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Humanity

von

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Die Nummer zwei

«Der Kuchen ist wirklich sehr lecker.»
 

Zitrone. Sakura mochte Zitrone. Obwohl es sich hierbei wohl eher um ein Cake handelte, als um einen Kuchen. Er war mit Zuckerglasur bestrichen – so wie es Sakura am liebsten hatte. Sie hatte schon seit jeher eine Schwäche für Süßkram. Doch in ihrer momentanen Lebenslage, dazu noch mit Full-Time-Job musste sie sich damit begnügen ihre Sucht mit Schokoriegeln von Gelegenheitseinkäufen beim Kiosk zu stillen. Für mehr reichte ihre Zeit meist nicht aus. Ans selber Backen war nicht zu denken. Zumal sie auch nicht sehr talentiert darin war. Kochen ging noch, doch auch das überließ sie meistens Sasuke. Ihr Mann hatte ein Händchen dafür, bei ihm schmeckte es einfach, egal welche Zutaten er zusammenwürfelte. Zudem musste man bei ihm auch nicht befürchten, angekohlte Plätzchen serviert zu bekommen.

Da Sasuke diesbezüglich ihre Schwächen kannte, hatte er bei ihrem Zusammenzug ohne große Worte – als hätten sie es abgesprochen – die Küche für sich beansprucht. Sie hatte das natürlich gefreut und hatte dankbar die anderen Haushaltsaufgaben übernommen. Putzen, Wäsche waschen, einkaufen – damit konnte sie sich abfinden, was sie nicht davon abhielt, ab und an mal Sasuke den Staubsauger in die Hand zu drücken. Bisher hatte ihre Aufgabenverteilung auch immer gut funktioniert. Insgeheim hatte sie ja den Verdacht, dass ihr Mann sogar ganz gerne kochte. Aber so wie sie ihn kannte, würde er das niemals zugeben.
 

Sakura hasste diese altmodische Einstellung, dass die Frau an den Herd gehören würde und der Mann für den Lebensunterhalt zuständig sein soll. Deshalb war sie sehr glücklich darüber, dass Sasuke nicht auf dieser konservativen Schiene mitfuhr, wie es eigentlich in seiner Familie Tradition war.
 

«Oh, findest du? Es freut mich, dass er dir schmeckt! Das Geheimnis ist, dass man ganz frische Zutaten nimmt. Besonders bei Früchten ist das wichtig. Früher hab ich die Zitronen immer ganz frisch vom Baum gepflückt. Wir hatten damals einen im Garten stehen. Jetzt muss ich sie mir vom Supermarkt holen. Die sind zwar auch gut, aber man schmeckt den Unterschied trotzdem.»
 

Die Alte lächelte und Sakura lächelte zurück.

«Das glaube ich sofort.» Sie führte die Kuchengabel zu ihrem Mund, um sich das nächste Stück einzuverleiben. Sie ließ den Blick schweifen, sah sich etwas in der Wohnung um.
 

Sie saßen im Wohnzimmer an einem kleinen Tisch, der wohl als Esstisch genutzt wurde. Ein schmales Zweiersofa mit dazugehörigem Couchtisch befand sich mittig im Raum. An der gegenüberliegenden Wand war anstelle von einem Fernseher, ein Regal aufgestellt, in jenem sich Bücher verschiedensten Größen und Formen aneinanderreihten. Durch die hohen Fenster an der Ostwand wurde der Raum in ein spätabendliches, freundliches Licht gehüllt. Ein alter Sekretär im Gang erinnerte Sakura an eine andere Zeitepoche. Allgemein war die Einrichtung und das Design der Möbel sehr altertümlich und waren hier und da auch ein wenig abgewetzt. Da die Wohnung sehr klein war, wirkte sie teilweise überladen – die Wände waren voll mit Bildern, die Regale und Kommoden übersät mit Schnickschnack. Dingen, die man eigentlich nicht brauchte, von denen man sich aber doch nur schwer trennen konnte. Nichts desto trotz war die Wohnung gemütlich und einladend – man fühlte sich hier gleich irgendwie wohl.
 

«Wohnen Sie schon lange hier?», fragte Sakura beiläufig und betrachtete den imposanten Wandteppich, den sie gerade entdeckt hatte.
 

«Du sollst doch du zu mir sagen, Liebes. Schon vergessen?»
 

«Oh, entschuldige», meinte Sakura und lächelte verlegen. «Irgendwie kam das ganz automatisch.»
 

Chiyo winkte jedoch nur ab.

«Schon gut. Aber ja, ich wohne hier schon eine ganze Weile.» Die Alte machte eine Pause, runzelte die Stirn und schien zu überlegen. «Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich gar nicht mehr wie viele Jahre es jetzt schon sind.»
 

«Die Zeit vergeht viel zu schnell, mh?», erwiderte Sakura, ohne groß zu überlegen. Erst im Nachhinein fiel ihr auf, dass man das auch in den falschen Hals bekommen könnte. Sie schalt sich in Gedanken und bereute – sie hatte nicht vorgehabt Chiyo vorzuführen. Doch diese reagierte darauf ganz gelassen, schien kein Problem mit ihrem Alter zu haben.
 

«Da gebe ich dir recht. Pass du bloß auf!» Chiyo zeigte mit dem Finger auf sie, schenkte ihr einen gespielt ernsten Blick. «Ehe du dich versiehst bist auch du so alt und runzlig. Zack! Das geht ganz schnell. Es kommt mir vor als wäre es erst gestern gewesen, als ich in deinem Alter war.»
 

Sakura lachte herzhaft.

«Okay, ich werde mich vorsehen.» Sie aß das letzte Stück Kuchen, konnte sich nicht helfen und sammelte auch noch die letzten Krümel mit der Gabel auf. Erschrocken zuckte sie zusammen und machte einen kleinen Satz auf ihrem Stuhl, als sie eine plötzliche Berührung an ihrem Bein spürte. Das Fiepen, das ihr dabei entwich, war ihr Sekunden später schon wieder peinlich, als sie die Katze entdeckte, die unter dem Tisch hervorkam und mit großen Augen zu ihr aufblickte.
 

Chiyo lachte auf und Sakura konnte ihr dafür nichtmal böse sein. Kurz kicherte sie sogar mit über ihr albernes Verhalten – normalerweise war sie nicht so schreckhaft.
 

«Tut mir leid wenn er dich erschreckt hat», meinte Chiyo.
 

«Schon gut, es kam nur unerwartet.»

Sakura beugte sich ein Stück zu dem rot getigerten Kater runter und hielt ihm die Hand hin. «Na Kleiner, wer bist du denn?»
 

Die Katze miaute, starrte misstrauisch auf ihre Hand und gerade als Sakura sich noch ein wenig mehr vor lehnte, um sie zu streicheln, flitzte sie davon, floh den Gang hinab und verschwand um eine Ecke.
 

«Mach dir nichts draus, Hiruko ist ein unfreundliches Biest.»
 

«Hiruko? Was für ein ungewöhnlicher Name für eine Katze.»
 

«Eigentlich heißt er Hiruko der Zweite.»
 

«Der Zweite?», fragte Sakura verdutzt und setzte sich wieder gerade hin. Die alte Frau ihr gegenüber runzelte nachdenklich die Stirn und Sakura hatte den Eindruck, als hätte sich ein Schatten über Chiyos Mimik gelegt.
 

«Naja… ich hatte früher schonmal eine Katze. Was heißt, eigentlich gehörte sie meinem Enkel. Ich habe sie ihm damals geschenkt. Er gab ihr diesen Namen. Ich denke er hat ihn aus irgendeiner Fernsehsendung oder einem seiner Bücher, mit denen er sich damals immer in seinem Zimmer verschanzt hat. Der Kater lief irgendwann weg und kehrte nicht mehr zurück. Und als ich mir ihn hier angeschafft habe, habe ich den Namen einfach übernommen. Ich weiß schon, ich bin furchtbar unkreativ.» Das folgende Lächeln wirkte irgendwie unecht und Sakura fragte sich, was wohl dafür verantwortlich war.
 

«Klingt so als stündet ihr euch nahe. Du und dein Ekel, meine ich.»
 

«Naja ich…»
 

Es entstand eine unangenehme Stille, als Chiyo ihre Antwort künstlich hinauszögerte – und dann einfach, den Blick senkend, verstummte. Obwohl Sakuras Neugier geweckt war, widerstand sie dem Drang nachzuhaken. Das war unhöflich, das gehörte sich nicht – sie kannte die Ältere schließlich nur flüchtig.
 

«Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein», sagte Sakura dann in einem einfühlsamen Ton, der Chiyo wohl zu erreichen schien. Als sie den Blick hob und entschuldigend lächelte, war der trübsinnige Ausdruck in ihren Augen ein wenig gewichen.
 

«Schon gut, das bist du nicht. Es ist nur… schwer für mich darüber zu reden. Wir haben keinen Kontakt mehr.»
 

«Oh.» Sakura wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Der fehlende Kontakt zu Chiyos Enkel schien diese sehr zu bedrücken – obwohl es in der heutigen Zeit gar nicht so unüblich war, dass Oma und Enkel keinen regelmäßigen Kontakt pflegen.

Wieder stieg Neugier in Sakura auf – ob zwischen den beiden wohl etwas vorgefallen war? Probleme oder Streitigkeiten in der Familie? Sie traute sich nicht, nachzufragen, denn eigentlich ging es sie ja auch gar nichts an.
 

Und während die ältere Frau gedankenverloren vor sich auf die Tischplatte starrte, war das Ticken der Wanduhr das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Die trübe Stimmung schien wie ein Betonklotz auf Sakuras Schultern zu lasten. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl herum und als sie einen Blick auf ihre Armbanduhr warf, entschied sie, dass sie wohl besser gehen sollte. Sie räusperte sich, wollte sich schon verabschieden, da ergriff Chiyo unerwartet das Wort.
 

«Die Sache ist ziemlich verzwickt.» Chiyo sah von der Tischplatt zu ihr auf, die Lippen gequält zusammengepresst. «Meine Tochter und ihr Mann starben bei einem Autounfall vor etwas mehr als zwanzig Jahren. Sie waren Wohltäter und haben mehrere Projekte unterstützt, die Kindern in Not helfen. Armut, Missbrauch, gegen solche Dinge setzten sie sich ein. Ich weiß noch…» Abrupt stoppte sie, schüttelte den Kopf, als müsse sie zur Besinnung kommen. «Entschuldige, ich will dich nicht mit meinen Problemen langweilen. Du hast bestimmt besseres zu tun, als dir die Sorgen einer verbitterten, alten Schachtel anzuhören. Ich wollte die Stimmung nicht drücken. Willst du noch ein Stück Kuchen?.»
 

«Nein, ich… würde das gerne hören. Wenn du es mir denn erzählen willst. Man sagt ja, dass es helfen soll, sich die Dinge von der Seele zu reden. Und danke, aber kein Kuchen mehr für mich.»
 

Chiyos Miene hellte sich ein wenig auf. Das kleine, fast unsichtbare Lächeln, das daraufhin über ihr Gesicht huschte, war, seit sie über ihren Enkel sprachen, das erste, das nicht erzwungen wirkte.
 

«Nun gut. Jedenfalls hat er den überraschenden Tod seiner Eltern nicht gut verkraftet. Er war damals noch sehr klein, gerade mal sechs und hat seine Mutter so sehr vergöttert. Das hat ihn schwer getroffen. Der Unfall war ein Schock für uns alle. Jedenfalls habe ich ihn dann aufgezogen und dachte, dass er… naja, darüber hinweg kommen kann man wohl nur schwer, aber dass er sich wenigstens wieder öffnet und seine Lebensfreude wiederfindet. Darauf hatte ich gehofft. Die erste Zeit war natürlich schlimm, er hat oft mitten in der Nacht weinend nach seiner Mutter geschrien. Mit den Jahren wurde es nicht wirklich besser. Die Alpträume haben irgendwann zwar aufgehört, er hat aber dennoch niemanden an sich ran gelassen. Er hat sich so sehr in sich zurückgezogen, dass ich irgendwann nicht mehr wusste, wie ich zu ihm durchdringen sollte. Eine Therapie hat dann ein wenig geholfen, er war aber trotzdem nicht mehr derselbe. Der kleine, anhängliche, fröhliche Junge gab es nicht mehr. Als er auszog und studieren ging, hab ich mit aller Kraft versucht den Kontakt aufrecht zu halten. Es ist mir nicht lange gelungen. Er hat meine Anrufe irgendwann einfach ignoriert und als ich ihn daraufhin einmal besuchen wollte, machte mir ein junges Pärchen die Tür auf. Sie erzählten mir, dass mein Enkel schon lange nicht mehr dort wohnen würde…»
 

«Dann weisst du gar nicht, wo er jetzt lebt? Was er tut und wie es ihm geht?»
 

«Ich wollte ihn ausfindig machen, wusste aber nicht, wie ich das anstellen sollte. Ich fühle mich schon mit einer Kaffeemaschine mit diesen Kapseln überfordert, da wüsste ich mit einem Computer nichts anzufangen. Außerdem war er da schon erwachsen und vielleicht hatte er seine Gründe, warum er mich nicht in seinem Leben wollte. Ich bin ihm egal geworden. Und ich kann ihn schließlich nicht dazu zwingen, sich mit mir abzugeben. Ich mache mir nur so schreckliche Vorwürfe… ich hätte mehr für ihn tun müssen, ihm irgendwie helfen.»
 

«Hm, schwierig. Aber ich denke, dass du dich nicht dafür strafen solltest. So gut du es mit ihm gemeint hast, eine Mutter kann man einfach nicht ersetzten. Du hast bestimmt das Menschenmöglichste für ihn getan.»
 

Zweifelnd sah Chiyo sie an, was der Moment war, in dem sich Sakura entschied, der alten Dame zu helfen. Soweit sie konnte, jedenfalls. Irgendwie musste man den mittlerweile jungen Mann doch ausfindig machen können.
 

«Hm, du… würdest ihn aber gerne wiedersehen wollen?», fragte sie vorsichtig nach und war gedanklich schon auf Google am recherchieren.
 

«Natürlich. Wenn er mich nur lassen würde. Aber ich denke nicht, dass das in diesem Leben noch geschehen wird. Sasori war schon immer ein Dickkopf. Wenn er für sich etwas entschieden hat, dann bleibt er dabei und ändert seine Meinung nicht eben schnell mal so.»
 

Sakura horchte auf.

«Moment, Sasori?»
 

«Ja, Sasori Akasuna», erwiderte Chiyo ein wenig verwirrt.
 

«Kurze, rote Haare, ungefähr Mitte zwanzig, so um die eins sechzig, fünfundsechzig groß?»
 

Chiyo machte große Augen und brachte im ersten Moment kein Wort heraus.

«Sag bloß! Du… kennst du ihn etwa?», stammelte sie aufgeregt.
 

«Kennen wäre übertrieben. Aber ich hatte letztens beruflich mit ihm zu tun.» Sie dachte an ihre Begegnung mit ihm zurück, seine kalte, unnahbare Art und konnte jetzt zumindest im Ansatz nachvollziehen, warum er so war.
 

«Steckt er in Schwierigkeiten?»
 

Besorgt wurde sie von Chiyo gemustert, weshalb sie schnell abwinkte.

«Nein, nein. Wir haben bloß bei einer unserer Ermittlungen seine Meinung eingeholt.»
 

«Meinung worüber?», fragte die Alte irritiert, was wiederum Sakura verunsicherte. Chiyo wusste doch, welcher Arbeit sie nachging, oder? Sakura hatte zumindest immer gedacht, dass sie es irgendwann mal erwähnt hatte.
 

«Über die Leiche eines Mordopfers. Er hat sie sich aushilfsmäßig angesehen.»
 

Fragend zog Chiyo die Brauen hoch, machte den Anschein, als würde sie gar nichts mehr verstehen, weshalb Sakura nachhalf: «Er ist Rechtsmediziner und arbeitet in der Pathologie. Hast du das nicht gewusst?»
 

Sakura brach es beinahe das Herz, als die Alte verloren den Kopf schüttelte. Behutsam langte Sakura nach Chiyos Hand und drückte sie sachte.
 

«Wie hat er gewirkt? Geht es ihm gut?», fragte Chiyo besorgt nach. Als Sakura gerade antworten wollte, klingelte ihr Handy, das vor ihm auf dem Tisch lag und das Holz zum vibrieren brachte. Das Display zeigte Sasukes Name an, worauf Sakura sich fast erschreckte, als sie auf die Uhr sah.
 

«Mist, schon so spät?» Sie stand auf, schnappte sich ihre Tasche und warf das noch immer klingelnde Mobiltelefon hastig hinein. War doch unsinnig, ranzugehen, wenn sie sowieso nur in ein paar Sekunden Zuhause sein würde. «Entschuldige, ich muss los, Sasuke wartet bestimmt schon mit dem Abendessen.»
 

«Ja, natürlich.»
 

«Ich werde dir seine Nummer raussuchen, okay?», versprach Sakura, während sie in ihre Schuhe schlüpfte. Chiyo hatte sie zur Tür begleitet und hielt ihr diese nun auf. «Dann rufst du ihn an und sprichst dich mit ihm aus. Ich bin sicher, dass du ihm nicht egal bist, okay?»
 

Chiyo nickte zaghaft, worauf Sakura ihr aufmunternd auf die Schulter klopfte.
 

«Familie ist niemals egal.»
 


 

♦︎
 

«Er ist mir entwischt.»
 

Seine Stimme hörte sich rau und kratzig an, was Madara nicht verwunderte, schließlich musste sein kleiner Schoßhund eine menge Rauch eingeatmet haben – ein Wunder, dass er sich keine Vergiftung eingefangen hatte. Dennoch hatten ihn die Ärzte vorsorglich an ein Beatmungsgerät angeschlossen, durch welches er in steten Abständen mit Sauerstoff versorgt wurde. In dem weiß bezogenen Krankenbett und den steril wirkenden Zimmerwänden, sah Obito mehr denn je fehl am Platz aus. Die Verbände, die fast seinen gesamten Körper umhüllten, verstärkte dieses Bild nur noch. Einzig der rechte Arm, das rechte Auge, sowie ein Ohr waren ausgespart worden. Oben am Kopf gab es eine Stelle, an der der Wundverband nicht ordentlich angelegt worden war und an dem ein Büschel schwarzer Haare herausguckte.
 

Eine Mumie, schoss es Madara durch den Kopf. Oder ein missglücktes Experiment Frankensteins. Er musste an den Anblick zurückdenken, der sich im geboten hatte, als Obito vor seinem Anwesen zusammengebrochen war. Anstatt einen Krankenwagen zu rufen oder sich sonst wo Hilfe zu suchen, hatte sich dieser Irre trotz den schweren Verletzungen hinters Steuer gesetzt und hatte es tatsächlich die Strecke bis zu seinem Anwesen geschafft. Madara vermutete, dass es dem Schock zuzuschreiben war, warum er so gehandelt hatte.
 

Seine Leute hatten ihn in der Einfahrt im Auto entdeckt und hatten gekeucht und gewürgt, waren angewidert zurückgewichen, als sie die Wagentür aufgemacht hatten. Und auch Madara drehte sich noch immer der Magen um, als er an die verkohlte, schwarze Gestalt zurückdachte, die seine Männer aus dem Auto gezogen hatten. Es war, als könnte er den abartigen Gestank von verbranntem Fleisch noch immer riechen. Oder aber er lag tatsächlich noch in der Luft und die Desinfektionsmittel des Krankenhauses waren bloß nicht im Stande ihn zu übertünchen.
 

«Er war nicht allein. Er hatte Hilfe.»
 

Eine Eigenschaft die Madara schon immer an Obito zu schätzen gewusst hatte – er gab sein Versagen offen zu und versuchte es nicht mit läppischen Erklärungen zu beschönigen. Er blieb sachlich, informativ und sparte sich eine Entschuldigung – die Madara sowieso nur noch mehr verärgert hätte. Er heulte nicht rum oder unternahm den kümmerlichen Versuch, Mitgefühl bei ihm auszulösen, wie es einige seiner Männer zu tun pflegten, wenn sie scheiterten und seinen Zorn fürchteten. Mochte einer der Gründe sein, warum er Obito als etwas Besonderes ansah und ihn vor ein paar Jahren in diese privilegierte Stellung, als seinen Bluthund, befördert hatte.
 

Auch jetzt, wo er so schwer verwundet war, gerade erst seine Not-OP hinter sich hatte und ihn zusätzlich sicherlich ein Cocktail an Betäubungsmitteln in den Schlaf reißen wollten, stierte er ihm eisern in die Augen. Ergeben und hellwach – als würde er sich keine Schwäche vor ihm erlauben.
 

Der Kerl war hart im nehmen. Das hatte Madara schon damals erkannt, als er ihn als Kind bei sich aufgenommen hatte. Seine besten Männer hatten ihn ausgebildet, er hatte keine Mühen und Kosten gescheut, ihn nach seinen Wünschen zu formen.
 

Er hatte es nie bereut. Bis jetzt.
 

Obitos Fehlschlag hatte einen sauren Geschmack auf seiner Zunge verursacht. Und er fragte sich, ob es womöglich schon an der Zeit war, ihn ausrangieren zu lassen. Er brauchte schließlich funktionsfähige Werkzeuge. Vor allem bei diesem äußerst wichtigem und dringlichem Anliegen, das der Jüngere vermasselt hatte.
 

«Ich knöpfe mir den Blonden vor und bringe dir den Skorpion.»
 

Ein kaltes Lächeln umspielte Madaras Lippen. Dieser Tatendrang, er fand ihn amüsant. Dabei sollte dem Jüngeren doch klar sein, dass er die nächsten Tage flach liegen würde. Einsatzunfähig.
 

«Das wird nicht nötig sein. Ich habe genügend Männer, die ich damit behelligen kann.»
 

Zerknirscht schenkte Obito ihm einen Blick, den Madara schon bei unzähligen seiner Untergebenen gesehen hatte.
 

«Ich will es tun. Sobald ich hier raus bin. Ich werde Euch nicht noch mal enttäuschen, darauf habt Ihr mein Wort. Ich bin der Beste für diesen Job.»
 

Oh, wie schnell die zarte, nach Anerkennung lechzende Kinderseele von ihm zum Vorschein gebracht werden konnte. Und genauso schnell konnte er sie zerquetschen, wenn er es wünschte.
 

Die Atemmaske, die Obito aufgesetzt bekommen hatte, beschlug bei jedem seiner raschen Atemzüge, während Madara die bandagierte Hand, die sich über dem Laken ballte, keineswegs entgangen war.
 

Er wägte nachdenklich den Kopf, doch noch ehe er sich entscheiden konnte, klopfte es an der Tür.
 

Madara gab seinen beiden Männern, mit denen er hergekommen war und die sich bei der Tür postiert hatten, ein Zeichen diese zu öffnen. Er hatte bereits auf jene Person gewartet, wo hingegen es schien, als ob Obito sich keinen Reim auf den Besuch machen konnte.
 

«Ihr hab uns rufen lassen? Dürfen wir fragen, warum Ihr uns ins Krankenhaus beordert habt und–»
 

«Nicht er!», protestierte Obito sogleich, als er Zetsu erblickte.
 

«Oh», entkam es diesem nur. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, entblößte spitze Zähne. «Da haben wir ja den Grund», spottete Zetsu weiter, schien überaus erfreut, den Schwarzhaarigen bandagiert und am Tropf hängend angeschlossen zu sehen.
 

«Sieht ganz danach aus, als hättest du gründlich verkackt», witzelte Zetsu euphorisch und konnte sich ein gehässiges Auflachen nicht verkneifen.

Obitos Reaktion bestand darin seine Augen zu verengen und mit dem Kiefer zu mahlen – Madara konnte es an dem sich spannenden Verband erkennen.
 

«Was tut er hier?», fragte der Schwarzhaarige ruhig, auch wenn man seine Wut deutlich heraushören konnte.
 

«Was denkst du denn?», stellte Madara die Gegenfrage. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis es Obito aufgegangen sein musste. Und er schien nicht erfreut, vielmehr betroffen.
 

«Wir sollen für ihn einspringen?», fragte der Neuankömmling überrascht. Seine Irden funkelten begierig, sofort neigte er ehrwürdig den Kopf, deutete eine Verbeugung an. «Wir werden Euch nicht enttäuschen, Madara-sama.»
 

«Bitte überdenkt Eure Entscheidung, Madara.» Obito ließ das Höflichkeitsanhängsel weg, versuchte ihn offenbar durch eine vertrautere Anrede zum Umstimmen zu bewegen. Der eindringliche Blick stieß bei Madara jedoch auf Granit. Obitos Einwand verwunderte ihn dennoch nicht. Der Bluthund hasste den Grünhaarigen bis auf’s Blut. Was jedoch genauso auf Gegenseitigkeit beruhte.
 

Die beiden feindeten sich oft an. Auch wenn sich Madara bis heute nicht erschlossen hatte, woher ihre Abneigung dem anderen gegenüber herrührte. Doch eigentlich interessierte es ihn auch nicht.

Am Anfang hatte ihn dieser Konkurrenzkampf manches mal noch amüsiert – sie waren wie zwei Hunde, die sich um den Knebel stritten den sie für ihn apportieren sollten. Doch in letzter Zeit zehrte diese Streitigkeiten nur noch an seinen Nerven.
 

«Dieses unfähige Pack ist der Aufgabe nicht gewachsen», zischte Obito mit verachtendem Blick auf Zetsu, der wiederum riss den Kopf hoch und funkelte ihn mörderisch an.
 

«Scheißkerl!», schrie Zetsu unvermittelt, mit hohler, schriller Stimme. «Wir wünschten du wärst qualvoll verbrannt! Wir hätten nur zu gerne zugesehen und deinem weibischen Kreischen gelauscht!» Ein irres Lachen schallte durch den Raum, während sich Zetsus Miene in eine unnatürliche Fratze verzerrte. Die beiden Männer an der Tür zuckten erschrocken zusammen und Madara konnte es ihnen nicht verübeln. Wenn man Zetsu und seine gelegentlichen Ausbrüche nicht kannte, konnten sie einen ganz schön verstören.
 

Es war erstaunlich wie schnell die Stimmung des Grünhaarigen kippen konnte. Im einen Moment war er noch ruhig und freundlich, im nächsten grinste er bestialisch und drohte dir mit einer Stimme, die dir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war nur naheliegend, dass diese radikalen Stimmungsschwankungen auf eine Persönlichkeitsstörung zurückzuführen war. Dass er von sich in der dritten Person sprach, bestärkte dies nur noch.
 

Doch auch wenn Madara darüber bescheid wusste, hatte er immer davon abgesehen, ihn in eine Therapie zu schicken. Madara glaubte, dass es gerade dieser Störung zu verdanken war, warum sich Zetsu so perfekt, wie ein Chamäleon, in die verschiedensten Personen schlüpfen konnte. Er tauchte unter, verschwamm in der Masse, ohne dass auch nur einer von ihm Notiz nahm. Als Spion war diese Fähigkeit Gold wert.

Madara wusste bis heute nicht, wie Zetsu es anstellte. Die anderen Spione und Informanten, deren Dienste Madara ab und an in Anspruch nahm, benutzten dafür Masken, Perücken, verkleideten sich. Doch in Zetsus Nähe hatte er nie solche Utensilien gesehen. Was nichts daran änderte, dass der Grünhaarige ein Ass in seinem Gebiet war. Der Beste, den Madara kannte.
 

Es blieb ihm dennoch ein Rätsel, wie der Jüngere es anstellte. Doch so lange er nur weiter für ihn arbeiten würde, war es ihm gleich, dass dieser sein Geheimnis wahrte.
 

«Genug!», bellte Madara und erhob die Hand zum Zeichen, dass er gefälligst still sein sollte. Zetsus Lachen erstickte in seiner Kehle, bevor er in seine gewohnt devote Haltung zurückfiel.
 

«Ich gebe dir noch eine Chance, Obito. Solltest du ein zweites mal versagen, weißt du, was dich erwartet.» Im Augenwinkel bemerkte Madara eine hastige Bewegung. Als er den Kopf zur Seite wandte, schob sich das Bild eines verärgerten Zetsus in sein Blickfeld.
 

«Gewiss, ich danke Euch, Madara-sama.» Zufrieden neigte der Verletzte den Kopf – so weit es ihm möglich war.
 

«Ich gebe dir zwei Wochen, also vergeude nicht allzu viel Zeit mit deiner Genesung. Bring mir den Skorpion. Sollte ich dennoch frühzeitig die Geduld verlieren, dann setze ich Zetsu früher ein als geplant.»
 

«Jawohl.»
 

Damit war das Gespräch beendet.
 

Madara wandte sich zum Gehen, befahl den beiden Männern an der Tür als Unterstützung für die Zeit hier zu bleiben. Als kleiner Antrieb für den Bluthund, der damit gewiss nicht vergessen würde, dass er ihn im Auge behielt. Und über seine Fortschritte in Kenntnis war.
 

Der Krankenhausflur wurde von den Deckenlampen hell erleuchtet, doch kein Angestellter war zu dieser späten Stunde mehr anzutreffen, als er den langen Gang Richtung Aufzug entlanglief. Der Linoleum quietschte unter seinen Sohlen, während sich ihm von hinten Schritte näherten.
 

«Dürften wir–», begann Zetsu, als er zu ihm aufgeschlossen hatte. Doch Madara schnitt ihm mit einer unwirschen Handbewegung das Wort ab.
 

«Nein, du darfst nicht. Ich will nichts hören.»
 

«Wir tun alles für Euch, Meister», hörte er Zetsu sagen, in einem Ton, der ihm nicht gefiel. «Wir bitten nur um eine Möglichkeit es Euch zu beweisen. Es gibt niemanden, der Euch mehr verehrt. Wir wollen dienen, doch Ihr lässt uns nicht.»
 

Sie waren mittlerweile stehengeblieben und Madara sah sich mit der störrischen Aufmüpfigkeit des Grünhaarigen konfrontiert. Er sah es an Zetsu verbitterten Zügen – in seinen Augen traute er ihm zu wenig zu. Er haschte nach seiner Aufmerksamkeit, wollte sich beweisen, gierte geradezu darauf, seine Sympathie zu gewinnen.
 

Zetsu war talentiert, gewiss. Doch er war auch impulsiv, trotzig und manchmal erschien er Madara unberechenbar. Eigenschaften die sich nunmal schwer steuern ließen.
 

«Dann diene, indem du meine Entscheidung akzeptierst.»

Aus dem selben Grund, aus dem er Obito vorhin noch eine Chance gegeben hatte, ließ er den Grünhaarigen ohne ein weiters Wort hinter sich zurück.
 

Zetsu würde immer die Nummer zwei bleiben.



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