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Schattenspiele

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Schattenspiele

„Mokuba, Frühstück!“

 

Genervt stellte Seto Kaiba Tsukemono und Reis auf den Tisch, bevor er seinen Kaffee nahm und einen Blick auf die Uhr in der Küche warf. Er hatte wieder mal einen dicht gedrängten Terminplan und würde es wahrscheinlich nicht mal zum Abendessen schaffen. Schon wieder.

 

Ein Brand bei Industrial Illusions hatte einen großen Teil der digital und analog entworfenen Prototypen  für die nächste Duel Monsters Expansion vernichtet. Seto hätte Pegasus erwürgen können, als dieser ihn vor vier Tagen deswegen angerufen hatte. Der Zeitplan für die Veröffentlichung der neuen Erweiterung war ohnehin viel zu knapp bemessen gewesen. Er hatte extra spezielle 3D-Drucker herstellen lassen, damit sie die digitalen Entwürfe der neuen Karten direkt drucken konnten. Auf diese Weise hätten sie nicht nur die digitalen Modelle aus den Daten von Industrial Illusions für die Hologramme erstellen, sondern gleich einen ersten Schwung an Merchandise produzieren können. Das hätte ihnen genug Zeit verschafft, bis die Fabriken mit der Produktion nachkommen konnten. Wie oft hatte er Pegasus gesagt, dass er zumindest die digitalen Daten in die KaibaCorp.-Cloud sichern sollte, damit sie auch ein Backup hatten. Dummerweise bestand Pegasus auf seine Rechte und dessen wichtigste Künstler waren noch hauptsächlich von der alten Schule, die ihre Entwürfe auf Papier oder aus Modelliermasse fertigten. Den 3D-Scanner, den Seto ihnen zur Verfügung gestellt hatte, benutzten sie kaum, obwohl die dazugehörige Software bereits fast ausgereifte digitale Versionen der Modelle erstellen konnte.

 

„Das sind Künstler Kaiba. Das sind ihre Babys und dein Scanner ist für sie eine herzlose Maschine, die nur die Oberfläche erfasst, aber nicht das Herz der Karten.“

 

Das Herz der Karten. Manchmal fragte sich Seto, wer verrückter war. Pegasus oder Yugi Muto? Es war ihm immer noch ein Rätsel, wie Pegasus bei all seiner Erfahrung so einen kurzen Entwicklungszeitraum für die gesamte Produktpalette hatte wählen können. Er hatte sich ziemlich in Schweigen gehüllt. Zumindest stand kein Jubiläum oder etwas Ähnliches an, das wäre Seto nicht entgangen.

 

Er schaltete das Radio ein, um die Nachrichten zu hören. An diesem Morgen brauchte er eine Ablenkung von seinen Vorstellungen, wie er Pegasus umbringen könnte.

 

„Morgen Seto.“ Mokuba gähnte herzhaft, als er die Küche betrat und sich an den Tisch setzte.

 

„Guten Morgen Mokuba. Nur weil du erst heute Morgen ins Bett gegangen bist heißt das nicht, dass du deine Manieren vernachlässigen kannst. Wie oft muss ich dir das eigentlich noch sagen?“

 

Seto sah seinen Bruder streng an und der musste erstmal schlucken. Er hatte gehofft, dass Seto entweder schon im Bett oder noch im Büro war, als er von der Klassenfete zurückgekommen war.

 

„Keine Miso-Suppe heute?“

 

„Du wolltest heute zum Frühstück keine, schon vergessen? Wie viel hast du gestern getrunken?“

 

Diesen strengen Blick mochte Mokuba nicht. Das eisige Blau von Setos Augen ließ ihn immer viel wütender aussehen, als er mitunter war. Geschäftlich war das ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil, aber privat ließ es seinen Bruder wie den Eisklotz aussehen, den man ihm nachsagte.

 

„Nicht mal eine Flasche. Das Zeug, was die angeschleppt haben war nicht mal mit Cola gemischt genießbar. Ist jede Menge von übergeblieben.“

 

Seto hatte lange gebraucht, um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob er Mokuba den Konsum von Alkohol verbieten sollte. Er konnte sich selbst nicht als Beispiel nehmen, da sein Stiefvater ihn recht früh hatte abhärten lassen, wie er es nannte. Damit ihn bei geschäftlichen Anlässen niemand mittels Alkohol über den Tisch ziehen konnte oder irgendwelche Druckmittel in die Hand bekäme.

Schließlich hatte er sich entschlossen, mit seinem kleinen Bruder offen an das Thema ranzugehen und erstmal nur die Menge und die Art des Alkohols zu limitieren. Ein Verbot hätte mitunter den gegenteiligen Effekt haben können. Zu seiner Erleichterung schien Mokuba Alkohol generell weniger zugetan zu sein. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, bei entsprechenden Gelegenheiten lange weg zu bleiben.

 

„Wer hat die Getränke organisiert?“

 

„Takuya.“

 

Seto schüttelte den Kopf und wandte sich seinem Frühstück zu. Dieser Bengel von dem selbsternannten Medienguru war Experte darin, einfachste Dinge nicht hinzubekommen. Da sein Vater allerdings einen gewissen Einfluss und Geld hatte, konnte er sich eine Menge herausnehmen. Verzogenes Balg war da noch eine schmeichelhafte Formulierung, die Seto öfter für ihn benutzte.

 

Während Mokuba von der Party erzählte, in dessen Verlauf besagter Takuya nach einem Breakdance-Versuch ins Buffet gestürzt war, wechselte der Nachrichtensprecher zu einem Thema, das seit gut zwei Wochen immer präsenter in den Nachrichten wurde und die Bürger von Domino zunehmend in Sorge versetzte.

 

„Gestern Nacht fand man einen Schüler der Domino High School bewusstlos am Flussufer. Wie die Polizei mitteilte, ist auch dieser Junge Opfer des mysteriösen Vampirs von Domino geworden. Wie die bisherigen vier Opfer liegt auch er im Koma. Die Polizei bittet alle Bürger von Domino, nachts nicht alleine das Haus zu verlassen. Wer Hinweise zur Ergreifung des Täters oder zu den bisherigen Taten machen kann, wird gebeten sich umgehend bei der Polizei zu melden. Bisher stehen die Behörden jedoch vor einem Rätsel. Noch immer ist unklar, wie der Vampir seinen Opfern das Blut aussaugt. Wir bleiben natürlich weiter für Sie an dem Fall dran.“

 

„Seto, was denkst du, wie der Kerl das macht?“

„Wie kommst du darauf, dass es ein Mann war?“

„Naja…sowas kann doch nur ein Kerl gewesen sein. Sowas würde doch keine Frau tun.“

„Wahrscheinlich auf die gleiche Art, wie Blut generell abgenommen wird. Nur das hier die Halsschlagader als Ansatz diente. Bei einer Blutspende dauert die reine Blutabnahme schließlich auch nur ein paar Minuten. In jedem der Fälle war wohl mehr als genug Zeit vorhanden. Wahrscheinlich wurde ein Betäubungsmittel eingesetzt, damit sie sich nicht wehren. Abwehrspuren hat man schließlich nicht gefunden. Außerdem kann es sehr wohl auch eine Frau gewesen sein. Habe ich dir nicht beigebracht, dass das Geschlecht damit nicht zwangsläufig etwas zu tun hat?“

 

„Ja. Ich dachte ja nur…“ Mokuba sah betrübt in seine Tasse, die bereits halb leer war.

 

„Ich möchte nicht, dass du irgendwo alleine hingehst. Roland wird dich zur Schule fahren und auch wieder abholen. Wenn du irgendwo hin willst, fährt er dich und du sagst mir Bescheid.“ Seto sah seinen kleinen Bruder ernst an.

 

Für einen Moment wollte Mokuba widersprechen, überlegte es sich dann aber anders. Er kannte keines der Opfer, aber der Täter hatte zuletzt häufiger zugeschlagen. Er stutzte. Er kannte die Opfer doch! Bei dem jüngsten Opfer konnte er sich zwar noch nicht sicher sein, weil die Identität noch nicht genannt worden war, aber…

 

„Seto, die Opfer…die waren alle Teilnehmer der letzten beiden Duel Monsters Turniere!“

„Ich weiß.“ Seto trank einen Schluck Kaffee und sah Mokuba abwartend an.

 

Davon hatte Seto vorher gar nichts gesagt. Mokuba war sich sicher, dass er diese Feststellung schon vor einiger Zeit gemacht haben musste, so trocken und ungerührt, wie er reagiert hatte. Es war nichts ungewöhnliches, dass der Geschäftsführer der Kaiba Corporation sich im Stillen Informationen besorgte. Manchmal auch nicht ganz legal.

 

„Na schön, ich sag dir Bescheid und lasse mich von Roland fahren. Weiß denn die Polizei schon davon?“

„Natürlich. Die hatten noch gar nichts, als ich dort angerufen habe. Ich hab ihnen die Teilnehmerlisten der letzten beiden Turniere geschickt.“

 

Mokuba nickte nur und wandte sich wieder seinem Frühstück zu. Nach dem Frühstück fuhr Roland Mokuba zur Schule, bevor er Seto in der Firma absetzte.

 

Es war schon spät, als Seto ein Bürogebäude verließ, dass in einem der ruhigeren Viertel von Domino lag. Der Tag hätte nicht schlechter laufen können. Ein geplatzter Deal mit einem Lizenzgeber, der Ausfall eines Mainframes in seiner Firma und nun hatte er Stunden damit verbracht, einen potentiellen Kooperationspartner von seinen Plänen zu überzeugen, nur um mit einem anderen Termin abgespeist zu werden. Der Kerl war hartnäckig, aber wenn er unbedingt auf Zeit spielen wollte, um mehr Geld rauszuschlagen, so gab es Seto Zeit, sich einen anderen möglichen Partner zu suchen und das Angebot noch zu drücken. Niemand wies einen Kaiba ab. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits nach acht Uhr war. Mokuba sollte bereits zu Hause sein und dann konnten sie noch zusammen zu Abend essen. Seto nahm sein Smartphone aus der Tasche und stellte fest, dass sein Bruder ihm eine Nachricht geschickt hatte.

 

„Warum heute?“

 

Mokuba hatte ihm geschrieben, dass er noch zu einem Schulfreund fahren wollte, um ein Schulprojekt fertig zu machen und dass er sich dann von Roland abholen lassen würde. Das war vor knapp zwei Stunden gewesen und Seto hatte Roland angewiesen, in Mokubas Nähe zu bleiben. Das bedeutete für ihn, dass Roland ihn nicht abholen konnte. Einen Moment wägte er seine Optionen ab. Natürlich konnte er sich ein Taxi rufen, aber er hatte heute keine Lust mehr auf das sinnlose Gequatsche irgendwelcher Leute. Es gab ein Restaurant in der Nähe, in dem er manchmal mit Mokuba essen ging und sein Bruder hatte entweder schon gegessen oder würde es bei seinem Freund tun. Er würde einfach erst was essen und den Fahrdienst der Firma danach zum Restaurant bestellen. Seto überlegte kurz, welchen Weg er zum Restaurant nehmen sollte, entschied sich aber fast sofort für den kürzeren. Die Abkürzung führte durch einen noch immer schlecht ausgeleuchteten Park, aber auf der anderen Strecke war um diese Zeit zu viel los. Der Weg führte direkt durch eine Partymeile, die um diese Zeit voll war mit Leuten, die gerade erst Feierabend hatten. Ein Taxi oder der Fahrdienst lohnten sich für den Weg zum Restaurant nicht. Er würde dann länger warten, als es zu Fuß dauerte dort hinzukommen. Seto steckte sein Smartphone wieder ein und machte sich auf den Weg. Als er durch den Park ging, fiel ihm erneut auf, wie dunkel es hier nachts war. Das ganze Gelände war eine einzige Fehlkonstruktion gewesen. Mangelhafte Beleuchtung, kein Kinderspielplatz, obwohl das Gebiet an eine Wohnsiedlung grenzte und jede Menge unübersichtliche Ecken, die viele Leute davon abhielten, hier nach Anbruch der Dunkelheit durchzugehen. Es hatte schon mehrere Beschwerden beim Bürgermeister gegeben, der versprochen hatte, sich darum zu kümmern. Das war bereits zwei Monate her. Wurde wohl mal wieder Zeit, dass Seto diesen dicken, alten Mann anrief, damit sich hier was tat.

 

Seto blieb stehen. Irgendjemand folgte ihm seit einer Weile und da der Park jede Menge Möglichkeiten für zwielichtiges Gesindel bot, hielten die sich hier auch gerne mal auf, wenn die Polizeistreife, die extra für den Park abgestellt worden war, mal wieder nicht in der Nähe war. Wer auch immer ihm gefolgt war, trat noch einige Schritte an ihn heran, bevor er stehenblieb.

 

„Was auch immer Sie wollen, gehen Sie besser. Dann vergesse ich, dass Sie mir gefolgt sind.“ Setos Stimme war herrisch und schneidend. Er wusste, wie man Leute einschüchtern konnte und zur Not konnte er dem Kerl auch ohne Waffe eine Lektion erteilen.

 

„Keine Sorge, es wird nicht lange dauern.“

 

Die Stimme des Fremden, so freundlich sie sich zunächst anhörte, ließ ein unbehagliches Gefühl in Seto aufsteigen. Wer immer auch sein Verfolger war, er machte das nicht zum ersten Mal und war sich seiner Sache sehr sicher. Er drehte sich um und wäre beinahe einen Schritt zurückgegangen. Der Mann stand kaum eine Armlänge von ihm entfernt, dabei war er als er sprach definitiv ein gutes Stück entfernt gewesen. Wie hatte er sich so nah an ihn heranschleichen können, nachdem Seto ihn schon bemerkt hatte?

 

Mit einem abschätzigen Blick musterte Seto den Mann vor ihm. Wäre Halloween gewesen, wäre das sicherlich eine gute Verkleidung gewesen. Angezogen wie ein französischer Adliger aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Das dunkle Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden und mit einem knöchellangen dunklen Mantel mit hohem Stehkragen gab er einen überzeugenden Dracula-Verschnitt ab. Allerdings war noch kein Halloween und der Kerl war gerade zum Hauptverdächtigen in den sogenannten Vampir-Überfällen geworden. Das Grinsen des Mannes offenbarte spitze Zähne, wie sie zu den Bissspuren auf den Fotos in den Polizeiakten passten, die Seto sich besorgt hatte. War der Kerl ein Verrückter, der sich tatsächlich für einen Vampir hielt? Oder war er nur ein Sadist, der auf diese Weise die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen wollte?

 

„Was wollen Sie?“

„Das, was ich von den anderen auch wollte.“

 

Der Mann musterte Seto und leckte sich dabei über die Lippen. Geradeso, als ob er eine Delikatesse wäre.

 

„Sie haben sich den Falschen ausgesucht.“

 

Seto zog sein Smartphone raus und wollte schon den Notruf verständigen, als er mitten in der Bewegung innehielt. Er konnte seinen Arm nicht mehr bewegen. Nein, das konnte doch unmöglich sein. Er konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen!

 

„Du hast einen starken Willen. Passt sehr gut zu deinen hübschen Augen, Kleiner. Kein Wunder, dass die weißen Drachen nur deinen Namen flüstern, Seto Kaiba.“

 

Das war schlecht. Seto hatte sich vollkommen geirrt. Es war, als würde Gozaburo ihm zurufen, was für ein Idiot er war, sich von dem lächerlichen Äußeren täuschen zu lassen. Der Kerl vor ihm inszenierte sich anscheinend nur aus Spaß so. Er war schlicht ein eiskalter Typ, der Spaß an dem hatte, was er tat. Wieso konnte er sich nicht bewegen? Hypnose? War das möglich? Er brauchte Zeit, aber so wie die anderen Fälle verlaufen waren hatte er die nicht. Ihm fiel nichts Besseres ein, als die einzige Karte zu spielen, die er in dieser Situation auf der Hand hatte.

 

„Sie glauben doch nicht, dass Sie einfach damit davonkommen. Da Sie ja offensichtlich wissen, wer ich bin, sollte Ihnen auch klar sein, dass es keinen Winkel auf diesem Planeten gibt, in dem ich Sie nicht aufspüren lassen kann. Sie stellen sich besser gleich der Polizei!“

 

Setos Stimme war schneidend und vor allem war sie laut. Seine einzige Hoffnung im Moment war, dass doch noch irgendjemand in der Nähe war.

 

„Du bist wütend, sehr schön. Die anderen waren so ängstlich, dass es den Geschmack fast verdorben hat. Du bist wirklich faszinierend, Kleiner. Noch so jung, aber so ein starker Wille und … ich rieche eine alte Seele in dir. Sieht aus, als würde ich heute Abend festlich speisen. Keine Sorge, du wirst danach schön schlafen, während ich mich weiter von dir nähren werde.“

Seto wollte etwas erwidern und mehr Zeit herausschinden, aber er bekam keinen Ton mehr raus. Er hatte Hypnose mittlerweile ausgeschlossen. Ein geruchsloses Gas war wahrscheinlicher. Die alte Kaiba Corporation hatte auch mit entsprechenden Gasen als potentielle Kampfstoffe experimentiert. Ein Gas, das nach und nach den Körper lähmte…das musste es sein, aber wieso beeinträchtigte es diesen Vampir-Typen nicht? Er trug schließlich keine Gasmaske. Ein Impfstoff? Noch immer versuchte Seto krampfhaft sich zu bewegen und diesem Kerl einen gezielten Schlag in den Solarplexus zu verpassen, doch sein Körper wollte ihm einfach nicht gehorchen.

 

Mittlerweile hatte der Kerl einen Arm um seine Hüfte gelegt und ihn an sich herangezogen, während sich seine freie Hand in Setos Haare krallte und den Kopf zur Seite zog. Das nächste, was Seto spürte war ein stechender, brennender Schmerz, der sich von seinem Hals ausbreitete und bis in Brust und Rücken abstrahlte. Er konnte den Vampir schlucken hören, als er gleichzeitig spürte, wie ihn die Kraft verließ. Der Biss brannte immer mehr, sein Herz begann zu rasen und langsam schmerzte jeder Herzschlag, als würde der Kerl sein Herz langsam zerquetschen. Ein seltsames Rauschen erklang in seinen Ohren, das Atmen fiel ihm immer schwerer, bis er nach Luft schnappen musste. Seto spürte, wie er langsam das Bewusstsein zu verlieren drohte und irgendwelche Bilder vor seinem inneren Auge aufflammten. Warum hatte er auch nicht den längeren Weg genommen? Er spürte nicht mehr, wie sich seine Erstarrung löste und sich sein Griff um das Smartphone lockerte.

 

***

 

„Und wehe, du kommst morgen wieder zu spät! Dann kannst du dir einen neuen Job suchen!“

 

Wütend knallte Joey die Tür des Personaleingangs hinter sich zu.

 

„Alter Wichser!“

 

Er hasste den Job in dieser Bar und das nicht zuletzt wegen seinem cholerischen Boss. Allerdings brauchte er das Geld und solange er keine Alternative in Aussicht hatte, musste er wohl oder übel weiter dort arbeiten. Was konnte er denn dafür, dass der Bus nicht gefahren war? Er war so sehr damit beschäftigt, wie er seinem Boss eins auswischen konnte ohne gefeuert zu werden, dass er gar nicht gemerkt hatte, welchen Weg er eingeschlagen hatte.

 

„So eine Scheiße. Ausgerechnet heute.“

 

Er war falsch abgebogen und stand nun in dem neuen Park. Glühwürmchenpark nannten sie ihn, weil Glühwürmchen kaum weniger Licht verbreiten konnten als diese wenigen Lampen.

 

„Besser ich beeile mich. Mit etwas Glück ist gerade keiner der Dealer in der Nähe.“

 

Joey sah sich immer wieder um, doch er schien Glück zu haben. Plötzlich hörte er eine laute Stimme. Selbst während eines Sturms hätte er die Stimme wiedererkannt. Was machte Seto Kaiba um diese Zeit in diesem Park? Obwohl er es eigentlich besser hätte wissen sollen, folgte er der Stimme. Kaiba schien sich mit jemandem zu streiten. Nach einer Weile entdeckte er den arroganten Konzernchef auch schon. Allerdings war er nicht darauf vorbereitet, was er zu sehen kriegen würde. Er hatte sich hinter einem Baum versteckt und lugte nun vorsichtig am Stamm vorbei. Trotz der miesen Lichtverhältnisse erkannte er Kaibas Mantel. Niemand in der Stadt trug noch so ein Teil. Nach dem Wortwechsel hatte er erwartet, dass hier eher gleich eine Schlägerei losgehen könnte, aber nicht, das Kaiba da mit jemandem rummachen würde. Joey hatte die andere Stimme noch nie zuvor gehört, aber sie gehörte zweifellos einem Mann, da war er sich sicher. Seit wann war Kaiba schwul? Naja, es ging ihn nichts an und er sollte lieber zusehen, dass er hier wegkam, bevor der reiche Schnösel ihn entdeckte. Er wollte schon davonschleichen, als ihm etwas auffiel. Zugegeben, er hatte Kaiba noch nie mit einem Mädchen gesehen oder gar einem Jungen. Dafür war er viel zu bissig und distanziert. Aber Kaiba war nicht der Typ, der nach einem hörbaren Streit einfach anfing rumzuknutschen. Und erst recht nicht hier. Noch einmal sah Joey zu der Szene vor sich und nun vielen ihm weitere Ungereimtheiten auf.

 

Obwohl der andere Kerl, der ebenfalls einen langen Mantel trug, ihm fast vollständig die Sicht auf Kaiba versperrte, wirkte Seto irgendwie steif. Er hatte auch seine Arme nicht um den Typen geschlungen, wie es für ein Pärchen zu erwarten war. Einen Arm hielt er etwas zur Seite, als wenn er gerade etwas hatte nehmen oder heben wollen. Plötzlich reflektierte etwas das Licht der nächsten Laterne. Etwas, das aus Setos Hand gefallen war. Sein Smartphone etwa? Schlagartig wurde Joey bewusst, was er da sah. Der Typ war nicht Kaibas geheimer Lover, das musste der Typ sein, den die Zeitungen den Vampir genannt hatten. Rasch sah er sich um, fand aber nichts passendes, sodass er kurzerhand einen tiefhängenden Ast des Baumes ergriff und ihn nur mit Mühe abbrechen oder vielmehr abreißen konnte. Die Bäume waren zu jung für leicht abbrechbare Äste. Mit einem Kampfschrei stürzte er aus seinem Versteck hervor und lief auf die Beiden zu, nur um einen Moment später den Ast auf dem Rücken des Vampirs niedersausen zu lassen. Dieser stürzte mit Kaiba zu Boden aber rappelte sich im Nu wieder auf und fauchte Joey an.

 

Joey stolperte ein paar Schritte zurück. Der Kerl hatte Vampirzähne! Und sein Gesicht war voller Blut! Wütend hob Joey den Ast, um erneut zum Schlag auszuholen, doch der Kerl war blitzschnell auf ihn zugestürmt und hatte ihn mit einem saftigen Kinnhaken zu Boden befördert. Joey hörte ein Knacken und höllischer Schmerz durchzuckte sein rechtes Handgelenk. Den Ast hatte er fallengelassen und bevor er sich aufrappeln konnte, hatte der Unbekannte ihn am Kragen gepackt und hochgehoben, als sei er eine Stoffpuppe.

 

„Joey Wheeler, jemand wie du sollte den rotäugigen schwarzen Drachen gar nicht besitzen! Mit euch bin ich noch nicht fertig!“

 

Der Mann schleuderte Joey fort und verschwand plötzlich. Der Schüler brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln, bevor ihm Kaiba wieder einfiel.

 

„Kaiba? Bist du in Ordnung?“ Joey erhob sich langsam und hielt sich den Arm, als er auf Seto zulief.

 

Als sich Joey neben ihn kniete, sah er das ganze Blut an Kaibas Hals. Die Wunde blutete heftig und er atmete schwer und keuchend, als ob er keine Luft mehr bekäme. Seine Augen waren halb geschlossen und er reagierte gar nicht auf Joeys Versuche, seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

 

„Mensch Kaiba, mach keinen Blödsinn.“ Hektisch durchsuchte Joey seine Taschen und zog ein Taschentusch aus seiner Jackentasche, dass er sofort auf Setos Hals presste. Mit seinem verletzten Arm schaffte er es mit Mühe, sein Handy aus der Tasche zu holen und den Notruf abzusetzen.

 

***

 

„Das Teil ist ja der Wahnsinn!“ Aufgeregt inspizierte Mokuba den Inhalt der Holzkiste.

„Das ist es allerdings. Eines der ältesten erhaltenen Exemplare des frühen Schachspiels. Und noch in einem sehr guten Zustand. Der Vorbesitzer hat es wirklich vorbildlich gepflegt.“

 

Sugoroku Muto sah stolz auf das alte Schachspiel, dass er nur nach zähen Verhandlungen von seinem Vorbesitzer, vielmehr dessen gierigen Erben, hatte loseisen können.

 

„Eigentlich schade, dass den Erben das Geld wichtiger war als dieses Kunstwerk. Die ganzen Details sind unglaublich schön.“ Yugi drehte einen Springer zwischen seinen Fingern und betrachtete sich die Schnitzereien.

„Das sind sie in der Tat. Danke Herr Muto, dass Sie es besorgen konnten. Mir hätten die das wohl nie verkauft, wenn sie gewusst hätten, für wen es ist.“

„Kein Problem Mokuba. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich ziemlich überrascht war, dass dein Bruder sich für so ein Stück interessiert. So viel, wie er mit modernster Technik macht hab ich ihm das nicht zugetraut.“

„Naja, er hat schon verschiedene Versionen von holografischem Schach programmiert. Er hat auch ein schönes Exemplar aus Glas. Aber das hier hat es ihm richtig angetan und er war so sauer, dass man es ihm nicht verkaufen wollte.“

„Dann musst du es ja jetzt nur noch vor ihm verstecken.“ Yugi grinste, als er den Springer in den Kasten zurücklegte.

„Kann ich es vielleicht solange hier lassen? Zu Hause würde er es früher oder später finden, ohne überhaupt danach zu suchen.“

„Ich kann es solange in meinem Zimmer aufbewahren, kein Problem.“

„Danke Yugi.“

 

Mokuba hatte anfangs Bedenken gehabt, Yugi um Hilfe zu bitten, um über seinen Großvater an das Schachspiel heranzukommen, dass er seinem Bruder schenken wollte. Er hätte nicht gedacht, dass der alte Mann seinem Bruder schon vergeben hatte. Zum Glück hatte er sich da geirrt. Yugis Großvater und Seto verband sogar eine ähnliche große Leidenschaft für Schach.

 

„Da wir das nun geklärt haben, wie kommst du nach Hause Mokuba?“ Sugoroku sah den Jungen ernst an.

„Roland hat in der Nähe geparkt, ich brauch ihm nur kurz Bescheid geben, dann kommt er her.“

„Gut. Wegen dem Verrückten, der hier sein Unwesen treibt, hätte ich dich auch nicht alleine gehen lassen.“

„Es sollte sowieso kein Duellant mehr nachts alleine irgendwo hingehen.“

„Wieso Duellant? Was hat das denn mit dem Vampir zu tun?“ Yugis Großvater sah den Jungen erstaunt an.

„Ach ja, könnt ihr ja gar nicht wissen. Die Polizei hat das ja noch nicht publik gemacht. Alle bisherigen Opfer, ich nehme mal an das jüngste ebenfalls, waren Teilnehmer der letzten beiden Duel Monsters Turniere.“

„Wirklich? Ist das sicher?“ Yugi sah ihn erschrocken an. Das setzte schließlich auch seine Freunde und Mokuba auf eine Liste potentieller Opfer. Von Seto selbst ganz zu schweigen.

„Ja, Seto hat es wohl zuerst rausgefunden. Ich hab das heute in der Pause nochmal überprüft und die Listen durchsucht. Er hat recht damit. Ich frage mich nur, warum die Polizei das dann nicht veröffentlicht.“

„Wahrscheinlich um keine Panik damit auszulösen. Die Zeitungen und das Fernsehen überschlagen sich ja geradezu mit reißerischen Meldungen.“ Sugoroku kratzte sich am Kinn. Jetzt machte er sich noch mehr Sorgen um seinen Enkel und dessen Freunde.

„Gibt es denn sonst irgendeinen Zusammenhang? Irgendwas, womit man auf das nächste Opfer schließen könnte?“

„Nein, also zumindest für mich sieht die Auswahl willkürlich aus. Vielleicht hat Seto ja noch was rausgefunden, falls er überhaupt Zeit hatte dafür.“

 

Mokuba nahm sein Smartphone aus der Tasche und überprüfte eventuell eingegangene Nachrichten. Keine Nachricht von seinem Bruder, nur eine Statusmeldung von einem der Server in der Firma.

 

„Wann kommt Seto denn nach Hause? Du wärst ja sonst alleine, oder?“ Yugi sah Mokuba besorgt an. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass Mokuba alleine zu Hause war, wenn der Vampir Duellanten jagte.

„Keine Ahnung. Er verhandelt mit so einem Geldsack. Das könnte länger dauern. Er hat auch noch nicht auf meine Nachricht von vorhin geantwortet. Aber Roland und der Sicherheitsdienst sind ja noch da. Und das Sicherheitssystem hat bisher noch niemand geknackt.“

 

Sugoroku wollte gerade etwas sagen, als Mokubas Smartphone klingelte. Nach einem kurzen Blick aufs Display, nahm dieser den Anruf entgegen. Dass etwas Schlimmes passiert sein musste, konnte man dem jungen Kaiba direkt ansehen. Ihm war jede Farbe aus dem Gesicht gewichen und er fragte mehrmals, was passiert sei und spätestens als er nach Setos Befinden fragte, war klar wer am anderen Ende sprach. Er beendete schließlich das Gespräch.

 

„Was ist mit Seto?“

„Er…liegt im Krankenhaus…die wollen mir nicht sagen, was passiert ist, aber die Polizei ist wohl auch da.“

„Das ist ja furchtbar!“

 

Yugi holte einen Stuhl für Mokuba der gerade aussah, als würde er jeden Moment umkippen. Er stand völlig unter Schock und brauchte einen Moment, bis er sich wieder fing.

 

„Joey ist auch da. Im Krankenhaus.“

„Joey? Muss der nicht heute arbeiten?“ Sugoroku sah seinen Enkel fragend an und dieser warf einen Blick auf die Uhr.

„Er müsste schon Feierabend haben. Aber wieso ist er auch im Krankenhaus? Haben die was gesagt?“

 

Mokuba schüttelte nur den Kopf, bevor er eine Nachricht verfasste und abschickte.

 

„Ich muss sofort ins Krankenhaus. Willst du mitkommen? Wegen Joey?“

 

Der Junge machte eher den Eindruck, als wolle er einfach nicht alleine gehen und Yugi sagte zu. Er hätte bei bestem Willen jetzt nicht hierbleiben können.

 

Es dauerte nicht lange, bis Roland vor dem Game Shop hielt und die beiden Jungen in Begleitung von Yugis Großvater einstiegen.

 

Als sie im Krankenhaus eintrafen, wartete bereits die Polizei an der Information.

 

„Mokuba Kaiba?“ Ein schlecht gelaunt aussehender Polizist hatte ihn angesprochen und musterte ihn abschätzig.

„Ja. Was wollen Sie?“ Mokuba hatte gerade echt andere Sorgen, als sich mit irgendwelchen Streifenpolizisten zu unterhalten.

„Wir müssen wissen, wo Ihr Bruder heute war, bevor er hier eingeliefert wurde.“

„Wenden Sie sich an seine Sekretärin, die gibt Ihnen eine Kopie seines Terminplans von heute.“

„Dafür haben wir keine Zeit. Also, wo war Ihr Bruder heute überall?“

 

Widerwillig beantwortete Mokuba die Fragen der Beamten.

 

„Ich habe Ihre Fragen beantwortet, jetzt verraten Sie mir, was mit meinem Bruder passiert ist!“

„Ich kann Ihnen zum derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts sagen.“ Der Mann sah Mokuba an, als hätte er ihn mit dieser Frage beleidigt.

„Ich bin sein Bruder, ich habe ein Recht darauf zu erfahren, was passiert ist!“

 

„Herr Kaiba?“ Eine Ärztin war an die kleine Gruppe herangetreten und hatte Mokuba angesprochen.

„Ja. Wissen Sie, wie es meinem Bruder geht?“

„Am besten besprechen wir das in meinem Büro. Ich habe da noch ein paar Fragen an Sie.“

„Wann können wir Herrn Kaiba befragen?“

 

Die Ärztin starrte den Polizisten entgeistert an.

 

„Bis auf weiteres gar nicht, weil er nicht ansprechbar ist. Ich werde Ihnen Bescheid geben lassen, wenn Sie mit ihm sprechen können.“

„Jetzt hören Sie mal, Frau Doktor, es ist wichtig das wir …“

„Nein! Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen? Wenn Sie Glück haben, ist der andere Junge nachher vernehmbar.“

 

Einen Moment lang sah es so aus, als würde der Polizist die Ärztin anschreien wollen. Nach einer Weile drehte er sich um und ging zurück zur Information.

Mokuba folgte der Ärztin, während Yugi und Sugoroku sich an der Information nach Joey erkundigten.

 

„Es tut mir Leid Herr Kaiba, wie Sie dieser Rüpel von der Polizei behandelt hat. Diese Leute scheinen sich manchmal für Gott zu halten. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas trinken?“

 

Mokuba setzte sich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch der Ärztin. Das Zimmer war wie eine kleine Arztpraxis eingerichtet und wirkte auf ihn recht kalt.

 

„Was ist denn nun mit meinem Bruder? Und was hat die Polizei damit zu tun?“

 

Mokuba hatte mittlerweile einen Verdacht, was passiert sein könnte und er betete inständig, dass er sich irrte. Nervös rieb er sich den Arm und sah die Frau fast schon flehend an.

 

„Es tut mir aufrichtig Leid, Ihnen das sagen zu müssen. Sie haben sicherlich von den Überfällen in den letzten Wochen gehört. Der von der Polizei und den Medien sogenannte Vampir hat diesmal Ihren Bruder als Opfer gewählt.“

 

Die Frau, vielleicht Mitte fünfzig, wartete einen Moment, um Mokuba Zeit zu geben die Information zu verdauen. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mehrfach setzte er zu einer Frage an, brachte jedoch kein Wort heraus.

 

„Herr Kaiba, die bisherigen Opfer des Täters liegen bis heute im Koma, ohne dass sich ihr Zustand verbessern würde. Bei Ihrem Bruder verhält sich die Sache jedoch etwas anders. Durch das selbstlose Eingreifen eines jungen Mannes konnte der Angreifer seine Tat nicht vollenden. Als der Notarzt und die Sanitäter vor Ort eintrafen, war Ihr Bruder bei Bewusstsein, allerdings nicht ansprechbar. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, der Zustand Ihres Bruders ist weiterhin kritisch. Er hat eine Menge Blut verloren und so wie es aussieht, könnte der Täter mit Gift hantiert haben. Darauf deutet zumindest ein erstes Ergebnis des Abstriches hin, den wir von der Wunde am Hals genommen haben.“

 

„Aber Sie sagten der Polizei doch gerade, dass er bewusstlos ist.“

„Richtig. Ihr Bruder hat große Schwierigkeiten mit der Atmung. Nach allem, was wir bisher festgestellt haben, scheint der Täter über die Halswunde ein Gift injiziert zu haben, dass anscheinend eine lähmende Wirkung auf die Atemwege hat. Das ist allerdings etwas, was die übrigen Patienten bisher nicht hatten. Hat Ihr Bruder irgendwelche Allergien oder verträgt er irgendwelche Medikamente nicht?“

 

Mokuba brauchte einen Moment, um zu begreifen, was die Ärztin da sagte.

„Nein, das wüsste ich. Aber was bedeutet das? Schwebt Seto in Lebensgefahr?“

„Wie ich bereits sagte, sein Zustand ist kritisch. Wir haben ihm erstmal eine Bluttransfusion verabreicht, um die Folgen des Blutverlustes einzudämmen. Da wir noch nicht wissen, was seine Atemschwierigkeiten konkret verursacht und um welches Gift es sich handelt, schränkt uns das in unseren Möglichkeiten ein. Sein Zustand ist im Moment halbwegs stabil, aber seine Probleme mit der Atmung bereiten uns Sorgen.“

 

„Kann ich zu ihm?“

„Im Moment noch nicht. Mein Kollege untersucht ihn noch und versucht einen Weg zu finden, wie wir Ihrem Bruder das Atmen erleichtern können, bis wir die Ergebnisse aus dem Labor haben.“

„Wo hat man ihn gefunden?“

„Im Tetsuya-Park. Nicht gerade der beste Ort für einen Spaziergang. Wissen Sie, was er dort gemacht hat?“

 

Mokuba dachte einen Moment nach.

 

„Er hatte geschäftlich in der Nähe zu tun. Aber eigentlich hätte er den Park gar nicht durchqueren müssen…Es ist meine Schuld…wenn ich nicht noch unbedingt sein blödes Geschenk hätte holen wollen, dann hätte er Roland angerufen, damit er ihn abholt.“

 

Tränen rannen Mokubas Gesicht herunter. Die Ärztin legte ihm eine Hand auf den Arm und sah ihn entschlossen an.

 

„Das ist nicht Ihre Schuld, Herr Kaiba. Fangen Sie gar nicht erst an, sich sowas einzureden. Schuld trägt einzig und allein der Mann, der Ihren Bruder angegriffen hat. Mein Neffe macht seine Ausbildung bei der Kaiba Corporation. Soweit ich weiß, gibt es einen Fahrdienst, der jedem Mitarbeiter zur Verfügung steht, oder nicht?“

 

Der Junge nickte. Richtig, Seto hätte einfach den Fahrdienst anrufen können. Aber warum war er durch den Park gegangen?

 

„Seto hat sich bestimmt gewehrt. Er hat Kampfsporterfahrung.“ Mokuba wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.

„Wir haben keine Abwehrverletzungen gefunden. Allerdings waren die bei keinem der bisherigen Opfer zu sehen. Wenn Ihr Bruder erfahrener Kampfsportler ist bedeutet das allerdings, dass der Angriff ihn überrascht haben muss, sodass er gar nicht die Möglichkeit hatte, sich zu wehren. Das ist eine wichtige Information.“

„Woher wissen Sie eigentlich, dass es ein Mann war? Ich dachte, die Polizei hätte da noch keine Anhaltspunkte.“

„Der junge Mann, der Ihrem Bruder zu Hilfe gekommen ist, ist sich da ganz sicher. Allerdings steht er noch unter Schock. An das Gesicht des Mannes konnte er sich spontan nicht erinnern, was in so einer Situation allerdings nicht verwunderlich ist.“

„War es Joey? Die Schwester am Telefon sagte, er sei auch hier eingeliefert worden.“

„Joey Wheeler, ja, das ist er. Er hat Glück gehabt. Er wird noch untersucht, aber soweit ich das mitbekommen habe, hat er sich nur am Arm verletzt.“

 

Mokuba nickte und verfiel in Schweigen. Die Ärztin wartete einen Moment, bevor sie ihn wieder ansprach.

 

„Ich werde jetzt wieder nach Ihrem Bruder sehen. Sie können hier bleiben, wenn Sie warten möchten. Ich sage Ihnen dann Bescheid, wenn Sie zu ihrem Bruder können.“

 

Erneut antwortete Mokuba nur mit einem Nicken. Die Frau drückte noch einmal seinen Arm und verließ dann das Zimmer. Einer Krankenschwester gab sie den Auftrag, ein Auge auf ihn zu haben.

 

***

 

„Da haben Sie aber verdammtes Glück gehabt, Herr Wheeler.“

 

Der Arzt wandte sich von der Röntgenaufnahme ab und sah den Jungen vor sich an. Joeys Lippe war aufgeplatzt, was er erst gemerkt hatte, als einer der Sanitäter die Wunde versorgt hatte. Er hielt sich ein Kühlpack gegen die Stelle, wo ihn der Vampir mit seinem Kinnhaken erwischt hatte. Trotz des Schmerzmittels, das man ihm gegeben hatte, schmerzte sein Handgelenk noch immer furchtbar.

 

„Weder Ihr Handgelenk, noch Ihr Arm sind gebrochen. Das Knacken kam vermutlich vom Gelenk, quasi die Reaktion auf den Aufprall. Einen Gips brauchen wir wohl nicht, allerdings werde ich Ihr Handgelenk schienen. Sie sollten jede Belastung vermeiden.“

„Das geht nicht, ich muss arbeiten!“

„Mit der Verletzung werden Sie nichts weiter tun, als Ihren Arm zu schonen. Ich schreibe Sie erstmal krank. Und schreiben sollten Sie mit dem Arm auch nicht, falls sie Rechtshänder sind.“

 

Joey sah dem Mann an, dass er keine Witze machte. Wahrscheinlich hatte er auch Recht. Er konnte das Handgelenk nicht bewegen, ohne das es höllisch wehtat. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als den Anweisungen des Arztes Folge zu leisten. Seinen Job wäre er dann allerdings auch los.

 

„Sagen Sie Doc, könnte der Kerl Drogen genommen haben? Ich meine, der hat mich hochgehoben, als würde ich nichts wiegen und die Sache mit dem Ast hat er weggesteckt als hätte ich ihm nur mal auf den Rücken geklopft.“

 

„Nun, möglich wäre das schon. Leistungssteigernde Mittel gibt es da einige, die in Frage kämen und die den Verstand nicht vernebeln. Haben Sie das Gesicht des Täters gesehen?“

 

„Ja, das heißt…es ging so schnell. Irgendwie ist das alles total verschwommen in meinem Kopf.“

„Nun, die Polizei wird Sie noch befragen wollen.“

 

Mit diesen Worten begann der Arzt, Joeys Handgelenk zu schienen.

 

***

 

Yugi und sein Großvater hatten kaum etwas erfahren können. Scheinbar war Joeys Zustand aber nicht besorgniserregend und so warteten die beiden auf Mokuba. Als dieser schließlich in Begleitung einer Schwester wieder auftauchte, hatte er mehr Ähnlichkeit mit einem Gespenst.

 

„Wie geht es Seto?“ Yugi zog Mokuba zu einer Sitzreihe in der Nähe der Information.

„Nicht gut. Sein Zustand ist kritisch und er hat Probleme mit der Atmung…er war’s Yugi…dieser Vampir-Typ.“ Mokuba schluckte und krallte seine Hände in seine Hose. Wieder liefen Tränen sein Gesicht hinab.

Geschockt nahm Yugi ihn in den Arm und versuchte ihn zu beruhigen. Es dauerte eine Weile, bis Mokuba sich wieder beruhigt hatte. Seine Augen waren gerötet und er sah Yugi verzweifelt an.

„Was, wenn Seto…“

„Denk nicht mal dran Mokuba! Dein Bruder lässt sich nicht so leicht unterkriegen, schon vergessen?“

Ein schwaches Nicken war die Antwort und Mokuba klammerte sich weiter an Yugi.

 

„Herr Muto? Sie können jetzt zu Herrn Wheeler wenn sie möchten.“

 

Ein Krankenpfleger war zu ihnen gekommen und nachdem Yugis Großvater genickt hatte, sagte er ihm, wo sie Joey finden würden.

 

„Kann ich mitkommen?“ Yugi sah Mokuba überrascht an. Es war schwer zu sagen, ob er jetzt einfach nicht allein sein wollte oder ob er nach einem Weg suchte, sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken.

„Klar doch.“

 

Ein paar Minuten später standen Sie in dem Behandlungsraum, in dem Joey noch immer auf der Liege saß und sich vorsichtig das Handgelenk rieb.

 

„Hey Joey, wie geht’s dir?“

 

Joey wirkte überrascht, die drei hier zu sehen. Vor allem Mokuba hatte er nicht erwartet.

 

„Halb so wild, aber ich werde nicht arbeiten können.“

 

Yugi nickte verständnisvoll. Er wusste, wie dringend Joey auf seinen Job angewiesen war. Aber da würden sie schon eine Lösung finden. Joey sah Mokuba mitleidig an.

 

„Tut mir leid Mokuba, wenn ich etwas früher gekommen wäre…“

 

Mokuba löste sich von Yugi und ging auf Joey zu, den er schließlich zur Überraschung aller umarmte.

 

„Wenn du nicht gewesen wärst, wäre Seto jetzt auch…“

„Wie geht es ihm?“

 

Mokuba löste seine Umarmung und sah ihn betrübt an.

 

„Nicht so gut. Aber er liegt nicht im Koma wie die anderen. Das ist wohl irgendwie ein gutes Zeichen, oder?“

„Was ist denn eigentlich genau passiert? Wieso wart ihr beiden überhaupt in dem Park?“ Sugoroku sah Joey ernst an, der kurz erzählte, woran er sich erinnern konnte.

 

„Irgendwie ist alles verschwommen. Das ging so verdammt schnell. Ich kann mich einfach nicht an das Gesicht von dem Typen erinnern. Aber der wusste, wer ich bin!“ Joey rieb sich den Kopf.

„Wie? Woher das denn?“ Yugi sah ihn skeptisch an.

„Er kannte meinen Namen und meinte, ich hätte den rotäugigen Drachen nicht verdient.“

„Dann muss er dein Deck kennen, vom Turnier.“ Mokuba dachte nach. Alle Opfer waren Duellanten, aber hatten sie auch Gemeinsamkeiten bei den benutzten Karten? War dies das fehlende Verbindungsglied zwischen den Opfern? Andererseits hatte der Kerl Seto angegriffen, Joey war nur zufällig dort gewesen.

 

„Vielleicht gar nicht mal das Deck an sich, sondern nur die favorisierte Karte des Spielers. Der Drache ist schließlich Joeys Favorit und das ist ja kein Geheimnis. Das steht doch immer in den Teilnehmerprofilen des Turniers.“ Yugi sah Joey an und ihm sah man an, dass er ihre Gedankengänge gerade nicht nachvollziehen kann.

 

‚Alle haben außergewöhnlich starke Karten als Favorit in ihrem Deck.‘

 

Yugi musste sich zusammenreißen, um nicht sichtbar bei Yamis plötzlichem Erscheinen zu erschrecken. Anscheinend hatte er ihnen zugehört.

 

‚Was meinst du damit?‘

‚Die Opfer, an die du dich erinnerst, hatten alle starke Karten als Favorit, aber die Decks selbst waren mitunter gar nicht geeignet, diese starken Karten auch zu unterstützen. Deswegen sind die Meisten von ihnen auch früh ausgeschieden. Wenn Joey Recht damit hat, was der Kerl gesagt hat, dann könnte auch er auf der Liste des Mannes stehen. Kaiba ist eine offensichtliche Wahl mit seinen Drachen. Genau wie du, Yugi.‘

‚Ich? Wieso ich?‘

‚Niemand spielt den schwarzen Magier so gut aus wie du. Aber da ist noch etwas anderes. Joey haftet etwas Dunkles an, das mir irgendwie bekannt vorkommt.‘

‚Etwas Dunkles? Wie meinst du das?‘

‚Es ist kaum noch spürbar, aber es fühlt sich an wie ein Rest von einem Schattenspiel. Nur irgendwie anders.‘

‚Was bedeutet das?‘

‚Nichts Gutes, soviel steht fest. Die Spur verschwindet bereits. Glaubst du, du kannst zu Kaiba gehen? Vielleicht ist die Spur dort deutlicher.‘

‚Mit Mokuba, wenn sie ihn zu ihm lassen vielleicht.‘

‚Pass auf dich auf Yugi. Ich fürchte, wir könnten es mit einem anderen Schattenspieler zu tun haben. Und der scheint sehr gefährlich zu sein.‘

 

Yami zog sich wieder zurück und Yugi wollte gerade etwas sagen, als die Ärztin, mit der Mokuba gesprochen hatte, das Zimmer betrat.

 

„Hier sind Sie ja. Wenn Sie möchten, können Sie jetzt zu Ihrem Bruder.“

„Geht es ihm besser?“

„Das Labor hat das Gift identifizieren können und glücklicherweise konnten wir ein Gegenmittel aus unseren vorhandenen Mitteln herstellen. Es kommt in Japan vergleichsweise häufig bei verschiedenen Tieren vor, die damit ihre Beute lähmen. Das Atmen fällt ihm schon deutlich leichter, aber er wird wohl noch eine Weile ohne Bewusstsein bleiben. Wir müssen jetzt erstmal abwarten.“

 

„Mokuba, kann ich vielleicht auch kurz mit? Dein Bruder und ich mögen ja nicht gerade die besten Freunde sein, aber…“

„Nein, schon gut Joey. Seto ist…schwierig. Das ist doch in Ordnung oder Frau Doktor?“

„Nun ja, normalerweise nicht. Aber ich will mal nicht so sein. Aber für Sie drei gilt, nur einen Moment! Herr Kaiba braucht Ruhe.“ Sie sah abwechselnd Joey, Yugi und Yugis Großvater an, die nur zustimmend nickten.

 

Seto hatte man auf die Intensivstation verlegt. Er lag alleine in dem Raum, der recht karg eingerichtet war. Vermutlich für den Fall, das zusätzliche Geräte benötigt wurden oder falls ein Notfall eintrat. Ein Arzt saß in einem kleinen Vorraum und las eine Akte. Man hatte Seto an ein EKG angeschlossen und neben einer Infusion hing eine Blutkonserve. Als sie näher kamen sahen sie, wie blass er aussah. Ein Verband war um seinen Hals gewickelt.

Mokuba nahm Setos Hand und sah ihn besorgt an. Er sah aus, als ob er Schmerzen hatte.

 

Aus dem Augenwinkel registrierte Yugi sein anders ich. Yami stand eine Weile nur da und sah Seto mit einem Blick an, den Yugi so bei ihm noch nicht gesehen hatte. Jedenfalls nicht, wenn Kaiba im Spiel war. Er schien sich ernsthaft Sorgen zu machen. Der Geist trat schließlich näher ans Bett, bis er seine Hand nach der Wunde am Hals ausstrecken konnte. Sein Blick verfinsterte sich und plötzlich war er wieder verschwunden.

 

‚Yami?‘

 

Yugi spürte Unbehagen, das von Yami ausging. Irgendetwas schien ihn mitgenommen zu haben. War es Kaibas Anblick gewesen? Oder hatte er irgendwas gefühlt, was dieses Unbehagen auslöste? Offensichtlich war er jedoch noch nicht bereit, darüber zu reden.

 

Nach einer Weile trat der Arzt in das Zimmer.
 

„Tut mir leid, aber Sie müssen jetzt gehen. Herr Kaiba braucht Ruhe.“ Mit einer Geste gab er Mokuba zu verstehen, dass er noch bleiben konnte.

 

„Falls du irgendwas brauchst, sag einfach Bescheid.“

„Danke Yugi.“

 

Als Joey, Yugi und Sugoroku schon im Eingang standen, wandte sich Mokuba noch einmal um.

 

„Joey?“

„Ja?“

„Danke.“

 

Joey lächelte ihn aufmunternd an.

 

„Kein Ding. Sag ihm, er schuldet mir jetzt was.“

„Das wird er sich merken.“ Mokuba lächelte müde. „Roland kann euch fahren.“

„Danke. Sieh zu, dass du etwas schlaf kriegst.“ Yugi winkte Mokuba noch einmal zu, bevor sie das Zimmer verließen.

 

„Du kannst bei uns übernachten, wenn du möchtest Joey.“

„Ja, danke. Das Angebot nehme ich gern an. Bin nicht gerade scharf drauf, nach dieser Nacht allein zu sein.“

 

***

 

Sein Hals brannte bei jedem Atemzug. Sein ganzer Körper schien aus Blei zu sein. Er wusste nicht, wo er war. Alles war dunkel. Nur ab und zu blitzen kurz einzelne Bilder auf. Ein Gebäude war dabei. Es wirkte nobel, aber dennoch irgendwie bescheiden. Es kam ihm nicht mal bekannt vor. Da war ein Geräusch. Dumpfes Klopfen. Weit weg. Manchmal hörte er Stimmen, aber er verstand die Worte nicht. Mal war es eine beruhigende, irgendwie vertraute Stimme. Aber manchmal war es auch eine kalte Stimme, die ihn beunruhigte. Er musste zurück, aber wohin?

 

***

 

Mokuba hatte die vergangenen zwei Tage fast ausschließlich an der Seite von Seto verbracht. Zwischendurch hatte Roland ihn immer wieder zum Essen bewegt, oder ihn zum Schlafen nach Hause gefahren. Nun saß er wieder hier und hielt Setos Hand. Es hing keine Blutkonserve mehr neben der Infusion. Setos Zustand war stabil und, so versicherte es ihm der Stationsarzt, er war nicht komatös. Wieder einmal zuckte Setos Finger und Mokuba strich ihm durchs Haar. Anfangs hatte er gehofft, wenn er zuckte, würde er auch aufwachen. Allerdings war nichts weiter passiert. Seine Atmung hatte sich verbessert und er schien weniger Schmerzen zu haben. Plötzlich verzog Seto das Gesicht und kurz darauf flatterten seine Augenlieder.
 

„Seto?“

 

Es dauerte eine ganze Weile, aber schließlich öffnete er halb die Augen.  Er blinzelte ein paar Mal.

 

„Seto? Hörst du mich?“

 

Langsam drehte er seinen Kopf ein Stück in Mokubas Richtung und sah ihn schließlich an.

 

„Mok…uba…?“ Seine Stimme war kaum hörbar.

„Du bist wach!“ Mokuba drückte ihm einen Kuss auf die Wange, was er normalerweise überhaupt nicht mochte und strahlte ihn an. Er hörte Schritte hinter sich und kurz darauf trat der Stationsarzt an Setos Bett. Mokuba machte ihm Platz, ließ aber Setos Hand nicht los.

 

„Herr Kaiba, verstehen Sie mich?“

 

Für einen Moment schloss er die Augen. Als er sie schließlich wieder öffnete, sah er den Arzt an und versuchte zu nicken. Sein Körper fühlte sich noch immer an, als sei er überall mit Bleigewichten beschwert.

 

„Willkommen unter den Lebenden, Herr Kaiba. Haben Sie Schmerzen?“

„Hals…“ Er war so müde und das Sprechen war so furchtbar anstrengend. Er wollte nur schlafen.

„Verstehe, ich gebe Ihnen gleich etwas gegen die Schmerzen. Können Sie sich erinnern, was passiert ist?“

 

Seto spürte eine Hand, die seine eigene hielt. Noch immer war da dieses dumpfe Klopfen.

 

„Herr Kaiba, haben Sie meine Frage verstanden?“

„Klo…pfen…“ Der Arzt sah ihn irritiert an, bis Seto kaum hörbar ein Geräusch von sich gab. Für Mokuba hörte es sich ein bisschen wie dumm dumm an. „Ah, verstehe. Ein gutes Gehör haben Sie. Glauben Sie mir, wenn ich die Regenzeit abstellen könnte, würde ich es sofort tun. Aber damit werden Sie wohl noch eine Weile leben müssen.“

 

Seto hatte die Augen wieder geschlossen und die Worte des Mannes wurden immer undeutlicher. Regen war das letzte, was er verstand.

 

„Seto?“ Mokuba drückte seine Hand und sah dann den Arzt besorgt an, als er sah, das Seto wohl wieder ohne Bewusstsein war.

 

„Schauen Sie nicht so. Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass Ihr Bruder aufgewacht ist. Auch wenn es nur sehr kurz war. Erstaunlich, dass er den Regen so deutlich wahrnimmt.“ Der Mann sah einen Moment aus dem Fenster. Der Himmel war schwarz und der Wind klatschte mal mehr und mal weniger Regen gegen die Scheibe. Er untersuchte seinen Patienten noch einmal gründlich, bevor er ihm ein Mittel gegen Schmerzen injizierte und schließlich den Verband aufschnitt, um sich die Wunde anzusehen. Die Wunde war ziemlich rot. Der Arzt trug eine Salbe auf und legte schließlich ein Tuch darüber, das er mit Pflasterstreifen befestigte.

 

„Ist es schlimm?“

„Die Wunde hat sich entzündet. Das ist jetzt nicht so ungewöhnlich. Einige der anderen Patienten hatten das auch. Alles in allem geht es ihm besser. Warten wir ab, was die nächsten Tage bringen.“

„Sagen Sie, hat man denn bei den anderen Opfern kein Gift festgestellt?“

„Nein. Die Wirkung hält auch nicht sehr lange an und ein gesunder Körper baut die Spuren relativ schnell wieder ab. In den Labortests ist nichts aufgefallen.“

 

Als Mokuba keine weiteren Fragen stellte, ging der Arzt wieder zurück in das Vorzimmer und griff zum Telefon.

 

Dem Jungen war ein Stein vom Herzen gefallen als er gehört hatte, dass es Seto endlich besser ging.

 

***

 

„Seto ist aufgewacht!“ Yugi grinste, als er Joey sein Handy vor die Nase hielt.

„Yo, das kann ich auch lesen, wenn du mir dein Handy nicht ins Gesicht drückst.“

„Entschuldige.“

 

Joey hatte die vergangenen Tage bei den Mutos verbracht. Er und Yugi waren am Tag nach dem Überfall auf Seto noch einmal im Park gewesen, ob sie dort irgendeine Spur finden konnten. Yami hatte aber nichts mehr finden können. Der Vampir hatte seitdem noch nicht wieder zugeschlagen.

 

„Was sagt denn Yami so?“

„Nichts. Er ist irgendwie unruhig, aber redet einfach nicht. Ich frage mich, was ihm mehr zusetzt. Setos Zustand oder dieser andere Schattenspieler.“

„Ich finde es ja erstaunlich, dass die Presse sich zwar damit überschlägt, dass es Kaiba erwischt hat, aber nichts mehr über den Vampir bringt. Stattdessen eine Verschwörungstheorie nach der anderen über Kaiba.“

 

Joey hätte den Reporter, der am Tag nach dem Vorfall bei den Mutos aufkreuzte und ein Exklusiv-Interview wollte am liebsten zu Brei geschlagen. Sicher, Kaiba konnte ein ziemliches Arsch sein, aber er wäre da fast draufgegangen. Die ersten Boulevardblätter hatten ihm direkt Drogenhandel oder -konsum unterstellt. Lächerlich.

 

Bisher hatten sie nur Yamis Hinweis bestätigen können, dass alle Opfer des Vampirs eine ungewöhnliche und starke Karte als Favorit im Deck hatten. Yugi hatte zwar nichts von Yamis Verdacht erzählt, er könne selber auch ein potenzielles Ziel sein, aber Joey war das nach ihren Recherchen auch aufgefallen.

 

„Ist die Polizei eigentlich schon weiter?“

„Ne, die haben mich ja so ewig lange verhört und wollten das Phantombild. Mehr nicht. Es ist seltsam Yugi, ich bin mir sicher, dass ich dem Kerl länger als zwei Sekunden in die Augen gesehen habe, aber sein Gesicht ist wie ausgelöscht. Jedes Mal, wenn ich mich erinnern will ist es, als wollte ich Wasser mit der Hand fangen.“

„Was haben die denn zu unserer Liste mit den möglichen nächsten Opfern gesagt?“

„Oh, das weiß ich noch genau. ‚Das ist kein Kinderspiel Junge! Mischt euch da nicht ein und überlasst das den Profis!‘ haben die gesagt.“

 

Die beiden Jungen verfielen in Schweigen, bevor sie sich schließlich in die Küche begaben um sich etwas zu Essen zu machen.

 

***

 

Yami hatte den beiden zugehört. Er konnte die Enttäuschung in Yugis Stimme hören. Wieder ertappte er sich dabei, dass er sich am Hals kratzte. Seit er Kaiba im Krankenhaus gesehen hatte, war da immer wieder dieses Kribbeln. Es war verrückt, denn immerhin war er ein Geist. Irgendwie kam ihm das alles so bekannt vor und dieses Kribbeln schien seinen Verdacht nur zu gern bestätigen zu wollen. Aber wie sollte er sich daran erinnern, wenn er nicht mal seinen Namen wusste? Frustriert setzte sich Yami auf die Treppe und ging noch einmal alle Hinweise durch, die sie bisher hatten. Irgendwas musste da doch sein.

 

***

 

Zwei weitere Tage vergingen, in denen sich Setos Zustand weiter verbesserte und er längere Wachphasen hatte. An diesem Tag war er schon eine Weile wach. Er hatte Mokuba nach Hause geschickt und Roland angewiesen, nicht eher mit im zurückzukommen, bis er ordentlich gegessen und geschlafen hatte. Er hatte schon eine Weile aus dem Fenster gesehen, wo noch immer der Regen gegenschlug, als ihm ein Brennen im Hals signalisierte, dass er die Wunde wieder zu sehr strapaziert hatte. Mit einem Murren wandte er seinen Kopf zur anderen Seite.

 

Es klopfte und Seto tat so, als hätte er nichts gehört. Konnten die ihn nicht mal in Ruhe lassen? Zu seinem Missmut wurde die Tür geöffnet und zwei Polizeibeamte traten ein, gefolgt von der Ärztin, die für ihn verantwortlich war.

 

„Guten Tag, Herr Kaiba. Schön zu sehen, dass es Ihnen besser geht. Wir hätten noch ein paar Fragen an Sie.“

 

Am liebsten hätte Seto die beiden hochkantig rausgeworfen. Allerdings fühlten sich seine Glieder immer noch unnatürlich schwer an.

 

„Ich habe Ihnen alles gesagt, woran ich mich erinnere.“

„Sie können mir nicht weiß machen, dass Sie sich an das Gesicht des Täters nicht erinnern! Vielleicht sollten sie weniger Drogen nehmen.“

„Polizisten, die der Boulevardpresse glauben, sollte man fristlos entlassen.“ Setos Stimme war so schneidend, dass der andere Beamte einen Schritt zurücktrat.

„Wie Sie meinem Bericht sicherlich entnommen haben, befanden sich in Herrn Kaibas Blut keine Spuren irgendwelcher Drogen.“ Die Ärztin sah den Polizisten wütend an.

„Aber Sie haben ihn auf Drogen getestet! Das sagt doch alles.“

„Sie hätten den Bericht genauer lesen sollen. Herr Kaiba wurde mit schweren Atemstörungen eingeliefert, die auch durch diverse Substanzen ausgelöst werden können. Und das unabhängig davon, ob er sie selber genommen hätte oder ob sie ihm verabreicht worden wären. Natürlich haben wir da auch ein Drogenscreening gemacht. Außer dem Gift war da nichts Auffälliges festzustellen. Vielleicht sollten Sie auch mal wieder zum Lehrgang über Liquid Ecstasy und Co. Meine Kollegen machen gerne einen Termin mit Ihnen aus.“

„Und wie zufällig erinnert er sich an nichts, natürlich.“

„Jetzt reicht es aber! Retrograde Amnesie ist gerade bei derart traumatischen Gewaltverbrechen nichts Ungewöhnliches. Seine Erinnerungen an den Tag sind zwar fast vollständig zurück, aber ob er sich jemals wieder an den Angriff wird erinnern können, steht in den Sternen. Ich gebe Ihnen da gerne Studien zum Lesen mit. Und jetzt gehen Sie. Mein Patient braucht Ruhe.“

 

Mit einem wütenden Blick verschwand der Beamte, gefolgt von seinem Kollegen. Seto musste sich eingestehen, dass diese Frau Biss hatte. Die ließ sich von niemandem etwas sagen.

 

„Das sowas bei der Polizei arbeiten darf. Unverschämtheit! Und nun zu Ihnen, Herr Kaiba. Irgendetwas Neues im Labyrinth Ihrer Erinnerungen?“

„Nicht wirklich. Ich erinnere mich an einzelne Details aus dem Meeting, in dem ich vor dem Angriff war…aber danach ist einfach nichts.“

 

Diese Tatsache frustrierte ihn ohne Ende. Es fühlte sich irgendwie so an, als habe er die Kontrolle über sein Leben verloren.

 

„Nun, besser kleine Fortschritte als gar keine. Versuchen Sie zur Abwechslung mal nicht daran zu denken. Manchmal hilft Zwang nicht, verlorene Erinnerungen zurückzubekommen. Und essen Sie endlich vernünftig. Sie brauchen die Energie.“

 

Seto winkte müde ab und zog sich das Kissen wieder zu Recht.

 

„Wenn es unbedingt sein muss Herr Kaiba, können Sie sich Essen von Ihrem Bruder mitbringen lassen. Von mir aus auch Pizza, solange Sie endlich vernünftige Mengen essen.“

 

Er sagte nichts dazu und die Ärztin verließ schließlich das Zimmer. Er hatte irgendwie keinen Hunger. Aber manchmal konnte er fühlen, wie er schwächer wurde. Und dann ging es ihm wieder besser, obwohl er nicht viel mehr oder weniger gegessen hatte als am Tag davor. Er sah noch einen Moment aus dem Fenster, bis ihm sein Hals wieder wehtat. Da er keine Lust hatte, das Waschbecken an der Wand anzustarren beschloss er, etwas zu schlafen. Vielleicht würde er endlich einen Sinn in diese Bilderflut bringen können, die dann immer in seinem Kopf aufzutauchen schien.

 

***

 

Yugi hechtete auf das Sofa und griff nach seinem klingelnden Handy.

 

„Hi Mokuba, was gibt’s?“

„Hi Yugi, kannst du mir einen Gefallen tun?“

„Klar, worum geht’s?

„Ich komm aus der Firma nicht weg. Könntest du für mich heute mal bei Seto vorbeischauen? Ich mach mir Sorgen.“

„Sorgen? Hat sich sein Zustand wieder verschlechtert?“

„Weiß ich nicht genau. Seine Ärztin hat mich angerufen. Sie hat angedeutet, dass er nicht genug isst und dass wir es mal mit anderem Essen als dem aus dem Krankenhaus probieren sollen.“

„OK, was soll ich ihm vorbeibringen?“

„Ich schick dir eine SMS für McBurgers.“

„Im ernst? Fast Food?“

 

Am anderen Ende konnte er Mokuba Lachen hören. Es war das erste Mal, seit Seto ins Krankenhaus gekommen war, dass er lachte.

 

„Erzähl es niemandem weiter, er würde es ohnehin abstreiten. Er liebt die Burger und Nuggets von da. Aber er ist zu strickt mit meiner Erziehung und seinem Ansehen als CEO, als dass er das offen zugeben würde. Deswegen gibt es die immer nur ausnahmsweise.“

„Tja, oder wenn er gerade nicht in der Nähe ist, richtig?“

„Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Ich höre immer auf meinen großen Bruder.“

„Natürlich. OK, ich kümmere mich drum. Ich ruf dich dann später an.“

„Super, danke Yugi. Du hast was gut bei mir“

„Kein Problem. Bis dann.“

„Bis dann.“

 

‚Burger und Nuggets? Diese Seite kenne ich von Kaiba noch gar nicht.‘

‚Es ist unhöflich zu lauschen, Yami.‘

‚Ach komm, bisher hat dich das nicht gestört. Und meistens höre ich weg.‘

‚Na klar. Wie geht es dir? Du bist so still in letzter Zeit. Ich mach mir Sorgen.‘

 

Yugi sah zum Fenster, wo Yami erschienen war.

 

‚Tut mir leid, Partner. Ich musste nachdenken.‘

‚Hab ich gemerkt. Und? Was ist dabei rausgekommen?‘

 

Yami sah aus dem Fenster. Es goss immer noch in Strömen.

 

‚Ich habe das Gefühl, dass das alles schon einmal passiert ist…und irgendwie hab ich damit zu tun gehabt. Aber ich erinnere mich einfach nicht.‘

‚Ein Fetzen aus deiner Vergangenheit? Könnte der Vampir jemand sein, dem du mal auf die Füße getreten bist?‘

‚Schlimmer fürchte ich. Mir ist eingefallen, dass der Vampir nicht unbedingt ein Schattenspieler sein muss. Also nicht jemand wie ich. Er könnte ein Schatten aus der Schattenwelt sein.‘

‚Du meinst jemand, der mal ins Reich der Schatten verbannt wurde und einen Weg hierher zurück gefunden hat?‘

‚Es ist wohl eher etwas als jemand. Wenn sich Kaiba nur an etwas erinnern könnte.‘

‚Warum glaubst du, dass er der Schlüssel für deine Erinnerung sein könnte?‘

‚Da war so viel dunkler Schatten um ihn herum, als wir bei ihm waren. Schon fast greifbar viel. Frag mich nicht warum, aber ich glaube, er und die anderen sind noch mit diesem Vampir verbunden.‘
 

Yugi stutzte und sah ihn nachdenklich an.

 

‚Wie kommst du darauf?‘

‚Erinnerst du dich, was Mokuba dir gestern gesagt hat? Dass es Seto wieder schlechter ging, weil er sich völlig entkräftet gefühlt hat?‘

‚Ja? Und weiter?‘

‚Er hat doch auch erzählt, dass der Zustand der anderen Opfer zwar stabil ist, aber ihre Werte immer wieder schwanken, so wie es wohl typisch für Leute ist, die sich überanstrengen oder auspowern. Obwohl das laut den Ärzten keinen Sinn ergibt.‘

‚Richtig. Moment…stimmt, ich hatte darauf gar nicht geachtet. Es betrifft alle. Glaubst du, er kann ihnen auf die Entfernung…Blut entziehen?‘

‚Blut wohl nicht, das wäre den Ärzten doch aufgefallen. Nein, ich denke eher, dass er ihnen die Kraft entziehen kann.‘

‚Aber Joey geht es gut.‘

‚Er wurde ja auch nicht gebissen.‘

 

Langsam dämmerte Yugi, worauf sein Alter Ego hinaus wollte.

 

‚Die Verbindung entsteht durch den Biss!‘

‚So denke ich mir das und dann wäre er sehr gefährlich. Eine derartige Verbindung kann man nicht einfach trennen. Vermutlich kann nur das Milleniumspuzzle diese Verbindung lösen.‘

‚Du willst ihn suchen.‘

‚Nein, ich muss ihn suchen. Je mehr Zeit vergeht, desto stärker habe ich den Verdacht, dass das alles meine Schuld ist. Kaibas Erinnerungen könnten der Schlüssel sein.‘

‚Du willst mit ihm reden.‘

‚Hast du eine bessere Idee?‘

‚Yami, Seto braucht Ruhe! Er darf sich nicht so viel aufregen. Jedes Mal, wenn ihr beiden zusammen seid, fliegen die Fetzen.‘

‚Ich verspreche dir, dass ich mich zurückhalte. Aber ich muss mit ihm reden.‘

‚Na gut. Aber wenn du es übertriebst, hol ich mir meinen Körper sofort wieder!‘

‚In Ordnung, Partner.‘

 

Ganz wohl war Yugi nicht bei der Sache, aber über ihre Verbindung konnte er spüren, wie ernst es Yami war.

 

***

 

„Bist du dir sicher, dass das eine Spezialität ist Joey? Das riecht…komisch.“

„Aber klar, der Typ kennt sich aus. Hat fast zehn Jahre in Deutschland gelebt. Ist wohl so eine Art inoffizielles Nationalgericht.“

„Aha.“

 

Yugi glaubte nicht so recht daran, aber wollte Joey auch nicht vor den Kopf stoßen. Er hatte scheinbar nur auf einen Vorwand gewartet, Kaiba im Krankenhaus besuchen zu können. Seit dem Angriff war er recht still geworden. Vielleicht hatte er erkannt, dass die ständigen Streitereien sinnlos waren. Oder vielleicht bereute er es einfach nur.

 

„Also du und Yami, wann wollt ihr tauschen?“

„Haben wir schon.“
 

Yami grinste ihn mit seinem typischen Grinsen an, das einfach so offensichtlich nicht Yugis war.

 

„Mensch, ihr solltet echt Namensschilder tragen.“

„Nächstes Mal vielleicht.“

 

Die beiden betraten das Krankenhaus. Das Essen hatten sie vorsorglich in eine normale Einkaufstüte gesteckt. Nur weil die Ärztin quasi ihr OK gegeben hatte hieß das nicht, dass andere Ärzte oder die Schwestern das Essen nicht gleich konfiszierten. Als sie an Kaibas Tür klopften, hörten sie ein missmutiges „Herein“.

 

„Hey Kaiba, wie geht’s?“

„Was machst du hier, Wheeler?“

„Hey, nicht so bissig. Behandelt man so seinen Lebensretter? Wir haben dir was zu essen mitgebracht.“

 

Kaiba sah von seinem Laptop auf und sah erst Joey, dann Yami misstrauisch an.

 

„Mokuba hat euch geschickt.“

„Sei doch froh. Jetzt kriegst du wenigstens was Gescheites zu essen als den Krankenhausfraß.“

 

Gut gelaunt stellte Joey die Tüte auf dem Bett ab und grinste.

 

„Was macht dein Arm?“

„Wie?“

„Das geschiente Ding.“

„Achso, alles OK. Das Ding bewahrt mich vor der Schule.“

 

Joey war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass sich Kaiba, auf seine Art, nach seinem Befinden erkundigte.

 

„Und was ist da drin?“

„Ah! Gut das du fragst. Du stehst doch so auf Delikatessen, da hab ich mir gedacht, ich bring dir eine mit.“

 

Euphorisch drückte Joey ihm eine Tüte mit dem Aufdruck irgendeines Imbisses in die Hand.
 

„Delikatesse? Was ist da drin?“

„Ja mach’s doch einfach auf! Das soll total gut sein.“

„Sagt wer?“

„Na der Koch.“

„Natürlich behauptet der Koch, dass sein Essen gut ist. Sonst kauft es doch niemand.“

„Jetzt komm schon Kaiba. Das ist eine echte Delikatesse aus Deutschland!“

 

Seto musterte Joey weiterhin misstrauisch, als er langsam das Essen auspackte. Zum Vorschein kam eine billige Plastikschüssel, in der ein Fleischklops in einer seltsam bräunlichen Soße schwamm. In der Soße schien noch irgendwelche seltsame Pampe zu schwimmen. Der Geruch war alles andere als Vertrauenserweckend.

 

„Was soll das sein?“

„Deutsches Nationalgericht oder so.“

„Was. Ist. Das?“

„Frikadelle in Pfeffersosse mit Choco Crossies.“

 

Seto starrte ihn einen Moment an, wickelte das Essen dann wieder ein und knotete die Tüte zu.

 

„Schmeiß es weg.“

„Was? Wieso? Du hast ja noch nicht mal probiert!“

„Brauch ich auch nicht. Das ist keine Delikatesse, der Typ hat dich übers Ohr gehauen.“

„Willst du etwa sagen, dass ist keine deutsche Delikatesse?“

„Delikatesse wäre eine Frikadelle mit Pfeffersosse ohnehin nicht. Das ist klassisches Bauernessen. Schmeckt noch nicht mal schlecht, aber Choco Crossies haben darin nichts zu suchen!“

„Du hattest sowas schon mal?“ Joey sah ihn überrascht an.

„Frikadelle mit Pfeffersosse, Kartoffeln und Königsgemüse, ja. Aber da gehören keine Choco Crossies rein!“

„Was ist das denn? Choco Crossies?“

„Süßigkeit…Schokolade mit Cornflakes…und das hat verdammt noch mal nichts in der Soße oder einer Frikadelle zu suchen!“

„Oh.“

 

Noch bevor sich Joey entschieden hatte, ob er lieber vor Scham im Boden versinken oder Kaiba das Zeug um die Ohren hauen wollte, hörten sie Yami lachen. Er hielt sich die Seite, während er sich an der Wand abstützte.

 

„Ihr beide…wie ein altes Ehepaar…und die Choco Crossies…wo sind die drin? In der Soße? Oder in der Frikadelle?“

 

Yami wischte sich die Lachtränen aus den Augen und sah sich nun zwei grimmig dreinblickender Gestalten gegenüber. Jeder andere wäre jetzt wohl um sein Leben gelaufen. Seto griff sich die Imbiss-Tüte und warf sie in Yamis Richtung.

 

„Dann iss es doch selbst und find’s raus!“

 

Ohne große Mühe fing Yami die Tüte auf und beförderte sie anschließend in den Mülleimer.

 

„Schön, du bist ja fast wieder der Alte. Aber der Wurf war ziemlich lasch.“

 

‚Yami! Er hat sich schon genug aufgeregt!‘

‚Entschuldige Partner, da konnte ich nicht wiederstehen.‘

 

„Guck mal lieber nach, was ich dir in Mokubas Auftrag besorgt hab. Mit den besten Genesungswünschen und so.“ Yami deutete auf die Einkaufstüte, die noch immer auf dem Bett lag. Seto ließ ihn nicht aus den Augen, als er nach der Tüte griff und den Inhalt herausholte.

 

„Du kannst Mokuba ausrichten, dass es für ihn heute trotzdem keine Burger gibt.“

„Wie du meinst.“

 

Kaiba nahm sich einen Burger und jetzt bekam er tatsächlich Hunger. Nach Joeys Delikatesse hatte er gedacht, dass ihm der Appetit für heute vergangen war.

 

„Was ist diesmal in der Firma schiefgelaufen, dass Mokuba nicht weg kann?“

„Hat er nicht gesagt. Also steht der Laden wohl noch.“

 

Seto musterte ihn. Er hatte noch immer nicht herausgefunden, wie ein Mensch so grundverschieden sein konnte. Da war dieser Yugi, welcher ihn in Duellen zur Weißglut trieb und dann war da der andere Yugi, der manchmal den Eindruck eines Kindes machte. Dies hier war definitiv Weißglut-Yugi. Er würde schon noch dahinter kommen, was das zu bedeuten hatte. Zunächst war erstmal der Burger dran.

 

Joey und Yami gaben Seto eine Weile, etwas zu essen, bevor Joey den Faden wieder aufnahm.

 

„Was macht dein Hals?“

„Geht schon.“

„Und wie sieht es mit deinen Erinnerungen aus?“

„Keine Ahnung, was passiert ist, Wheeler. Und solange ich mich nicht erinnere, schulde ich dir gar nichts.“

„Schon klar, Geldsack.“

„Und sonst?“

„Was ‚und sonst?‘, Yugi?“

„Träumst du irgendwas?“

„Selbst wenn, was geht es dich an?“

„Hast du Mokuba zu seinem letzten Geburtstag nicht seine neue Favoriten-Karte geschenkt? Dieses seltene Stück in limitierter Auflage?“

„Was hat das denn jetzt damit zu tun?“

 

‚Yami! Reiz ihn nicht schon wieder!‘

 

„Du hattest ja treffenderweise schon herausgefunden, dass der Kerl nur Duellanten angreift. Wir haben da noch ein Muster entdeckt.“

„Welches?“

„Die Favoriten. Jedes Opfer hatte mindestens eine seltene, starke Karte im Deck, die er für die Turniere als Favorit gesetzt hat.“

„Und weiter? Starke Karten nützen nichts, wenn man Duel Monsters nicht verstanden hat oder die Karten nicht richtig kombiniert.“ Seto hatte den ersten Burger aufgegessen und nahm sich nun den zweiten. Mokuba hatte auch an die Nuggets gedacht.

„Richtig, aber die Karten bilden das Muster. Alles wirklich seltene und starke Exemplare. Und alle aus derselben Quelle.“

 

Seto stutzte und schluckte seinen Bissen herunter.

 

„Welche Quelle?“

„Jedes der Opfer hatte eine Karte, die mal im Besitz von Yoichiro Senkotsu war.“

„Wer soll das sein?“

„Ein Sammler. Er hat ziemlich viel Zeug gesammelt. Unter anderem seltene Duel Monsters Karten, obwohl er selber nie gespielt hat. Nach seinem Tod wurden die Karten verkauft und sind bei verschiedenen Spielern gelandet.“

„Du willst also sagen, einer meiner Drachen war mal in seinem Besitz.“

„Genau.“

„Und deswegen wurde ich angegriffen?“

„Und du wirst nicht der letzte sein. Er hatte insgesamt 23 Karten in seinem Besitz.“

„Für ein Motiv ziemlich dünn. Was soll der Hintergrund sein? Nur weil die mal demselben Typen gehört haben?“

„Weil er wohl nicht einfach nur die Karten gesammelt hat. Den anderen Opfern geht es immer mal wieder schlechter. Immer wieder sacken die Werte ab, ohne dass die Ärzte sich das erklären können. Genau wie bei dir. Nur das du bei Bewusstsein bist.“

„Und wozu das Ganze?“

„Um Lebensenergie zu sammeln.“
 

Seto hatte gerade einen Nugget essen wollen, den er nun wieder zurücklegte.

 

„Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du diesen Vampir-Mist aus der Zeitung glaubst.“

„Tue ich in gewisser Weise.“

„Du spinnst doch.“

„Was träumst du, Seto?“

„Jetzt kommst du wieder damit. Was hat das damit zu tun?“

„Du kannst dich bewusst nicht an den Angriff erinnern, aber vielleicht unbewusst über deine Träume.“

„Sagen doch die Wissenschaftler. Wir verarbeiten Erlebtes auch in unseren Träumen.“ Joey war sich nicht sicher, ob Kaiba mitziehen würde. Er hatte keine Erinnerung daran, was Yami damals mit ihm gemacht hatte. Wie er seine dunkle Seite verbannt hatte.

Seto sah zwischen den beiden hin und her, nahm schließlich einen Nugget und aß ihn mit einem Bissen, bevor er auf seinem Laptop herumtippte und schließlich wieder mit ihnen sprach.

 

„Das einzig Greifbare ist dieses Haus, was ich noch nie in meinem Leben gesehen oder betreten habe.“ Er drehte den Laptop, sodass die beiden anderen das Bild sehen konnten. Ein nobles, gepflegtes Haus. Sicher nicht billig aber nicht mit Reichtum protzend.

 

„Was ist das für ein Haus?“ Joey kam das nicht bekannt vor.

„Das Telmerin-Anwesen. Hat mich einige Zeit gekostet, es zu finden. Bisher hat es gar keinen Sinn gemacht, aber ich hab gerade mal nachgesehen, wem das Anwesen so gehört hat. Es hat vor einiger Zeit einem gewissen Yoichiro Senkotsu gehört.“

 

„Bingo. Aber was heißt das jetzt?“ Joey sah zu Yami.

„Der Kerl dürfte da auch gewohnt haben. Wenn es stimmt, dass Seto das Gebäude noch nie gesehen hat, wieso träumt er dann plötzlich davon?“

 

Seto sagte nichts. Ihm fiel die Stimme ein, die er manchmal im Schlaf  zu hören glaubte.

 

„Und wie erklärst du Genie dir das?“

„Der Kerl hat eine Verbindung mit euch. Ihr aber anscheinend auch mit ihm. Vielleicht überträgt er das an euch. Die anderen Opfer können wir nicht fragen. Du bist die einzige Spur. Das Haus ist unsere einzige Spur.“

„Hokus Pokus also? Ist das deine Erklärung?“

„Nenn es wie du willst, aber du kannst das nicht ignorieren. Kaiba, du hast Mokuba eine dieser Karten geschenkt!“
 

Seto sah ihn an. Er hatte anfangs gedacht, die Stimme könnte eine unbewusste Erinnerung an den Streit sein, den er ja angeblich gehabt haben sollte. Wenn er jetzt darüber nachdachte, klang die Stimme nicht so. Sie war irgendwie…kalt…aber da war etwas, dass irgendwas in ihm zu beruhigen schien…oder es zumindest versuchte.

 

„Mit anderen Worten du glaubst, der Kerl versteckt sich in dem Haus?“

„Hast du eine bessere Idee? Wo ist das? Joey und ich gehen uns da mal umsehen.“

 

Seto drehte seinen Laptop wieder um und begann zu tippen, bevor er das Gerät zuklappte, das letzte Nugget aufaß und schließlich die Bettdecke zurückschlug.

 

„Was glaubst du, was du da machst, Kaiba?“ Joey war aufgestanden und sah ihn entgeistert an.

„Was denkst du, Wheeler? Mit dem Kerl hab ich noch eine Rechnung offen.“

„Du gehst nirgendwo hin. Du brauchst Ruhe!“ Yami hätte es eigentlich besser wissen müssen. Mit Mokuba hatte er den Bogen überspannt.

„Mein Zustand ist offiziell stabil und nicht mehr bedenklich oder kritisch. Ich kann mich jederzeit selber entlassen.“

 

Seto schwang die Beine über die Bettkannte und stand vorsichtig auf. Ihm wurde nicht schwindelig und er konnte auf seinen Beinen stehen. Für ihn war das somit Grund genug, nicht länger im Bett zu bleiben. Lediglich sein Hals pochte nun stärker. Yami und Joey wollten ihn zurück ins Bett drängen, als die Tür geöffnet wurde. Ein Mann mittleren Alters in einem schwarzen Anzug mit Sonnenbrille trat ein. Das KC-Logo an seinem Revers wies ihn als einen von Setos Sicherheitsleuten aus.

 

„Herr Kaiba?“

„Meine Sachen. Wir machen einen Ausflug. Die Adresse haben Sie ja.“

„Wie Sie meinen, Herr Kaiba.“

„Seto, im Ernst, du bist noch lange nicht wieder auf dem Damm.“

„Ich hab nach deinen Regeln gespielt Yugi, jetzt spielen wir nach meinen. Ohne mich findet ihr das Anwesen nicht.“

Yami musste sich eingestehen, dass er diesmal zu hoch gepokert hatte. Das Spiel ging eindeutig an Kaiba.

 

Es dauerte gar nicht mal lange, bis Kaiba angezogen war und sie heimlich, mit Setos Laptop, durch einen Personaleingang aus dem Krankenhaus verschwanden. Seto hatte seinem Leibwächter wohl genauere Anweisungen gegeben, als sie erwartet hatten. Der Wagen, eine schwarze Limousine, parkte bereits mit laufendem Motor. Sie stiegen ein und der Leibwächter nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Der Wagen setzte sich in Bewegung und verließ das Krankenhausgelände. Unter normalen Umständen hätte Joey die ganze Aktion wohl als genialen Coup gefeiert. So wie die Dinge standen sah er besorgt zu Kaiba, der viel zu blass war, als dass er hier sein sollte. Yamis Miene war angespannt. Seto tippte auf seinem Laptop herum und Joey konnte erkennen, dass er eine Mail schrieb. An Mokuba. Kaum hatte er die Nachricht abgeschickt und den Laptop wieder zugeklappt, klingelte ein Telefon. Seto griff in seine Manteltasche und zog sein Smartphone heraus.

 

„Mokuba, was ist diesmal schief gelaufen?

„Der Mainframe verträgt die Belastung nicht und hat sich überhitzt. Alles unter Kontrolle, das Backup-System läuft einwandfrei. Wir müssen den Mainframe aber wohl nochmal komplett durchchecken.“

„Gut, mach das. Aber vorher kümmere dich um das, was ich dir zugeschickt habe. Leg alles auf dem Fileserver ab.“

„Irgendwelche Prioritäten?“

„Ja, finde alles über diesen Yoichiro raus. Alles, was du finden kannst, wie unbedeutend es auch sein mag.“

„In Ordnung. Ist Yugi noch bei dir?“

„Ja, der Zwerg ist noch da.“

„Gib ihn mir mal bitte.“

 

Seto hielt Yami das Smartphone entgegen und ermahnte ihn mit einem Blick, nichts Falsches zu sagen.

 

„Mokuba, was gibt’s?“

„Seid ihr noch im Krankenhaus?“

 

‚Bastard!‘

 

„Sicher. Ich soll dir sagen, dass es trotzdem keine Burger für dich gibt.“

„Naja, außer ich mach den Recherchekram jetzt für ihn. Danke nochmal. Du kannst auflegen. Bis später.“

„Bis später.“

 

Yami gab Seto sein Smartphone zurück.

 

„Du bist ein elender Bastard, Kaiba.“

„Meine Regeln, Muto.“

 

„Wo hast du denn dein Smartphone wieder her? Ich hatte vergessen, es aufzuheben.“

„Von der Polizei. Nachdem sie vergeblich versucht haben, den Sicherheitscode herauszufinden.“

 

Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie ihr Ziel erreichten. Als sie ausstiegen, standen  sie direkt vor der Haustür. Eine Umzäunung oder Mauer gab es nicht. Kaiba warf seinem Leibwächter etwas zu und der nickte nur. Die Tür verfügte über keinen normalen Schlüssel, sondern musste mit einer Schlüsselkarte geöffnet werden.

 

„Erinnert mich an die Dinger bei euch in der Firma, Kaiba.“ Joey sah sich um. War eigentlich ganz nett hier. Alles gut gepflegt wie es aussah.

„So einen Müll hast du bei uns nicht gesehen.“

 

Seto nahm so etwas wie eine Schlüsselkarte heraus, die aber etwas länger war und noch einen Steckeranschluß am einen Ende hatte. Er holte noch ein Kabel aus der Tasche, verband sein Smartphone mit der Karte und schob sie dann in den Kartenschlitz. Eine rote LED leuchtete auf.

 

„Was machst du da?“ Joey versuchte, Seto über die Schulter zu schauen. Er tippte in irgendeiner App rum. Es dauerte einen Moment, dann hörten sie ein Klicken und eine grüne LED leuchtete auf.

„Ich öffne die Tür.“

„Woher wusstest du, wie du die Tür aufbekommst?“ Yami sah ihn misstrauisch an. Kaiba verschwieg ihnen etwas.

„Das Ding ist ein KC-SmartLock.“

„Also doch von euch. Moment…was heißt das?“ Joey sah ihn an, als stünde Al Capone persönlich neben ihm.

„Das Ding ist eine Erfindung von Gozaburo Kaiba. Der alte Sack hat also doch noch ein Geheimnis gehabt, von dem ich nichts wusste.“

„Das heißt, das Haus gehört…dir?“ Joey war verwirrt.

„Nein, es gehört anscheinend Gozaburo Kaiba, ohne auf seinen Namen gelaufen zu sein. Die Frage ist, was er mit dem Vampir zu tun hat.“

„Zufall?“, mutmaßte Joey.

„Gozaburo Kaiba hat nichts dem Zufall überlassen.“

 

Seto öffnete die Tür, sah sich im Raum dahinter um und trat ein. Es war alles sauber. Kein Staub oder sonst ein Anzeichen, dass es hier unbewohnt war. Aber da war etwas anderes. Etwas schien Seto zu einer Tür ziehen zu wollen. Es war wie ein ungewollter Drang…und er konnte sich ihm nicht widersetzen.

 

„Seto?“

 

Yami sah Kaiba nach, der wie hypnotisiert auf eine Tür zuging.

 

‚Yami, was ist hier los?‘

„Das ist eine Falle, Partner. Der Kerl weiß, dass wir hier sind. Und Kaiba ist sein Lockvogel gewesen.“

 

Joey starrte ihm nach, als Yami Seto folgte, bevor auch er ihnen folgte. Er sah sich um aber konnte nichts entdecken, was ihnen als Waffe dienen konnte.

 

Hinter der Tür befand sich eine Treppe, die in den Keller führte. Sie liefen ein paar Meter einen beleuchteten Gang entlang, bevor sie in einen riesigen Raum traten. An der einen Seite standen Schränke, wie Joey sie im Serverraum der Schule schon mal gesehen hatte. Jede Menge Kabel und blinkende LEDs. Auf der anderen Seite waren mehrere Monitore an der Wand befestigt. Einige zeigten Kameraaufnahmen vom Außengelände und vom Haus selbst. In der Mitte des Raumes befand sich eine Plattform und daneben stand ein Mann in mittelalterlicher Kleidung und Umhang. Seto blieb direkt vor ihm stehen.

 

„Da bist du ja. Ich hatte schon befürchtet, du hast meinen Ruf nicht gehört. Du hast dich ganz schön geziert, Respekt.“

„Wer sind sie?“ Joey erkannte die Stimme des Mannes, mit dem sich Seto gestritten hatte.

„Ich sagte ja, mit euch bin ich noch nicht fertig, Joey Wheeler.“

„Ziemlich Feige, sich hinter einem Sterblichen zu verstecken, findest du nicht?“ Yami verschränkte die Arme vor der Brust und sah dem Mann direkt in die Augen, der nun neben Seto stand.

„Ah, der schwarze Magier. Das ist eine Überraschung. Willkommen. Eine alte Seele hast du mitgebracht. Fast so alt wie die des guten Seto Kaiba hier. Das wird ein Festmahl.“

„Lass Seto gehen, sonst mach ich dich fertig!“ Joey hatte noch immer keine brauchbare Waffe gefunden, aber er konnte diesen aufgeblasenen Typen doch nicht einfach machen lassen.

 

„Du bist aus dem Reich der Schatten entkommen. Wie?“ Yami konnte die dunkle Macht spüren, die diesen Vampir und nun auch Seto umgab. War die Verbindung zwischen ihnen so stark, dass er Setos Willen übertrumpft hatte?

 

„Oh, lass mich nachdenken. Keine Ahnung. Ich hab mich eines Tages hier wiedergefunden und ein Bürschlein hat mir alles gezeigt, was ich wissen musste. Und was meine Aufgabe ist. Zumindest so lange, bis ich meinen Vertrag erfüllt habe.“

 

Er deutete auf einen Monitor, der nur eine Prozentzahl angab. 76% um genau zu sein.

 

„Was für ein Vertrag?“ Das ganze gefiel Yami nicht. Der Kerl war durch und durch Vampir, das hatte ihm die Macht des Puzzles mittlerweile offenbart. Aber wieso war er hier?
 

„Mein…Geschäftspartner sammelt Lebensenergie. Oder vielmehr, ich tue das für ihn. Für sein Bürschlein. Zugegeben, diesen modernen Schnickschnack da verstehe ich einfach nicht. Aber sobald der Vertrag erfüllt ist, wird der Bann der Karten aufgehoben und ich bin frei. Frei die Welt zu bereisen.“ Der Vampir lachte und Joey lief ein Schauer über den Rücken. Ihm kam das ganze gerade verdammt bekannt vor.

 

„Yami?“

„Ich weiß Joey.“

 

„Machen wir es kurz, ich habe noch viel vor. Ihr drei seid mehr als genug, damit ich den Vertrag erfülle und sogar für mich was übrig bleibt.“

 

Yami spürte die Veränderung in der Luft, doch er war zu langsam um zu reagieren. Mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit war der Vampir auf Joey zugelaufen und hatte ihn heftig gegen die Wand gestoßen. Joey lag nun stöhnend auf dem Boden und Seto bewegte sich kein Stück.

 

„Ich frage mich, kleiner Magier, wer du wohl einmal gewesen bist. Du und der kleine Seto, ihr seid nicht viel jünger als ich. Dreihundert Jahre vielleicht? Wer bist du, kleiner Magier? Magst du mir deinen Namen nicht verraten?“

„Verrate du ihn mir, ich kenne ihn nicht.“

 

‚Yami, was tust du?‘

 

„Hm, keine Erinnerungen an dein altes Leben wie?“ Der Vampir stand plötzlich vor Yami und musterte ihn. Sein Blick blieb am Milleniumspuzzle haften.

 

„Hm…interessant. Alt ist es, älter als du, aber nicht viel älter. Ägypten wie es scheint. Lass mich einmal kosten, dann weiß ich genau, wer du bist, der du heute Yugi Muto heißt.“

 

Yami bewegte sich keinen Millimeter, während der Vampir einen Arm um ihn legte und geradezu genießerisch erst an seinem Gesicht und dann an seinem Hals roch. Das Puzzle hatte er zur Seite geschoben.

 

‚Yami, tu das nicht!‘

‚Es gibt keinen anderen Weg Yugi.‘

‚Was meinst du?‘

‚Eine Blutverbindung kann man nicht von außen aufheben. Das geht nur von innen.‘

‚Das ist nicht dein Ernst! Hör auf damit! Was ist, wenn es nicht funktioniert?‘

 

Yugi versuchte, die Macht über seinen Körper zurückzubekommen, aber Yami hinderte ihn mit der Macht des Puzzles daran.

 

‚Tut mir leid Yugi, es geht wirklich nicht anders. Du musst in deinen Seelenraum, zu deiner eigenen Sicherheit. Keine Sorge, es wird funktionieren, dass verspreche ich. Ich lasse nicht zu, dass Mokuba seinen Bruder noch einmal an die Finsternis verliert. Allerdings…weiß ich nicht, was aus mir wird. Falls wir uns nicht mehr sehen sollten…Danke für alles Partner. Danke, das du mein Licht in der Finsternis warst.‘

‚Yami, NEIN!‘

 

Plötzlich fand sich Yugi in seinem Seelenraum wieder, die Tür war verschlossen und ließ sich auch nicht öffnen.

 

„Yami! Yami, hörst du mich? Hör auf!“

 

Plötzlich spürte er ein Ziehen in seinem Hals.

 

„Yami…“ Tränen bahnten sich ihren Weg und Yugi sank zu Boden.

 

***

 

Der Schmerz war unerträglich. Jeder Atemzug brannte und sein Herz schmerzte mit jedem Herzschlag mehr. Er spürte, wie der Vampir die dunkle Verbindung hergestellt hatte und das Leben aus ihm wich. Er konnte kaum noch klar denken. Es musste hier sein. Irgendwo hier in dem Strudel aus Schmerz musste es sein.

 

‚Du schmeckest gut, Yugi Muto.‘ Die Gedanken des Vampirs hallten in seinem Kopf wieder und machten das Denken noch schwerer.

 

Verzweifelt suchte Yami nach seinem Anker, das Glied, das alle Verbindungen zerbrechen konnte, weil es das schwächste Glied war.

 

‚Ich kenne dich…ich kenne deine alte Seele…wer bist du wirklich, Yugi Muto?‘

 

Die Stimme des Vampirs war unerträglich laut und kalt. Yami verlor mehr und mehr die Kontrolle. Zu früh, er verlor sie zu früh! Er konnte jetzt nicht aufgeben! Nicht jetzt!

 

‚Du…du bist…das kann nicht sein! Du bist es! Du Verräter hast mich benutzt! Ich weiß, was du vorhast Sohn des Ra! Diesmal nicht! Diesmal wirst du sterben! Für immer wirst du an meiner statt in der Finsternis wandeln und dein Gefäß werde ich bis auf den letzten Tropfen leeren!‘

 

Yami spürte, wie die Kraft schneller aus ihm wich. Er sah es nicht. Er konnte es einfach nicht finden. Selbst mit der Macht des Puzzles konnte er es nicht. Versagt…er hatte versagt und es würde Yugi das Leben kosten.

 

‚Fürchte dich nicht, mein Sohn.‘

 

Diese Stimme…er kannte diese Stimme…so sanft…

 

‚Sie sind nicht deinetwegen hier, mein Sohn. Ich bitte euch, Seelen der Toten, verschont ihn. Er ist unschuldig!‘

 

„Vater?“

 

Dort, dort war es! Direkt vor ihm! Er musste es nur erreichen…

 

„Vater…“

 

Es war kaum noch ein Flüstern, das über seine Lippen trat. Seine Hand zitterte, jede Bewegung schmerzte. So nah…

 

„Vater…“

 

‚Greif zu mein Sohn, alles wird gut. Du musst nur noch zugreifen.‘

 

Yami spürte, wie etwas seine Hand berührte. Die Innenseite…eine Kette? Zugreifen…nur…zugreifen.

 

Die Kälte zerfrass ihn von innen, er konnte nicht mehr atmen und spürte nichts mehr.

 

‚Greif zu!‘

 

Mit letzter Anstrengung schloss er seine Hand und alles um ihn versank im Licht.

 

***

 

Joey richtete sich auf und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Als er den Vampir erblickte, der Yami das Blut aussaugte, versuchte er aufzustehen, doch eine unbekannte Macht hielt ihn fest.

 

„Yami! Yami verdammt, tu was!“

 

Er konnte das Puzzle sehen, das plötzlich erst sanft leuchtete, im Takt eines schwachen Herzschlages, bis plötzlich gleißendes Licht daraus hervorbrach und er seine Augen abwenden musste.

 

„Nein! Nein, das kann nicht sein! Du wirst niema…“

 

Die schrille Stimme des Vampirs verstummte plötzlich und das Licht verschwand. Joey blinzelte und hörte etwas dumpf auf den Boden aufprallen.

 

„Yami? Scheiße!“

 

Er konnte sich wieder bewegen und stürzte auf den leblosen Körper seines Freundes zu.

 

„Yami? Alter, sag was!“ Joey schüttelte ihn, um irgendeine Reaktion zu bekommen.

„Au!“

„Yami? Yami, hörst du mich?“

„Nicht … Yami…“

„Yugi? Yugi, bist du das?“

 

Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis der Junge die Augen aufschlug.

 

„Yugi?“

„Joey?“ Yugis Stimme war nicht mehr als ein Krächzen.

„Lass ihm endlich Platz zum Atmen, Wheeler.“

 

Erschrocken drehte sich Joey um. Seto sackte auf den Boden zusammen.

 

„Bist du in Ordnung Kaiba?“

„Ging mir nie besser, Köter.“

 

Ein Husten lenkte Joeys Aufmerksamkeit wieder zu Yugi.

 

„Hey, alles OK?“

„Yami…“

„Wer ist Yami?“

 

Joey zuckte zusammen, als Seto plötzlich neben ihm saß. Er sah müde aus. Die blauen Augen hatten jede Kraft verloren.

 

„Bist du wirklich OK?“

„Ich hab die Kontrolle über meinen Körper wieder. Wo ist der Kerl hin?“

 

Joey sah sich um. Nichts, wirklich gar nichts deutete darauf hin, dass der Vampir einmal hier gewesen war. Ein Piepen aus der Mitte des Raumes ließ die beiden Aufsehen. Die Gestalt eines Jungen erschien auf der Plattform.

 

„Unmöglich!“ Kaibas Stimme strauchelte.

 

„Ausnahmeprotokoll KC 28447 B gestartet. Lebenssammlung unvollständig. Sammelobjekt zerstört. Versuche Verbindung zum Kartenmeister…Negativ…Kartenmeister inaktiv…Starte Notfallprotokoll KC 68746 Delta.“

 

„Scheiße, wir müssen hier weg. Sofort!“

„Was labert Noah da?“

„Selbstzerstörung du Idiot!“

 

Kaiba rappelte sich auf und Joey ließ sich nicht lange bitten. Kaiba nahm Yugi und sie verließen so schnell sie konnten den Keller.

 

„Reinigungssequenz Gamma gestartet. 10…9…8…7…6…“

 

Seto rief seinen Leibwächtern Befehle entgegen und die Gruppe stieg in das Fahrzeug. Der Motor heulte auf und der Wagen fuhr nur einen Moment später wieder auf dem Pfad, der zum Anwesen führte.

 

„5…4…3…2…1“

 

Die Druckwelle war noch im Wagen zu spüren. Joey sah aus dem Rückfenster und sah, wie eine Kettenreaktion mehrerer Explosionen das Haus zerstörte.

 

„Alter…dein Stiefvater hat echt einen Knall.“

„Ich hätte es besser wissen sollen. Der Bastard hat sich noch nie mit einem Abschiedsgruß zufriedengegeben.“

„Und Noah?“

 

Setos Smartphone klingelte.

 

„Seto? Dieser Yoichiro…“

„Ist nur ein Deckname…für Gozaburo…ich weiß.“

„Was? Woher? Seto, du bist gar nicht im Krankenhaus! Wo steckst du?“

„Ausflug mit dem Straßenköter und dem Zwerg.“

„Seto…“

„Alles gut Mokuba. Der alte Sack hatte noch einen letzten Abschiedsgruß auf seine Art. Es ist vorbei. Schick das Zeug an die Polizei, sollen die aufräumen.“

„Was ist mit dem Vampir? Seto?“

„Es ist vorbei, Mokuba. Wir reden später. Bestell schon mal ein paar Burger.“

 

Seto beendete das Gespräch und schob Yugi in Joeys Arme.

 

„Zum Krankenhaus Takashi.“

„Natürlich, Herr Kaiba.“

„Kaiba?“

„Was?“

„Du siehst scheiße aus, weißt du das?“

„Klappe Köter, guck dich mal an.“

 

***

 

Eine Woche später war nichts mehr vom Vampir von Domino City zu hören oder zu lesen. Wie durch ein Wunder waren die Opfer nach und nach aufgewacht.

 

Seto saß in seinem Büro und änderte mal wieder die Einstellungen des Mainframes. Das verdammte Ding überhitzte immer noch. Wurde wohl Zeit für eine Neuanschaffung.

 

Es klopfte und seine Sekretärin trat ein.

 

„Herr Kaiba? Herr Muto und Herr Wheeler sind jetzt da.“

„Schicken Sie sie rein.“

 

Die Sekretärin verschwand und die beiden Jungen kamen herein.

 

„Du siehst ja schon wieder aus wie vorher, Geldsack.“

„Klappe, Wheeler.“

„Alles OK Seto?“

 

Da. Da war er wieder. Der Kind-Yugi. Fast die ganze Woche hatten sie ihn im Krankenhaus behalten, weil er so viel Blut verloren hatte.

 

„Sicher. Ist ja nicht so, dass irgend so ein Freak irgendwie meinen Körper kontrollieren konnte. Deine Erklärung dafür?“

„Hokus Pokus klingt doch gut.“ Yugi lächelte müde. Er war noch immer nicht wieder fit.

„Sag mal Kaiba, sicher, dass das nicht Noah war?“

„Das war nur ein Hologramm. Es war die Vorstufe dessen, was Gozaburo damals vorhatte, nachdem er Noahs Bewusstsein in den Cyberspace transferiert hatte. Das erste Projekt, ihn zurückzubringen.“

„Als Hologramm?“ Joey sah ihn schief an. Der alte Kaiba war wirklich besessen gewesen von dieser Idee, seinen Sohn zurückzubringen.

„Das Hologramm war nur ein Stück Software. Ein Abbild aus alten Fotos von Noah und einer synthetisch kopierten Stimme von Videos. Mehr nicht. Da war kein Bewusstsein.“

„Also kein Backup vom anderen Noah?“ Yugi fand die Vorstellung irgendwie traurig, dass quasi nur eine Hülle als Hologramm erhalten geblieben war.

„Nein. Keine Ahnung, wie genau das mit der Lebensenergie, den Karten und dem Vampir funktioniert hat. Die Aufzeichnungen darüber gingen mit dem Anwesen hoch. Wahrscheinlich hat er das Projekt nie anfahren lassen wollen, solange er keinen Körper für Noah hatte. Wie auch immer der aussehen sollte.“

„Warum ist es denn dann doch angelaufen und wer ist der Kartenmeister?“

„Ein Bug in der Software. Das System sollte sich selbst warten und ist irgendwann mal abgestürzt schätze ich. Das wird es wohl ausgelöst haben. Mit Sicherheit nachvollziehen lässt sich das nicht mehr. Der Kartenmeister war Gozaburo selbst. Wahrscheinlich hat der sich einen Chip implantiert, der seine Vitalfunktionen an das System übertrug.“

„Aber das Haus und alles, das war doch noch gepflegt. Wenn da niemand lebte, wie konnte es da so sauber sein?“

„100-Jahre-Wartungsvertrag. Im Voraus bezahlt natürlich. Tja, einen guten Job haben die ja gemacht. Das ist jedenfalls alles, was wir noch mit Mokubas Recherchen rausfinden konnten. Du bist deinen Job los hab ich gehört.“

„Was geht’s dich an?“ Joey schnaubte. Woher hatte er das nun wieder erfahren?

„Ich bin nicht gerne anderen etwas schuldig. Du bist ja durchaus handwerklich geschickt. Wir könnten noch jemanden in KaibaLand gebrauchen, der anpacken kann.“

„Ich nehme keine Almosen von dir, Kaiba.“

„Sind auch keine Almosen. Wie gesagt, ich hab nicht gerne Schulden. Wird gut bezahlt und du kannst den Fahrdienst der Firma nutzen. Bis du was Neues gefunden hast oder fest anheuern willst. Die Entscheidung liegt bei dir.“

„In Ordnung.“

„Gut. Dein erster Arbeitstag ist der Montag nachdem du offiziell wieder für gesund erklärt wurdest.“

„Wie du meinst.“

„Ich hab noch zu tun, wenn ihr also keine Fragen mehr habt…“

„Weiß Mokuba davon?“ Yugi rieb sich den Arm.

„Ja. Er ist bei den Recherchen darauf gestoßen. Es geht ihm soweit gut, falls du das wissen willst.“

Yugi nickte nur. Einen Moment sagte niemand was.

 

„Gut, das war’s dann. Man sieht sich ja spätestens beim Turnier.“

„Bau dir schon mal ein neues Deck. Mit deinem jetzigen werde ich dich in null Komma nix von der Plattform fegen.“

 

Seto sah von seinem Laptop auf. Duell-Yugi, also. Das Geheimnis würde er auch noch knacken.

 

„Wir werden sehen.“

 

Beim Verlassen des Büros registrierte Yami ein Schachspiel auf einem Tisch. Soviel zu dem Geburtstagsgeschenk.

 

Die beiden Jungen verließen die Kaiba Corporation und schlenderten Richtung Innenstadt.

 

‚Das war ziemlich mies von dir, mich einfach aus meinem Körper zu holen, Yami!‘

 

„Tut mir leid Yugi, war das letzte Mal.“

„Die Sache mit dem Namensschild Yami…“

„Nächstes Mal Joey.“

 

‚Hast du was über deine Vergangenheit erfahren können?‘

‚In gewisser Weise, ja. Ich glaube, ich habe meinen Vater gehört.‘

 

 

ENDE

 



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Von:  Yui_du_Ma
2024-01-21T17:24:48+00:00 21.01.2024 18:24
Die Geschichte ist interessant und gut geschrieben.
Danke dafür.
War ein echt gutes Lesegefühl.
Hat viel Spaß gemacht sie zu lesen. ^.^


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