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Tears and Laughter

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
*Aus einem monströsen Haufen Papier ausbuddle*
Hallo, ihr Lieben!
Entgegen einiger Annahmen bin ich am Leben (so mehr oder minder…) und habe auch nicht vor Tears and Laughter abzubrechen.
Ich habe lediglich so viel Papierkram auf meinem Tisch, dass ich ihn kaum noch sehen kann ٩(๏̯๏)۶
Auch habe ich mir die Dreistigkeit rausgenommen wieder bei ein paar Pen & Paper Runden mit Freunden dabei zu sein (Hontou ni gomen nassai! ծ‸ ծ)
Das alles ist für mich im Moment bitternötig, verschlingt aber auch genauso viel Zeit.
Also, es wird immer weiter gehen, aber wann es soweit ist mag ich noch nicht mal rein spekulativ etwas zu sagen. In erster Linie muss ich gerade meine Ausbildung überleben ((╯°□°)╯︵ ┻━┻)
Ich bitte um euer Verständnis!
Stay tuned! Komplett anzeigen

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Initiative und Beharrlichkeit

Sky

Es war dunkel.

Ich kniete auf dem unebenen Kopfsteinboden. Auf dieser Straße im Nirgendwo. Neben mir flackerte das Licht der alten Straßenlaterne. Hinter den gelben Lichtkegeln endete diese Welt. Hinter dem Licht gab es nichts außer einer großen, einsamen Leere.

Keine Häuser.

Keine Menschen.

Nichts.

Nur die Straße vor und hinter mir war endlos.

Ich saß schon lange hier.

Ich wusste nicht wie lange, aber ich saß schon lange hier.

Ich kannte diese Straße. Diese endlose dunkle Straße im Nirgendwo. Ich war hier oft. Vollkommen und mutterseelenallein. Anfangs.

Allein.

Ich war allein…

Ich schlang die Arme um meine Brust und kniff die Augen in meinem hängenden Gesicht zusammen.

Ich war allein…

Und als ich so gequält feststellte wie einsam und verlassen ich war, streifte ein Geruch meine Nase. Sofort zuckte mein Kopf nach oben und meine Augen sprangen auf.

Ich kannte diesen Geruch.

Zucker.

Gras.

Zedernholz.

Niemals, unter keinen Umständen könnte ich diesen Geruch vergessen.

Und in dem Moment, an dem ich meinen Kopf hochgenommen hatte, schritt jemand an mir vorbei.

Ich kannte diesen Jemand.

Silbernes, endloses Haar. Das scharf geschnittene, so stattliche Gesicht verhangen von einem langen Pony. Gekleidet in einer schwarzen Robe. Die Absätze der hohen Lackstiefel machten keinen Ton auf dem zerklüfteten Kopfsteinpflaster.

Er war noch nie hier gewesen: „Undertaker?“

Doch er hörte mich nicht. Er ging einfach weiter. Mir wurde kalt. Er hörte mich sonst immer. Wollte er mich nicht hören? „...Undertaker?“

Er stoppte nicht. Lautlos ging er weiter die endlose Straße entlang.

„Hey!“, ich rief weiter nach ihm. Der Gedanke er ging einfach an mir vorbei und ignorierte mich war schlichtweg zu grausam: „Undertaker!“

Er blieb stehen. Mein Herz machte einen lauten Schlag und setzte aus. Langsam, sehr langsam drehte er sich zu mir um. In seinem verhangenen Gesicht stand sein ewiges Grinsen.

„Es tut mir leid!“

Sein Kopf neigte sich gemächlich zur Seite.

„Wirklich! Es tut mir alles so unendlich leid! Ich… ich wollte nicht… Ich wollte das alles so nicht! Bitte! Glaub mir!“

Träge hob er wieder den Kopf. Gleichzeitig die Arme. Mit weiten Augen sah ich wie er seine Arme ausbreitete. Mir entfuhr ein hauchendes Geräusch der Erleichterung, ein halbes Lachen bei diesem Anblick. Sofort sprang ich auf meine nackten Füße und rannte auf ihn zu. So schnell ich konnte. Wollte mich in seine Arme werfen. Ihn in meine eigenen nehmen. Doch als ich bei ihm angekommen war drehte er seine Hände und griff mich an meinen Handgelenken.

Fest.

So fest, dass es wehtat. Ich schaute in seine Augen. Doch ich sah nur seinen Pony und dieses endlose Grinsen: „Was tust du?“

Sein Griff wurde noch fester. Ich zog an meinen Händen: „Undertaker?!“

Er bog meine Arme nach oben, vollkommen ungeachtet der Tatsache, ob er es gegen ihre natürliche Richtung tat. Tränen stiegen mir in die Augen: „Aua! Lass das! Du tust mir weh!“

Er kicherte und bog meine Arme weiter. Sein Kichern war so kalt und so unendlich dunkel. Es schickte mir mehr als nur einen kalten Schauer durch den heißen Schmerz: „Au! Au! Du machst mir Angst! Hör auf! Undertaker, was soll das? Du tust mir weh, hör auf!“

Ich kam nicht gegen ihn an. All das Zerren und Zetern war vollkommen sinnlos: „Aua! Bitte! Du tust mir weh! Du tust mir weh!“

Plötzlich warf er mich zur Seite. Gnadenlos landete ich auf dem harten Steinboden. Meine von der Überdehnung brennenden Arme zitterten, als ich mich aufstütze und den Kopf zu ihm wandte. Er stand dort und hielt sich die Hand vor sein Kichern.

„Warum?“, die Tränen rollten meine Wangen hinunter: „Macht es dir Spaß mir weh zu tun?“

Mit einem breiten Grinsen nickte er stumm auf etwas hinter mir.

Bevor ich meinen Kopf dort hin drehen konnte, traf etwas brachial meine Magengegend. Mit einem erstickten Aufschrei rollte ich einige Meter zur Seite.

Wimmernd blieb ich bäuchlings liegen. Ich verstand nicht was vor sich ging. Was passierte hier?

Etwas schob sich unter meinen Kopf und hob ihn am Kinn an. Ich sah ein Bein vor meinen Augen. Es trug eine blue Jeans. Zu Undertaker gehörte es sicher nicht. Meine Augen wanderten langsam das blaue Hosenbein hinauf, über ein weißes T- Shirt, in ein Gesicht mit kalten blauen Augen umrahmt von blonden kurzen Haaren. Zwischen den Augen zog sich eine grobe Narbe in Richtung Stirn.

„D-d...“, mein Herz blieb stehen: „D-dad?“

Sein Gesicht musterte mich eisig und von oben herab. Dann trat er mir gegen die Schulter. Mit einem Aufschrei drehte ich mich auf den Rücken. Ich stöhnte, als ich mir die schmerzende Schulter hielt und mich aufstützte.

Mein Blick fiel auf Undertaker.

Das Kichern war dieses endlos grausame Lachen geworden.

Hatte ich es so weit getrieben?

Ich konnte, nein, ich wollte nicht glauben, dass er sich gerade so benahm.

Er wollte mir doch immer helfen!

Er sagte doch trotz allem wollte er nicht, dass mir etwas passiert!

„Under…!“, bei der Hälfte meines Hilferufs brach ich ab.

Denn bei der Hälfte meines Hilferufs drehte er sich ab und machte sich auf den Weg die Straße hinunter.

„Nein!“, ich fuhr in den Sitz: „Undertaker!“

Auf einmal ging ein steifer Wind über die leere Straße. Undertakers Gestalt brach mit einem lauten Knacken und der heftige Wind nahm sie als viele bunt schillernde Splitter mit sich, bis sie im schwarzen Nirgendwo verschwanden: „Undertaker!!“

Was von ihm auf der Straße übrig blieb und sich aufgrund meiner Rufe zu mir drehte, schockierte mich zutiefst. Es war der Zombie. Der Zombie, der mich gestern am Badezimmer so erschreckt hatte.

Ein Fuß traf meine Schulter. Zerquetschte meine Finger. Mein Rücken schlug auf dem harten, kalten Pflaster auf. Ich schaute meinem Vater in sein Gesicht, der seinen Fuß noch immer in meine Finger und Schulter bohrte: „Bitte! Bitte, tu mir nichts! Bitte! Tu mir nicht weh! Nicht mehr!“

Ich wusste er würde mir wehtun.

Sein Fuß verschwand. Er nahm ihm nach oben. Unheilvoll schwebte er direkt über meinem Gesicht. Ich hob abwehrend die Hände: „Nein!“

Sein Fuß fuhr nach unten, durchbrach ohne Mühe meine zittrige Abwehr: „Nein!“

Und raste auf mein Gesicht zu: „Nein!!
 

Nein!!

Ich saß aufrecht im Bett.

Vollkommen benebelt von diesem endlos grausamen Traum.

Ich war in meinem Zimmer.

Mir war heiß und kalt gleichzeitig und ein fieser Schwindel wütete in meinem Kopf, wie das Zittern in meinen Gliedern.

Mein Atem und mein Herz rasten. Mit zitternder Hand wischte ich mir meine Haare aus meinem Gesicht.

Poltern hallte durch den Flur hinter meiner geschlossenen Zimmertüre. Als die Türe aufgerissen wurde zuckte mein Kopf herum.

„Sky!“, Amy kam in mein Zimmer gestürzt. Sie trug ihren Pyjama: „Sky, was ist los?! Warum schreist du?!“

„Ich...“, ich konnte kaum sprechen. Mein Mund war trocken und klebrig. In meinen Augen brannten Tränen: „...Ich...“

Die junge Phantomhive kniete sich mit einem besorgten Ausdruck neben mein Bett: „Alptraum?“

Ich nickte schwach. Noch immer pulsierte mein Blut durch meinen Körper und mein Atem raschelte.

Amy legte ihre Hand auf meine. Sie kannte das Spiel. Seit Jahren. „Wieder der Alptraumboulevard?“

Wieder konnte ich nur nicken.

‚Alptraumboulevard‘ war der gängige Spitzname zwischen uns für meinen Alptraum auf der Kopfsteinpflasterstraße im Nirgendwo. Boulevard deswegen, da es definitiv eine Prachtstraße von Alptraum war.

„Ach herrje“, Amy nahm mich in den Arm: „Alles gut, Süße. Es ist vorbei.“

Ich umarmte sie zurück. Die Tränen fielen aus meinen Augen. Ich konnte Amy nicht sagen, dass der Alptraum dieses Mal etwas anders gewesen war. Wer noch dort gewesen war und in was er sich verwandelt hatte. Ich konnte gar nichts sagen.

Der Schwindel ließ nicht nach. In meinen Armen und Beinen zog es unangenehm. Ich hatte Kopfschmerzen und jetzt, wo der heiße Schreck verschwunden war, war mir nur noch kalt.

Amber ließ von mir ab: „Ich würde gerne sagen lege dich noch etwas hin, aber wir müssen in 5 Minuten eh aufstehen.“

Ich nickte wieder, immer noch von meinen Worten komplett verlassen.

Es war nur ein Traum.

Und trotzdem tat die Erinnerung daran, wie Undertaker mich behandelt hatte, so weh. Dass er mir wehgetan hatte. Mich meinem Vater zum Fraß vorwarf.

Lachend.

Dunkel und kalt lachend.

Ich schaute Amy an: „Geht schon klar, ich... bin in Ordnung.“

„Sicher?“, hob Amy eine Augenbraue an.

Ich nickte wieder: „Ja, ich… war nur erschreckt. Es tut mir leid. Mach du dich zuerst fertig.“

„Ok“, Amy lächelte mir ein letztes Mal schwesterlich entgegen: „Bis gleich.“

„Bis gleich.“

Die Phantomhive verließ mein Zimmer.

Ich blieb noch eine kurze Weile sitzen.

Irgendwann krabbelte ich aus dem Bett. Der Schwindel stob auf und es dauerte bis sich das bunte Funkeln vor meinen Augen beruhigt hatte. Mein Kopf puckerte. In meinen Armen und Beinen lag immer noch ein fieses Ziehen. Als ich mir gerade meine Schläfen massierte rollte ein kleiner, kalter Windstoß über meinen Rücken. Ich wandte mich um.

Träge wehten meine violetten, eigentlich immer zugezogenen Gardinen in einem kühlen Luftzug, der durch mein offenes Fenster kroch. Irritiert schaute ich auf die wehenden Gardinen.

Ich tapste immer noch von Taumel geplagt die zwei Schritte voran.

Warum stand es offen?

Am Fenster angekommen schüttelte ich den Kopf. Sicher war mir des Nachts zu warm geworden und ich habe das Fenster selber geöffnet, bin im Anschluss sofort wieder eingeschlafen und habe es deswegen vergessen. Ich griff den Hebel meines Fensters, doch stockte, denn der Hebel stand gar nicht so, wie er stehen müsse um das Fenster ganz zu öffnen. Er war geschlossen. Ich tat es mit einem Kopfschütteln ab. Vielleicht hatte ich ihn versehentlich wieder verdreht. So schloss ich das Fenster und zog die Vorhänge zu.

Dann tapste ich weiter zu meinem Kleiderschrank. Um mich umzuziehen setzte ich mich allerdings wieder auf mein Bett. Der unangenehme Schwindel in meinem Kopf war anstrengend, mir war so kalt, dass ich zitterte und ich hatte das Gefühl mich mit dem Umziehen schon hemmungslos verausgabt zu haben.

Es klopfte zweimal an meine Türe. Amys Zeichen dafür, dass das Badezimmer frei war. Auf dem Weg ins Bad zwang ich mich den Schwindel zu ignorieren.

Nachdem ich mir die Zähne geputzt, mich geschminkt, die Haare gekämmt und oben in meine übliche Frisur gedreht hatte, fiel unwillkürlich mein Blick auf das Abbild etlicher Kleidungsstücke über unserer Heizung in dem Spiegel vor mir. Unter dem ganzen Berg zerstörter Herrenanzüge lugten die Schösse eines langen schwarzen Mantels heraus. Bei diesem Anblick wurde ich mir erst richtig bewusst, dass der Totengräber heute wieder vorbeischauen wollte.

Irgendwie... hatte ich Angst vor dieser Begegnung.

Wie wird er sich verhalten?

Zugewandt?

Abgewandt?

Resigniert seufzend ging ich ins Wohnzimmer und wenig später mit Amber durch zum Morgentee.

Ich unterdrückte meinen Schwindel und das Ziehen. Sicherlich waren das nur die Nachwehen des auszehrenden Wochenendes, der doch recht aufreibenden Begegnung mit dem Leviathan und der Tatsache, dass ich schon länger nicht gut geschlafen hatte.

Wie üblich trank ich allerdings keinen Tee, sondern schwarzen Kaffee.

Die Phantomhive unterhielt sich mit mir über Gott und die Welt. Doch waren meine Antworten eher einsilbig, wenn mir Amy überhaupt mehr als ein Nicken oder Kopfschütteln abluchsen konnte.

Nachdem wir unsere Kaffeeservice auf den Küchenwagen stellten, verließen wir das Wohnheim.

„Ich hatte auch einen Albtraum“, sagte Amy recht unvermittelt: „Der war ziemlich weird.“

„Echt? Was für einen?“

Amy wedelte mit einer Hand: „Von ‘nem komischen Zombie. Hat mich die ganze Nacht durch irgendeinen Wald gescheucht. Ekliges Vieh.“

Ich wurde hellhörig: „Zombie?“

„Jup.“

Ich wusste genau, dass Amy gestern meine Erklärung und Beschreibung verpasst hatte, da sie duschen gewesen war. Es kam mir spanisch vor, dass Amber genau in der Nacht von einem Zombie träumte, in der mich einer fast zu Tode erschreckt hatte, erweitert durch die Tatsache, dass er auch in meinem Traum vorgekommen war: „Wie sah der aus?“

„Ja“, Amy rollte nachdenkend im Gehen die Augen nach oben: „Wie ‘n Zombie halt. Ein Auge war weg, Gedärme fielen heraus, das Fleisch war eher Moder, usw.“

Ich legte den Kopf schief: „War er groß?“

Amy schaute mich skeptisch an, als wir durch die Türe auf den Schulhof traten: „Ziemlich.“

„Langgezogen?“

Amys Augen flatterten, als sie wie vom Donner gerührt stehen blieb: „Ja. Woher weißt du das?“

Ich seufzte und stoppte ebenfalls: „Fuck...“

Amy zog eine Augenbraue hoch und die Andere herunter: „Sky?“

„Das...“, ich seufzte ein weiteres Mal: „Das Vieh, was mich gestern erschreckt hatte, sah genauso aus und… ich habe auch davon geträumt.“

„Das war ein Zombie?!“, rief Amy erschrocken aus: „Und du hast auch davon geträumt?!“

Ich nickte müde. Meinem Körper war jede Bewegung, jedes Wort und jeder Gedanke eigentlich zu anstrengend, doch es gab im Moment wichtigeres.

Amy schaute mich derweilen blinzelnd an. Hinter ihrem Königsblau rasten einige Gedanken: „Aber… ich habe gestern nicht mitbekommen, was dich erschreckt hat. Ich konnte nicht wissen wie es aussieht.“

Ich nickte wieder: „Stimmt, deswegen ist es auch ziemlich bedenklich, findest du nicht?“

Amber verschränkte die Arme: „Das ist echt zu verrückt um ein Zufall zu sein“, dann ging die Phantomhive weiter: „Was ein Scheiß! Wir sagen später Undertaker Bescheid. Vielleicht klingelt bei ihm dann doch was.“

Bei dem Klang dieses Namens fuhr ein scharfer Blitz durch mich hindurch.

Wegen gestern…

Wegen dem Traum…: ‚Es war nur ein Traum!‘

Ich schloss zu Amy auf: „Klar, tu‘ das.“

Mit diesen Worten betraten wir das Schulgebäude und starteten in einen sehr langen wie anstrengenden Schultag.
 

Stumm saß ich auf meinem Platz und versuchte dem Unterricht zu folgen. Was die Lehrer mir erzählten war allerdings an mir abgeprallt und so gut wie komplett vorbei gegangen. Der Gedanke Undertaker könnte sich von mir abwenden lenkte mich einfach zu sehr ab.

Das an die ersten 2 Schulstunden anschließende Frühstück war meinerseits von Appetitlosigkeit getragen, doch ließ ich mich von Amy dazu bewegen wenigstens einen Joghurt zu essen. Doch bevor wir den Frühstückstisch überhaupt erreichten, wurden wir von Annmarie Galiger aufgehalten. Sehr zu meinem Leidwesen. Mein Kreislauf war immer noch schwach und ich wollte mich hinsetzen. Amy sah es mir wohl an und deutete mir, dass ich weiter gehen konnte. Ich nahm ihr Angebot dankbar entgegen.

So ging ich vor und Amy unterhielt sich eine Weile mit der Green Prefect.

Als ich mir gerade den 3ten Löffel meines Joghurts in den Mund geschoben hatte, kam die Phantomhive Jr. zu mir an den Tisch und wartete mit einer ganz schlechten Überraschung auf. Sie berichtete, dass die Sport AG für die Volleyballmannschaft bis zum Turnier Pflicht sei.

Entnervt wandte ich mich danach wieder meinen Joghurt zu.

Auch Amy wandte sich ab und tippte auf ihrem Handy herum. Sobald ihr Vibrationsalarm brummte war die junge Phantomhive schon seit ein paar Tagen nicht mehr zu sprechen.

Als ich meinen Joghurt bezwungen hatte stand ich auf und warf einen verstohlenen Blick über Amys Schulter. Ein kleines Lächeln erschien auf meinen Lippen, als ich über dem WhatsApp Chat auf ihrem Handy den Namen »Lee« las.

Erst wurde sie Halloween rot, als er sie zum Tanz einlud und jetzt tippt sie sich an ihm die Finger wund?

Ich war mir ziemlich sicher, Amber schwärmte für den jungen Asiaten.

Als auch Amy zuende gefrühstückt hatte, gingen wir zum Swan Gazebo. Es gab nicht wirklich etwas zu diskutieren. Die Vorbereitungen für das Sportevent waren dieselben wie auch für das Kricket Event und würden wohl nächste Woche beginnen. Amy und ich waren uns genau wie alle anderen Prefect und Prefect-Fags bewusst, dass wohl wir dieses Jahr die leitenden Kräfte sein würden. Doch es war wie gesagt jedes Jahr dasselbe: Das Eröffnungsevent mit Begrüßung der Angehörigen durch eine Rede von Vizeheadmaster Grandolier, das Turnier an sich mit 2 Pausen und anschließend eine Gala mit einer weiteren Rede Grandoliers, gefolgt von dem Bootsauftritt der Siegermannschaft vor dem Palace of Westminster und der Queen. Nicht, dass irgendjemand bezweifeln würde, dass entweder die Green Lion der Jungen oder der Mädchen diesen Auftritt haben würden. Wie immer. Obwohl Lila immer noch groß tönte Annmarie solle sich nicht allzu große Hoffnungen machen, wussten doch alle wie wenig sie ihren eigenen Worten glaubte. Selbst Amy gab sich mit ihrem schweigenden, doch viel zu selbstsicheren Lächeln und kurzen Kommentaren der Flunkerei schamlos hin. Nur Mandy versuchte selbiges gar nicht erst. Ich blieb an Amys Seite im Swan Gazebo, servierte ihr Tee und verdrehte mit ihr die Augen, während wir Annmaries und Lilas Zickenkrieg über uns ergehen ließen.

Dann ging es zurück in den Unterricht.

Nicht einmal der Kunstunterricht hatte mir heute Freude bereitet. Ich war kreativ wie ein Kieselstein und zu dem Zittern gesellte sich trockener Husten. Ich war mehr als nur dankbar, dass wir in Musik theoretisch arbeiteten. Lauten Geräuschen war ich heute spinnefeind. Noch dankbarer war ich, als es um 14 Uhr endlich zum Ende des verpflichten Schultages klingelte.

Ich ging zwar mit Amy zum Mittagsessen, doch trank nur einen Tee. Die Phantomhive beschwerte sich vehement, doch musste dieses Mal nun sie die Segel streichen. Ich hatte keinen Appetit. Ich hatte keine Lust zu essen. Ich hatte generell auf nichts wirklich Lust.

Zeichen? Hmmmm ne…

Geige? Nicht wirklich...

Gitarre? Auch nicht…

Spazieren gehen? Nein…

Lernen? Guter Witz...

Undertaker treffen? …Eigentlich immer… Sofort! Doch heute hatte ich davor Angst...

Ich seufzte stumm in meine Tasse: ‚Lassen wir das...‘

Auch wollte ich heute um 17 Uhr nicht ins Atelier gehen. Ich war so froh, dass ich den Menschenmassen nun fliehen konnte. Ich trug mich generell für die Woche in keine der außerschulischen Aktivitäten um 17 Uhr ein. Sie waren freiwillig und ich hatte auch hier einfach keine Lust dazu.
 

Im Apartment zogen Amy und ich uns alltagstaugliche Kleider an. Dann fiel Amy auf die Couch und zückte ein Buch. Sie las seit neustem ‚Die Schöne und das Tier‘ von Gabrielle Suzanne de Villeneuve, aus dem Jahre 1740, das näher an dem französischen Volksmärchen war als ‚Die Schöne und das Biest‘. Ein Fakt, der mich weiter bestärkte, dass Amy ein wenig von Schwärmerei und einem kleinen Romantiktaumel eingenommen wurde.

Ich holte meinen Laptop aus meinem Zimmer und surfte auf meinem Sessel ein wenig durch ein paar Seiten für Hobbykünstler, in denen ich einige Bilder hochgeladen hatte, welche gar nicht so schlecht ankamen wie ich erst dachte.

Doch dies lenkte mich nicht recht ab. Mein Kopf ratterte und Nervosität mischte sich in meine Unsicherheit. Jetzt, wo die Schule vorbei war, konnte Undertaker jederzeit auftauchen. Laut den paar Worten, die ich Amy so beiläufig wie möglich entlocken konnte, hing der Zeitpunkt seines Besuchs nur davon ab, wie viele Gäste und Beerdigungen er zu betreuen hatte. Ich hatte keine Ahnung wie viel Arbeit Undertaker noch hatte. Sicherlich hatte er einige der 15 Halloween-Opfer schon abgearbeitet, wenn nicht sogar alle. Undertaker war niemand, der seine Arbeit vor sich her schob. Eher ganz im Gegenteil.

Dann erreichte plötzlich ein gläsernes Klopfen mein Ohr.

Mein Kopf fuhr zum Fenster. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Amy ihr Buch sinken ließ und sich ebenfalls zum Fenster drehte.

Mein Herz blieb stehen, obwohl ich mir denken konnte wer geklopft hatte.

Auf der Fensterbank an der Außenseite saß, die angewinkelten Beine überschlagen und mit dem Rücken gegen das schmale Stück Mauer gelehnt, ein großer Mann mit versteckten Augen, langen silbernen Haaren und einem knochenförmigen Keks zwischen den grinsenden Lippen.

Ich musterte Undertaker kurz, mir sehr wohl bewusst, dass sein üblicher Aufzug immer noch bei uns über der Heizung hing. Er hatte die Jogginghose gegen eine schlichte schwarze Jeans getauscht, das T-Shirt gegen ein ebenso unaufregendes schwarzes Hemd. An seinen Füßen glänzten polierte schwarze Lackschuhe in der hellen Herbstsonne. Hätte er nicht so viele Narben und so unglaublich lange Haare, sähe er gerade sicherlich ziemlich normal aus.

Mein Kopf wurde warm.

Ziemlich normal… und ziemlich gut…

Warum er immer unter dieser weiten Robe versteckte wie stattlich er eigentlich war, war mir ja ein vollkommenes Rätsel.

Als er sah, dass wir unsere Augen zu ihm wandten winkte er kurz, ließ mit einem Happen den Keks in seinem Mund verschwinden und tippte gegen den Fensterrahmen, dort wo das Schloss war. Ohne das sich der Hebel bewegte sprang es auf: „Ni hi hi. Guten Tag, die Damen.“

Ich winkte ihm, was alles andere als elegant oder einfallsreich war. Doch als ich den Bestatter gesehen hatte, hatte ich sofort das Sprechen verlernt. Ich hatte immer noch keine Ahnung was ich sagen sollte. Was ich tun sollte. Dass ich von seiner Erscheinung wieder einmal total überrumpelt war, war peinlich und machte all diese Fragen nicht einfacher zu beantworten. Innerlich machte ich drei Kreuze, dass ich seine Augen nicht sah und so dem totalen Idiotenstadium fern blieb. Doch anstarren tat ich ihn trotzdem.

„Hey Undertaker“, grinste Amy: „Na? Alles klar?“

Undertaker neigte den Kopf zu der Phantomhive und blieb auf der Fensterbank sitzen: „Ke he he! Unkraut vergeht nicht, liebste Amber. Und bei euch? Wie ist es euch ergangen?“

Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe.

Was sollte ich zu ihm sagen?

Was?

Auch kam es mir komisch vor, dass Undertaker keine Anstalten machte seinen Platz auf der Fensterbank aufzugeben und ins Zimmer zu kommen. Dazu kam, dass die Phrase ‚Unkraut vergeht nicht‘ keine adäquate Antwort auf die Frage wie es ihm ginge war. Wie es ihm ging konnte man daraus gar nicht entnehmen! Abgesehen davon, dass es mir sauer aufstieß, dass er sich selbst als ‚Unkraut‘ betitelte. Ich wollte so etwas aus seinem Mund nicht hören. Es war einfach nicht richtig...

„Och“, machte ich schließlich, schaute Undertaker doch recht besorgt entgegen, versuchte jedoch jegliche Unsicherheit aus meiner Stimme zu verbannen und so normal wie möglich zu klingen: „Eigentlich ganz gut.“

„Wir müssen jetzt gezwungen zur Sport-AG“, seufzte Amy: „Das nervt, aber ansonsten war es ein ziemlich normaler Tag.“

Undertakers Kopf fiel zur anderen Seite: „Aha?“

Amy nickte: „Jup, wegen dem Volleyballturnier. Training und bla. Schlimmer als Sebastians Trainingsstunden kann es kaum werden. Ätzend ist es trotzdem.“

„Ehehehehe! Nun gut“, lachte Undertaker auf, beendete das Thema und schien uns kurz zu mustern: „Ist irgendetwas Interessantes vorgefallen?“

Dass er das Gespräch über die aufgezwungene Sport-AG so plötzlich beendete, kam mir komisch vor. Vielleicht bildete ich es mir nur ein oder es lag an meiner eigenen inneren Anspannung, aber ich hatte das Gefühl die Luft lag schwer im Raum und drückte mir massiv auf die Schultern. Und als ich so vollkommen neben mir stand, führte Amy das Gespräch weiter: „Es ist tatsächlich was Interessantes passiert.“

Der Totengräber legte den Kopf schief: „Eh he he! Nun bin ich aber gespannt.“

Amy schaute mich an. Ich schaute zurück. Sie zog auffordernd die Augenbrauen hoch und hob eine Hand. Ich brauchte ein paar Sekunden um zu verstehen, dass Amy wollte, dass ich von unseren komischen Träumen erzählte.

„Äh...“, begann ich so geistlos wie ich mich fühlte und schaute Undertaker wieder an, der seinen Kopf mit den verhangenen Augen zu mir gewandt hatte: „Amy, ich, wir… also, ähm… Wir haben beide ziemlich komisch geträumt...“

„Und?“, erwiderte Undertaker langgezogen und ließ seinen Kopf zur Seite kippen. Ich wusste nicht ob ich erleichtert war, dass er mit mir sprach, denn es fühlte sich nicht so gewohnt... nicht so locker und unbekümmert wie vorher an.

„Und“, versuchte ich fortzufahren und atmete einmal tief durch: „Wir haben beide von dem Zombie geträumt...“

„Tatsächlich?“, Undertaker richtete sich ein Stück auf: „Hast du Amber gestern noch von deiner Begegnung erzählt?“

„Äh… äh… Nein. Nein, habe ich nicht.“

Undertaker schaute zu Amy: „Und obwohl du nicht wusstest, wie das Wesen aussah, träumtest du davon?“

Amy nickte.

„Interessant“, Undertaker legte eine Hand ein sein Kinn: „Das ist wirklich interessant.“

„Klingelt was bei dir?“, fragte Amy.

„Ki hi hi. Halb“, antwortete Undertaker: „Ich kenne ein Wesen was darauf passen würde, doch das hätten die Reaper sofort bemerken müssen. Von daher kommt es auch nicht in Frage.“

„Verdammt“, sank Amy seufzend zurück in die Couch.

„Nun denn“, der Totengräber hüpfte auf seine Füße und hockte nun im Fensterrahmen: „Ich will euch dann nicht weiter aufhalten.“

„Du“, floh mir, ohne das ich recht darüber nachdachte es auszusprechen, meine Angst aus dem Mund: „Gehst schon?“

Kaum hatte ich es so unüberlegt ausgesprochen bereute ich es. Die Frage war dumm. Dass er gehen wollte war offensichtlich. Auch war die Art wie ich gefragt hatte nicht gerade von Sicherheit getragen gewesen. Eher war meine Stimme klein und kläglich gewesen, wie ein Mäuschen, das vor der großen Katze saß.

„In der Tat“, grinste der Bestatter mich an. Sein Grinsen war unverändert, sein Gesicht wirkte wie immer und auch an seiner Stimme war nichts ungewöhnlich. Doch irgendetwas war sehr ungewohnt. Seine Augen verrieten mir sicher, dass etwas anders war als sonst. Doch seine Augen sah man nicht. Sie waren fein säuberlich hinter dem langen Pony verschwunden: „Ich habe ein paar Gäste auf dem Tisch, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen.“

„Was für Gäste?“, nahm ich diesen schlechten Vorwand an, ihn noch ein wenig länger im Gespräch zu halten. Doch Undertaker schüttelte den Kopf: „Fu fu fu. Das ist doch wirklich nichts, um das ihr euch jetzt sorgen solltet“, er stand aus der Hocke auf und beugte sich runter um durchs Fenster zu lucken. Doch tat er es so, dass seine Augen verhangen blieben.

Ich zog die Augen zu Schlitzen.

Ihr?

Ich hatte gefragt!

Da war kein ‚ihr‘!

Und Undertaker redete nicht über seinen Job?

Eigentlich ließ er keine Möglichkeit aus davon zu berichten. Und wenn er es tat – was er sehr oft tat – ließ er auch keine Details aus. Ob man sie hören wollte oder nicht. Und dann schlug er es aus, wenn man ihn konkret danach fragte? Ich war mir so sicher über seinen Job mit ihm ins Gespräch kommen zu können.

So wie…

… So wie früher...

„Ich wünsche euch einen entspannten Abend“, grinste er weiter und schaute Amber und mich noch einmal kurz an: „Sollte etwas passieren, ruft mich unverzüglich an. Eh he he he! Bis Morgen!“, mit diesen Worten kippte er einfach hinten über und fiel aus dem Fensterrahmen.

Als ich Undertaker nach hinten kippen sah, ergriff mich sofort ein heißer Schock. Die Art Schock, die mich aufspringen und zum Fenster rennen ließ.

„Undertaker!“, rief ich und hing mich aus dem Fenster.

Doch der Bestatter war nirgendwo zu sehen.

Und als ich merkte, dass Undertaker nicht mehr hier war schwirrte auf einmal ein scharfes Ziehen durch meinen Kopf. Als die bunten Flecke vor meinen Augen erschienen kam auch der Husten zurück. Ich hielt mich am Fensterrahmen fest und ging in die Knie, als ich mir die Hand vor meinen heiser hustenden Mund drückte. Das Husten kratzte in meinem Hals und schnürte mir die Brust zu.

Meine Schultern griffen zwei Hände: „Sky? Was hast du?!

Ich schaute Amy an und wedelte mit meiner Hand vor meinem Mund: „Ahe! Ahe! Ich bin nur zu schnell aufgestanden und hab‘ mich verschluckt. Ahe! Ahe! Geht gleich wieder.“

„Sicher?“, musterte mich Amy skeptisch.

Ich atmete raschelnd tief durch und stellte mich hin. Immer noch flimmerte mein Blickfeld ein wenig: „Klar. Ahe! Typisch mein Glück und so...“

Amys Kopf kippte zur Seite: „Wenn du meinst.“

„Ja, ich meine“, ich ging an Amy vorbei: „Ich geh‘ in mein Zimmer.“

Und als ich in meinem Zimmer auf den Bett lag versuchte ich verzweifelt mir einen Reim aus Undertakers Verhalten zu machen.

Wieso sprach er von sich selbst als ‚Unkraut‘ und hatte uns nicht verraten wie es ihm ging?

Er plauderte immer gerne, warum hatte er also das Gespräch über die Sport-AG so schnell und doch sehr bestimmt beendet?

Warum sprach er selbst über seinen Job nicht mehr mit mir?

Ich drehte mich zur Seite und starrte an meine Wand: „Und warum ist er so plötzlich so schnell wieder verschwunden…?“
 

Ein weiteres Mal träumte ich unsagbar schlecht.

Es war wieder ein Traum auf dem Alptraumboulevard.

Wieder war Undertaker auch dort.

Doch dieses Mal hatte er sich nach meinem Rufen gar nicht erst umgedreht. Er ging einfach an mir vorbei und ließ mich dort sitzen, obwohl ich nach ihm rief…

Und rief…

Und als er verschwunden war, weinte ich.

Bitterlich.

Jemand griff harsch meinen Oberarm.

Mein Vater zog mich grob auf meine Füße und ich sah über seine Schulter in die Fratze dieses ekelhaften Zombies. Doch ich hatte nicht die Zeit mich mit dem Zombie zu beschäftigen, denn mein Vater zog an meinem Oberarm und mein Kopf zuckte zu ihm.

Er hatte mit einer Hand ausgeholt. Vollkommen eingefroren starrte ich auf diese Hand. Tränen tropften von meinem Gesicht.

„Hör auf zu heulen!“, sauste die Hand auf mich zu.

Nein!!
 

Nein!!“, ich wachte spitz schreiend auf.

Mitten in der Nacht.

Wieder steckte Amy ihren Kopf durch mein Zimmer: „Sky?“

Ich schaute sie schweratmend an, zu verstört um zu sprechen.

Amy kniete sich neben mein Bett: „Alptraumboulevard?“

Ich nickte.

„Zombie?“

Ich nickte wieder.

„Ja, scheiße“, seufzte Amy.

„Du...“, ich schluckte trocken: „Du auch?“

Jetzt nickte Amy: „Er hat mich wieder durch einen Wald gescheucht.“

„Warum… einen Wald?“

„Ich weiß nicht. Wenn ich raten müsste würde ich sagen, es ist das Waldstück, in dem unser Manor steht. Zumindest bin ich an einem Baumhaus vorbei gekommen, wie ich es mal mit Fred, Lee, Ronald und Undertaker gebaut habe.“

‚Undertaker...‘, ich verdrängte den Gedanken und den Schmerz bei dem Klang seines Namens: „Magst du… den Wald nicht?“

„Doch, eigentlich schon. Dort haben Fred, Lee und ich als Kinder oft gespielt. Fangen, verstecken, Baumhäuser bauen, Hasen jagen, Insekten sammeln. Hin und wieder mit einem von den ‚Erwachsenen‘. Eigentlich waren wir dort ständig unterwegs. Mein Vater nannte uns ‚kleine Waldschrate‘. Doch das ist alles schon Jahre her. Kindergarten und Grundschule so um den Dreh.“

„Warum... ist es dann ein Alptraum?“

„Keine Ahnung. Vielleicht will das Vieh mir ein paar meiner besten Erinnerungen versauen.“

Ich stockte in meinen Gedanken: ‚Ein paar meiner besten Erinnerungen...‘

Undertaker war erst auf dem Alptraumboulevard aufgetaucht, als es auch der Zombie war. Ich schaute nach unten.

Amy wuschelte mir schwesterlich durch meine wirren Haare: „Versuche noch etwas zu schlafen, ja?“

Wieder nickte ich.

Amber stand auf und verließ mein Zimmer: „Schlaf noch gut.“

„Du auch.“

Dann schloss sie die Türe hinter sich.

Eine Weile saß ich im Bett und schaute auf meine Bettdecke: „Ein paar meiner besten Erinnerungen...“

Mein Kopf rekapitulierte viele Momente, die ich mit dem morbiden Bestatter erlebt hatte. Auf dem Friedhof, in seinem Laden, im Manor Phantomhive, nach dem Jugendamt… Definitiv waren das alles gute Erinnerungen. Selbst einen Horrortrip wie den Besuch bei Hemsworth… Dass ich danach Undertaker getroffen hatte, war gut gewesen. Als ich mit dem Bus weggefahren war ging es mir nicht wirklich gut, doch ich war mir sicher, hätte ich ihn an diesem Tag nicht getroffen wäre es mir viel schlechter gegangen.

Ein kalter Wind strich über meine nackten Arme und weckte mich aus meinen Erinnerungen. Ich rieb mir meine Oberarme und schaute zur Seite. Die Gardinen meines Fensters wehten sachte in dem kühlen Herbstwind.

Ich blinzelte verwirrt: ‚Schon wieder?‘

Begann ich zu schlafwandeln?

Ich konnte mich abermals nicht daran erinnern das Fenster geöffnet zu haben. Es war auch untypisch für mich. Ich fror ja jetzt schon. Langsam schob ich meine Beine aus dem Bett. Als ich aufstand sah ich sofort hunderte bunte Flecken vor meinen Augen und strauchelte zurück auf die Matratze. Ich hielt mir meinen wummernden Kopf. Er war warm, aber ich hatte auch bis eben noch unter meiner Bettdecke gelegen. Meine Arme und Beine brannten unterschwellig. Ich hatte mich wohl Sonntagabend mehr verausgabt als ich dachte und mir eine fiesen Muskelkater geholt. Auch dass ich wieder schlecht geschlafen hatte, machte mir mein Schwindel nur allzu deutlich.

Als das Blinken vor meinen Augen verschwunden war, ging ich zum Fenster und sah den abnehmenden Mond.

Bald wird es Neumond sein.

Als ich den Mond sah, erinnerte ich mich an das Gespräch auf dem Balkon und an Undertakers im fahlen Mondlicht leuchtende, atemberaubende Augen. Mir entfuhr wieder ein Seufzen: „Ein paar meiner besten Erinnerungen...“

Die Erinnerungen an Undertaker waren nicht nur ein paar meiner besten, es waren wahrscheinlich die Besten. Natürlich hatte ich auch an Amy viele gute Erinnerungen und sie war mir so wichtig wie vorher niemand, doch… die Erinnerungen an Undertaker waren auf eine ganze andere Weise schön. Doch seit letztem Freitag lagen mir all diese Erinnerung nun wie ein Stein im Magen: „Warum war ich nur so dumm…?“

Ich seufzte erneut und wollte das Fenster schließen. Doch als ich den Hebel griff, stimmte wieder etwas nicht. Ich starrte auf den Hebel in meiner Hand: ‚Geschlossen? Schon wieder?‘

Vielleicht schlafwandele ich durch die schlechten Träume, da brauchte ich mich über einen verstellten Fensterhebel auch nicht wundern. Ich schloss das Fenster und zog meine Vorhänge zu. Dann krabbelte ich wieder in mein Bett.

Ich schlief unruhig.

Immer wieder landete ich auf der Kopfsteinpflasterstraße.

Mit dem Zombie…

Mit meinem Vater…

Mit Undertaker, der an mir vorbeiging und einfach wieder verschwand.

Und immer wieder schreckte ich hoch. Es war so anstrengend nicht durch zu schlafen…
 

Auf einem zermürbenden Montag folgte ein zermürbender Dienstag.

Als ich aufwachte war mir immer noch kalt. Immer noch schwindelig.

Ich stand wieder vor meinem Wecker auf und merkte, dass meine Gardinen nicht ganz zusammen gezogen waren. Ich hatte sie wohl nachts nicht ordentlich zugezogen. So holte ich es nach und machte mich fertig.

Dann startete ich mit Amy in einen weiteren Schultag.

Mein Kopf dachte und machte sich Sorgen. Ich hatte Angst. Undertaker war so kurz angebunden gewesen, wie ich es noch nie erlebt hatte.

Nachdem ich irgendwie eine Stunde Mathe und eine Stunde Geografie überlebt hatte, knabberte ich an einem Brötchen herum und ignorierte Ambers Einwände ich solle mehr essen.

Nachdem Frühstück setzte ich Amy im Swan Gazebo ab, sorgte mit den anderen Prefect Fags für Tee und Snacks und erledigte dann die folgende Stunde meine Pflichten als Fag. Es dauerte länger bis ich das Apartment durch und Staub gewischt hatte und ich schaffte es gerade mal 2 von unseren gefühlten 1000 Kleidungsstücken zu bügeln und zu falten. Da ich selbst keinen Fag hatte blieb an mir meine, wie auch Amys Wäsche hängen. Ein Umstand, der mich eigentlich nicht weiter störte, doch dieses beständige Zittern stand mir heftig im Weg.

Dann war es um 11:00 Uhr Zeit für 2 Stunden bildende Kunst.

Ich traf Amy im Klassenraum.

Ein weiteres Mal stellte ich fest, dass alles ok war, wenn man mir ein Blatt Papier und einen Stift gab, allerdings Holland rauschend unterging sobald ich etwas aus Ton oder Modelliermasse formen sollte. So sah das, was schon seit ein paar Stunden eine Ton-Katze werden sollte, immer noch mehr wie ein Alien nach einer Bruchlandung im Kornfeld aus. Ich gab auch ehrlich die Hoffnung auf, dass sich dies noch ändern würde. Amy allerdings schabte und formte und hatte in den Stunden in denen ich an meinem Alien arbeitete schon eine Katze und einen Hund fertig und war nun an einem Vogel dran. Seufzend nahm ich eins der Tonwerkzeuge und wollte das Ohr meiner Alien-Katze zu Ende modellieren, wurde aber abermals von einem der immer wiederkehrenden Hustenanfälle unterbrochen. Daraufhin brach das Ohr ab und landete auf dem Tisch. Ich verbrachte dann den Rest der Doppelstunde damit es irgendwie wieder dran zu pappen, was sich als schwierig herausstellte.

In den darauf folgenden Stunden Literatur war ich fertig mit der Welt und auch mit meinen Nerven. Der Husten kam immer wieder und krachte durch den ganzen Klassenraum, was mir einige stumme und genervte Blicke von Miss Lowell und meinen Klassenkameraden einbrachte. Ich war dazu müde und hungrig, obwohl ich mir sicher war weder richtig essen noch schlafen zu können. Schon das Brötchen zum Frühstück war für meinen Magen harte Arbeit und ich hatte keine Lust auf diese furchtbaren Träume, die momentan noch schlimmer waren, als sie es nicht eh schon waren.

Es macht keinen Spaß selbst - oder eher vor allem - in seinen Träumen nicht sicher zu sein.

Schlafen macht keinen Spaß. Hat es noch nie und wird es auch wahrscheinlich nie mehr machen.

Als es endlich zum Ende des Unterrichtes klingelte war es nicht halb so erleichternd, wie es gestern gewesen war. Denn ich wusste, dass ich um 17 Uhr in der Sporthalle zu stehen hatte und mir Volleyballbälle um die Ohren hauen lassen musste. Oder meinen Glück nach eher mitten ins Gesicht.

Am Mittagstisch hatte ich es wenigstens geschafft meinen Teller halb leer zu essen. Danach hatte ich eigentlich nur noch das Bedürfnis umzufallen. Ich war kaputt und müde und seit gestern fror und zitterte ich wie Espenlaub. Dass sich nun auch noch scharfer Husten dazu gesellt hatte, war mehr als nur nervig.

Doch als ich auf dem Weg in unser Apartment mit dem Gedanken spielte einfach auf die Couch zu fallen und nie wieder aufzustehen, fing ich mich wieder. Ich hatte einfach nur schlecht geschlafen und mir von meinen Tauchgängen wahrscheinlich einen Schnupfen geholt. Doch davon durfte ich mich nicht unterkriegen lassen. Es hätte schließlich viel schlimmer kommen können. Dass ich jetzt tot wäre, beispielsweise.

Im Apartment angekommen zogen Amy und ich unsere violette Jogginghose und unser schwarzes Sporttop mit dem aufgedruckten silbernen Wolf an und packten unsere Sporttasche mit Wechselwäsche. Ich hatte noch meine schwarze Stoffjacke übergezogen, da mir in dem Spagettieträgertop schlicht viel zu kalt war. Ich krempelte die Ärmel meiner Jacke nach oben und machte ich mich im Wohnzimmer wortlos daran unsere Wäsche zu Ende zu bügeln. Amy setzte sich auf das Sofa und schaltete unsere Lieblingssendung im Fernseher ein. Eine Doku-Reihe über medienträchtige Mordfälle, die wir beide aber nur mit einem halben Auge schauten. Amys Nase hing wieder in ihrem Buch oder am Handy – mehr am Handy - und da ich mit Bügeln beschäftigt war, war das Fernsehprogramm für mich eher ein Hörbuch. Nebenbei unterhielten wir uns ein wenig, während Amy auf ihrem Handy unaufhörlich mit Lee chattete und wir darauf warteten, dass die Zeit zum Sport herumging.

Als mein Wäscheberg zu neige ging, schaute ich kurz auf unsere Wanduhr: 15:52 Uhr.

Seufzend stellte ich fest, dass ich schon recht lange am Bügeln war. Mein Kopf war so voll und geschafft. Ich fühlte mich so matt und träge. Dadurch arbeitete ich sehr langsam. Doch es brachte mir nichts mich dem jetzt hinzugeben. Sicherlich würde ich diese Nacht wieder recht ordentlich schlafen können, so müde wie ich war.

Als ich gerade eine neue Bluse auf das Bügelbrett gelegt und begonnen hatte den Ärmel zu bügeln unterbrach mich ein gläsernes Klopfen und schickte mir etliche kalte Schauer über den Rücken. Ich brauchte nicht nachzuschauen wer an unser Fenster klopfte.

Ich wusste es.

Es war mir fast schon schmerzlich bewusst.

Genauso schmerzlich war mir bewusst, dass ich immer noch keine Ahnung hatte was ich von seinem Verhalten denken sollte.

„Ti hi hi hi“, hörte ich das wohlbekanntes Kichern, nachdem unser Fenster quietschend aufgeschwungen war: „Ich wünsche einen guten Tag.“

„Hi Undertaker“, hörte ich Amy antworten.

Ich schaute den Bestatter an, der wieder in seiner viel zu normalen Montur vor unserem Fenster saß und von selbst nicht in den Raum kam. Ich hatte gestern schon ein schlechtes Gefühl deswegen und dass sich dieser Umstand wiederholte verschlimmerte es nur noch mehr.

Wieso kam er nicht herein?

Wollte er so dringend so schnell wieder weg?

War es wegen mir?

‚Wahrscheinlich...‘, fielen meine Augen kurz hinunter.

Trotz allem versuchte ich ein Lächeln auf meine Gesicht zu legen, als ich den Totengräber wieder anschaute: „Hey.“

Undertaker legte seinen wie üblich grinsenden Kopf schief, ohne dass seine Haare dabei aus seinem Gesicht fielen: „Was habt ihr geträumt?“

„Ich wusste, dass du fragst“, grinste Amy: „Dasselbe wie gestern Nacht. Sky auch.“

„Hm“, legte der Bestatter nachdenklich eine Hand an sein Kinn: „Wieder dasselbe. Ni hi hi! Wie mysteriös.“

„Hast du mittlerweile ‘ne Idee?“, fragte Amy.

„Fu fu fu! Es klingt immer mehr nach dem was ich gestern vermutete, obwohl es eigentlich nicht sein kann. Die ganze Angelegenheit ist wahrlich mehr als spannend. Ihr träumt nur davon? Es ist nicht mehr aufgetaucht?“

Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Nur in unseren Träumen.“

„Kurios“, Undertaker wog seinen Kopf hin und her: „Wirklich kurios. Ki hi hi hi!“

Auf einmal zuckte sein Kopf hoch und er zog zweimal Luft durch die Nase ein. Dann drehte er seinen Kopf zu mir und kicherte: „Nihihihi! Du brennst.“

Ich klimperte ihm irritiert entgegen: „Ich tu‘ was? Brennen? Nein, ich… ich brenne nicht!“

Dass hätte ich wohl noch bemerkt und es wäre sicherlich überhaupt nicht komisch würde ich es tun!

Doch als ich ein paar bewusste Atemzüge getan hatte roch es tatsächlich verbannt. Auch Amy schien es gerochen zu haben und schaute sich schnuppernd um.

Undertaker zeigte immer noch giggelnd mit seinen langen Finger auf meine Hände: „Fu fu fu. Aber gleich, wenn du so weitermachst.“

Meine Verwirrung flaute nicht ab: „Was?“

Amys Blick folgte Undertakers Finger. Dann fuhr sie erschrocken ein Stück hoch: „Sky! Das Bügeleisen!“

Schlagartig schaute ich nach unten.

„Oh Mist!“, ich hatte vollkommen vergessen, dass ich gerade eine meiner Blusen gebügelt hatte. Mir wurde sofort bewusst, dass ich einfach in meiner Bewegung gestoppt hatte, als Undertaker geklopft hatte und das Bügeleisen die ganze Zeit nicht vom Stoff genommen hatte. Hastig stellte ich das Bügeleisen ab und hob meine Bluse an. Ein großer Brandfleck zog sich einem quer über den rechten Ärmel: „Och ne! Das kann doch nicht wahr sein! Die ist hin… und zwar total.“

Seufzend ließ ich die Arme sinken. Ich ärgerte mich über alle Maßen. Nicht zwingend, dass ich eine Bluse zu Schund gebügelt hatte - was an sich schon selten dämlich war - sondern dass es mir natürlich vor Undertaker passieren musste. Und natürlich hatte er es auch als erster bemerkt. Ich korrigierte meinen ersten Gedankengang: Undertaker hatte jedes Recht der Welt zu lachen.

Während ich innerlich über mein Schicksal fluchte, schaute ich wieder auf meine Bluse: „Ein Fall für den Müll...“

Resigniert wollte ich die Bluse in besagten Müll stecken und setzte mich immer noch die Bluse beschauend in Bewegung.

Doch das Schicksal und meine beispiellose Tollpatschigkeit waren noch lange nicht fertig mit mir. Nicht ansatzweise.

Da ich nicht schaute wohin ich lief, verhedderten sich meine Füße in dem Kabel des Bügeleisens.

Natürlich stolperte ich mit einem spitzen Schrei und wedelnden Armen. Genauso natürlich verlor ich das Gleichgewicht, fiel nach vorne und war von dem plötzlichen Straucheln so erschrocken, dass ich mich nicht fangen konnte.

„Sky!“, hörte ich Amys erschrockene Stimme.

Die Bluse flog durch die Luft.

Das Bügeleisen wurde von meinen Füßen an seinem Kabel vom Bügelbrett gerissen und fiel mit der heißen Bügelsohle direkt auf meinen nackten linken Unterarm. Ein heißer Schmerz surrte durch meine Haut, als das heiße Eisen sie verbrannte. Als ich mir sicher war, ich würde mich jetzt auch noch richtig erbärmlich auf die Nase legen, ging eine kleiner Windstoß durch den Raum und wehte mir meine Haare ins Gesicht. Dann blieb ich auf einmal in der Luft hängen.

Ich war so verwundert davon nicht auf dem Boden aufzuschlagen, dass ich sogar für einen Moment meinen brennenden Unterarm vergaß. Irritiert blinzelte ich dem Boden entgegen, dem ich zwar ein ganzes Stück näher gekommen war, aber nicht berührt hatte. Ich spürte etwas um meine Taille liegen.

„Du hast es herbei geschrien“, hörte ich Amys Stimme.

Daraufhin lachte Jemand. Mein Herz blieb stehen, als ich bemerkte, dass das Lachen von direkt über mir kam: „Ehehehe! Das war definitiv nicht der Vater des Gedankens.“

Obwohl ich schon fast Angst davor hatte drehte ich meinen Kopf nach links. Ich schaute direkt auf eine schwarze Männerjeans. Langsam wanderten meine Augen die Männerjeans hinauf, bis ich Undertaker von unten in das scharf geschnittene Gesicht schaute. Er hatte den rechten Arm um meine Taille geschlungen um meinen Fall aufzuhalten und mit dem kleinen Finger der linken Hand das Bügeleisen am Henkel gefangen.

Sein Kopf wandte sich zu mir herunter. Da er von oben auf mich herab schaute fiel sein Pony von seinen strahlenden Augen. Augen, die heute gar nicht so strahlend waren. Ein komischer Schatten lag darin und sie wirkten dadurch etwas matter als üblich. Ich habe mir schon seit der Situation an der Themse gedacht, dass etwas mit ihm nicht stimmte und der Schatten, der sein strahlendes Grün wenn auch nur kaum merklich etwas erstickte, bestätigte mich. Doch er verriet mir nicht woher er kam und bereitete mir erneut Sorgen.

Sein Mund allerdings grinste weiter, als er anfing zu sprechen und mich dazu brachte damit aufzuhören über seine Augen und ihren veränderten Ausdruck nachzudenken: „Hast du dir etwas getan?“

Meine Gedanken fanden durch seine Frage endgültig von der Sorge über diese Schatten in seinen Augen, zu dem zurück was vor einer knappen Minute geschehen war. Ich drückte meine Hand feste auf die verbrannte Stelle an meinem Unterarm. Es tat weh. Meine Unterlippe begann zu zittern und ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Nicht, weil ich mir wehgetan hatte, sondern weil ich von mir selbst so maßlos enttäuscht war. Ich war so peinlich. Ich verschmorte eine Bluse, massakrierte mich anschließend selbst mit einem Bügeleisen und das auch noch auf die dämlichste Art und Weise, die man sich vorstellen konnte, sodass Undertaker mal wieder in die Bresche springen musste, damit mir nichts Schlimmeres passierte.

Ich war einfach nur erbärmlich.

Tollpatschig und ein unbeschreiblicher Idiot.

Ich ließ den Kopf hängen und krampfte meine Hand fester um die verbrannte Stelle. Unter den Druck meiner Hand schmerzte sie immer mehr. Ich wollte mir nicht wehgetan haben. Ich wollte nicht wieder wirken, als sei ich vollkommen lebensunfähig. Was soll Undertaker denn bitte von mir denken? Er muss doch denken ich würde keine 24 Stunden alleine überleben… Ich wollte nicht, dass er so dachte.

Also drehte ich meinen Kopf mit geschlossenen Augen wieder zu ihm und lächelte: „Nein. Nein, ich hab mir nichts getan.“

„Skyler?“, hörte ich seine tiefe Stimme prompt und mit einem reichlich unangetanen Tonfall. Ich sah ihn mit großen erschrockenen Augen an. Undertaker schaute mir unbegeistert und ohne ein Grinsen entgegen, als er mich kurz musterte: „Wenn du schon meinst mich belügen zu müssen, solltest du dabei nicht so unsagbar falsch lächeln.“

Besagtes Lächeln brach auf meinem Gesicht augenblicklich in sich zusammen und Undertaker fuhr fort: „Dieses Lächeln ist nicht nur furchtbar anzusehen, es enttarnt dich auch sofort.“

Ich ließ den Kopf wieder hängen und fühlte mich wie das dümmste Mädchen dieser Welt.

Ich war vollends niedergeschlagen.

Ich hörte Undertaker seufzen. Dann sah ich aus meiner hängenden Position wie er die Spitze eines Fußes in das Bügeleisenkabel wickelte und es mit einem kleinen Ruck aus der Steckdose zog. Mit einem blechernen Geräusch hörte ich, wie er es auf dem Bügelbrett abstellte. Auch hörte ich ein paar Füße das Wohnzimmer verlassen und durch die Haustüre gehen. Danach justierte Undertaker seinen Griff an mir und stellte mich wieder auf die Füße. Ich blieb mit hängenden Kopf und die Hand um meinen verbrannten Arm gekrampft stehen. Die Stelle pochte und brannte unter meinen überspannten Fingern. Es tat weh, doch ich wollte auf keinen Fall, dass er es sah.

„Zeig her“, hörte ich seine milde tiefe Stimme ohne Lachen oder Kichern darin.

Ich tat einen Schritt zurück und schüttelte meinen hängenden Kopf: „Es gibt nichts zu zeigen. Ich habe mir wirklich nichts getan. Danke für‘s Auffangen...“

„Wenn du dir nichts getan hast, dann nehme deine Hand herunter.“

„Wa-warum?“

„Na, wenn du doch nichts zu verstecken hast.“

‚Mist!‘, ich wusste nicht was ich tun sollte. Wenn Undertaker mitbekam, dass ich mich nicht nur fast auf die Nase gelegt, sondern auch noch an einem voll aufgeheizten Bügeleisen verbrannt hatte, sah ich doch nur wieder wie der letzte Trottel aus, der es schaffte sich bei den banalsten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten fast umzubringen. Ich schüttelte abermals den Kopf: „Ich verstecke nichts.“

Als ich ein weiteres Seufzen hörte, griff eine kalte Hand das Handgelenk meines lädierten Arms und zog ihn hoch. Doch ich hielt meine Hand weiter an der verbrannten Stelle.

„Herrje, nun zeig schon“, mit diesen Worten nahm er meine Hand mit seiner Zweiten und zog sie von meinem Arm. Die handgroße verbrannte Stelle leuchtete rot und fing mittig schon an Blasen zu werfen.

Ich hob nur meine Augen, als ich Undertakers Blick auf mir spürte. Durch einen Spalt in seinem Pony leuchtete mir eines seiner Augen einerseits besorgt und andererseits etwas verdrießlich entgegen: „Nichts getan, ja?“

Ich ließ meine Augen wieder nach unten fallen und wollte meinen Arm zu mir ziehen: „Das ist… nicht der Rede wert...“

Doch als ich meinen Arm nach hinten zog, zog Undertaker ihn auf einmal nach vorne. Er führte mich aus dem Wohnzimmer hinaus ins Badezimmer. Dort hielt er meinen verbrannten Arm unter den Wasserhahn des Waschbeckens und ließ das kalte Wasser an. Es war ein wohliges Gefühl, als das kalte Wasser über meine verbrannte Haut lief und ließ mich seicht seufzen.

„Warum belügst du mich?“

Seine Frage ließ meinen Kopf zu ihm fahren. Er schaute mich weiter durch den schmalen Spalt in seinen Haaren an, durch den ich nur die Mitte seiner unfassbar grünen Iris sehen konnte. Die Iris, die so komisch matt wirkte und ich meinte nun noch etwas mehr als vorher. Meine Augen fielen wieder nach unten: „Es ist doch nichts schlimmes passiert. Ich habe mich nur ein bisschen verbrannt...“

„Nur ein bisschen verbrannt? Sky, ich bin wahrlich nicht der geborene Hausmann. Nicht im Entferntesten. Aber ich weiß wie heiß ein Bügeleisen wird. Das muss doch schmerzen.“

Ich neigte meinen Kopf, als mich eine Art von Hilflosigkeit ergriff: „Ach was. So schlimm wird es schon nicht sein und so weh tut es auch gar nicht...“

„Du belügst mich. Abermals. Warum?“

„Weil...“, ich brach ab. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe.

„Weil?“

„Weil ich dachte… es sei nicht so schlimm...“

„Du musst doch Schmerzen haben.“

Ich schaute ihn wieder an. Entschlossen. Er dachte ich sei aus Papier? Dem war nicht so und es war an der Zeit es endlich klar zu stellen. Ich wollte nicht mehr nur jammern. Ich hatte genug gejammert. Ich hatte ihm Sonntag und an so vielen anderen Tagen lange genug voll gejammert. Damit war jetzt Schluss: „Vielleicht bin ich auch einfach nicht so empfindlich wie du denkst.“

Undertaker schaute mich eine kurze Weile an. Dann schlug er sein nur halb sichtbares Auge zu und schnaubte kurz. Dieses Schnauben klang komisch. Zu schwer für ihn. Nicht belustigt. Er schaute mich wieder an. In dem Moment öffnete sich die Haustüre. Undertaker wandte sich um. Amy erschien mit erhobenen Erste-Hilfe-Kasten in der Badezimmertüre: „Hab ihn!“

„Wunderbar!“, erschien Undertakers altbekanntes Grinsen mit einem Mal wieder auf seinem Gesicht. So plötzlich, dass es seltsam war. Seit er mich beim Lügen erwischt hatte, war sein Grinsen verschwunden gewesen.

Doch Undertaker stellte weiter grinsend das Wasser wieder ab, zog mich an meinem lädierten Arm mit sich und griff sich im Vorübergehen den Erste-Hilfe-Kasten von Amy. Wieder in der Stube angekommen drückte er mich an der Schulter auf das Polster der 2er Couch und setzte sich neben mich. Ohne große Eile klappte er den kleinen roten Koffer auf, klaubte eine Tube mit Brandsalbe, ein Wundpad, einen Verband und eine Schere heraus, legte alles in seinem Schoß ab und kleckste etwas von der Salbe auf zwei seiner Fingerkuppen. Dann ließ er auch die Tube einfach in seinen Schoß fallen und griff sich wieder mein Handgelenk. Behutsam und mit diesem so plötzlich wieder erschienenen Grinsen auf den schmalen Lippen strich er die Salbe auf die geschundene Stelle: „Ni hi hi hi. Du bist ein kleiner Unglücksrabe.“

Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Ich wollte nicht, dass er so von mir dachte. Er klang zwar auf seine ganz eigene Art ehrlich mitleidig, doch schmeckte es nur allzu bitter. Ich wollte kein Mitleid. Ich wollte, dass kein Mitleid mehr nötig war. Vielleicht… Vielleicht dann...: „Vielleicht, aber ich deichsel das schon.“

„Ehehehe! Aber mit Sicherheit.“

Mein Kopf zuckte zu ihm hoch: „Bitte?“

Er blickte nur ganz kurz zurück, legte dann das Wundpad auf die eingeriebenen Stelle und begann den Verband herum zu wickeln: „Mit Sicherheit deichselst du das. Hi hi hi hi. Ich würde nichts anderes von dir erwarten.“

„Wa-wa-wa-wie bitte?“

Undertaker schnitt den Verband ab und das Ende ein ganzen Stück ein: „Na, ich zweifle nicht im Mindesten daran.“

„Warum… betonst du mein Pech dann immer so?“

„Fu fu fu“, er schlang ein Teil der eingeschnittenen Mullbinde ein weiteres Mal um meinen Arm und begann dann die beiden Teile zu verknoten: „Na, weil es faszinierend ist wie viel Pech ein Mensch haben und es trotzdem immer wieder zum größten Teil unbeschadet überstehen kann.“

Mein Kopf wurde warm. Ich wusste nicht genau was es jetzt auslöste: „Wie… meinst du das…?“

Undertaker räumte kurz alles wieder in den kleinen Kasten und schaute mir dann durch den kleinen Spalt in die Augen: „Ich meine, dass du...“, er stockte. Kurz sackten seine Mundwinkel ab, doch zuckten sie sofort wieder nach oben: „Ein faszinierend einzigartiges Glück im Unglück hast.“

Undertaker stand auf.

„Warte!“, ohne nachzudenken griff ich seine Hand.

Von meiner sitzenden Position konnte ich ihm wieder von unten ins Gesicht schauen und seine Augen sehen. Er grinste, doch ich hatte das Gefühl es erreichte seine Augen nicht.

Undertaker schaute auf unsere Hände.

Eine kurze Weile herrschte eine schwere und kaum definierbare Stille zwischen uns.

Kurz sah Undertaker nach unten und dann wieder in mein Gesicht. Er zog seine Hand aus meiner. Behutsam, aber bestimmt: : „Ni hi hi. Ich sollte jetzt gehen.“

Diese Worte erschreckten mich. Sie erschreckten mich, weil ich sie nicht hören wollte und weil sie so ernst klangen obwohl sie begleitet von einem Giggeln aus seinen grinsenden Lippen kamen. Mein Herz zog sich so schmerzhaft zusammen, dass ich nicht mehr atmen konnte. Es surrte in meiner Seele. Als er seine Hand aus meiner gezogen hatte und sagte er ginge jetzt, war irgendetwas schmerzhaft in mir zusammengebrochen und begrub alles in mir drin in einer Wolke giftigen Staubs.

Ich schaute in sein Gesicht. Ich suchte etwas darin, dass mir sagte er habe die Hand nicht weggezogen, weil er nicht mehr von mir berührt werden wollte. Seine Augen wirkten weiter so dunkel und ich wusste nicht was sie mir sagen wollten. Denn es war dieser verschlossene Ausdruck, der zwar klar merken ließ, dass etwas nicht stimmte, doch nicht mehr verriet was.

Undertaker drehte sich ab und ging mit einem letzten Winken Richtung Fenster: „Nun denn, meine Damen. Ich wünsche einen angenehmen Abend. Kihihi! Und vergesst ja nicht: Wenn irgendetwas Seltsames geschieht ruft mich an.“

„Klar“, hörte ich Amy aus dem Türrahmen.

Mit einem kleinen Luftstoß war der Bestatter auch schon verschwunden.

Kurz schauten Amy und ich einander schweigend an.

Dann vergrub ich mein Gesicht in den Händen.

„Sky?“, ruckelte kurz die Couch, als sich Amy neben mich setzte.

Ich schaute zu ihr hoch: “Hm?“

Amy seufzte: „Es geht dir nicht gut, richtig?“

Ich drehte meinen Kopf weg: „Es ist alles ok...“

„Es ist ‘nen Scheißdreck ok.“

Ich wandte mich wieder zu Amber: „Ich sagte doch, es ist alles ok. Ich habe nur seit Tagen schlecht geschlafen und bin kaputt.“

„Du belügst mich.“

‚Nicht sie auch noch...‘, meine Stimme wurde ungewöhnlich scharf und die Aussage, ich würde Lügen, reizte mich ungemein: „Warum denkst du das?“

Amy schüttelte den Kopf: „Sky, ich bin doch nicht blind.“

„Jetzt sag‘ doch endlich worauf du hinauswillst und fasel nicht um den heißen Brei herum!“

Amy seufzte angestrengt: „Du meinst abgesehen davon, dass du so gereizt bist? Gut, ich rede Klartext und dafür brauche ich nur ein Wort. Ich habe mir das jetzt lange genug angesehen.“

Ich neigte meinen Kopf und deutete mit einem Handwedeln, dass Amy weitersprechen sollte.

Ein paar Sekunden schaute sie mir bedeutungsschwer in die Augen. Als sie ihren Mund öffnete, wünschte ich mir sofort sie hätte ihn gehalten: „Undertaker.“

Dieser Name traf mich wie ein Schlag.

Ich drehte sofort meinen Kopf weg: „Oh nein! Nein, nein, nein! Vergiss‘ es, Amy!“

Durch das hastige Abdrehen stob ein weiterer Schwall Schwindel auf. Ich rieb mir die grellen Flecken aus den Augen.

Eine Hand erschien an meiner Schulter: „Ich vergess‘ hier gar nichts! Ich rede Klartext und du auch, klar?!“

Ich schob ihre Hand von meiner Schulter und schaute zu ihr, immer noch halb mit dem Taumel ringend: „Was willst du von mir?!“

„Dass du redest“, Amber schaute mir fest in die Augen: „Rede jetzt mit mir.“

„Ich will nicht darüber reden!“

„Tust du aber!“

„Nein!“

„Undertaker!“

Ein schmerzhafter Blitz zuckte durch mein Inneres: „Hör‘ auf, Amy!“

„Undertaker!“

Ein weiterer Blitz: „Kannst du das endlich mal lassen?!“

„Undertaker!“

Amber!“, ich war laut geworden. Dass ich laut wurde war so selten wie das Amen in der Kirche gängig war, doch Amy hatte es geschafft. Dieser Name... im Moment war er die reinste Folter: „Hör‘ endlich auf damit!“

Die Phantomhive schüttelte den Kopf: „Nein. Nein, das tue ich nicht. Rede mit mir.“

Ich schaute zur Seite: „Ich will darüber nicht reden...“

„Du musst. Alleine erträgst du das nicht.“

Nun schaute ich Amy wieder an: „Was?“

„Den Liebeskummer.“

Wieder versetzte mir Amy mit chirurgischer Präzession einen mentalen Tritt genau in meine Magengrube. Augenblicklich drehte ich mich wieder ab: „Äh-äh! Knick‘ es, Amy!“

Und wieder erschien die Hand der Phantomhive an meiner Schulter: „Ich knicke hier gar nichts, klar?“

„Oh doch!“

„Oh nein!“

„Amber!“

„Skyler!“

Ich rollte kopfschüttelnd mit den Augen: „Und da wären wir...“

„Und wir bleiben hier bis du redest.“

„Wir müssen gleich los.“

„Nebensächlich!“

„Bist du bescheuert?!“

Amber schaute mich immer noch eindringlich an: „Besorgt, nicht bescheuert.“

Ich hatte keine Lust mehr. Ich hatte weder Lust über Undertaker zu reden, noch auf dieses ätzende Hin und Her. Doch ich wusste, dass Amy nicht locker lassen würde: „Herrgott, was willst du?“

„Du hast dich in ihn verliebt, oder?“

Mein Herz stockte kurz. Auch wenn ich mir schon gedacht hatte, dass Amy mich durchschaut hatte war es etwas ganz anderes, wenn sie es laut aussprach. Nachdem ich sie einige Momente angestarrt hatte, fielen meine Augen nach unten.

Ich wusste nicht, ob ich mit Amy darüber sprechen konnte. Undertaker war schließlich ihr Patenonkel. Amy war mit ihm aufgewachsen.

Er war für sie wie ein Verwandter.

Ein Onkel.

Familie...

Was für eine kranke Konstellation war das denn bitte?

Doch wenn ich nicht mit ihr sprechen konnte... mit wem dann? Sollte ich überhaupt? War Reden oder Schweigen Gold?

Denn eigentlich… waren meine Gefühle für ihn auf so viele Art und Weisen einfach nur bescheuert.

Undertaker war einfach viel zu unikal um sich an jemandem wie mir zu verschwenden.

Und generell was wollte so jemand wie er, denn mit so jemandem wie mir?

Auch war Undertaker nicht nur Amys Patenonkel. Er war noch nicht mal ein Mensch, sondern ein ca. 200.000 Jahre alter Sensenmann, der Menschen nicht wirklich schätzte. Sicherlich würde er nie irgendeines meiner Gefühle erwidern.

Das war alles einfach verrückt.

Das passte alles einfach nicht.

Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich krallte meine Finger in meine Jogginghose.

„Ja oder nein?“, fragte Amy, als ich eine Zeit lang nicht geantwortet hatte.

Ich schüttelte meinen hängenden Kopf.

„Sky, nur weil Undertaker mein Patenonkel ist heißt das nicht, dass du mit mir nicht darüber reden kannst.“

Ich schaute Amy an: „Aber...“

Nun schüttelte Amy den Kopf und wischte mir sachte die Tränen aus den Augen: „Nichts aber. Wegen mir musst du dich nicht zurückhalten.“

Ich schaute ihr leidend entgegen: „Wie… wie meinst du das?“

Die Phantomhive lächelte milde: „Ich hätte da nichts gegen. Es ist ein bisschen crazy, ja, aber in meiner Welt ist eh nichts normal. Dann sollen die Leute darin doch bitte wenigstens mit all diesen Abnormalitäten glücklich sein, damit es sich auch lohnt. Was du ganz offensichtlich nicht bist.“

Meine Augenlider flatterten: „Aber… du...“

„Nichts aber und nichts du. Sowohl Undertaker, als auch du habt endlich mal ein Stück vom Regenbogen verdient und wenn ihr halt das Stück vom Regenbogen für den jeweils anderen wärt, dann wäre das so! Dann bin ich die Letzte, die dazwischen springt, klar? Was hätte ich auch davon, außer eine todunglückliche beste Freundin? Nichts. Ich habe davon einfach nichts, außer dich stumm noch mehr leiden zu sehen. Ich will dich nicht leiden sehen“, Amy schüttelte resigniert den Kopf. Danach nahm sie mein Gesicht in beide Hände: „Du leidest schon so stumm so viel wegen deiner beknackten Eltern. Immer noch. Und wenn zwischen dir und Undertaker was passieren sollte, wäre das schlecht für mich? Nein, wäre es nicht. Für mich würde sich nichts ändern. Du bist meine beste Freundin. Nein. Sky, du bist meine Schwester und ich weiß, dass kein Mann der Welt etwas daran ändern kann. Weder an deiner noch an meiner Seite. Und Undertaker bleibt immer der Patenonkel, der mit mir in Särgen verstecken gespielt hat und daran wird keine Frau etwas ändern. Ich habe nichts zu verlieren, doch du eine ganze Menge. Also, hast du?“

Ich schaute wieder auf meine Knie. In meinem Hals saß ein riesiger Kloß, doch ich nickte.

„Ich höre die Englein singen!“, mein Kopf zuckte wieder zu der Phantomhive. Sie hatte ihre Arme ausgebreitet und den Kopf nach hinten fallen lassen: „Endlich! Süßer der Groschen nie klingelt!“

Ich zog meine Augen zusammen: „Was… genau ist jetzt bei dir los?“

Amy legte grinsend eine Hand vor den Mund, als sie mich wieder anschaute: „Na, du hast dir ja lang genug selbst auf den Füßen gestanden. Wie üblich.“

Meine Augen wurden schmaler: „Wie meinst du das?“

Amys Kopf fiel zur Seite: „Echt jetzt? Dass ich schon lange weiß was Phase ist, natürlich!“

Mir klappte der Kiefer auf: „Wa-wa-woher?!“

Amy kicherte: „Also: Als erstes bin ich darüber gestolpert, dass du dich entschieden hast deine Ferien in einem verschrobenen Bestattungsunternehmen zu verbringen. Da wurde ich hellhörig. Dann erinnere ich mich noch sehr genau wo meine beste Freundin war, als ich an Halloween von einer Dessertleiche attackiert wurde. Nicht nur in einem Sarg, nein nein, sondern in kuschelnder Zweisamkeit mit einem gewissen Bestatter.“

Ich merkte Hitze in meinen Kopf steigen, doch Amy führte ihre Gedanken fast schon genüsslich weiter aus: „Als du allerdings Frank einmal quer übers Maul gefahren bist, weil er Undertaker beleidigt hat, war die Sache klar.“

Schweigend und rot leuchtend starrte ich Amy an. Sie grinste breit: „Ihr seid so knuffig zusammen.“

Mein Gesicht wurde immer wärmer.

Dann seufzte die Phantomhive: „Nur im Moment nicht… Sky? Wie geht es dir? Sei ehrlich.“

Ich schüttelte den Kopf: „Nicht so gut...“

„Warum?“

„Ist das nicht offensichtlich?“

„Klar, doch ich will, dass du es aussprichst.“

Erschöpft rieb ich mir durch die Augen. Ich fühlte mich so ausgezehrt, körperlich und auch mental: „Ich… bin weggerannt und nun… ja… benimmt sich Undertaker so komisch. Außerdem hab ich dir ja schon erzählt, dass er der Meinung ist ich sollte meine Zeit nicht mehr mit ihm verbringen...“

„Denkst du er ist beleidigt?“

Ich zuckte mit den Schultern und blinzelte zu Amy hoch: „Keine Ahnung. Es hat bei ihm auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen… und es war kein guter...“

Amy verschränkte Arme und Beine und ließ sich in die Polster fallen: „Na ja, so oder so. Was er meint, kann er knicken.“

Ich hob meinen Kopf wieder: „Inwiefern?“

„Er schaut doch jetzt täglich bei uns vorbei um sicher zu gehen, dass wir kein Zombiefutter werden“, sie schaute kurz an die Decke: „Was tatsächlich ein bisschen paradox ist… Aber egal! Er muss mit dir zu tun haben, wenn er sich erkundigen muss ob du wohlauf bist. Von daher muss er mit dir und du so auch mit ihm Zeit verbringen. Ob er will oder nicht.“

Ich schaute wieder zur Seite: „Gezwungenes Zusammensein ist doch nicht dasselbe...“

„Stimmt“, die Phantomhive hob zwei Finger: „Zwei Dinge, die du jetzt an den Tag legen musst um es zu ändern, sind Initiative und Beharrlichkeit!“

„Wie… wie genau meinst du das?“

„Nun, wenn er sich von dir abwenden will, dann lass‘ ihn einfach nicht. Ergib dich nicht immer sofort und sei nicht so auf den Mund gefallen. Es ist an dir ihm zu zeigen, dass du nicht weggelaufen bist, weil er dir nicht wichtig sei. Zeig‘ Undertaker, dass du es mit ihm aufnehmen kannst und schwache, sofort kapitulierende Püppchen können das nicht. Jemand wie Undertaker kann mit ihnen nichts anfangen. Sei stark! Gib‘ ein bisschen Gas und zeig ihm, dass dir der Kontakt zu ihm wichtig ist. Von heute auf morgen wird das allerdings nichts. Deshalb, Initiative und Beharrlichkeit. Es ist deine Aufgabe das Bild zu korrigieren, was du ihm gezeichnet hast. Das Leben ist eine Leinwand und du bist eine Künstlerin! Also, wenn Undertaker meint dieses schwarze Bild weiter malen zu müssen, dann malst du jetzt mit rosa drüber!“

Ich schaute die Phantomhive einige Wimpernschläge lang an. Was sie sagte ratterte durch meinen Kopf.

Schwach…

Püppchen….

Bei diesen Worten klingelte etwas hinten in meinem Kopf. Dann fiel es mir ein. Mir fiel ein, was Ronald und Undertaker vor einigen Tagen in Othellos Untersuchungszimmer gesprochen hatten:

‚Das ist ein Kompliment. Mit Püppchen und Ladys können wir auf Dauer nicht viel anfangen.‘

‚Nihihihi! Wie wahr. Zu schwach! Zu zerbrechlich!‘

„Aber...“, begann ich von dieser Erinnerung nur noch mehr verunsichert.

Entfernte sich Undertaker von mir, weil ich zu schwach war? Ein Püppchen und zu zerbrechlich? Meine Augen fielen nach unten. Wahrscheinlich war es so. Ich hatte was er mir offenbarte nicht standgehalten. Ich war weggerannt. Ich war zu unzulänglich, zu schwach und zu fragil. Jemand, der die Wahrheit nicht aushielt, erntete von so einem Grund auf ehrlichen Wesen, wie Undertaker es war, sicher nichts anderes als Missgunst: „So... einfach ist das doch nicht… Ich kann ihn doch nicht zwingen… Oder eher mich ihm aufzwingen...“

„Oh doch! Genau so einfach ist das. Ich rede nicht davon, dass du ihm ständig einfach nur Nonsens blubbernd hinterher rennen sollst. Sei kreativ, außergewöhnlich und süß!“, Amy lächelte mir zwinkernd zu: „Undertaker hat nämlich eine Schwäche für süße Sachen, vor allem wenn sie unerwartet sind. Da du das alles bist, sehe ich da gar keine Probleme. Natürlich kann ich dir nicht versprechen, dass es funktioniert, doch ein Versuch ist es wert.“

Nach ein paar Augenblicken hob ich nur meine Augen zu meiner besten Freundin: „Aber… Was ist, wenn er mich einfach nicht mehr mag? Wenn ich einfach nicht zu ihm passe? Wenn er schon der Meinung ist ich sei ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen? Ich meine… als er mir die Wahrheit sagte, bin ich gelaufen. Ich hab sie nicht ertragen und sofort Angst bekommen… Das ist doch… was ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen tut...“

„Dann wirst du es merken.“

„Ganz toll...“

Amy zuckte mit den Schultern: „Ich glaube nicht, dass er so von dir denkt.“

„Glauben ist nicht wissen.“

„Das ist der Punkt. Doch wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

„Ich bin ein Loser, Amy...“

„Ach!“, Amber warf die Hände nach oben: „Du bist kein Loser. Kopf hoch und kämpfen, Sky! Er hat ein falsches Bild von dir und deiner Meinung von ihm. Korrigiere es!“

„Denkst du… ich kann das?“

„Klar“, Amy legte ihren Kopf zur Seite: „Sky, jeder hätte sich erschreckt wenn er solche Dinge hört. Selbst meine Familie schluckt jedes mal drei Mal, wenn sie es erfährt und die hat seit ein paar Generationen einen Pakt mit einem verdammten Dämon. Doch du bist weg gerannt. Du hast ihm ein falsches Bild darüber vermittelt, was für einen Stellenwert seine Gesellschaft für dich hat. Von ihm kannst du den ersten Schritt nicht erwarten. Du kannst auch nicht darauf hoffen, dass irgendein Wunder passiert. Wenn du dich gegen seine Interpretationen nicht wehrst signalisierst du ihm, dass sie richtig seien. So würdest du ihm zeigen, dass sich deine Meinung aufgrund dessen, was du erfahren hast so stark verändert hat, dass du ihn nicht mehr bei dir haben willst. Wenn du jetzt stark und beharrlich bleibst, kannst du ihm zeigen, dass es wirklich nur der Schreck war und du stark und er dir wichtig genug ist, um mit dem zu leben, was er vor 126 Jahren alles getan hat. Andere Optionen hast du nicht. Wenn du alles einfach laufen lässt, zieht Undertaker sein Ding durch und dann ist er weg, das verspreche ich dir. Wenn du ihn haben willst, dann tu‘ auch was dafür. Von nichts kommt nichts. Reiß dich zusammen und mach was! Versuch‘ es wenigstens! Wenn es nicht funktioniert, kannst du dir zumindest nicht vorwerfen es nicht versucht zu haben. Du wirst es hinterher bitterlich bereuen, wenn du es nichts wenigstens probierst.“

Ich schaute Amy an und schwieg.

Ich schwieg eine ganze Zeit, während alles was die Phantomhive gesagt hatte in meinem Kopf rauf und runter lief.

Sie hatte Recht.

Ich war mir ganz sicher, dass sie Recht hatte.

Ich würde es bereuen, es nicht versucht zu haben. Ich wollte nicht, dass Undertaker mich für schwach und erbärmlich hielt. Darüber hinaus hatte Undertaker mir so oft geholfen, dass ich es ihm einfach schuldig war klar zustellen, dass ich nicht schlecht über ihn dachte.

Amy wirkte so zuversichtlich und irgendwie gab mir diese Zuversicht ein motivierendes Gefühl.

Ich wollte bei Undertaker sein.

Ich wollte, dass alles wieder so wurde wie es vorher gewesen war.

So, oder besser.

Amy lag auch damit richtig, dass es an mir war dafür zu sorgen, dass alles wieder in Ordnung kam.

Ich wollte, dass es wieder in Ordnung kam, denn Undertaker war mir so unfassbar wichtig geworden. Also musste ich etwas dafür tun! Ich hatte lange genug geheult und gejammert. Damit ist jetzt endgültig Schluss!

Kurz rekapitulierte ich alles, was Amy mir gesagt hatte.

An dem Wort ‚Süß‘ hingen sich meine Gedanken kurz auf.

„Du hast recht“, ein dünnes Lächeln erschien auf meinen Lippen, als ich endlich mit meinen Gedanken nach all dem fruchtlosen Denken auf einen annähernd grünen Zweig gekommen war: „Ich muss etwas tun und ich hab auch schon eine Idee.“

Amys Lächeln wurde breiter: „Ich liebe es, wenn du deinen Kampfgeist auspackst!“, dann schwang sie sich auf die Füße: „Wenn er Morgen vorbei schaut, will ich Aktionen sehen, meine Süße. Ansonsten bring ich sie!“

„Oh nein!“, ich zog Amy an ihrem Top mit der Nase zu mir: „Halt deine aristokratischen Finger daraus, oder ich beiß‘ sie dir ab!“

„Hey! Warum? Ich will dir helfen!“

„Wilson!“

„Ach das“, Amy befreite sich und verschränkte die Arme: „Das ist doch jetzt auch schon wieder zwei Jahre her. Ich habe meine Taktiken perfektioniert! Wie hieß der noch mal mit Vornamen? David?“

Ich zog eine dunkle Schnute: „Daniel… Und verziehen habe ich dir das alles noch lange nicht! Was du perfektioniert hast ist mir vollkommen egal! Du bist ein ganz schlechter Aushilfs-Cupido!“

„Ja, ich gebe ja zu, dich in dieselbe Sauna wie ihn zu stecken war keine ganz so gute Idee.“

„Nicht ganz so gut?!“

„Ok, ok“, die Phantomhive stemmte ihre Hände in die Hüften: „Es war gar keine gute Idee.“

„Ich schwöre dir“, bedrohlich zeigte ich mit meinem Zeigefinger auf sie: „Wenn du deine Finger nicht daraus hältst und vor Undertaker mein Seelenleben ausbreitest, fahre ich sofort ins East End und reibe Lee lauwarm unter die Nase, was du von ihm hältst!“

„Was?!“, Amy schaute mich mit riesigen Augen an und wurde knallrot: „Wie meinst du das?!“

‚Erwischt!‘, ich ergriff meine Chance: „Du bist in Lee verknallt. Über beide Ohren.“

Amys Augen wurden noch größer: „Was?! Wie kommst du denn auf sowas?!“

„Groß, nonchalant, sportlich, humorvoll, loyal. Lee passt perfekt auf deinen Männergeschmack. Nein, anders. So lange wie du Lee schon kennst ist Lee wahrscheinlich dein Männergeschmack. Außerdem schreibst du seit Halloween nonstop mit ihm. Denke nicht ich bekomme sowas nicht mit.“

Kurz schien die Phantomhive nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Dann ließ sie seufzend die Schultern hängen und begann zu lachen: „Du machst dich.“

„Wie?“

„Wir haben uns Beide zu gleichen Teilen in der Hand und du hast es zum ersten Mal in 4 Jahren Freundschaft genutzt.“

Ich schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an: „Wie auch immer. Versprech‘ es!“

„Aber...“, Amy seufzte tiefer: „Ist ja gut, ist ja gut. Ich halte mich daraus.“

„Nie wird auch nur ein Wort von dem was du heute erfahren hast deine Lippe verlassen! Gegenüber niemanden!“

„Is‘ ok...“

„Versprech‘ es!“

„Ist ja gut! Ich verspreche es. Aber du auch!“

„Gut. Ich verspreche es.“

Die Phantomhive lächelte wieder: „Du packst das. Das heute war Pech. Das ist halt blöd gelaufen, doch das nächste Mal wird besser. Ganz sicher.“

„Ich habe immer Pech, Amy...“

„Jetzt werf‘ nicht vor dem ersten Versuch wieder die Flinte ins Korn. Beharrlichkeit, schon vergessen? Er hat dich wenigstens nicht einfach auf den Boden klatschen lassen wie ein Sack Reis. Das ist doch schon mal was, oder?“

„Wooooooow...“, machte ich gedehnt: „Ganz toll. Du siehst das Problem nicht. Er musste mich davor bewahren von einem Bügeleisen erschlagen zu werden und trotzdem habe ich es noch geschafft mich zu verbrennen. Das ist ‘ne Glanzleistung! Vielleicht verleiht er mir dafür ja die goldene Himbeere!“

„Na ja. Wenigstens war das Bügeleisen im Vergleich zu einem ausgewachsenen Leviathan doch ein recht einfacher Gegner.“

„Amy“, ich stand auf und schaute sie an: „Halt‘ einfach den Schnabel.“

„Ich will nicht, dass du jetzt wieder so denkst!“

Ich seufzte: „Aber...“

„Was er am Ende gesagt hat war doch gut. Er denkt gar nicht du seist schwach. Im Gegenteil. Er weiß, dass du eigentlich alleine klar kommst.“

Ich legte den Kopf schief: „Denkst du?“

„Sky, er hat es gesagt.“

„Vielleicht meinte er das nicht so...“

„Er meint immer was er sagt.“

„Aber er ist auch gerne mal verwirrend und kryptisch...“

„Stimmt, aber in der Aussage ‚ich zweifle nicht im Mindesten daran‘ ist kein Platz für Irreführung und kryptische Doppeldeutung.“

„Denkst du?“

Amy schaute an die Decke und hob die Hände: „Er hat es doch gesagt! Genauso“, sie schaute mich wieder an: „Außerdem hat er dir den Arm verbunden. Nicht ich, nicht du selbst. Er kam gar nicht auf den Gedanken es sollte ein Anderer machen. Aufgefallen?“

Ich atmete einmal durch: „Grell hat er auch verbunden...“

„Sky“, Amys Stimme klang reichlich verständnislos: „Grell ist einer seiner besten Freunde.“

Ich blinzelte Amy an: „Ehrlich? Grell würgt ihn doch immer.“

„Undertaker findet sowas lustig. Ansonsten wäre Grell schon lange in einem Loch verschwunden. Six feed under, wenn du verstehst.“

Unschlüssig faltete ich die Finger: „Aber den Koffer hast du geholt...“

„Weil er mir gedeutet hat es zu tun.“

„Echt?“

„Echt.“

„Ehrlich?“

„Ja.“

„Aber“, mein Blick fiel zur Seite: „Wieso?“

Amy neigte kurz überlegend den Kopf hin und her: „Wahrscheinlich, weil er dich nicht alleine lassen, aber deine Brandwunde versorgen wollte. Vielleicht… weckst du in ihm eine Art Beschützerinstinkt.“

Mein Kopf wurde schlagartig wärmer. Mit verschränkten Armen wandte ich meinen Blick und meinen hochroten Kopf weiter ab. Das Wort ‚Beschützerinstinkt‘ hatte in diesem ganzen Kontext einen komischen Touch, der mir nicht recht schmecken wollte, auch wenn ich mir überhaupt nicht sicher war wie es überhaupt schmeckte: „Amy… Er ist ein Sensenmann.“

„Ja, und?“

„Wäre es nicht für einen Sensenmann ein wenig untypisch, wenn nicht sogar hinderlich, irgendwelche“, ich malte mit meinen Fingern Gänsefüßchen in die Luft, da mit dieses Wort immer noch nicht gefiel: „‘Beschützerinstinkte‘ gegenüber Menschen zu entwickeln?“

„Klar, in der Theorie ist das so. In der Praxis kommt nicht mal William so 100% dagegen an was man ja daran gesehen hat, dass er Undertaker zu uns geschickt hat, als uns Oliver und Co. gehascht haben. Es sind halt trotz allem immer noch empfindungsfähige Wesen.“

Ich seufzte: „Wie auch immer. In irgendjemanden ‚Beschützerinstinkte‘ zu wecken ist nicht gerade ein Loblied an meine Person.“

„A hat doch nichts mit B zu tun.“

„Klar! Wenn man jemand das Gefühl gibt beschützt werden zu müssen, dann ist man klein, schwach und ziemlich erbärmlich.“

„Ja, bist du denn bescheuert?!“, Amy warf ihre Hände nach vorne: „Es ist gut, dass du es tust!“

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Gegenfrage: Bist du bescheuert? Was soll daran denn gut sein?“

„Das liegt doch auf der Hand!“

„Äh… nein?“

„Noah, Sky!“, Amy schaute kurz an die Decke und dann wieder in mein Gesicht: „Man entwickelt nur für Leute Beschützerinstinkte, die man mag!“

Ich blinzelte sie an: „Wie… wie meinst du das?“

Amber nahm mich an den Schultern und schüttelte mich: „Dass er dich vor idiotischen Earls, Dämonen, Drachen und Bügeleisen beschützt, weil er dich mag!“

„Aber...“, nachdem ich Amy ein paar Augenblicke ins Gesicht geschaut hatte fielen meine Augen zu Boden: „Ich weiß einfach nicht was ich von dieser Begegnung halten soll… Noch weniger weiß ich was er davon hält...“

Amy seufzte und stemmte die Hände in die Hüften: „Damit hast du allerdings recht.“

„Naja“, ein Seitenblick auf die Wanduhr verriet mir, dass wir los mussten: „Wie und was auch immer, wir müssen zum Sport… Ich habe so selten wenig Lust da drauf...“

Amy und ich schauten uns an.

„Ich auch nicht“, seufzte sie: „Aber es hilft alles nichts.“
 

Keine 10 Minuten später standen wir in der Sporthalle.

Unsere Sportlehrerin, Ms Charles, ließ uns durch die Halle laufen, damit wir uns aufwärmten. Ich war schnell außer Atem. Mein Kopf begann sich zu drehen und immer wieder musste ich husten. Ich hatte Seitenstechen. Doch Ms Charles kannte kein Erbarmen und scheuchte mich weiter.

Ich hasste Sport.

Heute erst recht.

Als es an das eigentlich Training ging musste ich dem Sport doch anrechnen, dass er ablenkte. Denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt mich Volleybällen zu erwehren. Meine Aufschläge funktionierten nie. Sie gingen überall hin, doch nie in das gegnerische Feld. Annehmen schaffte ich auch nicht. Ich haute immer daneben. Ich sah mittlerweile doppelt, entschied mich konsequent für den falschen Ball. Doch immer wenn ich mich auf meinen Oberschenkeln abstützte und mich von meinem Taumel erholen wollte, meckerte Charles mich an ich solle weiter spielen und mir gefälligst etwas Mühe geben, es ginge hier ja schließlich um ein Turnier.

Auch Amy schlug sich nicht so gut wie sonst, wenn auch besser als ich. Sie war etwas langsamer und unpräziser. Wirkte schneller erschöpft als üblich.

So verliefen die nächsten 1 ½ Std.

Als es endlich klingelte war mir durch den Schwindel ziemlich übel und meine Gliedmaßen fühlten sich an, als hätte man sie angezündet. Mein erhöhter Puls schickte das Blut fast krachend durch meine Adern und ließ so auch die große verbrannte Stelle schmerzlich pochen.

Ich setzte mich auf eine Bank, als die anderen Mädchen unter die Dusche verschwanden.

Amy setzte sich neben mich und wir unterhielten uns eine Weile ziemlich müde darüber, dass wir müde seien. Dann ging die Phantomhive irgendwann duschen. Meine Gedanken huschten derweilen weiter durch die Gegend und fanden keine Ruhe.

Mir entfuhr ein ermattetes Seufzen.

Dann zerriss meine Gedanken ein schriller Schrei.

Mein Kopf zuckte hoch: ‚Amy!‘

Als mir klar wurde zu wem der Schrei gehörte vergaß ich meine innere Abhandlung und auch meinen Schwindel und die Kopfschmerzen.

Ich rannte in die Umkleide. Die Türe krachte auf und gegen die Wand: „Amy!“

Bevor ich die Szenerie sah, schlug mir schon ein fauliger Geruch entgegen.

Amy saß auf einer Bank. Ihre Haare waren nass, sie trug ihre Wechselkleidung und drückte sich gegen die Wand. Mit großen Augen schaute sie auf den vermoderten Zombie, der sich über sie beugte.

Als ich durch die Türe polterte, drehte es seinen Kopf zu mir.

Ich starrte auf das Vieh.

Dann zuckte kurz die Realität und es war im Nichts verschwunden.

Ich hatte noch nicht mal geblinzelt, es war einfach… weg!

Amy starrte auf die mittlerweile leere Stelle: „War das…?“

Ich nickte perplex: „Ja… Ja, das war es.“

„Das ist… voll ekelhaft...“

„Wo ist es hin?“

Amy und ich musterten uns gegenseitig kurz schweigend. Dann schüttelte sie den Kopf: „Keine Ahnung…“

Nachdem mein Herz wieder eine normale Frequenz erreicht hatte, pfiffen mir plötzlich Kopfschmerzen durch den Kopf. Es fühlte sich an, als habe man mir einen Pfeil durch beide Schläfen geschossen. Schnell setzte ich mich auf die Bank, da ich außer bunten Lichtern nichts mehr sehen konnte und das Gefühl hatte meine Knie gaben nach.

„Geht's?“, hörte ich Amy fragen.

Ich nickte: „Wird schon. Ich bin einfach nur kaputt… Aber“, ich blinzelte Amy durch mein von Kopfschmerzen verzerrtes Sichtfeld an, welches sich nur langsam beruhigte: „Viel wichtiger ist, was dieses Vieh von uns will.“

„Ich weiß nicht“, Amy legte den Kopf schief: „Doch es scheint uns nur anzugreifen, wenn wir duschen waren.“

„Aber das ist es ja“, ich lehnte mich gegen die Wand: „Es greift uns ja gar nicht an. Sonntag, geschenkt. Da hatten wir das Haus voller übernatürlicher Wesen, doch nun? Wir sind nur 2 Mädchen. Das Vieh ist ganz offensichtlich irgendwie nicht von dieser Welt und wir doch sicher keine Gefahr dafür.“

„Es sei denn“, Amy zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte auf dem Display herum: „Es kann gar nicht kämpfen.“

„Inwiefern?“

„Gefährlich ist nicht immer gleich brutal“, sie hielt ihr Telefon an ihr Ohr: „Ein Wesen muss nicht kämpfen können um bedrohlich zu sein. Vor allen Dingen nicht in meiner Welt, die mittlerweile auch deine ist.“

Ich blinzelte Amy kurz an: „Mei… meine?“

„Klar“, Amy lächelte mir entgegen, dann zuckte ihr Kopf hoch, als wohl auf der anderen Seite abgehoben wurde: „Heeeey Onkelchen! Na, wie geht‘s?“

‚Undertaker...‘, es war klar gewesen, dass Amy ihn anrief. Er hatte es schließlich verlangt und Amy schien keinen Wiederholungsbedarf für eine Standpauke zuhaben. Wahrscheinlich da nicht gesagt war, wie viel Güte und Verschwiegenheit Undertaker für kopflose Aktionen unsererseits noch übrig hatte. Das Letzte was Amy wollte war ein Report bei ihrem Vater.

Während Amy telefonierte beruhigte sich mein Sichtfeld. Doch gut ging es mir nicht. Ich war so geschafft. Auch dass ich wusste, dass Amy mit dem Totengräber sprach verursachte ein komisches, fast schmerzliches Gefühl in meiner Brust. Ich war froh nur ihre Stimme hören zu können: „Oh, wohin denn? Beerdigung?… Ja, ja klar. Aber wenn du unterwegs bist, wie sollen wir dich dann eigentlich erreichen? Du hast ja kein Handy… Und die Antwort?… Himmel, warum auch immer... Die sind schon praktisch… Warum wohl? Wir hatten Besuch!… Nein, es geht uns gut. Kein Kratzer, kein Haar gekrümmt... Ich… Gar nichts! Es hat mich nur angestarrt. Aber ich sage dir, dass Vieh ist ein Fall für dich!… Sporthalle, Umkleide. Ich kam gerade aus der Dusche… Ja, ist uns auch schon aufgefallen, genau wie uns auffiel, dass das Vieh nicht angreift… Keine Ahnung. Wir sind hier allein, es hätte die Gelegenheit gehabt… Alles klar!… Ja, wir passen auf uns auf… Jo, bis dann!“

Amy legte auf und schaute mich an: „Undertaker schaut sich hier gleich um.“

„Nur hier?“

„Er meinte in der Wohnung wäre ihm schon was aufgefallen, wenn dort etwas wäre, was ihm nicht ist.“

Ich schaute zu Boden: „Das Vieh ist ziemlich komisch...“

Amy nickte: „Jup. Willst du auf ihn warten?“

Ich schaute Amy kurz an. Mir war schwindelig und übel. Mein Kopf wummerte, als bearbeitete ihn jemand mit einem Vorschlaghammer: „Ich glaube es macht gerade keinen Sinn, ich bin viel zu platt.“

„Aber du machst jetzt keinen Rückzieher, oder?“

Ich schüttelte kurz den Kopf: „Nein, ich versuche es Morgen nochmal.“

„Siiiicher?“

„Jaha...“

„Gut“, Amy stand auf: „Du willst nicht duschen, tippe ich.“

Ich schüttelte den Kopf. Weder hatte ich Lust nochmal nach der Dusche Besuch zu kriegen, noch weniger hatte ich Lust ein weiteres Mal nach der Dusche Besuch zu kriegen, wenn Undertaker in der Nähe sein könnte. Lange ließ er sicher nicht auf sich warten, es ging schließlich um eine Phantomhive.

„Dann los“, Amy griff ihre Tasche und ging Richtung Ausgang. Ich schnappte meine und folgte ihr. Nach ein paar Schritten waren wir aus der Sporthalle. Ich schaute meine beste Freundin an: „Was hast du eigentlich jetzt vor?“

Amy schaute mich an: „Was meinst du?“

„Lee.“

„Asü“, Amy schaute nach vorne: „Keine Ahnung. Der Typ ist voll der Esel.“

„Aber?“

Amy grinste mich an: „Ein ziemlich gutaussehender Esel.“

Ich musste auflachen, trotz des Drucks in meinem Inneren: „Ist das wirklich alles, was dich interessiert?“

„Wenigstens muss es bei mir keine übernatürliche Legende sein.“

„Neeeein“, konterte ich gedehnt: „Nur der inoffizielle König des East Ends, Leiter einer Importfirma, ein talentierter Kung Fu Künstler, einer der größten Drogenbarone Londons und ein Aristokrat des Bösen in einer Person“, ich legte den Kopf schief: „Ist ja nichts.“

Amy wackelte geschlagen mit dem Kopf hin und her und grinste von einem Ohr zum anderen: „Gut, Punkt für dich. Lee ist schon toll. Er hat Humor, Herz und Hirn, ist ein gestandener junger Mann und hört gut zu, aber...“, Amy sah mit einem mal recht angeknackst aus, brach ab und schaute zu Boden.

„Aber?“, harkte ich nach.

Sie schaute wieder nach vorne und steckte eine Hand in die Hosentasche: „Er ist ein echter Weiberheld...“

„Inwiefern?“

„Jaaaa, er kann jede haben, weiß es und nutzt es auch aus… Und was für Weiber der immer hat! Meine Fresse! Da halt ich nicht mit...“

„Hör auf zu spinnen“, ich schubste sie leicht an der Schulter: „Du siehst 100x besser aus, als ‘ne Hobbyhure aus dem Slum. Vertraue mir, ich kenne das East End. Natürlich hast du Chancen.“

Amy lächelte: „Wenn du es sagst. Trotzdem hab‘ ich ein Problem damit.“

„Klar, aber Lee ist ungebunden. Er darf tun und lassen was er will. Aber das ist eine Sache die sich ändern lässt. Sei wie du immer bist. Anlauf nehmen und mit dem Kopf durch die Wand, auch wenn die Tür 2 Meter daneben ist.“

„Es ist nicht das Problem, dass ich nicht wollen würde. Aber Lee kennt mich von Kindesbeinen an. Ich glaube für ihn bin ich eher wie eine kleine Schwester.“

„Glauben ist nicht wissen“, ich hielt Amy die Türe zum Wohnheim auf und schlüpfte hinter ihr hinein: „Seit wann hast du ein Problem damit deinen Mund aufzureißen?“

„Hast‘ schon Recht, aber wenn es nicht funktioniert verliere ich ‘nen ziemlich guten Freund. Außerdem er ist Frederics bester Freund, ein Aristokrat, Dads Geschäftspartner und und und. Wir würden uns ständig sehen.“

„Aber ein Versuch wäre es wert. Initiative und Beharrlichkeit“, lächelte ich sie an: „Wenn du ihn haben willst, musst du etwas dafür tun. Ansonsten würdest du es bereuen.“

Amy blieb stehen und beschaute mit zusammengezogenen Augen mein Gesicht: „Das habe ich irgendwo schon mal gehört.“

„Es gilt nicht nur für mich.“

„Stimmt. Dann geh ich mal mit guten Beispiel voran“, ihr Gesicht hellte auf: „Den schnapp‘ ich mir!“

Ich schnaubte so amüsiert wie ich konnte. Es ging mir immer noch nicht gut, weder körperlich noch seelisch, doch für Amy freute mich ihr Elan: „Das ist die Amber, die ich kenne.“

Sie schenkte mir ihr riesiges Grinsen: „Ich bin schließlich eine Phantomhive!“

Ich schüttelte leicht den Kopf, da alles Festere wieder Schwindel auslösen würde: „Nein, du bist Amy. Die Art, wie du bist, bist du. Das hat nichts mit deiner Linie zu tun.“

Amy lachte: „Das ist süß von dir.“

Ich lächelte so weit ich konnte: „Die Wahrheit und so.“

Dann schlang Amy ihren Arm um meine Schultern: „Weißt du, was noch die Wahrheit ist?“

„Öhm… nein? Und ich habe Angst davor...“

Ich stellte fest, was ich antwortete war so oder so irrelevant. Denn Amy ignorierte meine Aussage und zeigte mit der anderen Hand nach vorne: „Wir haben beide eine Mission, meine Süße! Da warten zwei Kerle auf eine Erlösung aus dem Singledasein und es ist unsere zugeteilte Aufgabe dafür zu sorgen!“

Ich stockte kurz in meinen Gedanken. Vorsichtig schaute ich zu Amy: „Wie kommst du darauf? Ich will deinen Enthusiasmus in deiner Sache echt nicht bremsen, aber die scheinen Beide recht gut so zu leben wie es ist. Haben sie mal irgendwas in die Richtung erwähnt?“

Amy ließ den Arm herunter fallen und sah mich an: „Könntest du mal ein bisschen mehr Elan und Tatendrang an den Tag legen?“

Ich seufzte: „Amy, haben sie?“

„Äh... Lee erwähnte mal beiläufig, dass er gerne eine feste Freundin hätte. Und Undertaker… Nun ja… Gesagt hat er sowas nicht, aber nach 200.000 Jahren Singledasein hat man doch die Schnauze voll!“

„Was?!“, ich zuckte ein Stück von ihr Weg: „200.000 Jahre Singledasein?! Das ist ja fast sein ganzes Leben! Du verarschst mich.“

„Nein“, Amy schüttelte den Kopf: „Und es nicht nur fast sein ganzes Leben, sondern sein ganzes Leben. Undertaker war laut eigenen Erzählungen noch nie liiert und warum sollte er bei sowas lügen, wenn er es sonst nie tut?“

Mir klappte der Kiefer auf: „Er ist wahrscheinlich eines der ältesten noch lebenden Wesen und du willst mir erzählen er hatte noch nie eine Partnerbeziehung?! Das klingt ja nach Zölibat!“

Amy schaute mich ein paar Sekunden an. Dann fing sie laut an zu lachen.

Abgesehen davon, dass ich die Komik definitiv nicht verstand, fühlte ich mich von ihr veralbert: „Was ist so lustig?!“

„Pffff! Undertaker und Zölibat! Pahaha! Ich fass‘ es nicht!“, Amy rieb sich Lachtränen aus den Augen: „Denkst du denn mit der Aussage, du seist nicht die erste nackte Frau die er sieht, habe ich mich nur auf seine Arbeit bezogen? Der Kerl war im Reaper Realm das Pendant zu einem Rockstar, man! Und naja“, Amy kicherte dreckig in ihre Hand: „Auch in seiner Zeit bei den Menschen hat die ein oder andere trauende Witwe, sagen wir, seinen Laden nicht so traurig verlassen, wie sie ihn betreten hat. Der Mann hat eine Menge sehr einschlägige Erfahrungen, glaub‘ mir.“

Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss: „Können wir… bitte das Thema wechseln?“

Wenn ich mich über etwas nicht unterhalten wollte, dann war es das Liebesleben des Totengräbers!

Amy kicherte weiter: „Du bist so knuffig eifersüchtig.“

„...Und du bist scheiße...“

Aus Amys Kichern wurde ein Lachen.

Ich seufzte.

Ja, wahrscheinlich war ich wirklich eifersüchtig. Eifersüchtig auf jede Frau, die den Bestatter haben konnte. Weil ich es nicht konnte…

A-also… natürlich nicht im diesem Kontext! …Eher so... allgemein… versteht sich...

Ich versteckte mein, durch meine eigenen Gedanken, hochrotes Gesicht in meinen Händen: ‚Hör einfach auf zu denken, Rosewell~‘

Amy riss mich aus meinen Gedanken: „Ach, Sky! Bevor ich es vergesse!“

„Hm?“, ließ ich meine Hände sinken.

Amy kicherte kurz: „Woran denkst du denn gerade? Du bist ja knallrot.“

Ich zog die Augen zu Schlitzen. Ich wusste woran Amy dachte, dass ich dachte: „Miststück...“

Amy kicherte weiter: „Hach ja. Prüde, prüde.“

„Halt doch endlich deine Klappe.“

Die Phantomhive wedelte mit einer Hand: „Ich habe einen Themenwechsel für dich.“

„Der wäre?“

„Lee brachte mich drauf. Gib‘ mir mal dein Handy.“

„Warum?“

„Ich will dir eine App runter laden.“

„Was für eine?“

„Ein Messenger.“

„Aha?“

„Ein spezieller“, sie hielt mir ihre Hand hin: „Ronald hat ihn programmiert. Die Aristokraten und die Reaper benutzen ihn.“

„Und… was soll ich dann da?“

„Das ist nun auch deine Welt. Ich bin auch kein Aristokrat und drin. Lee denkt es wäre sinnig. Spidersense und so, vergessen? Man braucht allerdings ein Passwort um sie runterzuladen und in den Chatroom zu kommen.“

Seufzend klaubte ich mein Handy aus der Tasche und gab es der Phantomhive Jr.

Sie tippte kurz darauf herum.

Dann gab sie es mir wieder.

Auf meinem Startbildschirm prangte neben meinem WhatsApp-Icon nun ein Icon, welcher aussah wie das Logo der Funtom Corporation. Darunter stand »Funtom-Talk«.

„Wer genau hat das jetzt alles?“

„Mein Dad, meine Mum, mein Bruder, Lee, Frank, Josi, Charlie, Grell, William, Ronald, ein paar Aristokraten, die du nicht kennst und wir beide.“

„Wer ist ‚Josi‘?“

„Ach stimmt. Du kennst sie ja noch nicht. Josefina von Steinen. Franks Tochter, Freds Verlobte.“

„Das ist aber nicht… Du weißt schon...“

„Arrangiert? Nein, die Zeiten sind auch bei uns vorbei. Es war nur ein glücklicher Zufall.“

„Okay...“

„Hallo, ihr Lieben!“

Ich wandte mich aufgrund der bekannten Stimme um.

Amy tat es mir gleich.

Wir sahen Lola, die einige Meter von uns entfernt durch die Eingangshalle ging, einen Eimer in der Hand hielt und uns mit der anderen zuwinkte.

Amy winkte zurück: „Hey Lola!“

Lola winkte noch einmal und ging ihres Weges.

Mein Kopf schaltete: „Lola! Warte kurz!“

Lola blieb stehen und schaute mich fragend an.

Ich drehte mich zu Amy: „Geh‘ vor. Ich komme gleich nach.“

Amy legte den Kopf schief: „Es riecht hier nach einem Plan.“

Ich schaute hoch: „Ja, schon. Ich hoffe die Idee ist gut.“

Amy grinste. In ihrem Gesicht sah ich, dass sie sich denken konnte was meine Idee war: „Ich denke schon. Hau rein, Süße.“

Ich nickte und ging zu Lola.

Die Küchenchefin musterte mich mit einem milden Lächeln: „Was kann ich für dich tun?“

„Ich habe eine Bitte an dich, Lola.“

„Erzähl.“

„Hast du die Tage Zeit für mich? Ich… würde gerne nochmal backen…“

„Ah“, Lola lächelte: „Ein Versöhnungsversuch.“

Ich seufzte resigniert: „Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee ist… Doch eine andere kommt mir nicht.“

„Man muss hin und wieder auf seinen Bauch hören und Liebe geht doch bekanntlich durch den Magen. Ich glaube es ist eine.“

Mein Gesicht wurde warm: „Musst du es so formulieren?… Wie auch immer… Hast du?“

„Hm“, Lola legte nachdenklich ihre Hand an ihr Kinn. Ihr großer eckiger Smaragdring blitzte in der Sonne, die durch die hohen Fenster fiel: „In der Küche ist viel los. Wir planen schon für das Sportevent. Aber ich finde sicher Zeit für dich. Nur nicht mehr heute.“

Unruhig wechselte ich von einen Fuß auf den anderen: „Ist ok. Nur keine Eile.“

„Es brennt dir unter den Nägeln.“

„Schon… Die Situation sieht im Moment eher düster aus. Ich weiß eigentlich noch nicht mal, ob ich etwas retten kann. Ich hab ziemlichen Mist gebaut.“

„Er baut Mist, wenn er dich abblitzen lässt, Liebes. Weißt du schon was? Noch einmal Desertpreußen? Kamen sie gut an?“

Ich überlegte kurz hin und her: „Schon… Aber ich will eigentlich nicht zweimal das Gleiche machen… Doch meine Idee ist noch nicht weiter...“

„Was trinkt er denn gerne? Oft kann man durch die Trinkgewohnheiten auf Ideen kommen.“

Ich klimperte mit den Augen: „Naja. Er trinkt viel Tee. Eigentlich trinkt er immer Tee. Ansonsten hab ich ihn nur Wein und… äh… ich glaube Whiskey trinken sehen.“

„Jetzt wäre es natürlich gut zu wissen, ob rot oder weiß, lieblich oder trocken und Bourbone oder Scotch.“

„Ich… weiß nicht. Ich habe auch von Whiskey echt keine Ahnung. Der Wein war sowohl als auch, aber der wurde in einer Runde und zum Essen getrunken. Da weiß ich nicht, ob er ihn nur mit trank und es ok, oder ob es wirklich seine bevorzugte Sorten waren.“

„Gut, wie wäre es dann mit Teegebäck?“

Ich konnte nicht verhindern, dass sich mein Gesicht ein wenig aufhellte: „Die Idee klingt gut!“

„Weißt du was für ein Tee er trinkt? Früchte oder Kräuter?“

Grübelnd schaute ich an die Decke. Ich stellte fest, dass ich den Namen der Teesorte die Undertaker immer aufgoss nicht kannte, doch ich konnte sie beschreiben: „Ähm…. Ich meine der den er immer machte, wenn ich bei ihm war, war Früchtetee mit Minze. Rote Früchte, da bin ich mir recht sicher.“

Lola lächelte: „Mit Zucker?“

Ich pfiff langgezogen durch die Zähne: „Sein Standard sind 13 Löffeln auf einen 0,5l Mess...“ ich stockte kurz: „Tasse.“

Lola zog blinzelnd beide Augenbrauen hoch: „Hui! 13 Löffel auf 0,5l?“

Ich nickte kurz.

„Das ist Sirup.“

Ich nickte wieder.

„Gut. Diabetiker ist er zumindest noch nicht. Wir müssen wohl nicht am Zucker sparen. Doch ich denke bei so süßen Tee wäre ein bittersüßes Gegenstück nicht verkehrt. Wie wäre es mit Flapjacks mit Herrenschokolade, getrockneten Cranberrys, Berberitze und Holunder? Ich muss eh bei Funtom bestellen.“

Ich nickte wieder: „Klingt gut!“

„Dann machen wir es so. Sobald ich einen freien Moment habe, legen wir los. Ich kann dir nur leider nicht sagen, wann es ist.“

„Ist kein Problem. Danke, dass du mir hilfst.“

„Immer doch, Liebes.“

Ich seufzte: „Naja, ich bin müde und möchte ins Bett.“

„Wir haben erst 19 Uhr. Ist alles in Ordnung?“

„Ich hab… die letzten Nächte nicht so gut geschlafen...“

„Ach herrje“, Lola tätschelte mitfühlend meine Schulter: „Dann ab mit dir. Gute Nacht.“

Ich lächelte sie ein letztes Mal dünn an: „Danke für alles, Lola. Gute Nacht.“

Dann verschwand ich ins Apartment.

Als ich durch die Türe trat hörte ich Stimmen aus dem Wohnzimmer.

Ich legte kurz den Kopf schief, als ich die Türe ins Schloss zog: ‚Ist Undertaker in der Umkleide schon fertig und redet mit Amy?‘

Kurz zögerte ich, ging aber dann ins Wohnzimmer.

Im Türrahmen der Stube ergriff mich ein grausames Gefühl, als ich sah was los war. Vollkommen steif blieb ich im Rahmen stehen und starrte in den Raum.

Auch Amy sah alles andere als begeistert aus.

Ich konnte merken wie mir meine Gesichtsfarbe floh und in mir drin wurde es schlagartig endlos starr und kalt. Bis ins letzte beunruhigt und schlug mein schlechtes Gefühl, was das Verhältnis zwischen dem Bestatter und mir anging, in einen durch mein Herz klirrenden Horror um. In meinem Kopf formte sich bei dem was ich sah sofort ein peinigend grauenhafter Verdacht: „Grell?“

Der rote Reaper saß leger mit, in einer hellblauen Ripp-Jeans steckenden, überschlagenen Beinen und einem knallroten Stoffjackett, garniert mit roten Doc Martens in unserem offenen Fensterrahmen und lächelte mich mit einem doch reichlich schiefen Haifischlächeln an: „Huhu, Herzchen.“

„Was“, ich stockte. Innerlich redete ich auf mich ein. Vielleicht war es nicht so wie es aussah. Vielleicht war Grell einfach so hier. Zum Plaudern oder Tratschen: „Tust du hier?“

Grell seufzte: „Undertaker schickt mich.“

Irgendwas in mir fror ein. So tief, dass es im Sterben lag: „...Was?“

„Nun ja“, Grells roter Schopf fiel zur Seite: „Ich bin bei ihm vorbeigegangen und er bat mich hier vorbeizugehen. Ich habe mich daraufhin in eurem Umkleideraum umgesehen, aber nichts gefunden.“

Ich hörte das tiefgefrorene Etwas in meiner Brust unheilvoll knacken: „...Undertaker hat… Er hat... dich…“

Ich bekam keinen Satz zustande.

Das war die Hiobsbotschaft.

Es ging um Amy und er schickte Grell?!

Eine Phantomhive stand vor etwas komischen, dass er selbst nicht recht kannte oder einordnen konnte und er kam nicht selbst!?

Ich war mir sicher dafür gab es nur einen Grund.

Mein erstarrtes Herz sprang in tausend Teile.

Erst redet er kaum mit mir.

Macht aus ‚du‘ ‚ihr‘.

Dann zog er seine Hand aus meiner.

Nun schickte er Grell, anstatt selbst zu erscheinen.

‚Er...‘, die vereisten Teile meines Herzens rieselten zu Boden: ‚… Es muss wegen mir sein… Er...‘

Er will mich nicht sehen.

Das war die ultimative Bestätigung für alles Üble, was mir schwante.

Er will mich nicht mehr sehen.

Grell zog die Augenbrauen zusammen: „Sky? Geht es dir gut?“

„Wa...“, ich schluckte schmerzhaft. Meine Brust war so zugeschnürt, ich konnte kaum noch atmen: „Warum fragst du?“

„Du bist total blass.“

„Ich...“, ich lachte debil auf: „Ahaha! Nein! Alles super! Ich konnte nur kaum schlafen die letzten Nächte“, unbeholfen und viel zu übertrieben wedelte ich mit meinen Armen: „Ich hau mich hin! Schlaft gut!“

Ich wandte mich um und ging aus dem Türrahmen.

Doch ich kam nur 2 Schritte weit, bevor mich mein gesprungenes Herz stoppte.

Mit einer Schulter kippte ich gegen die Wand.

Ich krampfte meine Finger in mein Oberteil, als mir nach weinen war und ich es nicht schaffte. Ich war so geschockt, hart getroffen und unendlich verletzt, ich konnte noch nicht einmal mehr weinen. Meine Brust war so zusammengezogen, ich konnte nicht schluchzen, von atmen ganz zu schweigen. Ich hatte das Gefühl erbärmlich, langsam und von der ganzen Welt vollkommen ungehört an meinem feststeckenden Kummer zu ersticken.

Aus dem Wohnzimmer hörte ich ein langes Seufzen von Amy: „Grell?“

„Ja?“

„Tu‘ mir doch bitte einen Gefallen.“

„Was für einen?“

„Wenn du Undertaker siehst“, Amy machte eine aggressiv frustrierte Kunstpause: „Schlage ihm doch bitte so fest in die Fresse wie du kannst.“
 

Nein!!

Keuchend fuhr ich aus meinen Kissen.

„Schon wieder“, hauchte ich kaum hörbar und fuhr mir mit meinen zittrigen Fingern durch die Haare. Dann zog ich meine Knie an mich heran, schlang meine Arme um mein Gesicht und vergrub es: ‚... Undertaker, es tut mir leid...‘

Nachdem ich nach Grells Besuch wahrscheinlich stundenlang von meinem Bett aus vollkommen apathisch und gedankenarm an meine Zimmerdecke gestarrt hatte, war ich doch irgendwann eingeschlafen. Ich war auf der Kopfsteinpflasterstraße gelandet. Mitten im Nichts. Und wieder war Undertaker einfach an mir vorbei gegangen. Hat mich dem Zombie und meinem Vater überlassen: ‚Ich wollte das nicht...‘

Diese Nacht kam die Phantomhive nicht in mein Zimmer gehechtet. Sie war wahrscheinlich selber zu erschöpft und endlich mal am Schlafen. Schließlich war ich nicht die Einzige, die mit schlechten Träumen und wenig Schlaf zu kämpfen hatte.

Ich hob meinen Kopf aus meinen Armen und stützte mein Kinn auf: ‚Wie...‘, betrübt fiel mein Kopf zur Seite: ‚Wie kriege ich das alles wieder hin, wenn er jetzt schon andere vorschickt um nicht selbst vorbei kommen zu müssen?‘

Ich war mir sicher der Bestatter wird auch heute wieder an unserem Fenster auftauchen. Er hatte sein Wort gegeben täglich vorbeizuschauen.

Das hieß einmal und nicht zwingend öfter.

Undertaker hatte gestern nichts getan was gegen sein Wort gestanden hätte. Er hatte nur etwas getan, das mir das Herz gebrochen hat. Etwas, was den Totengräber sicherlich nur noch marginal bis gar nicht interessierte. Er hatte mich anscheinend endgültig abgeschrieben.

Was erwartete ich denn?

Ich war schließlich die gewesen, die wortwörtlich als erste Reißaus genommen hatte: ‚Warum bin ich nur weggerannt?‘

Amy konnte sich ihr Geschwafel von wegen ‚verständlicher Schock‘ an den Hut stecken! Ob er verständlich war oder nicht war vollkommen irrelevant. Ich hatte Undertaker unmissverständlich zu verstehen gegeben, was ich von ihm hielt. Auch wenn es nicht annähernd der Wahrheit entsprach.

Ich raufte meine Haare.

Ich war vollkommen ratlos. Das Undertaker Grell geschickt hatte anstatt selbst vorbeizuschauen hatte all meine Motivation, all meine Hoffnungen die Situation noch kitten zu können, zerschlagen.

Ich konnte mir vorstellen wie Undertaker zu mir stand:

Für ihn war ich nur noch klein, schwach und erbärmlich. Wie Amy es schon passend beschrieben hatte, ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen. Niemand, mit dem der außergewöhnliche Totengräber etwas anfangen konnte.

Als ich dabei war vollends zu verzweifeln und einfach alles aufzugeben strich ein kalter Wind über meine Schultern, unterbrach so meinen Gedankengang und veranlasste mich mein Kopf zum Fenster zu drehen.

Es stand offen und meine Gardinen wehten in mein Zimmer hinein.

Lange blinzelte ich dieses Fenster an, verzweifelnd an mir selbst. Zum dritten Mal stand es nun offen und ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung warum. Als ich mit verwirrt klimpernden Augen auf mein Fenster starrte fragte ich mich was bei mir eigentlich wohl endgültig kaputtgegangen war.

Langsam krabbelte ich aus meinem Bett. Als ich stand musste ich so stark husten, dass ich mich auf meine Knie stützte. Mein Sichtfeld schillerte in den buntesten Farben, als ich versuchte durchzuatmen. Es dauerte etwas bis ich in der Lage war mich aufzurichten und die paar Schritte zu meinem Fenster zu gehen. Ich blieb vor meinem Schreibtisch stehen, über dem mein Fenster offenstand und schaute auf den Fenstergriff.

Geschlossen.

‚Schon wieder?‘

Skeptisch musterte ich das Schloss des Fensters, denn ich spielte kurz mit dem Gedanken ob ich das Fenster vielleicht ohne es zu entriegeln aufgerissen hatte. Doch eigentlich traute ich mir nicht zu stark genug dafür zu sein. Erst recht jetzt nicht, wo ich mich immer entkräfteter fühlte und so furchtbar schlecht schlief. Und wie ich es mir dachte, war das Schloss meines Fensters vollkommen in Ordnung. Hätte ich es aufgerissen wäre es zumindest hier oder da verbogen. Doch es war geradezu spöttisch unversehrt. Ich schloss das Fenster wieder, krabbelte ermattet wieder unter die Bettdecke. Ich hatte andere Probleme, als ein offen stehendes Fenster. Ich hatte einen Bestatter, nachdem ich mich sehnte - mehr als mir selber lieb war - und der nur allzu offensichtlich nichts mehr von mir wissen wollte.

Ich drehte mich auf die Seite und mein Blick fiel auf meinen Nachttisch. Darauf stand mein Radiowecker. Etwas glänzte im Schein der roten Zahlen. Ich streckte meine Hand danach aus. Meine Fingerspitzen berührten kaltes Metall. Als ich es hochhob schaute ich auf ein feines Silberkettchen mit einem schön gefertigten Pentagrammanhänger: „Der Anhänger...“

Ich hatte das kleine Ding jetzt schon Tage nicht mehr gesehen. Ich erinnerte mich daran wie ich ihn gefunden hatte, nachdem ich den Sprint meines Lebens in mein Zimmer hinter mich gebracht hatte, der alles ruiniert hatte. Ich erinnerte mich sofort an dieses schreckliche Gefühl, wie mir klar geworden war, dass Undertaker mir nichts Böses tun wollte und ich so darauf fixiert war was er Schlimmes getan hatte, dass ich genau das angenommen hatte.

Nachdenklich zog ich meine Augenbrauen zusammen. Ich hatte den Anhänger nicht auf meinen Nachttisch gelegt. Nachdem ich die Kleider des Totengräbers auf den Boden geworfen hatte, hatte ich das Kettchen nicht mehr gesehen: ‚Warum liegt es hier?‘

Ich nahm das Kettchen fest in meine Faust und zog es zu meinem Gesicht. Es war ein Geschenk von Undertaker. Und Undertaker wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Diese Kette war ein Geschenk für die Leute, die dem Bestatter nach eigener Aussage lieb und teuer waren. Und ich gehörte nicht mehr dazu.

Eine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel. Ich faste einen Entschluss, als ich mich zusammenrollte und die Augen schloss: ‚Wenn Undertaker morgen vorbeischaut, gebe ich sie ihm zurück… Ich habe kein Recht mehr sie zu haben...‘
 

Am nächsten Morgen war mir furchtbar warm. Ich hatte polternde Kopfschmerzen.

Als ich meine Faust öffnete hatte ich immer noch das feine Kettchen in der Hand: ‚Heute gebe ich sie ihm wieder...‘

Dieser Entschluss war so schmerzlich. Doch ich wusste, dass ich es tun musste.

Nachdem Amy 2x an meine Türe geklopft hatte, nahm ich meine Schuluniform und ging ins Bad. Im Bad merkte ich, dass ich das Kettchen noch in der Hand hielt. Ich legte es auf dem Wachbeckenrand ab und schaute in den Spiegel. Rechts fiel eine kleine geflochtene Strähne über meine Schulter. Ich hob sie an und beschaute sie.

„Ein Zeichen für unsere Verbundenheit, hm?“, flüsterte ich und löste das Haargummi. Langsam und mit einem schrecklichen Gefühl in Brust und Bauch löste ich das Zöpfchen. Als ich den letzten Überschlag gelöst hatte, packte ich die drei Strähnen die mir einst Undertaker zu dem Zöpfchen geflochten hatte und zerquetschte sie in meiner zittrigen verkrampften Faust, während ich eine einzelne Träne nicht halten konnte: „Doch anscheinend verbindet uns nichts mehr...“

Und das war so schmerzhaft.

Ich riss mich von dem Gedanken an die Situation, in der er mir den Zopf geflochten hatte, los und ging unter die Dusche. Ich duschte schnell. Denn mein Kreislauf verlangte schnell danach die Dusche wieder zu verlassen. Mir war so horrend schwindelig geworden, dass ich mich in ein Frotteetuch gewickelt auf den zugeklappten Klodeckel setzte und einige Male tief durchatmete. Mein Magen rebellierte. Nachdem ich einmal würgen musste drückte ich meine Hände vor den Mund. Säure stieg in meinem Hals. Nach vorne gebeugt versuchte ich all dem Drohendem Herr zu bleiben.

Ich schaffte es nicht.

Blitzschnell sprang ich von der Toilette, riss den Deckel hoch und spuckte hinein. Tragischerweise war mein Magen nur fast komplett leer. Röchelnd und hustend brannte die Säure weiter in meinem Hals.

Irgendwann schaffte ich es endlich auf zu stehen und zum Waschbecken zu wanken. Ich nahm zwei große Hände mit Wasser. Dann noch zwei. Kaum hatte ich etwas Wasser in den Mund genommen merkte ich wie durstig ich war. Mir war furchtbar warm und trotzdem begann ich irgendwie zu frieren. Seufzend stützte ich mich auf das Waschbecken: „Ach Scheiße...“

Frustriert stellte ich fest, dass ich dieses Befinden kannte.

Mit einem langen Seufzen wischte ich den Dunst von dem blanken Spiegel und schaute in mein bleiches Gesicht, welches meine ungute Vorahnung nur noch mehr bestätigte.

Ich griff in den Alibert und angelte ein Fieberthermometer heraus. Es widerstrebte mir zwar, aber ich schob es in den Mund. Mit auf das Waschbecken gestützten Armen wartete ich, bis es zu piepsen begann. Ich nahm es auf dem Mund und was das kleine Display mir zeigte frustrierte mich nur noch mehr: „Ach, nein… so ein Scheiß...“

»39,2°C«

Ich hatte mir keinen Schnupfen eingefangen, sondern eine Erkältung. Das war wirklich das Allerletzte, was ich nun gebrauchen konnte. Resigniert ballte ich meine Faust um das Fieberthermometer. Mein Blick fiel wieder auf den Anhänger auf dem Waschbeckenrand. Mit den schwachen Fingern meiner freien Hand griff ich danach. Die Kette fiel mir um meinen Mittelfinger und ich ließ den Anhänger in meiner Faust verschwinden um ihn an mein schmerzendes Herz zu legen: „Es ist doch alles einfach nur Scheiße. Was soll das? Warum? Warum ich?“

Ich war tatsächlich der blanken Verzweiflung nicht nur nahe. Ich war dort angekommen. Undertaker hielt sich von mir fern. Unterhielt sich nicht mit mir, wollte mich nicht sehen und jetzt hatte ich auch noch Fieber. Ich war schon wieder krank geworden. Ein weiterer Beweis wie unglaublich schwach und erbärmlich ich war. Ich ließ den Kopf hängen und stützte mich wieder auf das Waschbecken. Tränen tropften auf das weiße Keramik: „Das kann doch alles einfach nicht wahr sein...“

Ich wollte Undertaker beweisen, dass ich nicht schwach war. Aber so konnte ich das in den Wind schießen. Ich war einfach schwach.

Punkt aus Ende!

Ich war einfach schwach!

Und es frustrierte mich so unendlich.

Ich schaute noch einmal auf das Thermometer, welches mir immer noch dasselbe verkündete.

Amys Worte schossen mir durch den Kopf. Alles was sie sagte. Dass sie nicht glaubte, dass er schlecht von mir dachte. Nur einen falschen Eindruck hatte. Dass ich diesen Eindruck vielleicht noch kippen konnte. Dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht versuchte.

Ja, Undertaker hatte Grell vorgeschickt. Aber ich konnte wie Amy es schon sagte nicht erwarten, dass der Bestatter von sich aus auf mich zuging oder irgendein Wunder passierte.

Ich hatte das Gefühl ich stand an einem Scheideweg.

Der eine Pfad war meine Resignation. Die Aufgabe, die mich in eine Zukunft führen wird in der ich wieder alleine und recht einsam vor mich hin dümpeln würde, so wie ich es die letzten Jahre getan hatte. Eine Zukunft, die trist und grau war. Wenig ansprechend. Doch er war eben. Dieser Weg war einfach.

Der andere Weg war bei weitem steiniger. Ging auf und ab. Hatte viele enge Kurven, wo ich nicht sehen konnte was dahinter lag. Doch ich wusste, am Ende dieses Weges war die Türe zu meinem Lieblingsgruselkabinett. Und ich wusste dieser Weg war verdammt schwierig. Ich musste stark sein um ihn zu beschreiten. Doch wenn ich das schaffte. Wenn ich jedes auf hochgekrachselt und jedes ab hinunter geklettert – oder wie ich mein Glück kannte, eher gepoltert – war und wieder aufstand um weiter zu gehen. Wenn ich jeder sicherlich sehr unangenehmen Überraschung hinter der engen Kurve trotzte, dann hatte ich vielleicht eine Chance.

Ich schaute auf die Kette in meiner Hand: „Und vielleicht gibt er mir die am Ende dieses Weges wieder.“

Ich ballte meine Hand entschlossen um den Anhänger zur Faust.

Ich wollte den steinigen Weg nehmen! Ich hatte keine Lust immer den Weg des geringsten Widerstandes zu nehmen und mich dann über die ganze Welt zu beschweren! Hieß ich William?! Nein!

Ich wollte auch nicht bereuen es doch nicht versucht zu haben. Ich hatte ja auch noch gar nichts versucht um es zu ändern! Ich war ja noch gar nicht dazu gekommen!

Undertaker hatte angekündigt so zu reagieren.

Ja, es war hart. Verdammt hart sogar.

Und es tat verdammt weh.

Doch was gestern Abend passiert war, war die böse Überraschung hinter der ersten Kurve. Der ich trotzen musste!

Initiative und Beharrlichkeit, statt Heulen und Jammern!

Es war nun an mir!

Doch für diesen Weg brauchte ich viel Kraft. Mit einem weiteren Blick auf das Fieberthermometer in meiner Hand entschied ich, dass ich gerade keine Krankheit gebrauchen konnte.

Mein Fieber war unwichtig!

Mit 39°C gingen andere Menschen noch arbeiten und beschwerten sich nicht!

Fieber war das Eine, sich dem zu ergeben das Andere. Dieses Mal würde ich mich nicht ins Bett verziehen und leiden. Ich werde weiter machen. Ich hatte keine Zeit! Ich musste Undertaker jetzt überzeugen, dass ich stärker und stabiler war, als es schien. Dass ich stark genug war einer kleinen Erkältung zu trotzen und das ich stark genug war, damit zu leben was er vor über 100 Jahren getan hatte.

Ich entschied, dass ich nicht krank war.

Ich verbot mir krank zu sein!

Ich war jung und an sich gesund und stark genug, um das alles zu schaffen. Auch mit ein bisschen Fieber und Schwindel. Ich darf mich nur nicht immer so anstellen. Nicht immer ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen sein.

Ich schaute mit festem Blick auf meine um den Anhänger zur Faust geballten Hand: „Dir zeig ich‘s, du lachender Irrer!“

Und als ich das alles beschloss, zuckte mein Kopf nach oben. Denn meine Nase erreichte ein gar widerwärtiger Gestank. Ein Gestank, den ich schon 2x vernommen hatte.

Ich erstarrte. Klirrend fiel das Thermometer in unser Waschbecken.

Mein Atem und Herz fing zu rasen an, als ich mir sicher war, was hinter mir stand.

Ich konnte mich nicht umdrehen. Ich schaffte es nur mit einer mehr als zittrigen Hand die Türe des Aliberts zu schließen.

Als die Spiegeltür zuklappte sah ich es hinter mir stehen.

Den Zombie.

Ich sah nur durch den Spiegel wie dieses Wesen – was auch immer es nun genau war – einen langsamen behäbigen Schritt auf mich zu tat. Da unser Badezimmer nur ein paar Schritte maß, war es nicht weit von mir entfernt.

Es streckte seine Hand nach mir aus: „Gib mir...“

Meine Augen wurden riesig. Noch einen Schritt und es würde mich berühren. Auch das es sprechen konnte verwunderte mich. Es war röchelnd und abgehackt, doch es sprach: „Gib mir...“

Ich war mir irgendwie sicher: Wenn es mich berührte war alles vorbei.

Irgendetwas in mir wusste, dass dieses Ding mich niemals berühren durfte.

„Gib mir...“

Ich war tot.

Weil ich ein schwaches, sofort kapitulierendes Püppchen war, würde ich nun sterben.

Meine Finger zogen sich fester um den Pentagrammanhänger.

Etwas wallte in mir auf.

‘ Nein...‘, ich musste noch etwas tun: ‚Nein, ich darf noch nicht sterben. Nicht, bevor ich wenigstens versucht habe mich mit Undertaker zu versöhnen!‘

Ich drehte mich um und streckte meine flache Hand nach vorne: „Stopp!“

Ich war mir natürlich bewusst, dass das Vieh nicht stoppen würde nur weil ich es sagte.

Doch zu meiner Verwirrung wich das ekelhafte Zombie-Ding sofort vor meiner Hand zurück.

Irritiert sah ich es an. Dann auf meine Hand.

Ich sah ein silbernes Kettchen um meinen Mittelfinger liegen. Unter meinem Handballen baumelte der Anhänger: ‚Hat es Angst vor…?‘

Ich warf meine Hand nach vorne. Der Anhänger flog ein Stück auf den Zombie zu: „Verschwinde!“

Es schreckte noch weiter zurück.

‚Tatsache!‘, das war doch mal eine Erkenntnis, die Gold wert war!

Ich schlug nochmal mit dem Anhänger nach ihm: „Bleib mir weg! Hau ab!“

Kurz hatte die Realität eine Störung. Dann war das Vieh tatsächlich weg.

Ich lehnte mich hinterrücks gegen das Waschbecken und pfiff durch die Zähne: „Das war knapp...“, dann schaute ich nochmal auf den Anhänger in meiner Hand: „Das muss ich Amy erzählen.“
 

Und das tat ich.

Als wir auf dem Weg zum Morgentee waren schaute ich die Phantomhive an: „Du Amy?“

Sie schaute von ihrem Handy auf: „Hm?“

„Mir ist heute Morgen etwas passiert.“

„Was‘n?“

„Ich war duschen und...“

Mit einem Stöhnen unterbrach sie mich: „Nicht das Zombie-Vieh wieder, oder?“

Ich nickte, als wir uns an unseren Platz an dem kleinen vor Kopf aller anderen Tische stehenden Tisch setzten, der nur für den Prefect und seinen Fag bestimmt war: „Doch.“

„Was hat es gemacht?“, die Phantomhive legte ihr Handy auf den Tisch und nahm ihren schwarzen Tee.

Auf meinem Platz stand schon mein schwarzer Kaffee. Ich griff die Tasse und hob sie zum Mund: „Es wollte nach mir greifen und es hat mit mir geredet.“

Amy blinzelte: „Es hat geredet?“

„Jup.“

„Das ist neu. Was denn?“

„Immer denselben Satzfetzten: ‚Gib mir...‘ Ich weiß nur nicht was ich ihm geben sollte.“

„Mysteriös. Und es wollte nach dir greifen?“

„Ja“, ich schaute Amy an: „Doch ich habe es vertrieben.“

„Wie?“

Ich zog den Anhänger aus meiner Jackettasche: „Hier mit.“

Amy blinzelte erneut: „Der Anhänger...“, es ratterte kurz in ihrem Blick, dann kam ihr etwas in den Sinn: „Den habe ich im Umkleideraum noch nicht getragen! Zum Duschen hatte ich ihm abgelegt!“

„Ich hatte ihn Sonntagabend auch nicht um“, ich beschaute die kleine Kette in meiner Hand: „Heute Morgen hatte ich ihn zufällig dabei.“

„Trägst du ihn jetzt wieder?“

Ich seufzte: „Nein...“

„Warum nicht?“

„Weil...“, ich steckte ihn wieder in meine Tasche: „Undertaker sagte diese Ketten sind für Wesen, die ihm wichtig sind. Ich will ihn erst wieder tragen, wenn er sich sicher ist, dass ich ihn unter diesen Konditionen noch tragen kann. Wenn nicht will ich ihn nicht haben, auch wenn er mich vor den Trancys beschützt.“

„Du benutzt ihn also als Symbol.“

„Irgendwie schon“, ich schaute Amy an: „Ich gebe ihn Undertaker heute wieder. Mit genau diesen Worten. Und dann schaue ich wie er darauf reagiert.“

„Woho!“, Amy nickte anerkennend: „Wie ausgebufft!“

„Inwiefern?“

Amy wackelte mit den Händen: „Ist dir nicht bewusst, dass das eigentlich ein ganz fieser Psychotrick ist? Du bringst ihn damit in Zugzwang. Und zwar massiv! Das ist fast hinterhältig, Süße.“

„Hinter… Hinterhältig?“, ich stockte kurz: „Also… keine gute Idee?“

„Oh nein, nein. Mir gefällt‘s“, Amy grinste: „Das ist genau seine Liga. Mach‘ es!“, dann wackelte die Phantomhive mit dem Kopf: „Doch bedenke, dass es auch nach hinten los gehen kann.“

Ich seufzte und trank einen Schluck meines Kaffees: „Ich glaube alles kann nach hinten los gehen...“

„Kann es auch“, Amy schaute mich an und grinste wieder: „Doch ich find‘ das gut. Das ist die Form von kreativ und außergewöhnlich, die ich meinte!“

„Aber… es ist nicht süß...“

Amy schüttelte den Kopf: „So habe ich das gestern auch nicht gemeint. Man muss nicht auf alles rosa Zuckerperlen streuen. Es ist konsequent und knallhart. Ich bin dafür. Außerdem backst du für ihn, das ist süß genug. Was eigentlich?“

Ich schaute Amy aus meine Tasse aus an: „Flapjacks.“

„Waaaas?!“, machte Amy: „Ich will auch welche!“

Ich musste kurz kichern: „Ich mache ein paar mehr, ok? Für deine Unterstützung hast du dir echt welche verdient.“

Amy lächelte mich an und wir starteten in den Tag.

In der ersten Stunde hatten wir Geschichte. Gerade quälten wir uns durch das Industriezeitalter, in dem es gerade in London zu massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen kam. Während wir unserer Geschichtslehrerin, Ms. Karlson, zuhörten flüsterte mir Amy zu, dass die Hälfte was wir lernten kaum stimmte. Sowohl Sebastian, als auch die Shinigamis hätten ihr das wohl mal erzählt. Sie hatten nur leider ausgespart, welche Hälfte es war. Trotzdem kicherten wir kurz albern auf unseren Plätzen, nur um sofort dafür gerügt zu werden. Der Rest der Stunde ging dann doch wesentlich unamüsanter vonstatten, da er nur aus mitschreiben bestand. Eine Timeline, die für die nächste Klausur Grundvoraussetzung sein sollte.

Danach hatten wir Französisch. Ein Fach, durch das ich mich so mogelte und über ein ‚C-‘ mehr als erfreut war. Denn dann war ich wenigstens nicht durch den Kurs gefallen. Und wenn ich durch auch nur einen Kurs fiel, konnte ich meinen A-Level vergessen und niemand verließ das Weston College ohne A-Level. Außerdem wollte ich nach dem College an die Uni gehen, wozu ich meinen A-Level zwingend brauchte. Es half also nichts. Ich musste da durch.

Doch französische Grammatik macht einen einfach fertig. Es sei denn man hieß Amber Heather Phantomhive und stammt aus einer Familie, die Französisch schon seit etlichen Generationen als Zweitsprache spricht und kann einen Dämonen-Butler als Privatlehrer vorweisen. Dann schien das alles kein Problem zu sein.

Ich überlebte es einen weiteren Mittwoch und ging mit Amy zum Frühstück.

Mein Appetit war irgendwo im Nirwana verschwunden. Mir war einfach nur furchtbar warm und furchtbar bäh. Doch in dem Moment wo ich mir dachte, dass es mir so ging verbot ich es mir.

Ja, ich war ein bisschen erkältet.

Und nein, es war kein Grund sich so anzustellen.

Außerdem musste ich etwas essen.

So erdolchte ich mein Frühstück und schob es mir in den Mund. Mein Magen und mein Geist fochten einen verbitternden Kampf darum, ob Essen nun eine gute Sache sei oder nicht.

Bevor ich mich allerdings entscheiden konnte, vibrierte mein Handy.

Auch Amy zog ihres hervor.

Auf meinem Sperrbildschirm leuchtete eine Notification der ‚Funtomtalk‘-App.

Ich schaute relativ irritiert auf die Benachrichtigung »Neues Gruppenmitglied hinzugefügt«.

Neben mir fing Amy schon an zu kichern.

„Was ist los?“, fragte ich sie kurz.

„Lies selbst“, antwortete sie grinsend: „Das musst du selbst sehen um es zu glauben.“

Ich tippte auf die Benachrichtigung und entsperrte mein Handy. Der Chatroom erschien auf meinem Desktop. Er hatte ein sehr detailreichen Steampunk-Comic-Skin. Der Hintergrund war ein viktorianisches Büro und die Nachrichten wurden wie gewohnt in Sprechblasen mit Namen und dem dazugehörigen Bild daneben angezeigt.

Ich schaute auf die Benachrichtigung ganz unten die keine Sprechblase sondern ein brauner Balken war und traute meinen Augen nicht: „Zur Hölle, bitte WAS?!“

Ich blinzelte so oft wie ich noch nie geblinzelt hatte.

»Lee hat Undertaker hinzugefügt«

Undertaker?!“, mein Kopf fuhr zu Amy: „Wie? Er hat kein Handy und machte nie einen Hehl daraus, dass er keins haben will. Im Gegenteil! Er stellt sich dumm, damit es jedem zu anstrengend ist ihn zu überreden!“

Amy fing an zu glucksen: „Wie es scheint holt auch ihn der Fortschritt ein.“

Dann kam ein helles Geräusch aus meinem Handy.

– Grell [11.11.15; 09:11] Undertaker?! Hab ich das Einsetzen des 8 Weltwunders verpasst? -

– Ronald [11.11.15; 09:11] ...O.o'... Alle in die Bunker, die Apokalypse naht! -

– Grell [11.11.15; 09:11] Er hat nur endlich ein Handy, du Schwachmat… -_-* -

– Ronald [11.11.15; 09:12] Wie ich sagte! Alle in die Bunker! >:P -

– Grell [11.11.15; 09:12] Du bist eine Ravioli, Ronald! Siehst du?! Dank dir traut er sich noch nicht mal was zu schreiben!

@Undertaker: Hör nicht auf ihn, Schätzchen! Ich freue mich, dass du hier bist! Willkommen im technischen Zeitalter! ("(^_^)/") -

– Ronald [11.11.15; 09:12] Er ist gerade mal 2 Minuten dabei... -

– Grell [11.11.15; 09:12] So schreckst du ihn ab! -

– Ronald [11.11.15; 09:12] Genau… Ich schrecke Undertaker ab m( -

– Ronald [11.11.15; 09:12] Außerdem war dein erster Kommentar doch auch ein blöder Spruch!-

– Fred [11.11.15; 09:12] Mädels, bitte... -

– Ronald [11.11.15; 09:12] Mädels?! -

Mit den Augen klimpernd beschaute, nein, bestaunte ich diese Konversation. Dann schaute ich zu Amy: „Grell und Ronald sind zumindest voll im technischen Zeitalter angekommen...“

Amy grinste amüsiert zurück: „Ja, nicht? Ziemlich schnell sogar. Auch William hatte den Bogen echt schnell raus. Der Dispatch arbeitet mittlerweile auch mit Handys, aber das sind ihre Privatnummern.“

„Faszinierend“, blinzelte ich wieder auf mein Handy und konnte was ich sah immer noch nicht so recht glauben.

Sensenmänner in einem Messenger Chatroom.

Ich hatte nun wirklich alles gesehen!

– Lee [11.11.15; 09:13] Fred und ich haben Undertaker gestern ein Handy besorgt und es ihm eben vorbei gebracht! Cool, hm? (^゚ヮ゚^) -

– Grell [11.11.15; 09:13] Model?-

– Fred [11.11.15; 09:13] S4 -

– Grell [11.11.15; 09:13] Uhhhh… Is aber ein altes Ding... -

– Fred [11.11.15; 09:14] Für ihn reicht‘s -

– Lee [11.11.15; 09:14] Aber dicke. Wenn es nicht schon 20 Modele zu modern ist -

– Grell [11.11.15; 09:14] *Seufz* Wenn ihr meint >,> -

– Lee [11.11.15; 09:14] Schreib mal was, Takerchen! -

– Ronald [11.11.15; 09:14] Hast du ihn gerade tatsächlich Takerchen genannt? -

– Lee [11.11.15; 09:14] Fancy Nickname Time! (>⌐■‿■)> -

Ich schaute Amy wieder an: „Echt jetzt?“

Amy lachte zurück: „Lee, halt. Hinterfrag‘ es nicht. Und jetzt Pst! Ich will wissen wie es weiter geht!“

„Takerchen“, ich schüttelte den Kopf, als ich wieder auf mein Handy schaute: „Ich fasse es nicht...“

– Ronald [11.11.15; 09:14] Ich würde dich schlagen >,>* -

– Lee [11.11.15; 09:14] Ja, Roni. Iss‘ dir ‘n Snikers -

– Ronald [11.11.15; 09:15] -_________-* -

– Grell [11.11.15; 09:15] Aber ehrlich, Leute. Warum schreibt er nicht? -

‚Gute Frage‘, fiel mein Kopf zur Seite.

– Ronald [11.11.15; 09:15] Habt ihr ihm erklärt wie das geht? -

‚Auch eine gute Frage‘, fiel mein Kopf zur anderen Seite.

– Fred [11.11.15; 09:15] Was ‘ne Frage… Natürlich! Und selbst wenn nicht, der Mann ist nicht blöd. Nur stur wie ein Ochse -

– Lee [11.11.15; 09:15] Oder ein Esel -

– Frank [11.11.15; 09:15] Oder eine Mischung aus beidem -

Amy seufzte neben mir: „Frank wie er leibt und lebt. Kein Hallo, aber ein blöder Spruch.“

„Das“, ich seufzte ebenfalls: „Ist wenigstens normal...“

– Grell [11.11.15; 09:16] Ihr seid so… Ach lassen wir das!

@Undertaker: Huhu? Lebst du noch? -

Dann geschah das Undenkbare. Etwas von dem ich wahrscheinlich nie in meinem Leben gedacht hätte, dass es auch nur passieren B]könnte!

– Undertaker [11.11.15; 09:16] @#$"*-

Mir klappte der Kiefer auf: „...Was?“

Amy und ich schauten uns an.

Lange.

Auch die Phantomhive sah mehr als nur verwundert drein: „Mich sollte ab dem heutigen Tag nichts mehr überraschen, aber… hast du eine Ahnung was er meint?“

Ich schüttelte den Kopf: „Nicht einen Hauch.“

Wir schauten wieder auf den Chat.

– Lee [11.11.15; 09:17] Was? -

– Grell [11.11.15; 09:17] Was? -

– Fred [11.11.15; 09:17] Was? -

– Ronald [11.11.15; 09:17] Was? -

– Frank [11.11.15; 09:17] Wundert ihr euch wirklich? -

– Undertaker [11.11.15; 09:17] &#%"#*+ -

– Frank [11.11.15; 09:17] Ich mich nicht -

– Undertaker [11.11.15; 09:18] #$%&! -

Ich konnte nicht glauben, dass die Sprechblase wirklich zu Undertaker gehören sollte, obwohl sein Name darüber und sogar ein Bild von ihm daneben stand. Er grinste darauf breit und hatte einen seiner Kekse zwischen den Zähnen: ‚Irgendwie… Irgendwie sieht das knuffig aus...‘

Doch ich fragte mich, warum er so komisches Zeug schrieb? Er schrieb nur Sonderzeichen! Ein Code vielleicht? Aber wie sollte er innerhalb von so kurzer Zeit einen Code auf die Beine stellen?

Ich stockte kurz.

Das wäre wahrscheinlich nicht das größte Problem für ihn. Wie Fred schon sagte er ist stur, nicht blöd. Doch warum benutzte er ihn? Es verstand doch keiner. Erlaubte er sich nur einen Spaß mit allen?

Überlegend tippte ich mit meinen Daumen auf meinen Handy herum. Durch die Berührung ploppte meine Tastatur auf, ohne dass ich es wollte, und stellte sich auf Sonderzeichen.

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

– Sky [11.11.15; 09:19] ...Undertaker? -

„Was machst du?“, fragte Amy von der Seite.

„Ich hab eine Idee“, seufzte ich: „Ich hoffe nur er antwortet mir überhaupt…“

Bangend sah ich auf mein Handy.

Eine Minute verstrich ohne Antwort.

Dann die nächste.

Fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben, da machte der Chat einen weiteren Ton:

– Undertaker [11.11.15; 09:21] ? -

Ich wusste nicht was ich fühlte, als Undertaker mir im Chat antwortete. Ich war irgendwie erleichtert, doch andererseits war es nur ein Chat mit vielen anderen. Auch mit Amy und Alex...

– Sky [11.11.15; 09:21] Kann es sein, dass… Also ich will dir wirklich nicht zu nahe treten… Aber kann es sein, dass du deine Tastatur auf Sonderzeichen gestellt hast und nicht weißt, wie man sie zurückstellt? -

Wieder verstrich eine kleine Weile.

„Oh nein“, seufzte ich nach einer Minute, die unendlich lang schien: „Ich hab ihn verärgert… Ganz sicher...“

Amy wedelte mit einer Hand: „Durchatmen. Warte ein bisschen.“

Dann wieder ein Ton.

Sofort raste mein Blick auf mein Handy.

– Undertaker [11.11.15; 09:23] !!! -

Ich zog meine Augenbrauen hoch. Das könnte jetzt Bestätigung, Ärger, oder Verneinung sein. Es könnte einfach alles sein!

– Sky [11.11.15; 09:23] Mach ein + für ja und ein – für nein -

– Undertaker [11.11.15; 09:23] + -

„Pfffff!““, ich konnte nicht verhindern, dass ich anfangen musste loszulachen. Obwohl mir eigentlich nicht nach Lachen zumute war, konnte ich nichts dagegen tun. Ich musste sogar so sehr lachen, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich musste mir bildlich vorstellen, wie er an seinem Tresen, einen Keks im Mund, vor seiner neuen Errungenschaft saß, die er nie haben wollte und seine verstellte Tastatur anblinzelte. Er war wirklich nicht dumm, aber streckenweise ein bisschen dämlich: „Ich fasse es nicht! Das gibt‘s doch nicht! Ahahahaha! Das gibt es doch wirklich nicht! Der Mann ist 200.000 Jahre alt und verzweifelt an einer Handytastatur! Ahahaha! Gott, nein! Das schießt doch wirklich den Vogel ab!“

Nachdem ich mich beruhigt hatte, wischte ich die Lachtränen aus meinen Augen und schaute wieder auf den Chat. Ich hatte ganze 3 Minuten gelacht und es war einiges passiert:

– Fred [11.11.15; 09:23] Das… habe ich wohl vergessen zu erklären... -

– Lee [11.11.15; 09:23] Der Burner! XD -

– Fred [11.11.15; 09:23] Du hast es auch vergessen! -

– Lee [11.11.15; 09:23] XD Witzig ist es trotzdem XD -

– Frank [11.11.15; 09:23] Ich fasse es nicht... -

– Undertaker [11.11.15; 09:23] !!! -

– Amy [11.11.15; 09:24] Da auch Sky gerade vor Lachen stirbt, übernehme ich: Unten links auf die Taste mit ‚abc‘ tippen, du Held ^^* -

– Undertaker [11.11.15; 09:24] Heureka! -

– Lee [11.11.15; 09:24] Er hat Eldorado gefunden! XD Ich schmeiß mich weg!-

– Ronald [11.11.15; 09:24] Oi, Undertaker! Holpriger Start? -

– Undertaker [11.11.15; 09:24] Was lange währt, wird endlich gut. Außerdem sorgte es für einige lachende Gesichter, so war meine Pein nicht umsonst -

– Frank [11.11.15; 09:24] Pein… Man kann es auch übertreiben... -

– Undertaker [11.11.15; 09:24] Das kleine Ding ist verdammt zickig! -

– Lee [11.11.15; 09:24] Ich kann nicht mehr X‘D -

– Amy [11.11.15; 09:25] Sky lacht auch noch xD -

– Undertaker [11.11.15; 09:25] Fein, fein. So soll es sein, hehe -

– Frank [11.11.15; 09:25] Hat er gerade tatsächlich ein Lachen ge… Ich bin raus -

»Frank ist beschäftigt«

– Lee [11.11.15; 09:26] *ROFL* *LOL* -

– Undertaker [11.11.15; 09:26] Wie bitte? -

– Fred [11.11.15; 09:26] Lee lacht… und zwar viel... -

– Undertaker [11.11.15; 09:26] Ah ja, was auch immer -

Jetzt war ich beim aktuellen Stand angekommen und es kam eine weitere Nachricht rein:

– Amy [11.11.15; 09:27] Sky lebt wieder. Ich war kurz davor das Sauerstoffzelt zu holen, aber sie hat es überstanden ;D -

Mein Kopf fuhr zu Amy: „Amy!“

„Was? Ist doch so.“

„Du machst mich total lächerlich!“

„Ach quatsch. Schau dir bitte Lee an. Der lacht sicher immer noch.“

„Die anderen sind mir egal! Mach‘ mich nicht zum Affen!“

„Gott, du Diva. Auch ‘n Snikers?“

„Amy!“

„Es geht weiter.“

Sofort schaute ich auf mein Handy.

– Undertaker [11.11.15; 09:27] Eine wünschenswerte Wendung, hehe -

‚Wünschenswerte… Wendung?‘, irgendwie verwirrte mich dieser Satz und ich wusste nicht recht mir einen Reim darauf zu machen.

– Grell [11.11.15; 09:27] Nun, da alle wieder leben (mehr oder weniger) und alle Tastaturen richtig stehen: Willkommen im technischen Zeitalter! ("(^_^)/") -

– Ronald [11.11.15; 09:27] Genau! Cool, dass du es auch endlich geschafft hast! -

– Undertaker [11.11.15; 09:27] Die Welt dreht sich, oder wie heißt es? -

– Lee [11.11.15; 09:27] Bingo, alter Mann! -

– Grell [11.11.15; 09:27] Unser Undertaker hat ein Handy. Ich fasse es immer noch nicht! -

– Ronald [11.11.15; 09:28] Ich hab mich schon 3-mal gekniffen! -

– William [11.11.15; 09:28] Sutcliff! Knox! -

– Grell [11.11.15; 09:28] Oh Schande... -

– Ronald [11.11.15; 09:28] Shit... -

– William [11.11.15; 09:28] Ihr habt Schicht! An die Arbeit! Sofort! -

– Grell [11.11.15; 09:28] Ay, ay, Sir! -

– Ronald [11.11.15; 09:28] Ay, ay, Sir! -

»Grell ist beschäftigt«

»Ronald ist beschäftigt«

»William ist beschäftigt«

– Fred [11.11.15; 09:29] Ich könnte mich irren, aber... hat Will nicht auch Schicht? -

– Lee [11.11.15; 09:29] Mysteriös :D -

– Amy [11.11.15; 09:29] Grell und Ronald sind halt teilweise nicht die hellsten Kerzen im Leuchter xD -

– Lee [11.11.15; 09:29] Stimmt wohl ;) Naja, ich hab‘ auch noch zu tun! BBL! -

»Lee ist abwesend«

– Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? -

– Amy [11.11.15; 09:29] Be back later -

– Fred [11.11.15; 09:29] Muss auch los. Bin jetzt in der Uni. CUL8R -

»Fred ist abwesend«

– Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? -

– Amy [11.11.15; 09:29] See you later -

– Undertaker [11.11.15; 09:30] Könntet ihr anständig schreiben? Ist ja fürchterlich! -

– Amy [11.11.15; 09:30] Wir könnten, ja. Aber das hier ist unsere Welt. Komme besser früher, als später damit zurecht -

– Undertaker [11.11.15; 09:30] Ich merke, ich muss noch eine Menge lernen, hehe -

– Amy [11.11.15; 09:30] ;D -

– Undertaker [11.11.15; 09:30] Wie bitte? -

– Amy [11.11.15; 09:30] Ein zwinkernder Smiley. Wir müssen zu Ende frühstücken. Bis dann! -

– Undertaker [11.11.15; 09:31] Na dann, guten Appetit -

– Undertaker [11.11.15; 09:31] Was ist ein Smiley? ­-

»Amy ist abwesend«

Ich stellte mich ebenfalls auf Abwesend. Dabei fiel mir etwas auf: „Amy?“

„Ja?“

„Warum habe ich ein Foto drin?“

„Das ist süß, nicht?“

Es war furchtbar. Ein Bild von der letzten Sommerkirmes und ich stand seitlich vor einer leuchtenden Reklame, einen Stiel voll rosa Zuckerwatte essend, nur notdürftig die Haare von der ein oder anderen Karussellfahrt gerichtet: „Nein, es ist ganz schrecklich...“

„Ach Quatsch!“

„Wie nehme ich es raus?“

„Gar nicht.“

„Wie gar nicht!?“

„Ronald macht das. Ich hab‘s ihn für dich geschickt.“

„Ich hasse dich“, ich schaute sie vernichtend an: „Über alle Maßen!“
 

Nach dem Frühstück ging Amy in den Gazebo und ich bezog die Betten neu, saugte die Teppiche ab und wechselte alle Gardinen.

Anschließen hatten wir eine Doppelstunde Musik und eine Doppelstunde Kunst. Musik war furchtbar. Wir spielten unsere selbstgewählten Instrumente, aber meine Geige quietschte eher, als dass sie spielte, was meinen Kopfschmerzen nicht zuträglich war. Doch ich konnte mich auf die Noten einfach nicht recht konzentrieren. Ich war immer noch zu geflasht davon, dass Undertaker nun ein Handy haben sollte. Außerdem setzte es mir immer noch zu wie er mir mehr als nur allzu deutlich eine kalte Schulter zeigte. Laut Amy war mein Plan ihm seine Kette wiederzugeben wohl recht hart. Ich haderte zwar immer wieder, doch ich fühlte, dass ich es tun musste.

Ich benutzte es nicht als Symbol. Diese Kette war schon eins.

Und ein Symbol trägt man nur, wenn man dafür die vorausgesetzten Konditionen erfüllte. Was ich im Moment einfach nicht tat.

Nicht so.

Ich begrüßte die Ruhe in Kunst. Doch mit meinem Bild kam ich auch heute nicht weiter.

Nach dem Mittagessen - welches ich dann doch zum Großteil wieder verschmäht hatte - wollte ich nur noch in mein Zimmer. Mir war heiß, mein Kopf tat weh und ich hatte auf die Welt keine Lust mehr. Doch ich zwang mich mich zusammen zu reißen. Zu ignorieren, wie ich mich fühlte: ‚Stark sein, Skyler!‘

Ich hatte keine Zeit.

Ich konnte es nicht aufschieben mich mit Undertaker zu versöhnen. Jeder Tag könnte der Tag zu viel sein und davor hatte ich rasende Angst. Ich wollte es auch nicht aufschieben. Es sollte endlich aufhören. Denn sein Verhalten…

… es tat mir so weh…

Doch bevor ich in mein Zimmer kam, kam Lin Wang, der Fag des blue Prefect, in unseren Speisesaal und hielt mich auf. Die Wimpel mit den Wappen der Häuser waren wohl mittlerweile arg in Mitleidenschaft gezogen und mussten erneuert werden. Da ich die beste Note in Kunst hatte sollte ich es übernehmen. Fast eine ¾ Stunde redete Wang auf mich ein und wir beratschlagten uns über Gleichbleibendes und Änderungen. Ich sagte zu, mich ab nächster Woche im Atelier darum zu kümmern.

Seufzend machte ich mich auf den Weg in unser Apartment, als ich die Eule endlich losgeworden war.

In einem Gang entdeckte ich Lola und lief zu ihr. Doch laut ihren Erzählungen war wohl in der Küche immer noch viel zu viel zu tun.

Ich verschwand die Treppen hoch, während das sauer bittere Gefühl der vergehenden Zeit sich erst so richtig entfaltete.

Als ich durch die Eingangstüre unserer kleinen Wohnung ging, war es ein kleines Gefühl der Panik geworden.

„Ehehehe!“

‚Undertaker!‘, ich erkannte dieses Lachen sofort! Es kam aus dem Wohnzimmer: „Interessant. Wirklich. Ich glaube ich muss mich mit Grell beratschlagen.“

Ich lief im Laufschritt durch den Flur. Als ich im Türrahmen stehen blieb, sah ich einen Undertaker in seinem so ungewohnt normalen Aufzug in unserem Fensterrahmen hocken.

Als ich ihm Türrahmen ankam, verstummte die Konversation zwischen Amy und dem Bestatter.

Ich schaute Undertaker in sein verhangenes Gesicht und ging ein paar Schritte in den Raum: „Hey.“

Undertaker kicherte kurz, doch ich hatte das Gefühl die Atmosphäre war erstarrt, als ich ins Zimmer gekommen war: „Nihihi! Guten Tag, Skyler.“

‚Skyler?‘, ich strauchelte in mir drin. Er hatte meinen vollen Namen sonst immer nur sehr selten benutzt.

Dann schaute er zu Amy: „Nun denn. Ich schaue, dass ich Grell zu fassen bekomme.“

„Schreib ihm doch ‘ne Sms“, konnte man das Grinsen in der Stimme der Phantomhive deutlich hören.

Undertaker grinste zurück: „Vielleicht tue ich dies. Ehehehehe! Bis morgen, meine Damen!“

Dann fiel er rücklings aus dem Fenster.

„Warte!“, doch als ich am Fenster ankam, war der Totengräber schon verschwunden.

Ich fühlte mich vollkommen verloren, als ich aus dem Fenster schaute: „Er ist weg… Einfach weg...“

Ich war so vor den Kopf gestoßen.
 

10 Minuten später war ich in Alltagsmontur unterwegs in die verwinkelten Gassen der City of London. In meinen Poncho gewickelt, offenen Haaren und einen großen 500g Becher Erdbeerjoghurt in der Hand lief ich durch die kalten Herbststraßen der Großstadt und schob mir immer mal wieder einen Löffel in den Mund. Wenn ich sonst nichts herunter bekam, aß ich immer Joghurt. Er gibt einem ein Sättigungsgefühl, ohne dass man wirklich das Gefühl hatte zu essen.

Ich ging und aß ohne Eile, kam irgendwann am Friedhof vorbei und bog eine weitere knappe halbe Stunde später in das Gassenwirrwar ein.

Ich hatte keine Musik in den Ohren. Ich hatte keinen Nerv dazu. Auch waren mir die Gestalten, die hier herum lungerten immer noch nicht ganz geheuer.

Ich hatte noch nicht einmal ¼ meines Joghurts aufgegessen und musterte 2 Gassen vor Undertakers Laden den Joghurtbecher: ‚Behalten oder wegtun…?‘

„Miiiaaaaau!“

Ich schaute auf. Irritiert sah ich mich um: ‚Eine Katze?‘

Wahrscheinlich ein Streuner. Doch das Maunzen war sehr hell gewesen.

Meine Augen suchten weiter die Gasse ab.

„Miiiaaaaau!“

Mein Blick fiel auf eine Gruppe von Mülltonnen. Ich ging darauf zu und schaute nach unten. Zwischen den Mülltonnen lugte eine kleine schwarze Knopfnase heraus.

Ich ging in die Knie und schaute einer kleinen Kitty ins Gesicht. Vielleicht 1 Hand voll Katze.

„Noaaaah“, entfloh es mir: „Wie plüschig!“

Diese kleine Katze bestand aus Fell! Am Köpfchen, den Beinen und Schwanz pechschwarz, ansonsten grau-braun. Es bestand aus Fell, Knopfnase und großen bernsteinfarbenen Augen.

„...Oh…“, einem bernsteinfarbenen Auge.

Das zweite fehlte und es war nicht operativ entfernt worden.

„Miiiaaaaau!“

Ich streckte meine Hand aus: „Du bist aber ein armer kleiner, süßer Streuner.“

Langsam reckte es ihr Köpfchen hervor und stupste mit der Nase gegen meinen Finger.

Mein Herz schlug höher.

Dann leckte es mit seiner rauen, kleinen Zunge den Löffel in meiner ausgestreckten Hand ab.

„Natürlich“, ich verstand und legte den Kopf schief: „Du hast Hunger, nicht?“

„Miiiaaaaau!“

Ich kicherte: „Du armes kleines Ding. Plüschiges, armes kleines Ding.“

Ich seufzte und schaute auf den Plastikbecher in meiner Hand: ‚Fressen Katzen Joghurt?‘

Dann schaute ich wieder auf das Kätzchen, welches mittlerweile unter meiner Hand auf dem Rücken lag und im liegen meinen Löffel ab schleckte.

„Naja“, ich stellte ihr den Becher hin. Sofort rollte das Kätzchen auf die Füße: „Ob, oder ob nicht. Verhungern ist auch nicht besser.“

Die kleine Knopfnase verschwand sofort im Becher.

Ich kraulte kurz das schmutzige, knotige Fell: „Du bist so ein Schönes. Wer setzt nur so eine aus?“

Auch, wenn es nur ein Auge hatte und dreckig war: Es war ein schönes Tier.

Mit rosa Joghurt verschmierter Schnauze, tauchte der Kopf der Katze auf und sie schloss ihre in Mitleidenschaft gezogenen Augen, während ich ihr Köpfchen kraulte. Dann stand ich auf, steckte den mittlerweile ‚sauberen‘ Löffel in die Tasche meiner Hose, in der die Kette nicht steckte und wandte mich zum Gehen: „Lass es dir schmecken. Ich habe noch zu tun.“

Das Kätzchen maunzte noch einmal. Dann ging ich weiter die Gasse entlang.
 

Vor Undertakers Ladentüre blieb ich einige Momente stehen.

Ich schaute auf die Klinke, als wollte ich sie beschwören sich selbst zu öffnen und mir so die Frage abzunehmen, ob ich sollte oder nicht.

Die letzten Male hatte es nichts Leichteres gegeben, als diese Klinke hinunter zu drücken.

Hinein in mein Lieblingsgruselkabinett.

Doch nun?

Ich griff in die Tasche meiner Hose und zog die Kette heraus: ‚Ich.. Ich muss.‘

Ich wollte es tun.

Ich wollte Undertaker diese Kette geben und ihm sagen warum.

Vielleicht löste es ja wirklich irgendetwas aus… oder die Sache war wenigstens klar.

Ich drückte die Klinke hinunter und spähte in den dunklen Laden: „Undertaker?“

Nichts.

Bedächtig öffnete ich die immer quietschende alte Türe ganz, betrat den schummrigen Laden und schloss sie wieder.

Ich schaute mich um und ging ein paar Schritte in den Laden: „Undertaker? Bist du da?“

Als ich mich umschaute und in den Laden ging fielen mir ein paar Dinge auf:

1) Es roch furchtbar nach Formaldehyd.

2) Neben der Eingangstür fehlte ein Regal. Ich war mir sicher, dass eins fehlte, da ich mir sicher war es gewischt zu haben.

3) Die Eingangstür war an der Seite des fehlenden Regals eingedrückt und teilweise sogar gerissen. Die Wand daneben war es auch.

4) Neben der Tür hinterm Tresen lagen - zwar fein säuberlich zusammengelegt, aber vollkommen zerstört - die Überreste eines weiteren Regals.

‚Was ist denn hier passiert?‘

Nach 3 Schritten erschien eine Gestalt im Türbogen, der in den Sezierraum führte und brachten mich von diesen Überlegungen ab: „Du hier?“

‚Was eine Begrüßung...‘, ich schaute den silberhaarigen Mann in diesem verstörend normalen Hemd und dieser verstörend normalen Hose in das verhangene Gesicht: „Du warst eben sehr schnell weg...“

„Nun“, sein Kopf fiel zur Seite: „Ich habe zu arbeiten.“

„Ich“, ich atmete einmal tief durch: „Brauche nur 5 Minuten deiner Zeit. Höchstens.“

„Skyler.“

„Ja?“

„Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist.“

Mir wurde schlagartig eiskalt: „Wa-was?“

„Dass du hier bist. Warum auch immer du es bist.“

„Aber“, meine Lider flackerten. Undertaker lachte nicht. Auch sein Mund grinste nicht. Er stand am anderen Ende des Raumes und machte keine Anstalten auf mich zuzukommen. Er stand dort und sah mich an, die Augen verhangen. Die Atmosphäre fühlte sich zum Zerreißen gespannt an: „Wieso?“

Er neigte den Kopf noch ein Stück: „Ich sagte es schon. An der Themse.“

„Aber...“, ich strauchelte. Verzweifelt hielt ich die Kette fester. Als ich den Anhänger in meiner Hand spürte, flackerte ein recht kleines Flämmchen in mir auf, doch es gab mir genug Kraft auf den Bestatter zuzugehen: „Nein. Nein, es ist gar keine schlechte Idee.“

Undertaker seufzte: „Skyler...“

„Nein. Hör mir zu“, ich blieb vor ihm stehen: „5 Minuten.“

„Hätte es nicht bis morgen Zeit?“

„Nein.“

„Ich kümmere mich um dieses komische Wesen. Ich habe schon mit Grell telefoniert.“

„Darum geht es nicht.“

„Dann hast du keinen Grund hier zu sein.“

Ich unterdrückte ein weiteres inneres Straucheln: „Doch. Einen guten sogar“, streckte ich ihm meine geballte Faust entgegen.

Undertaker schien kurz meine Hand durch seinen Pony zu mustern: „Was hast du da?“

Ich wedelte mit meiner Faust: „Nimm.“

Doch Undertaker schüttelte den Kopf: „Nein.“

In mir brach irgendwas zusammen.

Sein Benehmen war brutal.

Brutal schmerzhaft.

War der Tag zu viel schon lange gekommen?

Meine Unterlippe begann zu zittern, doch ich hielt meine Tränen zurück. Ich würde jetzt nicht weinen! Ich musste stark sein. Stark genug, um es mit ihm aufzunehmen. Entschlossen griff ich mit der freien Hand nach seiner, zog sie nach oben und legte die Kette hinein. Dann nahm ich meine Hände zurück. In meiner Handfläche kribbelte noch die Kälte seiner Haut und schickte mir einen schmerzhaften Schwall vieler feiner Nadeln durch mein Herz.

Einige Augenblicke beschaute der Bestatter stumm die Kette in seiner Hand.

Sein Mund war ein Strich, doch war sein Ausdruck durch den Pony vor seinen Augen nur schwer zu deuten.

Während der Totengräber die Kette musterte schlug mein Herz so laut, dass es die Stille im Raum für mich vertrieb. Meine Hände schwitzten. Mir war vor Aufregung so schlecht, dass es meinen Schwindel ein Stück aus dem Hintergrund holte. Doch ich unterdrückte all das. Wenn ich nun nicht stark blieb, konnte ich alles vergessen.

„Warum gibst du mir das?“, fragte der Bestatter nach einer gefühlten Ewigkeit und nahm sein verhangenes Gesicht ein Stück hoch.

Ich drehte mich halb ab: „Weil ich sie nicht tragen kann.“

„Wie meinst du das?“

Ich schaute zur anderen Seite. Sein Anblick war trotz aller Bemühungen zu viel für mich: „Du sagtest du gabst diese Ketten den Wesen, die dir wichtig sind.“

„Ja, das sagte ich.“

„Deswegen kann ich sie nicht tragen.“

„Ich weiß ich wiederhole mich, doch: Wie meinst du das?“

„Diese Kette“, ich musste schlucken und durchatmen, als mein Magen schmerzhaft gluckste. Ich legte eine Hand darauf: „Ist ein Zeichen dafür, dass dir Jemand wichtig ist. Sie beschützt einen nicht nur vor den Trancys und Co., sie steht für deine Zugewandtheit Jemandem gegenüber.“

Ich blinzelte die immer wieder aufkommenden Tränen weg und wandte mich ab zum Gehen: „Ich wollte sie dir nur wiedergeben. Denn ich möchte kein Symbol für etwas tragen, das nicht existiert...“

Ohne eine Antwort seitens des Bestatters machte ich mich auf meinem Weg aus dem kleinen Laden und hatte das Gefühl mein Herz war zu verkrampft um noch schlagen zu können. Was ich fühlte war schrecklich und meine Seele schmerzte so sehr, dass es auch körperlich weh zu tun begann.

Doch ich war nicht ansatzweise in der Lage ihm zu sagen wie grausam es in mir aussah. Ich konnte ihm nicht sagen, wie viele seelischen Schmerzen sein Verhalten immer und immer wieder auslösten.

Ich würde mir so Schwächen zugestehen, die ich nicht haben darf. Denn Undertaker konnte mit schwachen Persönlichkeiten nichts anfangen.

Mit dem Gefühl tiefsten Bedauerns und eiskalter Traurigkeit legte ich meine Hand an die alte Klinke.

In diesem Moment stieß ein kleiner Luftstoß ein paar meiner Haare nach vorne und wehte den Geruch von Zucker, gemähtem Gras und Zeder zu mir. Ich spürte einen Körper hinter mir, der so nah bei mir stand, dass er meinen Rücken berührte. Zwei bleiche, lange Hände erschienen kurz vor meinen Augen. Nachdem sie hinter mir verschwunden waren fiel Gewicht um meinen Hals. Gewicht von etwas Kaltem.

„Natürlich kannst du sie tragen“, flüsterte eine Stimme hinter mir.

Noch nie habe ich die Stimme des Bestatters so leise erlebt.

Meine Augen weiteten sich, wegen dem was er gerade gesagt hatte.

Ich fror ein.

Dieser Satz hallte in meinem Kopf immer wieder.

Solange bis der Körper in meinem Rücken verschwand.

Ich wirbelte herum: „W-was?“

Undertaker war ein Stück zurück in den Laden gegangen, stoppte allerdings mir den Rücken zugewandt als ich die Stimme erhob: „Ich sagte, dass du sie natürlich tragen kannst.“

Es folgte eine kleine Pause, in der ich nichts anderes tun konnte, als den Rücken des Bestatters anzustarren. „Und das sollst du auch“, setzte er nach einige Wimpernschlägen hinzu.

„Wie, ich soll?“

„Ich bitte dich darum.“

In meinem Kopf herrschte das totale Chaos. Denn was Undertaker tat und sagte war das totale Chaos: „Was?“

„Ich bitte dich sie zu tragen.“

Ich bekam was er tat und mir sagte einfach nicht überein: „Was?“

„Trage sie“, er drehte seinen Kopf halb zu mir: „Bitte.“

Dieses ‚Bitte‘ versetzte mir einen Tritt. Ich konnte nicht definieren was für einen, doch er war schmerzhaft.

Kann… Soll ich sie tragen, da ich ihm doch wichtig war?

Hoffnung keimte in mir auf und ich lief die paar Schritte auf Undertaker zu: „Undertaker, ich...“

Doch eine ausgestreckte Hand vor meiner Nase stoppte mich, bevor ich bei ihm war.

Ich blieb stehen und starrte auf die lange Hand mit den langen, schwarzen Nägeln. Mein Herz rieselte zu Boden und hinterließ nichts als schreiende Verwirrung.

„Ich muss dich bitten nun zu gehen“, er ließ die Hand sinken, wandte sich wieder ab und ging auf den Türbogen zu: „Meine Gäste verlangen nach mir.“

Ich konnte mich nicht verabschieden. Ein Kloß in meinem Hals würgte mich. Ich hatte sogar das Gefühl er erwürgte mich, wodurch ich anfing furchtbar laut und schwer zu atmen. Wo mein Herz war, war nur noch ein großes Loch, welches sich nicht ganz leer und doch klaffend anfühlte. Ich wusste nichts mehr. Ich konnte auch nichts mehr recht denken.

Und bevor der Totengräber im Hinterzimmer verschwunden war, hatte ich seinen Laden auch schon wieder verlassen.
 

Nein!!

Als ich aus den Federn fuhr rasselte ich über den Rand meines Bettes. Hart stieß mein Kopf gegen den Nachtisch und mein Wecker knallte auf meinen Hinterkopf.

Ich blieb reglos liegen.

Bunte Farben flimmerten vor meinen Augen und mein Kopf drehte sich. Er drehte sich vor Schwindel, meinem Absturz und dem immer gleichen und immer gleich furchtbaren Traum.

Ich hörte wie sich meine Türe öffnete und Schritte zu mir kamen. Eine Hand erschien auf meiner Schulter: „Sky?“

Mein Kopf zuckte hoch. So schnell, dass ich kurz noch mehr bunte Farben sah, bevor mein Blick sich scharf stellte und ich in die Augen der Phantomhive schaute: „Amy?“

Es wunderte mich, dass sie in mein Zimmer kam. Ich hatte sie, nachdem ich von meinem Besuch bei Undertaker nach Hause gekommen war, so harsch abgewürgt wie wahrscheinlich noch nie. Doch nach reden war mir gestern wirklich nicht mehr gewesen.

Nicht, dass sich irgendwas geändert hätte.

Weder kam ich auf mich selbst wirklich klar, noch auf die Situation und auf Undertaker schon mal gar nicht.

Ich rieb meine puckernde Nase und setzte mich auf: „Du schläfst nicht?“

Amy schüttelte den Kopf. Sie sah endlos müde aus. Ihr Gesicht war recht fahl und sie hatte Schatten unter ihren Augen: „Wie denn? Das Vieh lässt mich genauso wenig schlafen wie dich.“

Ich rieb mir durch die Augen: „Ich weiß nicht wie lang ich das alles noch durchhalte...“

Ich war so müde.

Ich war so frustriert.

Ich war so verwirrt und verletzt: „Ich werde noch total verrückt...“

„Wegen dem Vieh oder Undertaker?“

Ich seufzte: „Sagen wir einfach, dass das Vieh das kleinere Problem ist...“

„Das glaube ich“, die Phantomhive rieb sich die Augen: „Gestern warst du zumindest ziemlich barsch.“

Ich ließ den Kopf hängen: „Es tut mir leid… Ich hatte einfach keinen Bock mehr...“

„Worauf?“

„Alles“, ich seufzte: „Ich habe keinen Bock mehr auf alles, was gerade läuft.“

„Gibst du auf?“

Ich schaute die Phantomhive eine Weile an. Undertakers Verhalten hatte mich gestern fast zu dem Entschluss gebracht die Brocken einfach hin zu werfen. Doch als ich daran dachte war mir dieses ‚Bitte‘ in den Kopf gestiegen. Dieses ‚Bitte‘ mit diesem endlos undefinierbaren Tonfall. Irgendwie hielt mich dieses ‚Bitte‘ davon ab alles hin zu werfen: „Ich… bin mir nicht sicher...“

Amy streckte ihren Zeigefinger aus. Dann stupste sie damit vor die Kette: „Du trägst sie wieder.“

Ich seufzte: „Verrückte Geschichte...“

„Es ist Undertaker.“

„Selbst für ihn verrückt.“

Amys Kopf fiel zur Seite: „Mit dieser Aussage ist die Sache gerade richtig interessant geworden. Erzähl.“

„Er“, ich rieb mir durchs Gesicht: „Wollte mich ganz klar nicht da haben. Meinte mein Auftauchen sei eine schlechte Idee. Doch als ich ihm die Kette gab meinte er A) ich könnte sie tragen und B) soll ich es auch und...“, ich brach ab.

Amys Kopf fiel zur Seite: „Den interessanten Teil verschweigst du mir?“

Ich schüttelte den Kopf: „Es ist auch der Teil von dem ich nicht weiß, was er mir sagen will.“

„Vielleicht kann ich helfen.“

„Er… hat mich sogar gebeten, sie weiter zu tragen...“

„Ay ja“, machte die Phantomhive: „Macht Sinn… nicht. Was ist bei dem Kerl eigentlich gerade kaputt?“

Ich schüttelte den Kopf: „Frag mich was leichteres… Aber schön, dass wir zusammen total ratlos sind.“

„Lass mich mit ihm reden.“

Ich schüttelte wieder den Kopf: „Nein. Das muss ich irgendwie selber schaffen.“

„Schaffst du das auch?“

„Ich weiß nicht, ob ich ihn noch überzeugen kann...“

„Das meine ich nicht“, Amy sah mich eindringlich an: „Undertaker ist verdammt stur und es kann verdammt lange brauchen ihn von einer Idee abzubringen. Wenn es denn überhaupt funktioniert. Ich will wissen, ob du das aushältst. Sky, wie lange hältst du die Situation noch durch? Nachdem du Grell gesehen hast oder gestern am Fenster, du warst weiß wie ein Gespenst. Ich mache mir Sorgen um dich.“

Ich atmete tief durch. Dann schaute ich der Phantomhive wieder entgegen. Tränen knisterten in meinen Augen und meiner Nase: „Ich weiß es nicht, Amy. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch versuchen kann. Ich weiß nicht, was ich noch versuchen soll oder was er eigentlich wirklich denkt. Ich weiß nur“, meine Stimme begann so sehr zu zittern, dass sie abbrach. Nachdem ein paar Tränen auf den Boden getropft waren kam wieder eine dünne Stimme aus meinem verspannten Mund: „Dass ich will, dass es wieder wie vorher wird...“

Amy nahm mich in die Arme. Die junge Phantomhive drückte mich fest an sich: „Lass dich nicht unterkriegen, Süße. Ich kann mir vorstellen wie schrecklich das alles ist. Ich hoffe Grell hat ihm mächtig eine reingehauen.“

„Was soll das denn bringen?“, sprach ich in Amys Schulter.

„Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen doch bekanntlich das Denkvermögen. Außerdem gehört er für das was er veranstaltet einfach geschlagen. Vielleicht hat Grell ja so seine grauen Zellen wieder an den rechten Platz gebracht. Unterschätze Grell nicht. Er ist einer der Stärksten. Selbst stärker als Seb.“

„Seb?“

„Wir nennen Sebastian so, wenn er nicht in der Nähe ist. Er hasst Spitznamen.“

„Freak...“

„Dämon.“

„Ist das nicht irgendwie dasselbe?“, erschöpft ließ ich mich gegen Amy sinken: „Es wirkt allerdings nicht so, als hätte Grell irgendwas umsortiert. Ich kann Grell verstehen. Ich würde Undertaker auch nicht schlagen.“

„Damit hat Grell wirklich kein Problem.“

„Ja, bis man ihn von der Wand kratzten darf...“

„Grell und Undertaker sind Freunde. Da bolzt Undertaker nicht ohne Rücksicht auf Verluste zurück. Wenn es gute Gründe gab ihn zu schlagen gar nicht. Er schlägt also eigentlich nie zurück.“

„Es ist trotzdem alles wie es schon die ganze Woche ist. Abgebunden, verwirrend und total zum kotzen“, ich richtete mich wieder auf und wischte mein Gesicht trocken: „Alles was er sagt ist knapp und distanziert, doch er… was er tut nicht immer.“

„Inwiefern?“

Ich schaute auf den Verband um die Brandwunde, die ich täglich morgens neu versorgte und verbannt. Sie schmerzte immer noch und fing mit dem Heilen gerade erst an: „Das zum Beispiel. Oder, dass er mir die Kette nicht einfach wieder gab sondern umhing, als ich aus dem Laden gehen wollte.“

Amy zog eine Braue hoch: „Der Mann war echt noch nie ein Interaktions-Genie, doch was er gerade veranstaltet ist die totale Mopelkotze.“

„Zu wissen, dass er sich komischer als üblich benimmt bringt mich aber nicht weiter. Soweit bin ich selbst auch schon gekommen, stell dir vor. Ich... weiß einfach nicht wie viel Sinn, dass alles noch hat.“

„Ich glaube du solltest es weiter probieren“, die Phantomhive stand auf und streckte sich: „Sei mir nicht böse, aber ich bin total kaputt und so auch echt keine Hilfe. Ich will einfach nur schlafen.“

Ich nickte matt und stand auch auf: „Wäre ‘ne echt coole Abwechslung.“

„Also dann“, gähnend wandte sich Amy zum Gehen. In dem Moment fegte eine steife Böe durch mein Zimmer. Amys und mein Kopf fuhren herum.

„Warum steht dein Fenster offen?“, fragt die Phantomhive verwirrt.

„Ich“, blinzelte ich ebenso verwirrt mein Fenster an: „Habe keine Ahnung...“

Ich hatte es wirklich nicht.

Schon wieder stand mein Fenster weit offen.

Schon wieder stand der Hebel auf Verriegelt.

Und schon wieder kann ich mich nicht dran erinnern es geöffnet zu haben.

Wie auch, wenn der Riegel gesperrt ist?

Amy schaute mich an: „Du hast es nicht aufgemacht?“

Ich schüttelte den Kopf: „Nicht das ich wüsste.“

Amy ging auf das Fenster zu: „Nicht, dass das das Vieh war.“

„Bitte?!“, ich konnte den Ausruf nicht so leise halten, wie ich gewollt hätte. Amys Einwand traf mich wie ein Hammer.

Weil er gut war.

Und weil ich selbst nicht drauf gekommen war.

Da er so gut und mir bis eben so fern gewesen war, traute ich mich nicht Amy zu sagen, dass mein Fenster schon die ganze Woche offen stand. Vielleicht war ich der Grund, warum keiner von uns mehr richtig schlafen konnte. Vielleicht war ich Schuld an allem!

„Wollte es dich nicht anfassen?“, beschaute Amy das Fenster und bekam meine schreckliche Ahnung nicht mit.

„Schon, aber...“, ich brach ab.

Die Phantomhive drehte sich um und musterte mich: „Aber?“

„Ich… Ich glaube, dass hat es nicht“, haspelte ich. Ich wusste nicht woher dieses Gefühl kam, doch irgendwie wusste ich eine Berührung von dem Ding hätte ernste Folgen. Ich wusste nicht welche und nicht woher dieses Gefühl kam, doch ich wusste irgendwie, dass das Wesen mich auf keinen Fall berühren durfte: „Ich weiß nicht woher, aber ich bin mir fast sicher eine Berührung hätte sehr schwer wiegende Folgen.“

„Spidersense?“

„Ich spüre das Vieh ja nicht. Ich habe nur… dieses Gefühl.“

„Das Schloss ist auf jeden Fall in Ordnung. Alles sehr mysteriös. Wir reden morgen mit Undertaker darüber, ja? Schaffst du das?“

Ich seufzte schwer. Dann nickte ich.

„Machst du weiter?“, fragte Amy. Sie wirkte auf viele Arten besorgt.

Ich schaute kurz überlegend zur Seite.

Vieles in mir wollte aufhören. Fand nicht mehr die Kraft Undertakers Verhalten zu ertragen und weiter nach Wegen zu suchen, alles wieder zu ändern. Doch Etwas in mir wollte so sehr, dass alles wieder in Ordnung kam und war so präsent, dass alles andere einpacken musste.

Ich sehnte mich nach Undertaker.

Nach all den vielen guten Seiten, die er hatte.

Nach all den vielen guten Seiten, die auch die ganzen Wahrheiten über Zombies und Kreuzfahrtschiffe und vielleicht ganz andere für noch mich noch neue Wahrheiten nicht annihilieren konnten.

Was er auf dem Balkon sagte und ich so großkotzig verneint hatte, war zum Teil doch wahr: Was er vor hunderten von Jahren gemacht hatte, da schrie kein Hahn mehr nach. Zumindest meiner nicht.

Es war mir egal.

Ich liebte diesen Mann.

Und etwas Präsentes in mir wünschte sich es nicht in den Sand zu setzen.

Nur einmal.

Nur ein verdammtes Mal nicht.

Mein Blick wanderte wieder zu Amy und ich nickte stumm.

Die Phantomhive lächelte: „Stark“, dann ging sie aus meinem Zimmer: „Versuch‘ zu schlafen. Gute Nacht.“

„Nacht“, schaute ich der Adelstochter nach, bis meine Türe ins Schloss fiel.

Dann stellte ich meinen Wecker wieder auf den Nachttisch, beugte ich mich seufzend über meinen Schreibstich und schloss mein Fenster. Dabei stützte ich mich auf die Tischplatte und merkte wie Etwas an meiner Hand festklebte.

Als ich nach unten schaute sah ich, dass ich mich auf ein Blatt meines Schulblocks gelehnt hatte und dieses nun an dem Handballen hing. Ich zupfte es ab und schaute ihm dann irritiert entgegen. Auf dem linierten Papier prangte ein großer Schuhabdruck. Dem Rillenprofil nach eher von einem eleganten, doch recht großem Schuh. Ein weiteres Detail was ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte. Auch zeigte die Schuhspitze, so wie der Block auf meinem Schreibtisch gelegen hatte, Richtung Fenster.

Doch was machte ein Schuhabdruck auf meinem Schreibtisch?

Das Vieh trug keine Schuhe.

Vielleicht war er mir mal irgendwo runter gefallen und eine Schülerin hatte darauf getreten. Vielleicht hing, dass alles gar nicht zusammen. Doch der Schuhabdruck sah eher nach einem Mann aus so groß wie er war: „Das ist kein Schuh. Das ist ein Kindersarg...“

Ich stockte.

‚...Sarg?‘, Undertaker war sehr groß. Er kratze sicher an der 2 Meter Marke. Ein so großer Mann… Ich schüttelte den Kopf: „Ach quatsch.“

Das war nun wirklich so abstrus, dass der Gedanke noch nicht einmal das zu Ende denken Wert wäre. Wie sollte auch Undertakers Schuhabdruck auf einen Schulblock auf meinen Schreibtisch kommen? Ich war mir sicher ihn nie mit in seinen Laden oder auf den Friedhof genommen zu haben.

Meinen Zeichenblock, ja.

Aber nie einen Schulblock.

Sicherlich war mein Streit – oder wie man das, was zwischen dem Totengräber und mir los war, auch immer nennen wollte – mit Undertaker in meinem Kopf nur viel zu präsent und kam mir deswegen als erstes in den Sinn.

Immer noch recht verwirrt und vollkommen von allem überfordert krabbelte ich zurück zu meinen schlechten Träumen ins Bett.
 

Irgendwann saß ich mit Amy beim Morgentee/Kaffee. Gesprächig war keine von uns Beiden.

Wir waren müde.

Der fehlende Schlaf ging langsam selbst der sonst so aktiven und unerschütterlichen Phantomhive an die Konstitution.

„Heute ist Mathe und Physik...“, nuschelte Amy irgendwann in ihre Tasse.

„Ich weiß...“, nuschelte ich zurück und das mit der Konversation hatte sich auch schon wieder erledigt.

Ich fühlte mich komisch.

Das unangenehm warme Gefühl ließ sich nicht recht aus meinem Kopf vertreiben und wollte mir ständig in die Glieder steigen. Es war extrem anstrengend dies zu verhindern. Außerdem hatte ich sengende Kopfschmerzen.

Doch so schlimm war das alles gar nicht. Etwas, was ich mir immer wieder sagte. Es war nur eine kleine Erkältung mit ein bisschen Fieber. Alles kein Grund umzufallen.

Doch was sich wirklich komisch angefühlt hatte war der morgendliche Blick in den Spiegel gewesen.

Ich hatte mich gestern Morgen entschieden den Zopf, den mir Undertaker geflochten hatte nach dem Duschen nicht neu zu binden. Da er ein Zeichen für etwas war, was dank mir nicht mehr zu existieren scheint. Aber es fühlt sich so falsch an. Meine Haare sahen auch einfach falsch aus. Es erinnerte mich daran was ich dabei war zu verlieren.

Oder vielleicht schon verloren hatte.

Denn wenn ich etwas nicht konnte, dann meine Chancen abwiegen.

Undertaker war momentan einfach vollkommen unberechenbar. Noch unberechenbarer als üblich.

Komischer als üblich, unberechenbarer als üblich und endlos paradox. Dazu kam, dass mir immer wieder durch den Kopf ging, dass er während meines kurzen Besuches nicht einmal gelacht hatte. Nicht mal gekichert oder gegrinst.

Er war so kurz angebunden und ernst gewesen.

Meine Sterne, ich erkannte wie schlecht sie standen.

Und während es mir auf viele Art und Weisen so schlecht ging, wie meine Sterne standen, quälte ich mich durch den Schulalltag.

Durch eine Stunde Mathe und eine Stunde Physik. Ebenfalls Fächer, in denen ich schon unter normalen Umständen keine Leuchte war. Ich dachte gar nicht erst darüber nach, wie heute meine Leistungen gewesen waren.

Frühstück aß ich nur mäßig.

Ich aß zwar, aber zu langsam um es in der Zeit zu schaffen.

Nach dem Frühstück putzte ich das Bad und wusch einen neuen Schwung Wäsche. Ich brauchte dafür gefühlte Jahre. Ich war einfach nicht in der Lage mich schnell und koordiniert genug zu bewegen um zügig zu sein. Doch ich schaffte es in der Zeit, auch wenn das Bad nicht so sauber war wie von mir gewohnt. Auch legte ich die Kleider mit in die Waschmaschine, die immer noch von Sonntag über unserer Heizung hingen. Außer Ronalds und Williams Hose, da sie total verbrannt waren. Als ich das große Brandloch in Ronalds Hosenboden sah, wusste ich auch sofort warum er sich sein Jackett umgebunden hatte.

Als ich allerdings die Schuhe in ein Fach unseres Schuhregals räumen wollte, bis sie wieder abgeholt wurden, hielt ich kurz inne.

Ich beschaute kurz die Schuharmada der Shinigamis und meine Gedanken fanden ihren Weg zurück zu meinem Schulblock. Ich wusste wie dösig diese Idee war, doch holte ich besagten Block ins Badezimmer und musterte den Schuhabdruck. Dann wieder die Schuhe unter der Heizung. 2 Paar Lackschuhe und 2 Paar Absatzschuhe.

Natürlich kam keiner dieser Schuhe in Frage. Sie standen hier seit Tagen und hatten augenscheinlich noch nicht von selbst laufen gelernt. Auch wenn mich dies nicht mehr wundern würde.

Trotzdem griff ich einen von Ronalds Schuhen und verglich die Sohle mit dem Abdruck. Der Schuh war zu klein, aber das Muster war dasselbe.

Dasselbe Spiel bei William. Sein Schuh war etwas größer, als Ronalds, doch zu klein für den Abdruck. Hatte allerdings auch das gleiche Muster.

Es war also definitiv ein Lackschuh und die Lackschuhe von Ronald und William waren dazu noch wirklich hochwertige Modele. Ich war kein Experte für Männerschuhe, doch ich war mir fast sicher, dass diese Schuhe nicht aus Menschenhand stammten. Ich spekulierte eher, dass sie von anderen Sensenmännern gefertigt wurden. Obwohl ihre Sohle schon recht abgewetzt war, waren sie super gepflegt und sicherlich noch lange zu gebrauchen. Das Profil des Abdrucks war allerdings noch abgenutzter, als das der beiden Reaper.

Dann griff ich Grells Schuh.

Es machte keinen Sinn, ich schindete nur Zeit, da ich aus irgendwelchen undefinierbaren Gründen Hemmungen hatte sofort nach Undertaker krassen Lackstiefeln zu greifen.

Ich griff also erst Grells Schuh und er war viel zu klein. Grell schien von allen die kleinsten Füße zu haben.

Ich stellte die rote Stiefelette ab und beschaute die Lackstiefel. Nach einem tiefen Einatmen nahm ich endlich einen in die Hand und hielt ihn neben dem Abdruck.

„Sie...“, ich starrte auf den Vergleich in meinen Händen. Lange konnte ich nichts sagen. Sicherlich 5 Minuten brauchte ich, bis ich meine Stimme wieder gefunden hatte: „Sie sind gleich groß...“

Ist das…?

War…?

„Ich versteh das nicht“, schüttelte ich den Kopf.

Vielleicht hatten der Totengräber und der mysteriöse Schuhabdruck-Verursacher nur zufällig dieselbe Schuhgröße. Obwohl ich das bei dieser Größe irgendwo bezweifelte. Undertaker trug mindestens eine 14, wenn nicht sogar eine 15!

Doch es musste ja so sein.

Undertaker hatte keinen Grund mehr in mein Zimmer zu kommen.

Ich entschloss mich, dass alles sein zulassen. Es war eh eine totale Schnappsidee, nur gut dafür mich noch mehr zu verwirren.

Ich verräumte die Schuhe im Schuhschrank und legte den Block wieder auf meinen Schreibtisch.

Anschließend ging ich zum Kunstunterricht, doch ich schaffte es nach 15 Minuten durch zwei recht zittrige Striche die Arbeit von 3 Wochen fast komplett zu Grunde zu richten. Nach einigem Verzweifeln, Fluchen und Haare raufen machte ich mich daran die Farbe mit einem Farbspachtel abzukratzen.

RATSCH!

„Nee~ein!“, meine Stirn kippte, Hände vor den Augen, gegen meine zerstörte Leinwand: „Das kann doch nicht wahr sein...“

Die Arbeit von 3 Wochen… Im Eimer! Total! Unrettbar! Denn einmal quer durch den ganzen Stoff zog sich ein riesiger Riss.

Meine Augen sprangen auf als ich merkte, dass die Farbe an meiner Stirn sogar noch feucht war. Ich seufzte geschlagen und ließ die Arme baumeln: „Das kann doch wirklich einfach nicht wahr sein...“

Ich richtete mich auf und machte mich daran mir mit einem Stofflappen das, was von meinem Bild übrig geblieben war, aus meinem Gesicht zu wischen.

Ich fing mehr als nur halbherzig einen neuen Versuch an.

Dann hatten wir wieder zwei Stunden Musik.

In meinem Kopf kriegen würde ich die Noten vor meiner Nase wahrscheinlich nie mehr und stellte meine Geige irgendwann sogar in die Ecke.

Um 14 Uhr war der verpflichtende Teil endlich geschafft.

Doch meine Gedanken drehten sich um einen Shinigami mit kalter Schulter, einer zerstörten Leinwand und viele Fragezeichen in Mathe und Physik: ‚So eine Scheiße...‘

So wie die ganze Woche...

Am Mittagstisch angekommen legte Amy ihren Kopf auf meine Schulter: „Ich mag nicht mehr...“

Ich legte meinen Kopf auf ihren Kopf: „Ich weiß was du meinst...“

So saßen wir an unserem Platz und aßen nichts.

Selbst Amy hatte wohl etwas endgültig den Appetit verhagelt.

„Ist was mit Lee?“, fragte ich 2 Minuten, nachdem die auf meiner Schulter hängende Phantomhive verkündete sie würde nichts essen.

„Jein...“

„Also ja.“

Amy nahm den Kopf hoch und sah mich an. Dann malte sie Gänsefüße in die Luft: „Er ‚geht heute aus‘.“

„Wie heißt sie?“

„Interessiert mich nicht. Ich habe nicht vor ihr Blumen ans Grab zu legen.“

„Beruhige dich mal...“

„Vielleicht sollte ich die Absätze ihrer Highheels ansägen.“

„Ich glaube du übertreibst.“

„Oder ihr Natriumhydroxid ins Schminkpuder kippen“, ein großes, fieses Grinsen erschien auf ihrem Gesicht: „Die würde sich beim Abschminken so richtig wundern.“

„Maßlos...“

„Ich helfe dir auch bei deinen Plänen“, Amy schaute mich mit aufgeplusterten Wangen an: „Warum hilfst du mir nicht mit meinen?“

„Ich will Teegebäck backen, du Leute assasinieren. Erkennst du den Unterschied?“

„Ja, ja ist ja gut“, dann schaute sie mich doch recht ehrlich gebeutelt an: „Doch was soll ich dann tun?“

„Sag ihm, dass du es nicht willst.“

„Was?“

„Dass er mit ihr ausgeht. Sag du hast auch Zeit. Der Unterricht ist vorbei, ein wenig Zeit hättest du.“

„Ich kann doch nicht bestimmen mit wem er ausgeht“, kippte Amys Kopf zur Seite.

Ich seufzte: „Amy, wir spielen hier gerade verkehrte Welt.“

„Wie?“

„Ich bin die, die zögert und du die mit den Kopf-durch-die-Wand-Ratschlägen, nicht anders herum. Also, ab mit dir. Mit dem Kopf durch die Wand.“

Amy schaute mich kurz an.

Ich wedelte mit einer Hand: „Na hopp! Wartest du auf besseres Wetter?“

Mit einem wieder Amber typischen Grinsen huschte sie ohne ein weiteres Wort aus dem Speisesaal und tippte dabei fleißig auf ihrem Handy herum.

Ich blieb noch eine Weile sitzen: „Mit dem Kopf durch die Wand, hm?“

Ich war mir sicher, auch ich stand vor einer Wand. Und die wollte ich einrennen. Doch wie oft ich davor rennen musste, bis sie umfiel, das war eine Frage auf die es keine wirkliche Antwort zu geben schien. Ich hatte das Gefühl dieser Ratschlag funktionierte nur mit gewaltigen Kopfschmerzen, oder einfach gar nicht, wenn auf der Wand ‚Undertaker‘ stand.

Was es bei mir tat.

Auf dem Gang sah ich ein blaues Kleid mit Schürze Richtung Küche huschen. Lola hatte wieder keine Zeit, versprach mir aber Morgen welche zu haben.

Ich ging die Treppen weiter hoch und öffnete hustend die Türe zu unserem Apartment.

„Und du denkst im Archiv könnte etwas sein, was dir weiter hilft?“

‚Amy ist noch da?‘, mit zu Schlitzen gezogenen Augen schloss ich die Wohnungstür. Es gab für mich nur einen logischen Grund warum sie noch nicht auf dem Weg ins East End war.

„Ehehe. Ich weiß nicht. Dort unten ist so einiges. Einen Blick wäre es wert.“

‚Undertaker! Ich wusste es!‘, was ich nicht wusste war, was passierte wenn er mich sah. Doch trotz dieser Ungewissheit erschien ich in der Wohnzimmertür. Wie erwartet saß Undertaker auf unserer Fensterbank und unterhielt sich mit der jungen Phantomhive, die allerdings schon recht aufgedonnert und bereit für ihr Treffen mit Lee zu sein schien. Was unerwartet war war, dass er sein Hemd gegen einen dünnen, schwarzen Pulli mit ¾ Ärmeln und V-Ausschnitt getauscht hatte, der ihm so perfekt passte, dass er eine sehr gute Idee von seiner Statur vermittelte. Die stattlich war… ziemlich gut trainiert… und unheimlich attraktiv...

Ich merkte meinen Kopf noch wärmer werden und atmete einmal tief durch: ‚Lass dich nicht immer so leicht aus der Fassung bringen, Rosewell...‘

„Hey Undertaker“, lächelte ich schließlich und ging in den Raum.

Undertaker schaute von der Phantomhive auf und musterte mich durch seinen Pony: „Guten Tag, Skyler.“

Dann schaute er wieder zu Amy: „Nihihihi, nun denn. Es wartet noch Arbeit auf mich“, er hüpfte auf seine Füße: „Danach gehe ich mit Grell ins Archiv und versuche mehr über euren rätselhaften Besucher herauszufinden. Ich wünsche einen angenehmem Abend, die Damen!“

Und schon war er wieder verschwunden.

Ich schaute Amy an. Sie hob ihre Faust: „Kneif dir morgen das Hallo und nimm direkt die.“

Ich schüttelte den Kopf und rollte die Augen an die Decke: „Amy, was machst du noch hier? Du hast eine Mission, vergessen?“

„Du auch.“

Ich seufzte: „Geh schon los.“

Amy musterte mich mitleidsvoll: „Sicher?“

„Jetzt lauf schon.“

„Was machst du denn dann? So ganz allein?“

„Ich geh zum Friedhof“, ich lächelte sie dünn an: „Ich hab schon recht lange nichts mehr gezeichnet und nach dem Desaster heute im Kunstunterricht muss ich mir beweisen, dass ich es noch kann.“

„Wenn du es sagst“, die Phantomhive ging an mir vorbei. Kurz vor dem Türrahmen stoppte sie: „Wenn was ist, ruf mich an.“

„Klar“, antwortete ich ihr: „Bye.“

„Bye.“
 

45 Minuten später ging ich, meine Schuluniform gegen Alltagskleidung getauscht, mit gepackter Zeichentasche durch das Friedhofstor und zog meine Kopfhörer aus meinen Ohren.

Ein kleiner Windstoß hieß mich willkommen, wehte mir den erdigen Geruch des alten Friedhofs entgegen und ließ mich zwei Schritte hinter dem Tor inne halten.

Genüsslich hielt ich meine Nase in den Wind, schloss meine Augen und hörte der Stille des Friedhofs zu. Ich mochte die Ruhe auf dem Friedhof und diesen Geruch. Ich mochte generell erdige und natürliche Gerüche. Und als ich darüber nachdachte was alles erdig und natürlich roch, wurde mir das Herz schwer und ich öffnete die Augen. Als ich nach unten schaute wusste ich, dass es nur noch den Geruch von Zucker brauchte und der Friedhof würde fast genauso riechen wie: „Undertaker...“

Vielleicht war der Friedhof wirklich nicht das beste Ziel für mein von Liebeskummer gebeuteltes Herz. Aber ich ging seit fast 2 ½ Jahren zum Zeichnen hierher. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht es nicht zu tun. Mit einem kleinen Seufzen setzte ich mich wieder in Bewegung. Ich ging wie gesagt schon seit 2 ½ Jahren hier hin und hatte Undertaker in dieser Zeit sage und schreibe 2x hier getroffen. Die Wahrscheinlichkeit ihm ausgerechnet heute über den Weg zu laufen war folglich eher klein.

So lief ich los und hielt Ausschau nach dem passenden Motiv. Und als ich so angestrengt Ausschau hielt erreichte ein komisches Geräusch mein Ohr. Ich zog die Augen zusammen. Es klang wie ein…. Kratzen? ‚Was ist das?‘

Das Geräusch war behäbig und kehrte in einem gleichbleibenden Rhythmus zurück.

Ich folgte dem Geräusch. Nach wenigen Schritten wurde es lauter und deutlicher. Ich stoppte kurz und spähte die Zeile recht frischer Gräber entlang, vor der ich gelandet war: ‚Schaufelt dort jemand?‘

Ich kannte mich mit Friedhöfen nicht unglaublich gut aus, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gräber noch mit einer Schaufel ausgehoben wurden. Sicherlich wurden auch solche Dinge mittlerweile mit Maschinen gemacht. Einem kleinen Bagger, zum Beispiel.

Ich folgte also weiter diesem kratzenden Geräusch, welches - da war ich mir sicher - ein Schaufeln war.

Irgendwann sah ich einige Schritte vor mir ein rechteckiges Loch, Ränder wie mit dem Lineal gezogen, an dessen rechte Seite sich ein Hügel Erde aufhäufte. In regelmäßigen Abständen flog Erde auf besagtem Hügel und ein Kopf mit silbernen Haaren schaute aus dem Loch. Ich blinzelte zwar irritiert, aber nicht da ich verwundert war, dass Undertaker wohl das einzige Wesen unter der Sonne war, welches Gräber noch per Hand aushob! Das wunderte mich wirklich nicht. Mich wunderte eher, dass er mir - oder ich ihm - ausgerechnet heute über den Weg lief. Kurz überlegte ich einfach zu gehen. Der Totengräber schien – wortwörtlich - so in seine Arbeit vertieft zu sein, dass er mich noch gar nicht bemerkt hatte. Ich tat einen zögerlichen Schritt zurück, da hallte Amys Stimme durch meinen Kopf: ‚Initiative und Beharrlichkeit!‘

Und da begann ich die Dinge anders zu sehen. Das hier war ein Wink mit dem Zaunpfahl und dieses Mal wollte ich dem Schicksal zeigen, dass ich ihn gesehen hatte!

So ging ich auf das Loch zu und blieb an dem Ende stehen, an dem der Bestatter gerade so emsig buddelte: „Undertaker?“

Undertaker stoppte sofort, drehte sich zu mir um und legte den Kopf in den Nacken um mich aus seinem Loch heraus anschauen zu können. Einige Herzschläge sagte er gar nichts. Ich sah seine Augen nicht, doch ich hatte das überdeutliche Gefühl, dass der Totengräber mich musterte. Ich schaute hinunter auf seine Lippen. Sie waren kein Strich, doch eher skeptisch verzogen und so auch kein Lächeln.

„Skyler?“, fragte er schließlich mehr als alles andere.

Ich winkte zögerlich: „Hi. Ähm… Wie geht es dir?“

Undertaker wackelte mit dem Kopf und zog seine Mundwinkel nach oben: „Kehehe! Unkraut vergeht nicht.“

‚Schon wieder!‘, diese Antwort ärgerte mich. Sie ärgerte mich, weil es immer noch so klang, als sei er das Unkraut in Gottes Garten. Ich packte die Gelegenheit beim Schopfe, dass Undertaker in einem ca. 1.60m tiefen Loch stand, welches er noch nicht zu Ende gegraben hatte und mir so schwerer entfliehen konnte. Ich ging in die Knie und war so das erste Mal größer als der Bestatter: „Das ist keine adäquate Antwort auf die Frage wie es dir geht, meinst du nicht auch?“

Tatsächlich ließ die Antwort des Bestatters ein paar Sekunden auf sich warten. Er steckte seine Schaufel in die Erde: „Ihihihi, wieso meinst du das?“

„Weil man gar nicht heraushören kann wie es dir geht.“

„Nun“, Undertaker legte den Kopf schief und grinste breit: „Kihihihi! Es geht auch nicht um die Frage wie es mir geht, sondern um die Frage wie es euch geht. Ich werde schließlich nicht von irgendwelchen komischen Wesen bedrängt, die mich sogar in meinen Träumen verfolgen.“

Ich schaute ihn zweimal Blinzeln lang an. Dann zog ich meine Augenbrauen zusammen. Mir stank die Sache. Ich hatte das unabdingbare Gefühl es hatte einen tieferen Grund warum er der Frage nach seinem Wohlbefinden ganz bewusst auszuweichen schien: „Trotzdem möchte ich wissen wie es dir geht.“

„Nehehe. Warum denn das?“

„Weil es mich interessiert.“

„Nihihi. Muss es nicht.“

Ich fuhr mir kopfschüttelnd durch die Haare: „Was soll das? Sag es doch einfach.“

Plötzlich zeigte er mit seinem langen Zeigefinger auf meine Stirn: „Ehehe! Du hast da was.“

Ich blinzelte erneut. Mein Kopf ratterte ein wenig überfordert von dieser unvorhergesehenen Aussage.

„Lenk‘ nicht ab!“, feuerte ich ihm entgegen, als ich das Gesagte nach einigen Sekunden verarbeitet hatte.

„Kehehehe!“, er deutete weiter auf meine Stirn: „Da ist wirklich etwas!“

„Das ist mir vollkommen egal!“

„Sieht aus wie Farbe. Tihihi!“

„Rede nicht an mir vorbei!“

„Nehehehe! Du hast es sogar in den Haaren!“

„Undertaker!“

Sein Grinsen wurde weiter: „Nihi! So heiße ich.“

„Was soll das?“, hauchte ich entkräftet. Ich merkte wie meine Verzweiflung in meinem Gesicht erschien. Ich war dabei dieses Wortgefecht zu verlieren. Ich merkte es. Ich sah meine Niederlage winken und konnte nichts dagegen tun. Er benahm sich wie ein Clown! Und ich hatte nicht den Hauch einer Idee was ich dagegen setzen sollte. Bei dieser Erkenntnis stürzte etwas in mir zusammen.

„Nun, ich versuche dich darauf aufmerksam zu machen, dass du dir irgendetwas in die Haare geschmiert hast“, er streckte seine lange Hand aus und fuhr mir durch den Pony. Dabei schob er sein Gesicht direkt vor meines: „Ehehe. Farbe, wenn ich raten müsste.“

Ich erstarrte: ‚Er fasst mich an!

Seine Berührung surrte durch meinen ganzen Körper. Sengend heiß und klirrend kalt gleichzeitig. Mit großen Augen schaute ich in sein verhangenes Gesicht. Durch einen Spalt in seinem Pony konnte ich ein Stück seines Auges sehen welches auf meine Stirn schaute, während er einmal durch meinen Pony fuhr. Dann hielt er seine lange Hand zwischen unsere Gesichter und ich sah sein Auge darauf fallen. Ich schaute ebenfalls auf seine dünnen Finger die er aneinander rieb. An seinen Fingerkuppen klebten Reste schwarzer und brauner Farbe, die definitiv von meinem zerstörten Bild in Kunst herrührten.

„Tatsächlich!“, er giggelte kurz: „Kihi! Es ist Farbe! Fuhu! Wie auch immer die dahin kommt.“

Dann merkte ich seinen Blick auf mir. Ich hob meine Augen zu dem kleinen Spalt in den Haaren hinter der seine unbeschreiblich grüne Iris leuchtete. Die so matt wirkte. Immer noch.

Mich streifte bei dem Anblick dieses satten und doch so schattigen Grünes ein Gedanke: ‚Will er nur mir nicht sagen wie es ihm geht‘, ich schaute weiter in sein Auge welches… traurig wirkte. Ich konnte mir nicht helfen, doch ich hatte das nicht zu ignorierende Gefühl sein Auge sah traurig aus. Und müde. Irgendwie furchtbar erschöpft: ‚Oder will er generell nicht, dass irgendjemand weiß, dass es ihm irgendwie nicht gut geht?‘

Ich war mir mittlerweile mehr als nur sicher Undertaker verschwieg seine Gefühlslage, sobald sie von albern und eitle Sonnenschein abwich. Denn dieser Ausdruck, dem ging es nicht gut und er war so verschlossen, dass es unmöglich war zu erraten warum.

Er streckte seine Hand ein weiteres Mal aus und fuhr mir immer wieder durch den Pony. Es zippte ganz fürchterlich: „Fuhuhu! Dein Pony ist voll damit! Was hast du gemacht?“

„Ein Bild zerstört“, zog ich aufgrund des Zippens die Augen zu Schlitzen und die Nase kraus.

„Ehrlich?“, Undertaker fing wie gewohnt an zu kichern.

Es war wirklich wie gewohnt. Für einen kurzen Moment hatte ich nicht das Gefühl die Atmosphäre wäre angespannt. Ich hatte wieder etwas Dösiges angestellt und Undertaker amüsierte sich darüber, während er sich um die Folgen kümmerte. Ohne das ich ihn danach gefragt oder darum gebeten hätte. Eine nur allzu gewohnte Situation.

Ich hatte das Gefühl mein Herz holte einmal tief Luft. Denn es fühlte sich das erste Mal seit Tagen nicht so verkrampft an. Ich merkte wie meine Seele die Wärme der Situation aufsaugte. Und obwohl ich die gewohnte Atmosphäre unglaublich genoss, war etwas in mir auf der Hut. Ich traute Frieden generell nicht, doch dieser kam doch sehr plötzlich und unverhofft. Und unverhofft geht genauso oft wieder, wie es kommt. Ich merkte wie meine Seele die Wärme zurücklegte, um Kraft für die sicher bald wiederkehrende Kälte zu sammeln.

„Nihihi! Wie das denn?“, sprach Undertaker weiter und riss mich aus meinen Gedanken. Sie waren innerhalb von Sekunden durch meinen Kopf gerattert.

„Mit einem Farbspachtel…“

Die Hand immer noch in meinem Pony fing Undertaker laut an zu lachen: „Pahahahaha! Wieso bearbeitest du deine Bilder auch mit einem Farbspachtel?“

„Hab zwei Striche versaut...“

Der Kopf des Totengräbers fiel zur Seite: „Fu fu fu. Kann ich mir nicht vorstellen.“

„Du hast ja keine Ahnung...“

Undertaker brachte seinen Kopf wieder ins Lot und zog meinen Pony nach oben: „ Nihihi! Du hast die Farbe wirklich überall“, er ließ die Hand wieder ein Stück sinken und rubbelte mit dem Daumen an meinem Haaransatz herum: „Sogar an der Stirn!“

Plötzlich wurde sein Auge ein Stück schmaler. Auch war sein Grinsen eingebrochen. Er zog seine Hand aus meinem Pony, legte sie auf meine Schläfe und fuhr mit dem Daumen behutsam über meine Stirn: „Sage mir.“

Ich stockte innerlich.

Ich stockte, weil ich nicht verneinen konnte wie gut sich diese kalte Berührung anfühlte. Weil mein Kopf so warm war und die Kopfschmerzen immer noch unterschwellig gegen meinen Schädel pochten. Und weil ich das Gefühl hatte diese Berührung flickte irgendetwas in mir umgehend wieder zusammen.

„Bist du wohlauf?“, sprach Undertaker, nachdem er zweimal mit dem Daumen über meine Stirn gefahren war weiter: „Du bist sehr warm.“

Ich machte noch größere Augen. Eine schlimme Erkenntnis schnitt scharf durch das kurze Wohlgefühl: ‚Mein Fieber!‘

Ich hatte nicht mehr daran gedacht!

Panik ergriff mich.

Wenn Undertaker herausfand, dass ich wieder krank geworden war, was würde er dann denken?

Sicherlich, dass ich noch nicht mal in der Lage wäre ein bisschen Novemberwind und Flusswasser zu trotzen.

Dass ich fragil bin und viel zu schwach!

Er durfte mich nicht für schwach halten! Ich war mir über nichts wirklich sicher, außer über die Tatsache, dass alles vorbei war hielt Undertaker mich für zu schwach!

„I-i-ich“, polterte ich recht unelegant los: „Bin doch immer wärmer, als du! Nicht ich bin sehr warm, sondern deine Hände sind sehr kalt!“

Undertakers Auge sah durch den kleinen Spalt direkt in meines. Irgendetwas huschte hindurch und verdunkelte sein Grün noch mehr. Er blieb eine Weile stumm. Nur ein paar Sekunden die sich in die Länge zogen, während wir in die Augen des Anderen schauten.

„Stimmt“, sprach er schließlich und zog mit diesem Worten und seinem üblichen Grinsen seine langen Finger aus meinen Haaren. Als er dies tat spannte er mit seiner zurückweichenden Hand die Atmosphäre zwischen uns und brachte sie dem Zerreißen nah. Was in mir zusammengeflickt wurde, fiel wieder auseinander: „Verzeih mir, ich vergaß.“

‚Nein!‘, ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war.

Vielleicht hatte ich gerade die Chance versaut!

Undertaker hat mich angefasst… Freiwillig! Und ich hatte vollkommen unüberlegt los geplappert, sodass er seine Hand zurückzog: ‚Das kann doch nicht… Ich bin so blöd!‘

„Sag, Skyler“, er zog sein Gesicht zurück und jeder Zentimeter fühlte sich nach einem emotionalen Meter an. Er begann wieder zu grinsen und lehnte sich seitlich auf seine Schaufel, damit er die Beine kreuzen konnte: „Was möchtest du hier? Kehehehe! Du bist doch sicher nicht her gekommen und mir beim Graben zu zuschauen.“

Ich starrte ihn ein paar Sekunden lang an. Ich war so sauer auf mich. So wütend auf mich selbst und so gnadenlos frustriert. Ich blinzelte ein paar Tränen weg und schüttelte den Kopf. „N-Nein. Ich war nur verwundert, dass hier jemand buddelt… Ich meine… Man hebt Gräber doch nicht mehr per Hand aus, oder?“

Undertaker kicherte kurz auf: „Kihihi. Nein, aber ich habe meinen Spaß daran.“

„Okaaay“, machte ich gedehnt und lächelte… irgendwie: „Jedem das Seine.“

„Was treibt dich also eigentlich hierher?“

„Ich… Ich wollte ein bisschen Zeichnen...“

Sein Kopf fiel zur Seite: „Ehehe. Dann tue dies.“

„Aber… Naja, ich hab dich jetzt getroffen und ich kann dich ja nicht einfach...“

„Nah, tihihi! Mache dir keine Gedanken um mich“, unterbrach mich der Totengräber doch sehr direkt, auch wenn es sehr beiläufig klang: „Ich sagte dir schon letztes Mal, dass du auf mich keine Rücksicht nehmen musst.“

„Aber...“

„Ich bin hier eh noch beschäftigt“, giggelte er wieder direkt durch meinen Satz und sägte mich ab: „Fu fu fu. 20 Zentimeter fehlen mir noch. Also tue doch einfach so, als würde ich hier gar nicht herum streunen.“

‚Herum streunen?‘, das klang doch wieder mehr als negativ. Mir fiel erst jetzt auf, dass einige Phrasen die Undertaker auf sich selbst bezog, zwar so beiläufig klangen, dass man ihnen keine Bedeutung zu maß, aber furchtbar negativ waren: „Aber...“

„Skyler“, er zog seine Schaufel aus dem Boden: „Ehehe. Gehe ruhig Zeichnen.“

Mir wurde klar, ich hatte das Wortgefecht verloren. Undertaker hatte mich erfolgreich von der Frage wie es ihm ging abgelenkt. Bei dieser Erkenntnis wurde mir endlos übel. Denn nun wollte er auch sehr nachdrücklich das Gespräch beenden.

Sicherlich… da ich verloren habe… denkt er nun ich sei zu schwach.

Sicher denkt er ich sei zu schwach um mit ihm mitzuhalten, konnte ich ihm noch nicht einmal seine Gefühlslage entlocken.

„Ok...“, ich stand auf und drehte mich ab: „Dann bis morgen...“

Und anstatt nach einem Motiv zu suchen ging ich zurück ins Wohnheim.
 

Nein!!

Keuchend riss ich die Augen auf.

Alles drehte sich.

Stumm und schwer atmend starrte ich gen Decke.

Dieser Traum… Dieser verfluchte Traum… Immer und immer wieder...

Die fünfte Nacht!

Ich konnte förmlich spüren wie mein Geist daran vor die Hunde ging.

Als ich noch ganz in den Erinnerungen an diesen ätzenden und furchtbare Traum gefesselt war, bewegte sich plötzlich eine der wirren Strähnen die in meinen Wimpern hingen träge. In dem Moment strich kalter Wind über meine Arme. Ich fuhr sofort hoch.

„Was?!“, meine mentale Konstitution bekam den letzten Tritt. Mit einem Satz war ich aus dem Bett und knallte mein Fenster zu: „Warum ist das scheiß Ding schon wieder auf?!“

Das Fenster knallte gegen den Rahmen. Es schepperte laut, doch da der Riegel mal wieder auf verriegelt stand schwang es wieder auf.

„Ich hab keinen Bock mehr!“, angefüllt mit einer siedenden Wut auf einfach alles und verdammt nochmal jeden trat ich gegen meinen Schreibtischstuhl. Mit voller Wucht… und nackten Füßen: „Au! FUCK!“

Der Stuhl polterte um, während ich auf einem Fuß rum hüpfte und mir den Anderen hielt: „Das gibt‘s doch nicht! Scheiße, man!“

„Was ist denn hier los?“

Ich wandte mich um und sah eine Phantomhive mit irrer Frisur in meiner Türe stehen, die sich müde ein Auge rieb.

„Was tust du da?“, fragte sie mit verständnislosen Blick und gähnte: „Wir haben Halb 2 Nachts und du reißt die Bude ab. Geht‘s noch? Ich hatte endlich mal geschlafen.“

Seufzend ließ ich den Fuß ein Stück sinken: „Sorry, Amy. Ich hab die Beherrschung verloren.“

„Ja, das hab ich bemerkt“, Amy ging auf mich zu: „Was hast du gemacht?“

„Ich hab mein Fenster zu gemacht...“

„Warum steht es dann offen?“

„...Weil es nicht zu gegangen ist...“

„Und warum hüpfst du hier rum wie Pinocchio nach einem Besuch im Sägewerk?“

„Ich hab vor den Stuhl getreten...“

„Barfuß?“

„...Ja...“

„Tat das nicht weh?“

„...Ja...“

„Hach, Sky“, Amy stellte den Stuhl wieder hin und schloss zivilisiert mein Fenster. Dann schaute sie mich an: „Traum oder Bestatter?“

„Traum Auslöser, Bestatter Grund...“

Amy setzte sich auf mein Bett: „Ich bleib dabei. Schlag ihn. Feste.“

„Er geht mir aus dem Weg...“

„Er ist ein Trottel“, Amy wuschelte mir durch die Haare: „Schlaf noch etwas.“

„Ich habe keine Lust mehr zu schlafen...“

„Aber du musst es tun.“

Ich nickt schwach: „Ich weiß...“

Amy wünschte mir noch eine gute Nacht und ich legte mich wieder in mein Bett.
 

„Sky!“, jemand rüttelte an mir herum: „Wach auf! Wir haben 7:25 Uhr! Nur noch 5 Minuten bis zum Unterricht!“

Ich riss die Augen auf. Noch nie war ich so schnell wach.

Ich sprang in einem Satz aus meinem Bett. Amy hatte mich zwar geweckt, doch war sie wohl auch noch nicht lange wach. Sie trug noch ihren Pyjama.

In Windeseile sprangen wir ins unsere Schuluniformen und griffen unsere Taschen. Dann rasten wir aus der Türe.

Auf dem Weg zur Treppe zog ich mir noch auf einem Bein hüpfend den letzten Schuh an, während Amy sich im Rennen die Haare kämmte.

… Beides keine schlaue Idee…

Es kam wie es kommen musste.

Ich stolperte und Amy achtete nicht auf mich um mir auszuweichen. So rasselte ich in Amys Rücken, riss die Phantomhive von ihren Füßen und wir beschritten die Treppe anders als geplant: Polternd und kreischend.

Nach einem ungeahnt schnellen - doch sehr schmerzlichen - Treppengang kamen wir in der Eingangshalle an. Amy auf ihren 4 Buchstaben und ich auf meiner Nase.

Amy rieb sie sich die Sitzfläche: „Au… Doch nicht drei Stockwerke runter...“

Ich sprang auf und riss die Phantomhive hoch: „Komm! Wir haben keine Zeit mehr!“

Ohne Jacke und als wäre der Leibhaftige hinter uns her stürmten wir aus der Türe des Wohnheimes. Wir hechteten über den Schulhof und rannten wie von der Tarantel gestochen ins Schulgebäude. Auf der Hälfte des Weges gab mir Amy ihre Haarbürste.

Gleichzeitig mit unserer Ethiklehrerin, Ms. Watsworth, kamen wir am Klassenraum an. Sie beschaute uns zwar skeptisch, doch es war Punkt 07:30 Uhr und wir waren nicht zu spät.

Mit gerade noch rechtzeitig gelichteter Frisur und dem unschuldigsten Grinsen auf Erden schlüpften wir in den Klassenraum und versteckten wie gnadenlos außer Atem wir waren.

„Die Prefect kommt zu spät“, murmelte Amy: „Das wär‘s gewesen...“

Watsworth zog trocken den Ethikunterricht durch, dem ich doch nur bedingt folgen konnte.

Ich war so müde.

So müde, schlapp, gefrustet und besorgt.

Meine Lider und mein Herz wogen in etwa gleichviel: Tonnen.

Nach Ethik ging es mit Biologie nicht gerade erhebend weiter. Eher krachte meine recht lichte Laune weiter in den Keller.

Und nicht nur meine.

Ich hatte nur selten das Gesicht der jungen Phantomhive so düster gesehen. Ein klarer 'Sprich-mich-an-und-stirb'-Ausdruck lag darin, der selbst mich davon abhielt mit ihr zusprechen.

Am Frühstückstisch bemerkten wir, dass sich die 'Funtomtalk'-Truppe als recht gesprächig herausstellte, auch wenn es sich um recht normale Themen handelte. Als Amy mir erzählte die Aristokraten benutzten diesen Chat und es sei mit einem Passwort gesichert, war ich mir fast sicher gewesen die Gespräche drehten sich um Mord, Totschlag, Drogenhandel, Schutzgelderpressungen, oder irgendsoetwas in der Richtung. Doch eigentlich beschwerten sich die Reaper nur über ihre Arbeit, Josi erzählte wie es so in Deutschland lief, Charlie berichtete wo er gerade war, was er dort mache und was sein nächstes Ziel war und der Earl und seine Frau kommentierten das alles recht gelassen und erzählten selbst hier und da einen Schwank aus dem Büro, vornehmlich über kuriose Vorfälle mit Geschäftspartner, Mitarbeitern oder Kunden und ließ sich von ihren Kinder erzählen wie Schule und Uni lief. Von Frank, William und Sebastian las man eher spärlich etwas und Undertaker hatte seit seinem ersten Chatversuch gar nichts mehr verlauten lassen. Amy erzählte sie war sich sicher, der Totengräber verfolgte die Konversationen zwar mit einem Auge, doch schrieb er wahrscheinlich nichts dazu, da es nicht notwendig sei.

Ich war zu nervös zum Essen und es ging mir zu schlecht, auch wenn ich mir nicht erlaubte mich schlecht zu fühlen.

Ich führte Amy in den Gazebo, bereitete dort alles vor und ging dann in den Wäschekeller. Dort klaubte ich die Kleider der Reaper aus der Trommel um sie aufzuhängen. Dabei kreisten meine Gedanken um die Situation, in der ich steckte. Ich entschloss, wenn ich mir mit Lolas Hilfe heute kein Wunder backen konnte, dann gab es wohl auch keine Wunder mehr. Doch dieser Gedanke ängstigte mich und setzte mich massiv unter Druck. Denn das hieß wenn es heute nicht funktionierte, dann war es vorbei.

Vorbei.

Endgültig.

Und dieser Gedanke tat körperlich weh.

Ich versuchte diesen Gedanken zu verdrängen und bekam auch prompt Hilfe von meinem Karma, als ich die Hose des Totengräbers aus der Wäschetrommel zog.

Seine Lederhose!

„Oh nein!“, in dem Moment, wo ich die Hose in den Händen hatte stellte ich fest, dass ich auch die Hilfe meines Karmas nicht brauchte. Wirklich nicht.

Ich hatte keine Ahnung wie man Leder ordentlich wusch! Schon gar nicht Leder, das wohl ein wenig älter gewesen war... oder auch ein wenig mehr...

Auch hatte ich gar nicht darüber nachgedacht, dass es Leder war! Ich war schon die ganze Woche so gestresst und verkopft, dass es vollkommen an mir vorbeigegangen war!

Die Hose jedenfalls war steif wie ein Brett.

Ich sprang auf die Füße und schlug sie ganz intuitiv aus, um zu schauen was ich noch retten konnte. Meine Intuition ließ übrigens auch zu wünschen übrig...

RAAAAAATSCH: „Neee~ein!“

Ich hatte nun fast zwei Hosen in der Hand. Der Riss war monströs!

Geschlagen ging ich das Gesicht in meinen Händen versteckt in die Knie: „Oh Himmel hilf...“

Es sollte doch eine nette Geste sein! Doch stattdessen hatte ich die Lieblingshose des Bestatters über den Jordan geschickt: „Oh, ich Hohlfrucht... warum kann ich nicht mal für 5 Pennies etwas richtig machen?“

Jetzt konnte der geplante Besuch bei Undertaker ja wirklich richtig interessant werden: 'Hi! Ich weiß du willst von mir eigentlich nicht mehr wissen und bist jetzt gerade sicher total genervt, dass ich wieder unangekündigt vor deiner Nase stehe, aber ich habe dir Kekse gebacken! Und deine Lieblingshose gehimmelt, weil ich zu dumm zum nett sein bin! Cool, nicht?'

„...Ich will sterben...“

Ich atmete tief durch und entschloss mich... dass es eh nur zwei Optionen gab:

Entweder konnte Undertaker mich am Ende dieses Tages eh nicht mehr leiden, dann konnte es eh nicht mehr schlimmer kommen, oder ich werde auf dem Boden rumrutschend bei ihm um Verzeihung betteln und hoffen, dass ich mich wenigstens so blöd angestellt hatte, dass er es irgendwie belustigend fand. Vielleicht konnte (musste) ich meine Schuld auch mit Witze erzählen abarbeiten. Wahrscheinlich mein Leben lang: „...Ich will wirklich sterben...“

Nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, legte ich die weißen Hemden in die Trommel, von denen ich mir zwar sicher war zu wissen wie man sie wusch, es aber dennoch auf 3 verschiedenen Seiten nachgegoogelt hatte, damit ich dem Bestatter nicht auch noch sein reinweißes Hemd versaue!

Mir fiel auch auf, wie komisch sein Hemd geschnitten war. Die Ärmel hatten Überlänge und ein Hemd mit Stehkragen hatte ich generell noch nie gesehen. Auch fiel mir auf wie gut gepflegt seine Kleider waren. Dass Williams Sachen akkurat waren, wunderte mich nicht. Auch das Grell auf seine Kleider achtete passte. Ronald ließ es augenscheinlich ein wenig schleifen, sein Hemd zumindest hatte einen Grauschleier und schiefe Bügelfalten, doch waren sie in Ordnung. Doch Undertakers Hemd war blütenweiß, ausgebügelt und hatte ein Wäscheschild auf dem ein Name stand, der mir nichts sagte und das Datum »1956«. Es sah nicht neu aus, aber bei weitem nicht 59 Jahre alt. Ich tat es fast ehrfürchtig – und betend - mit den anderen in die Trommel, stellte die Maschine an, hing das an Wäsche auf, was mich und den Leviathan überstanden hatte und stellte tragischerweise fest, dass Grells Hose als einziges Beinkleid überlebt hatte.

Seufzend verließ ich den Wäschekeller und traf auf dem Weg zum Klassenraum Amy.

Die Phantomhive sah mein gestresstes Gesicht, konnte über die zu Tode gewaschene Hose des Totengräbers aber nur herzlich lachen.

Endgültig nichts mehr zu Lachen hatten wir in den nächsten zwei Stunden bildende Kunst.

„Die Klausur, meine Damen“, verkündete Lowell und knallte einen Stapel Hefte auf das Lehrerpult. Wir zuckten bei dem Knall zusammen in einem Anflug böser Ahnung.

„Zum Teil sehr schöne Arbeiten“, Lowell schaute eine Mitschülerin am anderen Ende des Raumes an.

„Zum Teil ließen sie zu wünschen übrig“, Lowell schaute uns an.

Amy und ich schauten uns jetzt schon vom Schicksal erlegt ins Gesicht und dann wieder nach vorne.

Lowell verteilte die Hefte. Einige Schüler freuten sich, einige wackelten mit dem Kopf, nickten aber danach.

Dann landeten unsere Hefte vor uns.

Ich blätterte meins durch und hatte nur selten so viel Rotstift in einem meiner Hefte gesehen. Viele Jahresdaten waren falsch, doch eine Notiz traf mich besonders hart: »Rokoko hat nichts mit Zombies zu tun!«

Ich knallte eine Hand vor meine Stirn: „Das setzt dem ganzen Tag die Krone auf...“

Doch da hatte ich meine Note noch nicht gesehen. Die schien mir leuchtend rot 2 Seiten später entgegen.

„Nein!“, hauchte ich und schlug die Hände über meinem Kopf zusammen: „Ich bin durchgefallen!“

„D?“, fragte mich Amy.

Ich schaute sie am Boden zerstört an: „Ja... und du?“

„C-“, seufzte sie: „Gerade noch geschafft. Begeistert sein wird Dad trotzdem nicht. Eigentlich ist bildende Kunst mein bestes Fach.“

„Heute“, ich schlug das Heft zu: „Ist ein Scheißtag!“

Dass die folgenden Stunden Sport auch nicht das Highlight meines Tages waren, war wohl nichts was ich noch erwähnen musste. Ms Charles war unbarmherziger denn je. Sie war gereizt, weil die Leistungen nicht stimmten und heizte uns mächtig ein. Vor allem Amy, die auch zu keinen Glanzleistungen mehr fähig schien.

Doch auch ich bekam mein Fett ordentlich weg.

Mir war so heiß. Ich fühlte mich immer schwächer und kämpfte mehr mit meinem Schwindel, als mit allem anderen.

Ich traf nichts. Nicht den Ball und schon gar nicht bekam ich ihn übers Netz, was Ms Charles nur zusätzlich sauer machte und dazu animierte mehr und mehr auf mir herum zu hacken.

Es war Folter. Mentale und körperliche Folter.

Als ich mich nach dem Unterricht auf die Bank setzten wollte hielt Amy mich auf: „Wir duschen mit den Anderen.“

„Warum?“

„Dem Vieh. Vielleicht taucht es dann nicht auf.“

„Oder wir bringen alle in Gefahr.“

„Was sollen wir denn tun? Wir müssen es probieren. Schau dich an. Du bist nassgeschwitzt und ich auch.“

Ich ergab mich. Zum Diskutieren fehlte mir die Kraft. So landeten wir mit der ganzen Klasse in der Gemeinschaftsdusche und ich duschte fast kalt. Mein Kreislauf war am Boden, doch ich zwang mich weiter zu machen. Ich musste noch zu Lola, danach zu Undertaker.

Heute musste ich es schaffen. Ich hatte keine Optionen mehr. Heute galt und ich konnte es mir nicht leisten mir von meinem Kreislauf einen Strich durch die Rechnung machen zu lassen.

Tatsächlich blieben wir trotz des schlechten Gefühls in mir von dem Vieh unbehelligt. Amy führte aus wie glorreich sie erdachte, es käme nicht wenn wir nicht alleine wären und wie vorzüglich es funktioniert hätte, als wir ins Wohnheim zurück gingen. Zuhören tat ich ihr nicht. Mir war schwindelig, schlecht und ich wurde immer nervöser. Mein Mittagessen aß ich nicht. Ich trank allerdings fast 4 Tassen Tee.

Als wir abgeräumt hatte fing mich Lola an der Türe ab: „Hallo Herzchen.“

„Hi Lola“, lächelte ich ihr entgegen.

Die Küchenchefin zog die Augen zusammen: „Schläfst du immer noch nicht besser? Du siehst gar nicht gut aus.“

„Leider nein. Ich habe diese Woche keine Nacht durchgeschlafen.“

„Sollen wir es verschieben? Möchtest du nicht lieber ins Bett?“

„Nein, nein! Ich will... Ich muss das endlich irgendwie hin kriegen! Ansonsten schlaf ich nie mehr gut...“

„Oh weh. Na dann, komm! Wir backen jetzt deine Probleme weg.“

Lolas Enthusiasmus steckte mich nicht an, doch es war erfrischend mit jemanden zu reden, der nicht genauso ermattet war wie ich und etwas Energie versprühte: „Wenn du es sagst.“

Ich verabschiedete mich von Amy und ging in die Küche.

Lola entging nicht wie unkonzentriert ich war. Ich versuchte wirklich ihr bis ins Letzte zuzuhören und alles richtig zu machen, doch schlichen sich immer kleine Fehler ein. Zu viel Zuckerrübensirup, zu wenig Hafer und auch mehr Holunder als eigentlich geplant war. Doch Lola rettete mich mit einem skeptisch besorgten Ausdruck im Gesicht.

Als die Flapjacks im Ofen waren ließ Lola Schokolade schmelzen und ich hing recht schief auf einem Hocker. Immer wieder fielen mir die Augen zu. Irgendwann waren sie zu geblieben. Ich schlief nicht recht, fiel auch nicht vom Hocker, doch ich dämmerte vor mich hin bis irgendwann meine Nase der Geruch von Kaffee erreichte. Sofort prangen meine Augen auf und ich schaute Lola ins Gesicht. Sie hielt mir eine dampfende Tasse vor die Nase.

„Denkst du es ist eine gute Idee das alles heute zu machen, Schatz?“, fragte sie besorgt.

Ich nickte und nahm die Tasse entgegen: „Ich glaube ich habe keine Zeit mehr, Lola...“

„Was lässt dich das denken?“

„Er geht mir aus dem Weg... Vermeidet es mit mir zu reden... Gibt komische und knappe Antworten. Redet an Themen vorbei und und und.“

„Das klingt wirklich nicht gut.“

Ich nahm einen tiefen Schluck Kaffee: „Siehst du...“

Lola schüttelt den Kopf. Dann öffnet sie den Ofen: „Naja, wenn du ihm das hier gibst“, sie stellte ein wunderbar duftendes Blech auf die Arbeitsplatte: „Wird er gar keine Antworten geben, da es ihm die Sprache verschlagen wird. Warum wolltest du eigentlich so viele machen?“

„Amy hat sich auch ein paar verdient.“

Lola lächelte angetan und milde: „Verstehe. Kommst du und hilfst mir?“

Anbetracht des wunderbaren Geruchs nahm ich noch einen tiefen Schluck Kaffee, hüpfte von meinem Hocker und half Lola die Bleche voll Keks in Vierecke zu schneiden und eine Ecke in Schokolade zu tunken.
 

Eine Stunde und 3 Kaffee später war ich mit zwei vollgepackten Gebäck-Geschenktüten den Weg die Treppe hoch. Ich war nervös, doch was aus dem Ofen gekommen war war tatsächlich lecker geworden und einigermaßen ansehnlich, was mich doch ein wenig motivierte.

„Bye“, hörte ich, als ich durch die Wohnungstüre kam. Amy fand ich ein paar Sekunden später an unserem offenen Wohnzimmerfenster stehen: „War er da?“

Amy nickte: „Gerade weg. Ich konnte ihn nicht im Gespräch halten. Tut mir leid.“

Ich legte den Kopf schief und lächelte: „Halb so wild. Ich trage noch die Jogginghose von nach der Dusche. Das ist nicht gerade der passende Aufzug.“

„Oho!“, Amy legte einen Finger an ihr Kinn: „Machst du dich etwa schick?“

„Ach!“, ich warf ihr ihre Tüte Flapjacks an den Kopf: „Wer hat sich den aufgedonnert wie die junge Britney als es hieß mit Lee auszugehen?!“, ich stockte. Wegen meinem ganzen Gefühlschaos hatte ich vollkommen vergessen, dass Amy ja auch mit den Kopf in einer Schwärmerei steckte. Sie war die ganzen Tage für mich dagewesen, aber ich nie für sie: „Wie war's eigentlich?“

Amy grinste: „Gut. Wir waren was trinken.“

„Donnerstagabends?“

Amy kicherte: „Joa. War nicht viel. 2 Cocktails“, sie hob die Hände: „Aber wenn er schon anbietet zu bezahlen.“

Ein leichtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht: „Klingt nach 'nem guten Abend.“

Amy grinsen wurde größer und recht verheißungsvoll: „Er hatte auch ein gutes Ende.“

Mein leichtes Lächeln endete in einer hochgezogenen Augenbraue: „Der Abend oder Lee?“

Amys grinsen wurde noch breiter: „Sowohl als auch.“

Meine Augenlider flatterten und ich wedelte mit den Armen: „Nein! Nein, nein, nein! Ich will nicht mehr wissen!“

„War gut.“

„Hör auf!!“

„Prüüüüüde~“

„Arg!“

Amy fing an zu lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatte schaute ich sie an. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen in den letzten Tagen nicht so eine gute Freundin für sie gewesen zu sein, wie sie für mich: „Es tut mir leid...“

„Was?“

„...Dass ich erst jetzt nachfrage“, ich ließ meinen Kopf hängen: „Du redest dir an mir den Mund fusselig. Gibst mir Tipps. Und ich? Ich bin einfach nur ein furchtbar egoistisches Biest...“

Zwei Hände griffen meine Schultern und ich schaute Amy in ihr wie üblich strahlendes Gesicht mit den viel zu müden Augen: „Was redest du denn da? Wer hatte denn die Idee das Date mit Lee an mich zu reißen?“

„Aber du hast viel mehr für mich getan...“

„Bei dir ist ja auch viel mehr nötig. Das mit Lee und mir ist bei weitem unkomplizierter, als der Schlamassel in dem du steckst. Sky?“

Ich legte meinen Kopf ein Stück schief: „Hm?“

Dann nahm mich Amy in den Arm: „Danke für deine Hilfe.“

„Ich danke dir auch“, ich drückte sie zurück: „Für alles.“
 

Amy half mir bei der Kleiderwahl und hielt mir ein paar Sachen hin: „Nimm die. Dazu deine Boots.“

Ich schaute die Kleider an. Es war eine enge schwarze Röhrenjeans mit vielen großen Löchern, eine Netzstrumpfhose, ein dünner enganliegender schwarz/weiß gestreifter Pulli, eine schwarze bauchfreie Weste mit vielen Reißverschlüssen, Nieten und einem breitem Gurt am unteren Saum und mein breiter Nietengürtel.

Ich schaute von den Kleidern zu Amy: „… Ist das nicht eher rockig, als schick?“

„Willst du im Ballkleid auftreten?“

„Nein!“

„Wo ist dann das Problem? Ich weiß, dass es dir stehen wird und es sieht nicht so aus als hättest du dich extra in Schale geworfen. Wie ich dich kenne, soll er bloß nicht merken, dass du dich feingemacht hast. Warum auch immer.“

„Weil sowas total peinlich ist!“

„Keine Sorge. Die Netzstrumpfhose verrät es ihm sowieso.“

Mein Kopf wurde noch heißer als er eh schon war: „Amy!“

Sie lachte auf und warf mir die Sachen über den Kopf: „Wenn du es für eine schlechte Idee hältst, dann zieh halt etwas anderes an. Aber vielleicht solltest du bedenken wer ihn länger kennt. Jetzt zieh dir auf jeden Fall endlich irgendetwas an, oder du gehst nie los.“

Als die Phantomhive mein Zimmer verlassen hatte seufzte ich, schminkte mich, drehte mir meinen üblichen Halbzopf mit Dutt und… zog die Sachen an, die Amber mir gegeben hatte…
 

Amy hatte einmal zufrieden gekichert und mein Aussehen gelobt, als ich meinen Kopf zur Verabschiedung durch den Türrahmen des Wohnzimmers geschoben hatte. Nach einem Seufzen war ich aus der Türe gegangen. Den ganzen Weg zu dem verschrobenen Laden hatte ich mich an dem Stoffbeutel festgekrallt, in dem die kleine Geschenktüte steckte. Es war recht kühl draußen. Für das was ich trug eigentlich zu kühl, doch weder Amy noch ich hatten bei der Kleiderwahl an die Außentemperatur gedacht. Wer schön sein wollte, musste wohl wirklich leiden. Ich war nur leider nicht schön.

Der Weg zog sich endlos. Ich fühlte mich wie auf dem Gang nach Canossa. Wahrscheinlich, weil es mein ganz persönlicher Gang nach Canossa war.

Als ich in die Gassen eingebogen war erreichte ein Maunzen mein Ohr, als ich eine Gruppe Mülleimer passierte. Davor stand ein wohlbekanntes kleines Kätzchen.

Lächelnd ging ich kurz in die Knie und kraulte das kleine Ding hinter seinem Ohr: „Na du?“

Es maunzte nochmal hell und drehte seinem Kopf genüsslich unter meinen Fingern.

„Ich würde dich ja gerne länger kraulen, aber ich habe noch was wichtiges vor“, ich stand wieder auf und ging weiter: „Mache es gut, Kleines.“

Doch kaum war ich ein paar Schritte gegangen schaute ich neben mich, wo die kleine Katze neben mir her lief und zu mir hoch schaute. Mit einem leisen Lachen beschritt ich so den Rest des Weges nicht ganz allein.

Dann stand ich vor der Ladentüre und haderte mit mir selbst. Ich war weder 100% sicher, ob meine Idee gut oder nur nervig war. Noch war ich mir sicher, ob ich Undertaker in meinem jetzigen Aufzug wirklich unter die Augen treten sollte. Aber Amy hatte mich noch nie willentlich in Bockshorn gejagt. Dafür aber nur allzu oft in guter Absicht. Ich schaute die kleine Katze an, die sich neben mir auf den Boden gesetzt hatte: „Was denkst du?“

Die Katze maunzte.

Ich seufzte: „Was mache ich hier? Du verstehst mich ja gar nicht...“

Auf einmal hüpfte die kleine Katze auf, fing wie verrückt zu maunzen an und kratzte an der Ladentür… mit ihren Krallen…

Es war furchtbar laut.

Schnell schnappte ich das kleine Ding: „Bist du verrückt?“, wisperte ich ihr entgegen: „Du kannst doch hier nicht so ein Theater...“

...In diesem Moment ging vor mir die Türe auf…

Ich brach sofort ab. Ganz langsam und in böser Ahnung hob meinen Kopf. Ich starrte auf die hochgewachsene Gestalt, die jetzt vor mir im Türrahmen stand und… fühlte mich wie der letzte Idiot.

„Skyler?“, fragte Undertaker recht skeptisch, als er auch mich durch seinen Pony zu mustern schien. Er trug dieselben Sachen wie gestern. Was sollte er auch sonst tragen? Ich wusste ja wo seine Lederhose war… und auch was ihr widerfahren war… Ich verdrängte diesen Gedanken. Tunlichst. Was ich nicht verdrängen konnte war, wie gut ihm diese Sachen standen.

„Hi“, sagte ich langgezogen und zog das dilettantischste Lächeln meines Lebens auf: „Alles klar bei dir?“

Von Undertaker kam eine gefühlte Ewigkeit gar nichts. Dann zeigte er auf die kleine Katze auf meinem Arm: „Wen hast du da?“

„Äh“, ich schaute auf die kleine Katze, die mich anschaute als wartete sie auf ihr Lob. Nach einem Seufzen tätschelte ich ihr Köpfchen und sie begann zu schnurren: „Einen kleinen Streuner wie es scheint“, ich ließ die Katze herunter und sie strich durch meine Beine: „Ich habe ihr am Mittwoch etwas zu essen gegeben und heute lief sie mir den ganzen Weg hinterher...“

„Mir scheint sie mag dich.“

Ich hob meinem Kopf wieder in sein Gesicht und legte ihn mit dem besten Lächeln was ich zu Stande bekam schief: „Meinst du?“

„Skyler, was tust du hier?“

Mein Lächeln brach ein. Irgendetwas in mir wackelte, als ich in sein wieder nicht grinsendes Gesicht schaute: „Also...“

„Ich habe Amy schon alles gesagt was ich weiß.“

„Darum geht es nicht.“

Undertaker seufzte: „Worum dann? Warum kommst du immer wieder hierher?“

Ich ließ meine Augen aus seinem Gesicht fallen. Er schien wirklich von mir genervt zu sein. Vielleicht hatte Amy sich verschätzt. Selbst wenn man Undertaker besser und länger kannte als ich, war er sicherlich immer noch recht schwer einzuschätzen. Aber nun war ich hier und er stand vor mir. Ich brachte es nicht fertig mich einfach umzudrehen und zu gehen. Zu kapitulieren und es nicht ein letztes Mal zu probieren. Ich schaute ihn wieder an. Dahin wo ich unter seinen Haaren seine Augen vermutete: „Ich… wollte mit dir reden.“

„Skyler...“

„Warum nennst du mich Skyler?“, ich schüttelte verständnislos ein wenig mit dem Kopf: „Skyler nennt mich Amy nur, wenn sie sauer auf mich ist.“

„Es ist dein Name, oder liege ich falsch?“

„N-Nein.“

„Warum soll ich ihn dann nicht benutzen?“

„Weil...“, ich drückte die Henkel der Stofftasche mit beiden Händen um meine Anspannung herauszulassen: „Du hast vorher auch immer meinen Spitznamen benutzt. Seit meinem ersten Besuch.“

„Seit deinem ersten Besuch ist einiges passiert.“

„Und genau deswegen bin ich hier.“

Doch Undertaker schüttelte den Kopf, was in mir eine Art persönliches Armageddon auslöste: „Gehe heim.“

„Wa...“, ich versuchte das Zittern meiner Stimme zu unterdrücken, doch ich hatte das Gefühl sein Kopfschütteln hatte mir die Brust zugeschnürt. Ich quetschte meine Stimme an dem riesigen Kloß in meinem Hals vorbei der mich zu würgen begann: „Warum?“

„Weil alles so gekommen ist, wie es nun mal gekommen ist. Niemand kann daran etwas ändern“, eine kurze Stille fiel zwischen uns. Ich schaute weiter in sein verhangenes Gesicht, vollkommen überfahren von dem was er sagte. Mein Herz surrte in meiner verschnürten Brust. Irgendetwas in mir ging unter. Dann griff Undertaker seine Klinke: „Kümmere dich um die Dinge, die wirklich wichtig sind. Um deine Schule, Amy. Versuche irgendwie ein wenig zu schlafen oder wenigstens zu rasten. Ich kümmere mich um das Etwas“, eine weitere angespannte Stille. Ich konnte nicht mehr atmen. Kämpfte mit den Tränen. Kämpfte in mir drin damit nicht unterzugehen.

„Mache es gut“, hauchte er schließlich und brach damit die Stille kaum. Dann wollte er seine Türe schließen.

In meinem Kopf machte irgendetwas ganz laut Klick. Es war eher ein Knallen und ließ meinen Fuß hervorschnellen. Er hielt die Türe davon ab ins Schloss zu fallen.

Ich wollte nicht, dass alles vorbei war!

Ich wollte nicht!

Mit beiden Händen drückte ich die Türe wieder ein Stück auf und zwängte mich in den Laden. Es funktionierte, doch ich musste ein paar Schritte auf einem Bein in den Laden hüpfen um nicht auf die Nase zu fallen. Es verwunderte mich fast, dass ich es schaffte. Als ich zum Stehen kam, surrte eine Welle Schwindel durch meinen Kopf. Das konnte ich nicht gebrauchen! Ich hatte wichtigeres zu tun! Ich schaffte es mit diesem Gedanken den Schwindel nach hinten zu drängen.

„Skyler, was tust du?“

Ich drehte mich um und hob eine Hand: „Ich akzeptiere das nicht.“

Undertaker schwieg wieder kurz. Doch wirkte es dieses Mal als müsse er kurz seine Gedanken aufgrund dieser Aussage sortieren. Er stand einige Schritte von mir entfernt vor der mittlerweile ins Schloss gefallenen Ladentüre und musterte mich durch seinen Pony: „Was akzeptierst du nicht?“

„Das alles so vor die Hunde geht.“

„Was ‚alles‘?“

„Wir!“, ich haderte. Irgendwie klang das Wort ‚Wir‘ zu hoch gegriffen: „Also! Ich meine… du… ich… wir“, da war es schon wieder! In mir wuchs Wut über meine eigene verbale Inkompetenz: „Das, was wir hatten!“, ich schlug sofort meine Hände vor mein Gesicht. Ich merkte wie heiß es war und wie es noch viel heißer wurde. Das klang auch wieder nach zu viel! Viel zu viel!

Ich ließ meine Hände herunter fallen als mir klar wurde, dass ich es nicht ausdrücken konnte: „Es... tut mir leid, dass ich weggerannt bin… Es tut mir leid, dass ich dir Unrecht getan habe und dass… denn ich“, ich kniff meine Augen zusammen und ballte meine Hände zu Fäusten: „Ich hab vor einer Woche deine ganze Hilfe, all die netten Dinge die du zu mir gesagt und für mich getan hast, all die Situationen nach denen ich ohne dich gar nicht mehr da wäre, mit Füßen getreten, als ich beschlossen habe dich auszufragen und dann wie ein Hase weggerannt bin. Wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, würde ich nicht weg laufen. Dann würde ich da bleiben und dir sagen, was ich wirklich denke...“

„Du kannst die Zeit nicht zurückdrehen. Das kann niemand.“

„Es geht nicht darum was niemand kann!“, ich schaute ihn wieder an: „Undertaker! Ich habe dich kennen gelernt wie du jetzt bist und nicht wie du vor 100 Jahren warst! Alles andere ist nebensächlich.“

„Ich habe mich nicht sonderlich verändert.“

„Blödsinn!“, ich schüttelte den Kopf: „Niemand bleibt 100 Jahre der Selbe!“

„Sehr wohl. Jemand, für den sich 100 Jahre nicht mehr wie 100 Jahre anfühlen.“

Ich starrte ihn an. Was er sagte klang gar nicht so unwahr wie ich es gerne gehabt hätte. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, dass jemand der so alt war Zeit anders wahrnehmen musste, als Jemand mit einer normalen Lebensspanne. Ich spürte wie etwas in mir wackelte. Doch ich durfte nicht wackeln! Was ich jetzt tat galt! Es galt!

„Dann warst du damals schon kein schlechtes Wesen.“

„Du weißt was ich getan habe. Doch auch das nur zu einem Teil.“

„Ja, ich weiß es. Und ich will mehr wissen. Ich will es wissen, weil deine Vergangenheit ein Teil von dir ist. Weil ich neugierig auf dich bin und auf alles was den Charakter geformt hat, den ich kennen lernen durfte. Ein Charakter, der großartig ist. Du hast gute Seiten. Ich sehe sie. Undertaker, du bist großartig.“

Wieder schwieg Undertaker. Sein nicht lächelnder Mund war ohne seine Augen nur eine Maske, die an Ausdruck vermissen ließ. Komisch und unbehaglich. Dann ging er plötzlich ein paar Schritte in den Laden. Schließlich blieb er vor mir stehen: „Wie kannst du all das sagen? Wie willst du verkraften was ich noch alles getan habe, wenn wir beide schon wissen wozu die erste Erzählung geführt hat?“

„Ich laufe nicht mehr weg“, ich schaute fest dahin, wo seine Augen sein müssten. Weil ich es meinte. Weil ich mit jeder Faser meines Körpers spüren konnte, dass ich es genauso meinte. Ich sprach die Worte aus, ohne dass ich wirklich dachte. Sie kamen nicht aus meinem Kopf, sondern aus meinem Bauch und meinem Herzen: „Nie wieder. Ich laufe sicher nie wieder vor dir weg. Denn die einzige Richtung, die sich richtig anfühlt, ist zu dir hin.“

Vollkommen unvorhergesehen verzog sich sein Mund wieder in ein Grinsen und er lachte leise auf. Es war ein komisches Grinsen. Es wirkte nicht amüsiert, doch ich konnte nicht erklären was für ein Ausdruck wirklich darin lag: „Eh he he! Zu mir hin, ja? Wie naiv. Possierlich, doch unbeschreiblich naiv“, sein Grinsen wurde noch weiter und noch komischer: „Ke he he. Es gibt gute Gründe warum die Menschen vor mir Reißaus nehmen, Skyler. Die Instinkte der Menschen sind flach geworden. Schwach, dünn und ungenau. Doch auch sie erkennen noch, wenn der Tod vor ihnen steht. Ich bin ein Sensenmann. Ein Wesen, dessen einzige Existenzberechtigung darin liegt die Seele von Menschen aus ihren Körpern zu reißen und ihr Leben zu beenden. Doch wer entscheidet wer sterben soll? Niemand hat das Recht dazu. Niemand hat das Recht sich über das Leben zu erheben und mit dem ausgestreckten Finger Todesurteile zu verteilen. Einzig ein in Leder gebundener Stapel Papier, vollgekritzelt mit Namen und Daten, zum Bersten voll mit Fotos und Orten, Fakten und Angaben, entscheidet wer sterben soll, wann und wie. Doch es gibt Wesen, die nahmen sich dieses Recht einfach heraus. Übergingen das in Leder gebundene Papier. Nahmen sich einfach dreist das Recht, das niemandem zusteht und verfügen nach Belieben über Leben und Tod. Wesen wie mich“, er nahm seinen Zeigefinger und wischte mir behutsam, aber nur mit der Spitze seines langen Fingernagels eine verirrte Strähne aus dem Gesicht: „Du bist eine vorzügliche Rednerin. So passioniert, wenn du etwas meinst. So wunderbar wortgewandt, wenn du für einen Moment vergisst über deine Worte nachzudenken. Doch wer vor dir steht kann auch deine kleine Goldzunge nicht gut reden“, er zog seine Hand zurück: „Und ich brauche so etwas auch nicht.“

Mit langsamen Schritten ging er an mir vorbei: „Ich brauche niemanden, der das Gute an mir sucht. Keinen blauäugigen Weltverbesserer. Ich brauche niemanden, der mich oder was ich tue und sage, oder getan und gesagt habe, so hinbiegt, dass es eine tiefe versteckte gute Bedeutung hat. Ich bin solcher überdrüssig. Im Endeffekt fallen sie eh nur von ihrem Glauben ab und gehen. Und die Zeit die sie bleiben ist meist von unglaublich minderwertiger Qualität, da diese Persönlichkeiten oft unbeschreiblich nervig sind und in ihrem Gebrabbel alles andere als erheiternd, sondern eher sehr sehr einschläfernd.“

Ich drehte mich halb um. Undertaker war 2 Schritte hinter mir stehen geblieben und drehte mir so den Rücken zu. Doch ich sah, dass er an seine Decke schaute: „Jemand, der das ganze Schlechte sieht und mich trotzdem voll akzeptiert. Das wäre allerdings eine nette Abwechslung.“

Mehr als einen Moment konnte ich gar nichts tun. Ich starrte einfach nur auf die Rückseite des hochgewachsenen Sensenmannes und fühlte mich von seinen Worten regelrecht überfahren. War was er sagte doch alles in allem recht hart gewesen, hatte sein letzter Satz einen unglaublich bitteren Touch. Auch da er ihn leiser gesprochen hatte, als die Vorangegangenen. Ich fragte mich auch, was er damit meinte. Er hatte doch einige Freunde. Er war auf jeden Fall mit Amy befreundet. Und laut Amy auch recht gut mit Grell. Auch die andern Sensenmänner waren seine Freunde, wenn vielleicht auch nicht so eng. Und was war mit dem Earl und Co.? Das waren doch auch seine Freunde. Sebastian außen vor gelassen. Mit ihm war Undertaker wohl wirklich nicht befreundet. Eher war es eine Art Waffenstillstand.

Ich entschied, dass es nichts brachte mich das alles im Stillen selbst zu fragen: „Du hast doch einige Freunde.“

Undertaker seufzte: „Ke he he. Dem ist wohl so“, dann drehte er den Kopf halb zu mir. Sein Grinsen fehlte wieder komplett: „Doch keiner von ihnen akzeptiert, was damals geschehen ist. Die Reaper beispielsweise halten es mir vor. Immer wieder. Bei jeder Gelegenheit. Die Menschen lassen es außen vor. Was wohl auch wirklich das Beste ist, was ich erwarten kann. Ich erwarte auch nicht mehr. Es ist gut so.“

„Sie mögen dich trotzdem und du tust das alles ja auch nicht mehr.“

„Gewiss. Aber das ändert alles nichts daran, dass es Dinge und Seiten in mir gibt, die mich damals dazu verleitet haben mich zu entscheiden, wie ich mich nun mal entschieden habe. Ich stand nicht unter Zwang. Nie. Es waren meine Entscheidungen und sie kamen aus einem tiefschwarzen Teil von mir, den es heute immer noch in genauso großen Ausmaßen gibt wie damals. Ich habe nur jetzt etwas… Wesen… die mir wichtiger sind, als die Befriedigung meiner eklatant anders und dunkel gearteten Neugierde und Rachegelüste. Sodass ich diesen Teil von mir, der ein großer Teil von mir ist, in ein viel zu kleines Kästchen irgendwo in meiner Seele zwänge und mich drauf setzten muss um es drin zu halten“, er grinste wieder. Ein Grinsen, welches unglaublich plakativ wirkte: „Fu fu fu! Doch ich habe halt kein Größeres!“, er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und drehte sein Gesicht wieder nach vorne: „Eh he he he. Sei‘s drum.“

Nachdenklich beschaute ich ihn. Es klang, als habe er das Gefühl zwar wirklich von seinen Freunden gemocht zu werden, doch das nur in Teilen seiner Persönlichkeit. Nie ganz. Das muss ein fieses Gefühl sein. Und verstellte er sich wirklich jeden Tag so sehr?

‚Nein!‘, ich war mich sicher, dass nicht.

So stellte ich meine Tasche auf einem Sarg neben mir ab und fasste mir ein Herz. Mein Herz, das von den Ausführungen des Bestatters so schwer geworden war. Nach zwei schnellen Schritten warf ich ihm meine Arme um die Taille. Ich hielt ihn so fest ich konnte. Damit seine und meine schlechten Gefühle keinen Platz mehr hatten: „Gut und Böse sind immer nur eine Frage der Perspektive und Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. Auch auf charakterlicher Ebene. Aus meinem Blickwinkel ist deiner nicht zu so großen Teilen so schwarz. Ich finde deinen Charakter schön. Ich mag dich, Undertaker. Sehr. Mit allem, was gut und schlecht ist. Mit allem, was du getan hast. Mit jeder Entscheidung die du gefällt hast, egal wie sie aussah. Ich mag dich… und ich vermisse dich…“

Hände griffen meine Handgelenke und bogen sachte, aber bestimmt meine Arme auseinander: „Sage so etwas nicht. Tue so etwas nicht. Gehe heim, Skyler“, Undertaker lies meine Hände los: „Gehe heim und komme nicht mehr hier hin zurück.“

Meine Unterlippe zitterte. Obwohl er mir kein Haar gekrümmt und auch das Auseinanderbiegen meiner Arme nicht im Mindesten geschmerzt hatte, fühlte ich mich als habe man mich gerade zusammen geschlagen. Von allen Seiten gleichzeitig.

Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper, als ich ein paar Schritte nach hinten tapste. Ich konnte die Tränen nicht mehr halten. In mir war ein riesiges Loch. Eines der Löcher, die blutig waren. Die schmerzhaft zeigten, dass etwas fehlte.

Etwas Großes.

Direkt in meiner Brust.

Mitten in meiner Seele.

Mein Schwindel brach sich Bahn.

„Es tut mir leid“, hauchte ich, als die Tränen zu Boden tropften, mein Kopf sich drehte und meine Knie so stark zitterten, dass ich nicht sofort laufen konnte. Ich musste husten: „ Ahe! Ahe! Es tut mir so leid. So unendlich leid. Ich habe schon… Ahe! Befürchtet, dass ich nichts mehr retten kann… Ich wollte es trotzdem probieren, weil du mir so wichtig bist. Doch ich… Ich habe Schmerzen“, ich musste aufgrund eines leisen Wimmerns abbrechen, in das sich immer mehr trockener Husten mischte. Langsam richtete ich mich immer noch hustend wieder ein Stück auf und ging auf wackeligen Beinen zu meinem Beutel. Es war mehr ein Torkeln.

„Sky?“, hörte ich Undertakers Stimme aus dem Laden hinter mir. Sie klang unwirklich, verzehrt und weit entfernt: „Ist alles in Ordnung?“

Meine Ohren sausten. Mein Sichtfeld schwankte und flackerte: „ Ahe! Deine kalte Schulter tut so weh… Ahe! Ahe! Doch ich weiß“, behutsam stellte ich den Beutel auf Undertakers Tresen. Kopfschmerzen surrten durch meinen Kopf. Ich legte meine Hand auf meine pochende Stirn: „ Ahe! Dass ich das verdient habe...“, dann tapste ich weiter und öffnete mit der Anderen die Ladentüre. Die Luft die mir entgegen schlug fühlte sich noch kälter an als vorher, denn ich hatte zu schwitzen begonnen. Kalter Schweiß. Meine Hände waren klamm. Drangsaliert von einem plötzlichen Hustenanfall krallte ich mich an der Türklinke fest, als meine Kopfschmerzen drohten mich in die Knie zu drücken und der heiße Schwindel mein Sichtfeld so sehr verschwimmen ließ, dass ich kaum noch etwas sah.

„Was ist mit dir?“, zwei leise Schritte hallten Undertakers unwirklicher Stimme hinterher: „Ist dir nicht wohl?“

„Es tut mir leid. Ahe! Ahe!“, versuchte ich meine Stimme durch den mittlerweile beständigen Husten zu schieben.

„Sky?“

„Ich habe... Ahe! Ahe! Alles kaputt gemacht... Ahe! Und bin dir dann auch noch auf die Nerven gegangen... Ahe! Ahe! Ahe!“, ein ekelhaftes Ziehen in meinen Gliedern machte Körperspannung zum Folterakt. Unwillkürlich sackte ich endgültig in die Hocke, nur noch gehalten von meinem Griff an der Klinke. Mein Blickfeld drehte sich und verschwand in bunten Sternchen. Dann erschlaffte meine Hand ohne meinen Willen und rutschte von der Klinke.

„Sky!“, bevor ich auf dem Boden landete fing mich etwas ab. Dann wurde alles schwarz.
 

Ich hustete.

Ich konnte gar nicht damit aufhören. Es brannte in meinem Hals und Lungen.

Immer noch hustend öffnete ich meine Augen. Das Ziehen und meine Kopfschmerzen waren bestialisch. Ich zitterte und hatte gleichzeitig das Gefühl in Flammen zu stehen. Als der Husten abgeflaut war und ich einige gequälte Atemzüge und Schluckversuche unternommen hatte, schaute ich mich um und erkannte, dass ich in einem Sarg lag. Ich setzte mich auf um besser Luft zu bekommen, was nur in Teilen funktionierte. Da merkte ich wie mir etwas von den Schultern rutschte. Erst jetzt realisierte ich, dass ich in einige bunte und flauschige Wolldecken gewickelt war.

Die Tür hinter dem Tresen ging auf.

Der Bestatter balancierte ein Tablett auf der Hand und schüttelte die Andere. Er blieb neben dem Sarg stehen, stellte das Tablett auf einen Anderen und gab mir einen Messbecher voll Wasser. Auf dem Tablett standen noch 2 weitere mit heißem Tee und eine dampfende Schüssel Suppe. Ich kippte das Wasser meinen staubtrockenen Rachen herunter und konnte endlich durchatmen. Dann nahm Undertaker mir immer noch wortlos den Becher aus der Hand und reichte mir etwas an.

Ich wusste die Atmosphäre nicht zu deuten. Einerseits half er mir ganz offensichtlich. Doch er wirkte angespannt. Sein Mund war stumm und grinste nicht. Mit zittrigen Finger nahm ich was er mir reichte entgegen und beschaute es. Ein altes Fieberthermometer mit Quecksilber. Ich schaute Undertaker wieder an. Sein Gesicht war durch die in die Haare geschobene Brille freigelegt, seine Augen schauten mich auffordernd an.

„Ich soll…?“

„Fieber messen, ja.“

„Warum?“

„Weil es dir offensichtlich alles andere als gut geht.“

Ich blinzelte den Bestatter an. Er nickte zu dem Thermometer in meiner Hand.

Seufzend schob ich es in den Mund. Es dauerte 10 Minuten bis der Bestatter es mir wieder wortlos aus dem Mund nahm. Er beschaute es, zog eine Augenbraue in die Höhe und schaute mich an: „Warum tust du so etwas?“

„Wa-“, ich schluckte: „Was?“

„Ich habe nach dem Was zu fragen. Was bringt dich dazu mit 40,3 °C Fieber hierher zu kommen, anstatt das Bett zu hüten?“

Mir klappte der Mund auf: „40 Komma… oh.“

„Also?“

Meine Augen fielen nach unten: „Ich… Es… tut mir leid… Ich wusste, dass ich Fieber hatte, aber da war es noch nicht so hoch...“

„Wie hoch?“

„Nicht so hoch.“

„Skyler.“

Ich seufzte: „...39...“

„Wann war das?“

„...Mittwoch...“

Undertaker seufzte: „Und da warst du auch schon hier...“, seine lange Finger hoben meinen Kopf an. Seine Kälte knisterte durch meine heiße Haut. Ich konnte nicht aufhören in seine so nah vor mir leuchtenden Augen zu schauen. Sie leuchteten allerdings recht matt und trübsinnig: „Ich wusste doch, ich habe mich gestern nicht getäuscht. Skyler, du gehörst ins Bett. Wahrscheinlich seit Tagen. Seit Montag, tippe ich, da dein Fieber sicherlich von einigen unfreiwilligen Tauchgängen sonntags herrührt, habe ich recht?“

Ich nickte stumm.

„Wieso hast du dich nicht ausgeruht? Was machst du hier? Schlechter Schlaf, Krankheit, es muss dir doch schlecht gehen.“

„Ich...“, ich krampfte meine Hände in die Decke: „Wollte das wieder hinkriegen. Zwischen uns und… ich hatte das Gefühl ich hatte keine Zeit mehr. Außerdem meinten du und Ronald mal ihr könnt alle mit Schwächlingen nichts anfangen, deswegen… ich wollte nicht schwach sein… ich wollte, dass du mir glaubst, dass ich alles vertragen kann. Dass ich stark genug bin mit dir mitzuhalten… Doch Jemand, der wegen jedem Bazillus und Schnupfen umfällt, ist nicht stark… also… wollte ich… habe ich einfach weiter gemacht… Ich… Ich will auf keinen Fall, dass du wirklich gehst und da war mir das Fieber… einfach egal...“

„Ich weiß, dass du stark bist“, er kniete sich neben den Sarg. Zwei Arme zogen mich zu sich. Aufgrund dieser plötzlichen Umarmung war ich mehr als nur verwirrt. Auch stob eine bittere Angst in mir auf es könnte für immer die Letzte sein.

„Das musst du nicht beweisen. Das ist doch...“, er seufzte und ich merkte, dass er ein Stück die Schultern hängen ließ: „Wieder meine Schuld.“

„Nein!“, ich buddelte mich ein Stück aus seinen Armen und schaute ihn an: „Du hast mich nicht dazu gezwungen keine Ruhe zu halten.“

„Aber ich habe dir das Gefühl gegeben, du kannst sie dir nicht leisten.“

„Undertaker, nein! Das ist nicht deine Schuld, es ist meine und...“, ich seufzte: „Es ist auch nur eine Erkältung mit ein bisschen Fieber.“

„Ein bisschen? Damit gehen Andere ins Krankenhaus. 2° mehr und du kannst gleich bleiben wo du bist, wenn du verstehst was ich meine.“

„Es ist nur eine Erkältung…“

„Die sich wunderbar auswächst tut man nichts dagegen, läuft herum, macht Hausarbeit, Schule und Sport.“

„Es tut mir leid...“

Undertaker drückte mich wieder an sich: „Nein, mir muss es leid tun. Und das tut es.“

„Es ist alles ok, ok? Ich… möchte, dass zwischen uns wieder alles gut wird. Das ist das einzige was mich interessiert, Undertaker.“

Gewicht legte sich auf meinen Kopf und ein paar silberne Strähnen fielen vor meine Augen.

„Warum?“, sein Atem fuhr durch meine Haare während er sprach, sodass ich sicher war, dass er mit dem Kopf auf meinem lehnte: „Warum magst du mich? Wie kannst du?“

Ich krallte meine Hände in seinen Pulli: „Ich mag dich, weil ich dich toll finde. Du warst immer so lieb zu mir und jetzt“, ich atmete einmal tief durch: „Hab ich dich lieb.“

Es war nicht ganz die Wahrheit. Aber für die ganze Wahrheit war ich einfach zu schüchtern. Ich war einfach zu auf den Mund gefallen und konnte es ihm nicht sagen. Außerdem glaubte er mir noch nicht mal, dass ich ihn mag, wie soll er mir dann glauben ich würde ihn lieben? Auch war es meine Schuld, dass er nicht glaubte.

Doch obwohl es nur die halbe Wahrheit war drückte Undertaker mich noch fester: „Du hast dich doch schon so oft über mich beschwert.“

„Ich weiß nicht warum“, antwortete ich ehrlich: „Denn eigentlich stört mich das alles gar nicht. Von dir erschreckt zu werden, deine plötzlichen Themenwechsel und deine komischen Angewohnheiten. Sie sind in dem Augenblick vielleicht seltsam, vielleicht auch mal sehr seltsam, doch im Endeffekt stört es mich nicht mehr sobald du lachst.“

„Warum?“

„Weil ich dein Lachen mag, Undertaker. Ich mag deinen Frohsinn und auch deine total übertriebene Heiterkeit. Ich mag dein Grinsen und dein Kichern. Wenn du vor Lachen um oder irgendwo runter fällst. Ich mag dein Honigkuchenpferd-Grinsen, wenn du was angestellt hast und ich mag dein weiches Lächeln, wenn du mal nicht albern bist. Ich mag die Momente, in denen du ruhiger bist und was erzählst. Ich mag viel an dir. Ich glaube... ich beschwere mich nur, weil du deswegen auch immer wieder zu lachen anfängst...“, ich merkte wie sich ein paar dicke neue Tränen ihren Weg brachen: „Und ich habe trotz allem so riesen Mist gebaut. Ich habe nicht nachgedacht, Undertaker. Du hast alles Recht dazu, aber bitte. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich...“

„Ich bin nicht sauer auf dich. Ich war es nie.“

Verwundert nahm ich meinen Kopf aus dem Stoff seines Pullis und schaute auf. Als ich meinen Kopf in den Nacken gelegt hatte bekam ich etwas, was ich nur mit einem Schock beschreiben konnte. Denn 2 Tropfen fielen mir entgegen und landeten auf meinem Gesicht. Dann noch einer. Sie tropften mir von seinen Wangen entgegen. Mit großen Augen starrte ich in sein Gesicht und konnte nicht glauben was ich sah: Er weinte.

Er neigte seinen Kopf nach unten um mich anzuschauen. Ich schaute in seine strahlend grünen Augen, die ich noch nie so dunkel gesehen hatte. Der dunkle Schatten in seinem satten Grün und die stummen Tränen, die ihm noch nicht einmal ein schweres Atmen, Seufzen oder leises Wimmern entlockten, waren ein Bild, das mir das Herz zerriss.

Und anstatt sich seines eigenen Gesichtes anzunehmen, nahm er eine Hand von meinem Rücken und wischte behutsam die Tränen von meiner Wange: „Ich wollte genau das verhindern. Ich wollte es nicht mehr sehen. Ich wollte nicht mehr sehen, wie du weinst. Wollte nicht mehr, dass dir irgendetwas schmerzt. Ich will das Beste für dich, denn nur das ist gut genug für dich. Doch“, er schloss seine Lider mit diesen endlos langen Wimpern. Zwei weitere Tränen flohen dadurch in die Freiheit. Sie tropften von seiner blassen Haut, als er die Augen wieder aufschlug und trafen abermals meine Wange: „Das bin definitiv nicht ich.“

Ich streckte eine Hand nach oben. Sachte legte ich sie auf seine kalte Wange und wischte mit dem Daumen die kleinen Tropfen fort, während ich seine getrübten Augen beschaute: „Wie geht es dir, Undertaker?“

Sein Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln, was das Bild noch viel tragischer aussehen ließ: „Nicht sonderlich gut.“

Ich wechselte die Hände und strich über seine zweite Wange: „Warum?“

„Weil ich dich vermisse.“

Ich ließ meine Hand auf seiner Wange: „Ich bin hier.“

„Aber das ist nicht gut für dich“, Undertaker schloss wieder seine Augen: „Höre auf so nett zu mir zu sein“, flüsterte er kaum hörbar und legte seine Stirn an meine: „Ich will dich nicht noch mehr verletzen. Aber ich werde es tun. Immer und immer wieder. Das ist unvermeidlich. Deswegen muss ich dafür sorgen, dass du mir fern bleibst. Egal wie wenig ich es will. Dein Wohlbefinden ist wichtiger.“

Ich nahm meine Hand von seiner Wange und faltete meine Arme um seinen Hals: „Das ist Blödsinn, Undertaker.“

Undertaker nahm sein Gesicht ein Stück hoch und schaute mir direkt in die Augen. Er hatte zu weinen aufgehört, doch seine Augen waren noch ein wenig feuchter als sonst. In Kombination mit dem schwachen Leuchten seiner Pupillen in dem schummrigen Licht des Ladens ein atemberaubender Anblick. Ich lächelte ihn an und zog eine Hand wieder nach vorne auf seine Wange um mit dem Daumen über sein Gesicht zu streichen, während ich weiter in seinen Augen versank: „Ich möchte auch nicht, dass du weinst. Und du siehst immer mal wieder aus, als würdest du gerne weinen, tust es aber nicht. Ich möchte nicht, dass du immer wieder so traurig schaust. Du hast so tolle Augen. Ich will nicht, dass dieser blöde traurige Schatten immer wieder dadurch schleicht und sie so furchtbar matt macht.“

Besagte tolle Augen wurden weiter, doch der Totengräber schaute mich nur an.

„Denn dann sehe ich genau, dass dich auch etwas schmerzt und das möchte ich auch nicht. Auch ich hätte dich gerne nur lachend und gut drauf. Doch das Andere scheint zu uns zu gehören. Ich bin empfindlich und nah am Wasser gebaut. Und du. Du leidest immer öfter stumm und kaum ersichtlich vor dich hin und redest nie darüber“, ich schüttelte betont ein wenig mit dem Kopf: „Du hast mir nicht weh getan. Nie. Ich habe mich nur erschreckt. Alles was folgte resultierte aus einem Ärger von mir gegen mich. Weil ich etwas getan habe, was so krass war und wahrscheinlich war es auch der ultimative Verrat an dich. Denn damit wirkte es so, als würde ich dich nicht mögen, oder Angst vor dir haben und das ist beides Quatsch. Das stimmt nicht. Es war gruselig, ja, was du erzähltest war grausam, ja, aber deswegen mag ich dich nicht weniger. Wenn du denkst du seist nicht das Beste für mich, irrst du. Denn gerade du bist es. Glaube mir, noch nie hat mir jemand so gut getan wie du. Nicht einmal Amy. Denn abgesehen von diesem einen verflixten Freitagabend, habe ich durch dich viel öfter gelacht, viel mehr gelächelt und viel weniger geweint. Ich hatte Bauchweh vor Lachen und nicht mehr vor Kummer. Du machtest alles so viel besser.“

Eine Idee schoss durch meinen Kopf. Sie war etwas heikel. Nein, eigentlich war sie ziemlich heikel, doch in mir schrie etwas, dass sie richtig war. Ich drückte den morbidesten Totengräber ganz Londons einen Kuss auf die kalte Wange: „Danke für alles, Undertaker.“

Mein Gesicht war kurz davor Feuer zu fangen. In meinen Kopf hatte ich schon in dem Moment, wo meine Lippen seine Wange berührt hatten, damit angefangen für die Richtigkeit dieses nicht unterdrückbaren Impulses zu beten. Als ich knallrot im Gesicht, aber doch neugierig auf seine Reaktion, in das Gesicht des Totengräbers schaute, sah er mich mit Augen an, die die Größe der phantomhivischen – und ich war mir sehr sicher die hatten Übergröße! - Suppenteller angenommen hatten. Er blinzelte mir immer wieder recht langsam entgegen. Dann legte er genauso langsam eine Hand auf die Stelle, wo ich ihn geküsst hatte. Nach ein weiteren paar Mal blinzeln kräuselten sich seine Mundwinkel nach oben und sein Gesicht hellte schlagartig um mindestens 5 Nuancen auf: „Eh he he he! Skyler Rosewell? Du bist der helle Wahnsinn.“

Ich konnte nicht anders als mitzulachen: „Dann bist du der blanke Wahnsinn!“

Gleichzeitig fielen wir einander um den Hals.

„Fu fu fu. Wie recht du hast“, lachte Undertaker direkt neben meinem Ohr. Und mit diesem Lachen kippte die ganze Atmosphäre. Mit diesem Lachen und dieser Umarmung war alles auf einmal wieder herrlich warm und unglaublich vertraut. So leicht und einfach.

„Undertaker?“, ich löste die Umarmung, doch schnappte mir sofort seine Hände. Von unten lugte ich in sein Gesicht.

„Hm?“, legte er sein grinsendes Gesicht schief und ich merkte, dass der Schatten aus seinen Augen zu einem großen Teil verschwunden war.

„Ist… also… Ist jetzt alles wieder wie vorher? Keine kalte Schulter mehr? Darf ich wieder einfach so vorbeikommen?“

Undertaker lachte auf: „Ehehehehehe! Du bist doch so oder so einfach vorbei gekommen, oder?“

„Ähm“, machte ich sehr geistreich: „War das… sehr schlimm?“

„Fu fu fu. Nur, wenn sich für dich nicht richtig anfühlt was du erreicht und getan hast.“

„Also getan… Eigentlich schon. Aber… was habe ich denn erreicht?“

Undertaker seufzte zwar kurz, doch sein Grinsen blieb: „Wenn du dir wirklich sicher bist. Wenn du es wirklich willst. Dann kannst du mich jederzeit besuchen kommen.“

Mir kullerten die Steine in Sinnfluten vom Herzen: „Echt?! Und, und… Keine kalte Schulter mehr?“

Er schüttelte kurz den Kopf.

„Ehrlich?!“

„In der Tat.“

„Du hast mir verziehen!?“

„Es gab nie etwas zu verzeihen.“

„Du bist nicht mehr sauer auf mich?!“

„Nein, Sky, war ich nie.“

„Nicht gekränkt?!“

„Nein.“

„Nicht beleidigt?!“

„Nein.“

„Nicht…!“

Undertaker griff mich an den Schultern: „Ich hege und hegte dir gegenüber nie irgendwie geartete negative Gefühle, so glaube mir doch.“

Mir entfuhr ein Quietschen. Ich schlug die Hände vor den Mund um es auf zweitem Wege zurück zu halten. Dann fiel ich dem Bestatter um den Hals.

Zwei Arme schnappten und hielten mich. Fest und eng. Ich fühlte mich so sicher. Denn ich war mir so sicher, hier war der sicherste Platz der Welt. Für meinen Körper und meine Seele. Hier. In Undertakers Armen.

„Darf ich direkt etwas bleiben?“, nuschelte ich in seine Schulter.

„Du musst.“

Ich blinzelte ihm entgegen: „Wie?“

„Nun“, er strich mir behutsam eine Strähne aus dem Gesicht und legte seine Hand auf meine Stirn. Die Kälte seiner Hand surrte knisternd und angenehm durch meine fiebrige Stirn: „Du hast hohes Fieber. So lasse ich dich sicherlich nicht durch die Weltgeschichte wandern. Außerdem ist die Sonne schon untergegangen.“

„Bitte?!“, Lowell bringt mich um...

„Ruhig. Schone dich endlich. Ich habe Amy ge... simst?“, er wedelte mit einer Hand: „Na, diese komischen kleinen Texte in diesem komischen kleinen grünen Programm.“

Ich musste kichern. Ich fühlte mich endlich wieder leicht genug es zu tun. Außerdem schien Undertaker von seinem neuen Handy noch nicht wirklich überzeugt, was auf seine ganz eigene Art und Weise wirklich knuffig war: „Du hast ihr eine WhatsApp-Nachricht geschrieben.“

„Heißt das so?“, legte er seinen Arm wieder um meine Schulter.

Ich kicherte wieder: „Ja, tut es.“

„So lang?“, er lachte kurz: „Fu fu! Kein schmissiger Netzjargon, den ich nicht entziffern kann?“

Ich überlegte, während ich mich bemühte nicht laut loszulachen: „Ähm... Kihi! Also, nicht das ich wüsste. Höchstens, dass man das 'Nachricht' weglässt.“

„Wie auch immer“, giggelte Undertaker mit einem irgendwie zufriedenen Gesichtsausdruck und hatte immer noch die Arme um mich herum. Er machte keine Anstalten dies zu ändern und in mir glomm ein warmer Funken auf, der sich schnell überall hin ausbreitete und die kranke Hitze ein Stück verdrängte. Undertaker fuhr derweilen fort: „Deine Lehrerin weiß jedenfalls, dass du auswärts übernachtest. Mache dir darum keine Sorgen, meine Schöne.“

„Deine... Schöne?“, ich machte große Augen. Obwohl er mich schon oft so genannt hatte, ich hatte nie verstanden wieso. Doch ich war immer zu verschämt gewesen nachzufragen. Ich konnte nicht glauben, dass es mich wieder so nannte. Ich dachte er täte es nie mehr. So war mir die Frage rausgerutscht.

Undertakers Hand auf meiner Wange holte mich aus meinen Gedanken über die unüberlegte Frage: „Du bist schön. Eine Augenweide!“, er tippte mir auf die Nasenspitze: „Und wage es ja nicht mir zu widersprechen.“

„Du…“, ich konnte ein Lächeln nicht verhindern: „Siehst auch gut aus.“

„Ni hi hi. Danke für die Blumen. Ich war bei der Wahl einer Ausweichgarderobe auf mich allein gestellt und habe nicht damit gerechnet, dass etwas halbwegs ansehnliches dabei herum kommt“, lachte Undertaker, klappte eine Hälfte des Sargdeckels über meine Beine und setzte sich darauf. Dann gab er mir die Suppenschüssel: „Doch ich habe ständig vergessen meine Kleider bei euch abzuholen. Ich erlöse euch morgen davon, versprochen.“

Leider war dieses nett gemeinte Versprechen für mich ein zweites Mal ein halber Weltuntergang. Ich konnte es nicht verschweigen. Wenn Undertaker es sah, ohne dass ich vorher einen Ton sagte, würde es nur viel schlimmer werden: „Ich… muss dir etwas beichten...“

„Hm?“, Undertaker schaute mich fragend an. Da die Brille immer noch die Haare fern hielt sah ich seine Augen, die mich fast irritiert anblinzelten: „Was denn?“

„Ich… habe deine Kleider gewaschen...“

„Wie liebreizend! Aber warum nennst du so etwas Beichte?“

„Ich habe… alles gewaschen...“

„Ja?“

„Auch… deine“, ich schluckte und schaute auf die Schüssel: „Hose...“

„Oh oh.“

„Ich hab irgendwie… nicht mehr dran gedacht, dass es… Leder ist.“

„Doppel Oh oh.“

„Und… und… und...“

Zwei Hände griffen meine Schultern: „Ist sie noch zu retten?“

Ich schaute ihm von unten ins Gesicht.

„Nein...“, fiepste ich.

Doch Undertaker fing an zu lachen, was mich im hohen Maße verwirrte: „Ehehehehe! Dann ist dem so. Sie hat mir lange treu gedient.“

„Es tut mir leid...“

„Sky, es ist nur eine Hose. Außerdem war sie alt und wäre wahrscheinlich eh bald über den Jordan gegangen. Du hast es lediglich ein wenig vorgeschoben“, er strich mir mit seiner kalten Hand über meine fieberheiße Wange: „Nun iss etwas. Es wird dir gut tun.“

Ich schaute wieder auf die Schüssel in meinen Händen. Die Suppe dampfte und roch herrlich: „Hast du wirklich...?“

Ein lautes Auflachen des Totengräbers ließ mich in der Mitte abreißen: „Pahahahahahaha! Bitte denke nicht ich habe gekocht! Ich kann nicht kochen!“

Ich blinzelte ihn an: „Echt jetzt?“

Er nahm grinsend einen Messbecher: „So wahr ich hier sitze.“

„Du kannst nicht kochen?“

„Nicht im entferntesten“, er nahm einen Schluck Tee ohne seinen Blick von mir zu nehmen.

„Aber“, ich blinzelte „Du wohnst doch alleine hier, oder?“

„Wer sollte denn mit mir hier wohnen?“, er nahm einen zweiten Schluck Tee.

„Also... ich... ähm“, haspelte ich und kam nicht weiter. Ich erinnerte mich, dass Amy mir schon erzählt hatte, dass Undertaker noch nie gebunden gewesen war.

Der Totengräber aber kicherte: „Vielleicht findest du eine Hand voll Spinnen oder die ein oder andere Maus, die schon etwas länger hier heimisch sind, mehr aber nicht. Warum ist dies für dich interessant?“

Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss. Die Kopfschmerzen, die bis eben so unwichtig gewesen waren, dass ich sie gar nicht mehr gespürt hatte fingen aufgrund dessen an zu wummern: „Öhm höm nöm... äh... Wenn du alleine wohnst und nicht kochen kannst, was isst du dann den ganzen Tag?!“

„Kekse“, erwiderte er in einer, mir fast die Sprache aus dem Mund nehmenden, Selbstverständlichkeit.

„Nur Kekse?!“, polterte es aus mir heraus.

Undertaker lachte schrill: „Und Marmite!“

„Pfui!“, ich schüttelte den Kopf: „Willst du mir sagen, dass du dich überwiegend von Keksen und Marmite ernährst?!“

„Nun, ke he he ja, so sieht es wohl aus.“

„Das kann nicht gesund sein!“

„Vergiss nicht, dass ich kein Mensch bin.“

„Trotzdem!“

„Es geht mir gut, fu fu fu!

Ich wollte weiter protestieren, doch Undertaker legte mir seinen langen Zeigefinger auf die Lippen: „Doch da ich mir bewusst bin, dass du weder meine Kekse noch Marmite sonderlich erquicklich findest, wu hu hu hu, habe ich den Lieferservice angerufen.“

„Lie...“, ich zog seinen Finger von meinen Lippen und blinzelte ihn an: „Lieferservice?“

Undertaker grinste von einem Ohr bis zum anderen: „Ni hi hi hi! Den Earl.“

„Alexander?!“

„Jup“, der Totengräber überschlug die Beine und nippte an seinem Tee: „Amy schrieb dein Appetit war die vergangene Woche rar gesät bis vollkommen verdorrt. Da dir schon schwarz vor den Augen wurde, dachte ich etwas zu essen wäre eine nicht ganz so schlechte Idee. Doch da ich selbst nichts als komischen Glibber und toxischer Brühe zusammengerührt kriege, rief ich den Earl an. Der übergab meine Bitte an den Butler. Der ist im Kochen doch um einiges kompetenter als ich. Hat mich einige Rabatte gekostet, aber deine Gesundheit ist es mir wert.“

Ich wusste nicht warum, aber mir stiegen die Tränen in die Augen. Mit einer Hand schnappte ich seine: „Undertaker?“

„Hm?“

Ich merkte wie sich mein Mund zu meinem Lächeln verzog, während mir gleichzeitig eine Träne aus dem rechten Auge floh: „Danke für alles.“

„Nicht. Es ist selbstverständlich“, er stellte den Messbecher ab und wischte mit der nun freien Hand den Tropfen von meiner Wange: „Du bist erkältet. Hast Fieber. Kaum gegessen und nur sehr schlecht geschlafen. Iss. Danach schlafe ein wenig. Vielleicht funktioniert es hier besser. Erhole dich etwas“, er strich weiter über meine nun trockene Wange und legte mit seinem samtweichen Lächeln den Kopf schief: „Erweise mir die Ehre und sei mein Gast.“

Mein Lächeln wurde weiter. Meine Hand drückte seine fester: „Ich würde nirgendwo lieber sein.“
 

Undertaker

Das Gefühl in mir war ekelhaft, als ich schnell über die Dächer des nächtlichen Londons sprang.

Es schmerzte.

Es war traurig, kalt und endlos bitter.

Mein Innerstes war zum Zerreißen gespannt. Ich wusste weder was ich dagegen tun sollte, noch ob ich es irgendwie kompensieren konnte.

Ich hatte diesem Gefühl einfach nichts entgegen zu setzen.

Und ich wusste, dass ich es vorerst nicht loswerden würde.

War ich jetzt auf meinen Heimweg stand es außer Frage, dass ich nicht lange daheim bleiben würde. Ich hatte keine Ahnung was Skyler so verängstigt hatte. Noch weniger wusste ich, ob es plante sie wieder heimzusuchen.

Ich wollte nach Hause meine Kleider wechseln. Zum einem, da ich dieser unsäglichen Jogginghose wirklich nichts abgewinnen konnte und zum anderen, da diese Kleider sehr prägnant nach Lavendel rochen.

Nach Lavendel und Seife.

Ein Geruch, den ich mittlerweile sehr gut kannte. Er wehte immer um eine junge zierliche Dame mit großen himmelblauen Augen herum.

Ich mochte diesen Geruch.

Er war natürlich, unaufdringlich und doch angenehm blumig. Doch im Moment wog sich sein Wohlgeruch mit Pein auf.

Auch musste ich verschwinden, damit Sky etwas Ruhe und Frieden fand. Ihre Nerven lagen blank genug, da musste ich sie mit meiner Anwesenheit nicht auch noch weiter ängstigen.

Ich würde da sein. So lange dieses Etwas eine potenzielle Gefahr darstellte, würde ich sicherlich nichts dem Zufall überlassen. Doch ich wusste genauso gut, dass Sky dies nicht wissen durfte. Ich wollte, dass sie sicher und angstfrei war und ich... machte ihr Angst.

Ich war so sehr mit diesem klirrenden Gefühl beschäftigt, dass mir der schwarze Schatten unter mir auf der Straße fast entging.

Meine Mundwinkel zuckten wieder ein Stück nach oben, als ich ihn als den Butler identifizierte. In mir glomm düstere Vorfreude.

Der Butler war mir an der Themse nicht nur furchtbar auf die Nerven gegangen, nein, vor allem hatte er mich extrem verbiestert. Mit einer Aktion. Und diese Wut freute sich nun auf die nahende Kompensation.

Denn sie konnte ich kompensieren.

Ich konnte und ich würde!

So sprang ich auf den Schemen zu.

Um einen Häuserblock nicht ausweichen zu müssen sprang der Schatten in die Luft. In dem Moment wo ich ihn erreichte.

Er sprang genau in meinen Fuß...

...Und es fühlte sich herrlich an!

Nicht, dass ich es mir hätte nehmen lassen, ihm mit reichlich Schwung entgegen zu kommen.

Der Dämon schwirrte ab und verschwand in einer großen Staubwolke in dem Asphalt einer Londoner Straße.

Ich landete auf der Stuckleiste eines Parterrefensters, während sich der Butler aus dem Straßenbelag sortierte. Der Dämon richtete sich auf und sah mich an, während er sein Jackett zurecht zupfte: „Du könntest das nächste Mal deine, wenn auch nur noch spärlich vorhandene, Manieren beschwören und höflich fragen, ob ich gerade etwas Zeit übrig hätte. Doch ich übergehe einfach diesen Fauxpas. Wie kann ich dir behilflich sein?“

Ich hob ein Stück den Kopf, als sich in mir noch mehr Verachtung gegenüber dem Teufel anhäufte: „Du weißt genau worum es geht.“

Der Butler strich sich angelegentlich einige Steinchen aus den Haaren: „Natürlich. Lady Rosewell“,Sebastian sah mich mit einem wissenden Gesichtsausdruck an und kam ein paar Schritte auf mich zu: „Doch sie hat ihr kleines Abenteuer unbeschadet überstanden, oder ir...!?“

In dem Moment versenkte ich meine Faust in des Butlers Gesicht. Ich trat ihm in den Magen, sodass er nach hinten strauchelte. Es krachte, als ich sein Gesicht griff, seinen Hinterkopf auf ein Autodach schlug und ihn dann rücklings mit meinem Arm an seiner Kehle dagegen drückte.

„Was nicht dir geschuldet ist“, zischte ich dem Dämon entgegen. Das Dach knarzte unheilvoll unter seinem Rücken. Aus seiner Nase floss ein dünnes Blutrinnsal und er hatte einen Zähne gebleckten, angestrengten Ausdruck im Gesicht: „Die beiden Mädchen stehen vor einem ausgewachsenen Leviathan, Sky riskiert ihr Leben um das Leben der Tochter deines Meisters zu retten, es wäre ein Leichtes für dich beide zu retten und du tust es nicht?“

Trotz seiner schlechten Position legte sich ein süffisantes Lächeln auf seine menschliche Maske: „Wer bin ich denn dir die Rolle ihres glänzenden Helden abzujagen?“

Meine Verachtung stand kurz vor einer Explosion.

„Spare dir deine kecken Sprüche, Dämon“, knurrte ich dem Teufel entgegen: „Es stand in den Sternen, ob ich pünktlich gewesen wäre. Wäre William nicht in die Bresche gesprungen, weiß nur der Wind wie dieser Tag für Sky geendet hätte.“

„Es ist alles blendend gelaufen. So wie geplant. Ich habe schon der jungen Lady versichert, dass Lady Rosewell nie in wirklicher Gefahr schwebte.“

„Sie wurde fast ertränkt, Butler.“

„Was du zu verhindern wusstest“, Sebastian lächelte weiter: „Und niemals zugelassen hättest, nebenbei erwähnt. Es ist die Aufgabe eines Butlers zu sehen, was die Personen wünschen denen er, wenn auch nur temporär, zugeteilt ist. Lady Rosewell wollte nicht von mir gerettet werden. Dies ist deine Aufgabe. Du hast es selbst zu deiner gemacht, nun kümmere dich auch darum. Natürlich, ich hätte ihren Körper retten können“, seine rostroten Augen blitzten mich an: „Doch ihre Seele, die kann ich nicht retten. Das kannst nur du.“

„Spare die dein Geschwafel, Dämon. Tue nicht so, also ob du etwas von Seelenrettung verstehen würdest.“

„Ah“, dem dämonischen Butler entfuhr ein kurzes, doch wahrlich amüsiertes Lachen: „Und du, nicht nur ein Shinigami, nein, sondern auch der 'silberhaarige Deserteur ohne Brille' wie dich die Grim Reaper seit den Vorfällen auf der Campania nennen, die dich suchen um dich wegen 100ten gebrochenen Regel zu exekutieren, der zuvor selbst tausende von Jahren Seelen aus menschlichen Körpern gerissen hat und als er darauf keine Lust mehr hatte entschied frohen Mutes daran herum zuschneiden und etliche Menschen in die nasse Verdammnis zu stürzen, verstehst mehr davon?“

Die Worte des Dämonen-Butlers provozierten mich und ich konnte den Ärger gerade so mit einem kalten Lächeln aus meinen Gesicht fernhalten: „Der Tod ist oft eine Art Erlösung. Gerade Sensenmänner retten Seelen“, wieder lachend streckte ich dem Butler den Zeigefinger meiner freien Hand ins Gesicht: „Eh he he! Vor fresssüchtigem Abschaum wie dir, unter anderem“, ein zweites Mal schlug ich ihm unvermittelt ins Gesicht. Dann packte ich ihn am Kragen und zog seinen Kopf zu mir: „Wage es nicht, mich mit dir über einen Kamm zu scheren und überschätze nicht die Dicke des Eises, auf dem du wandelst. Du musst mich nicht wütend machen“, bedrohlich leise wisperte ich in das Ohr des Dämons: „Ich bin es schon. Es ist pure Selbstbeherrschung und blanker Respekt gegenüber des Earls Entscheidungen, dass ich dich nicht gleich in das dunkle Höllenloch zurücktrete, aus dem du einst gekrochen bist. Wie sicher du dir warst, interessiert mich nicht. Welchen Plan du dir erdachtest und wie gut er funktionierte, ist mir vollkommen egal.“

Ein weiteres dunkel amüsiertes Lachen des Dämons, als er meine Hände griff und daran zog. Er tat trotz allem, als habe er die Situation im Griff, doch ich merkte, wie angeschlagen er war. Sebastian hatte heute schon einen Leviathan zu besiegen gehabt und hatte nun auch noch ein Problem mit mir. Beides Gegner, die ihn nicht begeisterten, weil er nicht mit einem 100% eindeutigen Sieg, aber sehr sicher mit Schmerzen rechnen konnte. Eine Rechnung, die er sich besser zweimal überlegt hätte,denn so geschwächt standen die Variablen für ihn schlecht. Was nicht hieß, dass er seinen Stolz und damit seine Zunge auch nur ansatzweise im Griff hatte: „Du bist immer so possierlich protektiv, wenn es um diese spezielle junge Dame geht.“

„Wenn du nicht herausfinden willst wie 'possierlich protektiv' ich in Bezug auf 'diese spezielle junge Dame' wirklich bin, gehst du das nächste Mal auf Nummer sehr sehr sicher. Denn sei dir gewiss, Butler, sehr gewiss, passiert dies ein weiteres Mal war der heutige Tag ein Spaziergang bei eitel Sonnenschein. Nimm dir meine Worte lieber zu Herzen.“

Sebastian schaffte es meine Hände von seinem Kragen zu ziehen, fand einen sicheren Stand und richtete seine Krawatte: „So, so, ich verstehe. So weit ist es also schon mit dir gekommen“, der Dämon wandte sich um, eine weise Entscheidung, die ihm wahrscheinlich sein Leben rettete. Und das wussten wir beide: „Ein nutzloses Gefühl dem du erlegen bist. Gehe du lieber 'auf Nummer sehr sehr Sicher', dass nicht der falsche Dämon zu verstehen beginnt, wie groß der Narr ist, den du Narr dir an der jungen Lady Rosewell wirklich gefressen hast. Das wäre strategisch doch sehr ungünstig.“

Dann verschwand der Dämon.

Mir entfuhr ein verächtliches Zischen: „Kleiner Dämonenwurm!“

Dann machte ich mich weiter auf den Weg gen Heimat. Doch die Worte des Butlers klingelten lauter in meinen Ohren, als mir lieb war.

Zuhause angekommen zog ich schnell andere Kleider an.

Da meine übliche Garderobe unpässlich war, zog ich die schwarze Jeans und ein schwarzes Hemd, sowie meine Halbschuhe an. Kein wirklich kreatives Assemblee, doch konnte ich mit ihm am besten leben.

Anschließend räumte ich die Überreste des Sarges und des Regals - die immer noch erlegt von meinem freitäglichen Wutanfall auf dem Boden neben meiner Ladentüre lagen - in meinen kleinen Werkraum, der Schreinerei, Steinmetz- und Metallwerkstatt zugleich und durch eine Tür zwischen den Regalen des Sezierraum erreichbar war.

Dann endete ich mit aufgestützten Armen auf meinem Tresen und philosophierte grummelnd über mein ‚Gespräch‘ mit dem Butler.

Ich war wütend.

Wütend auf den Dämon mit seiner vorlauten Klappe. Diese ganzen Worte, die mich doch so hart getroffen hatten.

Ich wollte mir das Geschwafel des Dämons nicht so zu Herzen nehmen. Man konnte einen Dämon, der über Gefühle sprach, einfach nicht ernst nehmen. Doch etwas in mir tat es. Denn es gab etwas in mir, das wollte, dass der Butler Recht hatte. Denn wenn Skyler wirklich von mir gerettet werden wollen würde, nach wie vor, hieß dies, dass sie alles was sie gesagt hatte wirklich meinte. Ich wollte nicht, dass all diese Worte nur nett gemeinter Nonsens oder ihrer Überreiztheit geschuldet war. Ich stemmte meine Augen in eine Handfläche, als ich verstand, dass ich einfach nichts verstand. Diese ganze Situation war paradox. Eigentlich hatte ich ja meinen Spaß am paradoxen, doch diese Situation war alles, nur nicht lustig. Ich erinnerte mich daran, wie sehr sie geweint hatte. Wie gepeinigt mir ihre rot geweinten Augen entgegen geschaut hatten. Wie verzweifelt sie geklungen hatte, als sie mich bat zu bleiben. Und wie sie letzten Endes doch Reißaus von mir genommen hatte.

Wollte sie, dass ich bleibe?

Hatte sie die Wahrheit gesagt?

Oder wollte sie nur nett zu mir sein, da sie dachte ein weiteres Mal in meiner Schuld zu stehen?

Paradox.

Dieses Mädchen und das ganze drum herum, machten einfach keinen Sinn.

Es machte auch keinen Spaß nach dem Sinn zu suchen.

Der Splitter in mir glühte erneut. Mein Kopf war heiß gedacht. Mein Herz zog sich zusammen.

Schmerzhaft.

Mein ganzer Brustkorb folgte. In mir schreckte etwas auf, aufgrund dieser heftigen körperlichenReaktion auf mein verbittertes Seelenleben. Ich legte eine Hand auf meinen verspannten Oberkörper: ‚Was ist das?‘

Ich kannte dieses Gefühl, doch in diesem Kontext konnte ich es erst nicht einordnen.

Einige Male hatte ich schon seelisch so sehr gelitten, dass es in körperliche Schmerzen umschlug. Die Situation war immer die Gleiche gewesen, doch eine andere als jetzt. Das letzte Mal war 130 Jahre her.

Sky war nicht tot.

Sie lag nun wahrscheinlich bei sich Zuhause in ihrem Bett und schlief.

Und doch hatte mich dasselbe Gefühl fest im Griff, wie es mich immer überkommen war, als die andern Ersten und auch Vincent verstorben waren.

Ich schüttelte die Erinnerungen an sie aus meinen Kopf.

Als sie mich verlassen hatten zwang ich mich tief durchzuatmen. Die Verkrampfung löste sich ein Stück und mein Kopf spuckte mir eine Bezeichnung für das Gefühl entgegen: Liebeskummer.

Ich überlegte, warum sich diese Gefühle so ähnlich waren.

Schnell kam ich auf die Antwort, dass es immer das Gefühl war etwas Wichtiges verloren zu haben.

Jemanden, den man liebt.

Für immer.

Mir entfuhr ein Seufzen.

Ich fühlte mich recht ermattet, doch ich musste weiter. Ich hatte schon zu viel Zeit vertrödelt und im Wohnheim könnte alles passieren. So ging ich an meinen Tresen vorbei, tätschelte beiläufiges Merkenaus Kopf, der aus meiner Keksurne aufgetaucht war und mir müde entgegen krächzte und verließ dann den Laden wieder.
 

Ich brauchte nicht lange bis ich das Wohnheim erreichte.

Brille auf der Nase bezog ich Posten auf dem Baum vor den Fenstern der Mädchen.

Schließlich wusste ich nicht, ob das Etwas wiederkam und sich abermals an Skyler vergriff. Auch musste ich das Zimmer der schönen Brünetten erst noch finden. Wenn ich das Apartment und was ich davon gesehen habe nicht ganz falsch einschätzte, müsste Skys Zimmer genau neben der Stube liegen. In der Gewissheit, dass mich niemand sehen konnte, balancierte ich an die Spitze eines dicken Astes, setzte meine Brille auf die Nase und spähte durch das Nachbarfenster des Wohnzimmers. Doch ich sah nur violette Satin-Gardinen.

Lautlos sprang ich auf das Stück Fensterbank, welches eigentlich für Blumenkörbe gedacht war und machte wischende Bewegungen mit meinem beringten Zeigefinger. Die Gardinen hüpften vom Fenster weg und gaben den Blick auf den Raum frei.

Das Interieur des vielleicht 12 m² großen Raumes war stämmig, dunkel und bescheiden. Der Parkettboden und die halbhohe Wandvertäfelung waren aus dunkelbraunem, massivem Holz. An den Wänden aufgebaut in Holzkassetten mit abgeplatteten Feldern, die plastisch hervorstachen, abgeschlossen mit einer hervorstehenden Holzbordüre, wie es in viktorianischen Stil gängig war. Der obere Teil der Wände war schlicht weiß tapeziert. Auf dem Boden lag in der Mitte des Raumes ein großer, runder, violetter Teppich mit dem schwarzen Logo der Wölfe. Erst fiel mein Blick auf die Wand dem Fenster gegenüber, in der sich die geschlossene Zimmertüre befand. In der Ecke links davon stapelten sich – recht wirr, lieblos und unachtsam aufeinandergestellt, wenn nicht sogar geschmissen - bearbeitete Leinwände sicherlich 1 ½ Meter hoch. An der rechten Wand stand ein großer, dunkler Kleiderschrank im schlichten, altmodischen Design mit einem großen Spiegel an einer Tür. Direkt unter dem Fenster stand ein rustikaler Holz-Schreibtisch, unter den ein schwarzer Bürostuhl auf Rollen geschoben war. Auf dem Schreibtisch lag ein silberner Laptop an dem ein Lämpchen immer mal wieder vor sich hin blinkte, eine Federmappe, ein linierter und karierter Block, sowie ein Skizzenbuch mit Blanko-Blättern, umgeben von zahllosen losen Stiften, etlichen Kohle- und Pastellkreiden, einem bis eineinhalb Rudeln Acrylfarbtuben, Pinseln in allen Größen, Arten undFormen, sowie einem leeren mit Farbe verschmierten Wasserbecher, einem Taschenrechner, einem Geodreieck und einem Zirkel. In der von mir aus rechten Ecke stapelten sich darüber hinaus noch 4 verschieden große unberührte Leinwände und neben dem Schreibtisch stand eine hölzerne Staffelei.

Auf der Tischplatte herrschte - um es direkt auszudrücken - das pure Chaos. Der Schreibtisch war der Schreibtisch eines Künstlers, wie ich ihn kannte. Ich hatte schon viele sehr gute und sehr kreative Künstler getroffen und auch wenn sie nicht alle zwingend in allen Bereichen körmelig waren, ihre Kreativ-Stätte war immer ein heilloses Durcheinander gewesen. Und umso kreativer der Kopf gewesen war, umso schlimmer fiel es aus. Doch ich hatte mich in diesem Punkte entweder fein geschlossen zu halten oder die nächsten 5 Wochen meines Lebens mit Hausputz/Grundsanierung zu verbringen.

Doch schon der Schreibtisch und auch der Stapel Leinwände verrieten mir, dass ich in Skys Zimmer schaute.

Doch ansonsten verriet nichts, dass dieses Zimmer überhaupt bewohnt war.

Es war aufgeräumt – bis auf den Schreibtisch und den Stapel -, aber nicht in der Art, dass sie einfach ordentlich zu sein schien, sondern in der Art, dass dieses Zimmer einfach nicht belebt wirkte. Der einzige Ort der wirkte, als würde dort gelebt, war der Schreibtisch. Das ganze Zimmer war fast beklemmend mit seinen leeren weißen Wänden und freiem Boden. Es war in keinster Weise von ihr dekoriert worden. Dabei war das hübsche Ding doch so umwerfend kreativ. Die einzigen dekorativen Elemente waren die Gardinen, ein Wappen und ein Kalender an der Wand und der Teppich, was aber alles zur Standarteinrichtung der Wohnheime zählte. Selbst ihre vielen bemalten Leinwände waren nicht ausgestellt oder aufgehängt. Sie waren auf einen Berg in eine Ecke gebannt, wo sie keiner bewundern konnte.

Diese junge Frau hatte nichts getan um dieses Zimmer zu ihrem Zimmer zu machen.

Sie hatte so gut wie keine Spuren darin hinterlassen. Zumindest nicht mehr, als ein Tourist während seinem 2 Wochen Aufenthalt in einem Herbergszimmer.

Dieser Umstand machte mir Sorgen.

Ich wusste, dass Sky ein Heimkind war und ich wusste besser, als sie dachte, wie ihre Eltern sich benahmen.

Doch dieser vollkommen unpersönliche Raum ließ mich vermuten, dass auch die Zeit nach ihren Eltern nicht einfach gewesen war. Erweitert um die Tatsache, dass Amy uns schon grob von einer 2-jährigen Therapie der jungen Frau berichtet hatte.

Mit einem unguten Gefühl ersann ich mir die Theorie, dass Skyler mehr als eine neue Familie sah und nach dem x-ten Versuch aufgehört hatte sich irgendwo einzuleben.

Ich neigte mich zur Seite um durch das zweiflüglige Sprossenfenster, welches von 3 vertikalen, sowie im oberen Drittel durch eine horizontale Sprosse gebrochen wurde und so keine ungehinderte Durchsicht bot, auf die von mir aus linke Seite des Zimmers schauen zu können. Direkt an dem Schreibtisch stand ein kleiner Nachtisch in demselben dunklen Holz. Darauf stand ein digitaler Wecker, eine Tischlampe mit einem Standfuß, der wie ein liegendes Kätzchen mit viel zu großen Augen aussah. An dessen hochgestreckter Schwanzspitze hing ein Lampenschirm im Design einer alten Straßenlaterne. Sie sah mit dem Laptop wie der einzige persönliche Gegenstand im ganzen Raum aus. Erweitert um ein Handy, das an der äußersten Kante des Nachttisches an seinem Ladegerät lag. Auch ein schlankes Trinkglas mit einer weißen Lilie stand darauf.

Ich erkannte diese Blume direkt.

Es war die Blume, die ich ihr aus Laus Grabblumenstrauß in die Haare gebunden hatte. Sie sah noch so frisch aus wie an dem Tag, an dem ich sie aus dem Strauß gezogen hatte, obwohl ihr Köpfchen mittlerweile hängen müsste.

Ich war recht verwundert, dass sie noch dort stand. Sicherlich hatte Skyler nur vergessen sie fort zu schaffen.

Direkt neben dem Nachttisch stand ein Bett, der Rahmen aus dunklem rustikalem Holz, ebenfalls wiedie Wandvertäfelung verziert mit plastischen Holzkassetten. Auf der dicken Matratze, unter einer fluffigen violetten Bettdecke, lag die junge Skyler. Ihr zimtbraunes Haar lag wirr über ein weißes und ein schwarz-violett kariertes Kopfkissen, doch ihr hübsches Gesicht stach mir ins Herz. Auch ließ es mich die Augenbrauen skeptisch zusammenziehen.

Der Ausdruck auf ihren feinen Zügen war angestrengt.

Stunden saß ich am Fenster und ließ Sky nicht aus den Augen.

Nichts passierte abgesehen davon, dass ihr Kopf immer wieder ein kleines Stück hoch zuckte und die Finger ihrer Hand sich unruhig auf dem weißen Stoff des Bettbezugs bewegten.

Irgendwann drehte sie sich auf den Rücken. Doch sie warf ihren Kopf immer wieder heftig von einer Seite zur anderen.

Meine Besorgnis brach sich bahn.

Ich steckte die Brille in meine Hosentasche, legte meine Hand auf das Schloss des rechten Fensterflügels. Er schwang auf und ich suchte mit dem Fuß einen freien Platz auf dem voll gelegten Schreibtisch. Dann hüpfte ich tonlos in das Zimmer.

Sky warf immer noch ihren Kopf hin und her, als ich neben ihrem Bett in die Knie ging.

Was immer sie träumte, schön war es mitnichten.

Der Anblick wie sie sich in ihrem Bett, hilflos einem Albtraum erlegen, hin und her warf machte mein Herz zusätzlich schwer.

Sehr schwer.

Ich konnte nicht anders.

Ich streckte meine Hand aus und strich über ihre Wange.

„Under...“, ich stoppte, als Skyler zu murmeln begann. Ich dachte erst sie sei aufgewacht, doch ihre Augen waren geschlossen: „...taker...“

‚...Ich?‘, ich schaute mit großen Augen auf die von Albträumen geplagte Schönheit. Etwas in mir hatte sich schmerzhaft zusammengezogen. Sie hatte Albträume und murmelte meinen Namen mit einem derart gepeinigten Gesichtsausdruck.

Der Rückschluss war eindeutig.

Und er folterte mein Herz.

„...Un…der...taker...“

Das Etwas zog sich mehr zusammen. Ich nahm hastig meine Hand wieder zu mir.

Plötzlich bäumte Sky sich mit einem erstickten gequälten Laut ein Stück auf und warf den Kopf auf die andere Seite: „Under...taker...“

Ich hätte vieles dafür gegeben in ihren Traum schauen zu können und ich hätte alles dafür gegeben, dass ich in ihrem Traum nur vorkam und nicht ihr ganzer Albtraum war.

Alles.

Ich schlang einen Arm um sie und zog sie in meine Arme.

„Ganz ruhig“, hauchte ich in ihre weichen Haare. Sie roch so gut. Nach Blumen.

„Was...“

Mein Gesicht zuckte in der Ahnung sie sei aufgewacht wieder hoch. Sky drehte sich in meinen Armen. Sie schlief noch, fing aber urplötzlich zu strampeln an. Ich war ein wenig überrumpelt, versuchte sie aber mit behutsamen Nachdruck still zu halten: „Beruhige dich, Schöne.“

„Un...“, ich wusste erst nicht, ob es ein Laut oder ein Wort war: „...der...“

Ein Wort…

Mein Name…

Schon wieder...

Ihre zierlichen Finger, die sich in meinem Unterarm krallten, holten mich aus meinen Gedanken: „...Aua...“

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in ihr gequältes Gesicht: ‚Wie bitte?‘

Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und versickerte in ihrem weißen Kopfkissen: „... Lass...Du... mir“, wieder fing Sky an zu strampeln: „Au... Au...“

Ich fing eine ihrer Hände ab, bevor sie in meinem Gesicht landete. Dann schaute ich wieder in Skylers Gesicht.

Was träumt sie?

Wer tut ihr weh?

„Du… machst... mir Angst... Hör auf... Under… taker...“

Mein Name… doch vor dem, was ihm folgen könnte… ich hatte Angst davor.

Ich starrte auf ihren leise murmelnden Mund, als ich darauf wartete was sie noch aus ihrem Traum erzählte ohne es zu wollen oder zu wissen.

„...Du...“

Ich drückte ihre Hand in einer Mischung aus Furcht und Ungeduld: ‚Ich?‘

„Tust... mir weh...“

Ich erschrak innerlich so stark, dass ich festfror: ‚Wie bitte?!‘

„...Aua...“, Sky krampfte ihre Hand fester in meinen Ärmel:“...Bitte... Du tust mir weh... Du... tust mir... weh...“

Eine gefühlte Ewigkeit tat ich nichts außer in Skys albtraumverzerrtes Gesicht zu schauen.

Ich tat ihr weh?!

Soweit hatte ich es also gebracht.

Was ich dafür geben würde, damit es nicht so war, war vollkommen egal.

Ich war ihr Albtraum.

Langsam legte ich meine Hand mit ihrer auf ihr Herz: „Ich würde dir nie weh tun. Niemals.“

„Macht es... dir Spaß... mir...“

„Nein“, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht hörte, sprach ich dagegen an und strich mit der anderen Hand über ihre Wange: „Wenn ich an etwas nichts zu lachen finde, ist es dein Leid.“

„D-d...“, sie begann zu zittern. Am ganzen Leib.

Ich musterte sie sorgenvoll: „Ruhig.“

„...Under…“

„Ruhig.“

„...Under...“

„Dir passiert nichts“, ich versteckte mein Gesicht in ihren Haaren.

Ja, ich versteckte es.

Denn ich hatte das Gefühl es verloren zu haben.

Ich hatte mein Gesicht verloren, da ich es geschafft hatte, dass das Wesen welches mir am wichtigsten war so viel Angst vor mir hatte, dass sie nun träumte ich würde ihr weh tun: „Ich bin hier, damit dir nichts passiert. Ich würde dir nie etwas tun.“

„Under…taker...“, mehr Tränen sickerten in ihr Kopfkissen:„...Bitte… tu mir... nichts...“

Ich nahm sie fest in beide Arme: „Würde ich nie...“

„...Nicht weh...“

„Niemals…“

„...Nicht mehr...“

Ich drückte sie fester an mich. Wenn ich noch eine Bestätigung gebraucht hätte, dass ich aus ihrem Leben verschwinden musste, hätte ich sie spätestens jetzt gehabt: „Verzeih mir…“

Nein!!“, ihr Schrei zerriss das schwarze Zimmer.

Ihr Oberkörper sprang förmlich in den Sitz, riss sich so aus meinen Armen und ihr Kopf krachte so hart gegen meine Nase, dass ich hintenüber fiel und auf meinen Rücken landete, nur um mit den Hinterkopf zusätzlich gegen den Hartplastikfuß des Bürostuhls zu knallen.

Ich hörte Sky keuchen, während ich darauf wartete, dass das Blinken und Blitzen vor meinen Augen aufhörte.

Dann stützte ich mich auf meinen Ellbogen, um Sky und ihren Zustand bemustern zu können.

Sie schaute sich aufgehetzt in ihrem Zimmer um, wohl gerade erst dabei zu realisieren, das es nur ein Traum war und sie nun wach.

Sie schaute auch genau in mein Gesicht. Doch ich wusste sie sah nicht mehr, als ihren Schreibtischstuhl.

Dann erreichten schnelle Schritte mein Ohr. Keine Sekunde später flog ihre Zimmertüre auf: „Sky!“

Amber kam in Skylers Zimmer gerannt, zielstrebig auf die Stelle neben dem Bett zu, an der ich saß.

Ich sprang auf die Füße. Nun musste ich ganz schnell verschwinden, ansonsten lief die junge Phantomhive genau in mich hinein.

Ohne zu bremsen.

Sie sah mich ja nicht.

Mit einem großen Satz war ich aus dem Fenster verschwunden. Leider verpasste ich in meiner Hast den Ast. Den Rosenbusch am Fuß des Gebäudes traf ich allerdings Punkt genau.

Ich blieb darin liegen und schaute in den pastellfarbenen Morgenhimmel.

In mir fühlte es sich so kalt an.

Ich ekelte mich.

Vor mir selbst.

Ich empfand mich selbst zum Spucken abscheulich.

Während ich durch die dünnen Dornenranken in die Morgenröte starrte, begann ich mich zu hassen.
 

Zurück in meinem Laden bekam ich einen Anruf aus der städtischen Leichenhalle.

Ein Toter wartete auf seine Überführung.

Natürlich wurden mir keine Details genannt, doch die Tatsache, dass die städtische Leichenhalle und nicht etwa ein Krankenhaus anrief ließ schon verlauten, dass nicht alles ganz natürlich abgelaufen war.

Wie immer in solchen Fällen saß ich schnell mit einem gewissen Maß an Neugierde in meinem Wagen und rollte über die verstopften Straßen Londons.

Am Leichenschauhaus angekommen gab es das übliche Hin und Her.

Eine blonde, hübsch taillierte Frau, fast noch ein Mädchen, stellte sich mir vor. Ihre glänzenden Haare zusammengefasst in einer unpraktischen und vermeidlich schicken Frisur, das Oberteil der unvorteilhaften Einheitsuniform spannte an der Brust um eine ausladende Weiblichkeit. Den Namen hatte ich sofort wieder vergessen, das höflich hohle Gerede kichernd ignoriert.

Ich zeigte meine Papiere vor, amüsierte mich über den verstörten Anblick der unterbezahlten kleinen Arbeiterbiene vor mir, was besagtes Bienlein nur noch mehr verstörte und mich noch mehr belustigte.

Sind Teufelskreise nicht herrlich?!

Dann ging ich endlich durch den Hintereingang in das Gebäude und zog das Tuch mit dem beachtlichen roten Fleck von seinem Gesicht.

Gepflegt war der Herr nicht. Seine Haare wirkten immer noch dreckig, obwohl er von den Leichenwäschern schon gewaschen worden war. Seine Fingernägel waren ungeschnitten und ebenso ungepflegt. Das Bezeichnenste war allerdings die vollkommene Abwesenheit seines Gesichtes. Die fleischige formlose Fratze starrte mich aus augenlosen Höhlen an. Das entstellte Gesicht löste nicht einen Hauch von Ekel, Mitgefühl oder irgendeiner anderen menschlich nachvollziehbaren Regung in mir aus. Ich war lediglich neugierig, wo sein Gesicht und die Hälfte seines Skalps abgeblieben waren.

Ich wandte mich ab und beugte mich nah zu der kleinen Arbeiterbiene hinunter, um sie überhaupt richtig erkennen zu können: „Ki hi hi! Wo habt ihr denn dieses Exemplar aufgelesen?“

‚Komfortzone! ‘, meckerte eine aufgescheuchte melodische Stimme in meinem Kopf.

Ich konnte mein Lächeln gerade so vorm Einstürzen bewahren. Ein kurzes Zucken meiner Mundwinkel war allerdings nicht zu verhindern gewesen.

Warum?

Warum erinnerte ich mich ausgerechnet jetzt an sie?

Vielleicht, weil mir die kleine Angestellte des Leichenschauhauses auch mit erschrocken aufgerissenen hellblauen Augen von ganz nah entgegen schaute?

Doch Skys Nähe… fühlte sich anders an.

Diese verstört starrende Frau war einfach nur eine verstört starrende Frau.

Und viele starrten mich verstört an.

Ständig.

Sie war nichts Besonderes.

Sie hatte ein hübsches, noch recht junges Gesicht vielleicht, mit ihren hellblauen Augen ganz nett anzusehen, aber nichts Besonderes.

Ich kannte ein Gesicht was hübscher war, ein Blau was tiefer war, ein Gesichtsausdruck der amüsanter war und ein Charakter der mehr bieten konnte, als in diesem Weibchen je stecken könnte.

Abgestoßen von ihrer Trivialität zog ich mein Gesicht zurück und schaute abschätzend an ihr hinunter. Ihre Figur war höchstens in Ordnung, da sie falsch proportioniert wirkte. Auch dort hatte ich erst vor kurzem Besseres gesehen.

In dem Moment, wo ich sie wirklich anschaute bemerkte ich allerdings etwas wirklich Interessantes an ihr: Ein Din A4 großes blaues Klemmbrett in ihrer Hand.

Wahrscheinlich stand dort alles drin, was über den Toten derzeit herausgefunden wurde.

Eine Antwort bekam ich von ihr eher zögerlich und nach ein paar Mal ausgiebigen Augenklimpern: „Äääähm… Im East End. Nach Angehörigen suchen wir noch. Wir… werden sie an Sie weiterleiten, doch könnte dies… äh dauern.“

Dass er im East End gefunden wurde, war wiederum weniger verwunderlich. Dass noch keine Angehörigen gefunden wurden, war in so umständlich, als das ich mich mit den Behörden auseinandersetzen und wieder Formulare ausfüllen musste, um ihn unter die Erde bringen zu können.

Immer diese leidliche Bürokratie.

„Nun“, grinste ich breit, schaute ein letztes Mal auf das Klemmbrett in der Hand mit dem so prägnant roten Nagellack, dass ich selbst Grell davon abraten würde, und beugte mich wieder in ihr Gesicht: „Gi hi hi! Ein wahrhaft interessanter Anblick, nicht wahr?“

Der kleinen blonden Arbeiterbiene klappte, nur allzu offensichtlich von allen Wörtern dieser Welt verlassen, der Kiefer auf.

Ich legte kichernd den Kopf schief: „Bahre?“

„Bi...“, sie schien erst durch meine Worte aus einer Art Schockstarre erwacht zu sein: „Bitte?“

„Nihihihi! Ich hätte gerne eine Bahre“, ich beugte mich noch weiter hinunter. Um mir auszuweichen lehnte die Blondine sich nach hinten, wurde allerdings von einem Tisch aufgehalten, auf den sie sich stützen musste um nicht hintenüber zu fallen. Ich kam ihr noch ein Stück näher, sodass sie wirklich unbequem hintenüber gestreckt auf dem Tisch hing: „Oder soll ich meinen Gast den ganzen Weg zu meinem Wagen tragen? Ki hi hi.“

„Ga-ga-“, es schien, als besann sich die Blonde im letzten Moment nicht weiter nachzufragen: „Ok!“

Sie wandte sich irgendwie aus dem Spalt zwischen mir und dem Tisch und verschwand eilig: „Ich bringe ihnen eine! Einen Moment!“

Kichernd wartete ich auf meine Bahre…

… und grinste einmal dem auf dem Tisch zurückgebliebenen Klemmbrett entgegen.

Nachdem die kleine Arbeiterbiene mir meine Bahre gebracht hatte, verlegte ich meinen neuen Gast von der Leichenhauskühltruhe in den Sarg in meinem Wagen.

Wieder daheim wanderte mein Gast auf einen meiner Seziertische und ich mit einem Tee an meinen Tresen.

Die Brille auf der Nase zog ich die Papiere aus meiner Hosentasche und stellte mir das verdutzteGesicht der kleinen Blonden vor, wie sie auf ihr leeres Klemmbrett starrte.

Ein kleines Kichern entfuhr mir.

Dann begann ich zu lesen.

Viel war nicht herausgefunden worden.

Der Tote war mitten in White Chapel gefunden worden. Doch dies war bewiesen einer der schlechtesten Gegenden Londons. Sein Gesicht war nirgends zu finden, seine Haarpracht ebenso wenig und der Schädel war aufgebrochen gewesen. Anmerkungen war zu entnehmen, dass alle Schnitte fachmännisch waren, der Knochen wohl von einer Knochensäge zertrennt worden war. Der Mann wurde identifiziert durch einen Ehrenamtler einer Suppenküche anhand eines Tattoos. Nach Angehörigen wurde noch gesucht.

Ich wog meinen Kopf hin und her.

Kurz dachte ich an eine Art Organ-, oder Gewebediebstahl. Doch das Gesicht und ein Stück Skalp waren nicht gerade die bevorzugte heiße Ware in der Londoner Unterwelt. Herzen, Leber, Nieren, alles was ersetzt werden konnte. Das Gehirn hätte ich mir sicher auch irgendwie erklären können, aber das Gesicht? Und warum war der Schädel zwar geöffnet, das Gehirn aber vollkommen unversehrt?

Der Sinn versperrte sich mir.

Ich entschied, dass vielleicht ein neuer Irrer auf Londons Straßen wandelte. Doch sicherlich würde der Earl bald in meiner Stube stehen. Mit diesen Gedanken packte ich die Blätter in meine Schublade.

Ansonsten war es ruhig.

Ich kümmerte mich um meinen neusten Gast. Legte seine vor Drogen und Alkohol sauer riechenden Organe in einige Messbecher.

Eigentlich wirkte der Tag wie ein ganz gewöhnlicher.

Durch die jüngsten Ereignisse fühlte ich mich jedoch nicht gerade konzentriert. Doch meine Hände arbeiteten wie gewohnt von alleine.

Meine Gedanken allerdings hingen an Skylers verzehrtem Gesicht.

Nicht nur in der Leichenhalle, sondern auch hier war dieses Bild immer in meinem Hinterkopf und die kleinsten Banalitäten buddelten es erbarmungslos an die Oberfläche.

‚...Du...‘, hallte ihr verspannt ersticktes Murmeln immer wieder durch meinen Kopf: ‚...Tust... mir weh...‘

Es ließ mich einfach nicht los.

Es fachte diesen ekelhaften Splitter an.

Ein permanent anwesendes weißes Glühen direkt in meiner Brust, welches mir einfach keine Ruhe gönnte. Begleitet von dieser endlosen Abscheu gegen mich selbst.

Ich schaute auf meine Taschenuhr.

»14:39 Uhr«

Der Anblick des gesprungenen Glases erinnerte mich an den Tag, an dem ich durch London gerannt war, Richtung Watersman‘s Green, um zu verhindern, dass das Detektivabenteuer der beiden jungen Frauen ein sehr böses Ende nahm.

Mit einem verzerrten Gesichtsausdruck klappte ich die Uhr zu.

Diese Erinnerungen hatten etwas sehr Schmerzliches.

Ich überlegte kurz wie viel Arbeit ich noch hatte.

Ich hatte nur noch diesen und einen weiteren Herrn in meiner Obhut, die noch nicht versorgt waren. Durch meinen neusten Gast stand zumindest ein Amtsanruf an, sollten sich keine Angehörigen finden lassen. Doch war dies äußerst nervig und wirklich nicht erstrebenswert. Meine anderen 4 Gäste waren schon vollkommen hergerichtet, bereit für ihre letzte große Gala. Zweien fehlte nur noch ein Sarg. Doch mein aufgewühltes Seelenleben brauchte dringend Arbeit. Mehr Arbeit, als zwei Tote und zwei Särge versprachen. Ich war mir sehr sicher, so sehr hatte ich noch nie Arbeit nötig gehabt.

Mit einem genervten Seufzen verstaute ich meinen Gast in einer Kühlzelle.

Ich sollte im Wohnheim vorbeischauen.

Bei Amber…

Und Skyler...
 

Nachdem ich mir seufzend eine Hand voll Kekse aus meiner Urne geklaubt hatte, machte ich mich auf den Weg.

Als ich auf dem Baum am Apartment ankam, setzte ich meine Brille auf um mir ein erstes Bild machen zu können. Ich sah Amber und Skyler im Wohnzimmer sitzen. Amber hatte die Nase in einem Buch oder tippte auf ihrem Handy herum, während Skyler irgendetwas auf ihrem silbernen Laptop machte. Dunkle Schatten standen in Skylers müdem Gesicht. Auch wirkte sie blasser, als sie eh schon war.

Eine kurze Weile blieb ich sitzen.

Beiden Mädchen sahen reichlich müde aus, auch die junge Phantomhive, die schlafen konnte wie eine Tote. Sie sprachen zwar hin und wieder miteinander, doch weniger als es für so gute Freunde üblich war.

Sicher waren beide noch erschöpft von einem wenig erholsamen Wochenende und das Skyler – die es von allem am nötigsten gebraucht hätte – nicht gut geschlafen hatte, wusste ich ja bereits.

Es stach mir hundertfach in der Brust, als ich an die letzte Nacht zurückdachte. Immer wieder wiederholten meine Gedanken, dass ich ihr in ihrem Traum wehgetan hatte.

Ich steckte mir den letzten Keks in den Mund, meine Brille in meine Hosentasche und kämmte mir mit meinen Fingern meinen Pony über die Augen.

Skyler hatte mir auf dem Balkon bewiesen, wie gut sie meine Augen mittlerweile deuten konnte. Was für andere seit Jahrzehnten ein Buch mit mehr als 7 Siegeln war, hatte sie in ca. 7 Wochen einfach durchschaut.

In so vielerlei Hinsicht war diese junge Frau einfach nur beeindruckend.

Doch wenn in meinen Augen auch nur im Ansatz stand, wie brachial furchtbar es in mir aussah, sollte sie das niemals irgendwie herausbekommen.

Allerdings hatte ich nicht nur dem Earl mein Wort gegeben, ich wollte selber wissen wie es den jungen Frauen ging.

Ich wollte wissen wie es Skyler ging.

So klopfte ich.

Sofort fuhren die Köpfe der Mädchen herum, als ich klopfte.

Ich winkte kurz, schluckte den Keks herunter und öffnete mit einem Tippen den Fensterrahmen: „Ni hi hi. Guten Tag, die Damen.“

„Hey Undertaker“, hörte ich Amy: „Na? Alles klar?“

Skyler blieb stumm.

Es wunderte mich nicht, dass sie mir wohl nichts mehr zu sagen hatte.

Ich neigte den Kopf zu der Richtung aus der ich die Stimme der Phantomhive hörte und blieb auf der Fensterbank sitzen: „Ke he he! Unkraut vergeht nicht, liebste Amber. Und bei euch? Wie ist es euch ergangen?“

Kurz war alles still.

„Och“, hörte ich schließlich eine Stimme, die ich nicht erwartet hätte. Jung und melodisch. Und sie gehörte nicht zu Amber: „Eigentlich ganz gut.“

„Wir müssen jetzt gezwungen zur Sport-AG“, seufzte die Phantomhive, nachdem Skyler geendet hatte: „Das nervt, aber ansonsten war es ein ziemlich normaler Tag.“

Mein Kopf fiel zur anderen Seite: „Aha?“

„Jup“, antwortete wieder Amy. Vielleicht war Skys kurze Antwort nur ihren guten Manieren geschuldet. Dieser Gedanke schmeckte bitter, genau wie ihr erneutes Schweigen.

„Wegen dem Volleyballturnier“, fuhr Amber fort: „Training und bla. Schlimmer als SebastiansTrainingsstunden kann es kaum werden. Ätzend ist es trotzdem.“

„Ehehehehe!“, rang ich mir ein Lachen ab. Skys Schweigen bestätigte mir, dass ich schnell verschwinden sollte. Auch war mir, wenn ich ehrlich war, einfach nicht nach reden: „Nun gut. Ist irgendetwas Interessantes vorgefallen?“

„Es ist tatsächlich was Interessantes passiert“, antwortete die jungen Phantomhive.

Ich legte erneut den Kopf schief: „Eh he he! Nun bin ich aber gespannt.“

Darauf folgte ein weiteres kurzes Schweigen, welches ein weiteres Mal von einer unerwarteten Stimme gebrochen wurde.

„Äh...“, machte Skyler unbeholfen: „Amy, ich, wir… also, ähm… Wir haben beide ziemlich komisch geträumt...“

„Und?“, erwiderte ich und schaute nun in die Richtung, aus der ihre zarte Stimme kam. Sie hatte verdient, dass ich höflich zu ihr war, wenn ich schon nicht gut für sie war.

„Und“, sie atmete tief durch: „Wir haben beide von dem Zombie geträumt...“

„Tatsächlich?“, unwillkürlich streckte ich ein Stück meine Wirbelsäule, als mir von dieser Information fast die Ohren klingelten. Ich erinnerte mich genau, Amy hatte die Beschreibung verpasst: „Hast du Amber gestern noch von deiner Begegnung erzählt?“

„Äh… äh… Nein. Nein, habe ich nicht.“

Hinten in meinem Kopf regte sich ein Verdacht. Ich schaute zurück zu Amy: „Und obwohl du nicht wusstest, wie das Wesen aussah, träumtest du davon?“

Amy sagte nichts, doch die Spannung in der Luft vermittelte mir Bestätigung.

„Interessant“, ich legte eine Hand an mein Kinn: „Das ist wirklich interessant.“

„Klingelt was bei dir?“, fragte Amy.

„Ki hi hi. Halb“, gab ich zurück und warf meinen Verdacht ein paar Mal in meinem Kopf hin und her: „Ich kenne ein Wesen was darauf passen würde, doch das hätten die Reaper sofort bemerken müssen. Von daher kommt es auch nicht in Frage.“

„Verdammt“, seufzte Amber.

„Nun denn“, ich entschied, dass ich lange genug geblieben war. Die neusten Informationen waren ausgetauscht, die beiden jungen Frauen zwar augenscheinlich müde, aber unversehrt. So hüpfte ich auf meine Füße: „Ich will euch dann nicht weiter aufhalten.“

„Du“, hörte ich Skyler zögerlich: „Gehst schon?“

Wahrscheinlich hatte sie nur die Sekunden zu diesem Zeitpunkt gezählt.

„In der Tat“, grinste ich in ihre Richtung. Ich grinste, während dieses weißglühende Gefühl weiter heiß von meiner Brust in meine Seele strahlte: „Ich habe ein paar Gäste auf dem Tisch, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen.“

„Was für Gäste?“, fragte Skyler, was mich erst ein wenig überraschte. Dann besann ich mich darauf, dass sie sicher nur wissen wollte, ob ich mir diese Gäste auch selber gemacht hatte. So schüttelte ich den Kopf: „Fu fu fu. Das ist doch wirklich nichts, um das ihr euch jetzt sorgen solltet.“

Ich hatte nicht das Recht ihr vorzuschreiben, was sie tun sollte oder sie so direkt darauf anzusprechen, doch ich wusste, dass ich verhindern musste, dass sie ihre Höflichkeit weiter quälte. Sie dachte sicher, da ich hier war um nach dem Rechten zu schauen, schuldet sie mir Interesse. Sie war so ein possierlich höfliches junges Ding. Doch sie sollte sich an Amy halten.

Nicht an mich.

Ich stand aus der Hocke auf und beugte mich runter, um den Beiden durch das Fenster zu winken: „Ich wünsche euch einen entspannten Abend. Sollte etwas passieren, ruft mich unverzüglich an. Eh he he he! Bis Morgen!“

Mit diesen Worten ließ ich mich einfach aus den Fensterrahmen fallen, hielt mich an einem Ast des Baumes fest, schwang mich auf das nächste Dach und begab mich nach Hause.

Das Gefühl welches mich auf diesem Weg begleitete war erleichtert, dass diese angespannte Situation zu Ende war und zu einem so großen Teil grauenhaft, dass es mich so sehr stresste wie esnichts seit 130 Jahren getan hatte.
 

Eigentlich wollte ich unverzüglich wieder an die Arbeit.

Ich tat ein paar Schnitte mit dem Skalpell… dann klirrte es, als ich es auf die stählerne Ablage des Seziertisch warf.

Mein Kopf war zu voll.

Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.

Ich kochte mir eine Tasse Tee und endete an meinem Tresen. Doch ich war nur damit beschäftigt gedankenverloren die Dampfwölkchen durch die Gegend zu pusten, bis der Tee so kalt war, dass es keine mehr gab.

Es war erstaunlich wie gequält ein schönes Gesicht aussehen konnte und es war bezeichnend, dass diese Qual immer dann auf besagtem schönem Gesicht erschien, wenn irgendetwas mit mir zu tun hatte.

Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich kippte den unberührten Tee in die Spüle, indem ich einfach den vollen Becher in das Becken warf.

Merkenau saß, eine Augenbraue erhoben, auf meinem Tresen und krähte mich an, als ich mich wieder setzte.

„Wie kommst du denn darauf?“, grinste ich, ohne mich nach grinsen zu fühlen.

Merkenau krähte noch einen Ton verständnisloser.

„Ki hi hi! Das hier ist mein Haus. So weit, dass ich hier meine Laune verstecke, kommt es noch.“

Ein weiteres Krähen, welches nun vor Verständnislosigkeit nur so schäumte.

„Ich grinse immer“, mit diesen Worten erhob ich mich wieder: „Egal was. Du weißt es.“

Der kleine Vogel hatte recht mit der Aussage, dass was ich sagte und tat nicht im mindesten zusammenpasste.

Was daran liegen könnte, dass generell nichts mehr zusammenpasste!

Resigniert fiel ich rücklings in einen Sarg und machte den Deckel zu.

Ich hatte letzte Nacht nicht geschlafen, es wäre weise gewesen es nachzuholen.

Doch das letzte Mal war das Etwas aufgetaucht, nachdem die Sonne untergegangen war und ich hatte immer noch keine genaue Vorstellung davon was dieses Etwas war. Auch hatten beide Mädchen davon geträumt, obwohl Amy es nicht kennen konnte.

Außerdem… hatte Skyler nicht von mir geträumt?

Hatte das junge Ding nicht geträumt ich tat ihr weh?

Andererseits war es nach den jüngsten Erklärungen wohl nicht gerade schwierig mich mit Zombies in Verbindung zu bringen. Egal, wie wenig ich diese Bezeichnung für meine Dolls auch mochte. Auch war der Zeitpunkt, an dem aus dem Nichts ein Zombie auftauchte, doch ein wenig zu passend.

Doch niemand, außer Skyler, Amber, Ronald und mir, wusste von dem Gespräch letzten Freitag.

Ich verfiel in ein konstantes Grübeln.

Immer wieder beschlich mich der kleine Verdacht, obwohl ich ihn immer wieder abtat. Für einen Sensenmann hätte dieses Wesen, an das ich immer denken musste, geleuchtet wie ein Weihnachtsbaum und es waren 4 davon in der Wohnung gewesen.

Einer kann irren.

Aber nicht vier.

Leider wäre es für alles eine Erklärung gewesen.

Eigentlich liebte ich es zu grübeln.

Ich liebte Detektiv spielen und forschen.

Ich liebte undurchsichtige Dinge, Neues, das erst noch herausgefundenen werden musste.

Doch ich hasste es, dass Skyler in einer so vollkommen unkalkulierbaren Gefahr schwebte.

Auch spielte mein Verstand in Dauerschleife das Bild ab, was sich mir letzte Nacht geboten hatte.

Dieser furchtbar gepeinigte Gesichtsausdruck.

Diese Frage was genau sie geträumt hatte.

Ein großer Teil, nein, alles in mir wollte, dass die Dinge doch anders lagen, als ich seit letzter Nacht annahm.

Der Deckel flog geräuschvoll auf, als ich mit meinem Fuß davor trat.

Mit einem lauten erschrockenen Krächzen war Merkenau flügelschlagend in der kleinen Schachtel verschwunden.

Ich passierte den Tresen und verließ meinen Laden in die gerade dunkle Nacht.
 

Als ich meine Brille auf die Nase setzte und mit wischenden Fingerbewegungen die violetten Gardinen an die Seiten des Fensters der schönen Skyler scheuchte, fand ich ein Bild vor welches ich so gerne nicht gesehen hätte.

Sky wälzte sich.

Von rechts nach links.

Von links nach rechts.

Im Minutentakt.

Und ich hockte hinter einer Glasscheibe und schaute nur dabei zu.

Sah ihren Mund murmeln.

Sah diesen fürchterlich verzerrten Ausdruck.

Wie sie hilflos ihre Finger in ihre Bettdecke krallte.

Als ich eine oder eineinhalb Stunden vor dem Fenster gesessen hatte, konnte ich dieses Gefühl der Nutzlosigkeit nicht mehr ertragen.

Ich tippte gegen das Fenster und sprang in das Zimmer.

Mit stummen Sohlen hüpfte ich von Schreibtisch auf den alten Holzboden neben ihrem Bett und steckte meine Brille in meine Gesäßtasche.

Zögerlich legte ich meine Hand an ihre Wange.

Sky schwitzte und fühlte sich ganz klamm an.

Während ich über ihre Wange strich, ging ich neben ihrem Bett in die Knie.

Sofort griff Skylers Hand mein Handgelenk: „...Under...“

Ich seufzte seicht.

Sicherlich war die Berührung meiner Hand etwas Bedrohliches für ihr aufgewühltes Unterbewusstsein und sagte ihr sie müsse sich verteidigen.

So wollte ich meine Hand zurückziehen.

Kaum hatte sich meine Hand einen Zentimeter von ihrer Wange wegbewegt, zog mich ein kräftiger Ruck nach vorne.

Sky hatte sich auf die Seite gedreht, dabei meinen Arm wie einen Teddybären geschnappt und fest an sich gezogen.

Ich blinzelte das so dünne Ding an, welches so unendlich verletzlich wirkte, wie sie zusammengerollt, das Gesicht zwischen meinem Arm und dem Kissen versteckt und mittlerweile sogar schluchzend, vor mir lag und mich nicht mehr losließ. Sie klammerte sich an meinem Arm förmlich fest.

Nun wusste ich wirklich nicht mehr wie herum die Welt sich drehte.

Es passte wirklich nichts zu dem anderen.

Weder was Sky tat, noch was ich tat, noch was Drumherum oder in meinem Kopf passierte.

Etwas in mir freute sich.

Genoss die Nähe in vollen Zügen und war stark genug, dass ich das leidende dünne Ding ganz in den Arm nahm. Fühlte sich warm und wohl.

Etwas anderes war erdolcht.

Erdolcht von diesem unsäglichen weißglühenden Splitter, der nicht weniger, sondern viel mehr surrte. Der mir beständig ins Ohr flüsterte, dass all das ohne ihr aktives Zutun passierte.

Und wieder etwas anderes war gestresst.

Da alles unter Spannung stand. Weil Dinge, die nicht passen, immer unter Spannung standen… und es noch vor ein paar Tagen so ganz anders gewesen war.

Doch gerade wollte ich nur, dass Skyler ruhig schlafen konnte.

Ich wusste nicht wie lange ich an Skys Bett saß, ihr mit den Fingern durch die Haare fuhr und sie ihm Arm hatte, während sie unaufhörlich zu leiden schien. Doch irgendwann schwang sie herum und aus meinen Armen. Aus dem leisen Schluchzen wurde ein angespanntes Luft einziehen und mit einem Satz saß das junge Ding mit einem markerschütternden: „Nein!!“, aufrecht im Bett.

Sofort polterten wieder Schritte durch die Wohnung.

Mir dieses Mal gewahr, dass die junge Phantomhive ihrer besten Freundin sofort zur Seite stand, verschwand ich schleunigst rückwärts auf das kleine Fensterbrett.

Ich zog meine Brille wieder auf die Nase.

Amy kam nicht wie gestern in ihr Zimmer gerannt. Sie steckte ihren Kopf durch die Türe: „Sky?“

Skyler atmete schwer. Sie schien nicht direkt antworten zu können. So kniete sich die Phantomhive mit einer engelsgleichen Milde im Gesicht neben ihr Bett: „Alptraumboulevard?“

Sky nickte nur. Obwohl sie verstört aussah, beruhigte es mich ungemein zu sehen, dass sie sich wenigstens auf Amy immer und zu 100% verlassen konnte.

Sie war nicht allein. 

Das Wort ‚Alptraumboulevard‘ erschloss sich mir allerdings nicht.

„Zombie?“, fragte Amber mit ruhiger Stimme, was Skyler aber ein weiteres Mal nur ein Nicken entlockte.

„Ja, scheiße“, seufzte die Phantomhive daraufhin.

„Du...“, Sky schluckte angestrengt: „Du auch?“

Ein knappes Nicken Ambers: „Er hat mich wieder durch einen Wald gescheucht.“

„Warum…“, Sky zog ihre Augenbrauen ein Stück zusammen: „Einen Wald?“

„Ich weiß nicht“, die Adelstochter zuckte mit den Schultern: „Wenn ich raten müsste würde ich sagen, es ist das Waldstück, in dem unser Manor steht. Zumindest bin ich an einem Baumhaus vorbeigekommen, wie ich es mal mit Fred, Lee, Ronald und Undertaker gebaut habe.“

Ich erinnerte mich gut an diese Zeit. Sie war schön gewesen. Kinder hatten so etwas Federleichtes. Die Nähe dieser Leichtigkeit, Fantasie und Ehrlichkeit hatte etwas Heilsames.

„Magst du… den Wald nicht?“, Skyler klang etwas verwirrt.

So wie Amber erzählte, könnte es wirklich so wirken, als sei der Wald an sich für sie albtraumhaft. Doch ich wusste noch, als sei es gestern gewesen, dass wir Reaper und der Butler teilweise eine Viertelstunde damit verbracht hatten die Kinder wieder aus dem Wald zu klauben, wenn es dunkel wurde und sie sich nicht an die Absprache zum Abendessen daheim zu sein gehalten hatten. Wir haben uns dabei nicht auf das Menschenmögliche beschränkt und trotzdem die mit den Beinen strampelnden und lautstark protestierenden Kinder unterm Arm wieder in die Villa zurückgetragen. Sie haben sich auch eher seltener an Absprachen gehalten. Von ‚nicht mögen‘ konnte also keine Rede sein.

„Doch, eigentlich schon“, bestätigte mich Amy in der Sekunde, in der ich daran gedacht hatte: „Dort haben Fred, Lee und ich als Kinder oft gespielt. Fangen, verstecken, Baumhäuser bauen, Hasen jagen, Insekten sammeln. Hin und wieder mit einem von den ‚Erwachsenen‘. Eigentlich waren wir dort ständig unterwegs. Mein Vater nannte uns ‚kleine Waldschrate‘. Doch das ist alles schon Jahre her. Kindergarten und Grundschule so um den Dreh.“

‚Nihihi! Bis zur 6 Klasse!‘, dachte ich für mich, kurz gefangen in den schönen Erinnerungen, die mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen zauberten.

Ronald und ich hatten in der Zeit mehr Baumhäuser gebaut, als ein normaler Mensch in seinem Leben zusammen kriegen würde. William hatte dafür sogar die Äste abgeschnitten! Und Grell hatte Vorhänge dafür genäht. Wir hatten alle einen Weltrekord im Verstecken und Fangen spielen im piksigen Unterholzbuschwerk aufgestellt und der Butler hatte irgendwann eine Baumgruppe undeinen Baumstamm zu einer Sitzgruppe mit Tresen umfunktioniert, weil es ihm zu lästig gewesen war immer mit Getränken, Snacks und Geschirr zum Manor und zurück zu laufen.

Zu was einen Kinder nicht alles brachten.

Wir hatten auch diese Generation mal wieder vollends verzogen…

Naja, mir egal!

Schließlich mussten Alex, Heather und Jun das alles ausbaden und nicht ich!

„Warum... ist es dann ein Alptraum?“

Damit hatte Skyler mir eine Frage aus dem Mund genommen, die ich nicht stellen könnte, weil ich ansonsten verraten müsste was ich hier tat. Schön, dass ich meine Antwort trotzdem kriegen würde.

„Keine Ahnung.“

Naja, was man so alles Antwort nannte.

„Vielleicht will das Vieh mir ein paar meiner besten Erinnerungen versauen.“

Skyler erwiderte darauf nichts. Doch sah ihr Gesicht sehr nachdenklich aus.

Amy wuschelte ihr nach ein paar Augenblicken durch die zimtbraunen Haare: „Versuche noch etwas zu schlafen, ja?“

Wieder nickte Skyler nur.

Die Jüngste der Phantomhives erhob sich und verließ den Raum: „Schlaf noch gut.“

„Du auch“, kam es recht knapp von Skyler zurück.

Nachdem sich die Türe geschlossen hatte, verblieb Skyler mit dem Blick auf ihre Bettdecke aufrecht im Bett.

„Ein paar meiner besten Erinnerungen...“, murmelte sie irgendwann ganz leise.

Ich zog meine Augen ein Stück zusammen.

Wieder einmal hätte ich viel dafür gegeben in ihren Kopf zu schauen. In diesem Satz lag eine schwere Bedeutung. Doch ich hatte das Gefühl diese Bedeutung rannte in mir vor eine dicke Wand und blieb mir so verschlossen.

Ein paar weitere Augenblicke später rieb sich die schöne Brünette fröstelnd ihre Oberarme. Ihr Blick wanderte zu mir.

Sie blinzelte.

Ich wusste, sie konnte mich nicht stehen. Doch sie sah sehr wohl, dass ihr Fenster speerangelweit offen stand. Ich war mal wieder nicht dazu gekommen es zu schließen, weil Skyler so plötzlich erwacht und die Phantomhive zu schnell zur Stelle gewesen war.

Die junge Frau stand auf und setzte sich sofort wieder hin. Sie fiel eher zurück in den Sitz. Schlafmangel war anstrengend für Menschen. Jeder, der einen Earl Phantomhive während der Sommersaison kannte, wusste wovon er da sprach.

Nachdem sie sich ein paar Minuten den Kopf gehalten hatte, stand sie auf und kam zu ihrem Fenster.

Sie blieb genau vor mir stehen. Der dünne silberne Schleier des abnehmenden Mondlichts schimmerte atemberaubend in dem hellen Himmelblau ihrer Augen.

Und diese atemberaubenden Augen schauten genau durch mich durch.

Ein gruseliges Gefühl.

Es war ein gruseliges Gefühl, wenn jemand der einem so wichtig war einfach durch einen durchschaute, als sei man gar nicht da.

Ich wusste, sie sah mich nicht.

Ich sorgte dafür.

Doch es machte dieses Gefühl nicht wett.

Ich würde mich an dieses Gefühl wohl gewöhnen müssen.

So sicher ich mir war, dass meine Gegenwart ihr nichts Gutes bescheren würde, hatte ich nicht vor mein Versprechen fallen zu lassen, dafür zu sorgen, dass sie sicher war. Genauso sicher würde sie mich nicht sehen, wenn ich dafür sorgte.

Auch Skylers Leben würde für mich nicht mehr als ein Wimpernschlag lang sein. Doch ich war mirbewusst es wird ein sehr anstrengender Wimpernschlag.

Denn ich wünschte ihr ein normales, glückliches Leben. Mit allem was dazu gehörte. Und so ein schönes, talentiertes Ding wird nicht ewig alleine…

Mit einem grausig, scharfen Schmerz zog sich mein Herz zusammen. Überwältigt zuckte mein Oberkörper und meine Hand zu meinem surrenden Herzen. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Brust. Ein Stück weit vertrieb der körperliche den seelischen Schmerz. Ich schüttelte den Gedanken weg, den ich noch nicht einmal zu Ende denken konnte.

„Ein paar meiner besten Erinnerungen...“, seufzte eine junge Stimme mich aus meinem Kopfschütteln.

Skylers großen, tropfenförmigen Augen schauten traurig in das silberne Licht: „Warum war ich nur so dumm…?“

‚Dumm? ‘, der schlimme Gedanken war sofort vergessen. Warum sollte sie dumm sein?

Ich bekam kurz große Augen.

Etwa, weil sie mich wegen der Campania ausgefragt hatte, was erst zu Tage gefördert hatte wie ungut ich für sie war?

Konnte das…?

Dachte sie das wirklich?

Etwas in mir schrie danach. Denn das würde bedeuten, sie hatte keinen zum flüchtenden Eindruck von mir zurückbehalten.

Doch selbst wenn.

Selbst, wenn sie das nicht hatte.

Ich kniff meine Augen zusammen und meine Hand verkrampfte sich ein weiteres Stück, als der Splitter glühte und Abhilfe in weiter Ferne lag.

Es würde immer wieder passieren.

Es gab noch die Geschichte mit dem College und etliche weitere. Mein ganzes Leben war eine endlose Gruselgeschichte, ein Psychothriller, bei dem die Betonung nur allzu offendeutlich auf dem Wort ‚Psycho‘ lag. Und die Hauptrolle darin spielte ich jetzt schon über 200.000 Jahre mehr als souverän.

Was dieses Wochenende passiert war würde sich immer

und immer

und immer

und immer wieder wiederholen.

Das durfte es nicht.

Ich konnte nicht der Grund sein, dass sie immer wieder leiden müsste.

Ein feines Seufzen erreichte mein Ohr und ließ mich meine Augen heben.

Skyler hatte den Hebel des Fensters gegriffen und schaute ihm irritiert entgegen. Mir wurde klar, dass ich das Fenster nicht öffnete indem ich den Hebel drehte. Ich konnte noch nicht mal erzählen, wie es überhaupt funktionierte! Es funktionierte einfach und hat schon immer. Ich öffnete so schon seit Jahrhunderten Fenster, Türen, Truhen, Schubladen… Hand- und Fußfesseln… Sträflingskugeln… Ein Schloss hielt den Tod nicht auf.

Nach ein paar irritierten Blicken schloss Skyler das Fenster und zog die Gardinen vor mein Sichtfeld. Ich machte eine wischende Bewegung mit dem Zeigefinger und schaute mit einem Auge in das Zimmer, indem Skyler schon wieder in ihrem Bett lag.

Ich beobachtete ihren unruhigen Schlaf.

Sie bekam keinen Besuch. Der einzige Eindringling war ich. Doch der Anblick wie sie sich von einer Seite zur anderen warf. Immer wieder schreiend aufwachte und wieder einschlief, nur um zu zucken und aufzuschrecken, ließ mich einfach nicht nach Hause gehen.

Als Skyler ziemlich müde aufstand bevor ihr Wecker klingelte, mir wieder die Gardinen vor der Nase zuzog und dann mit einem durch die Fensterscheibe gedämpften Öffnen und Schließen der Tür ihrZimmer verließ, verließ ich meinen Posten auf der Fensterbank.
 

Schließlich lag ich in meinem Sarg, was nicht im Ansatz bedeutete, dass ich schlafen oder irgendwie Ruhe finden konnte.

Ich hing dieser unheiligen Dreifaltigkeit an Gefühlen nach, die mich diese Nacht beschlichen hatten und versuchte sie zu ordnen, während ich dem dunklen Sargdeckel entgegen starrte.

Freude.

Schmerz.

Stress.

Doch vor allem war ich traurig.

Eine Traurigkeit, die ich nicht mehr unterdrücken oder verdrängen konnte. Die prägnanter war, als alles andere.

Das Chaos in meiner Seele warf mehr und mehr meinen Kopf durcheinander.

Dann riss mich das Klingeln meines Telefons je aus meinen Gedanken. Ich stieg aus meinem Sarg, in dem ich jetzt schon so lange herumgelegen hatte, dass nun durch meine Fenster die voll aufgegangene Sonne kroch und ging zu meinem Tresen von dem aus Merkenau nun schon ein paar Tage Flugversuche unternahm.

Allerdings zählte er eher zu der Gattung ‚Bruchpiloten‘.

Der jetzige Absturz des kleinen schwarzen Federballs ließ mich kurz lachen, auch wenn es viel flacher als gewöhnlich war. Merkenau rollte wie eine schwarze Plüsch-Bollingkugel über den Boden, wurde von einem meiner Särge aufgehalten und blieb wankend mit ausgestreckten Beinchen auf seinem Hinterteil sitzen. Man konnte die Sternchen in seinem Kopf förmlich blinken sehen!

Der kleine Rabe heiterte mich nicht wirklich auf, doch er entlockte mir hin und wieder ein Lachen, welches ein angenehmes, wenn auch immer nur sehr kurzes, Durchbrechen meiner sehr verdrießlichen Laune war.

„Ni hi hi! Alle Neune, mein kleiner Freund“, grinste ich dem Vogel entgegen, während ich meine Hand auf den Telefonhörer legte: „Nicht, dass ich dich bald wieder verbinden muss.“

Merkenau schüttelte sich, krähte mich beleidigt an und hüpfte wieder auf den Bücherstapel zu, der ihm als Treppe hoch auf den Tresen diente.

Mit einem halbwegs amüsierten Kichern hob ich ab: „Kihihi! Undertakers Funeral Parlor, wie kann ich behilflich sein?“

„Ähm… Ähm… Guten Tag?“

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Kehehe. Ja, hallo. Mit wem spreche ich?“

„Äh… äh...“

„Ein wahrhaft außergewöhnlicher Name“, giggelte ich.

„Äh… Huston, hier...“

„Aha?“, dieser Name sagte mir einfach nichts, auch wenn mir der Anrufer das Gefühl vermittelte, dass er mir etwas sagen sollte.

„Aus dem London Bridge Hospital… “

„Ehehe! Wie auch immer“, nun war mir klar, warum ich den Namen nicht erkannte. Warum sollte ich mir auch die Namen irgendwelcher Krankenhausangestellten merken?: „Wen soll ich abholen?“

„Äh, also“, Huston atmete tief durch: „Niemanden.“

Meine Augenbraue wanderte in die Höhe: „Niemanden? Kehe! Warum ruft Ihr mich dann an?“

Ich wusste durch die Art des Anrufers zu antworten eins: Freiwillig hatte dieser Huston mich nicht angerufen.

„Es, äh, geht eher um jemanden, den Sie schon abgeholt haben... “

Ich wurde hellhörig: „Aha?“

„Und zwar, äh… äh, ihre letzten 13... Klienten… von uns. Können sie uns vielleicht die Versicherungsnummern von ihnen durchgeben?“

„Wieso?“, fragte ich langgezogen: „Kihihihi! Hat da jemand Chaos in seinen Unterlagen?“

Ein entnervtes Seufzen am anderen Ende: „...So könnte man es sagen. Bitte, Mr… Undertaker… Ich brauche ihre Hilfe.“

Ich kicherte kurz: „Kehehe! Wenn ihr mich bezahlen könnt!“

„Be-be...“, verwirrtes Schweigen am anderen Ende. Dann hörte ich seinen Groschen förmlich durch den Hörer fallen: „Oh nein! Nein, nein! Bitte! Bitte nicht schon wieder!“

Ich grinste breit, doch lachte nicht, obwohl diese Reaktion schon außerordentlich amüsant war. Ich wusste jetzt jedenfalls, dass der Anrufer mich auf jeden Fall schon kannte: „Im Leben gibt es nichts umsonst, lieber Huston.“

„Mr. Undertaker, bitte!“, Hustons Verstörtheit wich einer so schreienden Verzweiflung, dass mich das Gefühl ergriff es ging um mehr als die Tatsache, dass er sich erinnert hatte wie ich bezahlt werden wollte: „Wir haben 13 Verstorbene, die unauffindbar sind! Seit Tagen suchen wir sie und telefonieren Gerichtsmedizin und Bestatter ab. Selbst bei Friedhöfen haben wir schon angerufen. Sie sind weg!

Ich zog meine Augen zu Schlitzen: „Weg?“

„Ja!“

Ich setzte mich auf meinen Stuhl. Das war doch eine Aussage, die mich so neugierig machte, dass dies schon Bezahlung genug war. Ich suchte mein Verzeichnis aus der Schublade, während ich meine Füße auf meinem Tresen legte und meine Brille aufzog: „Ihihihi! Jetzt habt Ihr mich neugierig gemacht. Nun gut. Ich helfe Euch.“

„Wirklich?“

„Kehehe. Ja.“

„Einfach so? Keine… ‚Bezahlung‘?“

„Nun, ihr habt mich bezahlt. Wuhuhuhu! Nur anders. Also:“

Dann lass ich etliche Nummern vor.

„Die passen alle nicht!“, seufzte irgendwann ein vollkommen am Boden zerstörter Huston aus meinem Hörer.

„Ehehehe. Das sind die Nummern, die ich habe.“

„Haben Sie sie vielleicht noch nicht eingetragen?“

„Huston, Huston. Kihihihihi! Wollt Ihr mir etwa unterstellen ich würde schlampen?“

„Äh äh äh äh“, der nahende Herztod war ihm durch den Hörer hindurch anzuhören, was mich redlich amüsierte: „Nein!“

„Sicher?“

„Äh äh äh… Ja!“

„Hmmmm, kihihi! Eigentlich habt ihr zu lange gezögert, um glaubwürdig zu sein.“

„Mr. Undertaker, bitte. Wir haben 13 verschwundene Verblichene, die anscheinend bei keinem Bestatter oder Gerichtsmediziner gelandet sind. Schauen Sie nochmal nach! Irgendwo müssen sie sein!“

„Aber nicht bei mir“, lachte ich ins Telefon: „Hehehe. Ich bin mit meinen Aufzeichnungen mittlerweile bei Juni angekommen. Entweder sucht Ihr sie schon länger oder ich habe sie nie abgeholt.“

„Juni?!“

„In der Tat.“

„Wirklich?!“

„So wahr ich mir hier einen halben Knoten in die Zunge gelesen habe“, giggelte ich zurück.

„Es tut mir leid, ich wollte nicht… unhöflich... werden… Wenn Euch doch etwas auffällt, dann kontaktiert uns doch bitte… Ist das okay?“

„Fu fu fu! Das wird nicht passieren.“

„Äh… Wie bitte?“

„Na!“, ich lachte laut: „Kehehehehe! Meine Unterlagen stimmen!“

„Mr. Undertaker… bitte.“

„Nehehe! Ich habe noch ein paar Fragen an Euch.“

„Äh äh, okay?“

„Die 13 werden ja nicht alle auf einmal verschwunden sein, oder?“

„Äh, nein... Nein, sind sie nicht.“

„In welchem Zeitraum sind sie Euch“, ich lachte ein weiteres Mal auf. Es war schon eine sportliche Leistung 13 Verblichene aus den Augen zu verlieren: „Nihihihi! Abhandengekommen?“

„In den... letzten 2 Monaten“, Huston räusperte sich: „Wieso?“

„Ihr wollt meine Hilfe, oder etwa nicht? Denkt Ihr nicht der Zeitraum, in dem zu suchen ist, wäre hilfreich?“

„Ähm... Ähm... Ja schon. Ich… Ich danke Ihnen! Schönen Tag noch!“

Tut tut tut tut tut!

Ich hing auf, amüsiert davon wie flott er plötzlich werden konnte, wenn es darum ging aufzulegen.

Dann verschränkte ich die Arme.

Ein toter Obdachloser mit sonderbaren Verstümmelungen.

13 verschwundene Verblichene, innerhalb von 2 Monaten.

Das kam mir schon reichlich komisch vor.

Wenn das nicht Fälle für den Queen‘s Watchdog sind!

Schien, als habe der Earl bald wieder Hochsaison. Doch im Endeffekt war es das Problem des Krankenhauses, der Polizei und vielleicht bald das des Earls, aber nicht meines.

Ich… hatte andere Probleme.

Ich seufzte schwer.

Das weiße Glühen, von dem mich das Telefonat wenigstens ein paar goldene Minuten abgelenkt hatte, kam mit einem Mal und in seiner ganzen Erbarmungslosigkeit zurück.

Doch mit einem Blick auf die Uhr stand ich auf, um ein weiteres Mal bei den beiden Damen vorbeizuschauen.
 

Ich endete wieder auf dem Baum vor dem Fenster.

Als ich die Brille aufzog und durch das Wohnzimmerfenster schaute erblickte ich Skyler, die gerade einen Rock bügelte und Amy, die auf ihrem Handy tippte und nebenbei Fernsehen schaute.

Eine ganz normale Szenerie, hätten nicht beide Mädchen dunkle Schatten unter den Augen. Auch heute wusste ich, woher bei Skyler diese Schatten kamen. Doch war ich mir immer noch nicht sicher was sie geträumt hatte.

Natürlich könnte sie lügen. Bewusst.

Mir wach erzählen sie träumte von Zombies, obwohl dem nicht so war. Denn was sie im Schlaf sprach, unbewusst, musste wahr sein.

Ich seufzte ermattet durch meine Nase.

Ich hätte mir am liebsten eingeredet, dass sie von dem Zombie träumte. Doch ich hatte es mir eher weiter ausgeredet.

Ich schüttelte einmal meinen Kopf.

Es war egal!

So, oder so: Ich musste ihr so fern bleiben wie möglich.

Sobald die Sache mit diesem komischen Wesen zu Ende gerätselt und aus der Welt geschafft war, würde ich die Aufgabe nach dem Rechten zu sehen an den Butler abtreten.

Dann hätte Sky ihre Ruhe vor mir.

Endgültig.

Und als ich mir bewusst wurde, dass ich die brünette Schönheit dann nie wiedersehen würde, wurde mir eiskalt.

Ich starrte auf den unteren Rand des Fensters, als sich mein Herz ein Stück zusammenzog und sich meine Finger verspannten.

Ich vermisste sie.

Obwohl mir Skys Anblick schmerzte und ich sie noch regelmäßig sah, vermisste ich es ihr nah zu sein.

Wirklich mit ihr zu reden.

Ihr in die Augen zu schauen.

Die kleinen Gelegenheiten, in denen ich sie einfach gepackt und an mich heran gezogen hatte.

Mit ihr zu lachen.

Sie lachte so schön.

Es war eine so elendige Gewissheit, dass ich all das verdorben hatte.

Ich schaute wieder durch die Fensterscheibe.

Sky hatte den Rock gefaltet und gerade begonnen sich um eine Bluse zu kümmern.

Ich beschaute sie noch ein paar Sekunden, bis der plötzliche Anfall Eiseskälte zu einem konstant frostigen Gefühl abgeflaut und mir die Kontrolle über meine Finger zurückgab. Dann steckte ich meine Brille ein, wischte meinen Pony über meine Augen, klopfte und stupste das Fenster auf: „Ti hi hi hi. Ich wünsche einen guten Tag.“

„Hi Undertaker“, klang Amys Stimme.

Dann herrschte eine Sekunde Stille.

„Hey.“

„Was habt ihr geträumt?“, mein Grinsen überlebte den weiteren kalten Schwall, den diese kurze Stille durch mein Innerstes spülte.

Ich entschloss mich so schnell wie möglich wieder zu gehen.

Sky so nicht weiter zu zwingen höflich sein zu müssen.

Auch konnte ich den Schmerz in mir einfach nicht verleumden. Es ging nicht nur darum, dass dieser Schmerz da war und so furchtbar prägnant. Es ging darum, dass ich Mühe hatte die Kontrolle darüber zu behalten. Als mir klar geworden war, dass ich sie bald nie mehr sehen würde, hatte es etwas in mir ausgelöst, was ich nur noch schwer im Griff hatte.

Der Gedanke, dass ich sie nicht gehen lassen wollte.

Die Gewissheit, dass ich sie immer wieder sehen wollte.

Und die Notwendigkeit, dass es nicht so kam.

„Ich wusste, dass du fragst“, hörte ich wieder die junge Phantomhive: „Dasselbe wie gestern Nacht. Sky auch.“

Skyler allerdings schwieg.

„Hm“, legte ich eine Hand an mein Kinn. Wieder sprang mir diese Vermutung in den Sinn: „Wieder dasselbe. Ni hi hi! Wie mysteriös.“

Doch es konnte nicht so sein.

„Hast du mittlerweile ‘ne Idee?“, fragte Amy.

„Fu fu fu!“, lachte ich auf, ohne so recht zu wissen woher ich dieses Lachen nahm. Denn auch die Suche nach Antworten lenkten mich nicht im Geringsten von der Spannung in mir ab: „Es klingt immer mehr nach dem, was ich gestern vermutete, obwohl es eigentlich nicht sein kann. Die ganze Angelegenheit ist wahrlich mehr als spannend. Ihr träumt nur davon? Es ist nicht mehr aufgetaucht?“

„Nein“, Skys Stimme traf mich fast unerwartet. Auch wusste ich nicht recht was ich fühlte, als ich sie hörte: „Nur in unseren Träumen.“

„Kurios“, ich wog meinen Kopf hin und her, als ich vollkommen abgelenkt von meinem Innersten mein sinnentleertes Statement vorbrachte: „Wirklich kurios. Ki hi hi hi!“

Dann roch ich etwas. Mein Kopf zuckte hoch und ich zog Luft durch die Nase ein.

Es roch verbrannt.

Ich war mir sehr sicher, es roch nach verbranntem Stoff.

Ich drehte meinem Kopf in die Richtung, aus der ich Skylers Stimme gehört hatte, mir wohl gewahr,dass es nur eine Möglichkeit gab, dass es in diesem Zimmer verbrannt roch:

Sky, dieser kleine endlos süße Schussel.

„Nihihihi! Du brennst.“

„Ich tu‘ was? Brennen?“, Sky klang vollkommen irritiert und ahnungslos: „Nein, ich… ich brenne nicht!“

Ich musste noch mehr kichern. Sie hatte tatsächlich keine Ahnung! Dieses Mädchen ist so wunderbar zerstreut!

Ich zeigte dahin wo ich ihre Hände vermutete. Schließlich wollte ich nicht, dass sie sich wirklich in Flammen setzte: „Fu fu fu. Aber gleich, wenn du so weitermachst.“

„Was?“, fragte Sky immer noch mit einer herrlichen Verwirrtheit zurück.

„Sky!“, hörte ich hingegen eine alarmierte Phantomhive: „Das Bügeleisen!“

„Oh Mist!“, war auch bei Sky der Groschen gefallen.

Ich hörte das hastige Rascheln von Stoff: „Och ne! Das kann doch nicht wahr sein! Die ist hin… und zwar total.“

Nach einem melodisch hellen Seufzen setzte eine kurze Stille ein. Eine Stille, die mich begleitet von dem Geruch verbrannten Stoffes dazu brachte kurz mit dem Kopf zu zucken und durch einen kleinen Spalt meines Ponys zu linsen.

Viel erkennen konnte ich nicht. Doch ich sah einen Schemen mit zimtbraunen Haaren etwas in seinen Händen beschauen: „Ein Fall für den Müll...“

Mit hängendem Kopf drehte sich der Schemen ein Stück.

Was dann passierte folgte Schlag auf Schlag.

„Sky!“, polterte Amys Stimme.

Etwas flog durch die Luft.

Es schepperte blechern und der Schemen strauchelte mit einem spitzen Schrei.

Ich erkannte auch ohne Brille sofort, dass sich Sky nicht fangen können würde. Doch mir sprang noch ein ganz anderer Gedanke durch den Sinn: ‚Das Bügeleisen!‘

Wenn sich ein zu Unglück verfluchter, liebenswerter Tollpatsch, neben einem aufgeheizten Bügeleisen auf das zarte Näschen legte, war die Situation dazu prädestiniert böse zu enden.

In der Sekunde, wo ich mir dessen bewusst wurde, stürzte ich intuitiv ins Zimmer, sprang über das Bügelbrett und schnappte Skyler an der Taille. Beiläufig fing ich das Bügeleisen mit meinem kleinen Finger, welches natürlich runter gefallen war. Um das zu wissen hatte ich es nicht sehen müssen.

Was ich getan hatte realisierte ich erst zu hundert Prozent, als alles vorbei war.

Es war nicht vor Anstrengung, aber mein Atem ging ein paar Atemzüge schwerer als gewohnt. Mir war wärmer. Ich schaute auf das schlaff in meinem Arm hängende Mädchen und erkannte was mit mir los war.

Ich hatte mich erschreckt.

Ich hatte Angst gehabt sie könnte sich verletzen.

Und in dem Moment, wo ich über Verletzungen nachdachte, erreichte der Geruch von verbranntem Fleisch meine Nase.

‚Oh nein...‘, mein Herz sackte ein Stück ab, als ich mir klar wurde, dass ich wohl nicht alles hatte verhindern können.

„Du hast es herbei geschrien“, ließ mich Amys Stimme den Kopf heben.

Ich schaute sie an und schaffte ein Lachen: „Ehehehe! Das war definitiv nicht der Vater des Gedankens.“

Amy fiel zurück in die Couch und schüttelte den Kopf. Sie wirkte ein wenig blasser um die Nase und schien sich ebenfalls erschrocken zu haben.

Meine Augen fielen kurz nach unten.

Es brauchte viel um mir einen Schreck einzujagen.

Doch Sky verstand es sich vollkommen unabsichtlich immer wieder in Schwierigkeiten zu bringen. MitKleinigkeiten. Sie hatte einfach viel zu viel Pech. Sicherlich hatte sie sich in der Vergangenheit das ein um das andere Mal furchtbar weh getan.

Ich… wollte nicht, dass sie Schmerzen hatte.

Weder körperliche noch seelische.

Doch ich war der Letzte, der sie davor bewahren konnte.

Schließlich war ich einer ihrer Albträume...

Ich schaute wieder auf das junge Ding.

Sie hat mittlerweile zu mir aufgeblickt und schaute mir genau ins Gesicht.

Sie sah so müde aus. Sie musste endlich wieder schlafen.

Eine Minute schaute wir uns nur an.

Skyler musterte mich genau.

Erst als sich der Ausdruck in ihren blauen Augen änderte wurde mir klar, dass sie mir in die Augen schauen konnte.

„Hast du dir etwas getan?“, fragte ich, um sie aus ihrem Starren zu holen.

Sie blinzelte, als wäre sie aus ihren Gedanken aufgewacht. Dann zog sie ihren Mund zusammen und kaute auf ihren schönen zitternden Lippen herum. Sie drückte ihre Hand auf ihren Unterarm.

In diesem Moment wusste ich, wo sie sich verletzt hatte.

Dann sammelten sich Tränen in ihren Augen.

Diese Reaktion auf meine Frage versetzte mir einen Tritt.

Ich schaffte es mein Grinsen zu halten, doch es kroch wieder eine furchtbare Kälte von meiner Magengrube hoch in meine Brust.

Die aufblühenden Eisblumen stachen schmerzend in mein Herz.

Dann ließ Sky den Kopf hängen.

Es sollte mich nicht wundern. Diese Situation muss für sie gänzlich unangenehm sein. Wenn nicht sogar schlimmer.

Es dauerte ein paar Minuten und sie drehte ihren Kopf wieder zu mir. Das Lächeln darauf war so falsch. So brachial falsch: „Nein. Nein, ich hab mir nichts getan.“

„Skyler?“, ich war so froh gewesen, dass sie mich mittlerweile zwar selten, aber wenn ehrlich angelächelt hatte. Dass sie – wenn auch immer ein bisschen verhalten – so viel mit mir gelacht hatte.

Weg.

Alles vergangen.

Nun war dieses unansehnliche scharfe Lächeln wieder da.

Mit großen Augen schaute Skyler mich an, als ich die Stimme erhoben hatte: „Wenn du schon meinst mich belügen zu müssen, solltest du dabei nicht so unsagbar falsch lächeln“,

sofort krachten ihre Mundwinkel nach unten: „Dieses Lächeln ist nicht nur furchtbar anzusehen, es enttarnt dich auch sofort.“

Sie ließ den Kopf wieder hängen.

Mit einem Seufzen versuchte ich vergeblicher Weise etwas Druck aus meinem Inneren zu entlassen. Es funktionierte nicht. Mir einen zweiten Seufzer verkneifend wickelte ich das Kabel um meine Fußspitze und zog es mit einem Ruck aus der Streckdose. Meine Augen ruhten auf der zierlichen Gestalt in meinem Arm. Die Wärme ihres Körpers kroch durch meinen Ärmel in meine Haut und krachte in das frostige Gefühl.

Sky krallte ihre Hand in ihren Arm. Ich war mir sicher ihr musste dies schmerzen. Deswegen fragte ich mich, warum sie es tat. Ich stellte das Bügeleisen ab und schaute zu Amy. Sie hatte Augenbrauen und Mund zusammengezogen und schaute mich ein wenig überfordert an.

„Ersthilfekasten“, formte ich stumm mit meinen Lippen und nickte Richtung Türrahmen. Fluchs entschwand die junge Phantomhive aus Raum und Wohnung.

Ich griff um und stellte Skyler hin.

Sie schaute mich nicht an, hielt nur verkrampft ihren Arm und wirkte furchtbar verloren.

Traurig und verloren.

Etwas an diesem Bild störte mich, abgesehen davon, dass die Situation an sich weniger als nur bescheiden war.

Ich wusste in meiner Nähe wollte sie nicht mehr sein.

Doch wie verhielt sich jemand, der nicht in der Nähe eines anderen sein wollte?

Man schickte ihn doch weg.

Versuchte ihn aktiv los zu werden.

Protestierte.

Wurde sauer.

Suchte schlechte Gründe und Ausflüchte.

Skyler tat nichts in dieser Richtung. Sie starrte zu Boden und schwieg mich an.

Wirkte nicht erzürnt, sondern niedergeschlagen.

Ich hatte schon eine Mannigfaltigkeit an Menschen erlebt, die meiner Anwesenheit entfliehen wollten. Da waren alle möglichen Reaktionen dabei gewesen. Doch keiner hatte sich so verhalten, hatte dabei so eine ernüchternde Ausstrahlung gehabt wie dieses schöne, junge Ding.

„Zeig her“, sprach ich sie schließlich an.

Ich konnte dieses unterschwellige Glimmen, sie wollte mir vielleicht gar nicht entfliehen, nicht ersticken. Egal wie irrelevant es für den späteren Verlauf der Dinge war.

Sky tat einen Schritt zurück und schüttelte ihren hängenden Kopf: „Es gibt nichts zu zeigen. Ich habe mir wirklich nichts getan. Danke für‘s Auffangen...“

Das Glimmen erlosch nicht mal eine Minute, nachdem es aufgegangen war.

„Wenn du dir nichts getan hast, dann nehme deine Hand herunter“, sprach ich allerdings weiter auf sie ein.

Ich konnte sie doch nicht verletzt hier stehen lassen.

„Wa-warum?“, fragte Sky zögerlich und recht überfordert.

„Na, wenn du doch nichts zu verstecken hast“, kurz… kam mir diese Konversation wie so viele vorher vor.

Ein wenig neckisch, kein Blatt vor dem Mund.

Doch die Atmosphäre…

… Sie war so anstrengend.

Ich merkte wie ich immer müder wurde, umso länger ich blieb.

Skyler schwieg kurz.

Wie ich sie kannte überlegte sie sich wieder eine nur allzu fadenscheinige Ausrede, die man nur allzu einfach enttarnte. Mit einem Kopfschütteln bestätigte sie wenig später meinen Verdacht: „Ich verstecke nichts.“

Ich seufzte. Umso gestresster Skyler war, umso unkreativer wurden die Ausreden. Diese Ausrede war so kreativ, wie einen Stein grau anzumalen. Also griff ich Skylers dünnes Handgelenk. Meine Finger passten mehr als nur einmal darum herum. Ich zog behutsam ihren Arm zu mir, doch ihre Hand versperrte mir weiter die Sicht.

„Herrje, nun zeig schon“, schob ich ihre Hand fort. Ihre Hand war auch gerade groß genug gewesen um die Blessur zu verdecken. Die Mitte der leuchtend roten Stelle warf schon Blasen. Natürlich, so ein Bügeleisen wurde ziemlich heiß – so viel wusste ich vom Hemden bügeln - und Sky hatte dazu noch so empfindliche weiche Haut. Die verbrannte Stelle darauf wirkte wie ein Sakrileg.

Mit einem noch bitteren Gefühl hob ich meine Augen in Skylers Gesicht, die selbst die Wunde beschaute und zusehends verlassener wirkte. Ich wartete, bis sie meiner stummen Aufforderung mich anzuschauen nachkam: „Nichts getan, ja?“

Sky ließ ihre Augen wieder nach unten fallen und wollte ihren Arm aus meiner Hand ziehen: „Das ist… nicht der Rede wert...“

Ich wusste, dass Sky sich nicht sofort um diese Blessur kümmern würde und ich wusste auch, dassdiese Blessur alles andere als klein war und versorgt werden musste. Also zog ich Skyler aus dem Türrahmen in Richtung Badezimmer und Waschbecken. Mit einer Hand hielt ich ihren Unterarm ins Becken, mit der Anderen stellte ich das kalte Wasser an. Obwohl es für solche Maßnahmen schon zu spät war, wollte ich für ein bisschen Linderung sorgen, bis Amy mit dem Ersthilfekasten wieder kam.

Skyler entfuhr ein seichtes Seufzen.

Ein paar Sekunden beschaute ich das Gesicht mit den so trüben traurigen blauen Augen durch einen Spalt in meinem Pony.

Dieser Ausdruck klaute ihren Augen so viel Anmut: „Warum belügst du mich?“

Sie wusste doch, dass es nichts brachte, warum versuchte sie es dann wieder? Sie konnte Nein sagen und meine Hilfe ausschlagen, aber sie wusste doch, dass es nichts brachte mich anzulügen.

Ihr Kopf zuckte zu mir. Sie musterte mich kurz, dann fielen ihre Augen wieder aus meinem Gesicht: „Es ist doch nichts schlimmes passiert. Ich habe mich nur ein bisschen verbrannt...“

„Nur ein bisschen verbrannt?“, diese Aussage klingelte lauter in meinen Ohren, als sie es tun sollte. Ich schaute kurz auf die leuchtend rote Stelle auf der fast schneeweißen Haut und dann wieder in Skylers Gesicht: „Sky, ich bin wahrlich nicht der geborene Hausmann. Nicht im Entferntesten. Aber ich weiß wie heiß ein Bügeleisen wird. Das muss doch schmerzen.“

Sie neigte nur kurz ihren Kopf: „Ach was. So schlimm wird es schon nicht sein und so weh tut es auch gar nicht...“, murmelte sie.

„Du belügst mich“, ich unterdrückte ein Seufzen. Ich seufzte in letzter Zeit wirklich viel zu viel: „Abermals. Warum?“ 

„Weil...“, wie üblich, wenn sie ad hoc keine Antwort fand, brach sie ab. Dass sie auf ihrer Unterlippe herumkaute zeigte mir, dass sie angestrengt nach einer suchte. Oder hatte sie eine? Und überlegte nur wie sie am besten darum herum kam, sie mir zu sagen? Warum sagte sie dann nicht einfach, dass sie es nicht sagen will?

„Weil?“, drängte ich sie, bevor sie sich etwas Erschwindeltes zurecht legen konnte.

„Weil ich dachte… es sei nicht so schlimm...“, Korrektur: Nichts gutes Erschwindeltes.

„Du musst doch Schmerzen haben“, betonte ich, dass ich ihr nicht glaubte.

Sie schaute mich wieder an.

Und während sie mich anschaute ging ein Schimmern durch ihre Augen. Ein kurzes helles Funkeln, welches ich nur ein paar Mal sehen durfte und mir immer wieder den Atem verschlug: „Vielleicht bin ich auch einfach nicht so empfindlich wie du denkst.“

Ein Anfall von Selbstsicherheit.

Eine kecke Entschlossenheit.

Ein Ausbrechen der festen Willensstärke, der unter all dem Schlamm der Vergangenheit lag.

Kurzum: Dieser Schimmer war zum Niederknien.

In Kombination mit diesem bestimmten Ton warf sie mir meine Welt kurz über den Haufen.

Dieser liebliche, kämpferische und unheimlich attraktive bissige Schimmer fesselte meinen Blick eine ganze Weile.

Ich konnte nicht wegschauen. Er machte es mir so schwer ihr zu wiederstehen.

Außerdem war er nur aufgetaucht, weil ich ihr zu Leibe gerückt war. Ich hatte mich ihr aufgedrängt.

Sie hatte recht: Nur weil sie sich verletzt hatte, hieß dies nicht, dass sie bemuttert werden musste.

Das schlechte Gewissen ließ meine Augen zu fallen.

Gleichzeitig wollte ich anerkennend lachen, weil sie endlich für sich eingestanden war. Doch der Umstand, warum sie dies getan hatte, verkrüppelte es zu einem verunfallten Schnaufen.

Ich schaute Skyler an, die mir nun abschätzend ins Gesicht schaute. Ihr Blick verriet mir, dass sie schon wieder tiefer schaute, als ich wollte. Viel tiefer.

Doch bevor noch einer von uns über das Rauschen des Wasserhahnes hinweg etwas sagen oder tun konnte, kam Amy durch die Haustür und hielt einen roten, kleinen Koffer in die Luft: „Hab ihn!“

„Wunderbar!“, zog ich mein Grinsen wieder auf. Ich wollte Sky von dem in mir fernhalten, von demich selbst nur halb wusste und nicht recht ergründen konnte was es war.

Weil es so konfus war.

Heiß, kalt.

Beengend, zerreißend.

Schrill, dumpf.

Paradox zu jeder Zeit.

Ich stellte das Wasser wieder ab, zog Skyler an ihrem Arm hinter mir her und schnappte mir beiläufig den Erste-Hilfe-Kasten. Im Wohnzimmer drückte ich Skyler an den Schultern auf die 2er Couch und setzte mich daneben. Ich kramte alles was ich brauchte heraus und versuchte durch gespielte Langsamkeit Entspanntheit zu heucheln. Ich schmierte die versengte Stelle ein. Die Wärme und das Gefühl von Skylers Haus unter meinen Fingern ließ mich unwillkürlich wieder grinsen: „Ni hi hi hi. Du bist ein kleiner Unglücksrabe.“

„Vielleicht“, kurz zögerte Sky, doch sie hatte etwas Sonderbares in ihrer Stimme: „Aber ich deichsel das schon.“

Ich konnte nicht ganz lesen, was zwischen den Zeilen stand. Eine Art Bestimmtheit, aber keine Sicherheit.

Die wirklich große Mehrheit von Menschen, Dämonen, Engeln und auch Sensenmännern waren so schwer zu durchschauen wie ein Bilderbuch für unter 3 Jährige.

Doch Sky?

Sie hatte die eine oder andere Nuance in Ton, Stimme und Verhalten, Anflüge von Paradoxien und eine recht unberechenbare Sprung- und Wechselhaftigkeit, die für mich nicht immer sofort klar auf der Hand lag.

Wahrscheinlich machte sie das für mich so spannend.

Sie schürte meine pure Neugier.

Und ich war bekennend furchtbar neugierig.

„Ehehehe! Aber mit Sicherheit“, lachte ich sie an und machte ihrem spontanen Selbstbewusstsein all meine restliche Heiterkeit zum Geschenk.

Ein kurzes Zucken ging durch Skys Körper: „Bitte?“

„Mit Sicherheit deichselst du das“, ich blickte sie kurz zurück an, legte dann aber schnell das Wundpad auf die eingeriebene Stelle und begann den Verband herum zu wickeln, damit ich nicht in Versuchung kam zu bleiben, was ich so gerne wollte: „Hi hi hi hi. Ich würde nichts anderes von dir erwarten.“

„Wa-wa-wa-wie bitte?“

Ich machte einen Knoten in den Verband, als ich ihr Ego zu retten versuchte, was von ihrer überforderten Art schon wieder verscheucht zu werden drohte, aber ihr doch so gut stand: „Na, ich zweifle nicht im Mindesten daran.“

„Warum…“, ich merkte, ich hatte es nicht gerettet. Es war so schade darum: „Betonst du mein Pech dann immer so?“

„Fu fu fu“, lachte ich mehr gegen meine innere Müdigkeit an, als für oder gegen alles andere: „Na, weil es faszinierend ist wie viel Pech ein Mensch haben und es trotzdem immer wieder zum größten Teil unbeschadet überstehen kann.“

„Wie… meinst du das…?“

Gezwungen gemächlich packte ich alles wieder zurück in den kleinen Koffer, nachdem Skylers Arm verbunden war.

„Ich meine, dass du...“, ich stockte in meinen eigenen Gedanken.

Ich wollte ihr sagen wie gut ihr diese Willensstärke und Bestimmtheit stand.

Wie schön sie war.

Wie interessant sie war und wie neugierig sie mich machte. Weil sie einfach so vielseitig und wechselbar war.

Wollte ihr sagen, dass sie schlicht und einfach und vollkommen gänzlich faszinierend war.

Doch als es mir auf der Zunge lag fiel mir ein, dass sie es von mir sicherlich nicht mehr hören wollte. Nicht nach allem was sie erfahren hatte, wie sie darauf reagiert hatte und was ich dabei und danach getan hatte: „Ein faszinierend einzigartiges Glück im Unglück hast.“

Ich stand auf.

Ich musste gehen, ansonsten sah ich die Situation, meine Kontenance und alles Drumherum rauschend untergehen. Denn ich würde noch irgendetwas sagen oder tun, was wieder zum Unguten führen würde. Schon alleine, weil es mit jeder Sekunde schwerer fiel zu gehen, weil mir immer mehr auffiel, was mir gefiel und ich ständig im Hinterkopf hatte, all dies nicht mehr zu sehen. Mit der sonntäglichen Offenbarung wie attraktiv sie war, bis hin zu dieser aktuellen inneren Abhandlung was an ihrem Verhalten alles ansprechend war, wurde die Gewissheit in mir immer unleidlicher.

Immer kälter.

Immer bitterer.

Ich musste gehen.

Sonst würde ich verrückt.

Und zwar endgültig und komplett und noch mehr als sonst und üblich.

„Warte!“, griff mich plötzlich eine Hand.

Ich grinste nur noch, weil alles in mir vergessen hatte meinen Gesichtsausdruck zu ändern.

Ich schaute auf unsere Hände.

Ich merkte Skylers Wärme in meine Finger kriechen.

Und diesen Wahnsinn in mein Herz.

Nach ein paar Sekunden, die ich brauchte um mich zu fangen, schaute ich ihr ein letztes Mal ins Gesicht und zog meine Hand aus ihrer: „Ni hi hi. Ich sollte jetzt gehen.“

Mit einem mir rätselhaften Ausdruck musterte Sky mein Gesicht.

Gründlich.

So gründlich wie nie zuvor.

Erst dachte ich, dass dieser Ausdruck Trauer sei. Und davon nicht wenig. Aber das passte nicht. Warum sollte sie traurig sein, wenn ich ging? Wenn ich sie endlich in Ruhe ließ?

Ich beschloss nicht weiter zu rätseln. Manche Antworten machten das Leben nicht leichter oder besser und diese Antworten brauchte man nicht.

So wandte ich mich ab und winkte über meine Schulter: „Nun denn, meine Damen. Ich wünsche einen angenehmen Abend. Kihihi! Und vergesst ja nicht: Wenn irgendetwas Seltsames geschieht, ruft mich an.“

„Klar“, hörte ich Amy, die bis jetzt geschwiegen hatte und verschwand mit einem schnellen Satz aus dem offenen Fenster.
 

Ich dachte an alles und an nichts, als ich an der Hintertür meines Ladens ankam.

Bevor ich nach Hause gegangen war, war ich noch lange über den Friedhof spaziert und hatte ein bisschen Unkraut aus den befreundeten Gräbern gezupft, während ich über alles hin und her überlegt und philosophiert hatte.

Ich fühlte mich recht ausgelaugt und tot gedacht.

Und immer noch war ich recht hin und her gerissen, ob Skys Verhalten zu dem passte, was ich dachte. Etwas in mir flüsterte mir unaufhörlich ins Ohr, dass mein Eindruck mich getäuscht hatte. Die Meinung der schönen, jungen Frau von mir vielleicht doch nicht so von Angst und Flucht geprägt war. Doch leider war ein trauriger Ausdruck im Gesicht dieses Mädchens auch ihr schlimmstes Accessoire.

Ich wusste allerdings nicht, ob mir ihre Art von Gegenwehr reichte.

Sie hatte sich zwar dagegen gesträubt mir ihre Blessur zu zeigen, mich aber nicht hinaus geworfen oder Anstalten in diese Richtung gemacht.

War sie einfach zu höflich?

Zu gut?

Zu lieb?

Mit einem abermaligen Seufzen beendete ich diesen Gedankengang, der mich doch nicht weiter brachte.

Der mir nichts brachte.

Für ihr Seelenheil musste ich verschwinden.

Wer von uns das wollte oder nicht war nichtig.

Ich betrat meinen Laden durch die Hintertür und ging durch den Türbogen in den Verkaufsraum.

Dort passierte etwas sehr seltenes:

Etwas Lebendes begrüßte mich.

„Undy! ~♥“

Ich klopfte Grell, der mir prompt um den Hals sprang, sachte ein paar Mal auf den Rücken: „Hallo, lieber Grell.“

Ich sagte es nicht, ließ es mir auch nicht anmerken, aber eigentlich war mir gar nicht nach Besuch oder Gesellschaft an sich.

Grell ließ mich los. Da auch seine Kleider wohl noch im Weston Ladys College über der Heizung hingen, trug er eine legerere und modischere Kleiderkombination als üblich. Er hielt mir etwas hin: „Hier!“

Ich nahm ihm das Etwas aus der Hand, hielt es vor meine Nase um es überhaupt erkennen zu können und schaute dann wieder zu Grell: „Ni hi hi. Whisky?“

Grell hob bedeutungsschwer einen Zeigefinger und stemmte die andere Hand in die Hüfte, als würde meine Bezeichnung der Sache nicht im Ansatz gerecht werden: „ ‚Nikka From the Barrel‘, so viel Zeit muss sein. Blended Whisky aus Japan. Ich hab mir für dich was ganz besonderes ausgesucht!“, er streckte die Hand ganz aus und legte die zweite auf sein Herz: „Fruchtig, würzig und floral mit einer Spur Orange! Komplex mit Eiche, Gewürzen und etwas Honig! Lange, feine Eichen- und Schokoladennoten im Abgang!“

Kurz zog ich eine Augenbraue hoch. Dann entlockte Grells Betragen mir ein flaches Lachen: „Ehehe! Sacrebleu! Womit habe ich denn das verdient?“

Ich ging an Grell vorbei zu meinem Tresen, während ich mir schon denken konnte, warum Grell auf einmal mit einem Geschenk in meinem Laden stand: Er wollte sich dafür entschuldigen wie ein Vorschlaghammer in die Situation zwischen Skyler und mir gefahren zu sein.

Die Frage war eher, ob er sich dafür entschuldigen musste.

Ich konnte mir nicht vorstellen was passiert wäre, wäre Grell meiner unkontrollierten Impulshandlung nicht zuvor gekommen. Ich bezweifelte, dass sie die Situation einfacher gemacht hätte.

„Ich… wollte mich entschuldigen…“, bestätigte mich Grell prompt und unüblich zögerlich. Grells Scham und schlechtes Gewissen wurde durch dieses Zögern fast greifbar.

Es klackte leise, als ich die Flasche abstellte, mich zu Grell drehte und die Arme verschränkte, während ich mich gegen meinen Tresen lehnte: „Aha?“

„Wegen… Sonntag.“

„Ich weiß“, grinste ich.

„Ich weiß, doch weißt du“, Grell kratzte sich am Hinterkopf: „Von oben sah es so aus… ich dachte ihr hättet euch schon… ja…“

Ich schüttelte den Kopf: „Falsch gedacht.“

„Hat mir Ronalds Death Scythe auch gesagt“, Grell seufzte: „Ich wollte, dass du weiter machst und nicht dich sabotieren…“

„Ich brauche keinen Cheerleader, Grell.“

„Aber…“

Mit einem Kopfschütteln unterbrach ich ihn: „Nichts aber.“

Übertriebenes Cheerleading war schließlich einer der vielen Gründe, warum ich nicht mehr für den Dispatch arbeitete. Die meisten Wesen können sich gar nicht vorstellen wie es ist, wenn man seinen eigenen Name schlicht nicht mehr hören konnte. Einfach, weil man ihn ständig, immer und überall zu hören bekommt, teilweise nur im Abstand von wenigen Minuten!

Ich ging um meinen Tresen herum, setzte sich auf meinen Stuhl, klaubte 2 Whisky-Gläser aus dem Regal und wollte ein Tuch zum Staub abwischen suchen. Kaum hatte ich den Griff der Schublade gegriffen, wurde ich mir bewusst, dass es gar nicht nötig war:

Sie waren sauber.

Alles in den Regalen war sauber.

Die Regale an sich waren sauber!

Dank der Mädchen.

Ich seufzte, als ich gebeutelt von den Erinnerungen an diesen Freitag die Gläser auf den Tresen stellte.

„Du bist immer noch sauer auf mich“, legte Grell Arme und Kopf mit traurig aufgeplusterten Bäckchen auf die Tischplatte, als er sich mir gegenüber vor den Tresen hockte.

Ich öffnete die Flasche. Sie hatte wirklich ein schönes Bouquet: „Warum sollte ich?“

„Du bist so ernst und du beseufzt was ich hier tue“, ich schaute vom Eingießen hoch, als Grell wirklich niedergeschlagen klang: „Und du seufzt sonst nie. Ich will mich wirklich entschuldigen… Ich hab ziemlichen Mist gebaut…“

Ich setzte die Flasche ab und drehte sie zu: „Deswegen seufze ich nicht.“

Der Reaper hob seinen Kopf mit einem skeptischen Ausdruck und nahm sein Glas an, ohne wirklich davon Notiz zunehmen: „Wie? Warum dann?“

Mein Glas in der Hand, zog ich ein Lächeln auf, lehnte mich zurück, klemmte meinen Schuh an die Tischkante und wackelte ein bisschen mit meinem Stuhl, als mir gewahr wurde, dass der rothaarige Sensenmann anfing mein Gemüt zu analysieren: „Tihihi! Das ist ein Geheimnis.“

„Wie?“, Grell stand auf und setzte sich halb auf den Tresen: „Jetzt erzähl!“

„Nope“, legte ich breiter grinsend den Kopf schief und nahm einen Schluck: „Hm, der ist wirklich lecker. Kihi!“

„Och, Undy! Komm schon! Was bringt dich denn schon zum Seu… Shit!“, Grell schlug eine Hand vor den Mund: „Sag nicht, Sky ist jetzt sauer, dass du sie nicht geküsst hast!“, er sprang auf: „Oh mein Gott! Ich muss das richtig stellen!“

Dann rannte er los Richtung Tür.

Beiläufig hielt ich ihn ohne hinzuschauen an den langen Haaren fest.

„Ei jey jey jey jey!“, fiepte die Feuerlocke und hüpfte rücklings seiner Haarpracht hinterher, an der ich ihn zurück zum Tresen zog: „Nicht die Haare!“

„He he! Beruhige dich! Es ist nicht wegen dir. Was du unterbrochen hast ist“, ich stoppte kurz. Dabei ließ ich Grells Haare los. Ich musste eine kleine Hürde überwinden, um es auszusprechen. Auch bereitete mir das Halten meines Grinsens Mühe: „Es war besser so.“

„Wie?!“, Grell stützte sich auf den Tisch, einen Gesichtsausdruck geprägt von purer Verständnislosigkeit mit Tendenzen zu Schock: „Besser so?! Du wolltest sie küssen!“

„Zum zweiten Mal, ja“, ich spülte aufkommende Resignation mit Whisky runter. Was wäre passiert, hätte ich es Halloween geschafft? Hätte es das alles verhindert? Hätte es alles nur schlimmer gemacht? Hätte ich sie danach überhaupt wiedergesehen oder mir nur eine deftige Ohrfeige abgeholt?

Hätte, hätte, hätte.

All diese Gedanken waren egal.

Sie brachten mir nichts.

Grell schaute mich fragend an: „Du hast sie schon…?“

Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Ich versuchte schon mal.“

„Was?! Du erzählst mir so was nicht?! Wann?!“

„Nihihi! Halloween“, ich nahm eine weiteren Schluck.

„Was?!“, Grell saß auf einmal mit seinen Knien auf der Tischplatte und streckte mir die Nase ins Gesicht: „Aber nicht, als ich dich aus dem Sarg gezogen habe, oder?“, Grell nahm mich an den Schultern und schüttelte mich: „Oh bitte sage mir nicht ich habe es zweimal versaut!“

Ein Schluck Whiskey schwappte durch das Schütteln aus meinem Glas. Ich fing es wieder mit selbigen und griff Grell mit der anderen Hand an der Nase, damit er innehielt: „Fuhuhuhu! Nein! Am Bach, kurz bevor du meine Wackelpuddingbombe näher kennenlerntest! Ehehehehe!“

Grell hielt wie gewollt inne und wedelte aber meine Hand weg: „Ich habe es dir immer noch nicht verziehen!“

„Wie gut, dass wir jetzt quitt sind“, grinste ich über mein Glas hinweg.

Grell setzte sich auf seine Füße und verschränkte die Arme: „Touché. Aber warum hast du es da nicht getan? Alles könnte ganz anders aussehen.“

„Kinder kamen dazwischen“, ich lachte: „Kehehehe! Grell! Was nützt es mir ‚Was-wäre-wenn‘ zu spielen. Dem ist nicht so.“

„Aber…“, mit einem Seufzen kletterte Grell von der Tischplatte: „Das ist so schade!“

Ich nahm den letzten Schluck aus meinem Glas: „Tehe. Vielleicht.“

„Es ist schade“, der Reaper nahm sein Glas und schaute auf meines: „Schon leer?!“

„Du quasselst zu viel“, stellte ich giggelnd mein leeres Glas auf den Tisch und schenkte mir nach.

„Hast du Frust?“, fragte Grell und nippte an seinem Glas.

„Freut es dich nicht, dass ich an deinem Geschenk Freude finde?“

„Doch klar“, Grell lachte kurz: „Ich dachte schon du würdest versuchen was runter zu spülen.“

Verflucht sei Grell und seine Empathie.

Auch wenn ich ihm im Glauben ließ, er habe sich geirrt.

Ich hatte mir nicht bewusst vorgenommen, meine Probleme zu ertränken. Vor allem, weil es eh nicht funktionierte. Aber ich hatte für meine Verhältnisse wirklich schnell getrunken. Vielleicht machte mein Unterbewusstsein gerade aufgrund meines chaotischen Gemütszustandes komischere Dinge mit mir, als üblich.

Doch das war auch egal.

Eigentlich war vieles egal!

Drüber nachdenken tat ich trotzdem.

Und ich konnte es nicht abstellen. Ich konnte denken noch nie abstellen. Mein Kopf brauchte immer irgendwie Beschäftigung, ansonsten zogen die Gedanken ganz ungute Kreise. Ich hätte für ein paar Minuten Gedankenstille viel getan und viel gegeben.

Ich lachte, was sich ziemlich hohl anfühlte: „Ehe he he! Das macht wenig Sinn, wenn man sich noch nicht einmal ordentlich betrinken kann, oder?“

Grell nippte an seinem Glas: „Manchmal wünschte ich mir, wir könnten es…“

„Fuhuhu! Vergiss es, Grell“, ich machte eine Wellenbewegung mit der Hand: „Die Probleme, die du los werden möchtest, brauchen alle keine Schwimmflügelchen mehr.“

„Und deine?“

Ich drehte den Kopf ab: „Te he he! Die sind groß genug zum Stehen!“

„So um die… 1,70m?“

Ich schaute Grell wieder an, trank aber nur einen Schluck aus meinem Glas.

Gell hob eine Hand: „Denke nicht es fällt nicht auf, wie komisch du dich seit Freitag benimmst. Du hast Streit mit Sky, richtig?“

Ich legte den Kopf schief. Ich schaffte es weiter zu grinsen, doch ein Lachen bekam ich nicht mehr hervor: „Wie kommst du darauf?“

„Bei den Phantomhive warst du bedenklich still, abgesehen von der Tatsache, dass du Ronald in der Wand versenkt hast. Am Sonntag warst du Sky gegenüber eine bedenklich paradoxe Mischung ausziemlich nahe und furchtbar distanziert und jetzt bist du ständig am Seufzen“, Grell schüttelte den Kopf: „Denk‘ nicht, dass du mit deinem dösigen Grinsen immer alles verstecken kannst. Du bist gut darin und verdammt schwer zu durchschauen, aber das irgendetwas nicht stimmt kannst du nicht mehr kaschieren. Ich erkenne Liebeskummer wenn ich ihn sehe, auch bei dir! Es ist irgendwas zwischen euch passiert und Ronald hatte irgendwas damit zu tun. Also! Raus damit!“

Ich wankte kurz.

Ich wollte nicht lügen.

Es lief mir immer noch nach, dass ich Samstag bei den Phantomhives gelogen hatte. Ganz impulsiv und ohne darüber nachzudenken. Ich log nie und das sollte sich auch jetzt nicht ändern, auch wenn ich immer öfter merkte, dass ich kurz davor stand. Weil es immer öfter darum ging, wie es mir ging. Eine Frage, mit der ich die letzten Jahrzehnte fast nie und wenn nie wirklich ernsthaft konfrontiert wurde. Mit Vincent war der Letzte gestorben, der mich wirklich regelmäßig ernstgemeint danach gefragt hatte.

Und dann kam Sky.

Und Sky fragte mich ständig.

Und deswegen merkte ich immer wieder, dass ich aus der Übung war auf diese Frage zu antworten. Doch auf jeden Fall war mein Wohlbefinden meine Privatsache. Fremde Nasen hatten dort nichts zu suchen.

Darüber reden wollte ich nicht.

Oder doch?

‚Ein bisschen Schmerz von der Seele reden, tut doch immer gut, oder?‘, hallte eine melodische Stimme durch mein Ohr.

Sky hatte dies zu mir gesagt, nachdem wir aus dem Dispatch zurück im Manor waren. Auf dem Balkon. Als sie mir wirklich hat helfen wollen, weil sie erkannte, dass mir etwas auf der Seele lag. Auch mit ihr hatte ich erst nicht reden wollen, musste mir aber eingestehen, dass es wirklich gut getan hatte.

Doch mit Grell?

Mit ihm nicht.

Ich war mir sicher es lag nicht an ihm. Ich war einfach nicht der Typ, der seine Seele ausschüttete und sein Seelenleben ausbreitete. Was brachte mir so etwas auch? Außer, dass derjenige sehr wohl meine wunden Punkte mitbekam.

Ich wollte nicht angreifbar werden.

Ich wollte keine empfindsame Angriffsfläche bieten.

Es war nur natürlich auch die Schwächen der Leute auszunutzen, die man mochte. Ich selbst tat dies ja auch ständig! So war es am besten, wenn die Schwächen und Empfindsamkeiten einfach keiner kannte. Außerdem konnte auch Grell an der Situation nichts ändern.

Es war einfach egal, ob ich sprach oder nicht.

Egal wie so vieles andere.

Also sah ich nicht ein mir auch noch die Mühe zu machen, alles was so konfus durch meinen Kopf flog in Worte zu fassen: „Nein.“

„Aber…!“

Ich unterbrach Grell mit einem grinsenden Kopfschütteln ein zweites Mal: „Ich habe Nein gesagt.“

„Du…“, Grell war empört: „Du kannst mich doch nicht einfach mit einem ‚Nein‘ abspeisen!“

„Oh doch“, ich zeigte grinsend meine Zähne: „Wie du gerade am eigenen Leib erfährst.“

„Ich will dir helfen!“

„Ich weiß“, ich stellte mein Glas auf den Tisch: „Nihihi! Und ich lehne ab.“

„Aber…!“

Ich hob eine Hand und unterbrach Grell ein drittes Mal: „Es genügt.“

„Du sturer Esel!“

Ich neigte den Kopf: „Tihi! Ich weiß.“

„Du undankbarer sturer Esel!“

„Nehe! Auch das stimmt.“

„Du…!“

„Grell“, ich stützte mein Gesicht in eine Hand: „Eh he he he. Es reicht, findest du nicht?“

„Nein!“

Ich seufzte. Dann schaute ich auf meine Taschenuhr und lachte: „Fuhuhuhuhu! Dann tobe von mir aus weiter! Du hast noch 45 Minuten dafür Zeit, dann habe ich eine Beerdigung. Aber lasse mich vorher ein Buch holen, um dich wirklich ignorieren zu können, ja?“

Grell klappte der Kiefer auf.

„Du…“, ein paar Sekunden starrte er mich nur an, dann ergriff ihn die übliche Raserei. Wütend sprang er auf und ab: „Ich fasse es nicht! Dann buddle dich doch selbst ein, du ungehobelter alter Ochse! Vielleicht haben die ganzen ekeligen Krabbelviecher einen Rat für dich! Ich fass‘ es wirklich nicht! Ich biete dir meine Hilfe an! Zum Nulltarif übrigens! Etwas, was dir Halsabschneider nicht mal im Traum einfallen würde und du sagst einfach NEIN?! Na, dann geh doch vor die Hunde, du Arsch!“

Grell wusste gar nicht, dass er mir genau damit tatsächlich ein Stück half. Mehr als damit mich zum Reden zu zwingen.

Denn ich fing lauthals an zu lachen!

Und es tat gut zu lachen!

Ich konnte mich wie üblich wunderbar über Grell amüsieren, der sich aufführte wie ein auf linksgedrehter Hofzwerg und sich über seine verschmähte Hilfe in einer Szenerie aufregte, die wie üblich seines Gleichen vergeblich suchte.

Grell war herrlich!

Ich wusste wieder, dass ich den Reaper so sehr mochte, weil bei ihm kein Auge trocken blieb. Grell wusste selbst nicht, wie viel solche Wesen wert waren. Wie viel es Wert war jemanden in jeder Gefühlslage zum Lachen bringen zu können. Denn wer viel lachte, musste durchatmen und wer durchatmete fühlte sich danach immer ein Stück freier.

Solche Wesen – Grell - war Gold wert!

„Oh, und jetzt lachst du, oder was?!“, Grell schlug mit der Hand auf den Tisch und ich fiel fast vor Lachen vom Stuhl: „Ich bin nicht deine Witzfigur, du verdammter alter Knacker! Nimm mich ernst, du Trottel!“

Ich legte meinen lachenden Kopf auf den Tisch, während ich gleichzeitig wie vergeblich versuchte Luft zu holen. Mein ganzer Bauch war vor Lachen ganz warm, das Amüsement und das Schnappen nach Luft beschäftigten meinen Kopf und meine Lungen brannten, was das grausam kalte Gefühl vertrieb.

Ich wollte etwas sagen, doch als ich meinen Kopf ein Stück hob, um Grell anzuschauen kam nur ein lachendes Quietschen aus meinem Mund.

Grell schlug immer wieder mit flachen Händen auf den Tisch, was Whiskyflasche und Gläser hin und her hüpfen ließ: „Hallo?! Hackt es bei dir?! Sei mal ein bisschen dankbar!“

Ich setzte mich japsend auf und wischte mit die Tränen aus meinem Augen: „Fuhuhuhuhuhu! Herrlich! Fabulös! Grell, du bist zum niederknien!“

Grell hielt inne: „Ich bin was?“

„Wuhuhu! Zum niederknien!“

Grell stemmte die Hände in die Hüften und wackelte angetan ein bisschen mit dem Kopf und Schultern: „Ja, du hast recht. Ich bin ziemlich gut.“

„Eh kehehehehehe!“

„Was soll jetzt diese dreckige Lache?!“

Ich wollte etwas erwidern, doch schrillte in diesem Moment mein Telefon durch das doch ungeahnt heiter amüsante Gespräch, welches ich mir lobte wie schon lange keines mehr!

Ich atmete noch einmal tief durch und hob immer noch giggelnd den Hörer ab: „Ti hi hi hi! Undertakers Funeral Parlor, was kann ein bescheidener Bestatter für Sie tun?“

„Heeeey Onkelchen! Na, wie geht‘s?“, surrte mir Amys Stimme leger wie üblich entgegen. Doch ein unterschwelliger Stress in der jungen Stimme der Phantomhive ließ mich sofort aufhorchen. Ich hatte einen Verdacht, was Amber animierte mich anzurufen: „Ehe he he! Hallo, liebste Amber. Viel interessanter ist wie es dir geht. Du hast im rechten Moment angerufen, ich bin gleich außer Haus.“

„Oh, wohin denn? Beerdigung?“

„In der Tat“, giggelte ich: „Ein naheliegender Gedanke, nicht?“

„Ja, ja klar“, dann seufzte die junge Frau: „Aber wenn du unterwegs bist, wie sollen wir dich dann eigentlich erreichen? Du hast ja kein Handy.“

Ich verzog eine Schnute: „Eine sehr gute Frage.“

„Und die Antwort?“, schlug Amy weiter in die Kerbe, die gerade einen Nerv ankratzte.

„Ki hi! Diese kleinen Dinger sind einfach nicht meine Welt“, entgegnete ich, was ich immer entgegnete und was auch schon immer der Wahrheit entsprochen hatte. Sicher, reinfuchsen konnte man sich in alles, aber empfand ich diese Handys doch als eher unleidlich. Sie schränkten Privatsphäre so sehr ein, wie sie Kommunikation ausweiteten. Es sei denn man saß sich gegenüber. Dann schränkten sie auch die Kommunikation ein, was paradox war, da sie ja eigentlich zum konversieren entwickelt wurden.

„Himmel, warum auch immer“, stöhnte mir Amy ins Ohr.

„Nehehe! Man kann auch ohne gut leben, stelle dir vor.“

„Die sind schon praktisch.“

Ganz Unrecht hatte die junge Phantomhive wahrscheinlich nicht. Schließlich hatte mich Amber auch nicht erreichen können, als der Leviathan angegriffen hatte, was prinzipiell hätte schlecht enden können.

Sehr schlecht.

Vielleicht wurde es langsam Zeit ein wenig… mit der Zeit zugehen. Schließlich bestand ich darauf, dass die Mädchen sich meldeten, dann musste ich auch dafür Sorge tragen wirklich erreichbar zu sein.

Ich schaute auf meine Uhr, die mir verriet, dass ich noch ca. 35 Minuten Zeit hatte: „Amy, ich plaudere liebend gerne mit dir, aber es wartet ein Sarg und eine Kapelle auf mich. Ki hi hi! Beides ungeschmückt. Warum rufst du mich an?“

„Warum wohl? Wir hatten Besuch!“

Ich stellte fest, dass ich nicht zwingend immer Recht behalten musste. Manchmal wäre es schön, wenn eine schlechte Ahnung einfach nur eine schlechte Ahnung blieb: „Hat es euch etwas getan?“

„Nein, es geht uns gut. Kein Kratzer, kein Haar gekrümmt.“

Ich zog die Augen zusammen: „Wer hat es gesehen?“

‚Bitte nicht Sky‘, flüsterte eine Stimme in mir. Die junge Dame sah so müde aus und schlief so schlecht. Sie hatte doch schon genug abbekommen, dann doch nicht auch noch dieses Ding.

„Ich“, war die Antwort der Phantomhive sehr erleichternd.

„Was hat es getan?“, gelang es mir trotzdem nicht, mein kurz wiedergewonnenes Amüsement zu behalten. Das Monster in Skylers und Ambers direkter Umgebung verursachte abermals ein schlechtes Gefühl.

Ich machte mir Sorgen um die schöne Brünette.

„Gar nichts!“, ich zog aufgrund Amys Aussage eine Augenbraue hoch. Auch Grell hatte die Augenbrauen zusammengezogen, während er mir mit verschränkten Armen stumm beim Telefonieren zuhörte und sich die Konversation erschloss.

„Es hat mich nur angestarrt“, fuhr Amber fort: „Aber ich sage dir, dass Vieh ist ein Fall für dich!“

Ich zog beide Augenbrauen zusammen.

Grell sah diese Mimik zwar durch meinen dichten Pony nicht, doch wirkte er als würde er sie sehrwohl fühlen.

Warum tauchte dieses Ding auf und tat nichts?

Wo war der Sinn?

Ging es nur um das pure Erschrecken?

Mein Verdacht stieg wieder in mir auf, doch ich tat ihn ab. Es war im gesamt Bild betrachtet nicht so naheliegend wie es erst wirkte.

„Wo?“, fragte ich nach meiner kurzen Denkpause, die Grell nur hat noch skeptischer gucken lassen.

„Sporthalle, Umkleide“, antwortete Amy: „Ich kam gerade aus der Dusche.“

„Dusche?“, ich tauschte mit Grell einen Blick durch einen Spalt in meinen Pony. Er stemmte die Hände in die Hüfte und schaute mich mit einem halb verwunderten und dann bestätigenden Ausdruck an.

„Skyler hat es auch nach dem Duschen überrascht“, sprach ich den Gedanken aus, den ohnehin jeder dachte.

„Ja, ist uns auch schon aufgefallen, genau wie uns auffiel, dass das Vieh nicht angreift.“

„Eh he he! Wie befremdlich“, egal wie viel ich grübelte, der fallende Groschen blieb vorerst aus. Auch Grell schaute schwer nachdenklich, aber ebenso ergebnislos in mein Gesicht: „Könnte es etwas davon abgehalten haben?“

Oder es konnte nicht, was nicht hieß, dass es potenziell weniger gefährlich war.

Es gab Wesen, die komische Dinge mit Energien, Auren und Präsenzen anstellen konnten, was sehr wohl eine extrem gefährliche Angelegenheit war. In einer direkten körperlichen Auseinandersetzung würden sie aber gnadenlos und immer den Kürzeren ziehen.

Zu 99 % deswegen, da diese Wesen überhaupt keinen Körper mehr hatten.

Genau wie…

Aber wir hätten es bemerken müssen.

„Keine Ahnung“, seufzte Amber hörbar müde. Dass auch sie so müde war, schrie eigentlich nach meinem Verdacht. Er wirkte so naheliegend, wie er im Endeffekt unmöglich war.

Doch was war schon wirklich unmöglich?

„Wir sind hier allein“, fuhr die Adelstochter fort: „Es hätte die Gelegenheit gehabt.“

Ich kratzte mich kurz an der Wange: „Ruhe dich etwas aus, Amber und seid wachsam. Ich lasse mir etwas einfallen.“

„Alles klar!“

„Passt auf euch auf“, setzte ich noch hinterher und schaute Grell an.

„Ja, wir passen auf uns auf.“

„Wir sehen uns spätestens Morgen“, verabschiedete ich mich und Grell sah mich nun mit einer sehr großen skeptischen Portion böser Ahnung an, die ihm gar nicht gefiel und die nicht mehr auf das komische Wesen gemünzt war.

„Jo, bis dann!“, verabschiedete sich die Phantomhive und legte auf.

Auch ich legte den Hörer zurück auf die Gabel.

„Das Ekelvieh von Sonntag?“, fragte Grell.

Ich nickte: „Was auch immer es ist.“

Die Anwesenheit dieses Wesens gefiel mir nicht.

Ganz und gar nicht.

Grell legte den Kopf schief: „Du hast eine Idee.“

„Eine vage“, grinste ich und verschränkte die Arme: „Doch es gibt mehr dagegen, als dafür.“

Grell setzt sich wieder halb auf die Tischplatte: „Erzähl.“

„Ni hi hi. Wozu, wenn es unwahrscheinlich ist?“

„Sagt der Kerl der bewiesen hat, dass sich ‚unmöglich‘ nur als zu oft im Rahmen des Möglichen bewegt.“

„Ich werde noch ganz rot“, giggelte ich.

„Bescheiden wie immer“, Grell hob eine Hand: „Lass uns ein bisschen hin und her grübeln. Wem schadet es denn?“

„Ki hi hi! Niemandem“, ich legte die Füße auf die Tischplatte: „Du zuerst.“

Was Grell dachte interessierte mich.

Auf viele wirkte Grell nicht allzu intelligent, weil seine Art recht impulsiv und unkontrolliert war. Doch ich wusste sehr wohl, wenn das rote Köpfchen erst einmal ratterte war es wert, dass Ergebnis anzuhören.

„Der Engel vielleicht?“, Grell zog eine Schnute: „Shape-shifting können die schließlich auch und er ist schon zu einem sehr passenden Zeitpunkt aufgetaucht.“

Ich wackelte mit dem Kopf: „Njaaaaaaa hi hi. Interessanter Gedanke, doch ich denke eher nicht. Ein Engel wäre sich zu fein, um verwehst auszusehen. Reinheit und bla, kihi!“

„Denkst du wirklich daran scheitert es?“

Ich grinste breiter: „Wie viel müsste man dir bezahlen, damit du dich wie eine zerfallene Leiche aussehen lässt?“

„Was?!“, Grell zog den Kopf ein wenig zurück: „Ich würde nie so aussehen!“

Laut lachte ich auf: „Pahahahaha! Danke, dass du deine Frage selbst beantwortest!“

„Hey, du hast mich ausgespielt!“

Weiter lachend schüttelte ich denn Kopf: „Fuhuhuhuhu! Nicht im Geringsten! Du warst nur selbst ein Paradebeispiel! Findest du nicht?“

„Ist ja gut, ich habe verstanden was du meinst!“, Grell schaute zur Decke: „Doch wenn ich ein bisschen darüber nachdenke… Ein Kuss von meinem Willi oder meinem Bassi könnte mich umstimmen“, er kniff die Augen zu und hob die Hände an sein Kinn, während er anfing herum zu wackeln: „Ein Kuss voller Liebe und Leidenschaft! ~♥“

„Nihi! Sage noch einmal jemand meine Preise seien unrealistisch.“

„Deine Preise SIND unrealistisch!“

„Gi hi hi hi! Realistischer als deine!“

„Was soll das heißen?!“

Ich legte grinsend die Fingerspitzen einer Hand auf meine Brust: „Ich werde regelmäßig bezahlt“, dann nahm ich diesen Zeigefinger und zeigte auf Grell: „Und du?“

Grell schaute mich mit wütend zusammengezogenen Augen an.

„Du kleiner Pisser!“, zischte er und warf mich in einen kleinen Lachanfall.

Er war kurz und fühlte sich recht flach an, aber es war ein Lachanfall und damit besser als gar nichts.

Als ich aufgehört hatte zu lachen und Grell fertig war deswegen den Kopf zu schütteln, schaute er mich eindringlich an: „Und deine Idee? Die sind schließlich besser, als meine.“

„Humbug!“, grinste ich Grell an: „Du bist nicht dumm, Grell. Nur öfter zu faul zum Denken.“

Grell seufzte: „Manchmal weiß ich nicht, ob du die beschissenste oder liebste Person bist, die ich kenne.“

„Das musst du entscheiden. Eh he he!“

„Ein bisschen was von beidem“, lächelte Grell kurz, aber ein wenig traurig. Ein Lächeln, das verriet, dass er solche Komplimente lieber von anderen Leuten hören würde. Ich war mir sicher, der Wichtigste davon war sehr streng und klebte ständig mit seiner Nase in einem Buch mit vielen bunten Klebezetteln.

„Wie auch immer“, als der Reaper den Kopf schief legte war der kleine Hauch Wehleid schon fast komplett wieder verschwunden: „Deine Idee ist dran.“

Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf: „Ein Alb.“

„Ein Alb?“, Grell zog die Augenbrauen zusammen: „Das ist unmöglich! Ein Alb ist ein Geist, den hätten William, Ronald, du und ich sofort bemerkt!“

„Ich weiß“, mein Grinsen wurde ein Stück weiter: „Doch glaube mir, der Rest passt perfekt.“

„Du hast mehr Infos als ich“, stellte Grell vollkommen richtig fest: „Faktencheck. Was wissen wir?“

„Ki hi hi. Nun denn“, Grell trank immer mal wieder an seinem Glas, während ich sprach: „Die Mädchen schlafen schlecht. Träumen schlecht. Beide. Amber wusste wie das Wesen aussah, weil es ihr im Traum erschien. Ohne es selbst gesehen zu haben oder es berichtet zu bekommen. Darüber hinaus greift es nicht an, obwohl es die besten Gelegenheiten dazu findet. Und es könnte nicht angreifen, weil“, ich zeigte mit der Hand auf Grell.

„Geister nicht kämpfen können, da sie nicht mehr stofflich sind“, beendete Grell meinen Satz.

„Exakt“, grinste ich und trank ebenfalls wieder einen Schluck Whisky: „Darüber hinaus können nur die Beiden es sehen und es scheint nur in bestimmten Gegebenheiten zu erscheinen. Dies könnte so sein, weil?“

„Man einen Geist beschwören und auf Leute ansetzen kann, sofern er von einem Sensenmann nie gerichtet, sondern nur gebannt wurde. Dazu werden sie an etwas gebunden. Aber das ist unglaublich kompliziert.“

„Für Claude und Hannah allerdings sehr gut machbar.“

„Stimmt“, Grell seufzte: „Klingt logisch, Undertaker. Doch wie erklärst du dir, dass wir es nicht spüren können? Vielleicht ist es doch was anderes. Auch niedere Dämonen kann man beschwören und auf Individuen ansetzen, wenn man sie gebunden bekommt.“

„Einen Dämonen zu binden ist um einiges schwieriger, als einen Geist zu binden. Das Ritual an sich benötigt viel mehr und viel schwerer zu beschaffendes Material. Selbst wenn man so viele Dämonen hat, wie die Trancys, wäre es eine Aufgabe. Vor allem, da sie schon so viele Tore geöffnet haben. Dieses Material gibt es nicht in Massen beschaffbar.“

„Du denkst also die Trancys hängen auf jeden Fall mit drin?“

„Du doch auch. Es ist naheliegend.“

„Vielleicht ist es einer der Triplets. Oder gleich Claude oder Hannah.“

„Und dann greifen sie nicht an? Außerdem kommen wir auch bei einer Dämonen-Theorie in sensorische Schwierigkeiten. Skyler erkennt Claude und Sebastian trotz Anhänger und dann diesen Dämon nicht? Wir sind wieder bei demselben K.O-Argument wie vorher.“

„Vielleicht doch der Engel“, Grell kratzte sich an der Wange: „Das Argument gegen ihn ist bis jetzt die schnöde Eitelkeit. Das wirft man einfacher über Bord, als natürliche Gegebenheiten.“

Ich zeigte mit der flachen Hand auf Grell: „Dem ist nicht zu wiedersprechen. Der Gedanke, es könnte ein Alb sein, ist nur immer so schön naheliegend, wenn es um Albträume geht.“

„Dein Gedankengang ist ja auch nicht unlogisch“, seufzte Grell. Dann wuschelte er sich durch die Haare: „Das ist so kompliziert, verdammt!“

Damit hatte Grell recht.

Und zwar nicht nur in Bezug auf die Natur des Wesens.

Die beiden jungen Frauen schwebten irgendwie geartet in Gefahr. Verzeihen, wenn ihnen etwas passierte, könnte ich mir nicht.

Doch…

Ich konnte Skyler nicht 2-mal an einen Tag behelligen. Sie sah schon gequält genug aus. Wenn sie wach war… und auch wenn sie schlief.

Ich konnte nicht schon wieder vor ihrer Nase auftauchen und sie stressen.

Ich war schließlich ihr Alptraum.

Meine Anwesenheit quälte sie.

Nicht mal meine Anwesenheit- Der pure Gedanke daran.

Ich kann nicht einfach ständig vor ihr stehen.

„Ich habe eine Bitte an dich“, mit einer Kopfbewegung verbannte ich große Teile meines Ponys aus meinem Gesicht und schaute Grell an, während ich die Arme verschränkte.

Grell zog die Augen zusammen und schaute auf meinen nicht grinsenden Mund: „Ich habe keine Lust auf Bitten, die du mir mit so einem ernsten Gesichtsausdruck stellen willst.“

„Grell“, ich schaute ihm eindringlich in die Augen: „Es wäre mir wichtig.“

Der rote Reaper hob schlagartig und mit lauter Stimme abwehrend beide Hände: „Jetzt habe ich darauf noch weniger Lust!“

„Wieso?“

„Liegt doch auf der Hand“, ließ er eine Dieser in der Luft, während er die Andere in die Hüfte stemmte: „Wenn ich’s nicht hinbekomme, hat das schwerwiegende Konsequenzen für mich. Mein frühzeitiges Ableben, zum Beispiel! Außerdem ist was auch immer zwischen dir und Sky läuft nicht mein Problem und ich mache es schon mehr zu meinem, als ich je gemusst hätte.“

Grell hatte mich ertappt.

Es wäre auch dreist gewesen meine Bitte nicht als offensichtlich zu bezeichnen.

Doch ich brauchte Grell.

Ich konnte nicht wieder zu den Mädchen.

Sky wird sich in meiner Gegenwart kaum entspannen oder erholen können. Und das brauchte sie dringend. Viel zu dringend, um es aufs Spiel zu setzen.

Und auch ich…

…vertrug ihre Gegenwart nicht sonderlich gut.

Ich fühlte mich müde. Diese Situation zerrte mich aus.

Mein schnödes Empfinden war kein Grund diesen Besuch nicht selbst zu übernehmen. Skylers Empfinden war es aber sehr wohl. Es wäre sicher für Sky besser, wenn Grell diesen zweiten Besuch übernehmen würde.

Doch auch ein Stückweit für mich.

Der ständige Zwiespalt zwischen meinen Gefühlen und meinem Verstand brachte mich dem Wahnsinn näher, als ich eh schon war.

Ich wünschte mir so sehr ein wenig Ruhe. 

„Ich habe dich zu nichts gezwungen.“

„Nein“, Grell schüttelte den Kopf und stemmte die letzte Hand in die Hüfte: „Aber du bist mein Freund und ich möchte dich unterstützen.“

„Dann erweise mir den kleinen Freundschaftsdienst, um den ich dich bitten möchte. Du denkst sicher richtig um was es geht.“

Grell schaute mich an.

Länger.

„Du bist scheiße!“, schrie er mich schließlich an, wütend darüber wie ich ihm die Worte im Mund herumgedreht hatte: „Es ist ein Wunder, dass du nicht braun anläufst! Das ist hundsgemein! Mit dieser Formulierung stehe ich da, wie ein schlechter Freund wenn ich nicht mache um was du mich bittest!“

„Bitte Grell.“

„Geh‘ selbst!“, Grell ging aufgeregt und wild mit den Händen gestikulierend auf und ab: „Und jetzt sage mir ja nicht die Beerdigung würde dir ein Strich durch die Rechnung machen! Wenn es um die Phantomhive geht, rettest du innerhalb von 15 Minuten die Welt und wenn es um deinen Job geht brauchst du keine 2 Minuten um Kapelle und Sarg fertig zu machen! 30 Minuten sind vollkommen ausreichend!“

Grell hatte damit recht.

Doch das änderte nicht, dass ich Sky nicht ständig zumuten konnte vor mir zu stehen. Das eine Mal am Tag war für sie sicherlich mehr als nur genug.

Vielleicht hat sie diesen Alptraum nicht mehr, wenn ich endlich aus ihrem Leben verschwunden war…

Ich hasste diesen Gedanken so sehr.

„Grell“, ich hielt ihn am Handgelenk fest, sodass er wieder stoppte und schaute ihn nun von nur noch ein paar Zentimeter Entfernung einige Sekunden direkt in die schwarzen Pupillen: „Ich bitte dich.“

Der rote Reaper zog seine Hand aus meiner.

„Na, fein“ beschwerte er sich und rauschte aus der Ladentür: „Aber ich garantiere für nichts! Schämedich, Undertaker!“

Ich sagte es ihm nicht, doch Grell musste sich darüber keine Sorgen machen.

Denn ich schämte mich wegen so vielem.
 

Die Beerdigung ging spurlos an mir vorbei.

Auch wenn mich das ein oder andere verdutzte Gesicht schmunzeln ließ, war ich nicht wie üblich nach einer Beerdigung gut gelaunt.

Ich hatte – wie hätte es auch anders sein sollen – meine Gedanken über die immer gleichen Dinge gewälzt, während ich meinen Gast aufgebahrt, die Kapelle dekoriert, die Trauergemeinde beschaut, den Sarg zum Grab getragen und schließlich zugeschüttet hatte. Doch ich hatte noch über eine andere gute Frage nachgedacht, die mir die junge Phantomhive nur allzu recht gestellt hatte und war zu einem recht untypischen Entschluss gekommen.

Zurück in meinen Laden hatte ich meinen Telefonhörer gegriffen und eine Handynummer gewählt.

„Undertaker?“, schwirrte mir die Stimme aus dem Hörer entgegen: „Bist du das?“

„Kihi, in der Tat. Hallo Frederic.“

„Okaaaay“, antwortete mir der Älteste der Phantomhive Geschwister gedehnt: „Ist was passiert?“

„Nein, nein. Tihi.“

„Sicher?“, fragte er ein weiteres Mal ebenfalls skeptisch lang gezogen.

„Sicher! Ist dir bei meinem Anruf nicht wohl, Fred?“

„Es ist nicht… Es ist nicht, dass es mir nicht gefallen würde, dass du mich anrufst. Ich frage mich nur warum du mich anrufst, wenn ich ehrlich bin.“

„Es ist nichts Schlimmes“, giggelte ich in den Hörer, schon ein bisschen amüsiert darüber, dass der Erbe der Phantomhives bei etwas für ihn doch sicher furchtbar banalem wie einem Anruf ein schlechtes Gefühl bekam, nur weil ich am anderen Ende des Hörers war.

„Das ist“, Fred machte eine kleine Pause und suchte wohl nach einem passenden Wort: „sehr… beruhigend. Also, um was geht es genau?“

„Kihihi! Ich bräuchte deine Hilfe.“

„Das ist wiederum sehr beunruhigend…“

Ich wurde geschüttelt von einem kleinen Lachanfall, der wirklich viel zu kurz war: „Fuhuhuhuhu! Wie nett von dir! Es ist wirklich nichts Schlimmes.“

„Das Problem an der Sache ist, dass deine Interpretation von ‚Nichts-Schlimmes‘ und die aller anderen Wesen auf diesem Planeten ungefähr so viel gemeinsam haben wie ein Elefant und Hochseiltanzen.“

„Nehehehehehe! Ich brauche nur deine Hilfe bei Etwas, wovon ich nichts verstehe!“

„Jetzt bin ich endgültig beunruhigt…“

„Möchtest du mir damit zu verstehen geben, dass du mir nicht helfen möchtest?“

„Nein, ich möchte dir damit zu verstehen geben, dass ich mir definitiv nicht vorstellen kann wobei ich dir helfen soll und gerade mehrere Stoßgebete in den Himmel schicke, dass es NICHTS mit Leichen und Särgen zu tun hat.“

Ein weiterer viel zu kleiner Lachanfall. Doch ich war froh über jeden, der über mich kam: „Gahahahahaha! Die da oben werden dir nicht helfen, Fred!“

„Sehr beruhigend. Wirklich… Danke sehr.“

„Gihihi! Und außerdem gehören Leichen und Särge zu den Dingen, von denen ich sehr wohl etwas verstehe.“

„Heißt das, das ist raus?“

„In der Tat, kihihihi, ja.“

„Das ist doch mal wirklich beruhigend. Also, worum geht es?“

„Tehehehe! Frederic, ich möchte dich darum bitten mir ein Handy zu besorgen.“

Stille.

Es dauerte eine ganze Weile bis sich Frederics Stimme am anderen Ende der Leitung wieder erhob: „Wie bitte?“

„Ich brauche ein Handy, Fred. Und da du genauso gut weißt wie ich, dass ich davon nicht den Hauch einer Ahnung habe, brauche ich dazu noch deine Hilfe.“

„Du brauchst… Bitte was?!“

„Kihihi! Ein Handy! Nuschle ich?“

„Nein, ich kann’s nur nicht glauben…“, dann wirkte der junge Bald-Earl ziemlich aufgeregt: „Außerdem! Warum willst du auf einmal ein Handy haben?! Ich habe mir vor knapp ‘nem Jahr den Mund fusselig geredet und dich zu überzeugen versucht! Und das Einzige, was ich davon hatte, war eine Menge in Mitleidenschaft gezogener Nerven! Und jetzt rufst DU MICH an und willst, dass ICH DIR ein Handy besorge?! Auf einmal?! Vollkommen aus dem Nichts?!“

Ich lachte schrill auf: „Kihihihihi! Tahaha! Beruhige dich! Freue dich doch lieber, dass dieser Tag gekommen ist!“

„Und wieso ist dieser Tag auf einmal gekommen?!“

„Ist das so wichtig?“

„Ja!“

„Tihi! Warum?“

„Weil ich mir damals alle Mühe gegeben habe!“, der junge Erbe der Phantomhives klang tatsächlich ein wenig enttäuscht: „Und nicht nur auf Granit gebissen, sondern mir meine Zähne ausgebissen habe! Mein Nervenkostüm trägt die Dritten! Und jetzt möchte ich wissen, was dich umstimmen konnte, wenn meine engelsgleiche Beharrlichkeit nicht genug war!“

„Fuhuhu! Engelsgleiche Beharrlichkeit! Fred, mache einen Punkt!“

„6 Stunden, Undertaker“, seufzte Frederic gestresst: „Ich wiederhole: 6 Stunden. Jetzt erzähl!“

„Kihihi. Fein. Ich habe Amy eingebläut sie solle mich auf jeden Fall anrufen sollte irgendetwas Komisches vorfallen.“

„Ja“, sagte Fred: „Das ist bei Amy sicherlich eine sehr gute Idee.“

„Jetzt sollte ich auch dafür sorgen, dass sie es wirklich machen kann. Am Sonntag, beispielsweise, war ich dienstlich unterwegs und die Mädchen konnten mich über meinen Festnetzanschluss natürlich nicht erreichen.“

„Okay“, Fred seufzte erneut: „Da es um Amy geht und der kleine quengele Hitzkopf endlich mal tut was man ihr sagt, hast du mir natürlich total den Wind aus den Segeln genommen.“

„Welchen Wind?“

„Der, um sauer auf dich zu sein“, erwiderte Fred trocken: „Ich besorge dir eins. Morgen vor der Uni komme ich bei dir vorbei. Sei da und sei belehrbar!“

„Nihihihi!“, giggelte ich: „Ich werde dein eifriger Schüler sein.“

„Ich hoffe. Bis Morgen.“

„Ih hi hi! Bis Morgen.“

Frederic hing auf und ich tat es ihm gleich.

Ich blätterte kurz durch meinen Kalender.

Am Freitag war eine Beerdigung. Der Sarg fehlte noch und das Grab war nicht gegraben. Also hatte ich doch noch Dinge zu tun, was mir ein bisschen Ablenkung versprach.

So beschloss ich mit dem Sarg anzufangen.

Ich war gerade mit ein paar Pinseln in der Hand - die noch vom letzten Auswaschen im Spülbecken gelegen hatten - wieder aus meinen Privaträumen in den Verkaufsraum getreten, da flog meine Türe auf. Laut knallte sie gegen meine Wand.

„Du Volltrottel!“

Mein Kopf flog herum und ich hob meine Unterarme vor mein Gesicht, um den Fuß in den roten Doc Martens, der zielstrebig auf mein Nasenbein zu hielt, nicht ungemildert abzubekommen.

Nichtsdestotrotz riss der Schwung mich von den Füßen und beförderte mich mit einer Rolle übermeinen Tresen in eines meiner Regale. Die Pinsel gingen klackend zu Boden.

Ich hörte wie das Holz um mich herum splitterte und schnell trocken knackend nachgab. Der Schrank brach über mir zusammen und der ganze Segen, der darin stand landete auf mir. Das hieß unter anderem etliche Fotorahmen mit etlichen Generationen der Bösen Nobelmänner und einige sehr schöne Organe, deren Gläser splittern und somit mehr als einem Liter Formaldehyd auf meinem Hemd landen ließen.

Ich sah noch das letzte Regalbrett auf mich hinunter sausen. Als es auf meinem Gesicht gelandet war, herrschte kurz Stille.

Mit einem Arm hob ich es wieder von meiner Nase: „Hallo Grell. Was verschafft mir die Ehre? Zum zweiten Mal, ne he he!“

Natürlich konnte ich es mir denken.

Irgendetwas bei den Mädchen musste passiert sein. Wahrscheinlich etwas mit Sky, was Grell zu 100% auf mich münzte.

Grell stand, die Beine schulterbreit auseinander und in die Hüfte gestemmte Hände, vor mir und schaute mich anklagend an: „Ich hoffe es hat weh getan!“

Ich schaute ihn mit von meinem Abflug freigelegten Augen entgegen: „Ich muss verneinen, pardon. Ni hi!“

„Lässt sich ändern!“, der rote Reaper kniete auf einmal auf meiner Brust, hatte mich am Kragen gepackt und versuchte immer wieder meinen Kopf auf den Boden zu knallen, was ich aber nicht zuließ: „Arme Sky! Kannst du dir vorstellen, was du angerichtet hast?!“

Ich packte Grells Hände und zog sie von meinem Kragen. Befreit von all meinem Humor schaute ich ihn an: „Was ist passiert?“

Ich war neugierig und gleichzeitig wollte etwas in mir es gar nicht wissen. Grells emsige Bemühungen mir ernsthafte Schmerzen zuzufügen verrieten mir schon, dass es keine Lappalie war.

Auch bei einem Unterweltinformanten - oder Sensenmann in Rente - war es nicht alltäglich, dass jemand durch die Türe rauschte und einem erst einmal eine auf die Nase geben wollte. Obwohl mir dieser Umstand sofort verriet, dass Grell mich ein zweites Mal besuchte. Es gab definitiv nur einen, der sich dies traute. Oder eher, der so impulsiv war, dass er sich nicht trauen musste und es einfach tat, wenn seine Pferdchen mit ihm durchgingen.

Grells Koppelzaun hatte übrigens das eine oder andere Loch.

„Das fragst du?! Sie ist vollkommen hinüber!“, Grell wedelte mit den Händen, als er versuchte sie zu befreien: „Das arme Ding hat mich angestarrt, als sei ich ein Gespenst, als ich ihr verriet ich käme auf deinen Wunsch! Ich habe noch nie jemanden so blass werden sehen! Und so debil lachen hören! Ich konnte ihr ansehen, wie etwas in ihr vor die Hunde ging! Ich habe keine Ahnung, was du die letzten Tage mit dem armen Mädchen angestellt hast, aber es war scheiße! Große Scheiße! Jetzt lass‘ dich schlagen, du inkompetenter IDIOT!“

Ich ließ eine von Grells Händen los.

Ohne weitere Gegenwehr versenkte er seine Faust mit viel Kraft in meinem Gesicht.

Einmal.

Zweimal.

Dreimal.

Und ich hätte mich auch beim vierten oder fünften Mal nicht gewehrt.

Ich hatte das Gefühl während Grell mich anschrie, war mir das Herz stehen geblieben. Eine kalte Welle war über mich geschwappt und hatte es schachmatt gesetzt.

Wenn es Sky wirklich wegen mir so schlecht ging, hatte ich das verdient.

Dann hätte ich noch viel mehr verdient.

Denn ich wusste, dass ich die Situation für sie in diesem Moment nicht besser machen konnte.

Doch sie würde sich irgendwann fangen.

War ich erst mal fort wird bald der Tag kommen, an dem sie wegen mir nicht mehr traurig war.

Grell ließ schließlich von mir ab und stand auf.

„Du hast es verdient! Und ich war noch nett!“, Grell schüttelte den Kopf. Er schloss dabei die Augen, in denen Mitleidstränen glänzten.

Grell war immer recht überemotional. Doch ich hatte nicht das Gefühl, dass er dieses Mal übertrieb, was mein Empfinden noch viel schlimmer und eisiger machte.

„Was immer zwischen euch beiden abgeht“, sprach er nun mit einer ärgerlichen, aber sehr ruhigen Stimme, die ihn sehr ernsthaft klingen ließ: „Hört auf damit. Für euch beide.“

Dann verschwand der Sensenmann in Rot und knallte meine Türe ins Schloss.

Ich blieb liegen und starrte an meine Decke.

Warum ging es Skyler wegen mir so schlecht?

War es ihre Angst?

Warum wurde sie dann blass und lachte debil, weil Grell anstatt meiner dort war?

Seufzend setzte ich mich auf.

Meine Nase pulsierte.

Grell hatte sich nicht zurückgehalten. Und er war alles andere als ein Schwächling.

Doch das lenkte meine Gedanken nicht ab.

Als ich aus meinem Holzberg aufstand, fühlte ich mich abermals fürchterlich gestresst.

Und in mir war alles bitter und bitter kalt.

Ich begann aufzuräumen, um nicht weiter zu denken.

Es funktionierte eine Zeit.

Denn der rote Reaper hatte das Regal in mehr als nur seine Einzelteile zerlegt. Ich sortierte also diverse Glassplitter aus Holzstücken. Die Überreste der Regalbretter stapelte ich vorerst auf dem Platz, an dem sie mal als Möbelstück gestanden hatten. Durch meinen ganzen Laden zog der scharfe Geruch des Formaldehyds.

Während ich sortierte, stapelte ich die teilweise ebenfalls recht lädierten Bilderrahmen auf meinem Tresen. Hier und da hatten auch die Fotos darin einen kleineren oder größeren Kratzer.

Ich war Grell nicht böse wegen dem, was er getan hatte. Doch ich war nicht gerade begeistert, dass er sich ein Regal mit Bilderrahmen aussuchen musste.

Von vielen dieser Menschen hatte ich nicht mehr.

Und als sei mein Kopf nicht schon voll genug, fiel mir auch noch ein größerer silberner Bilderrahmen in die Hand.

Sofort war mir klar, warum Grell dieses Regal gewählt hat und das diese Wahl alles andere als Willkür war.

Die traurig gestresste Bitterkeit in mir wurde abermals angefacht, als ich auf Skylers Bild schaute.

Es war heil geblieben.

Mir war sofort klar, dass ich extrem verstimmt gewesen wäre, wäre diesem Bild etwas passiert.

Ich setzte mich auf meinen Stuhl und schaute das Bild weiter an.

Jetzt konnte ich meine ganzen Gedanken nicht mehr im Zaum halten.

Wollte Skyler vielleicht doch keine Distanz?

Hatte sie deswegen so reagiert?

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie meine Nähe wollte.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie das alles was ich getan hatte wirklich so nebensächlich fand, wie es an der Themse geklungen hatte.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie noch so gut von mir dachte, wie sie behauptet hatte.

Und selbst sollte sie das alles wollen und meinen:

Es würde alles noch viel schwerer machen.

Ich wollte sie nie traurig machen.

Niemals.

Doch ich hatte es trotzdem geschafft.

Mehrmals.

Ich hatte sie so sehr zum Weinen und Leiden gebracht.

Ich war ihr Alptraum.

Ich wischte mir durch mein Gesicht und ließ meine Hand über meinen Augen liegen.

Ich wollte nicht, dass die Tränen meine Wangen hinunterrollten.

Trauer und Traurigkeit, diese unendliche Bitterkeit, sie waren mir so spinnefeind, dass ich nur noch wollte, dass all das verschwand.

Und ich wusste genau was ich dafür brauchte:

Skylers Nähe.

Und ich wusste genau was Skyler brauchte, um ein angstfreies und glückliches Leben zu führen:

Meine Abwesenheit.

Und ich wollte nur das Beste für sie.
 

Nachdem ich nach einiger Zeit schließlich mein Regal endgültig zusammengelegt hatte, hatte ich wie geplant einen Sarg in Sepiabraun lackiert.

Die Foto- und Bilderrahmen waren in eins der einst benachbarten Regale gezogen. Leider war in meinem Werkraum kein Platz mehr und ich musste wohl etwas damit leben, die Überreste meiner gerechten Strafe vor der Nase liegen zu haben.

Als ich mit dem Sarg fertig war, schaute ich aus dem Fenster.

Die Sonne war untergegangen.

Obwohl es jetzt klar war, dass das Wesen nicht an Tageszeiten gebunden war, gefiel mir der Gedanke nicht Skyler nachts alleine zu lassen.

Nachts war sie so viel verletzlicher.

In ihren Albträumen gefangen und sich hin und her werfend wäre sie eine allzu leichte Beute. Selbst, oder gerade wenn das Wesen nicht kämpfen konnte.

Eigentlich gefiel es mir gar nicht Skyler alleine zu lassen. Es war nicht recht vorhersehbar, wann das Wesen auftauchte. Doch ständig um sie herumstreunen konnte ich auch nicht.

Sie musste weiterhin die Möglichkeit haben zu leben.

Ohne Angst.

Und als ich aus dem Fenster auf die dunkle menschenleere Gasse gestarrt hatte fiel mir auf, dass es mir immer nur um Skyler ging.

Was war mit Amy?

Die junge Phantomhive schwebte bewiesen in derselben Gefahr.

Doch die schöne Brünette hatte meine Gedanken komplett erobert.

Ich hatte kaum noch welche für anderes übrig.

Ich war mir lange sicher mit dem Phantomhives das Interessanteste gefunden zu haben, was die menschliche Welt zu bieten hatte.

Doch dann hatte ich die junge Skyler getroffen.

Sie machte mich neugierig, hatte mein Herz und meine Seele berührt und Spuren darin hinterlassen, so tief, dass sie einfach immer präsent waren.

Mit einem Seufzen wandte ich mich ab und löschte das Licht in meiner Werkstatt. Danach verließ ich meinen Laden durch die Hintertür.

Wieder hüpften die violetten Satingardinen auf das Wackeln meines Zeigefingers zur Seite, nachdem ich auf der Fensterbank gelandet und meine Brille auf die Nase gezogen hatte. Sie gaben so den Blick auf das dunkle Zimmer frei, indem die zierliche Brünette lag und schlief.

Oder zumindest so etwas in der Art.

Denn wieder warf sich die Schöne hin und her.

Ich seufzte lang, als ich das sah.

Unangetan verschränkte ich die Arme.

Dieser Anblick war so schmerzhaft.

Plötzlich hörte ich das Klacken von Sohle auf Stein hinter mir. Meine Augen wanderten über meine Schulter nach hinten.

„Das ist furchtbar süß“, wehten ein paar lange rote Strähnen in der sachten nächtlichen Brise: „Doch du siehst aus wie ein Stalker.“

Ich schaute Grell von meinem Sitzplatz aus ins Gesicht.

Er hatte abschätzend den Kopf schief gelegt. Der rote Reaper seufzte: „Doch ob süß oder nicht. Dein Gesicht gefällt mir nicht.“

Ich neigte meinen Kopf ein Stück nach hinten: „Warum?“

„Weil du nicht grinst.“

Ich schaute zurück auf das sich herumwälzende schöne Ding: „Ich sehe hier nichts was auch nur ansatzweise lustig wäre.“

„Und genau deswegen ist es süß“, Grell hüpfte von der kleinen Steinmauer, die die kleine Fensterbank abgrenzte und kniete sich neben mich: „Ansonsten wäre es pervers.“

„Aha?“

„Du bespannst ein junges Mädchen während es von Alpträumen geplagt wird“, Grell schaute auf Sky, die sich gerade Richtung Wand gedreht und in ihr Kissen gekrallt hatte: „Wenn man nicht wissen würde, dass du das hier tust um sie zu beschützen, wäre das das perfekte Triebtäterverhalten.“

Ich würdigte Grell nur einen kleinen Seitenblick und schaute wieder durch das Fenster.

Spannen.

Ein ekelhaftes Wort.

Ich spannte nicht.

Was ich hier tat, tat ich schließlich nicht zum Vergnügen. Spaß hatte ich daran in keinster Weise.

Der rothaarige Sensenmann kratzte sich kurz am Kinn: „Seltsame Inneneinrichtung…“

Ein zweiter kurzer Blick: „Warum? Es ist ein Internatszimmer.“

„Schon, aber“, Grells Kopf fiel zur Seite: „Das ist wirklich nur ein Internatszimmer. Ich meine… was gehört denn ihr, außer den Leinwänden? Und die hat wahrscheinlich auch das College gestellt. Selbst auf der Staffelei ist das Logo des Colleges. Keine Deko, Fotos, Lichterketten, Bilder. Das Mädchen besitzt noch nicht mal einen Mini-Fensterbank-Kaktus oder einen Gummibaum!“, mit einer hochgezogenen schlanken Augenbraue schaute er mich an: „Schau dir im Vergleich mal Amys Zimmer an. Du siehst die Wand nicht mehr! Nenne mir ein 18 Jähriges Mädchen, das seinem Zimmer nicht wenigstens einen persönlichen Touch verleiht?“

Ich musste Grell zustimmen. Als ich Skylers Zimmer das erste Mal gesehen hatte, hatte ich schließlich genau dasselbe gedacht.

„Wenigstens ein Familienfoto stellt man doch auf, wenn man in ein Internat zieht. Schließlich vermisst man die doch“, Grell verrenkt sich fast den Kopf um auf Skylers Nachtisch zu spähen: „Da steht ein einsames Blümchen, doch ansonsten sehe ich nichts.“

„Da ist auch keins“, seufzte ich.

Ich überlegte kurz wie viel Grell wissen konnte. Soweit Skyler ihm nichts weiter erzählt hatte – was ich nach ihrer Reaktion gegenüber William, der in die Records ihrer Familie schauen wollte, nicht dachte – konnte er nur das bisschen wissen, was Amy verlauten ließ: Dass die junge Dame in Therapie war, da ihre Familienverhältnisse nicht toll waren.

Doch das war recht ungenau.

Dass es in einer Familie Probleme gab, die psychologisch aufgearbeitet werden mussten, hieß noch nichts.

Es gab Familien, die sich lieb und einfach Pech hatten.

Und es gab Familien wie die schöne Skyler eine gehabt hatte.

„Wie meinen?“, holte mich Grell aus meinen Gedankengang.

„Sie hat keinen Grund welche aufzustellen“, antwortete ich knapp.

Doch Grell ließ nicht ab: „Wieso?“

„Wenn du denkst, ich plaudere jetzt aus Skylers persönlichem Nähkästchen, muss ich dich bitterlich enttäuschen.“

„Ist ja gut“, seufzte Grell: „Aber alles andere als beruhigend.“

Dann drehte sich der rote Reaper zu mir: „Undertaker, was in Gottes Namen tust du hier?“

Ich schaute weiter auf Skyler, die immer wieder zuckte: „Verrate mir lieber was du hier tust.“

„Du solltest eher antworten, oder? Schließlich hockst du wie ein Voyeur vor ihrem Fenster.“

„Was ich tue ist offensichtlich“, antwortete ich ungewohnt trocken.

„Und furchtbar masochistisch.“

Wieder wanderten meine Augen zu Grell: „Was willst du?“

„Ich mache mir Sorgen um dich.“

Ich lachte leise auf. Doch war es mehr von Spott getragen, als von allem anderen: „Ke he he. Vor ein paar Stunden hast du mich in eines meiner Regale getreten und jetzt machst du dir Sorgen?“

„Ich war sauer“, Grell seufzte: „Weil ich Skyler wegen dir einen Tritt versetzt habe, der gesessen hat. Außerdem hat Amy mich darum gebeten und ich war auch der Meinung du hast es dir redlich verdient."

Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass Amy ihn angestiftet hatte, hatte Skyler wirklich so extrem reagiert.

„Natürlich hatte ich das verdient“, schloss ich die Augen. Dann schaute ich Skyler wieder an: „Doch ich kann nichts ändern.“

„Was?!“, Grell sprang mich an und um. An den Schultern drückte er mich auf die kleine Fensterbank: „Natürlich! Du kannst alles ändern!“

Die Richtung, die dieses Gespräch nahm, stieß in mir auf eine so große Wand aus Bitterkeit, dass ich es unter keinen Umständen führen wollte.

„Nein“, schaute ich Grell durch meinen wirren und nur noch teilweise in meinem Gesicht liegenden Pony an: „Und jetzt geh runter von mir.“

„Aber…!“

„Gehe von mir runter“, wiederholte ich: „Oder ich bringe dich dazu.“

Grell krabbelte seufzend zurück.

Ich zog meine Beine wieder auf die kleine Fensterbank, auf der Grell und ich mehr schlecht als recht beide Platz fanden und wandte mich wieder dem Fenster zu: „Und sei leiser.“

„Das sieht nicht nach einem Traum aus, der es wert zu träumen ist“, nuschelte Grell: „Vielleicht wäre es netter sie zu wecken.“

Ich schaute ihn an.

Er hob die Hände: „Ist ja gut! Wir tun es nicht!“, seufzend wandte er sich um: „Du musst mich mit deinen Blicken nicht gleich umbringen!“

„Könntest du endlich aufhören zu schreien?“

„Sie sieht uns doch eh nicht.“

„Aber sie kann uns hören.“

Und ich hatte keine Lust ihr erklären zu müssen, warum sich 2 Sensenmänner vor ihrem Fenster tummelten. Noch weniger wollte ich erklären, warum ich einer davon war.

„Woher soll sie wissen, dass wir das sind?“

„Weil sie unsere Stimmen kennt.“

„Aber das ist doch gerade alles total nebensächlich!“

Da Grell trotz meiner wiederholten Ermahnung immer noch vor Skylers Fenster herumschrie, hob ich meinen Arm…

… Und schubste ihn ohne hinzusehen an seiner Schulter vom Fensterbrett.

Mit einem spitzen Schrei segelte er in die Tiefe.

Ich reckte einmal meinen Kopf über die Fensterbank und sah seine knallroten Schuhe aus demRosenbusch schauen.

„Nicht einmal leise sterben kann er“, seufzte ich und zog meinen Kopf wieder zurück.

Ich drehte mich wieder zu Skyler, die trotz Grells Getöse immer noch unruhig schlief und hoffte, dass Grell es nach einem Sturz aus 8 Meter Höhe nun gut sein lassen würde.

Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, ist immer umgekehrt proportional zu seiner Erwünschtheit.

So kniete der rote Reaper nach nicht einmal einer Minute wieder neben mir.

Meine Augen wanderten zu seinem verstimmten Gesicht, in dessen Frisur der ein oder andere Ast des Rosenbusches hing: „Wenn du jetzt deinem spontanen Drang mir ins Ohr zuschreien unterliegst, solltest du sehr viel gutes Karma übrig haben.“

„Das habe ich nicht verdient“, funkelte Grell mich zwar sehr düster, aber mit leiser Stimme an: „Du bist ohne Grund gemein zu mir.“

„Ich habe dich zwei Mal gewarnt.“

„Aller guten Dinge sind aber 3!“

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Ok, ok“, grummelte er daraufhin: „Ich bin leiser… Nicht nochmal schubsen…“

Meine Augen wanderten wieder zurück: „Was willst du mir sagen?“

„Deine Nerven sind in letzter Zeit recht dünn, kann das sein?“

Ich seufzte: „Grell, sage mir was genau du mir zu sagen hast oder verschwinde so schnell wie du gekommen bist.“

„Ay, jey, jey. Du hast ja wirklich dünne Nerven.“

Mit einem weiteren spitzen Schrei flog Grell ein zweites Mal von der Fensterbank.

Und wieder dauerte es keine Minute, bis er wieder neben mir hockte: „Kannst du das jetzt mal lassen?!“

Ein kleines Lächeln und ein kurzes Lachen schlich sich auf mein Gesicht, obwohl mir nicht recht danach war. Aber aufgrund von Grells Betragen konnte ich mir nicht helfen: „He he. Du hast mir nicht geantwortet, also sah ich keinen Grund, dass du hier sein musst.“

„Wenigstens kannst du noch lachen“, Grell seufzte und sortierte die vielen kleinen Äste aus seiner Frisur: „Auch wenn es nur ein bisschen ist. Undertaker, ich sagte dir schon, ich mache mir Sorgen um dich.“

„Das ist kein Grund hier zu sein. Du hättest mich in meinem Laden aufsuchen können.“

„Ich war in deinem Laden. Einsam und verlassen.“

„Ki hi. Ein paar Gäste habe ich noch im Schrank“, grinste ich mein kleines Grinsen weiter, das ich fühlte und auch wieder nicht.

Grell wackelte mit einem angeekelten Gesichtsausdruck kurz mit dem Fingern: „Ja… Die zähle ich nicht.“

„Du weißt gute Gesellschaft einfach nicht zu schätzen.“

„Und du bist einfach total krank.“

„Stimmt“, ich ließ meinen Kopf nach hinten und in Grells Richtung kippen: „Aber lassen wir die Feststellung von Offensichtlichem. Fahre lieber fort.“

Grell setzte sich im Schneidersitz auf das zwei Ziegelsteine hohe Mäuerchen: „Ich musste nicht lange überlegen wo du bist. Bist du jede Nacht hier?“

„Warum ist das wichtig?“

„Weil ich mir Sorgen um dich mache. Honoriere das mal und antworte mir anständig.“

Ich seufzte innerlich: „Ja, bin ich.“

„Ist das nicht grausam?“

Ich drehte meinen Kopf wieder zu dem unruhig schlafenden, schönen Ding und wollte nicht antworten.

Es war grausam.

Doch vor jemanden zugeben wollte ich es nicht.

Grell seufzte nach ein paar stillen Sekunden: „Du brauchst nicht antworten. Ich sehe dir an, dass es grausam ist. Was ist zwischen euch beiden los, hm?“

Auch Grells ins führsorgliche geschwungene Stimme animierte mich nicht zu reden. Ich wollte meine Seele nicht ausschütten. Grell wusste, dass ich so etwas nicht tat: „Ki hi. Das geht dich nichts an.“

„Es geht mir nicht um Gossip, Undertaker.“

„Es ist mir egal worum es dir geht“, schnitt meine Stimme bestimmt und recht scharf durch die stille Nacht: „Es geht dich nichts an.“

„Es gibt nichts Besorgniserregenderes als du, wenn du aufhörst zu grinsen. Und dieses kleine Grinsen eben, dieses aufgesetzte Lachen vorhin. Undertaker, das bist nicht du“, zwei Hände mit manikürten Nägeln fassten mich an den Schultern und drehten mich zu Grells Gesicht: „Ich spüre dich leiden. Tue mir nicht an machtlos daneben stehen zu müssen“, seine grünen Augen schauten mich ehrlich besorgt und auch recht traurig an: „Du bist mein Freund.“

Ich wandte meinen Blick ab: „Warum willst du Probleme annehmen, die nicht deine sind?“

„Weil ich dein Freund bin“, sprach Grell noch einmal sehr eindringlich: „Und Freunde sind füreinander da sind, wenn es nicht gut läuft. Ich heule mich ständig bei dir aus und du bist der Einzige, der hin und wieder etwas Nettes zu mir sagt. Lass mich etwas zurückgeben. Undertaker, bitte. Rede.“

Ich schaute Grell ein weiteres Mal an. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und schaute viel ernster als von ihm gewohnt.

Eine Zeit lang schaute ich in sein Gesicht, indem immer noch ehrliche Besorgnis und der Drang zu helfen stand.

Meine innere Mauer bröckelte, was mich erschreckte. Denn diese Mauer war bis jetzt immer mehr als nur stabil gewesen. Doch ich merkte wie all diese schlimmen bitteren Gefühle, all diese Fragen und Vermutungen dagegen trommelten.

Dieses Mal seufzte ich hörbar, als ich mein Gesicht wieder zu Skyler drehte: „Ich kann nicht bei ihr bleiben.“

„Warum?“

„Grell“, ich atmete einmal durch: „Wir sind der Tod.“

„Im weitesten Sinne.“

„Kann der Tod glücklich machen?“

„Nein.“

„Er bringt nur eine Menge Schmerz.“

„Ja.“

„Wie“, ich brach kurz ab. Skyler drehte sich wieder Richtung Fenster und rollte sich zusammen: „Soll ich dann bei ihr bleiben?“

„Du bist kein Sensenmann mehr.“

„Ich bin nach wie vor ein Reaper. Ob ich noch im Dienst bin oder nicht“, ich schloss meine Augen: „Was ich bin kann ich nicht ändern.“

„Aber du hast schon lange geändert wer du bist.“

Wieder drehte ich meinen Kopf zu Grell: „Ob zum besseren ist auch eher fraglich.“

Die Feuerlocke schaute mich eindringlich an: „Was rätst du mir immer in Bezug auf William?“

Verwirrung stieg in mir auf: „Warum fragst du das?“

„Antworte einfach.“

„Dass du dir was er sagt nicht zu Herzen nehmen sollst.“

„Warum tust du es dann?“

Ich zog meine Augenbrauen nachdenklich zusammen: „Wie kommst du darauf?“

Grell legte mir die Hand auf die Schulter: „William ist der Einzige, der sich beschwert, dass du nicht mehr die Legende bist, die du mal warst. Aus dem einfachen Grund, dass du und Alisa van der Hegen Williams große Vorbilder seid und er sich ärgert seinen Helden nicht so kennen lernen zu können, wie er von ihm gelesen hat. Wir kennen dich nicht anders. Von Adrian Crevan haben wir höchstens mitbekommen, dass er spurlos verschwunden ist und irgendwann für tot erklärt wurde. Du bist du. Du bist Undertaker und jeder weiß was das heißt. Und jeder mag dich so wie du bist, auch wenn wir uns pausenlos beschweren. Weil wir wissen, dass du der loyalste Weggefährte bist, den man haben kann, auch wenn wir ewig den Fehler begehen es dich nicht spüren zu lassen. Wir wissen es. Es ist uns wichtig. Du sagst mir ständig, egal wie ekelig William zu mir ist, würde er mich nicht mögen würde er sich nicht die Mühe geben mich immer raus zu boxen und auch noch in seiner Freizeit mit mir unterwegs sein und wenn wir dich nicht mögen würden, würde Ronald nicht ständig dein Zeug zusammenflicken, was schon vollkommen überholt ist und mit dir trainieren wollen. Dann würde William nicht ständig bei dir auf der Matte stehen und deine Finanzen checken. Dann würde der Earl dich nicht immer wieder einladen und Sebastian dazu befehligen deine Unterlagen so zu faken, dass es passt. Dann würden dich Amy, Fred und Lee nicht als ihren Onkel bezeichnen. Dann würde Charlie nicht mit dir reisen und Frank nicht mit dir reden. Dann würde ich dich nicht ständig besuchen kommen. Dann wären wir nicht mit dir unterwegs“, Grell nahm seine andere Hand und deutete ins dunkle Internatszimmer: „Und wenn sie dich nicht mögen würde, würde sie nicht ständig um dich herumschwirren.“

Ich folgte Grells Hand und mein Blick fiel ein weiteres Mal auf Skyler.

Die bittere Traurigkeit griff mein Herz mit klammer Hand.

„Ich habe es ruiniert“, kam es nur sehr leise aus meinem Mund.

„Wie?“

Meine Augen hingen an dem so kläglich zuckenden jungen Ding: „Sie hat nach der Campania gefragt.“

Grell seufzte lang: „Und du hast wie immer nicht gelogen.“

„Sie ist weg gelaufen“, ich konnte nicht mehr lauter sprechen. Meine schlechten Emotionen lagen schwer auf meiner Stimme.

„Oh nein…“

„Ihre Augen. Wie sie mich vorher angeschaut hat. Sie hatte Angst vor mir.“

„Na, na. Falsche Richtung, Undertaker. Ganz falsche Richtung.“

„Inwiefern?“, ich konnte nicht von Skyler wegschauen. Der bis eben noch kalte Schmerz wurde immer heißer. Kroch immer weiter in mir auf.

„Sie hat nicht Angst vor dir. Sie hat sich vor dem erschreckt, was du getan hast. Denn das war schrecklich. Ich habe es mehr als nur gesehen. Doch du bist mehr als nur das.“

„Die Campania war ein Paradebeispiel für das was ich bin.“

„Verletzt.“

Mein Kopf zuckte zu Grell.

„Du bist verletzt“, wiederholte er in einem sehr eindringlichen Tonfall: „Weil der Tod dir seitdem du existierst immer und immer wieder übel mitspielt. Erst hat er dich versklavt. Dann nahm er dir jeden weg. Und du bist zum Himmel hoch seufzend einsam, weil keiner bleibt. Deshalb hat dich Vincents Tod, der ein Mensch war den du so gerne mochtest, soweit getrieben etwas was nur zur Befriedigung deiner exorbitanten und exorbitant entarteten Neugierde bestimmt war, als Waffe zu benutzen. Um jene in die Finger zu kriegen, die ihn dir genommen haben. Deine Existenz ist, seitdem das alles vorbei ist, sinnbefreit“, Grell legte beide Hände auf meine Schultern und sah leidend aus. Mitleidend: „Du bist immer noch den Phantomhives verschrieben, aber das ist für jemanden mit deiner Kragenweite nicht genug. Das genügt weder deiner Stärke, noch deiner Charaktertiefe. Und es verhält sich bei einem lebenden Wesen nicht anders, als bei einer Doll oder einem komischen Stein: Was keinen Sinn hat, sucht nach einem. Alles will einen Sinn haben. Du hangelst dich von einem Sinn zum andern. Willst die Wesen, die dir wichtig sind am Leben halten. Schaffst du es nicht, machst du dir die Rache zum Sinn.“

„Ich kann den Tod nicht aufhalten. Das kann niemand.“

„Aber du versuchst die Wesen, die dir wichtig sind, so lange am Leben zu halten, wie es nur irgend möglich ist.“

Ich schaute Grell wieder eine Weile an.

„Wahrscheinlich“, sagte ich schließlich.

Doch ‚wahrscheinlich‘ traf es nicht. Grell hatte Recht. Doch ich konnte es nicht zugeben. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Grell habe mich so gut durchschaut. Doch er hatte. Weil Grell ein helles Köpfchen war, mich schon lange begleitete und eine Empathie besaß, die ihres Gleichen suchte.

„Du bist so alt. Du hast schon alles gesehen. Du hast schon alles gemacht. Alles“, Grell hob einen Zeigefinger: „Bis auf eine Sache.“

Mit einem Zusammenziehen meiner Augen deutete ich Grell weiterzusprechen.

„Lieben“, er legte mit einem kleinen Lächeln den roten Schopf schief: „Du hast noch nie geliebt, Undertaker. Du hattest und hast echte Freunde gefunden. Du hattest etwas, was mit einer Familie vergleichbar war. Doch noch nie hast du geliebt.“

Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Augen größer wurden.

Der Sensenmann in Rot zeigte mit dem erhobenen Finger wieder durch das Fenster: „Der Sinn, den du suchst, der liegt da.“

Ich folgte ein zweites Mal Grells Hand auf Skylers schönen Anblick. Der gerade so kläglich und leidend wirkte.

„Ich kann meine Bedürfnisse nicht über ihr Wohl stellen, Grell.“

„Wer sagt, dass du das musst?“, Grell pikste mir mit dem Zeigefinger ein paar Mal gegen die Schläfe: „Sie fühlt sich bei dir wohl. Ansonsten wäre sie an der Themse weggelaufen. Stattdessen hätte sie dich fast geküsst. Hätte sie etwas gegen dich, hätte sie dir ein paar auf die Fresse gegeben wärst du ihr so nahegekommen.“

Ich fing Grells Finger mit meinem ab und schaute mit den Augen zu ihm: „Sie weiß nicht einmal die Hälfte.“

Grell seufzte seicht: „Wer weiß das schon? Auch wir nicht und wir waren Ende 1800 mitten drin, statt nur dabei. Undertaker, was passiert ist, als du Adrian Crevan warst, interessiert zwar, aber wir können auch einfach Geschichtsbücher lesen und was 1800 passiert ist, hatte einen Grund und der war gar nicht so übel, auch wenn deine Methode sehr sehr grausam war. Du bist kein schlechter Typ. Du bist anders und eigen. Nicht perfekt und auch nicht rein. Aber du weißt das. Du siehst dich realistisch bis zu schlecht und jetzt wo Skyler schon anfänglich etwas weiß, sehen die anderen Offenbarungen vielleicht ganz anders aus.“

Etwas in mir wollte Grell unbedingt glauben.

Etwas anderes erinnerte sich an Skylers panisches Gesicht.

„Vielleicht“, seufzte ich: „Doch mit Skylers Seelenheil pokere ich nicht.“

„Natürlich nicht…“, machte der rote Reaper angestrengt: „Aber ich glaube was du tust ist für Sky auch nicht das Richtige.“

„Erkläre dich.“

„Ich glaube sie vermisst dich. Sie wollte, dass du heute noch einmal kommst, nicht ich. Ich weiß nicht wie du sie behandelst, aber ich bin mir sicher es tut ihr weh. Und dir auch.“

„Glauben ist nicht Wissen“, ich wischte mir durch mein Gesicht: „Und selbst solltest du richtig liegen. Es wird… besser, wenn ich endgültig verschwunden bin.“

„Oh, wird mir schlecht“, stöhnte Grell: „Erkläre trotzdem was das bitte heißen soll.“

„Wenn dieses komische Wesen fort ist“, ich seufzte durch die Nase. Auch dieses Gespräch war so anstrengend: „Übergebe ich es dem Butler nach dem Rechten zu sehen. Dann wird mich Skyler nicht mehr sehen“, den Blick auf der lieblichen Frau stockte meine Stimme. In den bitter heiß-kalten Schmerz mischte sich Wehmut. Etwas sträubte sich dagegen was ich sagen wollte auch nur zudenken: „Und irgendwann wird sie leben, als sei ich nie da gewesen.“

„Du denkst nicht wirklich man könnte dich vergessen, oder?“

Mein Blick wanderte zu Grell.

Er hatte eine Augenbraue gehoben: „Das geht nicht. So jemanden wie dich vergisst niemand, egal wie er dir gegenüberstand. Entweder bist du der Grusel-Bestatter oder der ulkige Sonderling. Ob man dich mag oder fürchtet. Vergessen tut man dich nicht.“

„Skyler wird ihr Leben in den Griff bekommen“, ich schloss meine Augen: „Weil sie stark ist. Weil sie so viel überlebt hat und so unfassbar stark ist. Stark und unabhängig. Selbstständig und mit so vielen Talenten gesegnet. Irgendwann wird jemand bemerken wie faszinierend sie ist, dem nicht der Tod an den Fersen klebt. So, oder so.“

„Doch mit dir wäre sie glücklicher.“

„Ich weiß doch noch nicht einmal wie sie über mich fühlt.“

„Ich glaube sie hat dir an der Themse einiges erzählt.“

„Ihr standet also die ganze Zeit da oben.“

„Natürlich.“

„Aber ich bin ein Voyeur?“

„Ich habe nie gesagt, ich sei besser. Hat sie?“

„Sie hat… nicht das gesagt.“

„Hast du es ihr gesagt?“

„Nein.“

„Idiot.“

„Ich weiß.“

„Was ist dann passiert?“

„Viel, doch das Bezeichnenste war“, mein Blick fiel nach unten: „Sie weinte so viel. Ich weiß nicht recht warum, doch ich weiß, dass ich schuld daran war. Ein zweites Mal kann ich so etwas nicht verantworten. Ich kann sie kein zweites Mal verschrecken. Ich kann sie kein zweites Mal so zum Weinen bringen. Ich kann kein zweites Mal der Grund dafür sein, dass sie leidet. Doch es gibt mehr als nur einen Fakt über mich, der genau das bewirken würde. Es muss ein Ende haben.“

„Undertaker“, Grells Griff an meiner Schulter wurde fester: „Kannst du nicht einmal das Egoschwein sein, von dem du immer behauptest du wärst es?“

„Tehe“, entfuhr mir ein unauthentisches Lachen: „Sonst sagen immer alle ich solle mal ein bisschen Rücksicht nehmen.“

Grells Stirn landete auf meiner: „Du hast dich entschieden, oder?“

Ich nickte.

Der rote Reaper krallte sich in meinen Pulli: „Du hängst dein Glück für ihres?“

Ich nickte.

„Und ich kann nichts dagegen tun?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Was ist, wenn ihr etwas passiert?

„Wird es nicht.“

„Weil du es verhindern wirst.“

„In der Tat.“

„Das ist Selbstfolter.“

„Ich weiß“, ich stockte kurz: „Doch ihr Leben ist im Endeffekt auch nur einen Wimpernschlag lang.“

„Das wird ein langer Wimpernschlag“, seufzte Grell: „Sie ist ein süßes Ding. Talentiert wie du schon sagtest. Du wirst nicht das einzige männliche Wesen sein, was das sehen wird.“

„Ich weiß“, das Grell den Gedanken aussprach, den ich nicht denken konnte, fachte diesen Schmerz in meiner Brust wieder an. Ich wiederstand dem Krampf, der daraufhin ein weiteres Mal folgen wollte.

„Machst du weiter, auch wenn sie andere Lippen küsst?“

„Ich halte meine Versprechen“, ich schloss meine Augen: „Bis ins Grab.“

Grell legte eine Hand auf meinen Hinterkopf: „Ich bin bei dir. Länger als einen Wimpernschlag.“

„Ich weiß“, langsam öffnete ich meine Augen wieder: „Und du weißt gar nicht wie dankbar ich dir dafür bin.“

„Doch, das weiß ich“, Grell schwieg ein paar Herzschläge lang: „Wirst du irgendwann so leben können, als hättest du Sky nie getroffen?“

„Irgendwann“, denn irgendwann würde dieser Schmerz in den Hintergrund wandern. Wie jeder andere.

Das ist die Heilung, die die Zeit verspricht.

Irgendwann wird er nur noch in Momenten der nostalgischen Melancholie über mich kommen.

Doch ich wusste…

Ich würde nie wirklich aufhören sie zu vermissen. 
 

Kurz nach diesem Gespräch war Grell vom Fensterbrett aus in ein Portal in den Reaper Realm gesprungen und verschwunden.

Glücklich war sein Gesichtsausdruck nicht gewesen, doch er hatte das Gespräch nicht weitergeführt.

Ich saß noch ein paar Minuten auf der Fensterbank, dann konnte ich den inneren Drang nicht weiter zurückhalten. Ich tippte mit dem Zeigefinger gegen den Rahmen. Das Fenster schwang auf und ich sprang hindurch.

Nachdem ich hinter dem Schreibtisch gelandet war, schaute ich mich in ihrem Zimmer um.

Es wirkte so furchtbar kahl und dadurch ziemlich kalt. Dunkles Holz und weiße Wände hatten nichts Heimeliges. Es war nichts zum Wohlfühlen.

Ich war sicherlich kein Verfechter normaler Wohnsituationen. Schließlich besaß ich seit rund 200 Jahren noch nicht einmal mehr ein Bett und seit 161 Jahren war mein Wohnzimmer der Verkaufsraum meines Ladens. Doch selbst in meinem Verkaufsraum stand so viel herum, was zu mir persönlich gehörte: Fotos, Bilder, kleine Statuen, Talismane. Dinge, die ich selber gemacht oder geschenkt bekommen hatte. Selbst Innereien und Organe, die ich als besonders ansehnlich empfand, dienten mir als Dekor. Keine konservative Art von Dekor, aber Dekor.

Ich hatte mich eingerichtet. Diese Räumlichkeiten gehörten unverkennbar mir.

Skyler hatte dies nicht getan.

Und Grell hatte sehr wohl recht damit, dass dies besorglich war.

Hinter meinen Brillengläsern wanderten meine Augen durch die Nachtschwärze des Raumes, die mir nichts ausmachte.

Ich suchte nach Etwas was ihr gehörte.

Erst sah ich nur die Ecke eines alten Lederkoffers, der unter das Bett geschoben war. Doch ein paar Augenblicke später fiel mein Blick noch einmal auf den Nachttisch. Er war ein optisch dezenter, schmuckloser Holzkasten. Vorne war eine Tür mit einem halbrunden Fensterchen, darunter eine Schublade.

Ich kniete mich davor, als meine Augen hinter der Glasscheibe etwas entdeckten.

Dort saß ein kleiner Teddy.

Beige und abgegriffen mit einer kleinen grünen Weste.

Ich kam nicht drum herum mich zu fragen woher dieser Teddy kam.

Er war definitiv schon einige Jahre alt.

Ich erinnerte mich daran, dass viele Menschen das eine Stofftier behielten, welches sie als erstes nach der Geburt bekamen.

War dies auch so ein Stofftier?

Hinter der kleinen Glasscheibe wirkte es wie der einzige ausgestellte Gegenstand im Raum.

Mit einem sanften Seufzen schloss ich die Augen. Irgendwie war es erleichternd wenigstens ein paarDinge zu finden, die definitiv zu Skyler gehörten.

Als ich meine Augen wieder öffnete schaute ich auf die Schublade.

Ich war natürlich neugierig was darin war. Doch genauso natürlich öffnete ich sie nicht.

Da fiel mir plötzlich etwas ins Auge.

Ich griff unter den Nachttisch und zog das Etwas hinaus. Als ich es vor mein Gesicht hielt, funkelte mir der Pentagramanhänger mit den 5 Malachiten, den ich für Skyler gefertigt hatte, entgegen.

Es wunderte mich nicht, dass er achtlos unter dem Nachttisch lag.

Doch versetzte mir sein Anblick einen herben Tritt.

Denn ich erinnerte mich, wie ich ihn ihr wiedergegeben hatte.

Ich hatte ihn auf eine neue Kette gefädelt, nachdem Hannah die Alte zerrissen hatte. Ich hatte ihn ihr über die Hand gestreift, als sie in Panik an mir vorbei aus meinen Laden lief.

Sachte legte ich die Kette vor die roten Zahlen des digitalen Weckers.

Dann drehte ich mich zu Skyler.

In ihrem Gesicht stand ein so unfassbar angestrengter Ausdruck.

Bevor ich darüber nachgedacht hatte fuhr ich ihr mit meinen Fingern durch die weichen Haare.

Ich vermisste sie.

Es war erstaunlich wie sehr man jemanden vermissen konnte, obwohl man ihn täglich sah.

„Under…“, nach meinem halben gemummelten Namen presste sie gequält die Lippen zusammen.

Sky drehte sich auf den Rücken, zuckte noch ein paar Mal mit dem Kopf hin und her: „Under… Aua…“

Mir verkrampfte sich der Magen, als sie wieder einen Schmerzenslaut nach meinem Namen von sich gab.

„Nur noch ein bisschen, meine Schöne“, ich strich mit dem Knöchel meines Zeigefingers über die weiche Haut ihrer etwas eingefallenen Wange: „Dann tue ich dir nie wieder weh…“

Nein!!“, schnellte sie schrill schreiend wieder in den Sitz.

Ich sprang über den Schreibtischstuhl aus dem Fenster auf die kleine Fensterbank und wandte mich noch einmal um.

„Schon wieder“, hauchte sie selbst für mich kaum hörbar und fuhr sich durch die Haare. Dann zog sie ihre Knie heran, schlang ihre Arme darum und vergrub ihr schönes Gesicht.

Sie litt, das war offensichtlich.

Es war nur leider nicht so offensichtlich warum.

Ich ging näher an das Fenster.

War es wirklich, weil sie mich auch vermisste?

Oder hatte ich ihrer Angst einfach nur endgültig mein Gesicht gegeben, welches sie jagte und um den Schlaf brachte?

Es gab Anzeichen für beides.

Es war so konfus.

So kompliziert.

Und die Lösung lag genauso fern.

Diese Nacht blieb Skyler einsam.

Amy kam nicht durch die Türe gestürzt, was mir verriet, dass auch die Phantomhive einen bitteren Kampf gegen die Schlaflosigkeit focht. Ansonsten hätte sie ihre spitzschreiende Freundin nicht allein gelassen.

Irgendwann hob sie ihren Kopf und stützte ihn auf ihre Arme. Nachdenklich fiel er zur Seite. In ihrem hellen Blau standen so viele Gedanken, doch ich konnte keinen davon entziffern.

Nach ein paar weiteren Minuten raufte sie sich verärgert die Haare.

Meine Augenbraue wanderte nach oben.

Sie ärgerte sich. Wahrscheinlich darüber wieder aufgeschreckt und unausgeschlafen zu sein.

Dann wanderte ihr Kopf zum Fenster.

Sie blinzelte es eine ganze Weile sehr verwirrt an.

Natürlich.

Sie hatte ja auch keine Ahnung, dass ich davor saß und eben noch durch ihr Zimmer geschlichen war. Sie wäre auch sicherlich alles andere als begeistert gewesen, dass ich ihre Privatsphäre so mit Füßen trat.

Doch was war, wenn ihr nachts etwas passierte?

Und immer wenn ich sie so schlecht schlafen sah, überkam mich das Gefühl etwas tun zu müssen. Doch ich konnte einfach nichts für sie besser machen.

Ich wurde immer wieder als eines der stärksten noch lebenden Wesen deklariert.

Doch eigentlich war ich so vielen Dingen gegenüber vollkommen machtlos.

Dem Tod gegenüber.

Und gegenüber ihrem Schmerz.

Schließlich krabbelte sie zögerlich aus dem Bett und fing so stark an zu husten, dass sie sich auf ihre Knie stützte.

Meine Augen zogen sich zusammen, als sie eine Weile angestrengt tief durchatmete und sich dann wieder aufrichtete.

Kam auch das vom Schlafmangel?

Husten?

Andererseits hustete man hin und wieder einfach mal.

Man verschluckte sich oder hatte ein Kratzen in der Lunge.

Als sie schließlich vor ihrem Schreibtisch stehen blieb musterte sie skeptisch das Fenster. Wieder segelten viele Gedanken durch ihr Himmelblau.

Sie stand genau vor dem Fenster.

Ich hätte meine Hand nicht ganz ausstrecken müssen, um ihre Wange zu berühren.

Sie sah durch mich hindurch, dachte ich sei gar nicht da und sie ganz allein.

Nichts in mir wollte sie alleine lassen.

Ich musste aus ihrem Leben verschwinden.

Offensichtlich.

Doch der vollkommen irrationale Teil in mir, wollte an dem Versprechen festhalten sie zu beschützen. Ich merkte wie ich Gefahr lief, mich in diesem Versprechen zu verrennen.

Doch was war, wenn ihr wirklich etwas passierte?

‚Aber du versuchst die Wesen, die dir wichtig sind, so lange am Leben zu halten, wie es nur irgend möglich ist.‘

Ich hatte doch sonst keine Wahl.

Früher, oder später musste ich jeden ziehen lassen.

Hatte ich dann nicht wenigstens das Recht es auf später zu verlegen?

Diese Frage ließ mich leiden.

Der Gedanke, dass alle, auch sie, gehen werden ließ mich leiden.

Ich hatte den Punkt des innerlichen totalen Elends erreicht.

Ich fühlte mich Himmel hoch seufzend einsam.

Meine Hand zuckte nach oben.

Zuckte nach oben auf der Suche nach der tröstenden Wärme ihrer Wange.

Doch auf halbem Wege verkrampfte ich nur meine Finger und zog sie zurück.

Und da griff Skyler auch schon das Fenster, schloss es vor meiner Nase und zog die Gardinen vor.

Ein kleines Stück ließ ich sie auseinander hüpfen.

Ich sah wie sie zurück ins Bett stieg und sich auf die Seite drehte. Dann streckte sie ihre feine Hand aus und griff nach dem Anhänger, den ich ihr dort hingelegt hatte.

Wenn schon fraglich war, wie weit ich sie noch beschützen konnte, sollte wenigstens er es tun.

Sie hob ihn an. Beschaute ihn eine Weile überlegend, sich sicherlich fragend, wie er dort hinkam. Dann schloss sie die Faust darum und zog ihn an sich.

Diese Geste verstand ich nicht.

Ich würde so gerne wissen, was sie dabei dachte.

Vielleicht hätte es etwas Erlösendes für mich.

Doch auch diese Erlösung würde verrauchen in Anbetracht der Tatsache, dass ich sie bald nicht mehr sehen würde.

Skyler schlief irgendwann wieder ein.

Als ihr Wecker klingelte war die Fensterbank wieder so verlassen, wie sie immer gewirkt hatte.
 

Ich seufzte, als ich zurück in meinen Laden kam. Doch hatte ich für weiteres Trübsal die ersten Minuten nachdem ich durch das Hinterzimmer in meinen Verkaufsraum getreten war keine Zeit.

Denn etwas wild Kreischendes und Flatterndes hing mir vollkommen ohne Vorwarnung mit einem Mal mitten in meinem Gesicht.

„Neeeeeeh! Merkenau!“, ich tapste vollkommen blind durch die Gegend. Nicht, dass dies eine große Abweichung zum allgemein vorherrschenden Status quo darstellte: „Was tust du?!“

Panisch kreischte mir die kleine Krähe entgegen. Ich fand es ja schon bemerkenswert, dass er die Höhe bis zu meinem Gesicht geschafft hatte, allerdings bekam er für die Landung definitiv Abzüge in der B-Note!

„Jau, jau, jau! Merkenau!“, er kratzte mir durchs Gesicht und fand trotzdem keinen Halt: „Hör auf so rumzuflattern dann kann ich dir helfen!“

Der Rabe schrie mich weiter an und kratzte mir heftiger durch mein Gesicht. Ich griff ihn am Nackengefieder.

Mich ergriff auch das Gefühl, es handelte sich nicht um einen misslungenen Flugversuch.

Der kleine Rabe griff mich an!

„Hey!“, ich zog ihn aus meinem Gesicht: „Kleiner Mann, was soll das?“

Merkenau blinzelte mich an. In den hektischen Vogelaugen sah man die Erkenntnis, dass ich es war der vor ihm stand, förmlich aufgehen.

Auf einmal strampelte und krächzte er ganz aufgeregt. Er flatterte alarmierend mit den Flügeln.

„Was ist passiert?“

Merkenau krächzte weiter. Das kleine Tier wirkte verstört und vollkommen aus dem Häuschen. Ich setzte ihn behutsam auf den Tresen. Doch er hüpfte sofort ans andere Ende und faltete seine Flügel auf.

„Hey hey hey! Keine Helden…!“, da segelte er auch schon - noch ein bisschen schief und mit zu viel angestrengtem Geflatter - Richtung des Fensters, welches am nächsten an der Eingangstür war: „…Taten… Ehehe! Das war gut!“

Der Rabe hatte mächtige Fortschritte gemacht!

Er landete noch ein wenig unbeholfen auf dem Sarg davor. Kaum sah ich wovor genau er sitzen blieb verstand ich sein Problem prompt.

Missbilligend zog ich die Augen zusammen, als ich ihm nach zu meinem Fenster ging.

Oder dem, was davon übrig war.

„Du brauchst nichts mehr sagen, mein kleiner Freund“, behutsam kraulte ich ihn am Kopf: „Ich habe verstanden.“

Und ich war nicht begeistert.

Mein Fensterglas hing nur noch in einzelnen Bruchstücken im Rahmen. Der Rest lag vor meinen Füßen auf den Boden. Der Rahmen und ein großer Teil der Wand waren kohlrabenschwarz verrußt. Durch das Loch in meiner Wand sah ich auf einen Teil eines großen Spinnennetzes.

Ich schaute durch meinen Laden.

Abgesehen von meinem Fenster war alles wie gewohnt. Es wirkte nicht, als habe jemandmeinen Laden durchsucht und dann alles wieder zurückgestellt. Vor allem: Warum sollte er mir so überdeutlich deutlich machen, dass er hier gewesen war, aber dann innerraumes seine Spuren verwischen?

Ich ließ von Merkenau ab und ging auf mein Fenster zu.

Dort beschaute ich die oberste Strebe. Sie war am meisten verbrannt. Ich rieb mit dem Finger darüber. Unter dem Ruß kam mein in silberne Streben gesetztes Sator-Quadrat wieder zum Vorschein, wo in jede Strebenkreuzung ein Türkis eingesetzt war. Ein gewinnendes, fieses Lächeln erschien kurz auf meinem Gesicht: „Na, mein ungebetener Freund? Finger verbrannt? Ehe he he he!“

Tja. Wenn er dachte, er käme so einfach in meinen Laden, musste er danach halt Brandsalbentuben zählen!

Doch Merkenau hatte der Dämon böse erschreckt.

Der Rabe starrte auf das Fenster und sah aus wie eine Statue. Dass er noch kein reinweißes Federkleid aufgrund des Schreckens hatte war erstaunlich.

Ich tätschelte den Raben noch einmal und setzte ihn auf den Tresen. Mit einer Hand legte ich ihm ein paar Kekse auf die Tischplatte: „Das war sicher ziemlich aufregend. Aber keine Sorge! Kihihihihihihi! Hier kommt nichts Übernatürliches rein, was nicht von mir eingeladen wird! Ich gehe kurz etwas nachschauen.“

Merkenau krähte mir nach.

Ich zwinkerte ihn noch einmal ermutigend zu, schloss meine Eingangstüre auf und trat hinaus. Gleichzeitig hörte ich Schritte in den Gassen. Doch diese Schritte kannte ich. Von daher ignorierte ich sie vorerst.

Ich ging durch bis zum gegenüberstehenden Haus und stemmte meine Fäuste in die Hüfte, als ich meine Außenmauer sah.

Ich war versucht meine Brille aufzusetzen und merkte erst beim zweiten Gedanken daran, dass ich sie schon trug, so wenig glaubte ich im ersten Moment dem Anblick meiner Fassade. Doch dann konnte ich mir lautes Lachen nicht verkneifen: „Gwahahahaha! Fantastisch! Buhahahahaha! Dieser kleine Spinner!“

Diese kleine Mistkröte von Spinnendämon hatte mir einmal meine ganze Hausfassade eingewebt!

In meinem Kopf lief bildlich ab, wie sich der Herr Meisterdieb bei dem Versuch bei mir einzusteigen erst mächtig die langen Finger verbrannt und dann im Bestreben seine hilflose Wut zu löschen meine Hausfassade umdekoriert hatte!

„Ni hi hi hi! Herrlich! Muhahahahaha! Eigentlich ganz mein Stil, aber ein wenig zu dick aufgetragen! Hehehehe!“, ich fing lauter an zu lachen und hielt mir den Bauch: „Nehehehehe! Du hättest ein ‚Von: - An:‘-Schildchen dranhängen können! Puhuhuhuhuhu! Der Teufel steckt doch im Detail! Kehehehehe! Oder was meinst du, Fred?“

„Ich meine, Halloween ist vorbei.“

Ich wandte mich zu dem jungen Phantomhive, der neben mir stehen blieb: „Ich weiß, gihi!“

Fred beschaute erst meine Fassade und dann mich: „Von Claude für Undertaker?“

„Tihihi! Exakt!“

„Und warum diese… exorbitante Geste?“

„Frag ihn“, ich machte eine weite Bewegung mit den Armen: „Fuhuhuhu! Ich habe dochkeine Ahnung, warum er bei mir einbrechen wollte!“, was nicht hieß, dass ich nicht eine sehr genaue Vermutung hatte: „Arbeitet dein werter Vater gerade an etwas?“

„In der Tat“, machte Fred: „Doch ich bin nicht informiert. Ich habe Klausurphase an der Uni und bin außen vor. Vorerst.“

Ich grinste Fred an: „Freiwillig?“

„Halb“, er seufzte: „Sagen wir, ich verstehe die Logik und beuge mich ihr.“

„Wie weise. Ni hi hi.“

„Weißt du woran Vater arbeitet?“

„Woher? Wu hu hu! Er war noch nicht bei mir.“

„Was nicht heißt, dass du nicht schon jemand in deinem Laden haben kannst, der dir alles geflüstert hat. Jemand, von dem Claude auch etwas geflüstert haben will.“

Ich grinste breiter: „Oder mit dem er schon geflüstert hat. Iiih hi hi hi hi!“

Ich erinnerte mich, dass der Fundort meines neusten Gastes White Chapel gewesen war. Und in White Chapel hausten momentan wohl auch diese neuen Emporkömmlinge der Aurora Society. Wenn Grell und ich recht spekulierten, hingen der Dämon und sein kleiner nerviger Meister ja vielleicht sogar dort mit drin.

Ich kicherte amüsiert in meine Hand.

Nicht, dass mein neuester Gast ein Gast war, von dem der kleine Earl Trancy nicht wollte, dass ich ihn hatte. Vielleicht wollte es auch Aurora nicht. Doch zumindest letztes Mal hatten mich die Mitglieder dieses neuen Kultes noch nicht als das erkannt, was ich damals für Aurora gewesen war. Allerdings könnte sich das mit dem kleinen Trancy an der Hand auch irgendwie geartet geändert haben.

Es blieb also spannend!

„Was weißt du?“

„Ah ah ah!“, ich wackelte mit einem Zeigefinger: „Meine Lippen sind verschlossen, bis ein erstklassiges Lachen sie mir öffnet. Du kennst die Geschäftsbedingungen! Ki hi hi hi!“

Fred verdrehte die Augen: „Ist ja gut“, dann schüttelte er den Kopf: „Das ist eine riesen Sauerrei.“

Ich verschränkte die Arme: „Mein kleineres Problem. Das eingeschlagene Fenster und mein in Mitleidenschaft gezogener Fensterrahmen ist da problematischer.“

Fred machte sich auf Richtung Tür: „Ich frage mal Vater, ob er Sebastian beauftragen kann dir zu helfen.“

„Himmel, nein!“, ich ging kichernd hinter ihm her: „Ki hi hi hi! Lass mir die Höllenbrut aus dem Haus! Ich erledige das fein selbst.“

„Wer nicht will, der hat schon.“

Ich schloss die Tür hinter mir.

Fred stand vor dem immer noch recht verschreckten Merkenau, der sich beim Auftauchen des weiteren Fremden in sein Nestkörbchen verzogen hatte: „Was hat das Tier?“

„Kihihi! Claude gesehen.“

„Alles klar. Ist das Merkenau?“

Ich nickte. Meine Augen wanderten kurz zur Eingangstür. Jemand stand davor, kam aber nicht hinein. Aber auch dieser Jemand war keine Gefahr. Also ging ich durch die Türe in meine kleine Teeküche und kam wenig später mit drei Teebechern zurück. Fred lehnte,Arme verschränkt, auf dem Tresen und durchsuchte meinen Laden mit den königsblauen Augen.

Ich setzte mich auf meinen Stuhl und reichte ihm seinen Becher: „Hier fehlt nichts. Ih hi hi hi! Claude ist nicht reingekommen.“

Fred nahm seinen Becher an: „Warum macht er sich die Mühe dein Fenster einzuschlagen, sogar deinen Fensterrahmen anzuzünden und geht dann nicht rein?“

Ich zeigte auf das kleine Quadrat in der oberen Fensterstrebe: „Er konnte nicht. Ki hi!“

Fred folgte mit dem Blick meiner Hand und zog die Augen zusammen.

„Na, geh und schaue! Lerne etwas. Ni hi hi!“

„Oh, eine kostenlose Lehrstunde von Meister Undertaker“, Fred stellte seinen Becher zur Seite, stieß sich von der Tischplatte ab und ging zum Fenster: „Da sagt man doch nicht nein.“

Ich merkte wie ein gefälliges Lächeln auf meinem Mund erschien. Umso mehr Handwerkszeug die Menschen hatten sich zu schützen, umso besser war es. Da verteilte ich auch gerne die eine oder andere Lerneinheit gratis. Doch Freds Wissensdurst gefiel mir, weil mir Neugierde gefiel. Weil konstruktiv neugierige Menschen, die sich so gut im Griff hatten besonders waren. Und schließlich wollte ich, dass diese besonderen Menschen solange wie möglich blieben…

Mit zusammengezogenen Augen krempelte sich der Erbe der Phantomhives die Ärmel seines weißen Hemdes hoch, welches wie immer in einer dunkelblauen Jeans steckte und rieb das Quadrat weiter frei. Dann versuchte er es zu entziffern: „Sa… Sator… Arep… Arepo…“

„Sator Arepo Tenet Opera Rotas“, schmunzelte ich: „Ein ‚Sator-Quadrat‘.“

Fred schaute mich eine Augenbraue erhoben die Andere heruntergezogen an: „Das ist?“

„Ein Satzpalindrom. Man kann es horizontal und vertikal, vorwärts und rückwärts lesen.“

Fred schaute wieder einige Zeit auf das Quadrat: „Stimmt. Da steht immer dasselbe, egal wie man es liest. Sator Arepo Tenet Opera Rotas …“, der junge Mann überlegte kurz angestrengt: „Ich kann Latein, aber…“

Ich lachte auf: „Fuhu! Dieses kleine Ding da stammt aus den ersten hundert Jahren nach Christus. Das wird schwer zu entziffern.“

Er schaute wieder auf das Zeichen: „Was steht denn da?“

„Ki hi hi. Da scheiden sich die Geister.“

„Du hast das Ding in Silberstreben über deinem Fenster und weißt nicht was es heißt?“

„Kihihi! Nicht genau. Das hat sich jemand anderes ausgedacht.“

Fred drehte sich um: „Wer?“

Ich hob meine Hände: „Ich weiß nicht. Ich kann dir nur sagen es ist ein Satzpalindrom und zudem ein sehr starkes Schutzzeichen. Also wahrscheinlich ein gesegneter, oder ein verfluchter kluger Mensch. Ehehehehe! Es gibt verschiedene Versionen was dort stehen könnte.“

Fred hob kopfschüttelnd eine Hand: „Ernsthaft?“

Ich kicherte: „Ni hi hi. Mir persönlich ist was da steht doch vollkommen egal. Es funktioniert! Kihihi!“

„Als Schutzzeichen.“

„Ehihihi! Genau!“

Fred zeigt auf das Sator-Quadrat: „Kam Claude deswegen nicht hier rein?“

„Exakt. Ih hi hi!“

„Deswegen so schick? Mit Silberstreben, Türkis und brauner Tinte?“

„Silber und Türkis sind Materialien, denen man schützende und reinigende Eigenschaften zuspricht“, grinste ich: „Aber das ist keine Tinte.“

Fred kam wieder zu mir und schaute mich an: „Was ist es dann?“

Ich grinste weiter: „Wu hu hu hu! Blut.“

Fred wurde bleicher.

„Wessen Blut?“, fragte er nach ein paar verstörten Sekunden.

Ich lachte laut auf: „Ahehehehe! Atmen, Fred! Es ist mein eigenes.“

Fred schüttelte seine Hände aus: „Gut. Ok. Das ist… beruhigend.“

„Hast du für mich nur die Kategorien ‚Beruhigend‘ und ‚Unberuhigend‘?“

„Die Hauptkategorien“, er lächelte kurz. Dann seufzte er: „Hat Claude dein Fenster angezündet um das Zeichen auszubrennen? Warum hat es nicht funktioniert?“

„Nein, das Zeichen ist in Flammen aufgegangen, als Claude hindurch wollte“, ich lachte dunkel: „He he he. Frederick, denkst du irgendetwas oder irgendjemand kommt hier hinein, ohne dass ich es so will?“

Fred schwieg wieder kurz. Dann schüttelte er schnell den Kopf: „Nein. Nein, denke ich nicht. Wäre schön zu wissen was er wollte.“

„Kihihi! Du kannst ja bei Oliver durchklingeln und nachfragen“, ich drehte meinen Kopf zur Tür: „Ni hi hi. Möchtest du auch einen Tee, Lee?“

Schließlich stand er da draußen ja jetzt schon eine ganze Weile.

Der Asiate streckte mit winkender Hand den Kopf durch die Tür: „Nǐ hǎo!“

Fred seufzte: „Hi.“

„Hallo Lee“, grinste ich: „Warum stehst du vor meiner Türe?“

„Hab‘ deine schicke Halloweendeko bewundert. Leider etwas spät, denkst du nicht?“

Ich legte den Kopf schief: „Du hast lang genug gelauscht, dass ich darauf nicht noch einmal antworten brauche. Te he he.“

„Stimmt“, Lee schüttelte den Kopf und nahm einfach Freds Becher von dem Tresen: „Frecher, kleiner Dämon.“

Fred haute Lee vor die Schulter und deutete mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck auf den Becher. Doch Lee belachte es nur und nahm einen Schluck, worauf Frederick genervt den Kopf schüttelte.

Ich lachte wieder auf. In mir war diese tief kalte Grundstimmung. Ich fühlte sie, unabdingbar, obwohl ich doch ein wenig Amüsement und etwas zum Lachen gefunden hatte.

Dieses Gefühl war einfach immer da.

Doch ich schaffte es, es zurück zu drängen: „Ni hi hi hi. Er bekam was er verdiente.“

Lee lachte auch: „Und war augenscheinlich nicht erfreut.“

„Denkst du?“, grinste ich.

Lee lehnte sich an den Tresen und hatte ein Unheil beschwörendes Lächeln im Gesicht: „Es könnte eine Warnung sein. Ein ‚Du bist mir ins Netz gegangen‘.“

„Oder die Tobsuchtreaktion eines Dämons, dem ich den Hosenboden angeflämmt habe, ohne überhaupt körperlich anwesend zu sein. Ehehehehehe!“

„Naja“, Lee schüttelte lachend den Kopf: „Wenn es dein eigenes Blut war, warst du ja schon irgendwie körperlich anwesend. Ein fieser Trick, Takerchen.“

Ich kicherte dunkel: „Ni hi hi hi. Wer denkt, ich sei nicht fies, denkt falsch.“

„Oh ja“, Lee nahm einen Schluck Tee und Fred schüttelte nochmal den Kopf. Ich gab ihn die dritte Tasse, süßte dann meinen eigenen und trank einen tiefen Schluck.

Dankend nickte der Phantomhive, trank und schaute seinen besten Freund beleidigt an: „Hast du es dabei?“

Lee zog ein kleines quadratisches Kästchen aus seinem reinweißen Yakuzajackett: „Bimmel lingel ling!“

Er warf es mir zu. Ich fing es mit einer Hand. Auf der Schachtel stand »Samsung Galaxy S4«.

„Ah!“, machte ich und nickte grinsend in Lees Richtung: „Ich danke. Ke he he!“

„Mein altes Handy“, grinste Lee zurück: „Lag noch bei mir herum. Sehe es als Einstand in die moderne Welt.“

„Wie gönnerhaft. Ki hi hi. Ich danke noch mehr.“

„Bitte bitte“, Lee stellte den Becher ab und nahm mir die Schachtel wieder aus der Hand: „Ich hab‘ schon alle Apps aufgespielt, die du brauchst.“

„Ni hi! Das können ja nicht allzu viele sein“, grinste ich.

Lee schüttelte den Kopf, während er das Handy auspackte: „Nein, waren es wirklich nicht. Whatsapp ist drauf und Funtomtalk. Ich glaube mehr brauchst du nicht.“

Ich hob die Hände: „Was auch immer das ist.“

Fred reichte Lee eine kleine Karte: „Whatsapp ist ein Chat. Also ein Programm um sich gegenseitig Nachrichten zu schreiben. Meistens einer zu einem. Man kann damit auch zum Beispiel Fotos, Videos und Musik versenden. Funtomtalk ist dasselbe, nur sind da die Nobelmänner und die Reaper alle in einem Chat und können jederzeit alles nachlesen. Klar soweit?“

Ich drehte einmal den Kopf: „Habe ich noch gerade so verstanden. Kihi!“

Lee legte die kleine Karte hinten ein und schaltete das Handy ein: „Fred hat dir einen Vertrag besorgt. Wird monatlich abgebucht. Wunder dich also nicht.“

„Ok“, machte ich.

Wenigstens hatte ich so mal wieder eine weitere Verwendung für das ganze Geld, was ich seit Jahren hier herumfliegen habe.

Dann drückte mir Lee das Handy in die Hand und die beiden jungen Männer standen auf einmal hinter mir.

„So“, machte Lee und griff mein kleines Telefonbuch: „Dann richten wir mal ein.“

Das sagte Lee so kurz… dabei dauerte es so lange!

Fred wollte sich ganz in meinem Sinne an das nötigste halten. Doch Lee zwang mich noch so komisches vollkommen nebensächliches Zeug wie ein Hintergrundbild und einen Klingelton auszusuchen. Nachdem auf dem komischen kleinen Fenster ein kleiner Friedhof leuchtete und dieses unsägliche Ding in den drei Klingeltönen klingeln konnte, die am wenigstens Tinnitus verursachten dachte ich, ich sei fertig.

Nein.

War ich nicht.

Dann führten mich die Jungen in die Feinheiten des modernen ‚Chattens‘ ein.

2 Probleme:

Ich musste irgendwie um meine Fingernägel herum auf der glatten Glasscheibe herum tatschen.

Diese ominöse ‚Autokorrektur‘ tat streckenweise komischere Dinge als ich! Zumindest schrieb sie nur allzu oft Wörter, die ich definitiv nicht schreiben wollte.

Innerlich hatte ich also schon mehr als 2 Augenbrauen hochgezogen. Aber ich hatte mich selbst in diese Bredouille gebracht, also musste ich jetzt schleunigst mit diesem kleinen Ding zu Leben lernen.

Nach einer Stunde richteten sich die Jungen hinter mir auf.

„Das müsste alles sein!“, klopfte mir Lee auf die Schulter.

„Hmhm“, summte ich durch meine Lippen und schaute geistesentleert gerade aus.

„Lief doch ganz gut“, ging auch Fred wieder vor meinen Tresen.

„Hmhm“, schob ich wieder durch meine Lippen und schaute immer noch auf denselben nicht existierenden Fixpunkt. Es war alles andere als kompliziert, doch wenn man vorher fast keine Berührungspunkte damit gehabt hatte, bediente es sich doch recht ungewohnt. Auch rang ich noch mit meiner eigenen Aversion, so ehrlich musste ich schon sein.

Lee lachte auf: „Du siehst echt nicht begeistert aus.“

Ich lächelte schief und wedelte mit dem Handy: „Alles Gewöhnungssache, ih hi hi.“

„Stimmt“, machte Fred: „Du gewöhnst dich da schon dran.“

„Sicherlich“, fiel mein Kopf zur Seite.

„So“, Lee zählte auf und schaute Fred an: „Telefonbuch ist voll. Whatsapp und Funtomtalk sind erklärt. SMS und Anrufe auch. Aufladen haben wir erklärt. Google auch. Wikipedia auch. Einstellungen auch. Tastensperre auch. Kamera und Galerie auch. An- und ausmachen, so wie Pin und Puk. Was vergessen?“

Fred schüttelte den Kopf: „Nein, müsste alles sein.“

Ich grinste die jungen Männer an: „Ich danke euch. Hi hi.“

„Kein Ding“, Lee wandte sich zum Gehen: „Wenn du noch Fragen hast, schreib mir ‘ne Whatsapp!“

„Ki hi hi. Mache ich.“

„Nimm es auch mit“, Fred ging Lee hinterher: „Und höre drauf. Lass es wenigstens auf Vibration in der Hosentasche, wenn die Töne für dich alle so nervig sind. Ansonsten nutzt es dir nichts.“

Ich hob einen Finger: „Wie geht das?“

Wenn es die Möglichkeit gab, das Gebimmel wenigstens nicht hören zu müssen, sähe die Sache schon um einiges besser aus!

Fred seufzte, schob einmal seinen Finger über den Bildschirm, sodass diese komische schwarze Klappe sich runterschob und tippte auf das Bild eines kleinen Lautsprechers, um den herum ein paar zackige Linien erschienen. Es vibrierte einmal in meiner Hand.

„So vibriert es nur“, Fred tippte noch einmal und der Lautsprecher wurde durchgestrichen: „So macht es wieder Ton, noch vibriert es“, er tippte nochmal, es vibrierte, machte einen hellen Laut und der Lautsprecher sah normal aus: „So macht es Töne und vibriert.“

Ich tippte auf das kleine Symbol und es vibrierte wieder kurz in meiner Hand: „So?“

Fred nickte: „Richtig. Siehst du? Geht doch.“

Ich wackelte mit einem Zeigefinger: „Auf Bildchen drücken kann ich. Ehehehehehe!“

Lächelnd schüttelten die beiden jungen Männer synchron den Kopf.

Mir wurde plötzlich gewahr, dass Frederick und Lee schon erwachsen waren.

Wie die Zeit verflog…

„Wird schon“, macht Fred: „Wir gehen wieder und lassen dich mal in Ruhe abschmücken.“

„Danke, die Herren“, lachte ich zurück, nicht verwundert keine Hilfe von den beiden Goldjungen angeboten zu bekommen.

„Ich schmeiß dich bei Funtom rein“, Lee winkte: „Also mache dich bereit! Bald bekommst du deine ersten Nachrichten!“

Mit einem letzten Abschiedswort verschwanden die Beiden aus der Tür.
 

Ich drückte auf den Knopf, den Fred mir gezeigt hatte und der Bildschirm wurde schwarz. Ich stand auf und steckte das kleine Ding in die Hosentasche. Mehr damit beschäftigen wollte ich mich nicht, auch wenn es schon ganz interessant gewesen war. Die Menschen haben sich einiges ausgedacht, um sich das Leben leichter zu machen, auch wenn es erst alles ein bisschen wuselig wirkte. Doch ich war guter Dinge auch dieses neumodische Mysterium irgendwann gemeistert zu haben. Mögen tat ich es trotzdem nicht.

Ich ging nach draußen und beschaute meine drangsalierte Fassade. Der Gedanke an Claudes Wut ließ mich noch einmal lachen. Ich sprang vom Boden ab und in Windeseile verstaute ich kiloweise Spinnenweben in meiner schwarzen Mülltonne, die danach bis zum Rand gefüllt war. Ich klopfte mir die Hände an der Jeans ab und zupfte mir etliche kleine Spinnenweben von der Garderobe, da vibrierte es in meiner Hosentasche.

„Und es geht los“, seufzt-schmunzelte ich und ging durch die Hintertür zurück in meinen Laden. Es zog ein wenig durch das kaputte Fenster, doch nachdem ich mir einen Tee gemacht hatte und auf meinem Stuhl hinter meinen Tresen mein neues kleines Spielzeug aus der Hosentasche zog, interessierte mich dies nicht.

Ich setzte meine Brille auf, legte die Füße auf meine Tischplatte und schaute auf den Display. Eine kleine Nachricht verkündete mir, dass ich zu der ‚Funtomtalk‘-App hinzugefügt wurde. Ich tippte drauf, gab meine 4 Zahlen Passwort ein und war fast erleichtert, als das Handy tat was ich wollte, dass es tut.

Ich schaute zu Merkenau, der immer noch etwas gebeutelt aus seinem Nest blinzelte: „Ich hab‘s verstanden. Nihi!“

Merkenau krähte einmal.

„So unwahrscheinlich war das gar nicht!“

Merkenau zog seinen Kopf zurück ins Nest.

Giggelnd schüttelte ich den Kopf und las eine Konversation zwischen Grell und Ronald, die auch gesprochen 1:1 so hätte ablaufen können. Irgendwann schaltete sich Fred und Lee ein. Die 4 Jungspunde diskutierten kurz über die Aktualität meines Geräts. Ich fand es ja aktuell genug! Ich hatte die etlichen Symbole im Menü, mit denen ich kaum etwas anfangen konnte, wohl gesehen, doch gekonnt ignoriert. Außerdem wollte ich nur erreichbar und nicht ‚Topaktuell‘ sein. Das war ein Bestreben, das ich wirklich nicht hatte!

Dann forderte mich Lee auf etwas zu schreiben.

Ich zuckte mit den Schultern und schob mir einen Keks halb in den Mund. Ich klickte auf die weiße Textzeile und die Tastatur erschien auf der unteren Bildschirmhälfte. Ich zielte mit meinem Zeigefinger auf einen Buchstaben…

… und wurde von meinem Fingernagel abgelenkt.

Ich traf allerdings irgendetwas von dem ich nicht wusste was es gewesen war. Doch auf jeden Fall wusste ich, dass nun etwas anders war und zwar nicht so wie ich es brauchte. Trotz Keks klappte mein Mund ein kleines Stück auf, während ich blinzelnd die ganzen komischen kleinen Zeichen auf dieser komischen kleinen Tastatur beschaute.

„Was sind das für Zeichen?!“, fragte ich verwirrt laut mich selbst, wenig elegant an dem Keks vorbei: „Wo sind meine Buchstaben?!“

Ich tippte mal hier mal dort. Mein Handy schrieb ganz viele drollige Symbole…

…doch meine Buchstaben fand ich nicht wieder.

„Fantastisch“, mein Kopf kippte hinten über die Lehne und ich schaute gegen die Decke. Dann reckte ich eine Hand nach oben: „Ich habe meine Buchstaben verloren!“

Was wahrscheinlich ein Geniestreich sondergleichen war.

Meine Hand fiel geräuschvoll auf meine Augen. Doch ich hatte wirklich keine Ahnung, wo meine Buchstaben hin waren!

Ich hob meine Hand ein Stück und lugte mit einem Auge auf den Chat auf meinem Handy was doch nicht das tat, was ich von ihm wollte.

Ronald und Lee hatten sich kurz bekriegt. Dann hatte Grell das Wort an mich gerichtet und fragte nach einem Lebenszeichen.

Da ich keine Ahnung hatte was ich nun tun sollte, schickte ich einfach ein paar der mir mittlerweile recht sympathisch vorkommenden Symbole in den virtuellen Plauderkasten und wartete darauf, dass einem an einem anderen Ende ein Licht aufging und man mich erlöste. Denn wo ich sonst noch nach meinem Buchstaben schauen sollte wusste ich nicht.

Es dauerte ein wenig, aber nach wiederholten verwirrten Nachfragen, schickte ich weitere kleine Zeichen los. Etwas anderes konnte ich ja nicht tun!

Eine schnippische Bemerkung von Frank. Mit einem kleinen weiteren Rudel Zeichen gönnte ich sie ihm und musste schon ein wenig kichern, dass alle mit mir auf dem Schlauch zu stehen schienen.

Doch.

Ich kicherte ein wenig mehr auf meinem Stuhl umher.

Eigentlich war dieses ‚Chatten‘ ganz lustig!

Als ich vom Kichern auf mein Handy schaute, verschlug es mir das prompt. Denn ich hatte eine Nachricht bekommen, mit der ich nie gerechnet hätte: – Sky [11.11.15; 09:19] ...Undertaker? –

Jetzt blinzelte ich öfter und schneller und noch irritierter, als vorher: ‚Sky ist auch hier?‘

Und sie schrieb mir?

Es schien so.

Immerhin stand in der kleinen Sprechblase ihr Name und das kleine Bild daneben zeigte definitiv das junge hübsche Ding.

Es war ein süßes Foto.

Sie aß an einer fluffigen rosa Zuckerwattewolke und hatte ein schüchternes Lächeln im Gesicht. Ihre himmelblauen Augen schauten freudig zusammengezogen in die Kamera. Es sah aus, als hätte sie beim Zuckerwatte essen zu lachen angefangen, was wirklich einfach nur fantastisch aussah! Und ihre Haare! Sie waren nicht so streng gekämmt wie von ihr gewöhnt. Ihre lange, zimtfarbene Mähne lag recht wild über ihren Schultern und ihr langer Pony fiel in sympathischen ungebändigten Strähnchen in ihr so ansehnlich feines Gesicht.

Diese junge Frau war so unaussprechlich schön, wenn sie vergaß sich selbst ständig zu kontrollieren.

Ich schaute ein paar Minuten auf dieses niedliche Foto und beschloss dann ihr zu antworten. Sie hatte keine Unhöflichkeiten verdient, nur weil ich nicht wusste was ich antworten sollte. Von dem her und aufgrund meiner eingeschränkten Kommunikationsmittel fiel meine Antwort eher einfach aus: – Undertaker [11.11.15; 09:21] ? –

– Sky [11.11.15; 09:21] Kann es sein, dass… Also ich will dir wirklich nicht zu nahe treten… Aber kann es sein, dass du deine Tastatur auf Sonderzeichen gestellt hast und nicht weißt, wie man sie zurückstellt? -

Ich seufzte.

Weiß der Kuckuck wie viele Leute in diesem Chat waren und nur die schöne Sky kam auf den richtigen Gedanken und erbarmte sich meiner? Ich muss dann wohl auch ein wahrlich erbarmungswürdiges Bild abgeliefert haben. Etwas, was mir eigentlich egal wäre wie die Fliege an der Wand. Doch irgendetwas an meinem Stolz fühlte sich auf einmal enorm angekratzt. Eine gute Figur ablegen ging wohl anders.

Ganz anders.

Doch ich durfte bei der Wahl meiner Retter nicht wählerisch sein und schon gar nicht das Engagement der schönen Brünetten strafen. Also folgte nach ein paar Minuten stummen Ärgerns über meinen angeknacksten Stolz wieder eine unglaublich elaborierte Antwort meinerseits: – Undertaker [11.11.15; 09:23] !!! –

Erst jetzt merkte ich, dass mich Merkenau die ganze Zeit wieder beobachtete.

„Sage gar nichts“, brummelte ich durch die Zähne und Merkenau zog sichtlich amüsiert seinen Kopf wieder in sein Nest.

Ich schaute wieder auf den kleinen Höllenkasten und stellte fast erstaunt fest, dass Skyler mir immer weiter antwortete: – Sky [11.11.15; 09:23] Mach ein + für ja und ein – für nein –

Das war eine Anweisung, die konnte selbst ich umsetzen: – Undertaker [11.11.15; 09:23] + -

Jetzt fielen auch Humpty und Dumpty auf, dass sie wohl vergessen hatten mir etwas zu erklären. Ein schlechtes Gewissen oder sogar eine Anweisung was ich jetzt tun sollte, suchte ich allerdings vergebens!

Ich aß endlich den Keks, den ich schon die ganze Zeit im Mund hatte und verlieh mit einem ‚!!!‘ meiner Bredouille erneut Ausdruck, auf dass die beiden Jungen mir denn endlich mal was sagten!

Doch stattdessen kam Hilfe von der jüngsten Phantomhive: – Amy [11.11.15; 09:24] Da auch Sky gerade vor Lachen stirbt, übernehme ich: Unten links auf die Taste mit ‚abc‘ tippen, du Held ^^* -

Ich las die Antwort erst nur zu Hälfte.

Skyler lachte?

Ich merkte wie ein unwillkürliches Lächeln auf meinem Gesicht erschien. Das junge Ding sah die ganze Zeit wieder so endlos belastet aus. Wenn es sie wirklich so aufmunterte, war es mir das bisschen Ärger mehr als nur Wert gewesen.

Und trotzdem fühlte sich mein Lächeln schwer an.

Denn in mir wurde es kühler.

Wegen dem Ist-Zustand und dem Bald-Zustand.

Weil ich genau wusste wie alles weitergehen würde und ich es so wenig wollte.

Wegen diesem Gefühl der Machtlosigkeit, das ich jetzt schon Tage mit mir herumtrug und das mich hinunterzog.

Doch Sky lachte.

Und dieser Umstand machte mich irgendwo in dieser kalten Tundra in mir drin wirklich froh.

Ich lass Amys Antwort zu Ende, um mich von diesem Gefühl abzulenken. Es war heute weiter weg gewesen, da ich so viel Ablenkung gehabt hatte. Es war erschreckend wie schnell es wiederkam. Wie ein Raubtier aus dem Hinterhalt, bohrte es mir seine Krallen tief ins Fleisch.

Doch anstatt mich weiter damit zu beschäftigen suchte ich diese ominöse ‚abc‘-Taste: „Gibt es die über… oh.“

Es gab sie.

Und kaum hatte ich drauf gedrückt waren meine Buchstaben wieder da und die ‚abc‘-Taste wurde zu einer ‚123‘-Taste: „Aha!“

– Undertaker [11.11.15; 09:24] Heureka! –

Lee war von meiner kleinen Misere immer noch schwer erheitert, wobei ich immer noch der Meinung war, er und Fred seien nicht ganz unschuldig daran. Doch ich beließ es dabei. Es war schön wenn die Leute die ich mochte lachten, amüsiert und heiter waren.

– Ronald [11.11.15; 09:24] Oi, Undertaker! Holpriger Start? -, holte mich Ronald aus meinen Gedanken.

Jetzt, da ich meine Buchstaben wieder hatte, wollte ich wenigstens die Chance nutzen mich ein wenig auszuprobieren: – Undertaker [11.11.15; 09:24] Was lange währt, wird endlich gut. Außerdem sorgte es für einige lachende Gesichter, so war meine Pein nicht umsonst –

– Frank [11.11.15; 09:24] Pein… Man kann es auch übertreiben... -

Ich belachte Franks weitere schnippische Antwort: – Undertaker [11.11.15; 09:24] Das kleine Ding ist verdammt zickig! -

– Lee [11.11.15; 09:24] Ich kann nicht mehr X‘D -

– Amy [11.11.15; 09:25] Sky lacht auch noch xD –

Wieder erschien dieses herunterziehend schwere Lächeln auf meinen Lippen. Es war so ungewohnt. Lächeln sollte leicht sein, doch ich fühlte mich, als habe man mir Blei an Hände und Füße gebunden.

Und Tonnen davon in mein Herz gelegt.

Dieses paradoxe Empfinden aus besser und gleichzeitig schlechter fühlen, ermüdete mich wie sonst nicht viel anderes es konnte: – Undertaker [11.11.15; 09:25] Fein, fein. So soll essein, hehe -

– Frank [11.11.15; 09:25] Hat er gerade tatsächlich ein Lachen ge… Ich bin raus -

»Frank ist beschäftigt«

Eigentlich war jetzt einer der Momente in denen ich laut gelacht hätte. Weil Franks benehmen amüsant war. Doch die letzten Tage lachte ich nicht so schnell los, wie ich es von mir gewohnt war. Ich fühlte mich zum Lachen fast zu müde. Ich hätte in der Gruppe trotzdem gelacht. Damit keiner merkte das etwas nicht stimmte.

Dass ich verwundbar oder eher schon verwundet war.

Doch dieses Chatten hatte einen weiteren Vorteil: Man sah mich nicht.

Ich konnte einfach nichts schreiben und keiner würde Fragen stellen. Vor allem in diesem Pulk aus Leuten, die gerade durcheinander schrieben.

Lee holte mich mit einer sehr kryptischen Nachricht wieder aus meinen Gedanken: – Lee [11.11.15; 09:26] *ROFL* *LOL* -

Ich zog verwundert eine Augenbraue hoch, als ich mir nichts aus diesem Buchstabensalat erschließen konnte. Das waren doch keine Wörter!

– Undertaker [11.11.15; 09:26] Wie bitte? -

– Fred [11.11.15; 09:26] Lee lacht… und zwar viel... -

Eine Antwort, die nur bedingt einleuchtend war. Ich tippte auf eine Art Code oder Slang, der mir noch verborgen war: – Undertaker [11.11.15; 09:26] Ah ja, was auch immer –

– Amy [11.11.15; 09:27] Sky lebt wieder. Ich war kurz davor das Sauerstoffzelt zu holen, aber sie hat es überstanden ;D –

Ich hatte das Gefühl ich musste etwas dazu sagen. Ich stellte fest, dass die gesichtslose Kommunikation ganz neue Ansprüche an die feinen Antennen stellte, die einen eigentlich vermittelten wann Zeit zum Antworten war und wann nicht. Nicht, dass diese Antennen bei mir schon lange höchstens nur noch Radio empfingen. Aber ich hörte auf mein Bauchgefühl und versuchte mein Bestes: – Undertaker [11.11.15; 09:27] Eine wünschenswerte Wendung, hehe –

Frage war, ob mein Bestes ausreichte…

Doch bevor ich das herausfinden konnte, hatten sich Grell und Ronald wieder das Zepter über das geschriebene Wort gegriffen: – Grell [11.11.15; 09:27] Nun, da alle wieder leben (mehr oder weniger) und alle Tastaturen richtig stehen: Willkommen im technischen Zeitalter! ("(^_^)/") -

– Ronald [11.11.15; 09:27] Genau! Cool, dass du es auch endlich geschafft hast! –

Ich wackelte mit meinem Kopf. Wenigstens fiel mein neuer Einstieg in die virtuelle Welt auf fruchtbaren Boden: – Undertaker [11.11.15; 09:27] Die Welt dreht sich, oder wie heißt es? -

– Lee [11.11.15; 09:27] Bingo, alter Mann! -

– Grell [11.11.15; 09:27] Unser Undertaker hat ein Handy. Ich fasse es immer noch nicht! -

– Ronald [11.11.15; 09:28] Ich hab mich schon 3-mal gekniffen! –

Keine Minute später zerschlug William die heitere Konversation mit einer scharfen Arbeitsanweisung.

Die Reaper entschwanden und ließen die Gruppe mit ein paar Fragen zurück: – Fred [11.11.15; 09:29] Ich könnte mich irren, aber... hat Will nicht auch Schicht? –

Ich wusste, er hatte, was mich flach auflachen ließ.

Doch das wussten Andere auch, wie Lee sofort mit einer kleinen Meldung verlauten ließ, sodass ich die Situation nur belächelte und nichts dazu beitrug. Nur, weil ich es nun konnte, musste und wollte ich nicht alles kommentieren, was hier geschrieben wurde. Das war mir viel zu anstrengend. Ich bekam jetzt wohl aus erster Hand vieles mit, was praktisch war, doch ich sah nicht die Notwendigkeit bei allem mitzuschreiben.

Als sich Lee verabschiedete, kreuzte mein Blick wieder eine merkwürdige Buchstabenkombination: – Lee [11.11.15; 09:29] Stimmt wohl ;) Naja, ich hab‘ auch noch zu tun! BBL! -

»Lee ist abwesend«

Ich blinzelte kurz: – Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? -

– Amy [11.11.15; 09:29] Be back later –

„Also doch ein Code“, mein Kopf wackelte hin und her und ein kleines Kichern entfloh mir: „Nihihi! Ein wirklich komischer!“

Ich war sicher auch dort irgendwann zumindest so viel zu wissen um es zu verstehen.

– Fred [11.11.15; 09:29] Muss auch los. Bin jetzt in der Uni. CUL8R -

»Fred ist abwesend«

‚Schon wieder, hehe‘: – Undertaker [11.11.15; 09:29] Wie bitte? -

– Amy [11.11.15; 09:29] See you later –

Nun verstand ich. Es war eine Mischung aus Anfangsbuchstaben und gleichklingenden Zahlen, um etwas kürzer auszudrücken! Also ein einfaches Zeichen dafür, dass einige Leute zu faul waren Wörter ordentlich auszuschreiben! Was eine Abart! : – Undertaker [11.11.15; 09:30] Könntet ihr anständig schreiben? Ist ja fürchterlich! -

– Amy [11.11.15; 09:30] Wir könnten, ja. Aber das hier ist unsere Welt. Komme besser früher, als später damit zurecht -

Da musste ich der jungen Phantomhive allerdings wieder Recht geben. Doch ich sah nicht ein diese Abart selbst zu übernehmen. Es las sich ungeahnt unästhetisch: – Undertaker [11.11.15; 09:30] Ich merke, ich muss noch eine Menge lernen, hehe -

– Amy [11.11.15; 09:30] ;D -

Wieder wanderte meine Augenbraue nach oben. Auch eine Abkürzung?: – Undertaker [11.11.15; 09:30] Wie bitte? -

– Amy [11.11.15; 09:30] Ein zwinkernder Smiley. Wir müssen zu Ende frühstücken. Bis dann! -

Ich zuckte mit den Schultern: – Undertaker [11.11.15; 09:31] Na dann, guten Appetit -

Dann fiel mir siedend heiß noch etwas ein: – Undertaker [11.11.15; 09:31] Was ist ein Smiley?­-

Doch die beiden Mädchen waren schon mit einer letzten Meldung des Chats verschwunden.

Kurz lachte ich. Dann fand ich halt später heraus was ein ‚Smiley‘ war.

Ich steckte das Handy wieder in die Tasche, nachdem ich den Bildschirm ausgeknipst hatte. Danach baute ich mein zerstörtes Fenster aus, entfernte die zerstörte Tapete auf dieser Raumseite komplett und wusch auf beiden Seiten den Ruß von meinen Wänden. Dabei legte ich ein paar Risse in meiner Wand freit. Nachdem ich Maß genommen hatte, telefonierte ich mit meinem Lieferanten, da ich eine neue Glasscheibe brauchte.Anschließend setzte ich Merkenau in den Innenhof, da er mittlerweile für seine Flugübungen mehr Platz brauchte. Ich hatte keine Angst, dass der Vogel wegfliegen und nicht wiederkommen könnte. Einerseits hatte ich nicht vor den Vogel zu zähmen und einzusperren und andererseits wird er von selbst zurückkehren, wenn er sich bei mir wirklich zuhause fühlte. Dann verschwand ich in meinen Werkraum, löste die Silberstreben und Türkise aus dem Holz und machte mich daran ein neues Fenster zu zimmern.

Der Lieferant kam ein paar Stunden später, da heute so oder so eine neue Fuhre Holz kommen sollte und brachte mir meine neue Fensterscheibe gleich mit.

Der gute Mann hatte wie immer wortlos die Lieferung in meinen Innenhof gestapelt und war schleunigst wieder verschwunden. Ich brachte alles in den Werkraum, arbeitete wieder ein Sator-Quadrat aus Eigenblut, Silberstreben und Türkisen ein und baute das Fenster in das in der Wand dafür vorgesehene Loch.

Um 14:35 Uhr verriet nichts mehr an meiner Behausung, dass des Nachts wohl ein Dämon an meinem Fenster Feuer gefangen haben musste.

Ich war zufrieden, als ich auf meine drangsalierte Taschenuhr schaute.

Doch dieser Anblick vertrieb die Zufriedenheit in einem kalten inneren Schneegestöber.

Ich steckte die Uhr zurück.

Mit meiner ernüchtertet Gefühlslage schloss ich die Vordertür ab und verließ den Laden über meinen Innenhof.
 

Durch das Fenster der Stube sah ich nur Amy im Wohnzimmer. Ich klopfte und öffnete: „Ih hi hi. Guten Tag, Amy.“

Amber stand von ihrer Couch auf und kam zu mir: „Hey, frischgebackener Handybesitzer!“

Ich legte den Kopf auf die Seite: „Du hattest recht, als du mich fragtest wie du mich außerhalb meiner bescheidenen 4 Wände erreichen sollst. Ich fühlte mich, nihihi, in der Pflicht dir eine Möglichkeit zu geben, tust du ja so bestrebt worum ich dich bat.“

„Soll das heißen du hast dir nur wegen mir ein Handy angeschafft?“

„Wenn du so diversen Detektivabenteuern fernbleibst. Kihihi! Ich habe mich nicht in Unkosten gestürzt. Es ist Lees abgelegtes Gerät.“

„Besser als nichts“, lächelte Amy: „Das ist ‘ne gute Sache.“

„Ni hi hi. Ich bin froh, dass ihr alle so erfreut darüber seid.“

Dann zog Amy ein paar Mal Luft ein. Ihr Gesicht wurde angewidert und sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum: „Wow! Puh! Hast du in deinem Formaldehyd gebadet? Du stinkst furchtbar nach dem Zeug!“

Mir entfuhr ein halb ertapptes Lachen: „Ehehehe! Sagen wir, es gab einen kleinen… Zusammenstoß. Gibt es bezüglich euch Neuigkeiten?“

Amy blinzelte kurz verwirrt. Dann grinste sie verheißungsvoll: „Oh ja. Wir hatten Besuch und der hat neue komische Sachen gemacht.“

Ich zog unter meinem Pony die Augen zusammen: „Wer?“

„Sky.“

„Ist sie wohlauf?“, sie war nicht im Zimmer. In der Wohnung hörte ich sie auch nicht: „Wo ist sie?“

Nicht, dass ihr etwas passiert ist und sie nun im Krankenzimmer lag. In meinem Magenbegann etwas unruhig hin und her zu schwappen. Ich hatte ein angespanntes ungutes Gefühl in den Fingern.

Amy nickte: „Sky geht es gut.“

Das Schwappen beruhigte sich so plötzlich wie es kam. Ich bewegte meine Finger um die knisternde Versteifung in meinen Muskeln los zu werden: „Wo ist sie?“

„Sie war eben noch beim Mittagessen, da hat sie der Fag des Blue Prefect angesprochen. Sie reden sicher noch, weil sie die Banner neu machen soll.“

„Gut“, die Wogen in mir glätteten sich endgültig: „Erzähl. Was für Sachen?“

„Ui jui jui. Warum so ernst, Onkelchen?“

Nun fiel mir auf, dass mein Lächeln nicht nur verrutscht war.

Es war mir eingebrochen, als ich nicht wusste wo Skyler war und ob es ihr gut ging.

Ich setzte es sofort wieder auf: „Kihihi! Nun spanne mich nicht länger auf die Folter! Ich bin neugierig!“

Amy verschränkte die Arme: „Das ging aber plötzlich…“

„Nihihi! Amber, erzähl bitte.“

Ich musste mehr auf meine Mimik achten. Ich merkte wohl wie skeptisch die junge, auch schon so groß gewordene, Phantomhive vor mir war.

Doch sie seufzte und tat was geschehen war mit einem Kopfschütteln ab, erkennend, dass Befragungen nichts bringen würden: „Gut. Das Vieh wollte nach ihr greifen. Hat wohl immer ‚Gib mir…‘ gestammelt. Doch es hat nicht gesagt was es genau haben will. Sky hat es vertrieben“, die Phantomhive legte eine kleine Pause ein: „Mit deinem Anhänger.“

Ich bekam große Augen.

Dann entfuhr mir ein Lachen.

Es war fast so, als habe es Wirkung gezeigt, dass ich mir diese Nacht gewünscht hatte der Anhänger möge sie verlässlicher beschützen als ich. Denn er hatte sie in einem Ausmaß beschützt, dass ich nicht vorhergesehen hatte. Und ich hatte sofort eine Theorie: „Ehehehe! Interessant. Wirklich. Ich glaube ich muss mich mit Grell beratschlagen.“

Schnelle Schritte hallten durch den Flur.

Als ich an Amber vorbeischaute erschien die schöne Sky im Türrahmen. Sie wirkte unversehrt. Zumindest konnte sie zu schnell laufen um verletzt zu sein.

Obwohl die Wogen schon glatt waren, spürte ich eine zusätzliche Erleichterung bei ihrem auch für meine Augen sehr verschwommenen Anblick.

Die schöne Brünette tat ein paar Schritte in den Raum: „Hey.“

Ich kicherte, doch war es nur meiner plötzlichen Erleichterung geschuldet es zu können: „Nihihi! Guten Tag, Skyler.“

Ich hatte das Gefühl, nach allem was ich getan hatte, hatte ich das Recht verwirkt sie mit ihrem Spitznamen anzusprechen. Außerdem musste ich mich selbst auf das vorbereiten, was kommen würde: Sie nicht mehr zu sehen…

Ich unterbrach die Gefühlskette, die dieser Gedanke auslösen wollte und wandte mich zu Amber: „Nun denn. Ich schaue, dass ich Grell zu fassen bekomme.“

Ich wusste nicht wie lange ich diese Gefühle im Zaum halten konnte. Deswegen musste ich schnell weg. Ich dürfte nicht riskieren, dass mir vor Sky meine Mimik entglitt. Sie würde sich nicht nur auf einen skeptischen Blick beschränken. Dafür war sie viel zu bemüht.

„Schreib ihm doch ‘ne Sms“, holte mich die junge Phantomhive zurück in die Realität.

Ich grinste sie über das müde Gefühl in meinem inneren hinweg an: „Vielleicht tue ich dies. Ehehehehe! Bis morgen, meine Damen!“

Dann ließ ich mich rücklings aus dem Fenster fallen und schlug am Boden einen Harken Richtung Heimat.
 

Zurück in meinen Laden zückte ich den Hörer meines Telefons und wählte Grells Nummer. Es dauerte nicht lange bis der rote Reaper abhob: „Undertaker?“

„Hallo Grell.“

„Warum benutzt du dein Festnetz? Ruf‘ mich doch über dein Handy an!“

Ich verstand wirklich nicht, warum alle so aufgeregt waren, nur, weil ich jetzt auch so ein Handy hatte: „Muss ich es jetzt ständig benutzen, nur weil ich es habe?“

„Ja! ~♥“

„Hi hi! Nein.“

„Doch! ~♥“

„Hi hi! Nein.“

„Doch! ~♥“

„Es reicht, Grell.“

Grell seufzte: „Ok, ok. Was ist los? Warum rufst du mich an?“

„Ich habe eben mit Amy gesprochen.“

„Nur mit Amy?“

„Zum größten Teil.“

„Wo war Sky?“

„Sie kam erst später dazu.“

„Und da bist du abgehauen.“

„Ähm“, ich fühlte mich ein bisschen ertappt: „Im weitesten Sinne.“

„Also ja.“

„Ja.“

„Man, man, man. Du hockst nachts vor ihrem Fenster, bekommst aber kein vernünftiges Gespräch auf die Kette. Merkst du was?“

Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen: „Zu viel, Grell, zu viel.“

„Und was genau?“

„Kehehehe! Sag‘ ich nicht.“

Grell schrie einmal auf: „AAAAAAAHHHHH! Ich hasse es, wenn du das tust! Ich hasse es! Ich hasse es! Ich hasse es!“

Ein etwas heftigeres Lachen verließ mich: „Puhuhuhuhuhuhu! Also warum ich dich anrufe.“

„Deine Themenwechsel sind unglaublich… elegant.“

„Ja, nicht?“

„Du glaubst wirklich nur was du glauben willst, oder?“

„Auf jeden Fall…“

„ICH HASSE ES!“

„Ja, ja. Also…“

„IGNORIER MICH NICHT, WENN DU MICH SCHON ANRUFST!“

„Hat William mit dir geschimpft?“

„…Ja…“, Grell schwieg kurz eine unglaublich dramatische Pause: „Ganz doll…“

Innerlich seufzte und lachte ich zur selben Zeit. Es war doch wirklich immer dasselbe mit den Beiden. Immer: „Und warum?“

„Es war ein Rechtschreibfehler in der Liste!“

„Buhahahaahahahaha! Du hast die falsche Seele geholt.“

„DA WAR EIN RECHTSCHREIBFEHLER!“

„Hat William den auch gesehen?“

„…Nein…“

„Nehehehe! Bist du sicher, dass er überhaupt da war?“

„JA!“

„Sicher?“

„Na gut!“, Grell schnaubte einmal wütend: „Vielleicht habe ich mich auch verlesen. Aber das war kein Grund mich so anzuschreien!“

Ich legte lachend meine Hand über die Augen: ‚Ich weiß nicht, ob ich genau zum rechten oder zum schlechtesten Zeitpunkt desertiert habe!‘

Schließlich haben Grell und William nur kurz nach meinem Weggang den Dienst angetreten. Und ich hatte damals die British Branch geleitet. Folglich wäre ich Grells Vorgesetzter geworden wäre ich geblieben, was die Sache für William das ein oder andere Mal sicherlich noch um einiges abenteuerlicher gemacht hätte. Zumindest ‚Jack the Ripper‘ hätte ich wahrscheinlich weniger eng gesehen. Zumindest so, wie ich gegen Ende meiner Dienstzeit durch den Dispatch getänzelt war. Um ehrlich zu sein hatte mich da schon nichts mehr wirklich interessiert. William wäre sicherlich über mich genauso begeistert gewesen wie jetzt! Es war schon fast schade, dass ich nie herausfinden würde, wie die ein oder andere Sache abgelaufen wäre. Schließlich wäre Ronald ja auch ein paar Jahre später dazugekommen!

„Hörst du mir überhaupt zu?!“

„Ehehehehe! Nein“, nahm ich meine Hand von den Augen: „Ich habe nicht ein Wort mitbekommen.“

„Vooooooll lustig“, machte Grell gedehnt: „Ich rede mir den Mund fusselig und du? Was hast du überhaupt gemacht?“

„Och“, ich gluckste: „Kihihihi! Nur ein bisschen geträumt.“

„Ay ja“, Grell seufzte: „William hat mich verbal in den Boden gerammt! 1 ½ Stunden durfte ich mir anhören wie inkompetent ich doch wäre! Warum klatsch ich den Typen eigentlich nicht vor die Wand?! Er hätte es verdient!“

„Weil du spätestens dann das Disziplinarverfahren am Hals hättest, was dir William sicherlich nicht auferlegt hat“, giggelte ich zurück.

„Für sowas gibt es ein Disziplinarverfahren?!“

„Aber sicher!“, lachte ich: „Puhuhuhuhu! Es sei denn man ist Grell Sutcliff und hat einen William T. Spears, der einen davor bewahrt! Du hast einen Menschen getötet, der nicht sterben sollte und vielleicht schwirrt jetzt irgendwo ein Geist durch die Gegend, weil du ihn nicht rechtzeitig abgeholt hast. Aber wie ich William kenne hat er die Seele für dicheingesammelt bevor sowas passiert, ehehehehe!“

„…Oh…“, Grell schwieg kurz, nur um mit doppelt so lauter Stimme wieder zu sprechen: „Danke! Jetzt fühle ich mich schlecht, dass ich sauer war!“

„Ke he he! Hast du überhaupt eine Strafe bekommen?“

„… Ich muss einen Bericht für William ausfüllen… Den leitet er dann wohl wahrscheinlich an meinen Chef weiter…“

Ich lachte lauter auf: „Nehehehehehehe! Bitte! Fühle dich schlecht! Den liest nämlich nur William! Für sowas ist ein Bericht zu wenig. Das war eine Scheinstrafe, liebster Grell. Der wird sicher an niemanden weitergeleitet!“

„Warum nicht?!“

„Weil es eine vollkommen unangemessene Strafaufgabe ist, die William von jedem höheren Angestellten um die Ohren gehauen bekommen würde. Angemessen wäre ein Disziplinarverfahren mit höchstwahrscheinlich anschließender Suspendierung für ein paar Wochen! Gehe davon aus, dass die Administrative von deinem Schnitzer gar nichts weiß, ansonsten hätte sie dir schon auf dem Schreibtisch rumgetanzt!“

„Wow“, machte Grell: „Du kennst dich wirklich aus, wenn es darum geht was passiert wenn man hier Scheiße baut.“

„Aus erster Hand!“

„Doppel-Wow“, machte Grell. Dann seufzte er lange: „Jetzt ist mein schlechtes Gewissen nur noch schlechter.“

„Oh ja“, lachte ich: „Tihihihihi! Das glaube ich.“

„Also. Was hat Amber dir erzählt?“

„Kihihihi! Oh, welch unglaublich eleganter Themenwechsel“, kicherte ich.

„JETZT REDE, DU ALTER SACK!“

Ich konnte nicht anders als laut los zu lachen! Und das für eine ungeahnt lange Weile. Ich hatte sogar wieder Bauchschmerzen und ein paar Tränen in den Augen. Es war ein ungeahnt gutes Gefühl.

Doch leider vertrieb das anschließende Thema es genauso schnell wie es gekommen war: „Amber hat mir erzählt, dass Skyler wieder Besuch hatte.“

„Himmel!“, rief Grell aus: „Ist sie in Ordnung?!“

„Vollkommen unversehrt“, seufzte ich mit dem Gedanken an Amys kritisches Gesicht, als mir mein Grinsen vollends entgleist war, weil ich mir Sorgen um Skyler gemacht hatte: „Allerdings hat das Wesen wohl mit Skyler gesprochen.“

„Was?“

„‘Gib mir‘, was es genau wollte wussten die Mädchen nicht. Aber Skyler konnte es vertreiben.“

„Was?! Das geht?! Wie?!“

„Mit den ‘Fessles Stone ‘-Anhängern.“

„Ooookay“, machte Grell lange: „Warum sollte ein Wesen vor presenzfressenden Steine davon… Oh! Du Schuft!“

Ich fing wieder an zu lachen. Ich konnte den Groschen durch den Hörer klingeln hören.

Grell war wie immer viel zu aufgeregt: „Du hast es dir doch schon vorher gedacht! Du benutzt mich nur, um dir hintenrum deine Theorie zu bescheinigen!“

„Kehehehe! Aber du hast dieselbe Idee!“

„Warum rufst du mich an, wenn du es weißt?!“

„Eh he he! 4 Augen sehen mehr als 2, 4 Ohren hören mehr als 2 und 2 Köpfe denken vielfältiger als einer. So schön dieser Umstand auch passt. Die Tatsache, dass wir es nicht bemerken ist ein nicht zu übersehendes Problem. In vielfältigem Sinne.“

„Gut. Ich bin mittlerweile Anhänger deiner Geister-Alp-Theorie. Die einzige sinnstiftende Erklärung, dass es den Anhänger fürchtet, wäre nämlich, dass das Wesen keinen Körper mehr hat und der Anhänger ihm so vollkommen schutzlos die Energie entzieht. Da ist ja kein Körper mehr um sie zu beschützen.“

„Ihihihihi! Mein Gedanke 1:1!“

„… Ich weiß. Aber warum merken wir es nicht? Wir sind Sensenmänner! Warum bemerken wir keinen Geist?!“

„Ke he he he. Ich weiß nicht.“

„Toll!“

„Aber danke für deine Bestätigung!“

„Toll!“

„Ehehehehe! Tue nicht so, als habe dir mein Anruf gar nichts gebracht.“

„Doch! Ein schlechtes Gewissen und das Gefühl benutzt worden zu sein. Firma dankt!“

„Bitte bitte“, kicherte ich zurück.

Grell seufzte noch einmal: „Ich kann mich bei William ja noch nicht mal bedanken. Er würde nur sauer werden, dass ich Bescheid weiß...“

„Du weißt doch, dass man ihn auf seine Nettigkeit nicht ansprechen darf“, ich seufzte: „Denk dir deinen Teil dazu, dass er nett zu dir ist. Sehr nett. Wenn die Administrative dahinterkommt, hat das Disziplinarverfahren und die höchstwahrscheinliche Suspendierung nämlich er.“

„Aber… warum ist er nicht direkt nett zu mir? Er behandelt mich wie Scheiße! Rettet mir aber hintenrum den Hintern! Wohl schon zig Mal! Ich musste nämlich meistens nur Berichte schreiben!“

„Ich glaube er mag dich mehr, als ihm lieb ist und das macht ihm Angst.“

„Warum glaubst du das?!“

„Ich“, ich stockte kurz. Dann erschien ein trauriges Lächeln auf meinen Lippen: „Rede aus Erfahrung.“

Dann legte ich auf.

Die Reaktion und das darauffolgende Gespräch… dafür war ich zu müde.

Ich stand auf und schaute aus meinem neuen Fenster auf die leere Gasse.

„Ich sage es dir immer wieder“, mit einem Seufzen verschränkte ich die Arme: „Sei nicht so dumm wie ich, William.“
 

Nachdem ich einige Zeit aus meinem Fenster geschaut hatte, war ich in mein Hinterzimmer verschwunden und habe mich um den Älteren meiner Gäste gekümmert.

Er brauchte nur standartmäßig hygienische Versorgung und Einbalsamierung. Es gab wahrscheinlich keine Handgriffe, die bei mir automatisierter abliefen.

Ich war gerade einigermaßen in meine Arbeit versunken, da hörte ich wie sich meine Türeöffnete: „Undertaker?“

Mein Kopf zuckte hoch: ‚Sky?‘

Ich konnte mir kaum vorstellen was sie hier wollte, aber ich war mir 100% sicher es war ihre Stimme. Diese Stimme konnte ich nicht verwechseln.

Ich lauschte.

Meine Türe quietschte und ich hörte zaghafte Schritte in meinen Laden.

Mit einer Mischung aus Neugierde und Widerspenstigkeit legte ich meine Nadel zur Seite, mit der ich gerade den Unterkiefer an den Schädel gebunden hatte.

Ich war neugierig was Skyler hier machte. Doch ich wusste, dass wieder diese unglaublich angespannte Atmosphäre herrschen würde, die mir meine Energie förmlich aussaugte.

Wer dachte ich sei stressresistent irrte. Es gab nichts was ich mehr hasste oder schlechter vertrug. Die Anderen hatten nur lediglich kein Bild davon, wie ich war wenn ich gestresst war, weil ich es eigentlich nicht zuließ, dass mich etwas stresste. Doch in dieser Situation versagte diese Kompetenz komplett.

„Undertaker? Bist du da?“

Ich seufzte. Dann entschied ich, dass ich sie auch nicht einfach nicht empfangen konnte.

Ich kämmte mit den Fingern sorgsam meinen Pony über meine Augen. Ich konnte nicht riskieren, dass sie wieder einen Blick darauf erhaschen konnte. Ich wusste sehr wohl, dass sie sie Dienstag sofort interpretiert hatte. Dann ging ich die paar Schritte zu meinem Türbogen: „Du hier?“

Sky sah mich kurz abschätzend an: „Du warst eben sehr schnell weg...“

„Nun“, mein Kopf fiel zur Seite: „Ich habe zu arbeiten.“

„Ich“, sie atmete tief durch. Wenn es ihr so viel abverlangte, warum war sie hier?: „Brauche nur 5 Minuten deiner Zeit. Höchstens.“

„Skyler“, die Kälte in mir zog schmerzhaft an meinem Herzen.

„Ja?“

„Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist.“

Sie schaute mich mit erschrockenen Augen an: „Wa-was?“

„Dass du hier bist“, ich seufzte innerlich. Diese Atmosphäre war wirklich schlimm: „Warum auch immer du es bist.“

„Aber“, ihre Lider flackerten. Sie schien mit größter Mühe zu verarbeiten zu versuchen was ich zu ihr gesagt hatte: „Wieso?“

Ich neigte meinen Kopf noch ein Stück weiter: „Ich sagte es schon. An der Themse.“

Eigentlich hatte ich die Fronten doch schon klargestellt.

Was dachte dieses Mädchen?

Was fühlte dieses Mädchen?

Was machte sie hier?

„Aber...“, sie stockte. Dann erschien ein bestimmterer Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie ging auf mich zu: „Nein. Nein, es ist gar keine schlechte Idee.“

Ich seufzte: „Skyler...“

Eigentlich gab es nichts Schöneres als Bestimmtheit in ihrem Gesicht. Doch durch mein Inneres wehten so viele Schneeflocken, dass ich nicht entzückt sein konnte. Auch wollte ich nicht, dass sie näherkam.

Umso näher sie mir kam…

… umso schwerer war es die Distanz zu wahren, die ich aufgebaut hatte.

Die ich brauchte um sie los lassen zu können. 

Und dafür war die Distanz, die herrschte, noch nicht einmal genug.

Ich wusste nicht, ob es eine Distanz gab, die groß genug war, um sie wirklich loslassen zu können.

„Nein. Hör mir zu“, sie blieb vor mir stehen. Mit diesem bestimmten Gesichtsausdruck zum niederknien: „5 Minuten.“

„Hätte es nicht bis morgen Zeit?“

„Nein.“

„Ich kümmere mich um dieses komische Wesen“, ich konnte mir keinen anderen Grund ersinnen, der sie hertrieb: „Ich habe schon mit Grell telefoniert.“

„Darum geht es nicht.“

„Dann hast du keinen Grund hier zu sein“, es war beschwerlich so distanziert zu bleiben. Denn es war schmerzlich. Ich wäre gerne herzlicher zu ihr. Weil sie das verdiente.

Aber das war eine Richtung, die ich jetzt nicht einschlagen konnte.

Ich konnte nicht so mit ihr umgehen, wie ich es gerne würde, herzlich und lauschig, und dann einfach auf Nimmerwiedersehen sagen.

Wenn sie mir nicht mehr wohlgesonnen war, wollte sie diesen Umgang nicht.

Wenn sie es noch war, wäre es einfach ein Unding so zu handeln.

Außerdem würde ich nicht mehr auf Nimmerwiedersehen sagen können, wenn sich die Dinge wieder so gestalten wie vor dem Freitagabend.

Doch ich musste, damit so ein Freitag, so ein tränenreiches Wochenende, so viele schlechte Träume nicht mehr folgen konnten.

„Doch“, Skyler weckte mich aus den Gedanken, die ich in Bruchteilen von Sekunden gedacht haben musste und mein Innerstes furchtbar vereist hatten: „Einen guten sogar.“

Sie streckte mir ihre geschlossene Faust entgegen.

Ich beschaute kurz ihre Hand. Sie hielt etwas darin, dass war offensichtlich: „Was hast du da?“

Sky wedelte kurz mit ihrer Faust: „Nimm.“

Sofort schüttelte ich meinen Kopf: „Nein.“

Ich konnte von ihr nichts annehmen.

Ich brauchte Distanz.

Ihre Unterlippe begann zu zittern, doch ihr Gesichtsausdruck blieb trotz feuchter Augen stark.

Ich war bestürzt über ihre unterdrückte Traurigkeit. Und ich war von ihrer Willensstärke überwältigt!

Diese junge Frau war so unsagbar stark!

Doch… warum war sie traurig? Hatte Tränen in den Augen?

Mehr und mehr in mir begann zu glauben, sie hatte alles gesagt und getan wie sie es meinte.

Mehr und mehr in mir begann zu glauben Grell hatte recht.

Und alles in mir wusste, dass dies das Fatalste wäre, was mir passieren könnte.

Wenn sie mich nicht mehr sehen wollte, wäre es viel einfacher zu gehen.

Doch es gegen den Willen von uns Beiden zu tun…

Sky zerschlug diesen grausamen Gedankengang, indem sie entschlossen meine freie Hand griff. Ihre Wärme zuckte wie ein Blitz durch mein inneres Schneegestöber. Sie legte mir etwas in die Hand. Dann nahm sie ihre Hände zurück.

Die Hände, die so warm waren, dass sie sofort durch die Eisschicht gebrochen waren, die sich auf meiner Seele gebildet hatte.

Ich schaute in meine Hand.

Dort lag der Pentagrammanhänger.

Sie kam her, um mir ihren Anhänger wiederzugeben?

Mein Verstand sagte mir, dass dies wohl ein klares Zeichen war, dass sie meine Anwesenheit und auch die Anwesenheit meiner Geschenke nicht wünschte.

Doch diese ganze Menge, die ihr und Grell zu glauben angefangen hatte, konnte sich das einfach nicht erklären.

Irgendetwas passte nicht.

Doch ich erkannte nicht, was es war.

„Warum gibst du mir das?“, fragte ich im ehrlichen Bestreben verstehen zu können.

Sky wandte sich halb ab: „Weil ich sie nicht tragen kann.“

Unter meinem Pony zog ich rätselnd meine Augenbrauen zusammen: „Wie meinst du das?“

Sie schaute auf die andere Seite meines Ladens: „Du sagtest du gabst diese Ketten den Wesen, die dir wichtig sind.“

Auch die Tatsache, dass sie sich auf einmal abdrehte trug nicht zu meiner Erleuchtung bei: „Ja, das sagte ich.“

„Deswegen kann ich sie nicht tragen“, ihre Stimme und auch das Stück Gesicht was ich noch sah wirkten unglaublich verletzt.

Eine Verletztheit, die ich mir nur in dem Kontext erklären konnte, dass mein Verhalten sie verletzte, da sie die Distanz, die ich aufbaute, nicht wollte.

Fatal.

Das wäre fatal.

Doch wirklich verstehen tat ich noch nicht: „Ich weiß ich wiederhole mich, doch: Wie meinst du das?“

„Diese Kette“, sie schluckte und atmete durch. Wie sie sich die Hand auf den Bauch legte, war ich mir sicher nicht als einziger unter Spannung zu stehen. Auch die Verletztheit in ihrem Gesicht wurde größer und fachte die Menge in mir an. Die Menge, die angefangen hatte zu glauben, sie mochte mich trotz allem und hatte keine Angst vor mir.

Ob sie mich mochte oder nicht.

Ob sie Angst vor mir hatte oder nicht.

Es bestimmte lediglich den Schwierigkeitsgrad meines ‚auf Nimmerwiedersehen‘.

Nicht, dass es passierte.

Und doch wusste ich, dass es etwas Vernichtendes hätte, wenn sie meine Abwesenheit nicht wünschte.

Aber ich konnte das Risiko nicht eingehen, sie noch einmal zu verletzen.

Oder vielleicht immer wieder.

Wer sagte, dass es sich auf noch einmal beschränken würde?

„Ist ein Zeichen dafür, dass dir Jemand wichtig ist“, fuhr sie fort: „Sie beschützt einen nicht nur vor den Trancys und Co., sie steht für deine Zugewandtheit Jemandem gegenüber“, sie wandte sich komplett ab und ging Richtung Tür: „Ich wollte sie dir nur wiedergeben. Denn ich möchte kein Symbol für etwas tragen, das nicht existiert...“

Ich konnte nicht antworten.

Was sie gesagt hatte, schockte mich zutiefst. Denn es implizierte, dass sie mir nicht wichtig war.

Natürlich war ich mir bewusst, dass mein Verhalten distanziert war. Dass es eine Haltung vermittelte, die nicht stimmte.

Sie war mir wichtig.

Endlos wichtig.

Wichtig genug um mich selbst und alles was ich wollte für ihr Wohl hintenanzustellen.

Und gerade das sorgte dafür, dass sie dachte sie sei mir überhaupt nicht wichtig.

Und deswegen gab sie etwas weg, was sie noch effektiver beschützen konnte, als eigentlich gedacht.

Vollkommen vor den Kopf gestoßen stand ich in meinem Türbogen und starrte auf das weggehende schöne Mädchen. Jeder ihrer leisen Schritte vibrierte schmerzhaft durch meine Seele.

Als sie die Hand an die Klinke legte, übermannte mich etwas.

Das unbändige Bedürfnis nicht wieder eine falsche Aussage im Raum stehen zu lassen.

Mit einem schnellen Schritt stand ich hinter ihr, bevor sie die Türe geöffnet hatte. Ich stand näher bei ihr, als ich beabsichtigt hatte.

Ich spürte ihre Körperwärme vor meiner Brust.

Ich spürte die Eisschicht, die sich so schlimm anfühlte, aber existenziell wichtig war um die Distanz zu wahren schmelzen.

Ich fühlte sie schmelzen.

In weniger als Sekunden.

Und ich fühlte das Verlangen nach ihrer Nähe.

Es brannte.

Ich legte ihr zügig die Kette um den Hals: „Natürlich kannst du sie tragen.“

Ich wollte nicht flüstern.

Doch dieser Kampf in meiner Seele ließ mir nicht die Kraft um laut zu sprechen.

Ihr die Kette wieder zu geben, war ein offenes Zugeständnis von Wichtigkeit.

Es ging gegen die Distanz, die ich aufzubauen versuchte.

Es fachte dieses Verlangen an.

Den Wunsch nicht endgültig gehen zu müssen.

Doch ich wollte, dass sie sicher war und dazu brauchte sie diese Kette mehr als vorher gedacht. So hatte sie etwas mit dem sie sich verteidigen konnte, wenn sie alleine war.

Ich wollte sie von hinten umarmen.

Ihr ins Ohr flüstern, was sie wirklich für mich war.

Ich zog meine Hände zurück, die sich bei diesem Gedanken von selbst auf den Weggemacht hatten.

Hastig drehte ich mich um und ging weiter in meinen Laden hinein.

Distanz.

Ich brauchte Distanz.

„W-was?“, hielt mich Skylers verwirrte Stimme auf.

Ich stoppte: „Ich sagte, dass du sie natürlich tragen kannst.“

Sky erwiderte nichts.

„Und das sollst du auch“, setzte ich eindringlich hinterher. So sehr wollte ich, dass sie sicher war.

„Wie, ich soll?“, Skyler klang vollkommen desillusioniert.

Ich wusste, dass mein Verhalten nicht mehr eindeutig war. Ich wusste, dass ich es wahrscheinlich nie geschafft hatte es eindeutig zu machen: „Ich bitte dich darum.“

„Was?“

„Ich bitte dich sie zu tragen“, wiederholte ich.

„Was?“

„Trage sie“, ich drehte meinen Kopf halb zu ihr und sah durch einen Spalt in meinem Pony ihre bezaubernde blaue Iris: „Bitte.“

Ich hatte alle Gefühle, die ich für sie hatte, in dieses Wort gelegt.

Ein Bitte was mehr war, als eine Bitte diese Kette zu tragen.

Ein Bitte was hieß: ‚Bitte sei in Sicherheit.‘

Ein Bitte was hieß: ‚Bitte sei nicht mehr traurig.‘

Ein Bitte was hieß: ‚Bitte fange wieder an zu lachen.‘

„Undertaker, ich...“

Ich hörte, dass sie auf mich zu lief.

Doch ich streckte ihr meine Hand entgegen, bevor sie mich erreichte.

Denn es war auch ein: ‚Bitte vergiss mich.‘

„Ich muss dich bitten nun zu gehen“, ich nahm meine Hand wieder hinunter und ging wieder Richtung meines Hinterzimmers: „Meine Gäste verlangen nach mir.“

Und als ich den Türbogen erreicht hatte, war ich mit dem erneut aufgeflauten Schneesturm alleine.
 

Als ich die Nacht vor ihrem Fenster saß, erblickte ich dasselbe Bild.

Ich seufzte und schaute in den sternenklaren Novemberhimmel.

Ich musste endlich schnell dahinterkommen, was dieses Wesen war und das alles beenden. Es war schön, dass Grell nun meiner Theorie anhing. Doch kam ich dadurch nur bedingt weiter. Die Tatsache, dieses Wesen nicht fühlen zu können war ein so großes Contra-Argument, dass es all die vielen Pro-Argumente in den Schatten stellte.

Ich wusste nicht was.

Ich wusste nicht woher.

Ich wusste nicht warum.

Ich war nur damit beschäftigt Symptome zu bekämpfen. Bis zur Krankheit vorzudringen stellte sich, als beschwerlich heraus.

Ich entschied mich in dem alten Archiv nachzusehen. Vielleicht hatten ja ein paar meinerverstorbenen Freunde ähnliche Situationen mit besseren Ideen gehabt.

Als ich die Augen wieder auf Skyler richtete, rekapitulierte mein Kopf sofort die Konversation, die wir vor ein paar Stunden geführt hatten. Sie hatte mein Herz mit einer dicken Schicht Raureif und meinen Kopf mit vielen Gedanken und Fragen zurückgelassen.

Ich sprang ein weiteres Mal durch ihr Fenster.

Zögerlich kniete ich mich neben sie und streichelte ihre Wange.

„Bitte“, hauchte ich müde und entkräftet wie ich mittlerweile einfach war und schloss meine Augen. Eine ganze Zeit lang ließ ich die Stille in ihrem Zimmer in meinen Kopf ziehen und zu einer unguten Art von Ruhe in meiner Körpermitte werden, bis ich zu Ende sprach: „Hasse mich.“

Nein!!

Aufgrund des plötzlichen Ausrufes und hochschnellen der jungen Frau riss ich die Augen auf und sprang auf ihren Schreibtisch.

Sofort dachte ich, ich wäre besser sitzen geblieben. Dann hätte ich sie wenigstens fangen können. Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie aus dem Bett fällt!... Und sich auch noch böse den Kopf am Nachttisch anhaut.

Ich verzog mein Gesicht zu einer schmerzverzehrten Grimasse, als der Kopf der Schönen ein hohles Geräusch auf dem Holz des Nachttisches machte und sie liegen blieb.

Ich hoffte inständig sie habe sich nichts getan.

Ihre Türe öffnete sich und Amy stand im Türrahmen. Als sie ihre Freundin am Boden sah lief sie zu ihr hin und erlöste mich so aus der Rolle nach dem Rechten sehen zu müssen. Sie beugte sich zu ihr herunter und legte ihr die Hand auf die Schulter: „Sky?“

Skys Kopf zuckte hoch.

Es war gut zu wissen, dass sie nicht gleich durch den Nachtschrank wieder in das Reich der Träume zurück gewandert war, aus dem sie erst aufgeschreckt war: „Amy?“

Nach ein paar Sekunden rieb Sky sich die Nase: „Du schläfst nicht?“

Amber schüttelte den Kopf. Sie sah genauso geschafft aus wie Skyler. Auch wenn sie nicht so blass war wie sie: „Wie denn? Das Vieh lässt mich genauso wenig schlafen wie dich.“

Sky setzte sich auf und rieb sich durch die Augen: „Ich weiß nicht wie lang ich das alles noch durchhalte... Ich werde noch total verrückt...“

Amy legte den Kopf schief: „Wegen dem Vieh oder Undertaker?“

Jetzt wurde ich hellhörig.

Mir war klar, dass es vollkommen pietätlos war, die Mädchen so zu belauschen, doch Skylers Antwort interessierte mich doch zu brennend.

Skyler seufzte: „Sagen wir einfach, dass das Vieh das kleinere Problem ist...“

Mir klappte der Kiefer auf.

Schön zu wissen, dass ich ein Problem war. Sogar noch das Größere! Auch wenn mich dies ehrlich nicht verwunderte.

Nun pfiff ich endgültig auf Pietät und Manieren.

„Das glaube ich“, auch die Phantomhive rieb sich ihre müden Augen: „Gestern warst du zumindest ziemlich barsch.“

Skyler ließ betrübt den Kopf hängen: „Es tut mir leid… Ich hatte einfach keinen Bock mehr...“

„Worauf?“

„Alles“, sie seufzte wieder: „Ich habe keinen Bock mehr auf alles, was gerade läuft.“

Ich zog skeptisch die Augen zusammen.

Sie hatte keine Lust mehr auf das was läuft?

Wenn das auf mein Verhalten gemünzt war, dann…

‚Oh nein…‘

„Gibst du auf?“, unterbrach die Phantomhive meinen Gedankengang.

‚Was soll sie aufgeben?‘

Doch anstatt einer Antwort musterte Sky ihre Freundin einige Zeit.

„Ich…“, sprach sie schließlich: „Bin mir nicht sicher...“

Amber stupste gegen etwas an Skylers Hals: „Du trägst sie wieder.“

Auf den zweiten Blick erkannte ich den Pentagrammanhänger.

Wieder seufzte Skyler recht ausgezehrt: „Verrückte Geschichte...“

„Es ist Undertaker.“

‚Touché‘

„Selbst für ihn verrückt.“

‚Auch Touché‘

Ambers Kopf fiel mit einem Schmunzeln zur Seite: „Mit dieser Aussage ist die Sache gerade richtig interessant geworden. Erzähl.“

„Er“, Skyler rieb sich heftig durch ihr feines Gesicht: „Wollte mich ganz klar nicht da haben. Meinte mein Auftauchen sei eine schlechte Idee. Doch als ich ihm die Kette gab meinte er A) ich könnte sie tragen und B) soll ich es auch und...“

Amys Kopf fiel zur anderen Seite, als Skyler einfach mitten in der Erklärung abbrach: „Den interessanten Teil verschweigst du mir?“

Doch Skyler schüttelte den Kopf: „Es ist auch der Teil von dem ich nicht weiß, was er mir sagen will.“

Meine Augen fielen nach unten.

Ich würde ihr gerne so vieles sagen.

„Vielleicht kann ich helfen.“

„Er… hat mich sogar gebeten, sie weiter zu tragen...“

„Ay ja“, zog die Adelstochter eine Augenbraue hoch: „Macht Sinn… nicht. Was ist bei dem Kerl eigentlich gerade kaputt?“

Ich beschränkte mein Seufzen nur mit Mühe auf meine Gedanken: ‚Mehr als sonst üblich auf jeden Fall…‘

Skyler schüttelte wieder den Kopf: „Frag mich was leichteres… Aber schön, dass wir zusammen total ratlos sind.“

„Lass mich mit ihm reden.“

‚Oh bitte nicht…‘

Doch Skyler schüttelte wieder mit dem Kopf. Meine Erleichterung, einer jungspündisch-phantomhivischen Befragung zu entkommen, wich nur allzu schnell Verwirrung über den folgenden Satz: „Nein. Das muss ich irgendwie selber schaffen.“

‚Was schaffen?‘, die Rolle des stummen Beobachters machte dann keinen Spaß, wenn man mehr Fragen als Antworten bekam und diese noch nicht mal stellen konnte!

„Schaffst du das auch?“

‚Ja, was denn?‘

„Ich weiß nicht, ob ich ihn noch überzeugen kann...“

Ich zog meine Augenbrauen enger zusammen: ‚Wovon?‘

„Das meine ich nicht“, Amy klang besorgt: „Undertaker ist verdammt stur.

Und es kann verdammt lange brauchen ihn von einer Idee abzubringen. Wenn es denn überhaupt funktioniert“, die Phantomhive kannte mich und meinen Dickschädel definitiv gut, das musste ich ihr lassen: „Ich will wissen, ob du das aushältst. Sky, wie lange hältst du die Situation noch durch? Nachdem du Grell gesehen hast oder gestern am Fenster, du warst weiß wie ein Gespenst. Ich mache mir Sorgen um dich.“

Mein Kopf fiel nach hinten: ‚Warum? Warum magst du mich? Trotz allem?‘

Andersherum wäre alles so viel leichter…

Ich hörte die schöne Brünette tief durchatmen: „Ich weiß es nicht, Amy.“

Ihre Stimme zitterte so sehr, dass ich sofort wieder zu ihr schaute. Tränen glänzten in ihren Augen in dem flachen Schein des abnehmenden Mondes: „Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch versuchen kann. Ich weiß nicht, was ich noch versuchen soll oder was er eigentlich wirklich denkt. Ich weiß nur“, ihre Stimme verebbte komplett und die eben noch in ihren Augen glänzenden Tränen fielen zu Boden: „Dass ich will, dass es wieder wie vorher wird...“

‚Oh nein…‘, ich vergrub mein Gesicht in den Händen: ‚Warum? Zum Himmel und zur Hölle, warum?‘, ich stützte meine Ellbogen auf meine Knie und legte mein Kinn in beide Hände. Ich spürte ganz deutlich wie in mir drin etwas zusammenklappte. So schmerzhaft der Gedanke, sie könnte sich vor mir fürchten auch war, er war der Gedanke gewesen, der mich befähigt hatte so viel Abstand zu nehmen. Abstand, der ihr schmerzte.

Doch.

Wie viele Schmerzen würde sie haben, wenn ich bei ihr blieb?: ‚Es geht dir besser ohne mich…‘

Amy nahm ihre beste Freundin fest in die Arme.

Es war so schlimm zusehen, dass sie litt und so gut, dass sie nicht alleine war.

Denn egal was ich tat, Skyler endete immer weinend.

Ich hatte nicht mehr nur das Gefühl nichts besser machen zu können, ich hatte das Gefühl nie etwas richtig gemacht zu haben.

„Lass dich nicht unterkriegen, Süße. Ich kann mir vorstellen wie schrecklich das alles ist. Ich hoffe Grell hat ihm mächtig eine reingehauen.“

Das hat er.

Mehrmals.

Zu wenig.

„Was soll das denn bringen?“, murmelte Sky in Amys Schulter.

„Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen doch bekanntlich das Denkvermögen“, und ich hatte trotzdem zu lange gebraucht. Wäre mir früher aufgefallen, dass sie sich wünschte es wäre wieder so wie vor diesem Freitag, ich wäre die Dinge anders angegangen. Ich hätte mich endgültig schon Sonntagnacht verabschiedet. Ich wäre ihr nicht mehr unter die Augen getreten. Hätte dem Butler gesagt, er solle sich selber darum kümmern nach demRechten zu sehen: „Außerdem gehört er für das was er veranstaltet einfach geschlagen. Vielleicht hat Grell ja so seine grauen Zellen wieder an den rechten Platz gebracht. Unterschätze Grell nicht. Er ist einer der Stärksten. Selbst stärker als Seb.“

Ich verdrehte die Augen. Der Butler fand sich auch mit so sehr am tollsten, dass alle in seiner Umgebung anfingen den Humbug zu glauben.

„Seb?“

„Wir nennen Sebastian so, wenn er nicht in der Nähe ist. Er hasst Spitznamen.“

„Freak...“

„Dämon.“

„Ist das nicht irgendwie dasselbe?“, Skyler klang so ernsthaft erschöpft, dass ich mich noch nicht einmal an ihrem Misskredit gegenüber dem Butler erfreuen konnte: „Es wirkt allerdings nicht so, als hätte Grell irgendwas umsortiert. Ich kann Grell verstehen. Ich würde Undertaker auch nicht schlagen.“

„Damit hat Grell wirklich kein Problem.“

Ich nickte oft. Damit hatte Grell wirklich als allerletzter irgendein Problem.

„Ja, bis man ihn von der Wand kratzten darf...“

‚Oder aus deinem Rosenbusch sortieren…‘, ich unterdrückte im letzten Moment ein unschuldiges Hüsteln.

„Grell und Undertaker sind Freunde. Da bolzt Undertaker nicht ohne Rücksicht auf Verluste zurück. Wenn es gute Gründe gab ihn zu schlagen gar nicht. Er schlägt also eigentlich nie zurück.“

Ich nickte wieder.

Ich war halt ein Idiot.

Ich habe nur jetzt mitbekommen was für ein riesen Idiot ich eigentlich war. Und wie zum Himmel schreiend inkompetent.

„Es ist trotzdem alles wie es schon die ganze Woche ist. Abgebunden, verwirrend und total zum kotzen“, Sky brachte sich in den Sitzt und wischte ihr verweintes Gesicht trocken: „Alles was er sagt ist knapp und distanziert, doch er… was er tut nicht immer.“

„Inwiefern?“

Sky schaute auf den Verband um ihre Hand: „Das zum Beispiel. Oder, dass er mir die Kette nicht einfach wieder gab sondern umhing, als ich aus dem Laden gehen wollte.“

Amy zog eine Braue hoch: „Der Mann war echt noch nie ein Interaktions-Genie, doch was er gerade veranstaltet ist die totale Mopelkotze.“

„Zu wissen, dass er sich komischer als üblich benimmt bringt mich aber nicht weiter. Soweit bin ich selbst auch schon gekommen, stell dir vor. Ich... weiß einfach nicht wie viel Sinn, dass alles noch hat.“

Keinen.

Es hatte keinen Sinn.

Und irgendwann, an irgendeinem Tag wird sie feststellen, dass ihr Leben ohne mich leichter war.

Besser.

„Ich glaube du solltest es weiter probieren“, die Phantomhive stand auf und streckte sich. Ich unterdrückte den Impuls ihr einen Schlag auf den Hinterkopf zu geben. Warum musstesie Leute immer zu dem Falschen animieren?

„Sei mir nicht böse, aber ich bin total kaputt und so auch echt keine Hilfe.“

‚Nein!‘, dachte ich mir säuerlich: ‚Bist du wirklich nicht!‘

„Ich will einfach nur schlafen.“

Ich seufzte.

Die Mädchen waren beide über den Zenit.

Vielleicht wenn auch Skyler denn irgendwann ausgeschlafen hat und erfrischt zu denken anfängt… Vielleicht bemerkt sie dann den Rattenschwanz an meiner Bekanntschaft.

Einen so langen, so blutigen Rattenschwanz, dass ich ihn ihr nicht zumuten konnte.

Doch heute nickte Skyler kurz und stand auch auf: „Wäre ‘ne echt coole Abwechslung.“

„Also dann“, Amy war schon fast aus der Tür, da fuhr mir eine steife Brise über den Rücken in den Raum und sie wandte sich noch einmal um: „Warum steht dein Fenster offen?“

„Ich“, blinzelte Skyler irritiert dem Fenster entgegen: „Habe keine Ahnung...“

Ich tat einen langen Schritt aus dem Fenster auf das kleine Fensterbrett.

Amy schaute Skyler an: „Du hast es nicht aufgemacht?“

Diese schüttelte emsig den Kopf: „Nicht, dass ich wüsste.“

Dann kam die Phantomhive auf das Fenster zu, stemmte sich auf den Schreibtisch und streckte mir ihre Nase ins Gesicht: „Nicht, dass das das Vieh war.“

Ich zog meinen Kopf zurück um sie nicht zu berühren.

„Bitte?!“, rief Skyler erschrocken auf.

Der sinnlose Schreck der jungen Brünette war leidlich.

Doch was sollte ich tun?

Aus dem Nichts auftauchen, einmal grinsend winken und sagen: ‚Guten Abend, die Damen. Keine Bange, das war nur ich‘?

„Wollte es dich nicht anfassen?“, untersuchte Amy das Fensterschloss.

„Schon, aber...“

Die Phantomhive drehte sich zu ihrer besten Freundin: „Aber?“

„Ich… Ich glaube, dass hat es nicht. Ich weiß nicht woher, aber ich bin mir fast sicher eine Berührung hätte sehr schwerwiegende Folgen.“

„Spidersense?“

‚Was?‘

„Ich spüre das Vieh ja nicht. Ich habe nur… dieses Gefühl.“

„Das Schloss ist auf jeden Fall in Ordnung. Alles sehr mysteriös. Wir reden morgen mit Undertaker darüber, ja? Schaffst du das?“

Sky seufzte erst, dann nickte sie.

„Machst du weiter?“, fragte Amy.

Ich zog die Augen zusammen und verschränkte die Arme: ‚Herrgott! Lass es doch…‘

Sky schaute zur Seite.

Eine Weile segelten wieder viele Gedankengänge durch ihre Augen.

Dann schaute sie Amy wieder an und nickte.

Ich unterdrückte ein Stöhnen.

Warum rennt sie lachend in die Kreissäge?

Das kann ja alles wirklich noch sehr spannend werden.

Und bei weitem schwerer und bitterer als angenommen.

Die Phantomhive lächelte allerdings gefällig: „Stark“, dann ging sie aus dem Raum: „Versuch‘ zu schlafen. Gute Nacht.“

„Nacht.“

Nachdem sie den Wecker wieder auf den Schreibtisch gestellt hatte, stand sie auf, schloss das Fenster vor meiner Nase und zog die Gardinen vor.

Ich seufzte nachdem ich durch die Scheibe gehört hatte, dass Skys Schritte vom Fenster wegführten: „Warum kannst du mich nicht einfach hassen?“
 

Ich vertrieb mir ein paar Stunden auf dem Friedhof. Es war höchste Zeit gewesen den Efeu zu schneiden. Er hatte teilweise schon wieder die Schrift überwuchert und in den Mausoleen musste ich dringend öfter kehren. Wenigstens hatte mich das alles ein wenig abgelenkt und hier und da an etwas anderes denken lassen. Doch gerade wirkten auch diese schönen, alten Erinnerungen furchtbar schwer.

So furchtbar lange her.

Das schlimmste an Erinnerungen war, wenn man selbst merkte, wie sie immer blasser wurden.

Als ich auf dem Hinterhof meines Ladens eingekehrt war, hatte ich mir eigentlich vorgenommen mich wenigstens für ein oder zwei Stunden in einen Sarg zu legen.

Doch segelte mir etwas entgegen. Ich öffnete die Hände und fing den kleinen schwarzen Federball: „Hallo Merkenau.“

Merkenau krähte mich freudig an und wedelte mit den Flügeln.

„Ja“, neigte ich meinen Kopf auf dem ein kleines Grinsen erschienen war: „Das war gut! Kehehehehe! Du hast große Fortschritte gemacht!“

Merkenau war wirklich im Fliegen mittlerweile recht gut. Ich glaubte nur Landen wird er noch ein wenig üben müssen.

Er hüpfte von meinen Händen auf meinen Arm und von dort weiter auf meine Schulter. Dort krähte er einmal.

„Frühstück?“, grinste ich: „Möchtest du mit rein?“

Merkenau krähte noch einmal.

Mit einem seichten Kichern ging ich mit dem Raben auf meiner Schulter durch meine Hintertüre.

In meinem Laden angekommen hatte ich Merkenau in sein Nestkörbchen gesetzt und ihm eine Handvoll Kekse hineingelegt. Er knusperte sie selig und legte dann irgendwann seinen Kopf in das Stroh und schloss erschöpft die Augen.

Ich aß ebenfalls ein paar Kekse, dann hatte ich den Deckel eines Sarges aufgeklappt.

Mit einem Bein schon darin, klingelte auf einmal das Telefon.

Ich seufzte, hob meinen Fuß wieder aus der Kiste und hob den Hörer ab: „Ki hi hi. Undertakers Funeral Parlor, was kann ein bescheidener Bestatter für sie tun?“

„Ähm… Guten Tag“, surrte eine Frauenstimme durch mein Ohr: „Watson vom Karstein Hospital.“

Ich zog die Augen zusammen.

Natürlich hatten das Karstein Hospital und ich eine einschlägige gemeinschaftlicheGeschichte, doch seit Stoker tot war, war es nur noch ein Krankenhaus, das mich wie jedes andere anrief um neue Gäste abzuholen.

Ich wurde trotzdem immer wieder sehr hellhörig, wenn dieser Name fiel.

„Fuhuhuhuhu! Wen soll ich abholen, Ms. Watson?“

„Niemanden.“

Eine meiner Augenbrauen sprang hoch: „Aha?“

So einen ähnlichen Gesprächsanfang hatte ich doch erst kürzlich.

„Wir bräuchten ihre Hilfe.“

„Nihihi! Wobei?“

„Seit einiger Zeit telefonieren wir rum. Wir können einfach nicht nachvollziehen, wo 15 unserer verstorbenen Patienten gelandet sind. Sie sind die letzte Möglichkeit. Würden Sie nachschauen und uns die Versicherungsnummer der letzten 15 Klienten aus unserem Haus durchgeben, damit ich sie vergleichen kann?“

Die zweite Augenbraue folgte bei der Hälfte.

Noch ein Krankenhaus, das ein paar Verstorbene verloren hatte.

Zufall schloss ich aus: „Ehehehehehe! Aber natürlich!“

„Wirklich?“, die gute Frau am anderen Ende wirkte etwas überrascht: „Einfach so?“

„Ihihihihihi! In der Tat“, ich kramte mein Verzeichnis heraus. Die Frau konnte ja nicht ahnen, dass mir dieses Gespräch mehr bringen würde, als ihr: „Warum denn nicht? Ki hi hi.“

„Meine Kollegen meinten…“, sie brach ab: „Ach! Es ist egal. Danke für Ihre Unterstützung. Würden Sie?“

„Nihihihi! Nun…“, es war dasselbe Spiel. Nur, dass ich mir nicht so einen Knoten in die Zunge lesen musste wie bei dem gebeutelten Jüngling, der vor ihr anrief und dessen Namen ich wieder vergessen hatte. Diese Frau gab sich schneller und gefasster zufrieden: „Nein, die passen leider nicht. Danke für ihre Hilfe, Mr… ähm…“

„Kihihihi! Undertaker.“

„Mr… Undertaker?“

„In der Tat. Fu hu hu!“

„Nun“, jetzt wirkte die Frau doch ein wenig aus der Reserve gelockt, doch behielt einen guten Teil ihrer Contenance: „Ich möchte ihre Zeit nicht weiter verschwenden. Danke und…“

„Ah, ah, ah“, kicherte ich ins Telefon: „Einen Moment.“

Kurze Stille: „Ähm… Ja?“

„Gi hi hi. In welchen Zeitraum verschwanden diese Verblichenen?“

„Öhm“, die Frau sammelte sich kurz: „In den letzten 3 Monaten. Wieso?“

„Pures Interesse“, grinste ich.

„Also“, die Frau schien zu überlegen: „Ich… möchte dann Ihre Zeit nicht weiter totschlagen. Danke und einen schönen Tag.“

„Ebenfalls, ebenfalls“, kicherte ich ins Telefon.

Dann legte die Frau auf.

Ich legte ebenfalls den Hörer auf die Gabel: „Fu hu hu. 28 verschwundene Leichen in 3 Monaten“, ich grinste, stand auf und stoppte kurz an meinem reparierten Fenster: „Dusolltest dich beeilen, Earl.“
 

Ich hatte mich noch ein wenig in meinen Sarg gelegt, indem ich zwar tatsächlich ein paar Stunden geschlafen hatte, doch nicht das Gefühl hatte wirklich zur Ruhe gekommen zu sein. Aber immerhin fühlte ich mich ein Stückweit ausgeruht.

Ich stand schließlich nach geraumer Zeit wieder auf und schaute in meinen Terminkalender. Für Morgen stand eine Beerdigung an. Sarg und Gast waren fertig, doch hatte ich das Grab noch nicht gegraben und die Kapelle noch nicht geschmückt.

Ich seufzte, als ich auf meine Uhr schaute.

Es war Zeit bei den Mädchen vorbeizuschauen.

Ich wollte gerade aus der Türe verschwinden, da stoppte ich.

Es roch um mich herum nach Formaldehyd. Einen Geruch den ich selbst kaum noch roch. Doch als ich diesen gerade kurz bemerkte fiel mir ein, dass Grell mich darin förmlich gebadet hatte und mein Hemd damit vollgesogen sein musste. Auch Amy hatte dies Gestern wohl bemerkt und angekreidet.

Ich entschied mich den jungen Damen nicht auch noch mit so einem prägnanten Geruch auf die Nerven zu gehen.

So drehte ich mich um, ging durch die Türe hinter meinen Tresen und zog die Vorhänge vor meinen paar Brettern und der Garderobenstange zur Seite, die mir als Schrank dienten und kramte ein bisschen darin herum. Ich fand einen schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt und ¾ Ärmeln, der nicht sonderlich schick, aber einfach und schlicht genug war um als anziehbar eingestuft zu werden. Mein Hemd flog einfach durch die halb geöffnete Badezimmertüre in den Wäschekorb.

Dann verließ ich meinen Laden.

Als ich vor dem Wohnzimmerfenster der beiden Schülerinnen landete, sah ich darin wieder nur Amy. Sie trug ein recht kurzes Kleid, welches recht kalt wirkte, auch wenn sie eine Strumpfhose und Stiefel darunter trug.

Mit einem Kopfschütteln landete mein Pony in meinem Gesicht, dann klopfte ich an die Glasscheibe und winkte der sich zu mir drehenden Amber zu.

Sie winkte zurück und ich öffnete das Fenster: „Ni hi hi. Guten Tag, Amber. Wohin des Weges?“

Amber legte den Kopf schief: „Hi Onkelchen! Was meinst du?“

Ich zeigte einmal an ihr herunter: „Fu hu! Schick, aber ein wenig kühl, oder nicht?“

Sie druckste mit nach links und rechts fallendem Kopf: „Ich bin nicht viel draußen, ich werde gleich abgeholt.“

„Und von wem?“

„Kontrollierst du gerade mit wem ich mich treffe?“

„Nein“, lachte ich: „Aber ich bin neugierig wer dir die Erkältung wert ist, ich kann es nicht verneinen.“

Amber wurde ein bisschen rot im Gesicht: „Lee…“

Ich lachte laut auf.

Amy schaute mich säuerlich an: „Was ist so lustig?!“

„Ich habe nur auf diesen Tag gewartet“, lachte ich weiter: „Ihr schleicht ja schon länger umeinander herum!“

Amy zog verständnislos eine Augenbraue hoch: „Stimmt. Du hast in solchen Dingen ja auch total den Durchblick.“

„Sicherlich nicht“, grinste ich breit: „Ich bin in solchen Dingen total inkompetent!“

„Oh ja“, seufzte Amy: „Und wie du das bist.“

„Ja und ich bin mir dessen sehr wohl bewusst“, mein Grinsen wurde noch weiter und mich amüsierte dieses Gespräch und diese vorhersehbare Wendung zwischen der Adelstochter und dem jungen Asiaten ungemein: „Aber ihr beide macht das schon sehr offensichtlich, keine Bange.“

Die Phantomhive warf mir einen säuerlichen Blick zu.

„Dein Vater wird nicht begeistert sein“, fuhr ich eine Spur ernster fort.

Amy seufzte wieder: „Das ist er von 95% der Dinge die ich tue nicht.“

„Jetzt stelle dir vor er wüsste auch noch von den anderen 5%“, gigglte ich.

Amy verschränkte kurz lachend die Arme: „Du bist ein Grab, du hast es selbst gesagt! Jetzt jag‘ mich nicht ins Bockshorn!“

„Ich? Niemals!“, ich hob die Hand vor meinen Mund: „Fu hu hu hu hu! Wenn ich mir in etwas sicher sein kann, dann dass ihr das auch wunderbar ohne meine Hilfe schafft!“

Die Phantomhive seufzte wiederholt, dann lachte sie auf: „Arschloch!“

Ich schüttelte lachend den Kopf: „Gibt es etwas Neues bezüglich eures unangenehmen Besuchers?“

Amy schüttelte den Kopf: „Nicht nochmal aufgetaucht. Sind du und Grell weiter gekommen?“

Ich schüttelte ebenfalls den Kopf: „Wir stehen noch vor einem nicht ganz so kleinen Problem. Ich wollte heute Abend mit ihm ins alte Archiv. Er weiß von seinem Glück nur noch nichts.“

Amy kicherte kurz: „Du Schlingel“, dann verschränkte sie die Arme: „Und du denkst im Archiv könnte etwas sein, was dir weiterhilft?“

„Ehehe. Ich weiß nicht. Dort unten ist so einiges. Einen Blick wäre es wert.“

Ich hörte das Schließen einer Türe und wenige Sekunden später stand Skyler im Türrahmen. Ich sah sie nicht, aber ich erkannte sie an ihren kleinen Schritten.

Es dauerte ein paar weitere Sekunden bis sie sprach: „Hey Undertaker“

„Guten Tag, Skyler“, wandte ich mich kurz zu der schönen Brünetten. Dann wieder zu Amy. Jede Sekunde in Skylers Nähe war riskant, ich fühlte es: „Nihihihi, nun denn. Es wartet noch Arbeit auf mich“, ich hüpfte auf meine Füße: „Danach gehe ich mit Grell ins Archiv und versuche mehr über euren rätselhaften Besucher herauszufinden. Ich wünsche einen angenehmen Abend, die Damen!“

Mit diesen Worten wartete ich nicht auf eine Verabschiedung der jungen Frauen, sondern fiel einfach aus dem Fenster.

Ich verschwand Richtung meines Ladens und verspürte ein komisches Gefühl in meiner Brust.

Ich bedauerte mit Sky keine wirklichen Gespräche mehr führen zu können.

Ich hatte mich so unendlich gerne mit ihr unterhalten…
 

Ich verstaute kurz meine Schaufel und den Schmuck für die Kapelle in meinen Wagen und fuhr zurück zum Friedhof auf dem ich schon den heutigen Morgen verbracht hatte.

Dort angekommen ging ich durch bis zu der vorgesehenen Ruhestätte, ritzte die Umrisse des Loches in die Erde und begann danach damit es auszuheben.

Viele fänden das Ausheben eines 2,10 m x 1,20 m großen und dazu 1,80 m tiefen Loches per Hand sicherlich sehr beschwerlich und unnötig anstrengend, wie aufwendig. Doch ich tat diese Arbeit gerne.

Vor allem, da sie noch ein Stück mehr ablenkte.

Es war nicht so, dass ich diese Arbeit wirklich ermüdend oder erschöpfend fand, doch lenkte körperliche Arbeit den Kopf am besten ab.

So buddelte ich vor mich hin und dachte für ein paar Momente an nichts Böses oder Unangenehmes.

Schaufel rein, Erde raus.

Schaufel rein, Erde raus.

Schaufel rein, Erde raus.

Ein Trott, der mich angenehm in einen kleinen Rhythmus band.

Schaufel rein, Erde raus.

Schaufel rein, Erde raus.

Schaufel rein, Erde raus.

So ging es eine ganze Weile.

Schaufel rein, Erde raus.

Schaufel rein…: „Undertaker?“

Ich hielt abrupt inne, als ich gerade eine weitere Schüppe voll Erde über meine Schulter werfen wollte.

Ich drehte mich um, legte den Kopf in den Nacken und schaute mit zusammengekniffenen Augen durch einen kleinen Spalt in meinem Pony.

Nur undeutlich sah ich die sehr zierlichen Umrisse eines Mädchens in Schwarz. Doch ich erkannte den zimtbraunen Schopf überdeutlich: „Skyler?“

Sie winkte zaudernd: „Hi. Ähm… Wie geht es dir?“

Ich wackelte mit meinem Kopf und zog meine Mundwinkel nach oben, obwohl mir ihre Anwesenheit missfiel: „Kehehe! Unkraut vergeht nicht.“

Sie missfiel mir auf die Art und Weise, dass sie mir viel zu lieb war.

Ein paar Augenblicke machte Skyler nichts. Dann ging sie in die Knie. So viel näher sah ich ihr Gesicht nun relativ scharf durch den kleinen Spalt in meinen Haaren, obwohl ich immer noch den Kopf in meinen Nacken legen musste.

„Das ist keine adäquate Antwort auf die Frage wie es dir geht, meinst du nicht auch?“, fragte sie schließlich.

Ich wusste erst nicht recht zu antworten. Eigentlich fühlte und war ich nur vollkommen ertappt. Ich bewunderte und verfluchte zugleich, wie schlau dieses hübsche junge Ding war.

Hübsch und klug, garniert mit einem vielseitigen Charakter war eine seltene Kombination.

Selten und faszinierend.

Ich konnte nicht verantworten, dass ich etwas daran und darin brechen könnte.

Skyler über meine verschneite Gefühlslage aufzuklären war natürlich vollkommen ausgeschlossen.

Ich steckte meine Schaufel in die Erde: „Ihihihi, wieso meinst du das?“

„Weil man gar nicht heraushören kann wie es dir geht“, traf sie genau ins Schwarze.

„Nun“, ich legte meinen Kopf zur Seite und grinste breit. Wollte so kaschieren, dass der einzige Sinn dieser Aussage natürlich war, dass man nicht erahnen konnte wie es mir ging: „Kihihihi! Es geht auch nicht um die Frage wie es mir geht, sondern um die Frage wie es euch geht. Ich werde schließlich nicht von irgendwelchen komischen Wesen bedrängt, die mich sogar in meinen Träumen verfolgen.“

Skyler schaute mich blinzelnd an. Dann zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Ihre skeptischen Augen verrieten mir, dass ich auf den besten Weg war horrend aufzufliegen: „Trotzdem möchte ich wissen wie es dir geht.“

Oder schon aufgeflogen war.

„Nehehe. Warum denn das?“

„Weil es mich interessiert.“

„Nihihi. Muss es nicht.“

Sie fuhr sich durch die Haare, kopfschüttelnd und sichtlich angestrengt: „Was soll das? Sag es doch einfach.“

Jetzt, wo sie die ersten Anzeichen von Erschöpfung aufgrund meines Drumherum-Redens zeigte, entschied ich mich eine alt bewehrte Taktik anzuwenden: Menschen müde und schwindelig zu reden.

Etwas, indem ich mehr als nur reichlich Übung hatte.

Und als Skyler sich durch die Haare fuhr, sah ich etwas, was mir nur allzu gelegen kam.

Ich zeigte mit meinem Zeigefinger auf ihre Stirn: „Ehehe! Du hast da was.“

Ich erkannte nicht ganz was es war, aber sie hatte sich definitiv etwas Schwarzes und Braunes an die schöne Stirn geschmiert.

Skyler blinzelte erneut. Man sah ihr an, dass sie im ersten Moment versuchte meine plötzliche Aussage zu entschlüsseln.

Viele blieben daran hängen

„Lenk‘ nicht ab!“, Skyler nicht.

Sie wirkte recht säuerlich, als ihr auffiel, was ich gerade tat.

Ich musste es auch nicht zwingend unauffällig tun, auch wenn ich das mehr als einmal mit Bravour geschafft hatte. Es ging darum länger durchzuhalten.

Ich hoffte zwar, Skyler würde nicht direkt Lunte riechen, doch wusste ich eigentlich, dass sie zu pfiffig dafür war: „Kehehehe! Da ist wirklich etwas!“

„Das ist mir vollkommen egal!“

Ich zog meine Augen ein Stück zusammen. Mein Sichtfeld wurde ein wenig schärfer und mich beschlich eine Ahnung was das ominöse Etwas sein könnte: „Sieht aus wie Farbe. Tihihi!“

„Rede nicht an mir vorbei!“

„Nehehehe! Du hast es sogar in den Haaren!“

„Undertaker!“

Ich grinste ihr entgegen, bereit zum nächsten kontextlosen Kommentar: „Nihi! So heißeich.“

„Was soll das?“, hauchte sie entkräftet.

Ihr Gesichtsausdruck war leidlich. Er gefiel mir überhaupt nicht. Doch ich bekam sie langsam in die Nische gedrängt, wo ich sie haben wollte:

In die, wo sie nicht mehr nachfragte.

Niemand, nicht einmal Vincent, hatte sich so kontinuierlich nach meinem Wohlergehen erkundigt.

Auch vor Freitag hatte Skyler bei fast jedem einzelnen Treffen nach der Begrüßung gefragt wie es mir ginge.

Nicht aus Höflichkeit. Ich hatte ihr ihr Interesse jedes Mal deutlich angehört.

Doch ich wollte ihr nicht erzählen wie es mir ging.

Nicht warum es mir so ging.

Ich wollte nicht, dass es mir so ging.

Ich wartete sehnsüchtig auf den Tag, an dem ich plötzlich merkte, dass diese Empfindungen alle in den tiefen Schlamm gewandert waren. In die teerschwarze Brühe auf dem Grunde meiner Seele.

Die pechschwarze Brühe, die eigentlich alles war, was ich war.

Verbittert.

Rachsüchtig.

Grausam.

Frustriert.

Einsam.

„Nun, ich versuche dich darauf aufmerksam zu machen, dass du dir irgendetwas in die Haare geschmiert hast“, ich streckte meine Hand aus Gewohnheit aus und fuhr ihr durch den Pony. Dabei brachte ich mein Gesicht nah zu ihrem, um endlich sehen zu können, was in ihrem Gesicht war: „Ehehe. Farbe, wenn ich raten müsste.“

Ich fuhr ihr noch einmal durch den Pony. Dann fühlte ich etwas Klebriges an meiner Hand.

Ich hob meine Finger zwischen unsere Gesichter damit wir es Beide sehen konnten.

„Tatsächlich!“, kicherte ich kurz: „Kihi! Es ist Farbe! Fuhu! Wie auch immer die dahin kommt.“

Ich kam ad hoc auf keine Erklärung, warum sie Farbe in den Haaren hatte. Etwas in mir tippte auf eine unglückliche Kombination ihrer künstlerischen Veranlagung mit ihrer riesen Portion Pech.

Ich konnte mein Kichern nicht zurückhalten, als ich ihr ein paar weitere Male durch den Pony fuhr, um die halb getrocknete und noch halb nasse Farbe mit den Fingern aus ihren Haaren zu kämmen: „Fuhuhu! Dein Pony ist voll damit! Was hast du gemacht?“

„Ein Bild zerstört“, zog sie die Augen zu Schlitzen und die Nase kraus. Es musste wohl ein bisschen ziehen.

„Ehrlich?“, kicherte ich weiter: „Nihihi! Wie das denn?“

„Mit einem Farbspachtel…“, antwortet sie recht resigniert mit durch das Ziepen immer noch zerknautschtem Gesicht.

Es hatte etwas furchtbar Süßes, was mich lauter Lachen ließ: „Pahahahaha! Wieso bearbeitest du deine Bilder auch mit einem Farbspachtel?“

„Hab zwei Striche versaut...“, seufzte sie.

Mein Kopf fiel zur Seite: „Fu fu fu. Kann ich mir nicht vorstellen.“

Sie konnte sicher genauso gut malen, wie sie zeichnen konnte. Die Staffelei und etliche Leinwände in ihrem Zimmer ließen zumindest den Schluss zu, sie hatte das ein oder andere an Spaß und Übung darin.

„Du hast ja keine Ahnung...“

Ich richtete meinen Kopf wieder auf und zog ihren Pony nach oben, um zu schauen, ob die Farbe nun verschwunden war.

„Nihihi! Du hast die Farbe wirklich überall“, sah ich, dass dies nicht der Fall war und ließ die Hand wieder ein Stück sinken. Ich wechselte auf meinen Daumen und versuchte die Farbe wegzurubbeln: „Sogar an der Stirn!“

In dem Moment zog eine ungeahnte Wärme in meine Hand.

Ich mochte das Gefühl ihrer herrlich linden Haut. Doch wirkte ihre Haut auf mich im Moment eher hitzig.

Ich erinnerte mich an Sonntag.

An die Themse und dem scharfen Novemberwind.

So zog ich die Hand aus ihrem Pony, legte sie auf ihre Schläfe und fuhr mit dem Daumen bedächtig über ihre Stirn: „Sage mir.“

Mich beschlich sofort die Sorge, dass sie aufgrund dieser Umstände krank geworden war und fiebern könnte: „Bist du wohlauf?“, dann sollte sie definitiv nicht bei kaltem Wetter über einen zugigen Friedhof laufen: „Du bist sehr warm.“

Sky schaute mich mit großen Augen an.

Ihr Gesicht wirkte erschrocken und mehr als unangenehm berührt.

„I-i-ich“, machte sie hektisch: „Bin doch immer wärmer, als du! Nicht ich bin sehr warm, sondern deine Hände sind sehr kalt!“

Ihre plötzliche Aufregung ließ mich innehalten.

Den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich woher sie kam. Doch schnell wurde es mir klar.

Was mir bis eben nicht klar gewesen war, war meine Hand an ihrer Stirn, die vorher minutenlang an ihrem Pony zu Gange gewesen war.

„Stimmt“, schaffte ich es mein Grinsen aufrecht zu erhalten, als ich meine Hand von ihrer Schläfe nahm. Sicher war auch ihr bewusst gewesen, dass ich eine Grenze überschritten hatte, die ich selber hatte aufgebaut: „Verzeih mir, ich vergaß.“

Ich hatte meine Distanz vergessen.

Ich war ihr wieder einen Schritt nähergekommen, ohne es auch nur zu bemerken.

„Sag, Skyler“, ich nahm mein Gesicht zurück. Gegen meinen eigenen inneren Widerstand stellte ich die Distanz wieder her. Damit es nicht so gezwungen aussah, wie es sich anfühlte, lehnte ich mich auf meine Schaufel und überkreuzte legere meine Beine: „Was möchtest du hier? Kehehehe! Du bist doch sicher nicht hergekommen um mir beim Graben zu zuschauen.“

Sie schaute mir ein paar Sekunden in die Augen.

Ihr Gesichtsausdruck war gebeutelt und sah traurig aus.

Ich weiß nicht, ob ich sagen konnte, ich könnte mir es jetzt erlauben. Ich wusste nicht ob‚erlauben‘ das rechte Wort war. Doch seitdem ich Skylers und Ambers gestrige Konversation so manierlos belauscht hatte glaubte ich sie wolle nicht, dass ich mich distanzierte.

Ich wollte es auch nicht.

Der fixe Gedanke es einfach nicht zu tun huschte durch meinen Kopf.

Es einfach nicht zu tun, wie ich alles einfach nicht tat, was ich nicht tun wollte.

Doch ihr trauriger Gesichtsausdruck verscheuchte diesen Gedanken so schnell wie er gekommen war.

‚Sagen wir einfach, dass das Vieh das kleinere Problem ist...‘

‚Sky, wie lange hältst du die Situation noch durch? Nachdem du Grell gesehen hast oder gestern am Fenster, du warst weiß wie ein Gespenst. Ich mache mir Sorgen um dich.‘

Ich machte mir wie Amy Sorgen um sie.

Freitag.

Sonntag.

Gestern Nacht.

Sie vertrug mich nicht.

Ich tat ihr nicht gut.

Hatte ich sonst nicht das geringste Problem nur und ausschließlich an mich zu denken… Mein Bedürfnis nach ihrer Nähe auf ihre Kosten frönen konnte ich nicht.

Ich konnte es nicht.

„N-Nein“, weckte mich ihre zögerliche Stimme schließlich aus meinen Gedanken: „Ich war nur verwundert, dass hier jemand buddelt… Ich meine… Man hebt Gräber doch nicht mehr per Hand aus, oder?“

Ich kicherte kurz auf, wollte so normal klingen wie irgend möglich. Und um für meine Verhältnisse so normal wie möglich zu sein musste ich lachen und kichern, amüsiert und heiter wirken.

Mir war nicht nach Kichern und Lachen.

Ich war nicht amüsiert und heiter.

Mir machten diese ganzen Situationen, diese ganzen Zustände nicht im Geringsten Spaß.

Doch abgesehen von der Tatsache, dass alle diese Wahrheiten Skyler unendlich belasten und sicherlich wieder ein schlechtes Gewissen anhängen würden, wollte ich nicht, dass sie sie kannte.

Ich wollte nicht, dass irgendjemand wusste, dass es mir überhaupt so gehen konnte.

Ich wollte nicht, dass diese Gefühle existieren.

Sie gehörten in die Brühe.

Und in mein Gesicht gehörte ein Lächeln.

Weil es immer so war.

Weil nicht meine Death Scythe und nicht meine Erfahrung, nicht mein Training und nicht meine Routine meine stärkste Waffe war.

Meine stärkste Waffe war die Tatsache, dass man mich nicht einschätzen konnte.

Es war die Verwirrtheit und Verstörtheit.

Die Perplexität und der Moment, den mein Gegenüber zum Sammeln brauchte.

Der mir Zeit gab einen Schritt voraus zu bleiben.

Es war der Unglaube und die Empörung.

Mein nichtmehr zu wertender Gesichtsausdruck.

Das Missbrauchen von etwas, dass Menschen hoch und heilig waren:

Fröhlichkeit.

Spaß.

Dahinter konnte niemand schauen.

In die Brühe, die in ihrer Kiste vor sich hin schwelte.

„Kihihi. Nein“, sprach ich schließlich auf: „Aber ich habe meinen Spaß daran.“

„Okaaay“, machte Skyler langgezogen und ein verunglücktes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht: „Jedem das Seine.“

„Was treibt dich also eigentlich hierher?“, hielt ich das Thema bei ihr.

Sie war auch bei weitem interessanter und wichtiger, als ich.

„Ich… Ich wollte ein bisschen Zeichnen...“

Diese Aussage klingelte in meinen Ohren.

Sie gab mir einen Anlass die Situation zu beenden, die sich einfach nicht gut anfühlte.

Sicher für beide nicht.

Ich ließ meinen Kopf zur Seite fallen: „Ehehe. Dann tue dies.“

„Aber… Naja, ich hab dich jetzt getroffen und ich kann dich ja nicht einfach...“

„Nah, tihihi!“, unterbrach ich sie und ihren Hang zur Höflichkeit: „Mache dir keine Gedanken um mich. Ich sagte dir schon letztes Mal, dass du auf mich keine Rücksicht nehmen musst.“

„Aber...“

„Ich bin hier eh noch beschäftigt“, unterbrach ich sie ein zweites Mal: „Fu fu fu. 20 Zentimeter fehlen mir noch. Also tue doch einfach so, als würde ich hier gar nicht herumstreunen.“

„Aber...“

„Skyler“, ich zog meine Schaufel aus dem Boden, um sie als stummes Argument zu benutzen. Diese Situation sollte enden: „Ehehe. Gehe ruhig Zeichnen.“

Der Ausdruck ins Skys Augen kippte noch mehr.

„Ok...“, sie stand auf und drehte sich ab: „Dann bis morgen...“

‚Wehre dich nicht dagegen‘, ich schaute ihr eine Weile hinterher, obwohl sie schnell zu einem verschwommenen Fleck geworden war: ‚Sei sauer auf mich‘, ich seufzte und stieß meine Schaufel in die Erde: ‚Hasse mich.‘
 

Eine halbe Stunde später war ich mit dem Grab fertig. Ich stellte noch den Grabstein auf und bereitete dann die Kapelle vor.

Ich blieb kurz auf meiner Leiter sitzen und beschaute den schwarz geschmückten Altar.

Doch meine Gedanken hingen weniger an der bevorstehenden Beerdigung, als mehr an Skylers Ausdruck in den Augen, als sie aufgab mit mir zu sprechen.

Ich seufzte.

Ich konnte nur hoffen, dass der Gedanke der Unmöglichkeit mit mir ein anständiges Gespräch zu führen, ihr selbst half mehr Abstand zu gewinnen.

Und den Plan niederzulegen dagegen anzugehen.

Wie ich mich gegenüber ihren angestrebten Bemühungen fühlte war zwiegespalten.

Einerseits machte es alles für mich nur noch viel schwerer.

Machte es meinen Egoismus leichter, mir in die Gedanken zu schlüpfen.

Andererseits… bedeutete es mir nicht gerade wenig, dass sie augenscheinlich in meiner Nähe bleiben wollte.

Ich sprang von meiner Leiter, bevor ich weiter darüber nachdenken konnte.

Alles wieder in meinem Auto verstaut fuhr ich Heim.

Dort sortierte ich Bruchpilot Merkenau aus einem meiner Regale, wo er in einer misslichen Lage und sicherlich anders als geplant gelandet war. Ich setzte ihn abermals auf den Parkplatz hinterm Haus und kehrte dann die Porzellanscherben einer durch den Raben verunglückten Vase von 1860 zusammen.

Danach griff ich meinen Telefonhörer und telefonierte mit Grell.

Er hatte gerade Feierabend – nach etlichen Überstunden - und klang nicht begeistert, ließ sich aber überreden mich am Eingang des Archives zutreffen.

Wir beschlossen William außen vor zu lassen, um die Angelegenheit unbürokratischer und vor allem schneller hinter uns zu bringen.

Wachhund William war schließlich nicht gerade dafür bekannt die Dinge einfacher zu gestalten.

Als ich den großen Schritt in die Bibliothek der Sensenmänner machte, war es geschäftig wie eh und je. Ich ging ein Stück mit dem Strom, so selbstverständlich, dass es schon dreist war und bog schließlich in die Treppe Richtung Keller.

Vor der alten Türe stand Grell mit einer Tasse in der Hand.

„Kaffee am Abend?“, grinste ich.

„Bürodienst, 13 Stunden… William“, ächzte Grell und trank einen tiefen Schluck: „Ich hab vergessen, ob ich Männlein oder Weiblein bin…“

„Einer Tatsache, der du dir ja generell so unumstößlich sicher bist“, kicherte ich fies.

„DU KANNST MICH MAL!“, Grell war wieder wach und warf mir seine halb volle Tasse an den Kopf.

Ich erlag einen kleinen Lachanfall, dann zog ich meinen Schlüssel aus der Hosentasche: „Hängt bei euch immer noch der Haussegen schief?“

Grell winkte ab: „Der Haussegen ist mit Pauken und Trompeten untergegangen“, er stemmte eine Hand in die Hüfte und fuhr sich durch die Haare: „Glaube mir, du willst keine Details…“

„Stimmt“, schloss ich die Türe auf.

„Aber der Kerl ist so zum Kotzen!“, ich hatte mir generell keine Hoffnungen gemacht von Details verschont zu bleiben: „Setzt mich an einen Schreibtisch! 13-Stunden-lang! Mit nur einer Stunde Pause! ‚Tu dies‘, ‚Mach das‘, ‚Konzentrier dich‘. Ja, wie denn?! Mir schwirrt der Kopf! Und der Kerl erzählt mir nur was von wegen ‚mangelnder Arbeitsmoral‘! Der kann froh sein, dass es mir nicht an Selbstbeherrschung mangelt!“, ich hob den Zeigefinger, doch Grell ließ mich nicht zu Wort kommen: „Verkneif es dir! Einfach mal die Fresse halten!“, ich nahm meinen Zeigefinger wieder hinunter und legte dann meine Hand amüsiert an mein Kinn.

Grell drehte derweilen seinen Zeigefinger mit in die Hüfte gestemmter Hand durch die Luft:„Ich habe geschuftet wie ein Tier und der erzählt mir was von wegen, ich würde mir keine Mühe geben. Nach 8 Stunden wollte ich Feierabend machen und er erklärt mir, ich könne erst gehen, wenn ich fertig bin! Warum tu‘ ich mir den eigentlich an?! Der hat nur schlechte Laune, ist nur am Meckern, hat den Humor eines überfahrenden Wiesels und genauso viel Pepp!“

„Grell“, ich verschränkte kichernd die Arme: „Nihihihihi! Wenn ich dich in einen Raum bitten würde, meine Death Scythe in der Hand, und sowohl Sebastian als auch William dort an eine Wand gekettet hätte. Wenn ich dich fragen würde, wer von den Beiden leben und wer sterben soll, wen würdest du wählen?“

Grell schaute mich mit großen Augen an. Er schien verstört, doch gleichzeitig über das was ich sagte nachzudenken.

„Erstmal“, sagte er schließlich: „Müsstest du die Beiden kriegen.“

Mein Grinsen wurde weiter: „Denkst du, das wäre das Problem?“

„Ganz von schlechten Eltern sind die Beiden jetzt nicht.“

„Fu hu hu hu! Soll ich es ausprobieren? Kehehehe! Ich habe kein Problem damit aus theoretisch praktisch zu machen, liebster Grell.“

„Himmel Herrgott, nein!“, Grell wedelte mit den Händen: „Die hängen sicher nicht unbeschadet an der Wand!“

Ich grinste noch weiter: „Wahrscheinlich nicht.“

Grell winkte mit einer Hand ab: „Lass es. Lass es. Theorie. Theorie ist gut“, er verschränkte die Arme und seufzte: „…William…“

„Warum?“

„Weil“, Grell schaute mich an und dann zu Boden.

„Du musst es mir nicht sagen“, ich drehte mich ab: „Ki hi hi hi. Es reicht, wenn es dir selbst bewusst geworden ist.“

„Du hast eine sehr komische Art zu helfen“, klang diese Aussage nur halb wie eine Beschwerde.

Ich legte meine Hand an die Klinke: „War sie nicht hilfreich?“

„Doch“, seufzte Grell müde.

„Na, siehst du“, öffnete ich die Türe.

Grell betrat das stockfinstere Archiv nach mir: „Wie kannst du anderen helfen, wenn du selber gerade Hals über Kopf in Problemen hängst?“

Ich kicherte und schnipste. Die Kerzen gingen an: „Dasselbe könnte ich dich fragen, oder nicht? Es ist erfrischend über etwas anderes nachzudenken.“

„Gibt es von deiner Front etwas Neues?“

Ich drehte mich zu Grell: „Hast du gerade tatsächlich den Kopf dafür? Nach 13 Stunden Bürodienst unter Williams strengen Augen?“

„Du hast mir auch geholfen. Wie viel hast du die vergangene Woche geschlafen, Undertaker?“

„Ein paar Stunden, aber ich schlafe generell nicht viel. Ke he he he!“

„Naja, ein bisschen schon“, zog Grell eine Augenbraue hoch.

„Sollten wir uns nicht auf das Wesentliche konzentrieren?“, ich deutete auf die mit Papier vollgestopften Regale, nicht im Mindesten dazu geneigt Grell weitere Auskunft über meineSituation zugeben: „Ansonsten wird das hier mehr als eine 13 Stunden Schicht. Ahehehehehehe!“

Grell schaute sich um: „Touché, mon cher… Doch wo sollen wir anfangen?“

Ich verschränkte die Arme: „Eine sehr gute Frage.“

„Du hast dir darüber keine Gedanken gemacht?!“

„Nein“, grinste ich ihn an: „Ich habe schließlich keine Ahnung wonach wir suchen!“

Grell versteckte das Gesicht in seinen Händen: „Ich werde sterben…“

„Ich würde vorschlagen wir schauen bei G!“

Grell schaute aus seinen Händen auf: „Bei G?“

„Ja“, ich ging zu den Regalen: „Tihihihihi! Bei G, wie ‚Geister‘!“

Ich hörte wie Grell hinter mir seine Hand vor die Stirn schlug.
 

Nach sechs Stunden buddelte sich Grell aus einem Berg Papier: „Undertaker, bitte. Wir finden nichts!“, er schaute mir verzweifelnd ins Gesicht: „Ich kann nicht mehr lesen. Bitte. Lass uns aufhören, oder bringe mich einfach direkt um!“

Ich blätterte in dem Notizblock von Minagawa Akitsune - einen der anderen 10 Ersten - eine Seite weiter: „Warum so todessehnsüchtig?“

„19 Stunden…“, Grell fiel auf den Rücken. Einige Blätter stoben auf: „Papier! Ich will ins Bett! ...Und Urlaub…“

Ich schaute von meinem Bericht auf: „Hast du Urlaub?“

„Bist du zurechnungsfähig?“

„Eh he he! Dann musst du ja morgen früh raus.“

Grell setzte sich wieder auf: „Blitzmerker!“

Ich klappte den Bericht zu und schob ihn zurück: „Dann lassen wir es gut sein.“

Ich stand auf, streckte Grell meine Hand hin und zog ihn auf die Beine.

„Wo gehst du jetzt hin?“ fragte er, als ich die Türe wieder abgeschlossen hatte.

Ich schaute ihn an.

„Das ist so tragisch“, dann quietschte er und wackelte mit der Hüfte: „Und irgendwie so romantisch!“, dann wurde er wieder ernster und seufzte: „Doch Shakespeare sollte auf dem Papier bleiben, findest du nicht?“

Ich schaute ihn an und öffnete ein Portal in die Menschenwelt, welches mich auf eine kleine Fensterbank und nicht in meinen Laden führte: „Sorge dich lieber um dich selbst.“

Grell verschränkte die Arme: „Undertaker, du bist Migräne in Person.“
 

Es war schon spät, als ich mit aufgezogener Brille vor Skylers Fenster angekommen war.

Die Uhr ihres digitalen Weckers zeigte 01:27 Uhr.

Es war dieselbe Szenerie wie die Nächte davor.

Sie drehte und warf sich hin und her. Zuckte verzweifelt geschüttelt von ihren Alpträumen.

Und wieder kam ich gegen meinen inneren Drang nicht an.

Ich öffnete ihr Fenster mit einem Tippen gegen das Schloss und sprang lautlos hinein.

Mit einem seichten Seufzen setzte ich mich neben sie: „Armes Ding…“

Ich streichelte zaghaft ihre Wange.

Nein!!

Als Skyler mit einem Keuchen die Augen aufriss zog ich hastig meine Hand zurück. Mit einem Satz war ich über den Schreibtisch und aus dem Fenster.

Ich schaute auf Skyler, die in ihrem Bett lag und an die Decke starrte. Eine Brise wehte über meinen Rücken durch das offene Fenster vor mir.

Plötzlich sprang Sky in den Sitz und schaute auf das Fenster: „Was?!“

Ich beugte mich ein Stück in den Fensterrahmen um ihr Gesicht besser sehen zu können. In diesem Moment hüpfte sie aus dem Bett: „Warum ist das scheiß Ding schon wieder auf?!“

Die Brünette schmetterte das Fenster zu.

In ihrer recht frustriert klingenden Rage hörte sie das gläserne ‚Plong‘ wohl nicht, was meine Nase, wie Stirn auf der Glasscheibe machte, die ich frontal ins Gesicht bekam, da ich ein wenig überrascht über Skylers lauten Ausbruch meinen Kopf noch nicht zurückgezogen hatte. Ich machte eine unfreiwillige Rückwärtsrolle und rasselte über die kleine Steinmauer der Fensterbank. Im letzten Moment hielt ich mich mit einer Hand daran fest und stürzte so nicht wieder komplett ab.

„Hey, jey, jey…“, ich rieb meine Nase, als ich mir die stumme Frage verkniff womit ich das verdient hätte…

Der Aufprall des Fensters noch in den Ohren klingelnd, hörte ich Sky in ihrem Zimmer. Sie war auch wirklich nicht zu überhören: „Ich hab keinen Bock mehr!“, es krachte einmal laut und ich war nicht unglücklich nicht zu wissen wieso: „Au! FUCK!“

Es klang auf jeden Fall schmerzhaft…

„Das gibt‘s doch nicht! Scheiße, man!“

Verübeln konnte man der jungen Frau ihre angeschlagene schlechte Laune wirklich nicht.

„Was ist denn hier los?“, es verwunderte mich nicht, dass Amy in ihrem Zimmer auftauchte: „Was tust du da? Wir haben halb 2 Nachts und du reißt die Bude ab. Geht‘s noch? Ich hatte endlich mal geschlafen.“

Es verwunderte mich auch nicht, dass sie es nicht mit bester Laune tat.

„Sorry, Amy. Ich hab die Beherrschung verloren“, seufzte Sky angestrengt.

„Ja, das hab ich bemerkt“, hörte ich wieder die Adelstochter: „Was hast du gemacht?“

„Ich hab mein Fenster zu gemacht...“

„Warum steht es dann offen?“

„...Weil es nicht zu gegangen ist...“

Schließlich war ja auch meine Nase im Weg gewesen.

„Und warum hüpfst du hier rum wie Pinocchio nach einem Besuch im Sägewerk?“

„Ich hab vor den Stuhl getreten...“

„Barfuß?“

„...Ja...“

Ich fuhr mir müde durch den Pony. Es schmerzte mir, dass alles - die Umstände, ich und dieses komische Wesen - ihr im Moment so übel mitspielten. Dass sie so frustriert war, dass sie die Fassung verlor und sich weh tat.

„Tat das nicht weh?“

„...Ja...“

Unter normalen Umständen hätte ich mich wahrscheinlich durch ein lautes Lachen sofort verraten.

Doch nach Lachen war mir immer noch nicht zumute.

Ich hing nur mit einer Hand an der kleinen Fensterbank und hoffte, dass es der schönen jungen Skyler bald wieder besser gehen würde.

Seelisch wie körperlich.

Ich blieb immer wieder kurz an dem Gefühl hängen, dass ihre Stirn viel zu warm gewesen war.

„Hach, Sky“, Amy klang verständnisvoll seicht, wie müde: „Traum oder Bestatter?“

Diese Frage weckte mich aus meinen Gedanken. Ich zog mich wieder auf die Fensterbank.

Skyler schaute betreten zu Boden: „Traum Auslöser, Bestatter Grund...“

Ich konnte mir ein Seufzen im letzten Moment abringen.

Amy setzte sich auf Skylers Bett: „Ich bleib dabei. Schlag ihn. Feste.“

‚Schon passiert…‘, ich rümpfte meine Nase.

„Er geht mir aus dem Weg...“

„Er ist ein Trottel“, betonte Amber das Offensichtliche. Doch sie hatte vollkommen Recht. Sie wuschelte Sky liebevoll durch die Haare: „Schlaf noch etwas.“

„Ich habe keine Lust mehr zu schlafen...“

Auch das konnte man ihr nicht verübeln.

„Aber du musst es tun.“

Und auch das war vollkommen richtig.

Skyler erkannte dies mit einem kleinen Nicken: „Ich weiß...“

Die Mädchen wünschten sich eine gute Nacht, Skyler schloss ihr Fenster dieses Mal ohne mich damit zu schlagen und krabbelte zurück in ihr Bett.

Ich blieb bis die leuchtend roten Lettern 05:09 Uhr zeigten und die ersten Sonnenstrahlen gemächlich durch den zugezogenen Nachthimmel sickerten. Dann verschwand ich in meinen Laden.
 

Ich machte mich daran einen weiteren Sarg zu bauen.

Wie auch beim Gräber ausheben bediente ich mich auch hier lediglich meiner Hände und ein bisschen Werkzeug, aber keiner Maschinen. Was man mit eigenen Händen schafft ist persönlich. Umso weniger maschineller Einsatz, umso persönlicher wurde es.

Ich verbrachte so meinen Morgen, war allerdings nicht wirklich von meinen Gedanken abgelenkt. Sie schwelten nur unterschwelliger in meinem Kopf.

Nach ein paar Stunden war es Zeit meinen Gast seine allerletzte Reise antreten zu lassen.

Ich schob ihn in meinen Wagen und fuhr zum River Thames Cemetery.

Auch diese Beerdigung ging sehr spurlos an mir vorbei.

Ich hatte das Gefühl mehr mechanisch, als mit Leidenschaft zu arbeiten.

Dabei war Leidenschaft bei der Arbeit so wichtig.

Nach knappen 2 ½ Stunden verabschiedete sich die Trauergemeinschaft zum Leichenschmaus.

Ich schüttete das Grab zu und war um 13 Uhr wieder in meinen Laden eingekehrt. Merkenau traf ich auf dem Parkplatz nicht. Sicherlich war der kleine Vogel dabei ein bisschen die Welt zu erkunden, jetzt wo er einigermaßen fliegen konnte. Ich stellte ihm eine Schale mit ein paar klein gebrochenen Keksen auf einen der auf meinem Hinterhofstehenden Grabsteine.

Dann setzte ich mich mit einem Messbecher Tee an meinen Tresen. Ich beschwor meinen Terminkalender, der allerdings keine dringenden Arbeiten mehr für mich im Petto hatte. Ein Gast mehr war nun unter der Erde und für den anderen hatte ich noch keinen Beerdigungstermin mit den Behörden ausgemacht. Ich spielte kurz mit den Gedanken es jetzt zu tun, doch legte ich ihn wieder ad acta. Nach lähmender Bürokratie stand mir nie der Sinn, doch im Moment noch weniger als sonst.

Ich warf einen halbherzigen Blick auf mein Handy, welches immer mal wieder in meiner Hosentasche kurz vibrierte und vibriert hatte.

Es war das Übliche. Recht belangloses in und her Geschriebenes wie schon Mittwoch und gestern. Doch war es schön zu sehen, dass das Leben bei den Anderen wohl normal und relativ problemlos seinen Gang nahm.

Ich steckte es zurück, legte meine Füße auf den Tresen und schloss die Augen.

Ich lauschte ein wenig der Ruhe in meinem Laden. Hörte ganz in der Ferne das Rauschen der Autos auf der ein paar Gassen entfernten Hauptstraße.

Ich konzentrierte mich auf das distanzierte Rauschen und versuchte es im Vordergrund meiner Gedanken zu halten. Und nach ein paar Minuten driftete all das bittere tatsächlich immer und immer ein Stück mehr in den Hinterkopf.

Ich rutschte in eine meditative Art von Stille.

Langsam breitete sich ein warmes müdes Gefühl in meinem Körper aus und vertrieb das Gefühl aus Händen und Füßen…

… dann vibrierte es in meiner Hosentasche und zog mich abrupt zurück in die wache Welt.

Mein Kopf zuckte hoch und ich seufzte genervt.

Warum sollte ich auch etwas mehr als 5 Minuten wirklich meine Ruhe finden?

Mit der Intension das Ding in den Tiefen einer meiner Schubladen verschwinden zu lassen, zog ich mein Handy aus der Tasche. Doch auf dem Display leuchtete gar nicht der Chat der Aristokraten, sondern ein grünes Symbol mit einem weißen Hörer und daneben der Name >Grell<.

Ich zog eine Augenbraue hoch und öffnete den Chat entgegen meiner eigentlichen Absicht, schon ein wenig neugierig:

– Grell [13.11.15; 13:19] Ich hasse dich! –

Meine Augenbraue wanderte höher, doch ich konnte ein leises Lachen nicht aufhalten: – Undertaker [13.11.15; 13:19] Hehe! So müde? –

– Grell [13.11.15; 13:19] Das ist voll nicht lustig! –

– Undertaker [13.11.15; 13:20] Das ist eine Frage der Perspektive. –

– Grell [13.11.15; 13:20] Schieb‘ dir deine Perspektive dahin wo nie die Sonne scheint! –

Das darauffolgende Lachen war etwas lauter. Auch, weil ich mir den Grund für Grells schlechte Laune nur allzu gut vorstellen konnte. Oder eher die Gründe:

– Undertaker [13.11.15; 13:21] Was hat William dir wieder angetan? –

– Grell [13.11.15; 13:21] Ist egal!!!! –

Verwunderung erschien in meinem Gesicht.

– Grell [13.11.15; 13:21] Wenn du immer noch das Bedürfnis hast ihn an die Wand zu ketten, bitte tu es! UND TRITT BITTE VON MIR NOCHMAL NACH!!! –

Ich blinzelte:

– Undertaker [13.11.15; 13:22] Ich wusste immer du bist die Königin des plötzlichen Sinneswandels, aber woher kommt dieser so unvorhergesehen? –

Ich kannte Grell gut genug, um zu wissen, dass seine Nachricht er hasse mich eigentlich die Bitte nach einem offenen Ohr war.

– Grell [13.11.15; 13:22] Ich war ihm nicht ‚produktiv‘ genug… –

– Undertaker [13.11.15; 13:22] Das heißt? –

– Grell [13.11.15; 13:22] Ich darf nicht in den Außendienst… Für 3 Wochen!!! –

Ich seufzte tief.

Der strenge Sensenmann und ich schienen uns zumindest in einer Sache sehr sehr ähnlich zu sein: Totale Inkompetenz in Sachen Liebe.

Nur bewies William darin um ein Vielfaches mehr Ausdauer.

Hatte ich nach ein paar Tagen schon vollkommen keine Lust mehr auf gesteigertes Gefühlschaos, schaffte er es nun seit ziemlich genau 220 Jahren sich in diesem Feld zu benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen… der nie laufen gelernt hatte…

Diesen Hang zur Selbstfolter verstand ich nicht, vor allem da Grell alles andere tat, als William für sich als vollkommen ungeeignet zu sehen und dies auch noch jedem erzählte, der es hören wollte oder auch nicht.

So unlogisch es auch klang, sich auf jemanden einzulassen ist eine emotionale und kognitive Leistung. Die Meisten meistern das recht intuitiv.

Doch gab es Wesen, die diese Intuition nicht oder anders hatten.

Für diese Wesen war es eine Überwindung und Schwerstarbeit sondergleichen schon lockere und platonische Beziehungen aufzubauen…

Ich schüttelte nochmal den Kopf und schaute zurück auf mein Handy.

Ich war 2 Minuten in meinen Gedanken versackt. Geschrieben hatte Grell nichts, aber ich sah oben in der grünen Zeile er sei ‚Online‘, was laut Fred wohl so etwas wie ‚immer noch da‘ bedeutete. Grell wartete also wohl auf eine Antwort meinerseits:

– Undertaker [13.11.15; 13:24] Und warum? –

– Grell [13.11.15; 13:24] Ich war auf meiner Runde in London unterwegs –, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen und bestätigte mir, dass Grell gewartet hatte: – Grell [13.11.15; 13:24] 2 Seelen geholt, alles super, alles gut, greift mich dieses ARSCHLOCH von hinten an! –

Mein Kopf zuckte hoch:

– Undertaker [13.11.15; 13:25] Wer hat dich angegriffen? –

– Grell [13.11.15; 13:25] Claude! Mit seinem beschissenen Schwert! Hat mir den halben Arm aufgerissen! Ich seh‘ aus wie eine Mumie. Othello war zwar nicht in seinem Labor, aber ein anderer Wissenschaftler hat gesagt es braucht zum Heilen mindestens 2 Wochen! –

Meine Augenbraue wanderte wieder nach oben.

Grells Verletzung braucht zum Verheilen ca. 2 Wochen und er bekommt von William 3 Wochen Schreibtischdienst?

– Undertaker [13.11.15; 13:25] Ich glaube unter diesen Umständen nicht, dass der Schreibtischdienst eine Strafe ist. –

– Grell [13.11.15; 13:25] Was soll es denn sonst sein?!­–

Ich schüttelte lachend den Kopf.

Kurz bewegte ich die Finger meiner rechten Hand, um ein paar Verspannungen aufgrund der ungewohnten tippenden Bewegungen loszuwerden:

– Undertaker [13.11.15; 13:26] Wie lang braucht deine Wunde um zu heilen? –

– Grell [13.11.15; 13:26] 2 Wochen! Wenn ich Glück habe! –

– Undertaker [13.11.15; 13:26] Und wie lange hast du Schreibtischdienst? –

– Grell [13.11.15; 13:26] 3 Wochen! –

– Undertaker [13.11.15; 13:26] Jetzt vergleiche und denke scharf nach. –

– Grell [13.11.15; 13:26] Was gibt es da zu vergleichen?! –

Ich lachte wieder auf. Wenn Grell einmal auf 180 war, brauchte er immer ein bisschen zum Nachdenken:

– Undertaker [13.11.15; 13:27] Tu‘ es einfach und schneid dich nicht, hehe! –

– Grell [13.11.15; 13:27] … –

– Grell [13.11.15; 13:27] … Oh mein Gott! –

– Undertaker [13.11.15; 13:27] Höre ich da einen Groschen fallen? –

– Grell [13.11.15; 13:27] AAAHHHH! William ist so ein süßer Schnuffel! ~♥–

– Undertaker [13.11.15; 13:28] Wenn man weiß wie man ihn lesen muss, hehehe. –

– Grell [13.11.15; 13:28] Oh, das nächste Mal wenn wir uns sehen gib ich dir einen dicken Bussy! Aber jetzt muss ich zu meinem Willi-Liebling! –

– Undertaker [13.11.15; 13:29] Moment. Sage mir noch was Claude von dir wollte. –

Doch der rote Reaper war schon aus dem Chat verschwunden und lief jetzt wahrscheinlich lärmend, wie Herzchen versprühend durch die Gänge des Grim Reaper Dispatchs.
 

Als ich den Tee ausgetrunken hatte, hatte ich wider jeder Lust einen Bestattungstermin mit den Behörden ausgemacht. Wenigstens war das Gespräch für mich einigermaßen amüsant gewesen, der gute Herr am anderen Ende schien allerdings recht erleichtert, als er auflegen konnte. Ich hatte den Termin 1 ½ Wochen nach hinten geschoben, schließlich wollte ich den Earl die Gelegenheit geben seinen Weg zu mir zu finden.

Ich hatte meinen Gast trotzdem schon einmal einbalsamiert. Er würde weder jünger noch frischer werden, mit jedem Tag den der Earl brauchen wird.

Das Gesicht, so hatte ich es auch den Beamten am anderen Ende der Leitung erklärt, war selbstredend ein Totalschaden bei dem auch der beste Thanatopraktiker an seine Grenzen stieß. Eine Totenmaske, die nicht existierte, konnte auch nicht wiederhergestellt werden. Ich fragte mich allerdings durch wen und warum sein Gesicht nun so nichtexistent war.

Ich entschied mich auch das Gehirn zu sezieren.

Vielleicht war es erst zu entnehmen gedacht gewesen, war aber aufgrund einer krankhaften Veränderung im Nachhinein ausgeschieden.

Doch ich fand nichts.

Waren die Innereien meines Gastes allesamt in einen von Drogen und Alkohol recht schlechten Zustand gewesen, war sein Gehirn davon noch weitestgehend verschont geblieben. Doch fand ich eine recht tiefe Kuhle mittig zwischen den Gehirnhälften, welche definitiv nicht natürlich oder durch die Drogen entstanden war.

Da musste jemand Hand angelegt haben.

Eine Hand, die verstand was sie tat.

Doch warum vermochte ich spontan nicht zu sagen.

Ich legte das Gehirn ein und stellte es in mein Regal.

Nach einem Blick auf meine Uhr fiel mir auf, dass ich es tatsächlich fast 4 Stunden geschafft hatte mich zu beschäftigen und abzulenken.

Vielleicht bestand für meinen Geisteszustand doch noch irgend so etwas wie Hoffnung.

Doch hieß dies auch ich war für meine tägliche Stippvisite spät dran.

Allerdings hatte ich auch nicht viel Neues zu vermelden. Die letzte durchgearbeitete Nacht hatte Grell und mich nicht zu Ergebnissen geführt und wir waren genau so schlau – oder eher rat- und ahnungslos – wie vorher.

Trotzdem endete ich vor dem Fenster der Mädchen.

Getroffen hatte ich in der Stube aber nur eine einsame Amber: „Tihihi! Madam Phantomhive?“

Amy drehte sich von ihrem Buch zu dem geöffneten Fenster: „Moin Undertaker.“

„Wie geht es euch, Amy?“, lächelte ich ihr durch meinen Pony entgegen.

Sie legte das Buch zu Seite, stand auf und kam an das Fenster: „Müde. Beide. Müde und an der Grenze zum totalen Wahnsinn.“

Ich verzog eine Schnute: „Naaah, wie unschön.“

„Unschön ist ein sehr dezentes Wort“, Amy seufzte: „Total Scheiße beschreibt es besser… Bitte sag mir du hast was.“

Ich schüttelte den Kopf: „So gern ich dir anders antworten würde, dem ist nicht so.“

„Habt ihr noch nicht mal einen Ansatzpunkt gefunden?“

Ich schüttelte wieder den Kopf: „Nein, wir sind nicht weitergekommen.“

Sie fuhr sich durch die Haare: „Ich werde noch verrückt… Und Sky auch…“

Nach letzter Nacht glaubte ich ihr dies ohne zu zögern: „Ihr seid zwei starke, junge Frauen, Amber. Haltet euch aneinander fest und gegenseitig über Wasser. Ich bringe das in Ordnung, versprochen.“

Amy schaute mich eine Weile an: „So wie du dich gerade verhältst?“

Ich zog unter meinem Pony die Augenbrauen zusammen: „Wie meinen?“

Doch die Phantomhive schüttelte den schwarzen Schopf: „Egal. Ich weiß, dass du herausfinden wirst was los ist. Sky und ich fahren übers Wochenende eh zu mir. Vielleicht hält Sebastians Präsenz das Wesen von uns fern. Dad hat ihm befohlen dafür die Kette abzulegen.“

„Kein dummer Gedanke“, pflichtete ich bei.

Das Wesen war zwar das erste Mal aufgetaucht während die gesamte Bagage an übernatürlichen und nicht-menschlichem in ihrem Wohnzimmer gesessen hatte, doch waren unsere Präsenzen durch die Ketten wohl versteckt gewesen. Sie abzuziehen könnte das Wesen eventuell wirklich fernhalten: „Ist es noch einmal aufgetaucht?“

Amy schüttelte den Kopf.

Meiner zuckte hoch, als ich die Türe aufgehen hörte.

Ich fühlte mich müde und hatte einfach keine Lust auf die angespannte Atmosphäre, die zwischen mir und der jungen Brünetten herrschte, die gerade durch die Wohnungstür gekommen war.

„Nun denn“, grinste ich: „Wir sehen uns dann morgen im Manor.“

„Bye“, machte Amy kopfschüttelnd.

Als ich über die Dächer verschwand ließ mich das Gefühl nicht los, dieses Kopfschütteln wollte mir etwas sagen.

Mich ließ das Gefühl nicht los, als habe es etwas mit der kurzen Anmerkung meines Verhaltens zu tun.

Ich blieb auf einem 4-stöckigen Haus stehen und drehte mich in Richtung Weston Ladys.

Ich war mir sicher Amy wusste in Bezug auf Skyler mehr als ich und ich war mir sicher sie wollte mir auf diese Weise etwas zu verstehen geben.

Doch mit einem Seufzen stellte ich fest, dass ich zu unzulänglich war um sie zu verstehen.

Resigniert drehte ich mich ab und ging nach Hause.
 

In meinem Laden angekommen ließ mich dieses Gefühl nicht zu Ruhe kommen.

Es hatte alle Ablenkung zunichte gemacht.

Alles was ich nicht fühlen wollte, war nun so präsent wie vorher, erweitert um den Gedanken etwas Wichtiges aus Amys Betragen und Worten nicht erfassen zu können.

Es war klar, dass sie mit dem Kommentar über mein ‚Verhalten‘ auf mein Verhalten gegenüber Skyler anspielte und das nachdem ich sagte ich würde alles in Ordnung bringen.

Wollte sie mir damit sagen, dass ich für Skyler gar nichts in Ordnung brachte?

Nun, wenn sie in meiner Nähe bleiben wollte, was ein aus allem was ich sah und hörte doch recht logischer Gedankengang geworden ist, war mein Verhalten im ersten Moment für sie sicherlich nicht erbaulich.

Doch ich musste auf lange Sicht denken.

Auf lange Sicht für sie.

Und die sah nun einmal so aus, dass sie irgendwann aufhören würde sich darüber zu grämen und weiter machen wird. Weiterleben wird und ihren Weg gehen wird. Und das ohne von irgendwelchen brutalen Offenbarungen verstört und aus der Bahn geworfen zu werden.

Irgendwann wird sie nicht mehr über mich nachdenken.

Dafür musste ich nur endgültig verschwinden.

Ich verschränkte meine Arme um mir selbst zu verbieten, diesen Gedanken deprimierend zu finden.

Deprimierend deswegen, da mir ein Wort fehlte um dieses endlos kalte Gefühl von Trauer und Widerwillen zu beschreiben.

Doch für sie…

Ein Kratzen und lautes Miauen an meiner Ladentür unterbrach meine Gedanken.

Ich stand auf und ging zu meiner Tür, mich selbst fragend, was eine Katz hier machte.

„Bist du verrückt?“, hörte ich eine Stimme durch meine Türe, die ich wohl erkannte und doch meinen Ohren nicht ganz glauben konnte, wie wollte: „Du kannst doch hier nicht so ein Theater...“

Ich öffnete die Tür…

… und stand vor einer sofort verstummenden Skyler.

Sie hob langsam ihren Kopf, ein kleines verfilztes Kätzchen auf dem Arm.

„Skyler?“, fragte ich immer noch ein wenig zweifelnd, ob meine schlechten Augen durch ein paar Spalten in meinem Pony wirklich richtig sahen.

„Hi“, entgegnete sie langgezogen und zog ein überfordertes Lächeln auf: „Alles klar bei dir?“

Ich wusste nicht warum sie hier war.

Schon wieder!

Ich wusste nicht, warum sie immer wieder zu mir kam, obwohl es sie so anzustrengen schien.

Ich wusste nicht, warum sie immer wieder danach fragte wie es mir ging.

Ich verstand nicht, woher dieses von schlechtem Schlaf gebeutelte und Albträumen geplagte junge Ding die Kraft und die Beharrlichkeit nahm, sich immer wieder willentlich in meine direkte Nähe zu begeben.

Dass wir uns einmal täglich sehen könnten, sei es drum. Das war ein Abkommen, sogar recht unpersönlich, da es nicht Skyler sondern Alex mit mir geschlossen hatte.

Doch Mittwoch war sie schon hierhergekommen.

Gestern auf dem Friedhof muss sie mich gesehen und erkannt haben, bevor sie mich ansprach.

Heute stand sie wieder hier.

Mit jedem Schritt, den ich wegging, lief sie mir 2 hinterher.

Ich wusste nicht wessen Betragen für wen am Ende zermürbender war.

Ich wusste nur, dass es enden musste.

„Wen hast du da?“, ignorierte ich einfach die Frage nach meinem Wohlbefinden, immer noch nicht geneigt irgendjemandem darauf zu antworten und weckte mich selbst aus meinen fruchtlos fragenden Gedanken.

„Äh“, Sky schaute die kleine Katze an, die zu schnurren begann, als Skyler anfing sie zu streicheln. Ein wahrhaft süßes Bild, was die beiden abgaben: „Einen kleinen Streuner wie es scheint“, sie setzte die Kitty ab, welche durch ihre Beine strich: „Ich habe ihr am Mittwoch etwas zu essen gegeben und heute lief sie mir den ganzen Weg hinterher...“

„Mir scheint sie mag dich“, ich war mir fast sicher, die kleine Katze war ihr aus demselben Grund zugetan wie Merkenau.

Sky schaute mich an und legte mit einem etwas besser geratenen Lächeln den Kopf schief: „Meinst du?“

Doch ihr Gesicht wirkte immer noch angestrengt. Es sah durch die tiefen Schatten unter ihren Augen und der fahlen Farbe unbeschreiblich müde und ungesund aus. Ich hatte nicht das Gefühl, sie war in der Lage sich mit mir herum zu plagen: „Skyler, was tust du hier?“

Ihr Lächeln brach ein. Sie schien sich einen Moment sammeln zu müssen: „Also...“

„Ich habe Amy schon alles gesagt was ich weiß“, unterbrach ich den Moment, den sie dafür nutzen wollte in dem Bestreben, dasselbe Spiel mit ihr zu treiben wie gestern: Sie müde zu reden und so zum Gehen zu bewegen.

„Darum geht es nicht“, antwortete sie mir fester als erwartet.

Ich seufzte in der Ahnung, dass es mir ein zweites Mal nicht recht gelingen wird: „Worum dann? Warum kommst du immer wieder hierher?“

Sie ließ ihre Augen zu Boden fallen.

Einige Momente schwieg sie und schien nachzudenken. Dann schaute sie mich wieder an: „Ich… wollte mit dir reden.“

„Skyler...“, wollte ich ansetzen ihr ein weiteres Mal zu sagen, dass es nichts mehr zu besprechen gab.

Nichts.

Es würde kommen wie es kommen musste.

Weil es für sie so kommen musste.

„Warum nennst du mich Skyler?“, sie schüttelte verständnislos ein wenig mit dem Kopf: „Skyler nennt mich Amy nur, wenn sie sauer auf mich ist.“

„Es ist dein Name, oder liege ich falsch?“

„N-Nein.“

„Warum soll ich ihn dann nicht benutzen?“

„Weil...“, sie drückte mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck die Henkel ihrer Stofftasche und ich fühlte mich ein weiteres Mal schlecht sie dazu bringen zu müssen sich so zu fühlen. Doch wie sollte ich sie sonst dazu bringen mir endlich fernzubleiben?

„Du hast vorher auch immer meinen Spitznamen benutzt. Seit meinem ersten Besuch“, fuhr sie trotz allem weiter fort.

„Seit deinem ersten Besuch ist einiges passiert“, warf ich ein.

Ich war mir sehr wohl bewusst, dass was passiert war, gerade passierte und weiter passieren wird für uns beide schmerzlich war.

Ich schloss kurz die Augen, als ich mir ein weiteres Mal bewusst machte, dass es genauso unvermeidlich war.

„Und genau deswegen bin ich hier.“

Ich schüttelte den Kopf. Meinen Egoismus im Zaum zu halten war schwer genug. Diesen ganzen schlechten Gefühlen Herr zu bleiben auch.

Und Skyler machte es so viel schwieriger: „Gehe heim.“

Ich wusste, von dem ersten Moment an wo ernsthaft im Raume stand, sie könnte mich nicht fürchten und bei mir bleiben wollen, wie anstrengend, kräftezehrend und fatal dies sein würde.

Dass ich mir nun sicher war, es ist so, zeigte mir, dass ich keine Vorstellung hatte wie viel von all dem genau.

Ich war unendlich müde.

Ich war unfassbar gestresst und angestrengt.

Und ich hielt die Distanz, die keiner von uns wollte und doch so nötig war, kaum aus.

„Wa...“, ihre Stimme zitterte und vibrierte unangenehm durch meine Ohren: „Warum?“

„Weil alles so gekommen ist, wie es nun mal gekommen ist. Niemand kann daran etwas ändern“, ich öffnete meine Augen wieder und schaute in ihre weit aufgerissenen blauen Augen. Ich sah wie schlecht sie meine Worte vertrug, es schmerzte mir, doch ich musste sie irgendwie dazu bewegen zu gehen.

Ihre Anwesenheit, unter all den Konditionen, sie tat mir weh. 

So griff ich meine Klinke und klang so final wie es mir möglich war: „Kümmere dich um die Dinge, die wirklich wichtig sind. Um deine Schule, Amy. Versuche irgendwie ein wenig zuschlafen oder wenigstens zu rasten. Ich kümmere mich um das Etwas“, ich sah sie an. In diese aufgerissenen traurigen Augen.

Ihr Gesicht…

Dieser Ausdruck…

Ihre Anwesenheit…

Den Wunsch, einfach alles an Distanz aufzugeben, sie in den Arm zunehmen und einen anderen Ausdruck auf dieses wunderschöne Gesicht zu zaubern, unterdrücken zu müssen.

Das war Folter.

„Mache es gut“, kam es schließlich niedergedrückt von all dem aus meinem Mund und ich schloss meine Türe.

Was danach passierte war mir nur 2 oder 3 Mal in meinem langen Leben und immer in einem gänzlich anderen Kontext widerfahren.

In dieser Konstellation war es schieres Neuland und irritierte mich so sehr, dass ich im ersten Moment nichts dagegenstellen konnte.

Ihr Fuß in meiner Tür stoppte mich sie ganz zu schließen. Keine Sekunde später drückte sie sie wieder auf und zwängte sich durch den Spalt in meinen Laden.

Ich sah ihr recht geistlos hinterher, wie sie in meinen Laden hüpfte und schließlich stehen blieb.

Meine Türe – die ich vor überfahrener Verwunderung losgelassen hatte – war ins Schloss gefallen und ich schaute auf Skylers Rücken, das Geschehene nur recht langsam verarbeitend.

Ich verstand salopp gesagt die Welt nicht mehr und dieses Mädchen brachte mich viel zu oft in genau diese Situation.

„Skyler“, fragte ich schließlich, meiner Verwirrung noch nicht ganz Herr: „Was tust du?“

Sky drehte sich um und hob eine Hand: „Ich akzeptiere das nicht.“

Unter meinem Pony blinzelte ich das junge Ding an, von meinen Worten verlassen. Ich knapste noch damit, dass sie einen Fuß in der Tür in meinen Laden geschlüpft war und ihre Aussage trug nicht zu meiner geistigen Erleuchtung bei: „Was akzeptierst du nicht?“

„Dass alles so vor die Hunde geht.“

Ich wurde aus ihr nicht schlauer: „Was ‚alles‘?“

„Wir!“, sie zögerte kurz: „Also! Ich meine… du… ich… wir“, eine andere, für mich nicht recht zu deutende, Art von Verzweiflung erschien in ihrem Gesicht: „Das, was wir hatten!“, sie schlug ihre Hände vor ihr Gesicht. Sie sammelte sich allerdings bevor ich es tat, nahm ihre Hände hinunter und schaute mich eindringlich an: „Es... tut mir leid, dass ich weggerannt bin… Es tut mir leid, dass ich dir Unrecht getan habe und dass… denn ich“, mit angestrengter Stimme kniff sie ihre Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten: „Ich hab vor einer Woche deine ganze Hilfe, all die netten Dinge die du zu mir gesagt und für mich getan hast, all die Situationen nach denen ich ohne dich gar nicht mehr da wäre, mit Füßen getreten, als ich beschlossen habe dich auszufragen und dann wie ein Hase weggerannt bin. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich nicht weglaufen. Dann würde ich dableiben und dir sagen, was ich wirklich denke...“

Ich seufzte immer noch. Es ging nicht um eine Schuldfrage. Es ging um die Frage, was für sie besser wäre. Eine Antwort, die mir klarer zu sein schien, als ihr: „Du kannst die Zeitnicht zurückdrehen. Das kann niemand.“

„Es geht nicht darum was niemand kann!“, Skyler schaute mich wieder an, einen bestimmten Ausdruck in den Augen, der mich abermals innehalten ließ: „Undertaker! Ich habe dich kennen gelernt wie du jetzt bist und nicht wie du vor 100 Jahren warst! Alles andere ist nebensächlich.“

„Ich habe mich nicht sonderlich verändert“, schüttelte ich leicht den Kopf.

„Blödsinn!“, Skylers Tonfall war von Verständnislosigkeit geprägt: „Niemand bleibt 100 Jahre derselbe!“

„Sehr wohl“, ich schaute sie eindringlich an. Ich nahm ihr nicht Übel so zu denken. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war so alt zu sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war immer älter zu werden: „Jemand, für den sich 100 Jahre nicht mehr wie 100 Jahre anfühlen.“

Eine Zeitlang sprach das hübsche Ding nicht.

Sie schaute mich an, mit großen Augen in denen Gedanken in alle Richtungen huschten. Man sah, wie ihr Kopf arbeitete. Ich hoffte sie war jetzt an den Punkt angekommen von selbst zu gehen.

„Dann warst du damals schon kein schlechtes Wesen“, kam es gänzlich anders.

Ich wusste nicht recht wie, doch seufzte ich ein weiteres Mal nur in Gedanken: „Du weißt was ich getan habe. Doch auch das nur zu einem Teil.“

„Ja, ich weiß es“, brach die Diskussion nicht ab: „Und ich will mehr wissen. Ich will es wissen, weil deine Vergangenheit ein Teil von dir ist. Weil ich neugierig auf dich bin und auf alles was den Charakter geformt hat, den ich kennen lernen durfte. Ein Charakter, der großartig ist. Du hast gute Seiten. Ich sehe sie. Undertaker, du bist großartig.“

‚Ich bin großartig?‘, etwas in mir hatte bei diesem Satz nicht nur inne, sondern angehalten.

Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wie sie dazu in der Lage war mich als großartig zu beschreiben.

Hatte dieses naive junge Ding vergessen mit wem sie sprach?

Mit was sie sprach?

Was ich ihr erzählt hatte?

Hatte sie eine Horde ‚Zombies‘ und 1873 Tote einfach vergessen?

Oder war ich ihr tatsächlich einfach wichtiger als all das?

Ich ging ein paar Schritte durch meinen Laden.

Ich konnte es mir kaum vorstellen.

Vor ihr blieb ich stehen und schaute zu ihr herunter: „Wie kannst du all das sagen? Wie willst du verkraften was ich noch alles getan habe, wenn wir beide schon wissen wozu die erste Erzählung geführt hat?“

„Ich laufe nicht mehr weg“, sie schaute mir durch meine Haare direkt in die Augen: „Nie wieder. Ich laufe sicher nie wieder vor dir weg. Denn die einzige Richtung, die sich richtig anfühlt, ist zu dir hin.“

Etwas in mir stand sofort Kopf.

Zu mir hin?

Noch nie wollte jemand zu mir hin.

Ich stellte fest, dass ich mit dieser Aussage fast nichts anfangen konnte.

Zu mir hin zu wollen schwankte irgendwo zwischen dem Verlust aller geistigen Ressourcen und der absoluten Todessehnsucht!

Hatte sie denn nicht verstanden, dass ich ein offensichtlicher Verrückter und dazu noch ein vollkommen reueloser Massenmörder war?

Mein Mund zog sich zu einem Lächeln.

Ganz intuitiv.

Ich begann zu lachen, da ich nicht wusste wie ich sonst auf diese Aussage und die ganzen Fragen, die daraufhin durch meinen Kopf gerasselt waren, reagieren sollte. Auch glaubte ich musste ich ihr noch einmal erklären was und wer vor ihr stand: „Eh he he! Zu mir hin, ja? Wie naiv. Possierlich, doch unbeschreiblich naiv. Ke he he. Es gibt gute Gründe warum die Menschen vor mir Reißaus nehmen, Skyler. Die Instinkte der Menschen sind flach geworden. Schwach, dünn und ungenau. Doch auch sie erkennen noch, wenn der Tod vor ihnen steht. Ich bin ein Sensenmann. Ein Wesen, dessen einzige Existenzberechtigung darin liegt die Seelen von Menschen aus ihren Körpern zu reißen und ihr Leben zu beenden. Doch wer entscheidet wer sterben soll? Niemand hat das Recht dazu. Niemand hat das Recht sich über das Leben zu erheben und mit dem ausgestreckten Finger Todesurteile zu verteilen. Einzig ein in Leder gebundener Stapel Papier, vollgekritzelt mit Namen und Daten, zum Bersten voll mit Fotos und Orten, Fakten und Angaben, entscheidet wer sterben soll, wann und wie. Doch es gibt Wesen, die nahmen sich dieses Recht einfach heraus. Übergingen das in Leder gebundene Papier. Nahmen sich einfach dreist das Recht, das niemandem zusteht und verfügen nach Belieben über Leben und Tod. Wesen wie mich.“

Sky schaute mich mit großen Augen an. Ich wischte ihr eine verirrte Strähne mit meinem Fingernagel aus dem Gesicht. Ihr Gesicht wirkte zwar etwas überfordert, doch fehlte darin die Angst, die ich dieses Mal ganz bewusst erzeugen wollte, damit sie endlich ging und verstand weg bleiben zu müssen. Doch ich sah sie nicht: „Du bist eine vorzügliche Rednerin. So passioniert, wenn du etwas meinst. So wunderbar wortgewandt, wenn du für einen Moment vergisst über deine Worte nachzudenken. Doch wer vor dir steht kann auch deine kleine Goldzunge nicht gut reden. Und ich brauche so etwas auch nicht.“

Mit langsamen Schritten ging ich an ihr vorbei: „Ich brauche niemanden, der das Gute an mir sucht. Keinen blauäugigen Weltverbesserer. Ich brauche niemanden, der mich oder was ich tue und sage, oder getan und gesagt habe, so hinbiegt, dass es eine tiefe versteckte gute Bedeutung hat. Ich bin solcher überdrüssig. Im Endeffekt fallen sie eh nur von ihrem Glauben ab und gehen. Und die Zeit, die sie bleiben ist meist von unglaublich minderwertiger Qualität, da diese Persönlichkeiten oft unbeschreiblich nervig sind und in ihrem Gebrabbel alles andere als erheiternd, sondern eher sehr sehr einschläfernd.“

Nach 2 Schritten stoppte ich und schaute an meine Decke.

Ich wollte sie ermüden, doch griff mich spontan eine bleischwere Ermattung: „Jemand, der das ganze Schlechte sieht und mich trotzdem voll akzeptiert. Das wäre allerdings eine nette Abwechslung.“

Und als ich dies gesagt hatte, mehr unwillentlich und zu mir selbst, fragte ich mich, ob ich das Wesen, was genau das tat, nicht gerade sehr willentlich zu vergraulen versuchte.

Und etwas in mir wurde traurig.

Traurig, weil sie für ihr Heil gehen musste und ich wusste, dass meins lange angeschlagen bleiben wird. Dass das Wesen, welches mich so sah, nicht bei mir bleiben konnte.

Und etwas in mir wurde wütend.

Wütend über den abermals verdorbenen Streich, den das verdammte Schicksal mir spielte.

Ich ballte eine Hand zur Faust und unterdrückte das heiße Brodeln.

„Du hast doch einige Freunde.“

Die helle Stimme und die unerwartete Aussage lenkten mich von dem Gefühl der Wut ab. Recht schnell sogar, dass nur ein Seufzen davon überblieb.

„Ke he he. Dem ist wohl so“, ich drehte den Kopf halb zu ihr: „Doch keiner von ihnen akzeptiert, was damals geschehen ist. Die Reaper beispielsweise halten es mir vor. Immer wieder. Bei jeder Gelegenheit. Die Menschen lassen es außen vor. Was wohl auch wirklich das Beste ist, was ich erwarten kann. Ich erwarte auch nicht mehr. Es ist gut so.“

Skys Gesicht wirkte nicht mehr überfahren oder überfordert. Sie hatte die Augenbrauen ein bisschen zusammengezogen und schaute mich traurig an: „Sie mögen dich trotzdem und du tust das alles ja auch nicht mehr.“

„Gewiss“, stimmte ich ihrer Aussage zu, auch wenn ich sie nur halb bejahen konnte. Dieses junge Ding schien nicht in der Lage sich die Abgründe meiner Seele ausmalen zu können. Nicht in den düstersten Bildern, die sie zeichnen könnte: „Aber das ändert alles nichts daran, dass es Dinge und Seiten in mir gibt, die mich damals dazu verleitet haben mich zu entscheiden, wie ich mich nun mal entschieden habe. Ich stand nicht unter Zwang. Nie. Es waren meine Entscheidungen und sie kamen aus einem tiefschwarzen Teil von mir, den es heute immer noch in genauso großen Ausmaßen gibt wie damals. Ich habe nur jetzt etwas… Wesen… die mir wichtiger sind, als die Befriedigung meiner eklatant anders und dunkel gearteten Neugierde und Rachegelüste. Sodass ich diesen Teil von mir, der ein großer Teil von mir ist, in ein viel zu kleines Kästchen irgendwo in meiner Seele zwänge und mich drauf setzen muss um es drin zu halten“, ich setzte ein Grinsen auf, um in einen schlechten Witz abzudriften. Um sie zu verwirren, aber auch um durch ein, wenn auch künstliches, Lachen meinen eigenen Geist ein wenig zu erleichtern: „Fu fu fu! Doch ich habe halt kein Größeres!“, ich drehte mein Gesicht nach vorne, während ich eine wegwerfende Handbewegung machte: „Eh he he he. Sei‘s drum.“

Um das und um mich, meine Geschichte, meine ganze Person, sowie alles drum herum.

Nach etlichen tausend Jahren ist man sich selbst nicht mehr viel wert.

Noch bevor ich weitere Gedanken fassen konnte, verließen sie mich komplett.

Ein weiteres Mal komplett überrascht verstand ich nicht zu deuten was geschah.

Auf keinen Fall im ersten Moment, doch auch nicht im zweiten oder dritten.

Die zwei Arme, die so geschwächt wirkten und mich doch so fest drückten, drehten meine generell schon ziemlich schiefe - und in den letzten Tagen noch schiefere - Welt vollends auf den Kopf.

„Gut und Böse sind immer nur eine Frage der Perspektive und Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters“, sprach Skylers helle Stimme hinter mir. Sie wirkte ganz warm und weich. So unendlich ehrlich und aufrichtig. Was sie sagte klingelte in meinen Ohren: „Auch auf charakterlicher Ebene. Aus meinem Blickwinkel ist deiner nicht zu so großen Teilen soschwarz. Ich finde deinen Charakter schön. Ich mag dich, Undertaker. Sehr. Mit allem, was gut und schlecht ist. Mit allem, was du getan hast. Mit jeder Entscheidung, die du gefällt hast, egal wie sie aussah. Ich mag dich… und ich vermisse dich…“

Ich kniff die Augen zusammen.

Das Klingeln in meinen Ohren fuhr schmerzvoll durch mein Herz. Ich griff ihre Handgelenke, bog ihre Arme von mir, nur in dem Bestreben mich selbst von diesem matervollen Gefühl zu erlösen.

Nichts was sie sagte, änderte etwas.

Nichts was ich fühlte, änderte etwas.

In Sekundenschnelle sagte ich mir hunderte Male selbst, dass nichts verhindern konnte, dass sich unsere Wege trennen würden. Zu sehr erinnerte ich mich an ihr verweintes Gesicht an der abendlichen Themse: „Sage so etwas nicht. Tue so etwas nicht. Gehe heim, Skyler“, ich ließ ihre Hände los, meine eigenen fühlten sich furchtbar verkrampft an: „Gehe heim und komme nicht mehr hier hin zurück.“

Kurz herrschte Stille.

Stille, die ich nutzte um durchzuatmen und meine Contenance wieder zu finden.

„Es tut mir leid“, hauchte es schließlich hinter meinem Rücken.

Dann wurde das Hauchen von einem trocknen Husten abgelöst, der mir gar nicht gefiel: „Ahe! Ahe! Es tut mir so Leid. So unendlich Leid. Ich habe schon… Ahe! Befürchtet, dass ich nichts mehr retten kann… Ich wollte es trotzdem probieren, weil du mir so wichtig bist. Doch ich… Ich habe Schmerzen.“

Ich drehte mich um.

Skys Sprache verendete in einem Wimmern und immer heftigeren Husten. Ich sah wie sie ihren Beutel griff und auf meinen Tresen stellte, doch ihre Beine schienen sie nicht ordentlich zu tragen.

„Sky?“, fragte ich schließlich in Erinnerung an ihre heiße Stirn und hatte eine mehr als ungute Vermutung: „Ist alles in Ordnung?“

„Ahe! Deine kalte Schulter tut so weh… Ahe! Ahe! Doch ich weiß“, Skyler ignorierte meine Frage und fasste sich an die Stirn. Sie wirkte plötzlich recht geistesabwesend. Etwas, was unüblich für sie war und mit der begleitenden Geste für mehr Sorgen meinerseits sorgte: „Ahe! Dass ich das verdient habe...“, sie wankte weiter und öffnete meine Ladentüre.

Ein langer Hustenanfall ließ ihren Körper zusammenfahren und meine Türe quietschte unheilvoll, als sie das ganze Gewicht der jungen Dame tragen musste.

„Was ist mit dir?“, ich ging auf sie zu. Was ich sah gefiel mir ganz und gar nicht und ich bezweifelte, dass ihre Beine ihr hold blieben: „Ist dir nicht wohl?“

Sie war zu warm gewesen.

Es war nun überdeutlich, dass Skyler krank war. 

Ich war auf eine ihrer Lügen reingefallen!

„Es tut mir leid. Ahe! Ahe!“, röchelte sie eher, als das sie sprach.

„Sky?“, stand ich mittlerweile genau hinter ihr und wollte ihr die Hand auf die Schulter legen.

„Ich habe... Ahe! Ahe!“, der Husten klang schmerzhaft. Was sie sagt, in all dieser Pein, noch mehr: „Alles kaputt gemacht... Ahe! Und bin dir dann auch noch auf die Nerven gegangen...Ahe! Ahe! Ahe!“, dann rutschte sie von der Klinke und fiel einfach um.

„Sky!“, griff ich ihren schlappen Körper und bewahrte sie so vor einen Aufprall auf dem harten Holzboden.

Ich rüttelte ihre Schulter: „Sky? Hörst du mich?“

Doch von der schönen Brünetten kam keine Antwort.

Ich rüttelte ihre Schulter ein weiteres Mal: „Skyler?“

Doch sie blieb stumm.

Mit einem tiefen Seufzen legte ich meine Hand auf ihre Stirn.

Das junge Ding glühte förmlich.

Ich legte die Hand über meine Augen: „Wie konnte ich nur so…“, ich schüttelte den Gedanken weg. Er half mir auch nicht weiter.

Krankheit, Stress und Schlafmangel hatten ihren Tribut schon gefordert.

Und ich war an dem schlechten Zustand des schönen Dings in meinen Armen erheblich Schuld.

Ich schob meine zweite Hand unter ihre Knie, hob sie auf, öffnete mit den Fuß die beiden Deckel eines Sarges und legte das viel zu leichte Ding hinein.

Dann zog ich mein Handy aus der Tasche.

So geschwächt wie Skyler wirkte dachte ich nicht, dass sie innerhalb der nächsten Stunde aufwachte und so die Sperrstunde einhielt.

Ich schrieb Amy über das kleine Programm, mit dem ich schon Grell geschrieben hatte.

Es ging schon recht schnell und war praktisch, doch ein Fan dieser neumodischen kleinen Dinger war ich immer noch nicht.

Amy schrieb mir sie richtete ihrer Lehrerin aus Skyler übernachtete auswärts und dass Sky wahrscheinlich zusammengeklappt war, weil sie die Woche nur spärlich etwas gegessen hatte.

Ich setzte meine Brille auf, suchte kopfschüttelnd eine Nummer aus dem elektronischen Telefonbuch und klemmte das kleine Gerät zwischen Ohr und Schulter, während ich durch meine kleinen Privaträume streunte und nach dem Bündel 5 bunter Wolldecken suchte, die Heather vor ein paar Jahren in einem Ausverkauf gefunden und eine Familienpackung für jeden besorgt hatte.

Ich gestand mir auch ein, dass es praktisch war beim Telefonieren herum laufen zu können.

Wie abgehoben wurde hörte ich, als ich durch mein ewiges Provisorium an Kleiderschrank wühlte: „Hallo? Undertaker, bist du das?“

Ich zog meinen Kopf aus dem Schrank und nahm das Handy wieder in die Hand: „Guten Abend, Alex. Ehehe! Ja, in der Tat, ich bin es.“

„Ich werde mich daran gewöhnen müssen, deinen Namen über einer Handynummer zu sehen. Doch ich muss sagen, dass Fredericks Erzählungen eures gemeinsamen Vormittages sehr unterhaltsam waren.“

„Nihihihi! Es war auch definitiv denkwürdig“, wanderte ich ins Wohnzimmer und schaute durch meinen Bücherschrank. Eigentlich kein Platz, an dem man Wolldecken suchte, doch Gottes Wege waren in diesem Haus selbst für mich teilweise recht unergründlich.

„Ich hörte, Claude hat dein Haus eingewebt?“

„In wahrscheinlich hilfloser Wut, ja“, der Earl und ich kicherten kurz synchron fies. Dann wurde ich ernster: „Doch es gibt einen weniger amüsanten Grund warum ich dich anrufe.“

„Deine Tonlage gefällt mir jedenfalls nicht. Was ist los?“

Ich schaute mich um. Ich konnte mich partout nicht mehr erinnern wo ich dieses bunte Bündel hin gepackt hatte: „Nun, die junge Skyler meinte mich besuchen kommen zu müssen“, ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken: „Genauso geplagt von schlechten Schlaf wie dein liebes Töchterlein, aber leider auch noch krank aufgrund von ein paar Schwimmstunden in der herbstlichen Themse“, ich schaute unter mein Sofa. Nichts, außer einem Rudel Staubmäusen… einem großen Rudel…: „Sie liegt jetzt in einem meiner Särge.“

„Himmel Herrgott, bitte WAS?!“, Alexander klang, als ob er gerade einen Herzinfarkt hatte.

„Und schläft“, setzte ich hinzu, was für mich wohl offensichtlicher war als für andere.

„Das ist“, Alex atmete kurz durch: „Gar nicht gut, aber besser als es erst klang. Undertaker, mein armes Herz… Doch, was nun?“

Ich richtete mich wieder auf und seufzte abermals: „Ich werde sie vorerst bei mir behalten“, was sollte ich auch sonst tun? Sie fiebernd und entkräftet durch London laufen lassen? Nein. Nein, mit Sicherheit nicht: „Doch richtete mir Amy aus, sie habe seit Tagen nicht recht gegessen, was ihrem Zustand definitiv nicht zuträglich ist.“

„Nun verstehe ich warum du anrufst“, der Earl klang auf die typisch phantomhivische Art verschmitzt: „Das wird teuer.“

Ein kleines Lächeln erschien auf meinem Gesicht aufgrund dieser wohl erwarteten Antwort: „Wie wäre es mit einer kostenlosen Auskunft?“

„2 kostenlose Auskünfte.“

„Ehehehe! Wie bescheiden wir wieder sind.“

„Ich muss die Bitte schließlich an Sebastian weiter reichen. Sehe es als Kosten des Dienstweges.“

„Da Sebastian dein verschriebener und treuster Angestellter ist, gestaltet sich der Dienstweg doch eher klein, oder nicht?“

„Ich bleibe dabei. 2.“

„Fuhuhuhu! Ich kann auch losziehen und Dosensuppe kaufen!“

„Ein Unterfangen welches spätestens bei dem Punkt, an dem du sie warm zu machen versuchst, mit Pauken und Trompeten vor die Hunde gehen wird.“

„Nun gut. Ehehehe! 2.“

„Sebastian ist gleich bei dir. Passe mir gut auf das Mädchen auf. Amy wäre untröstlich.“

„Natürlich, mein Earl.“

„Wir sehen uns.“

„Kihihihi! Bis dann.“

Der Earl legte auf und ich steckte das kleine Ding in die Hosentasche.

Dann kramte ich weiter durch meine Stube, nur um nichts zu finden. Schließlich stöberte ich durch alle Schränke meiner Teeküche. Ganz oben, auf einem Hängeregal, fand ich schließlich das zusammengebundene Packet bunter Wolldecken, das ich irgendwann mal dort zwischen gelagert haben musste, in dem sicheren Wissen sie nie zu benutzen. Doch seit ich die junge Skyler kannte, kam nur allzu oft alles anders.

Ich band es auseinander und versuchte den Staub aus dem Stoff zu schütteln mit dem Ergebnis, dass die oberste Wolldecke ohne Umwege in den Wäschekorb wanderte.

Ich schob die Brille in die Haare und ging mit den restlichen vieren in meine Stube, befreite Skyler dort von ihrem Poncho, legte eine Decke um ihre Schultern und die anderen über sie.

Kaum war ich damit fertig ging meine Türe auf: „Guten Tag.“

Ich schaute mit einem plakativen Grinsen den Butler entgegen, der mit einem riesigen Topf in den Händen in meinen Laden geschritten kam: „Guten Tag, Butler. Ehehehehe.“

„Gemüsesuppe“, nickte der Butler mir kurz zu, verschwand ohne Umschweife in der versteckten Türe, kam wenig später wieder heraus und verneigte sich in seiner üblichen Manier: „Sie sollte kräftig genug sein, um die junge Lady Rosewell wieder auf die Beine zu bringen.“

Dem starken, doch sehr angenehmen Geruch der durch die halb geöffnete Türe zu mir herüber wanderte glaubte ich diese Aussage sofort: „Vielen Dank, Sebastian.“

Der Butler schaute kurz auf das Mädchen in dem Sarg: „Wie schwach, zerbrechlich und unzureichend Menschen doch für ihre eigene Welt sind, ist erstaunlich. Es gibt so vieles was ihnen gefährlich werden kann. Bakterien, Viren, Gifte. Wir bemerken sie nicht einmal, doch sie“, die Augen des Butlers wanderten zu mir und sein kaltes Lächeln erschien auf der glatten menschlichen Maske.

Ich verschränkte die Arme: „Dieses Mädchen ist stark, vielleicht nicht im körperlichen Sinne, doch sie ist auf eine Weise willensstark, wie etwas wie du es nicht begreifen kannst.“

„Oh“, der Butler legte eine Hand an sein Kinn: „Das wage ich noch zu bezweifeln.“

Ein großes Grinsen erschien auf meinem Gesicht: „Kihihihihi! Möchtest du die Diskussion von neulich weiterführen, Butler?“, ich ging an ihm vorbei und öffnete meine Türe: „Du hast getan, was du tun solltest, jetzt geh.“

Sebastian schüttelte gespielt angegriffen den Kopf und hob eine Hand: „Wie undankbar du sein kannst.“

„Fu hu hu! Ich bin Alexander sehr dankbar dich geschickt zu haben und ich habe ihm mehr als gute Entlohnung dafür versprochen. Doch ich habe nicht zugesagt, dass ich ertrage wie du länger als nötig meine Luft verpestest.“

Der Butler ging an mir vorbei und schaute mich ein letztes Mal aus dem Türrahmen aus an: „Dabei war die Warnung meinerseits sogar nett gemeint.“

„Auf Wiedersehen“, grinste ich ihm entgegen.

„Auf Wiedersehen“, gab er zurück und ich schloss meine Türe.

Natürlich verstand ich genau worauf der Butler anspielte. Und der Butler verstand genau, dass ich diesen Gedanken nicht denken wollte.

Ich ging in meine Teeküche. Dort stand der große Topf, aus dem eine Kelle lugte, auf meiner Herdplattem die auf 1 stand und ein Zettel mit »Gelegentlich umrühren. Nicht vergessen!« hing in der geschwungenen Handschrift des Butlers daran.
 

Es dauerte 1 ½ Stunden bis ich aus meinem Verkaufsraum ein langes trockenes Husten hörte.

Ich war in meinem kleinen Lesezimmer geblieben, um die bitternötige Rast der jungenBrünetten nicht zu stören, konnte mich in mein Buch allerdings nicht vertiefen.

Ich machte mir Sorgen um Skylers Gesundheit.

Auch machte ich mir Sorgen um die Zeitm die sie in meinem Laden verbringen musste, bevor sie wieder nach Hause konnte.

Doch als erstes wollte ich genau wissen, wie es um die Gesundheit der jungen Dame wirklich bestellt war.

Ich goss 2 Tee auf und füllte einen Messbecher mit Krahnwasser, das sie bitterlich zu brauchen schien. Dann stellte ich eine Schüssel mit Suppe dazu - die ich nicht vergessen hatte umzurühren – und nahm das alte Quecksilberthermometer dazu, welches ich aus den tiefen meiner Schubladen hervorgeklaubt hatte.

Das Tablett in der einen und mit der anderen das Thermometer schüttelndm ging ich in meinen Verkaufsraum und sah, wenn auch durch meine schlechten Augen recht verwaschen, dass Skyler in dem Sarg saß. Sie schaute mich fragend und etwas verwirrt an, als ich neben ihr hielt, nahm den Becher Wasser den ich ihr reichte aber stumm dankend entgegen und kippte ihn komplett hinunter.

Erschöpft atmete sie durch.

Ich nahm ihr den Becher aus der Hand und reichte ihr das Thermometer.

Sagen tat ich nichts.

Ich war besorgt und nicht gerade erquickt, dass sie sich krank hier hinschleppte und vor mir zusammenbrach.

Auch wusste ich immer noch nicht mit der Mühe umzugehen, die sie sich zu geben schien, um weiter in meiner Nähe bleiben zu können. Selbst meine Freunde waren nach einer Zeit dankbar für eine Pause von mir, doch sie?

„Ich soll…?“, unterbrach sie meine Gedanken und schaute auf das alte Fieberthermometer.

„Fieber messen, ja“, stellte ich das Offensichtliche für sie fest.

„Warum?“

„Weil es dir offensichtlich alles andere als gut geht“, betonte ich das Offensichtliche ein zweites Mal.

Skyler blinzelte mich an. Ich nickte mit dem Kopf auf ihre Hand.

Mit einem seichten Seufzen schob sie das Thermometer in den Mund. Nach einer Zeit, die ich wortlos neben ihr stand und sie mich ebenso wortlos nicht anschaute, nahm ich ihr das Fieberthermometer wieder aus dem Mund.

Es war eine komische Art von Stille.

Eine ganz unangenehme Art von Stille.

Was allerdings viel unangenehmer war, war was das Thermometer mir anzeigte: „Warum tust du so etwas?“

Ich verstand dieses Mädchen einfach nicht!

„Wa-“, sie schluckte trocken: „Was?“

„Ich habe nach dem Was zu fragen“, bedeutungsschwer wedelte ich mit dem Thermometer. Kann sie es sich nicht denken?: Was bringt dich dazu mit 40,3 °C Fieber hierher zu kommen, anstatt das Bett zu hüten?“

Skylers Mund klappte auf: „40 Komma… oh.“

„Also?“, zog ich eine Augenbraue hoch.

Meine auf viele Arten und Weisen komische und merkwürdige Gesellschaft kann ihr doch nicht so viel wichtiger sein als ihre Gesundheit!

Skylers Augen fielen nach unten: „Ich… Es… tut mir leid… Ich wusste, dass ich Fieber hatte, aber da war es noch nicht so hoch...“

„Wie hoch?“, zog ich die Augen zusammen.

„Nicht so hoch.“

„Skyler“, setzte ich hinterher, um ihr deutlich zu machen, dass sie nicht um den heißen Brei herumreden konnte.

Die Schülerin seufzte: „...39...“

„Wann war das?“

„...Mittwoch...“

Nun seufzte ich: „Und da warst du auch schon hier...“, ich hob ihren Kopf an und schaute in ihre Augen. Ich wollte verstehen, was sie dachte, warum sie machte was sie tat. Doch was ich in ihren Augen sah konnte ich genauso wenig deuten, wie Amys Hinweise früher am Tag: „Ich wusste doch, ich habe mich gestern nicht getäuscht. Skyler, du gehörst ins Bett. Wahrscheinlich seit Tagen. Seit Montag, tippe ich, da dein Fieber sicherlich von einigen unfreiwilligen Tauchgängen sonntags herrührt, habe ich recht?“

Sie nickte stumm und beschämt.

„Wieso hast du dich nicht ausgeruht? Was machst du hier? Schlechter Schlaf, Krankheit, es muss dir doch schlecht gehen“, warum kam sie immer wieder hierher? Trotz alldem?

„Ich...“, sie krallte ihre schlanken Finger in die Decke: „Wollte das wieder hinkriegen. Zwischen uns und… ich hatte das Gefühl ich hatte keine Zeit mehr. Außerdem meinten du und Ronald mal ihr könnt alle mit Schwächlingen nichts anfangen, deswegen… ich wollte nicht schwach sein… ich wollte, dass du mir glaubst, dass ich alles vertragen kann. Dass ich stark genug bin mit dir mitzuhalten… Doch Jemand, der wegen jedem Bazillus und Schnupfen umfällt, ist nicht stark… also… wollte ich… habe ich einfach weiter gemacht… Ich… Ich will auf keinen Fall, dass du wirklich gehst und da war mir das Fieber… einfach egal...“

Während sie erzählte, erschien ein leidlicher Ausdruck auf meinem Gesicht. Ich merkte und fühlte ihn.

Ich fühlte mich drüber hinaus ein wenig niedergeschlagen.

Nie habe ich so über sie gedacht, doch in meinen Bemühungen ihr ferner zu bleiben, hatte ich ihr wohl Dinge vermittelt, die sie zu dieser Annahme gebracht hatten.

Ich stellte fest, dass ich furchtbar schlecht darin war, für jemanden gut zu sein. Dass selbst Dinge, die ich in guter Absicht tat, oft das genaue Gegenteil hervorrufen.

Mir war schon seit Mittwochnacht klar sie wollte nicht, dass ich mich entferne und ich wusste seitdem, dass ich es tuen werde würde ihr erstmals schmerzen. Doch dass sie sich so puschte, ihren eigenen Zustand so sehr missachtete und sich selbst so derartig unter Druck setzte nur um es zu verhindern hatte ich nicht gedacht.

Ich hatte so etwas noch nie erlebt.

Ich hatte noch nie erlebt, dass Jemand so bestrebt war, dass ich blieb.

Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte.

Doch Sky schaute mich mit ihren umwerfenden blauen, unsagbar traurigen Augen an und ich merkte wie sie mich anflehten nicht weiter weg zu gehen.

Ich merkte wie sie mich immer und immer wieder baten zu bleiben.

Und ich merkte wie ich ihnen keine Bitte abschlagen konnte.

Nicht, wenn sie so schauten.

„Ich weiß, dass du stark bist“, ging ich in die Knie und nahm das zierliche junge Ding in den Arm: „Das musst du nicht beweisen. Das ist doch...“, ich seufzte und ließ die Schultern hängen, geplagt von Schuldgefühlen. Geplagt davon sie dazu gebracht zu haben sich soweit auszureizen: „Wieder meine Schuld.“

„Nein!“, ihre recht laute Aussage hatte mehr Energie, als ich ihr haben zu können zugesprochen hätte. Deswegen ließ sie mich innerlich innehalten und Skyler sich ein Stück aus meinen Armen buddeln. Eindringlich schaute sie mich an: „Du hast mich nicht dazu gezwungen keine Ruhe zu halten.“

„Aber ich habe dir das Gefühl gegeben, du kannst sie dir nicht leisten“, was wahrscheinlich noch das kleinere Übel von alldem war, was ich gemacht hatte.

„Undertaker, nein! Das ist nicht deine Schuld, es ist meine und...“, Sky seufzte: „Es ist auch nur eine Erkältung mit ein bisschen Fieber.“

„Ein bisschen? Damit gehen Andere ins Krankenhaus. 2° mehr und du kannst gleich bleiben wo du bist, wenn du verstehst was ich meine.“

„Es ist nur eine Erkältung…“, versuchte die schöne Brünette es weiter herunter zu reden, was sie definitiv vergessen konnte: „Die sich wunderbar auswächst tut man nichts dagegen, läuft herum, macht Hausarbeit, Schule und Sport.“

„Es tut mir leid...“

Ich drückte sie wieder an mich, geplagt von meinem Gewissen, welches sich doch nur so selten, doch gerade überdeutlich meldete, als sie sich entschuldigte. Sie, die sich für wirklich gar nichts entschuldigen musste. Sie, die doch die letzten Tage nur abbekommen hatte: „Nein, mir muss es leidtun. Und das tut es.“

„Es ist alles ok, ok? Ich… möchte, dass zwischen uns wieder alles gut wird. Das ist das einzige was mich interessiert, Undertaker.“

Ich versteckte Nase und Mund in ihren weichen Haaren. Ein paar Sekunden genoss ich den Geruch ihres Lavendelshampoos.

„Warum?“, fragte ich schließlich das, was ich am allerwenigsten verstand: „Warum magst du mich? Wie kannst du?“

Warum mag dieses junge Ding mit ihrer so reinen Seele jemanden wie mich?

Ich spürte wie ihre erschöpften Finger meinen Pulli griffen: „Ich mag dich, weil ich dich toll finde. Du warst immer so lieb zu mir und jetzt… Hab ich dich lieb.“

Mir rissen die Augen auf.

Kurz eingefroren wusste ich weder etwas zu tun, noch zu antworten. Mein Kopf war fast leer. Das mir jemand sagte er habe mich lieb, war sehr sehr lange her. Und diese Jemanden waren keine Menschen gewesen. Sondern dasselbe wie ich, vergleichbar alt.

Aus ihrem Mund setzte mich dieses Statement fast Schachmatt.

Gleichzeitig bedeutete es mir so viel. 

Ich zog sie näher zu mir. Das erste Mal seit Tagen ging ich nicht einen Schritt von ihr weg,sondern holte sie näher ran. Und Skyler hatte recht mit der Aussage gehabt, dass es sich richtig anfühlte. Doch verstehen tat ich immer noch nicht: „Du hast dich doch schon so oft über mich beschwert.“

„Ich weiß nicht warum“, antwortete Sky und ihr Atem kitzelte seicht meine Halsbeuge, wenn sie sprach. Ein knisterndes Gefühl, welches meiner Verwirrung nicht zugutekam, doch mir gefiel, was mich ebenfalls ein wenig verwirrte: „Denn eigentlich stört mich das alles gar nicht. Von dir erschreckt zu werden, deine plötzlichen Themenwechsel und deine komischen Angewohnheiten. Sie sind in dem Augenblick vielleicht seltsam, vielleicht auch mal sehr seltsam, doch im Endeffekt stört es mich nicht mehr sobald du lachst.“

„Warum?“

„Weil ich dein Lachen mag, Undertaker“, Skys Stimme klang weich und warm. Sickerte mir wie lauer Honig in die Ohren und rann langsam dahin, wo der Schneesturm noch tobte, von Verwirrung nur noch mehr angefacht: „Ich mag deinen Frohsinn und auch deine total übertriebene Heiterkeit“, und ich merkte wie der warme Honig das Eis schmelzen ließ: „Ich mag dein Grinsen und dein Kichern. Wenn du vor Lachen um oder irgendwo runterfällst“, und ich merkte wie ihr kitzelnder Atem an meinem Hals den Schnee fort wedelte: „Ich mag dein Honigkuchenpferd-Grinsen, wenn du was angestellt hast und ich mag dein weiches Lächeln, wenn du mal nicht albern bist“, ich merkte wie nah diese junge Dame meiner Seele wirklich war: „Ich mag die Momente, in denen du ruhiger bist und was erzählst“, mir wurde klar, dass ich nie weit genug weg war, um dieser Nähe etwas entgegenzusetzen.

„Ich mag viel an dir. Ich glaube... ich beschwere mich nur, weil du deswegen auch immer wieder zu lachen anfängst...“, ein Zittern in ihrer Stimme ließ mich abermals unangenehm berührt aufhorchen.

Dieses Zittern kannte ich.

Es bedeutete nichts Gutes.

Es bedeutete alles was ich verhindern wollte und doch selbst ein weiteres Mal hervorgerufen hatte.

Ich war so wütend auf mich.

Und ich merkte wie diese hilflose Wut meine Wangen hinunterlief.

„Und ich habe trotz allem so riesen Mist gebaut. Ich habe nicht nachgedacht, Undertaker. Du hast alles Recht dazu, aber bitte. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich...“

„Ich bin nicht sauer auf dich. Ich war es nie.“

Ich spürte Skylers Kopf hochzucken. In dem Moment schaute ich zu ihr hinunter und sah die 2 großen Tränen, die das Zittern ihrer Stimme schon angekündigt hatte.

Noch ein paar weitere nasse Punkte landeten auf ihren Gesicht. Ich brauchte ein paar Sekunden, um sie als meine Tränen zu erkennen.

Dann wischte ich ihr behutsam beide Paar Tränen weg: „Ich wollte genau das verhindern. Ich wollte es nicht mehr sehen. Ich wollte nicht mehr sehen, wie du weinst. Wollte nicht mehr, dass dir irgendetwas schmerzt. Ich will das Beste für dich, denn nur das ist gut genug für dich. Doch“, ich schloss geschlagen meine Augen: „Das bin definitiv nicht ich.“

Eine sehr warme Hand legte sich auf meine Wange und eine unerwartete Frage ließ mich die Augen wieder öffnen: „Wie geht es dir, Undertaker?“

Ich ließ ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen, welches mir allerdings maßlosverunglückte.

„Nicht sonderlich gut“, antwortete ich ihr endlich auf ihre Frage, die sie mir jeden Tag und immer wieder gestellt hatte.

Sie wechselte die Hände und strich mir über meine zweite Wange. Ich konnte nicht in Worte fassen wie gut sich dies anfühlte: „Warum?“

„Weil ich dich vermisse.“

„Ich bin hier.“

„Aber das ist nicht gut für dich“, ich schloss wieder die Augen. Der Teil, der wollte, dass sie absolut sicher war, war immer noch überzeugt, dass ich selbst eine Bedrohung darstellte, die sie nicht kalkulieren konnte: „Höre auf so nett zu mir zu sein“, drückte der neu auf geflaute Schneesturm in mir meine Stimme ein weiteres Mal in ihrer Gegenwart nieder. Noch nie habe ich zugelassen, dass so etwas jemand hörte: „Ich will dich nicht noch mehr verletzen. Aber ich werde es tun. Immer und immer wieder. Das ist unvermeidlich. Deswegen muss ich dafür sorgen, dass du mir fernbleibst. Egal wie wenig ich es will. Dein Wohlbefinden ist wichtiger.“

Skylers Hand verschwand… nur damit sie mir die Arme um den Hals legen konnte: „Das ist Blödsinn, Undertaker.“

Dieser Satz ließ mein Herz komisch absacken.

Ich nahm mein Gesicht ein Stück hoch, um in ihres schauen zu können.

Sie lächelte mich warm und ehrlich an: „Ich möchte auch nicht, dass du weinst. Und du siehst immer mal wieder aus, als würdest du gerne weinen, tust es aber nicht. Ich möchte nicht, dass du immer wieder so traurig schaust. Du hast so tolle Augen. Ich will nicht, dass dieser blöde traurige Schatten immer wieder dadurch schleicht und sie so furchtbar matt macht.“

Ich war verblüfft und sprachlos, wie gut mich dieses junge Ding durchschaut hatte.

Gerade mal 18 Jahre jung hatte sie Details bemerkt und gedeutet, sich dadurch Dinge erschlossen, nach denen sich der Dämon die Finger lecken würde!

„Denn dann sehe ich genau, dass dich auch etwas schmerzt und das möchte ich auch nicht. Auch ich hätte dich gerne nur lachend und gut drauf. Doch das Andere scheint zu uns zu gehören. Ich bin empfindlich und nah am Wasser gebaut. Und du. Du leidest immer öfter stumm und kaum ersichtlich vor dich hin und redest nie darüber“, Skyler schüttelte bedeutungsschwer ihren zimtbraunen Schopf: „Du hast mir nicht weh getan. Nie. Ich habe mich nur erschreckt. Alles was folgte resultierte aus einem Ärger von mir gegen mich. Weil ich etwas getan habe, was so krass war und wahrscheinlich war es auch der ultimative Verrat an dich. Denn damit wirkte es so, als würde ich dich nicht mögen, oder Angst vor dir haben und das ist beides Quatsch. Das stimmt nicht. Es war gruselig, ja, was du erzähltest war grausam, ja, aber deswegen mag ich dich nicht weniger. Wenn du denkst du seist nicht das Beste für mich, irrst du. Denn gerade du bist es. Glaube mir, noch nie hat mir jemand so gut getan wie du. Nicht einmal Amy. Denn abgesehen von diesem einen verflixten Freitagabend, habe ich durch dich viel öfter gelacht, viel mehr gelächelt und viel weniger geweint. Ich hatte Bauchweh vor Lachen und nicht mehr vor Kummer. Du machtest alles so viel besser.“

Lange schaute ich sie an.

Ihre Worte klingelten in meinen Ohren. Mein Kopf rekapitulierte sie so oft.

Ihre Augen schauten so aufrichtig in meine und ich hatte diesem Ausdruck darin nichts entgegenzusetzen.

Ich konnte meine Maskerade nicht mehr weiterspielen.

Ich konnte nicht mehr weiter machen, wie ich es den Rest der Woche angefangen hatte.

Sie wollte es nicht.

Ich wollte es nicht.

Und ich begriff, dass der Teil in mir der wusste, dass der beidseitige Unwille fatal war, genauso lange wusste, dass ich auf verlorenem Posten gespielt hatte.

Ein Spiel, was Skyler nie hatte spielen wollen und dessen Regeln für ihre Rolle nur schmerzlich und unfair gewesen waren.

Trotzdem hatte sie nicht aufgegeben, sich nicht über die Regeln beschwert und mich Zug um Zug gekontert.

Skyler hatte gewonnen.

Ich hatte nie eine Chance und ihr trotzdem so übel mitgespielt.

Und gerade, weil ich ihr so übel mitgespielt hatte, stellte was nach dem Eingeständnis meiner totalen Niederlage geschah meine kopfstehende Welt wieder richtig, um sie gleich im Anschluss dreimal wieder auf den Kopf zu drehen.

Ich spürte ein paar fieberheißer Lippen auf meiner Wange.

Zögerlich und zaghaft, nur ein Hauch einer Berührung und trotzdem vollkommen nicht zu glauben: „Danke für alles, Undertaker.“

Ich konnte nichts sagen und nichts tun.

Abermals.

Dieses Mal allerdings in dem Ausmaß eines totalen Gedankenvakuums.

Mit großen Augen schaute ich in Skylers Gesicht. So langsam, wie die Gedanken in meinen vollkommen perplexen Verstand zurückkehrten, blinzelte ich und legte eine Hand auf die Stelle, wo mich die Lippen der schönen Brünetten berührt hatten.

Der Schneesturm war verschwunden.

Als die Lippen der schönen Skyler meine Wange verlassen hatten, war es als hatten sie den heißen kleinen Splitter mit hinausgezogen.

Ich konnte nicht anders, als mich zu freuen.

Ich konnte nicht anders, als mir einzugestehen wie sehr es mir gefallen hatte und dass mir diese Initiative ihrerseits mehr bedeutete, als ich mir hätte vorstellen können.

Ich konnte nicht anders, als mich von einem warmen Gefühl einfangen zu lassen, welches in einem leichten, gewohnten Grinsen auf meinem Gesicht erschien.

Und ich konnte nicht anders, als mir immer wieder bewusst zu machen wie unglaublich diese hübsche junge Dame war: „Eh he he he! Skyler Rosewell? Du bist der helle Wahnsinn.“

Skylers kleines Lächeln wurde so weit wie ich es bis jetzt nur selten sehen durfte, was mich noch einen Ton fröhlicher stimmte: „Dann bist du der blanke Wahnsinn!“

Ich nahm Skyler in den Arm, als sie gleichzeitig mich in den Arm nahm.

Und der Stress verschwand.

Die Bitterkeit.

Nicht in der Brühe, sondern im Nichts.

Von der Brühe wandte ich mich ab. Schmiss in mir drin den Deckel ihrer Kiste zu, in die ich schon viel zu lange ohne es recht zu merken gestarrt hatte und setzt mich darauf.

Was dort schwelte interessierte nicht.

Nicht jetzt.

„Fu fu fu. Wie recht du hast“, lachte ich leicht und gewohnt und fühlte mich durch dieses eine Lachen noch ein Stück befreiter.

Weil ich gerne lachte.

Weil ich auf viele verschiedene Arten gerne lachte, doch leicht musste es sein.

Und weil ich feststellte, dass Skyler mich immer genauso zum Lachen brachte, wie ich es gerade brauchte.

„Undertaker?“, Skyler lockerte ihre Arme und schaute mir ins Gesicht.

„Hm?“, legte ich meinen so gewohnt und einfach grinsenden Kopf schief, auch wenn ich mir nicht absprechen konnte von den letzten Tagen einfach erschöpft zu sein.

„Ist… also… Ist jetzt alles wieder wie vorher? Keine kalte Schulter mehr? Darf ich wieder einfach so vorbeikommen?“

Ich lachte auf: „Ehehehehehe! Du bist doch so oder so einfach vorbeigekommen, oder?“

„Ähm… War das… sehr schlimm?“

„Fu fu fu. Nur, wenn sich für dich nicht richtig anfühlt was du erreicht und getan hast.“

„Also getan… Eigentlich schon. Aber… was habe ich denn erreicht?“

Ich seufzte, als ich erkannte, dass Skyler mich zwang meine Niederlage laut auszusprechen, ohne es willentlich oder in böser Absicht zu tun: „Wenn du dir wirklich sicher bist. Wenn du es wirklich willst. Dann kannst du mich jederzeit besuchen kommen.“

Eigentlich war ich ein ganz schlechter Verlierer.

Nur etwas Großem in mir war die Niederlage nur allzu lieb, auch wenn ich gleichzeitig wusste wie egoistisch das war.

Doch Skylers aufgehelltes, fast strahlendes, Gesicht fühlte sich wieder mehr nach einem Sieg an: „Echt?! Und, und… Keine kalte Schulter mehr?“

Ich schüttelte grinsend den Kopf.

„Ehrlich?!“

„In der Tat.“

„Du hast mir verziehen!?“

„Es gab nie etwas zu verzeihen.“

„Du bist nicht mehr sauer auf mich?!“

„Nein, Sky, war ich nie.“

„Nicht gekränkt?!“

„Nein.“

„Nicht beleidigt?!“

„Nein.“

„Nicht…!“

Ich griff sie an den Schultern und unterbrach ihren Schwall Ungläubigkeit: „Ich hege und hegte dir gegenüber nie irgendwie geartete negative Gefühle, so glaube mir doch.“

Plötzlich fing sie an zu quietschen. Sky schlug die Hände vor den Mund und wirktefurchtbar aufgeregt. Dann fiel sie mir mit Schwung um den Hals.

Ich schloss die Augen und umarmte sie einfach zurück.

Hinten in meinem Kopf war eine Spur schlechtes Gewissen.

Etwas, was noch nicht ganz wusste wie ich es hinbekam Freitag vor einer Woche nicht in Dauerschleife zu wiederholen.

Doch am Meisten fühlte ich mich einfach wohl.

„Darf ich direkt etwas bleiben?“, nuschelte Skyler in meinen Pulli.

„Du musst“, grinste ich.

Sky blinzelte mich an: „Wie?“

„Nun“, ich wischte ihr eine verwirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und legte meine Hand auf ihre viel zu heiße Stirn: „Du hast hohes Fieber. So lasse ich dich sicherlich nicht durch die Weltgeschichte wandern. Außerdem ist die Sonne schon untergegangen.“

„Bitte?!“, rief die Schülerin erschrocken.

„Ruhig. Schone dich endlich. Ich habe Amy ge... simst?“, ich wedelte mit einer Hand: „Na, diese komischen kleinen Texte in diesem komischen kleinen grünen Programm.“

Skyler kicherte kurz, was mich freute, aber auch eine Braue hoch wandern ließ: „Du hast ihr eine WhatsApp-Nachricht geschrieben.“

„Heißt das so?“, ich legte meinen Arm wieder um ihre zierlichen Schultern.

Da kicherte Skyler schon wieder: „Ja, tut es.“

„So lang?“, ich lachte kurz auf, mehr von ihrem Kichern angetan, als wegen allem anderen: „Fu fu! Kein schmissiger Netzjargon, den ich nicht entziffern kann?“

Die junge Brünette schaute mich sehr amüsiert an: „Ähm... Kihi! Also, nicht das ich wüsste. Höchstens, dass man das 'Nachricht' weglässt.“

„Wie auch immer“, giggelte ich vor mich hin, weil nicht das Thema, sondern Skylers lang nicht gesehenes Pläsier mich wirklich interessiert hatte: „Deine Lehrerin weiß jedenfalls, dass du auswärts übernachtest. Mache dir darum keine Sorgen, meine Schöne.“

„Deine... Schöne?“

Mit einem Lachen legte ich ihr die Hand auf die Wange: „Du bist schön. Eine Augenweide!“, dann tippte ich ihr auf die kleine Nasenspitze: „Und wage es ja nicht mir zu widersprechen.“

„Du…“, Skyler lächelte mich verhalten an, was wirklich süß aussah: „Siehst auch gut aus.“

„Ni hi hi. Danke für die Blumen. Ich war bei der Wahl einer Ausweichgarderobe auf mich allein gestellt und habe nicht damit gerechnet, dass etwas halbwegs Ansehnliches dabei herumkommt“, ich klappte eine Hälfte des Sargdeckels hinunter und setzte mich. Dann gab ich Sky die Suppenschüssel: „Doch ich habe ständig vergessen meine Kleider bei euch abzuholen. Ich erlöse euch morgen davon, versprochen.“

Als ich das ausgesprochen hatte erschien ihn Skylers Gesicht eine große Portion schlechten Gewissens: „Ich… muss dir etwas beichten...“

„Hm?“, ich verstand den plötzlichen Wandel ihrer Mimik nicht: „Was denn?“

„Ich… habe deine Kleider gewaschen...“

„Wie liebreizend!“, nun verstand ich ihre Mimik allerdings noch weniger: „Aber warum nennst du so etwas Beichte?“

„Ich habe… alles gewaschen...“

„Ja?“

„Auch… deine“, sie schluckte und schaute nach unten: „Hose...“

Ich verstand schlagartig: „Oh oh.“

„Ich hab irgendwie… nicht mehr dran gedacht, dass es… Leder ist.“

Und überdeutlich: „Doppel Oh oh.“

„Und… und… und...“

Ich nahm sie an den Schultern: „Ist sie noch zu retten?“

„Nein...“, fiepste sie und schaute mir ganz kläglich von unten ins Gesicht.

Ein gar possierlicher Gesichtsausdruck, über den ich nicht anders als lachen konnte: „Ehehehehe! Dann ist dem so. Sie hat mir lange treu gedient.“

„Es tut mir leid...“

„Sky, es ist nur eine Hose. Außerdem war sie alt und wäre wahrscheinlich eh bald über den Jordan gegangen. Du hast es lediglich ein wenig vorgeschoben“, ich strich ein weiteres Mal über ihre Wange: „Nun iss etwas. Es wird dir gut tun.“

Skyler beschaute die Schüssel: „Hast du wirklich...?“

Mit einem lauten Lachen bewahrte ich sie davor die pure Absurdität auszusprechen, die ihr auf der Zunge lag: „Pahahahahahaha! Bitte denke nicht ich habe gekocht! Ich kann nicht kochen!“

Sie blinzelte mich irritiert ein paar Mal an: „Echt jetzt?“

Ich nahm mir meinen Messbecher Tee: „So wahr ich hier sitze.“

„Du kannst nicht kochen?“, fragte die junge Skyler wieder nach, mehr als nur ungläubig, was mehr als nur erquicklich klang.

„Nicht im Entferntesten“, nahm ich einen Schluck Tee und wurde meines Grinsens nicht mehr Herr.

„Aber“, sie blinzelte wieder: „Du wohnst doch alleine hier, oder?“

„Wer sollte denn mit mir hier wohnen?“, die Frage verstand ich nicht. Ich verstand im Zusammenhang mit ihr einiges nicht, doch gerade empfand ich das verwunderlicherweise nur als halb so schlimm wie üblich.

„Also... ich... ähm“, bekam Sky keinen geraden Satz zustande um sich zu erklären.

Ich kicherte.

„Vielleicht findest du eine Hand voll Spinnen“, hob ich ebenfalls eine Hand und versuchte ihr und der Antwort, die ich schon gerne hätte, auf die Sprünge zu helfen: „Oder die ein oder andere Maus, die schon etwas länger hier heimisch sind, mehr aber nicht. Warum ist dies für dich interessant?“

Skylers Gesicht wurde satt rot und ich gab die Hoffnung auf, am heutigen Tage ein gewisses Maß an ‚Grundverwirrung‘ überwinden zu können: „Öhm höm nöm... äh... Wenn du alleine wohnst und nicht kochen kannst, was isst du dann den ganzen Tag?!“

„Kekse“, das wusste sie doch.

„Nur Kekse?!“, zumindest hatte ich das bis zu diesem Ausbruch angenommen.

Ich lachte schrill auf, als ich wusste, dass was folgt ihr noch weniger gefallen würde: „Und Marmite!“

„Pfui!“, wie erwartet angewidert schüttelte Skyler den Kopf: „Willst du mir sagen, dass du dich überwiegend von Keksen und Marmite ernährst?!“

„Nun, ke he he ja, so sieht es wohl aus.“

„Das kann nicht gesund sein!“

„Vergiss nicht, dass ich kein Mensch bin.“

„Trotzdem!“

„Es geht mir gut, fu fu fu!“

Als sie wieder den Mund öffnete, entschied ich mich mit einem Finger auf ihren Lippen die Diskussion zu unterbrechen, die ewig dauern konnte, wenn wir wollten: „Doch da ich mir bewusst bin, dass du weder meine Kekse noch Marmite sonderlich erquicklich findest, wu hu hu hu, habe ich den Lieferservice angerufen.“

„Lie...“, Sky zog meinen Finger herunter und war so verwirrt, dass sie vom eigentlichen Thema abließ: „Lieferservice?“

„Ni hi hi hi! Den Earl.“

„Alexander?!“

„Jup“, ich überschlug die Beine und nippte an meinem Tee: „Amy schrieb dein Appetit war die vergangene Woche rar gesät bis vollkommen verdorrt. Da dir schon schwarz vor den Augen wurde, dachte ich etwas zu essen wäre eine nicht ganz so schlechte Idee. Doch da ich selbst nichts als komischen Glibber und toxischer Brühe zusammengerührt kriege, rief ich den Earl an. Der übergab meine Bitte an den Butler. Der ist im Kochen doch um einiges kompetenter als ich. Hat mich einige Rabatte gekostet, aber deine Gesundheit ist es mir wert.“

Sky schnappte meine Hand: „Undertaker?“

„Hm?“, schaute ich von unseren Händen in ihr schönes Gesicht.

Eine Träne flitzte aus ihrem rechten Auge, doch auf ihrem Mund stand ein so strahlendes, ehrliches Lächeln, dass ich es nie vergessen würde: „Danke für alles.“

„Nicht. Es ist selbstverständlich“, nachdem ich den Messbecher beiseite gestellt hatte, wischte ich die Träne weg, damit sie ihr wunderbares Lächeln nicht mehr verdarb. Einen atemberaubenden Gesichtsausdruck, wie ich ihn noch nie gesehen hatte: „Du bist erkältet. Hast Fieber. Kaum gegessen und nur sehr schlecht geschlafen. Iss. Danach schlafe ein wenig. Vielleicht funktioniert es hier besser. Erhole dich etwas“, ich strich nochmal über ihre Wange. Ich hatte das Gefühl ihrer Haut so vermisst: „Erweise mir die Ehre und sei mein Gast.“

Widererwartend, dass dies möglich war, hellte Skys Gesicht noch mehr auf und sie drückte meine Hand fester: „Ich würde nirgendwo lieber sein.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Haji
2018-08-04T19:11:36+00:00 04.08.2018 21:11
Hi ^-^
Ich liebe deine Geschichte schon von Anfang an. Ich habe sie mir jetzt zum 2. mal durchgelesen. Ich habe so mit gelitten und mit gefreut. Endlich ist die Qual für die beiden vorbei. Ich würde mich auch freuen, wenn es weiter gehen würde *-*.
Man liest sich ^-^
MfG
Von:  Enine-chan
2018-07-28T20:10:15+00:00 28.07.2018 22:10
Hi
Ich habe vor ein paar Tagen deine FF entdeckt und sie so was von durchgesuchtet , konnte einfach nicht mehr aufhören mit den lesen *__* Diese FF ist einfach so was von wunderbar geschrieben. Die Story so was von mit reißend und Emotion voll das es einen richtig fesselt und man immer unbedingt weiter lesen möchte wie es mit Undertaker und Skay weiter geht, die zwei sind ja so was von süß zusammen *quiek >//<* Die Charaktere wirken so was von lebendig vor allen den Charakter von Undertaker hast du echt super umgesetzt einfach nur genial , man hat echt das Gefühl als wäre man richtig mit dabei in der Story :) ich freue mich schon so sehr auf das Neste Kapitel, denn ich bin so was von Gespannd wie die Geschichte weiter geht und so lange ich auf es warte lese ich sie einfach noch mal so genial ist die :) *liebe sie einfach nur*
und noch ein ganz großes Lob von mir du kannst echt Hammer klasse Geschichten schreiben mach weiter so :)
LG Enine-chan


Von:  Rubindragon
2018-04-25T15:00:27+00:00 25.04.2018 17:00
Oh, wie gemein. Vor ein paar Tagen hab ich diese Geschichte entdeckt und durchgesuchtet. Wie soll ich jetzt die Zeit bis zum nächsten Kapitel über stehen? 😱
Du hast einen tollen und fesselnden Schreibstil. Auch verstehst du es deine eigenen Ideen so einzubringen, dass alles stimmig wirkt.
Ganz großes Lob von mir.
Von:  Liliifee
2018-04-24T23:31:16+00:00 25.04.2018 01:31
Ich bin gespannt wie ein Flitze bogen, wie es wohl wieder geht 😍😶
Ich freue mich aufs Lesen, Ja ich liebe die Ausdrucksweise des passionierten Bestatter's alias u.s.wir 🙊😍😊

Von:  PrinnyTV
2018-03-24T23:23:34+00:00 25.03.2018 00:23
Naaaarg so viele Emotioneeeeeen!!
*kommt aus dem quieken nicht mehr raus*

hach herrlich.. und er hat ein HANDY!! OMG!! xDD
ich will meeeeehr *^*/ !!!!


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