene Familie von Los Angeles anwesend sein, nein nicht nur das. Einige würden von weit her anreisen, um dieser Feierlichkeit beizuwohnen, wie es sich schickte. Sie würden aus allen Teilen Kaliforniens anreisen. Menschen, die sie wahrscheinlich einmal im Leben gesehen hatten, wie auch immer. Eigentlich hasste Diego solche Feierlichkeiten, aber heute gab er sich besonders Mühe, wirklich gut auszusehen. Sich so sehr rausgeputzt hatte er noch nie. Nur dieses eine Mal würde er Gebrauch davon machen, seine aristokratische Seite zu zeigen, dazu gehörte ebenfalls seine teuerste Kleidung zu tragen. Diese durfte nicht einmal einen Knick aufweisen. Zwei junge Männer und eine dritte Person, eine junge Frau wuselten um den jungen Herrn herum und achteten darauf, dass alles wie angegossen passte und auch schön glänzte. Nicht umsonst hatte er ein seidenes Jackett ausgewählt, das edelste Hemd angezogen und seine Haare geziemt nach hinten frisiert. „Wie ein Lackaffe…“, sagte er selbst spöttisch zu sich selbst. Das letzte Mal so ausgesehen hatte er in Spanien, als er zum Bankett eingeladen gewesen war mit Menschen, die er wünschte niemals wieder in seinem Leben treffen zu müssen.

Bernardo hatten sie in sein Zimmer geschickt und ihm verboten, Diego heute allzu sehr auf die Nerven zu gehen, er durfte bei der Feierlichkeit wahrscheinlich nicht einmal selbst anwesend sein, weil er sich doch immer geweigert hatte, diese teuren Klamotten zu tragen, und oh Gott bewahre, Baden. Die Seife stank entsetzlich sagte er immer. Also durfte er eben nicht dabei sein, obwohl er Maria an die hundert Mal angebettelt hatte, mit Don Alejandro zu sprechen, dass er doch unbedingt dabei sein wollte, wenn sein Bruder sich jetzt offiziell mit Lolita verlobte, was für den kleinen Jungen wie ein lang ersehnter Wunsch war.

„Ach was, Ihr seht toll aus, Don Diego“, lobte ihn die Dame. „Jetzt kann rein gar nichts mehr schief gehen.“

„So leichtfertig würde ich das nicht sagen, Sophia“, erwiderte er und zupfte selbstständig an seinem Schal herum, den die Dons nun einmal trugen.

„Don Diego, würdet Ihr das bitte lassen…? Ich muss es dann wieder richten!“ Sie klang nicht böse, aber sie wusste, dass der junge Mann es hasste, wenn man allzu viel an ihm herumzerrte.

„Tut mir Leid.“

„So fertig!“ meinte sie und hielt die Hände ineinander, um ihn zu bewundern. „Ja, sehr schön. So wird es für Señorita Lolita ganz bestimmt mehr als ein notwendiges Übel sein, Euch das Ja-Wort zu geben!“ Selbst ihre Bedienstete dachte diesen Unsinn. Sie waren wirklich perfekte kleine Lügner, die jedem etwas vorgaukeln konnten. Diego seufzte und wirkte gleich darauf ziemlich traurig, was ihm wohl jeder abgekauft hatte. „Ich sehe also unverschämt gut aus, ja?“

„Oh ja, oh ja! Wie der Märchenprinz, jetzt fehlt nur das weiße Ross und…“

„Das Cape… der Sombrero… Die Maske…“

Sophia holte tief Luft und wirkte regelrecht schockiert. Sie hatte es nicht so gemeint und Diegos trauriges Gesicht war kaum zu ertragen für sie. Eine junge Frau ihres Alters, die dazu verdammt war, unverheiratet zu bleiben und einem gut aussehenden Mann zu dienen, konnte sich wahrlich glücklich schätzen, ihn aus der Ferne anzuschmachten.

„Aber mein Herr, Ihr seht immer gut aus.“

„Dafür sollte ich dir wohl danken… Also, danke.“ Er drehte sich herum, denn eigentlich dürfte er sie nicht einmal eines Blickes würdigen. Wahrscheinlich dachte auch sie, dass er ein Spinner war, Lolita noch immer zu wollen. Aber sie verstand nichts von dieser Materie. Nichts davon, wie ein Adeliger dachte, fühlte, wenn ihm denn ein Gefühl zugesprochen wurde. Im Grunde wurde ihnen alles entsagt, alles was geschah, passierte aus einem Pflichtgefühl heraus. Zu wissen, dass er wirklich wie geleckt aussah… Das und dass er auch ohne die schicke Kleidung wohl der best aussehendste, junge, adelige Mann in der gesamten Stadt war, machten es nicht besser. Sie würden dieses Spiel bis zu Ende spielen. Das einzige, was es erträglich machte all diesen Menschen, die er hasste, entgegen zu treten war SIE Lolita. Weil sie ihn immer verstand, weil sie so wie er war. Sie scherte sich nicht um diese Adeligen, die heute hier anreisen würden, nur um ihm die Hand zu schütteln.
 

„Ahhh, da bist du ja mein Junge!“ Er hörte aus der Tür heraus seinen werten Vater, der seinen Sohn gleich mit Lobpreisungen überschüttete. „Lass dich genauer anschauen! Oh ja, sehr gut. Du siehst gut aus. So kannst du dich vor den Leuten blicken lassen.“

„Vater, mich interessiert nur, ob ich mich vor Lolita so blicken lassen kann“, lächelte er und machte keinen Hehl daraus, dass die anderen ihm egal waren.

„Aber Sohn, viele junge Damen werden anreisen und dir ist es nicht erlaubt, auch nur eine von ihnen heute Abend abzuweisen, wenn sie mit dir tanzen möchten. Also reicht es bei weitem nicht, dass Lolita dich akzeptiert, das hat sie bereits. Das ist eine belanglose Nebensächlichkeit.“ In Momenten wie diesen hasste er es, er hasste es zutiefst, diese Regeln, diese Etiketten, die ihm in Spanien vermittelt worden waren. Er erinnerte sich noch ganz genau, wie sehr er das Ganze mit knapp Fünfzehn gehasst hatte. Diese egoistischen, arroganten, aristokratischen Snobs. Diese eingebildeten Mädchen, die sich nur für Schmuck und teure Kleider interessierten. Genauso wie sie einen Mann nach seinem Vermögen beurteilten. Eines wusste er ganz sicher, Lolita war keine von ihnen. Sie mochte ihn aus vielerlei Gründen, die allesamt wenig mit guten Manieren, gutem Aussehen, Geld und Macht zu tun hatten. Und dafür schätzte er sie als Freundin seit vielen Jahren. Sie war die einzige, die er sich jemals als Gattin hätte vorstellen können. Doch jetzt war sie mehr als das. Sie fand mehr als Akzeptanz bei ihm. In ihr hatte er die wahre Liebe gefunden. Etwas, wovon die meisten reichen Menschen wohl nur träumen konnten. Weil sie mit dem erstbesten Partner verheiratet wurden. Beurteilt einzig und allein nach Ansehen und Vermögen. Wäre es darum gegangen, hätte er sich mit fast jeder in Kalifornien verheiraten können. Sein Vater war ein angesehener Mann, der Charakter seines Sohnes zählte für die meisten nicht einmal. So war das, traurig aber wahr. Deswegen hatte er als Kind diesen Anforderungen stets entfliehen wollen, auch heute versuchte er es noch. Aber heute gab es kein Entkommen, wie sein Vater ihm gerade noch einmal mitgeteilt hatte. All die reichen Damen würden vor Neid erblassen, das wusste er. Alleine bei der Vorstellung, dass eine verarmte Adelige wie Lolita ihn bekommen sollte. Er würde ihnen allen ins Gesicht lächeln, so wie sie, aber nicht gar mit Hochmut. Es gab Dinge wie eine schlichte Ignoranz gegenüber allen Menschen, die man nicht ausstehen konnte. Er fragte sich wirklich, ob auch nur eine einzige Person erscheinen würde, die er als Freund bezeichnet hätte. Mit solcherlei Entscheidungen war er mittlerweile ziemlich vorsichtig. Freunde… Theo… McCulley. Bernardo. Gonzales. Mehr gab es eigentlich nicht zu nennen. Und zwei davon würden nicht anwesend sein. Es war ihm zu wenig Zeit gegeben, um wenigstens einen Brief an seine Freunde in Spanien zu adressieren. Aber eine davon wäre auch nicht erreichbar für ihn. Einen Moment fühlte er sie, die Wehmut, als er in Gedanken seinem toten Freund nachging.

Sein Vater hatte abgelehnt, einen einfachen Soldaten wie Gonzales zum Fest einzuladen, dabei hätte er ihn gerne dabei gehabt. Heute kamen wirklich nur die ganzen reichen Leute. Und die Ärmste davon war wohl Lolita, ganz zur Missgunst aller anderen. Er wollte nicht in ihrer Haut stecken. Aber sie hatte Mittel und Wege alles perfekt zu ignorieren, was ihr nicht passte. Also musste er sich darum wenig Sorgen machen. Er hatte ja sogar ihr Kleid ausgesucht und wusste, wie in etwa sie wohl vor ihm erscheinen würde. Sie würde sich wieder mit unzähligem Schmuck zieren wie ein Pfau. Dabei brauchte es nichts für ihn, um sie für wunderschön zu halten.
 

„Señor Vega“, sprach die junge Dienerin den Hausherren an, „die Kusche von Señorita Lolita und ihrer Familie ist gerade eingetroffen.“ Die Verkündung ließ Don Alejandro vor Freude in die Hände klatschen. „Oh wunderbar. Ich werde sie sogleich begrüßen.“
 

Jetzt begann der Ernst der Sache und nun beschlich Diego doch eine leichte Nervosität, dabei ging es nur darum die Form zu wahren. Es war nicht so, als würde er jetzt mit ihr in die Kirche marschieren. Da wäre Nervosität wohl eher angebracht. Aber seinesgleichen machten ihn immer nervös. „Ich bin fertig, Vater.“ Er würde an seiner Seite gehen, wie es sich gehörte. Zuerst ihre Eltern begrüßen und dann sie mit dem längsten Kuss auf die Hand bedenken. Er kam sich vor, als hätte er all die Förmlichkeiten wieder vergessen, aber er hatte sie nur verdrängt und wusste ganz genau, wie er sich zu verhalten hatte. Wahrscheinlich würden sie sich fragen, was mit Diego passiert war. So ein vorzeigbarer junger Mann. All das. Sie passierten das Tor und blieben wie in einer Linie direkt in diesem stehen.

„Willkommen, meine lieben Freunde.“ Don Alejandro breitete die Arme aus und empfing die Familie herzlich, für ihn gehörten sie bereits zur Familie und das demonstrierte er vor der gesamten Gesellschaft, die bereits in munterem Plausch sich befand, doch dann urplötzlich verstummte.

„Schön, Euch zu sehen, Don Alejandro“, sagte Lolita mit einem sanften Lächeln und machte einen Knicks, wie es sich für eine Dame gehörte. Diego schüttelte Don Carlos die Hand, daraufhin wandte er sich Lolitas Mutter zu, gab ihr den Handkuss und ging dann direkt zu Lolita, deren Hand er unwahrscheinlich lange in seine nahm, bevor er seine Lippen auf ihre Hand setzte und diese einen Moment so verweilen ließ. Sie hatte ihm höflich die Hand hingestreckt. „Ich bin erfreut dich zu sehen, Diego“, meinte sie und wurde leicht rot bei seinem galanten Kuss. Er streckte ihr den Arm hin und ließ sie sich einhaken, bevor sie sich zu der versammelten Gesellschaft herumdrehten und man ihnen Platz machte wie am Hofe. Diegos Blick wich nicht von Lolita, die in strahlender Schönheit erblühte, dass er am liebsten alle Förmlichkeiten hätte ausfallen lassen, um sie direkt auf seinem weißen Pferd zu entführen, um sich mit ihr davon zu stehlen. Aber was sein musste, musste sein. „Du siehst bezaubernd aus, mein Herz.“

Diego hörte noch das Seufzen von Lolitas Mutter, die mehr als verzückt von seinem Verhalten war.

„Was für ein Schmeichler du sein kannst, Diego“, gab Lolita zurückhaltend von sich und schenkte auch ihm nun ein leichtes Lächeln. ‚Er kann es ja doch…’ Ziemlich gut konnte er das sogar, dieser Schlawiner.

Es war nicht gelogen, Diego sagte genau das, was er gerade empfand, ohne irgendwelche Lügen. Ihr blass rotes Kleid mit Schleifen und Rüschen (ich übertreibe mal) brachte ihre unendliche Grazie hervorragend zur Geltung. Der Blumenhaarschmuck hatte ihre wilde Mähne in einer Hochsteckfrisur sehr geziemt im Griff, obwohl er ihre wilden Haare durchaus mochte. Das Dekolleté geschmückt mit einem Collier, das selbst in Madrid als majestätisch gegolten hätte. Die ebenfalls hell roten Handschuhe, die ihr bis zu dem Oberarm reichten.

Lolita bemerkte die neidvollen Blicke als sie mit Diego am Arm an den ganzen reichen Damen vorbei ging. Ihren Kopf hielt sie ziemlich aufrecht und man könnte meinen, dass sie kaum eingebildeter rüberkommen konnte. Kaum, dass sie vorüber gegangen waren, ignorierte man sie und die Damen schnatterten weiter.

Don Carlos und Doña Catarina begaben sich links neben ihre Tochter Lolita, während Don Alejandro rechts neben seinem Sohn Diego stand. Der Hausherr läutete seine Rede ein, indem er dreimal kräftig gegen sein Glas klopfte und alles verstummte.

„Versammelte Gemeinde, Freunde, Verwandten. Ich begrüße euch recht herzlich zum gemeinsamen Fest. Anlass dieses Festes ist die Verlobung meines Sohnes Diego mit Señorita Lolita Pulido. Für reichlich Gesang und Schmaus ist gesorgt. Bitte, vergnügt euch und feiert dieses wunderbare Ereignis zusammen mit mir, Don Alejandro de la Vega. Die beiden nehmen jetzt zunächst eure Glückwünsche entgegen.“

Kaum, dass der Don dies gesagt hatte, erschien Leutnant Gabriel aus seiner Ecke, in der rechten Hand das Glas, welches er postwendend auf dem Tisch abstellte, um die Hände frei zu haben. Er kam jedem zuvor und wahrscheinlich ließ alleine das alle Menschen Argusaugen bekommen.

„Ich beglückwünsche Euch zu Eurem bezaubernden Fang. Don Diego.“ Jeder hier wusste, dass diese Glückwünsche alles andere als von Herzen kamen, am besten wohl Diego und Lolita selbst. Aber beide lächelten. Diego machte gut Miene zu bösen Spiel.

„Wie außerordentlich nett von Euch mir dieses Kompliment zu machen, Leutnant Gabriel. Ja, sie ist eine wahre Pracht, wie eine Rose.“ Sie als Fang zu bezeichnen war eine glatte Frechheit, die ihn zwar entzürnt sein ließ.

Der blonde Offizier hielt sich nicht lange mit Diego auf und wanderte sogleich zu Lolita hinüber, um ihr die Hand zu reichen. „Alles gute zu eurem wahrhaft tapferen Gefährten“, spottete er. „Mit Verlaub, ihr seid am heutigen Tage mit Abstand die schönste Dame hier.“

„Ihr beneidet mich doch sicher“, legte Diego ein und ließ seine Augen auf dem Mann ruhen, der Lolitas Hand küsste, okay natürlich nur den Handschuh, ansonsten… Er wusste nicht, ob er mehr dulden könnte, als das.

Der Leutnant schüttelte den Kopf und lachte einmal leise. „Nein… Bedauern trifft es besser…“, gab Gabriel mit einem hinterhältigen, boshaften Grinsen zurück.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So.
Wie Diego darauf reagiert, darauf müsst ihr nun leider warten xD Und Lolita. Wird sie im Boden versinken? Es weg ignorieren oder so wie sie nun einmal ist laut werden? *ggggg* Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  MayAngel
2017-05-30T13:36:17+00:00 30.05.2017 15:36
bis hierher bin ich gekommen und bin total begeistert >.< so schlecht wie du behauptet hast, ist es gar nicht xD ich mag wie du die Charaktere bisher beschrieben hast. auch die Erzählung ist schön. Vor allem liebe ich die Ich - Perspektive...
so etwas können nur sensible Menschen so schreiben xD


Zurück