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Der Pariah

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Der Pariah

Stiles blickte grimmig auf das Bündel Geldscheine hinab, welches auf seinem Schreibtisch lag und breitete sie dann zu einem Fächer vor sich aus.
 

Da waren die fünfzig Mäuse, die Großmutter Stilinski ihm gestern zu seinem achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte und auch die hundertfünfzig von seinem Vater, der sie ihm mit der Behauptung ausgehändigt hatte, dass es unmöglich sei, Stiles etwas zu schenken.
 

Hinzu kamen die hundertzwanzig Dollar, die Stiles von seinem Taschengeld gespart hatte.
 


 

Das müsste für sein  Vorhaben reichen, hoffte er.
 


 

Stiles kannte sich mit den Preisen nicht wirklich aus, aber er wollte ja auch nichts Ausgefallenes. Einmal flachgelegt werden, mehr nicht.
 


 

Sein volljährig werden hatte bei Stiles dieses nagende, ungute Gefühl hinterlassen, dass er verdammt spät dran war.
 

Wer zum Teufel war denn in seinem Alter bitteschön immer noch Jungfrau?
 


 

Bloß irgendwelche Freaks, Nerds und sexuelle Pariah; sonst niemand!
 


 

Es musste einfach etwas unternommen werden!
 

Und weil am Horizont einfach niemand auftauchen wollte, der es freiwillig mit ihm trieb, musste Stiles dem Schicksal wohl ein wenig Nachhilfe geben.
 


 

Mit zitternden Finger nahm er sein sein Handy zur Hand und wählte die Nummer, die er aus der Zeitung hatte.
 

Während seine eigene Stimme nervös bebte und er nur mit Mühe verhindern konnte, dass er quiekte, wie ein Ferkel, war die von Tiffany am anderen Ende der Leitung zuckrig, schnurrend und verheißungsvoll.
 

Das Gespräch dauerte keine zwei Minuten lang und schon hatte Stiles eine Verabredung für den kommenden Freitagabend getroffen.
 


 

Das Glen Capri Motel erschien ihm für diesen Anlass die passende Kulisse zu sein: Schäbig, ungemütlich und höchst wahrscheinlich verflucht, denn Stiles machte sich keine Illusionen darüber, was ihn da am Freitag erwarten würde. Mit Liebe hatte es jedenfalls nichts zu tun, eher mit einem kleinen physischen Funktionstest.
 

Und der gewählte Ort würde das seinige tun, der ganzen Angelegenheit den Feenstaub abwischen, denn mal ganz im Ernst: Was war diese ganze Sex-Sache denn schon großartig?
 

Eine körperliche Funktion, wie essen und trinken und mehr nicht!
 


 

Aber Stiles hatte eben schon so lange darauf gewartet, dass seine Erwartungen mittlerweile total überhöht und unrealistisch geworden waren.
 

Und in diesem Licht erschien ihm die Entjungferung durch irgendeine Prostituierte sehr angemessen und wie eine vernünftige Entscheidung!
 


 


 

Der Freitag kam und Stiles war plötzlich sehr aufgeregt. Ihm war selbst klar, dass das lächerlich war, denn selbst wenn er eine armselige Performance abliefern würde, und die Wahrscheinlichkeit hierfür war unter den gegebenen Umständen ziemlich hoch, wem sollte diese Tiffany es denn schon verraten?
 

Für sie war das Ganze ein Geschäft mit einem Fremden, mehr nicht!
 


 

Dennoch zappelte Stiles in der Schule den lieben langen Tag auf seinem Stuhl herum und dies noch schlimmer, als für gewöhnlich.
 

Aber andererseits passte das wiederum ganz gut zu dem nervösen Zucken in seiner Hose.
 


 

Nach dem Unterricht fuhr Stiles erst einmal nachhause, um sich auf das vorzubereiten, was ihn in wenigen Stunden erwarten würde.
 

Er begann mit einer ausgiebigen Mahlzeit, bestehend aus Tiefkühlpizza. Cola und einem Puddingbecher und anschließend verschwand er im Bad.
 


 

Er duschte gründlich, denn er wollte wenigstens nicht riechen, wenn er schon eine Fremde dafür bezahlen musste etwas zu tun, wozu offensichtlich niemand freiwillig bereit war.
 


 

Beim Abtrocknen vor dem Spiegel fragte Stiles sich, was an ihm eigentlich so grundlegend verkehrt war, dass er das Dasein eines Unberührbaren fristen musste. Ihm wuchsen schließlich keine Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen, alles an seinem Körper saß am richtigen Fleck und war in der vorgesehenen Anzahl und Größe vorhanden. Die Fresse passte auch einigermaßen, vielleicht einmal abgesehen von den Dalmatinerflecken, welche er überall aufwies, aber so schlimm war das doch nun auch wieder nicht, oder?
 

Was lief also schief?
 


 

Außerdem war er doch auch ein ganz angenehmer Zeitgenosse, oder etwa nicht? Er galt immerhin allgemein als witzig, intelligent und einigermaßen verträglich.
 

Das waren doch nicht die schlechtesten Eigenschaften?
 

Also bitte Menschheit!
 

Warum griff denn niemand zu?
 


 

Stiles rubbelte sich mit dem Handtuch die Haare trocken, mühte sich dann, die widerspenstigen Gewächse zu etwas frisurähnlichem zu kämmen, rasierte sich gründlich und nahm hinterher noch ein wenig vom Aftershave seines Dads.
 

Über seine Garderobe für diesen Abend hatte Stiles lange nachgedacht und sich am Ende doch bloß für Jeans und ein blau-grün gestreiftes T-Shirt entschieden, denn alles Andere wäre ihm übertrieben, lächerlich oder aufgesetzt vorgekommen.
 


 

Obwohl es eigentlich noch viel zu früh war, brach Stiles nun auf und hielt auf dem Weg an einem Drugstore.
 


 

Er verbrachte eine ganze Weile vor dem Kondomregal und überlegte hin und her, welche wohl die richtigen für ihn wären. Er nahm alle, von M bis XXL in die Hand, registrierte nebenbei, dass es die Größe S nicht zu geben schien und sinnierte, welche er nehmen sollte.
 

Stiles hatte keine Ahnung, wo in dem Größenspektrum er sich selbst befand. Natürlich hatte er sich unter der Dusche nach dem Lacrosse-Training  gelegentlich mal verstohlen umgeschaut und beruhigt festgestellt, dass er im Vergleich ganz gut abschnitt, aber was hieß das nun genau?
 

Am Ende beschloss er schließlich ein Päckchen von jeder Größe mitzunehmen und seine Prostituierte entscheiden zu lassen, was das passende für ihn wäre. Wozu bezahlte man schließlich Fachleute?
 

Außerdem griff er noch nach einem Gleitgel mit Erdbeeraroma und nahm aus irgendeinem lächerlichen Grund auch eine rosafarbene Duftkerze im Glas mit.
 


 

Stiles kam eine halbe Stunde zu früh im Motel an und nutzte die Zeit, um sich ein bisschen im Zimmer einzurichten. Er legte seine Jacke sehr sorgfältig über dem Stuhl zusammen, legte Gleitgel und Kondome auf den Nachttisch, entzündete die Duftkerze, was sich gar nicht als so furchtbar dumme Idee erwies, denn die Kerze hatte zwar diesen aufdringlichen Geruch nach Zuckerwatte, aber das war immerhin besser, als das herbe Aroma des jahrzehntealten Motelteppichs, welches zuvor in diesem Raum vorherrschend gewesen war.
 

Schließlich schlug Stiles noch die erbsensuppenfarbene Tagesdecke zurück, setzte sich auf das Bett und wartete.
 


 

Als es dann schließlich an der Zimmertür klopfte, zuckte er zunächst ein wenig zusammen. Dann erhob er sich mit wackligen Knien, um zu öffnen.
 


 

Die Frau, die nun vor Stiles stand, war ganz und gar nicht das, womit er gerechnet hatte.
 

Zunächst einmal war sie brünett. Aus irgendeinem bescheuerten Grund hatte Stiles mit einer gefärbten Blondine gerechnet, weil in seiner Vorstellung Prostituierte scheinbar immer gefärbte Blondinen waren.
 

Die nächste Überraschung war, dass die Frau, die sich ihm mit: „Hi! Ich bin Tiffany!“ vorstellte viel älter war, als Stiles sich das vorgestellt hatte. Er hatte mit einem Mädchen Anfang zwanzig gerechnet,  doch diese Frau jedoch war mindestens doppelt so alt.
 

Sie war auch nicht so angezogen, wie Stiles sich das ausgemalt hatte. Er hätte mit Minirock und durchsichtigem Oberteil oder etwas ähnlichem gerechnet, doch sie trug Jeans und ein eng anliegendes Shirt, dass vielleicht für´s Büro ein bisschen weit ausgeschnitten, aber ansonsten durchaus alltagstauglich war.
 

Und sie hatte ein wirklich prachtvolles, üppiges Dekolleté vorzuweisen! Die Haut der Ansätze ihrer Brüste war sahnig-weiß und ein süßes Versprechen.
 


 

„Wie alt bist du, Stiles?“ wollte Tiffany nun wissen und die liebliche, mädchenhafte Stimme wollte so gar nicht zu der sehr erwachsenen Frau passen, die gerade vor Stiles stand und ihn zugegebener Weise mit ihrer Präsenz ein wenig einschüchterte:
 

„Ich bin einundzwanzig!“ log Stiles.
 


 

Tiffany schüttelte wissend den Kopf:
 

„Lüge!“ sagte sie scharf: "Bist du überhaupt schon volljährig? Denn wenn  nicht, dann verschwinde ich sofort wieder, Kleiner. Ich habe da so meine Grundsätze.“
 


 

Stiles zog ertappt seinen Führerschein hervor und reichte ihn an Tiffany weiter.
 

Diese betrachtete ihn, schmunzelte schließlich in sich hinein und kommentierte:
 

„Na das nenne ich mal eine Punktlandung! Dein achtzehnter Geburtstag war vor einer Woche? Alles Gute nachträglich, Stiles!“
 


 

Stiles nickte schüchtern und blickte die fremde Frau nun erwartungsvoll mit großen Augen an, bis Tiffany sich schließlich erkundigte:
 

„Und was machen wir zwei nun? Willst du vielleicht irgendwas Extravagantes, was deine Freundin nicht mit dir machen will, um dir selbst ein kleines Geburtstagsgeschenk zu machen? Oder soll es doch eher das Standardprogramm werden?“
 


 

Als Tiffany nun Stiles entsetzte Gesichtsentgleisung als Reaktion auf ihre Frage erblickte, wurde ihr alles klar und sie musste lachen:
 

„Noch Jungfrau, hmm?“ erkundigte sie sich sanft.
 


 

Stiles zuckte unzufrieden mit den Schultern.
 


 

Tiffany nahm auf der Bettkante Platz und klopfte neben sich:
 

„Dann lass´  uns erst einmal ein bisschen reden, in Ordnung, Stiles?“
 


 

Er hockte sich beklommen neben die fremde Frau, die alt genug war, seine Mutter zu sein:
 

„Willst du dein erstes Mal denn wirklich auf diese Weise, Kleiner?“ fragte Tiffany zweifelnd.
 


 

Stiles blickte sie unbehaglich an.
 


 

Also, so hatte er sich das mit Sicherheit nicht vorgestellt!
 


 

Er wollte die Sache einfach hinter sich bringen, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Wieso musste ausgerechnet ER an eine Prostituierte mit Ehrenkodex und Herz geraten, die seine zweifelhaften Motive hinterfragte?
 


 

„Ich fände es auch schöner, wenn man mich nicht meiden würde, wie einen Leprakranker, aber so ist es nun mal!“ erwiderte er trotzig: „Und irgendwann muss ich schließlich mal zum Mann werden!“
 


 

Tiffany kicherte wieder.
 

Anscheinend fand sie Stiles Situation ausgesprochen unterhaltsam:
 

„Sex macht keinen Mann aus dir, Stiles! Außerdem bezweifle ich, dass man dich tatsächlich meidet!“ behauptete sie: „Gibt es denn in deinen Leben niemanden, mit dem du jetzt lieber hier wärst? Irgendjemand Besonderen?“
 


 

Stiles ließ sich stöhnend auf das Bett fallen.
 

Was wollte diese Frau denn jetzt hören?
 


 

Tiffany legte sich neben ihn auf die Seite und schaute ihn erwartungsvoll an.
 

Stiles warf einen kurzen Blick zur Seite, sah das wunderbare Dekolleté, von welchem in dieser Position noch mehr enthüllt wurde und richtete seine Augen sogleich wieder auf die fleckige Zimmerdecke:
 

„Es gibt da ein Mädchen.“ begann Stiles: „Sie ist wahnsinnig klug, süß und hat wundervolles erdbeerblondes Haar. Schon als wir beide Kinder waren wusste ich, `Sie ist es!´. Eine Ewigkeit lang hat sie nicht einmal meinen Namen gewusst. Dann hatten wir eine Phase, in der sie zwar wusste wer ich war, aber mich nicht leiden konnte. Stattdessen hat sie sich lieber mit irgendwelchen Trotteln eingelassen, die sie nicht zu schätzen gewusst und schlecht behandelt haben. Und heute... hat sie mich gern und wir sind Freunde.“
 


 

„Und mit ihr wärst du jetzt gern hier?“ wollte Tiffany wissen.
 


 

Für die Antwort auf diese Frage brauchte Stiles ein wenig Bedenkzeit. Warum nur konnte er heutzutage nicht mehr sagen: `Ja, es ist Lydia. Es war immer Lydia und es wird immer Lydia sein.´
 

Er liebte sie schließlich und das würde er auch stets tun.
 

Aber als er sich ihr hübsches Gesicht vor Augen rief, regte sich rein GAR NICHTS!
 

Die Schmetterlinge, die früher in seinen Eingeweiden getobt hatten, wenn er bloß an sie dachte waren einfach nicht mehr da!
 

Und irgendetwas an dieser Erkenntnis ängstigte ihn gleichzeitig zu Tode und stimmte ihn todtraurig.
 


 

„Nein.“ erwiderte Stiles leise: „Ich wäre jetzt NICHT gern mit diesem Mädchen hier.“
 


 

„Und wer ist an ihre Stelle getreten?“ erkundigte sich Tiffany neugierig.
 


 

„Da ist niemand!“ sagte Stiles schroff und setzte sich abrupt wieder auf.
 


 

Auch Tifanny nahm nun wieder eine aufrechte Position ein, setzte sich in den Schneidersitz und nahm ihn fest in den Blick.
 

Sie hatte wirklich schöne Augen; katzenartig, moosgrün mit lebhaften, gelben Sprenkeln darin. Es war genau die Art Augen, die dazu geeignet waren, einem bis auf den Grund der Seele zu blicken.
 

Diese Frau hatte wirklich den Beruf verfehlt: Sie hätte in Vegas als Hypnotiseurin auftreten können! Oder sie sollte als Psychologin arbeiten, denn mit so einem Blick sollte es ein Leichtes für sie sein, jedem auch das bestgehütete Geheimnis zu entlocken.
 


 

„Da ist niemand!!“ knurrte Stiles noch einmal. Dann knickte er ein wenig ein und fügte hinzu: „Also jedenfalls nicht wirklich!“
 


 

„Wie ist sein Name, Stiles?“ fragte Tiffany.
 


 

Stiles riss entsetzt die Augen weit auf, sprang vom Bett auf und machte einen Satz rückwärts:
 

„WAS?“ rief er aus:
 


 

„Spreche ich irgendwie undeutlich?“ erkundigte sich Tiffany belustigt: „Ich will wissen, wie der Junge heißt, den du magst? Und wie ist er so?“
 


 

„Da... da ist keiner! Kein Junge!“ stammelte Stiles atemlos.
 


 

Tiffany kicherte:
 

„Und wieso springst du dann auf, wie von der Tarantel gestochen?“
 


 

Stiles nahm sich den einzigen Stuhl im Raum und igelte sich auf ihm, mit ans Kinn gezogenen Knien zusammen.
 


 

Diese Tiffany hatte wirklich Geduld. Sie hockte immer noch regungslos auf dem Bett, wie eine sexy Yogalehrerin, sagte einfach nichts, regte sich auch nicht und ließ im wesentlichen ihre intensiven Augen ihren Job machen.
 


 

„Da ist nichts!“ stöhnte Stiles schließlich: „Können wir nicht einfach das tun, weswegen wir hier sind und es dabei belassen?“
 


 

„Sicher Stiles! Das könnten wir tun.“ gab Tiffany zurück: „Aber was willst du dir beweisen?“
 


 

Diese Frau war wirklich gnadenlos!
 


 

Stiles würde ihr nichts erzählen. Gar nichts, denn schließlich war das sehr intim!
 


 

Leider war er clever genug, dass ihm die Ironie dabei nicht entging, denn er war ja tatsächlich gerade hier war, um etwas sehr Intimes mit dieser Fremden zu teilen. Er hatte dabei lediglich an etwas anderes gedacht.
 


 

Stiles schmollte ein wenig.
 

Würde er am Ende dieses Abends etwa für diese unangenehme Erfahrung bezahlen und wäre dann trotzdem immer noch Jungfrau?
 

Was bildete diese blöde Kuh sich eigentlich ein?
 

Er war hier doch schließlich der Freier! Sollte er dann nicht auch bestimmen, was jetzt geschah?
 


 

Eine Weile lieferten Tiffany und er sich ein Blickduell, doch irgendwann kam Stiles ein Gedanke, der ihn selbst überraschte: Diese Frau war eine Fremde und er würde sie vermutlich niemals wiedersehen. Was immer er ihr erzählte, sie könnte es niemandem verraten.
 

Und schließlich gab es da tatsächlich etwas, das Stiles beunruhigte und über das er mit keinem anderen sprechen konnte.
 


 

Bislang war es seine Politik gewesen, diese Sache zu ignorieren, in der abergläubischen Furcht, sobald er diesem Thema Raum gab, würde es dadurch bloß noch Schlimmer werden, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Je hartnäckiger Stiles die Angelegenheit ignorierte, umso mehr wuchs sie sich aus:
 


 

„Es sind ja bloß Träume!“ murmelte er also schließlich in die Stille hinein:
 


 

„Sexuelle Träume?“ wollte Tiffany wissen.
 


 

Stiles nickte.
 


 

„Von einem Jungen?“ bohrte sie weiter:
 


 

„Er ist kein Junge. Er ist ein Mann.“ bekannte Stiles und nun, da er diese Sache einmal laut ausgesprochen hatte, stieg ein altvertrauter, unangenehmer Mix an Gefühlen und körperlichen Reaktionen in ihm hoch. Es begann mit einem Hitzegefühl in seinem Nacken. Dann zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen, ein stählernes Korsett legte sich um seinen Brustkorb und erschwerte seine Atmung und sein Kopf füllte sich mit dunkler Leere.
 


 

„Hey, Kleiner! Das ist doch nicht das Ende der Welt!“ versicherte Tiffany, die offensichtlich begriff, was hier vor sich ging.
 

Sie war mittlerweile vom Bett aufgestanden und an Stiles herangetreten:
 

„Komm´ !“ forderte sie ihn auf, nahm seine Hand, half ihm auf und zog ihn hinter sich her zum Bett, wo sie seinen Kopf an ihrem großen, weichen Busen barg.
 


 

Es dauerte eine Weile, bis Stiles sich wieder einigermaßen beruhigt hatte und ihm so richtig bewusst wurde, wie er gebettet war.
 

Und da fing es an, sich unbehaglich anzufühlen:
 

„Tut mir leid!“ stammelte er und rückte ein wenig von Tiffany ab.
 


 

„Dafür gibt es keinen Grund.“ versicherte diese: „Hast du diese Panikattacken öfter?“
 


 

„Manchmal!“ gab Stiles leise zu.
 


 

„Erzähl´ mir von diesem Mann, von dem du träumst!“ forderte die Prostituierte: „Wie ist er so?“
 


 

Nun war auch schon alles egal, dachte Stiles verzweifelt und er konnte ebenso gut reden:
 

„Derek ist Ende zwanzig, würde ich sagen. Sein genaues Alter will er nicht verraten. Er ist überhaupt kein netter Kerl! Dauernd hat er schlechte Laune, er bellt, er knurrt und wenn ich vorschlage, mal mit ihm in eine Hundeschule zu gehen, dann droht er damit, mir meine Kehle mit seinen Zähnen herauszureißen. Je übler seine Laune, umso mehr juckt es mir in den Fingern, ihn zu provozieren. Miteinander zu sprechen heißt für uns beide im Grunde, miteinander zu streiten. Er hasst mich, da bin ich mir ziemlich sicher und dennoch kann ich seit Monaten nicht damit aufhören jede Nacht davon zu träumen, dass wir...“ Stiles schluckte.
 


 

Tifanny lächelte:
 

„Und du, Stiles? Hasst du ihn auch?“
 


 

Stiles schüttelte den Kopf:
 


 

„Und was bringt dich dann auf den Gedanken, dass dieser Derek dich hassen müsste?“ hakte Tiffany nach:
 


 

„Habe ich doch gesagt!“ grollte Stiles: „Er bellt, er knurrt, er droht mir mit körperlicher Gewalt...!“
 


 

Anscheinend war Stiles unabsichtlich ausgesprochen unterhaltsam, denn Tiffany kicherte schon wieder:
 

„Und was ist mit dir, Kleiner? Du reizt ihn bis auf´s Blut und bist trotzdem verliebt in ihn!“
 


 

„Ich... waa... ?“ stotterte Stiles: „Wer sagt denn, dass ich in Derek verliebt bin. Ich hab´ doch bloß diese Träume! Weiter nichts!“
 


 

„Du hast also seit Monaten jede Nacht sexuelle Träume von einem Mann, in den du NICHT verliebt bist?“ fragte Tiffany stirnrunzelnd.
 


 

Stiles schwieg eine ganze Weile.
 

Dann stieß er  verzweifelt hervor:
 

„Das darf aber einfach nicht sein, verflucht! Er bringt mich um! Oder mein Dad bringt mich um! Oder Scott! Egal wer; ich bin auf jeden Fall ein toter Mann!“
 


 

„Warum magst du diesen Derek?“ erkundigte sich Tiffany; in erster Linie, um Stiles ein wenig abzulenken: „So, wie du ihn beschreibst scheint er doch ein ziemlich unbeherrschter und unangenehmer Kerl zu sein. Stehst du vielleicht auf so etwas?“
 


 

Plötzlich hatte Stiles das Gefühl, Derek verteidigen zu müssen. Und auch sich selbst:
 

„Nein, so ist das gar nicht! Ja, sicher, er hat manchmal ein Benehmen, als sei er unter Wölfen aufgewachsen…,“ Stiles schmunzelte in sich hinein, über den kleinen Scherz, den er sich soeben selbst erzählt hatte: „…aber im Grunde ist das alles nur Fassade. Er ist zwar ziemlich kaputt, aber er hat auch andere Seiten; die kann er bloß nicht so zeigen: Er ist loyal, fürsorglich und hat sogar irgendwie Sinn für Humor. “ Stiles hielt kurz inne und fügte dann unter heftigem Erröten hinzu: „Außerdem ist er unglaublich schön!“
 


 

Tiffany lächelte. Sie hatte wirklich ein tückisches Lächeln; so wahnsinnig lieb und mitfühlend, so dass Stiles, ganz entgegen seiner Natur bereit war, sein Inneres ohne Wenn und Aber vor ihr zu entblößen:
 

„Er ist so wahnsinnig einsam!“ er flüsterte beinahe: „Und jedes Mal, wenn ich mir alle Mühe gebe, seinen Blutdurst zu wecken, will ich ihn eigentlich bloß in den Arm nehmen und ihm versprechen, dass es wieder gut wird. Dass ICH es wieder gut machen kann.“
 


 

Tiffany schüttelte lächelnd den Kopf:
 

„Was machst du hier bei mir, Stiles? Du weißt, wo du jetzt sein solltest!“
 


 

Stiles Augen waren groß, dunkel und furchtsam:
 

„Ich kann aber nicht!“ murmelte er: „Du kennst ihn nicht! Ich kann ihm das nicht sagen!“
 


 

„Wie du meinst. Dann wird der arme Kerl wohl einsam bleiben.“ kommentierte Tiffany betont gleichgültig.
 


 

„Du bist ziemlich gnadenlos!“ stellte Stiles fest.
 


 

„Das kommt mit dem Job!“ behauptete die Prostituierte: „Wirst du nun zu diesem Derek gehen, oder was?“
 


 

Stiles konnte deutlich sehen, dass ein Nein als Antwort nicht durchging.
 

Und seltsamerweise erschien es ihm tatsächlich plötzlich wie etwas, das im Bereich des Möglichen lag.
 

Mit einem Mal war es nicht mehr undenkbar, dass er sich vor Derek hinstellen würde, um ihm zu sagen, dass er in ihn verliebt war.
 

Und mit einem Mal hatte er sogar das Gefühl, das eine kleine Chance bestand, dass er ein solches Geständnis überleben könnte.
 

Doch selbst wenn nicht, hatte Stiles plötzlich eine Vision davon, wie ungemein erleichtert er sich nach so einer Beichte fühlen würde. Zumindest für den kurzen Moment, ehe Derek ihm den Kopf von seinen Schultern riss.
 


 

Dennoch hatte Stiles immer noch ein bisschen das Gefühl, ein anderer würde sprechen, als er verkündete:
 

„Ja, ich werde es ihm sagen!“
 


 

Tiffany grinste breit und kommentierte anerkennend:
 

„Bravo! Du bist wirklich ein tapferes, kleines Kerlchen!“
 


 

Und schon überkam Stiles wieder Todesangst.
 


 

Er erhob sich dennoch, zog ein Bündel Geldscheine aus seiner Jackentasche und reichte es Tiffany:
 

„Hundertfünfzig, richtig?“
 


 

Die Fremde schloss seine Finger um die Scheine:
 

„Das hier war gratis. Der Abend hat mich daran erinnert, dass ich ein Herz habe. Das war schön, Stiles!“
 


 

Sie schrieb etwas auf einen Zettel:
 

„Schreib´ mir eine Mail, ja? Ich will wissen, wie diese Sache ausgeht!“
 


 

„Carolyn?“ las Stiles ratlos auf dem Stück Papier.
 


 

Die Prostituierte lachte:
 

„Na sicher! Hast du etwa geglaubt, mein Name sei allen Ernstes Tiffany?“
 


 

Stiles zuckte grinsend mit den Schultern.
 


 

Sie verließen das Motelzimmer gemeinsam und verabschiedeten sich wie alte Freunde mit einer Umarmung.
 


 


 

Auf dem Rückweg fuhr Stiles vier mal rechts ran und versuchte, sich selbst diese Sache auszureden, aber am Ende stieg er doch in den fünften Stock hinauf und klopfte an das große stählerne Tor von Dereks Loft.
 


 

Zunächst tat sich gar nichts und in Stiles keimte schon die kleine Hoffnung auf, dass Derek nicht zuhause wäre, sondern vielleicht gerade übermütig durch den Wald tollte und den Mond anbellte, oder was immer Werwölfe des Nachts so taten, doch dann wurde das Tor schließlich doch noch aufgeschoben und es kam ein verschlafener Derek zum Vorschein, der die Augen gegen das Licht zusammenkniff:
 


 

„Weißt du eigentlich, wie spät es ist, Stiles.“ maulte der Bewohner des Lofts.
 


 

Stiles blickte auf seine Armbanduhr:
 

„Viertel nach eins.“ antwortete ungerührt: „Ich muss mit dir reden, Derek!“
 


 

Der Werwolf schluckte schwer, weil er nämlich schon wusste, was nun kommen würde und das schloss er nicht nur daraus, dass von Stiles nichts in der Art kam wie: `Sperren sie dich nachts nicht für gewöhnlich in den Zwinger?´ oder `Legst du zum Schlafen etwa dein Flohhalsband ab, Lassie?´
 

Nein, er schloss es daraus, wie Stiles ihn anschaute. Da war eine Weichheit im Blick des Jungen, die Derek nur selten zu Gesicht bekam.
 


 

Und außerdem, war dieses Gespräch nun einmal längst überfällig, nur Derek selbst hatte bislang nicht den Mumm besessen, es zu tun.
 

Und eigentlich wunderte es den Werwolf auch nicht, dass es Stiles war, der als erster den Mut dafür fand, es zu tun:
 


 

„Komm´ rein Stiles!“ forderte er: „Zieh´ die Tür hinter dir zu und lass´  uns darüber reden!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  CharlieBlade1901
2017-02-24T19:26:09+00:00 24.02.2017 20:26
Zugabe ich will mehr.
Antwort von:  GingerSnaps
24.02.2017 20:50
Freut mich zu hören. Doch diese Geschichte ist leider zu Ende. Sorry! :-)
Von:  The-Witch
2017-02-22T01:06:04+00:00 22.02.2017 02:06
Ich finde deine geschichten soooo toll schade nur das die enden so offen sind.

Liebe grüsse
Witch
Antwort von:  GingerSnaps
22.02.2017 06:21
Hallo Witch,
es freut mich, dass die Geschichte Dir gefallen hat. Wie es weitergeht ist nun eine Sache für die eigene Fantasie, aber immerhin weiß Derek ja scheinbar, was kommt und bittet Stiles trotzdem herein. Wenn das mal kein gutes Vorzeichen ist!
Liebe Grüße
Ginger
Von:  Tomi
2017-01-31T14:18:06+00:00 31.01.2017 15:18
Hallihallo,

mal wieder Zucker für die Seele!
Aber mir geht es genauso wie Tiffany, ich will auch wissen wie es ausgegangen ist. Es wurde doch grade so schön interessant. Dereks Reaktion zu urteilen geht das für die beiden aber bestimmt gut aus :-)
Mal wieder sehr schön geschrieben.

Liebe Grüße Tomke
Antwort von:  GingerSnaps
31.01.2017 15:53
Liebe Tomke,

natürlich geht es für unsere Jungs gut aus! Darüber schreibe ich an dieser Stelle nur nicht, weil das eben nicht meine Geschichte war. Schön, dass es Dir trotzdem die Seele verzuckert hat. Dieser One-Shot hat sich mir irgendwie zwischendurch aufgedrängt, obwohl ich eigentlich genug zu schreiben habe. War mir nicht sicher, ob er irgendwem gefallen würde, oder ob sich Empörung regt, weil Stiles eine Prostituierte aufsucht. Schön, dass es wenigstens Dir gefallen hat. Bis zum nächsten Mal.
Liebe Grüße,
Ginger


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