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Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~

Teil IV
von

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~Tonis Talent~

Als die Haustür nach ihm ins Schloss fällt, wird es wieder ruhig. Ich versuche nicht weiter über das Vorhaben dieses Kerls nachzudenken, doch als er hinter dem Haus auftaucht und sich auf die Bank setzt, kann ich trotzdem nicht anders, als hin und wieder nach ihm zu sehen. Da hat Lui uns wirklich was eingebrockt. Warum schleppt er uns überhaupt einen Mörder ins Haus?

„Hältst du es wirklich für klug, ihn wie einen räudigen Köter, vor die Tür zu setzen?“, will Lui von mir wissen, während er Fleisch in die Pfanne wirft. Es spritzt und zischt, ein wunderbarer Duft nach angebratenen Zwiebeln liegt in der Luft. Ich antworte ihm nicht und betrachte stattdessen Toni. Er hantiert die ganze Zeit mit einem Taschenmesser, vor dem Hund herum.

„Enrico, ich hab dich was gefragt“, harkt Lui nach. Als ich wieder stumm bleibe, schaut auch er aus dem Fenster.

„Was macht er denn da?“

„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht will er den Hund essen. Wäre ja nicht schlecht, dann sind wir den schon mal los“, entgegne ich belustigt.

„Enrico, das ist nicht lustig. Würdest du bitte mal nachsehen, was er da treibt?“

„Warum ich?“

Lui hebt seine verletzte Hand. Ich rolle mit den Augen und lege mein Buch zur Seite. Heute komme ich zu nichts, so viel steht schon mal fest. Schwerfällige kämpfe ich mich auf die Beine und schiebe die Verandatür auf.

„Wenn du dem Köter das Fell abziehen willst, musst du ihn schon festhalten“, spreche ich Toni an. Er sieht mich nicht an, auch als ich ins Freie trete, ist sein Blick auf ein Stück Holz in seinen Händen fixiert. Auf dem Boden, zwischen seinen Beinen, liegen überall Holzspäne, die der Welpe zu fressen versucht. Auf der Bank neben ihm, steht eine geöffnete Holzkiste. Toni greift immer wieder hinein und nimmt sich verschiedene Werkzeuge daraus. Ich lege den Kopf schief und betrachte sein Tun stumm. In seinen Händen entsteht nach und nach eine Figur, die dem Welpen zum Verwechseln ähnlich sieht.

„Was machst du denn da?“ Toni sieht nur flüchtig zu mir auf.

„Keine Sorge, ich klau euch schon nicht euer Feuerholz. Das Stück hat der Hund angeschleppt.“ Ich ignoriere seine schroffen Worte und strecke meine Hand nach ihm aus. „Zeig mal her!“, fordere ich. Er schnitzt einen Spann vom Ohr der Figur, dann legt er sie mir in die Hand. Ich schiebe seine Werkzeugschachtel ein Stück bei Seite und setze mich zu ihm, während ich die Figur von allen Seiten betrachte. Sie sieht dem Welpen zum verwechseln ähnlich, selbst das Fell wirkt so weich und flauschig, wie das des Vorbildes.

„Das ist echt gut geworden. Du kannst ja doch noch was anderes, als Kriminaldelikte“, stelle ich verblüfft fest. Er rollt mit den Augen und sieht zur Seite weg.

„Ich meins ernst. Das sieht genau so aus, wie der Köter.“ Wieder schweigt Toni. Von ihm wandert mein Blick auf eine zweite Schachtel, die verschlossen unter der mit dem Werkzeug liegt.

„Was ist da drin?“, will ich wissen und hebe die Werkzeugbox an. Kommentarlos klappt Antonio sein Messer ein und schweigt erneut.

„Darf ich?“, will ich wissen und nehme die verschlossene Schachtel an mich.

„Von mir aus“, murrt er kleinlaut. Neugierig öffne ich den silbernen Verschluss:

In der Box liegen noch weitere geschnitzte Tiere. Ziegen, Schaffe, Kühe, Schweine, Jungtiere und ausgewachsene Exemplare. Sie sind noch deutlich aufwendiger gearbeitet, als der Welpe.

Verstohlen sieht er mir von der Seite dabei zu, wie ich eine Figur nach der anderen herausnehme und staunend bewundere.

„Das wird ein Bauernhof für meine Tochter. Ich wollte ihn ihr schenken, wenn ich wieder zurück bin. In den sechs Wochen auf dem Schiff, kann man ja eh nichts anderes machen.“

Ich betrachte ihn prüfend. „In dir scheint ja doch ein guter Kern zu stecken.“ Er wendet sich kopfschüttelnd ab und verstaut das Messer in seiner Hosentasche.

„Wieso legst du Menschen um, wenn du so ein Talent hast?“

Seine Aufmerksamkeit wandert fragend zurück auf mich.

„Du könntest dein Geld doch mit diesen Schnitzereien verdienen.“

„Wer sollte so was denn schon kaufen wollen?“

„Machst du Witze? Für solches Spielzeug könntest du auf dem Wochenmarkt im Dorf ein kleines Vermögen verlangen. Als Bauernhofset, wäre es unbezahlbar.“

„Ich schnitze nur für meine Tochter“, murrt er und nimmt mir die Schachtel mit den Tieren weg. Er klappt sie zu.

„Was macht ihr denn hier draußen?“, will Lui wissen. Er lugt um den Türrahmen herum. Ich halte die Welpenfigur in seine Richtung.

„Schau mal. Den hat Toni geschnitzt“, berichte ich überschwänglich.

„Nein, der ist noch nicht fertig!“, protestiert er und versucht vergeblich mir die Schnitzerei wegzunehmen. Ich dränge ihn an der Schulter zurück und lege die Figur in Luis Hand. Er betrachtet sie von allen Seiten.

„Der sieht ja richtig lebendig aus“, stellt er fest, „Ich wusste gar nicht, dass du so was kannst.“

„Er hat noch mehr davon gemacht“, sage ich begeistert und nehme Toni die geschlossene Box weg. Seinen finsteren Blick, ignoriere ich.

„Hey! Gib sie wieder her!“, protestiert er vergeblich, als ich sie aufklappe und Lui zeige. Während Lui die Figuren durch sieht, kann ich meine Begeisterung einfach nicht im Zaum halten: „Die sind doch großartig. Glaubst du nicht auch, dass man die gut verkaufen könnte?“

„Die sind nicht verkäuflich. Die habe ich für meine Tochter gemacht!“, knurrt Toni wütend und reist mir die Schachtel aus der Hand. Hastig erhebt er sich und versteckt sie hinter seinem Rücken.

„Du hast ein Kind?“, will Lui überrascht wissen.

„Ja und? Was ist daran so besonders?“

„Naja ...“, beginnt Lui, doch als Toni ihn warnend ansieht, bleibt er stumm. Ich schaue von einem zum anderen und erwarte jedem Moment, einen neuen Streit, als mir der bittere Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase steigt. „Lui, das Mittagessen!“, entfährt es mir.

„Ach, verdammt!“, flucht er und drückt mir die Hundefigur in die Hand, dann stürzt er ins Haus zurück. Ich sehe ihm belustigt nach.

Toni lässt sich mit einem tiefen Seufzer auf der Bank nieder. Er legt die Holzkiste in seinen Schoß und greift sich an den knurrenden Magen. Ich beobachte seine trübsinnigen Blick eine Weile stumm.

„Na los, komm mit rein und iss mit uns!“, schlage ich schließlich vor und wende mich wieder der Schnitzerei zu. Ich kann einfach nicht anders, als die Figur noch einmal von allen Seiten zu betrachten.

„Das ist echt erstaunlich“, murmle ich vor mich hin und gehe zurück ins Haus. Als ich keine Schritte hinter mir hören kann, drehe ich mich noch einmal um. Ungläubig sieht Toni mich an und ist bisher noch nicht aufgestanden.

„Noch mal lade ich dich nicht ein, also komm schon!“ Endlich erhebt er sich und folgt mir ins Haus. Lui schaut uns überrascht an, akzeptiert meine Entscheidung aber stumm. Während er das Fleisch zu retten versucht setze ich mich an den Küchentisch. Den Teller auf meinem Platz schiebe ich in die Mitte des Tisches und lege beide Arme auf die Platte. Gedankenverloren drehe ich die Figur durch die Finger. Irgendetwas fehlt an ihr noch. Lui deckt den Platz neben mir, der bisher leer gewesen ist, während Toni im Wohnzimmer stehen bleibt. Ich winke ihn zu mir und klopf mit der flachen Hand auf den Stuhl zu meiner Rechten. Er braucht eine gefühlte Ewigkeit, zu uns zu kommen und sich neben mich zu setzen.

„Bekomme ich den Hund auch irgendwann mal wieder?“, will er von mir wissen, doch ich ignoriere seine Worte. Noch einmal drehe ich die Figur durch meine Finger, dann komme ich endlich darauf, was ihr noch fehlt.

„Farbe ...“, murmle ich und stehe auf. Die Figur lege ich auf den Tisch und will gehen, als mein Blick auf Toni fällt. Ich entscheide sie lieber mitzunehmen, bevor er sie vor mir verstecken kann. Sein verstörter Blick folgt mir, während ich im Schlafzimmer verschwinde.

Irgendwo auf meinem Sekretär, muss die Schachtel mit den Farben doch stehen. Auf der Platte stapeln sich Zeichnungen und Bücher, ich muss hier wirklich mal wieder aufräumen. Neben dem Holzkästchen, nehme ich noch das Glas mit den Pinseln mit und kehre ich in die Küche zurück. Lui ist gerade damit beschäftigt das Fleisch auf die einzelnen Teller zu verteilen, auf denen bereits Kartoffeln und Gemüse liegen. Bevor er mir meine Portion hinstellen kann, platziere ich die Kiste und das Glas auf dem freien Platz.

„Muss das jetzt sein? Wir wollen essen!“, meint Lui genervt. Ich nehme ihm den Teller ab und stelle ihn in die Tischmitte.

„Fangt schon mal ohne mich an.“ In das Glas mit den Pinseln fülle ich Wasser und kehre auf meinen Stuhl zurück. Lui schütteln abwertend mit dem Kopf und verteilt die restlichen Teller auf dem Tisch.

„Ich geh Jan holen“, sagt er und lässt uns allein. Ich gebe ihm keine Antwort, schaue ihm nicht mal nach. Mit dem dünsten Pinsel, den ich habe, male ich dem Welpen blaue Augen auf. Argwöhnisch sieht mir Toni dabei zu. Den Augen folgt eine graue Maske im Gesicht, so wie es auch der echte Welpe trägt. Rücken und Schwanz bemale ich in der selben Farbe. Ganz langsam sieht es dem Köter immer ähnlicher.

Jan und Lui kommen zusammen zum Tisch. Sofort liegt Jans feindseliger Blick auf Toni. Seine Stimme ist rau und schroff, als er fragt: „Er darf schon wieder ins Haus?“

Ich richte meinen Blick drohend auf ihn. Lui schlägt ihm leicht auf Oberarm und sieht ihn ebenfalls durchdringen an.

„Schon gut! Ich hab ja nichts gesagt.“ Als er sonst nichts mehr von sich gibt und sich mit Lui an den Tisch setzt, wende ich mich wieder der Figur zu. Ich male ihr weiße Beine und Pfoten und versehe die angedeuteten Krallen mit schwarzer Farbe.

„Was machst du da überhaupt?“, will Jan irgendwann wissen. Seine dumme Frage ist mir keine Antwort wert. Konzentriert gebe ich dem Fell mit dunklem Grau mehr Struktur.

„Toni hat unseren Welpen geschnitzt“, antwortet Lui für mich.

„So was kannst du?“, richtet Jan seine Frage an Toni. Dieser zuckt nur mit den Schultern und macht sich gierig über seine Mahlzeit her. Hastig verschwinden Kartoffeln und Gemüse im ganzen in seinem Mund.

„Fertig!“, rufe ich stolz in die Runde und setze die Figur in die Tischmitte. Toni nimmt sie als erster mit spitzen Fingern an sich, um die frische Farbe nicht zu verwischen und betrachtet sie prüfend.

„Na toll! Jetzt kann ichs wegschmeißen“, meint er.

Entsetzt sehe ich ihn an. Er bemüht sich ernst zu schauen, doch das Lächeln in seine Mundwinkeln verrät ihn.

„Du Arsch!“, maule ich und schlage ihn auf den Oberarm.

„Na gut, es geht so“, fügt er mit fiesem Grinsen an. Ich ziehe einen Schmollmund und schlage ihn gleicht noch mal auf die selbe Stelle.

„Zeig mal!“, fordert Jan. Toni überlässt ihm die Figur.

„Und den hast wirklich du geschnitzt?“, fragt Jan verblüfft. Toni nickt.

„Du kannst ja doch mehr als Schießen.“

Toni sagt nichts, er wendet sich stattdessen seinem Teller zu und verschlingt den Rest seiner Portion.

„Du hast wohl lange nichts gegessen, was?“, stelle ich fest.

„Die Mahlzeiten auf dem Schiff waren ziemlich teuer. Ich habe nicht jeden Tag mitessen können“, erklärt er mit vollen Backen. Einen ganzen Tag nichts essen, dass kann ich mir gar nicht vorstellen. Meinen vollen Teller schiebe ich zu ihm.

„Du kannst meinen Teller haben. Ich bin noch satt vom Frühstück“, füge ich an.

„Ehrlich?“

„Ja, iss nur.“ Seinen leeren Teller tauscht Toni mit meinem.

„Was hast du denn mit den Schnitzereien vor?“, versucht Jan in Erfahrung zu bringen. Ich greife über den Tisch und nehme ihm die Figur ab. Weil Toni die Backen zu voll hat, antworte ich begeistert für ihn: „Er arbeitet an einem Bauernhof für seine Tochter. Er hat schon eine ganze Kiste voller Tiere geschnitzt.“

„Du bist Vater geworden?“ Toni rollt genervt mit den Augen und sagt nichts.

„Warum wundert ihr euch alle darüber?“, kann ich nicht anders, als zu fragen. Toni ist ein Kerl, er hat eine Frau, da ist es doch nur natürlich, Kinder zu bekommen. Nur weil es bei mir und Robin bisher nicht geklappt hat, muss das ja nicht heißen, dass es jedem Paar so geht.

„Na weil er doch gar nichts für Frauen übrig hat.“

„Du bist, wie die beiden Idioten?“, will ich entsetzt wissen und deute auf Lui und Jan. Toni sieht mich mit vollem Mund an und blickt sich einmal in der Runde um. Während seine Wangen knall rot anlaufen, beginnt er heftig zu husten. Mit aller Mühe versucht er sich zusammen zu reißen, das Stück Fleisch im Mund zu behalten. Um es endlich los zu werden, schluckt er es schwer hinunter und schlägt sich mit der Faust auf den Brustkorb, damit es besser rutscht. Sein Blick wird gläsern, während er immer wieder husten muss. Nach einem Schluck aus seinem Wasserglas wird es besser, doch bevor er wieder die Luft zum Sprechen hat, antwortet bereits Jan für ihn und sieht mich dabei an: „Du müsstest das von uns allen doch noch am besten wissen.“ Will er damit etwa sagen, Toni ist der Kerl, für den ich mit dem Arsch gewackelt haben soll? Fragend richte ich meinen Blick auf Toni. Er weicht mir aus, auch als ich ihn weiter fragen anschaue, wagt er nicht mir ins Gesicht zu sehen. Ist da also wirklich was dran? Ich schüttle mir den Gedanken aus dem Kopf. Alles Blödsinn! Warum sollte er dann eine Frau und ein Kind haben?

„Wir sind nicht wie ihr beide! Wir sind Freunde, beste Freunde. Mehr nicht! Hör auf das immer zu behaupten! Ich bin nicht wie ihr!“

„Stimmt, du nimmst auch hin und wieder eine Frau mit ins Bett“, sagt Jan achselzuckend und steht auf. Er stellt seinen leeren Teller in die Spüle, dann kommt er zu mir. Im Vorbeigehen wuschelt er mir durch die Haare. „Du vögelst eben alles, was bei drei nicht auf dem Baum ist, also bist du, wie ich“, lacht er. Ich schlag seine Hände von mir.

„Spar dir deine dummen Späße.“

Jan lacht, während er in den Flur geht. „Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, wenn du dein Gedächtnis wieder findest“, sagt er und verschwindet in sein Zimmer. Finster schaue ich ihm nach. Ich kann mich nicht daran erinnern, je etwas mit einem Mann gehabt zu haben, ich kann mir noch nicht mal vorstellen, wie das überhaupt funktionieren soll.

„Sag doch auch mal was dazu!“, maule ich Toni an und schlage ihm mit dem Handrücken auf den Oberarm. Er zuckt kaum merklich zusammen und meidet noch immer meinen Blick. Statt etwas zu sagen, schiebt er sich eine Kartoffel in den Mund.



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