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I'll always be there for you

von

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Im Zimmer war es fast stockdunkel. Nur ein schwacher Lichtschimmer kroch durch die Jalousie hindurch, aber der junge Mann wusste auch so, dass es langsam dämmerte. Er war die Nacht zuvor zwar früh ins Bett geklettert, hatte sich aber noch für längere Zeit hin und her gewälzt, bevor er übermüdet eingeschlafen war. Doch während ihm die letzten Jahre ein schlechtes Gewissen und damit einhergehende Albträume immer wieder den Schlaf geraubt hatten, war es dieses Mal die Aufregung ob des bevorstehenden Abenteuers. Yuichiro wartete seit Monaten darauf, dass der Leutnant Colonel mit ihm die sichere Zone der menschlichen Existenz verließ und ihn gegen Vampire kämpfen ließ. Der Junge hatte Guren Ichinose bekniet und angebettelt, ihn hinaus in die weite Welt zu lassen, seit dieser angefangen hatte, ihn in japanischem Schwertkampf zu unterrichten. Doch der Offizier war unnachgiebig geblieben und hatte sich partout nicht erweichen lassen, solange Yuichiros Fähigkeiten nicht ein gewisses Maß erreicht hatten.

Jetzt lag der Junge wach in seinem Bett und starrte an die Decke, Stunden bevor es losgehen sollte und ohne eine Ahnung, wie er bis dahin die Zeit totschlagen konnte. Davor noch mal trainieren war eine Möglichkeit, die er tatsächlich in Betracht zog. Obwohl er den Kampf mit einem Katana noch nicht so lange praktizierte wie Guren, hatte er anscheinend ein gewisses Talent für den Umfang mit dieser Waffe. Und Yuichiro trainierte in jeder freien Minute. Allerdings war das Selbststudium ziemlich aufwändig, wenn sein Lehrmeister keine Zeit für ihn hatte und er auf sich allein gestellt war. Mit einem Baum trainierte es sich einfach nicht so gut wie mit einem reellen Gegner.

Der Leutnant Colonel hatte ihm immer wieder eingetrichtert, sich auch geistig weiter zu entwickeln und ihm geraten, so viel Freizeit wie möglich in einer der Bibliotheken der Reichsdämonenarmee zu verbringen. Neben der körperlichen Ertüchtigung war es auch wichtig, sich psychisch weiterzuentwickeln. Laut Guren war es unerlässlich, über eine hohe mentale Stärke zu verfügen, wollte man im Kampf gegen Vampire erfolgreich sein. Fuda, japanische Amulette, konnten den Gegner auf verschiedene Arten beeinträchtigen; verlangsamen, in einem Feuerball explodieren oder gar komplett vernichten, wenn es ein besonders mächtiges Amulett war. Allerdings drohten die Zaubersprüche auf Papier fürchterlich nach hinten loszugehen, wenn ihre Anwender nicht wussten, wie man mit ihnen umzugehen hatte. Yuichiro hatte begierig zugehört und alles aufgesogen, was Guren ihm erklärt hatte. Und er war begeistert gewesen, als sein Mentor ihm die Anwendung eines Fuda vorführte, trotz der Tatsache, dass er selbst dabei schmerzhaft auf dem Hintern gelandet war.

Doch nachdem er dem Rat des Leutnant Colonels gefolgt war und sich in einer Bibliothek einen Überblick über das Thema verschafft hatte, war ihm der Enthusiasmus schnell wieder abhanden gekommen. Für Yuichiro, der jahrelang in einer unterirdischen Stadt der Vampire gefangen gehalten worden war, war es ein Graus, seine Nase für einen längeren Zeitraum in Lehrbücher zu stecken, nur um zu erlernen, wie man meditierte. Denn für all jene, die noch nicht über ausreichend mentale Kapazitäten verfügten, um Fuda erfolgreich anzuwenden, war es unerlässlich, ihren Geist durch Meditation zu stärken. Und er war seit seiner Flucht so schlecht darin, für lange Zeit still zu sitzen.

Yuichiro rollte sich herum und sah auf den Läufer vor seinem Bett. Das schmale Stück Teppich war ziemlich plattgetrampelt, erfüllte aber soweit seinen Zweck, als dass er keine kalten Füße bekam, wenn er nachts aus dem Schlaf schreckte und die Beine zur Beruhigung aus dem Bett baumeln ließ. Doch anders als die Tage davor spiegelten sich auf dem Läufer keine Strahlen der aufgehenden Sonne. Stattdessen prasselte es gleichmäßig gegen die Jalousie. Der junge Mann war etwas enttäuscht darüber, dass der lange angekündigte Regen ausgerechnet an dem Tag kam, an dem Guren mit ihm hinter die Schutzmauern gehen wollte.

Hoffentlich benutzt er das schlechte Wetter nicht als Ausrede, es abzusagen...‘, dachte er.

Ichinose hatte seinen Schützling des Öfteren vertröstet, wenn er sich keine Zeit für das gemeinsame Training hatte nehmen könnten. Hier ein Auftrag eines Vorgesetzten, den er ausführen musste, da eine handschriftliche Notiz, die unter der Tür zu Yuichiros Zimmer hindurch geschoben worden war, während er nicht im Zimmer war. Die Ausflüchte hatten sich in den letzten Monaten gehäuft, wenn er genau darüber nachdachte.

Ob die Armee irgendwas Wichtiges plant?

Davon, was die Reichsdämonenarmee die ganze Zeit unternahm, um gegen die Vampire zu kämpfen, wusste Yuichiro nichts. Der Leutnant Colonel erzählte ihm nicht besonders viel darüber, wie seine Arbeit eigentlich aussah, sondern lag ihm ständig damit in den Ohren, dass er noch mehr trainieren sollte.

Ob Guren mir heute mehr erzählt?

Yuichiro seufzte vernehmlich und kämpfte sich aus dem Bett hoch. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, noch mal eine Stunde Schlaf zu bekommen. Dafür war er viel zu aufgekratzt, also konnte er genauso gut ein paar Aufwärmübungen machen, danach duschen und frühstücken.

 

***

 

Guren stellte den benutzten Teller in die Spüle und ließ Wasser darauf laufen, damit die Reste des Currys nicht antrockneten. Eine seiner rechten Hände, Sayuri Hanayori, würde sich später zweifellos in seine Wohnung schleichen und für ihn saubermachen, so wie sie es immer tat. Es war eine ihrer hartnäckigsten Angewohnheiten, die sie pflegte, seit sie als Gurens Leibwächterin ausgewählt worden war, genauso, wie sie ihm seit jeher Curry kochte. Sayuri würde sich nie ändern, dafür war sie viel zu verliebt in ihren Vorgesetzten. Wenigstens hatte er ihr abgewöhnten können, ständig bei ihm auf der Matte zu stehen, sobald er seine eigene Wohnung betrat. Früher, als sie alle noch Jugendliche waren und zur Schule gingen, war es ja ganz nett, die Mädchen immer um sich zu haben. Aber mittlerweile genoss er es auch, wenn er für sich allein war.

Der Leutnant Colonel zuckte mit den Schultern, ging zum Kühlschrank und schnappte sich eine angebrochene Flasche Cola. Heute würde ein angenehmer Tag werden, abseits vom ganzen Rummel innerhalb der Führungsetage der Reichsdämonenarmee.

Soll sich Kureto halt einen anderen Laufburschen für seine Aufträge suchen... Shinya kann auch mal was tun...

Guren hatte noch seine Schlafklamotten an, ein ungebügeltes graues T-Shirt und seine weiß-hellblau karierten Boxershorts. Die Füße steckten in grauen Badeschlappen, die er als Hausschuhe nutzte. Seine Offiziersuniform hing feinsäuberlich auf einem Kleiderbügel am Schrank. Ichinose war dazu verpflichtet, sie jederzeit zu tragen, wenn seine Tätigkeit auch nur im Entferntesten etwas mit seinen Pflichten als Armeesoffizier zu tun hatte. Und dem Bengel das Kämpfen gegen apokalyptische Reiter beizubringen, gehörte dazu.

Das Curry, das er als Frühstück verspeist hatte, stammte noch vom Vortag. Curry konnte er immer essen, ganz unabhängig davon, dass Sayuri immer genau die gleichen Zutaten benutzte und es daher immer denselben Geschmack hatte. Aber sie hatte so eine Affinität, immer mit viel Liebe zu kochen und das machte jedes Curry zu etwas Besonderem. Guren nahm einen Schluck Cola und stellte die Flasche dann wieder zurück in den Kühlschrank, der ihm entgegen gähnte. Danach verschwand er im Bad, um sich die Zähne und das Gesicht zu putzen. Duschen würde er abends, wenn er das Abenteuer mit Yuichiro hinter sich gebracht hatte.

Nichts geht doch über eine Dusche am Vorabend eines freien Tages!‘, dachte er, während er mit Schaum vor dem Mund seinem Spiegelbild entgegenblickte.

Als er fertig war, griff Guren zum Haargel, das auf der Ablage unter dem Spiegel stand und sorgte dafür, dass ihn die wilden Strähnen nicht im Kampf behinderten. Oft hatte er sich überlegt, die Matte einfach ganz kurz schneiden zu lassen, aber dann würden die vereinzelten grauen Haare, die er mit seinen 23 Jahren bereits hatte, noch besser zur Geltung kommen.

Der Offizier seufzte. Angefangen hatte es etwa ein halbes Jahr nach seinem zwanzigsten Geburtstag. Zumindest waren ihm da die ersten grauen Haare aufgefallen, die er zunächst schockiert betrachtet und dann kurzerhand ausgerissen hatte. Seitdem waren sie in steter Regelmäßigkeit immer wieder zum Vorschein gekommen und hatten sich etwas vermehrt. Von Gurens Freunden hatte es zum Glück noch niemand bemerkt und er hoffte, dass das auch noch möglichst lange Zeit so bleiben würde. Nicht auszudenken, wie sie reagieren würden. Sayuri würde sich Sorgen machen, Norito und Mito würden ihm mit ihren Ellbogen in die Seite stupsen und Shinya würde sich ganz klar lustig über ihn machen. Shinya, dieser vermaledeite Pseudo-Hiragi, der allen eigentlich nur auf die Nerven ging und der mit weißsilbernem Haar gesegnet war, sodass graue Haare unter Garantie nicht auffallen würden. Guren bezweifelte, dass er als Ersatz einzelne schwarze Strähnen bekommen würde, wenn er alt wurde. Wenigstens Shigure würde keine Reaktion zeigen.

Guren betrachtete sein Werk im Spiegel. Er konnte keine weiße Strähne erkennen, die widerspenstig zwischen der schwarzen Haarmatte hervor lugte und so seinen Verfall preisgab. Er wusch sich die Hände und ging hinüber ins Schlafzimmer, um seine Uniform anzuziehen. Zum Abschluss befestigte er seine Waffe am Gürtel, sah sich noch einmal in seiner Wohnung um, verließ sie und sperrte die Tür zu. Sayuri hatte damals einen eigenen Schlüssel zu seiner Wohnung bekommen, für Notfälle, wie er erklärt hatte. Insgeheim aber hatte er gehofft, dass sie so stur wie immer reagieren und seine Wohnung aufsuchen würde, sobald er nicht zuhause war, um zu Putzen und ihm Essen zu kochen. Hätte er sein Verbot damals wirklich ernst gemeint, hätte er den Schlüssel Shigure übergeben, so pflegte er weiterhin seine eigene Faulheit.

Ab und an hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er Sayuris Aufopferungsbereitschaft so schamlos ausnutzte. Auch wenn sie immer wieder den Eindruck vermittelte, gerne für ihn aufzuräumen und immer dabei lächelte, wenn er sie darauf ansprach, wurde er das unbestimmte Gefühl nicht los, sie nicht angemessen genug für ihre Arbeit zu entschädigen. Währen Shigure zu dem Thema schwieg, überzog Mito ihn immer wieder mit wüsten Beschimpfungen, wie er es denn wagen könne, Sayuri kontinuierlich als Haushaltshilfe zu missbrauchen.

Auf den Straßen Shibuyas war um diese Uhrzeit nicht viel los. Die meisten Schüler, die in dieser Gegend wohnten, drückten gerade die Schulbank und alle anderen waren entweder arbeiten oder zuhause. Nur vereinzelt liefen Leute mit Einkaufstüten auf den Gehwegen herum, in deren Ritzen sich saftiges Gras breitmachte. Auch die von Menschen bewohnten Gebiete täuschten nicht darüber hinweg, dass sich die Welt in einem desolaten Zustand befand. Vermutlich tat das Wetter auch sein Übriges dazu, dass die Leute in den Häusern blieben. Es hatte geregnet, als Guren aufgestanden war und das Mistwetter hatte sich bisher nicht gebessert. Kurzzeitig hatte er sogar darüber nachgedacht, das kleine Abenteuer abzublasen, aber sein Zögling würde ihm das nie verzeihen, nachdem er solange darum gebettelt hatte.

Der Leutnant Colonel hatte mit Yuichiro vereinbart, sich nicht am Hauptquartier der Reichsdämonenarmee zu treffen, sondern an einer Außenstelle der Führung. Guren hoffte, dass der Junge pünktlich war, denn er hatte noch andere Pläne, die er heute erledigen wollte. Doch seine Befürchtungen verliefen sich im Sand, als er ihn vor dem Eingang zu der Militäranlage sah, wie er sich immer wieder umblickte. Guren, durch einen Regenschirm wider Erwarten ziemlich trocken geblieben, ging zu ihm hinüber.

„Hätte nicht erwartet, dass du schon da bist...“, sagte er zur Begrüßung.

„Heute, wo ich endlich raus darf, werde ich garantiert nicht zu spät kommen!“, feixte Yuichiro zurück.

Der Leutnant Colonel besah sich den Jungen einmal von oben bis unten. Yuichiro trug normale Freizeitkleidung, eine mittlerweile ausgewaschene Jeans, Turnschuhe und einen hellgrauen Kapuzenpulli mit Reißverschluss vorne dran. Insgesamt war er wohl ziemlich durchnässt.

„So kannst du natürlich nicht rausgehen“, kommentierte Guren. „Komm mit, dann kriegst du vernünftige Kampfkleidung.“

Yuichiro beeilte sich, dem Erwachsenen hinterher zu laufen. Als sie zum Eingang des Militärgeländes kamen, prüfte der Soldat an der Pforte kurz Gurens Rang und winkte sie dann durch.

„Das war ja einfach...“, meinte Yuichiro und lief neben seinem Mentor her.

„Was denkst du denn?“

Die beiden liefen über den Vorplatz zu einem kleinen Nebengebäude.

„Das hier ist das Zeughaus“, erklärte Guren und wunderte sich über die Begeisterung seines Begleiters. „Hier bekommen die einfachen Soldaten in der Regel alles, was sie für ihre Arbeit und den Kampf benötigen. Stiefel, Uniformen, Fuda, Proviantpakete...“

„Und du?“, fragte Yuichiro neugierig.

Guren blieb stehen und sah ihn verwundert an.

„Was ist mit mir?“

„Wo kriegst du deine Sachen her... Auch von hier?“

„Die Uniform? Die krieg ich beim Schneider...“

„Aha...“

Der Junge ging weiter, während Guren ihm kopfschüttelnd hinterher sah. Manchmal fragte er sich wirklich, was in Yuichiros Kopf vorging. Er hatte den Jungen damals nahe der Ruinen Kyotos aufgegabelt, als dieser aus der Vampirstadt Sanguinem geflüchtet war. Was für Yuichiro zunächst ein Schock gewesen war, die Begegnung mit anderen, erwachsenen Menschen, war etwas, worauf der Leutnant Colonel lange gewartet hatte. Die Erfüllung der Prophezeiung, ein Junge, der mutterseelenallein vor den Blutsaugern floh und die Erlösung der menschlichen Rasse bedeutete. Guren hatte Jahre warten müssen bis zu jenem verheißungsvollen Wintertag, an dem Yuichiros Füße ihn hinaus in den Schnee und in Gurens Arme getragen hatten. Seitdem war der Leutnant Colonel ein Held für den Jungen, eine Rolle, der er so gut wie möglich gerecht zu werden versuchte.

Die folgenden Wochen und Monate hatte Guren hauptsächlich den Babysitter für Yuichiro gespielt, ihm erklärt, was seit der Katastrophe von vor vier Jahren geschehen war, in welcher Lage sich die Menschheit derzeit befand und dem Jungen immer wieder zugehört, wenn er von seinem schlechten Gewissen geplagt wurde. Der Leutnant Colonel hatte Yuichiro zunächst bei sich in der Wohnung untergebracht, Platz genug hatte er und so konnte er auch gleichzeitig ein Auge auf dessen Entwicklung werfen. Eines Nachts, als Yuichiro von einem besonders schlimmen Albtraum geplagt worden war, war der Junge verstört zu Guren ins Bett gekrochen, hatte sich an dessen Brust angekuschelt und für den Rest der Nacht geweint. Guren hatte ihn im Arm gehalten und nie ein Wort darüber verloren. Was in Yuichiros Kopf vorging, welcher Grausamkeiten darin hausten, konnte er sich gar nicht vorstellen.

Yuichiro ging zu der Materialausgabe und gab dem Bediensteten seine Konfektions- und Schuhgröße durch. Er musste geschlagene fünf Minuten warten, bis der Mann wiederkam.

„Tut mir leid. Größe M ist leider ziemlich selten bei Männeruniformen. Die Hose müsste passen, aber die Jacke ist eine Nummer zu groß. ... Vielleicht wächst du ja hinein, wenn du noch etwas die Muskeln trainierst.“

Der Junge sah den Soldaten dümmlich an und verschwand kommentarlos mit den Uniformteilen in einer der Umkleidekabinen. Als er sich fertig umgezogen hatte, kam er wieder zum Vorschein und sah wenig überzeugt an sich herab. Die Jacke schlackerte ihm tatsächlich ziemlich am Oberkörper.

„Geht wohl nicht anders“, meinte Guren. „Deine eigenen Sachen kannst du in einem der Spinde einsperren und danach wiederholen.“

„Ich krieg noch eine Unterschrift...“, säuselte der Mitarbeiter an der Theke.

Der Leutnant Colonel gab ihm das gewünschte Autogramm und schob seinen Zögling dann hinaus auf den Vorhof.

„Und nun?“, fragte Yuichiro.

„Jetzt schnappen wir uns einen der Truppentransporter und fahren zur Mauer...“

 

***

 

Yuichiro saß auf dem Beifahrersitz und schaute gespannt aus dem Fenster. Als sie ihren fahrbaren Untersatz aufgetrieben hatten, war er Guren damit in den Ohren gelegen, ihm unbedingt das Autofahren beibringen zu müssen, aber der Leutnant Colonel war stur geblieben und hatte erklärt, dass er dafür noch nicht alt genug sei. Und als er begriffen hatte, dass sich sein Mentor wohl nicht würde umstimmen lassen, hatte er es aufgegeben. Ab und zu hatte Yuichiro das Gefühl, dass Guren ihn grundsätzlich noch für ein Kleinkind hielt. Die beiden waren schweigend die Straße entlanggefahren, bis sie sich langsam der Grenze zwischen Außenwelt und gesichertem Bereich näherten. Hier an der Außengrenze waren dem Jungen vermehrt Soldaten der Reichsdämonenarmee aufgefallen und er hatte alles aufgesogen, was er zu sehen bekam.

„Hey Guren, wie viele Vampire tötet ihr so pro Tag?“, fragte Yuichiro nach einer Weile.

Der Leutnant Colonel warf ihm Seitenblick zu, konzentrierte sich dann wieder auf die Straße.

„So viele, wie möglich... Aber frag mich nicht nach den genauen Zahlen, die hat nur die obere Armeeführung.“

Der Junge warf ihm nun seinerseits einen Blick zu.

„Gehörst du denn nicht dazu?“, fragte er.

„Hah... Die werden den Teufel tun und mir irgendwelche Statistiken zur Verfügung stellen.“

„Aber du bist doch auch ein Offizier, oder nicht?“

„Ja... Wenn man es so nennen kann... Die Ichinose-Familie war noch nie besonders beliebt... Dass sie mich zum Leutnant Colonel befördert haben, ist wohl das Maximale, was sie mir zugestehen wollten...“

„Ach so...“, kommentierte Yuichiro und sah wieder aus dem Fenster.

Dem Jungen entging der süffisante Unterton, der in Gurens Erklärung mitgeschwungen hatte. Letztendlich konnte er auch nicht viel mit den Zwistigkeiten der Erwachsenen anfangen und adlige Familien, die sich untereinander bekriegten, waren ihm herzlich egal. Yuichiro wusste nur, dass die Reichsdämonenarmee von der Hiragi-Familie angeführt wurde, aber wer da nun genau die Akteure waren, war ihm bisher entgangen. Die Laune des Leutnant Colonels seinerseits hatte sich nun zum Negativen gewandt, wie eigentlich immer, wenn er an die Hiragis erinnert wurde.

Sitzen selbstgefällig in ihren Burgen und tun keinen Schritt über die Grenze hinaus... Sterben tun andere für sie...‘, dachte er missbilligend.

Guren bog um die nächste Ecke und nahm dann den Fuß vom Gaspedal. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Er parkte den Wagen auf dem improvisierten Parkplatz, auf dem noch zwei weitere Truppentransporter und ein LKW standen und stieg dann mit seinem Zögling aus.

„Wenigstens hat es das Regnen aufgehört...“, stellte Yuichiro fest.

Der Leutnant Colonel gab ihm stumm recht, streckte sich einmal ausgiebig und gähnte herzhaft.

„Bereit?“, fragte er dann.

Yuichiro kam um den Wagen herum auf ihn zugelaufen und strahlte ihn an.

„Bewaffnet und bereit!“, antwortete er pflichtschuldig.

„Na, du bist ja mit Feuereifer dabei... Also komm mit.“

Die beiden gingen hinüber zu einem Turm, der in eine hohe Betonmauer eingelassen war. Dort schob ein Soldat Wache und öffnete die Tür für den Leutnant Colonel. Guren nickte dem Mann zu und trat dann ein.

„Was machen wir hier?“, fragte Yuichiro aufgeregt.

„Uns einen Statusbericht holen. Wir müssen schließlich genau wissen, wo sich unsere Feinde aufhalten, sodass wir nicht in einen Hinterhalt geraten.“

Der Junge stiefelte ihm hinterher die Treppe hinauf zum Kontrollraum. Dort angekommen ließ sich der Leutnant Colonel auf den neuesten Stand bringen. Yuichiro hörte aufmerksam zu.

„Nein, Sir“, berichtete der wachhabende Offizier gerade. „In letzter Zeit sind sie ziemlich ruhig, geradezu im Schönheitsschlaf, könnte man meinen. Aber wenn Sie mich fragen, sollte man darauf nicht allzu viel geben. Gut möglich, dass die Vampire gerade eine Offensive planen.“

„Okay. Und die anderen?“, hakte Guren nach.

„Die Reiter sind so zahlreich wie immer, Sir. Tötet man einen, kann man seine Unterhose darauf verwetten, dass mindestens einer nachkommt.“

Der Leutnant Colonel zog die Luft scharf durch die Zähne. Er schien sich die Situation durch den Kopf gehen zu lassen, zuckte dann aber die Schultern.

„Ich möchte, dass Sie und Ihre Männer die nähere Umgebung genauestens im Auge behalten. Ich will diesem Heißsporn hier heute das Kämpfen beibringen, da kann ich es nicht gebrauchen, unerwarteten Besuch zu bekommen. ... Sollten Sie Vampire ausfindig machen, die sich in unsere Richtung bewegen, schicken Sie sofort zwei Einsatzteams der Monddämonenkompanie zur Unterstützung. Haben Sie mich verstanden?“

„Ja, Sir!“

Guren und sein Zögling verließen das Kontrollzimmer wieder. Doch statt unten an der Treppe den Ausgang zu nehmen, durch den sie zuvor in den Turm gekommen waren, ging der Leutnant Colonel einmal um die Treppe herum und dann einen kurzen Gang entlang, an dessen Ende sich eine schwere Doppeltür befand. Dort standen insgesamt vier Soldaten. Sie grüßten den Offizier, wie es sich gehörte, und einer schob dann die rechte Hälfte der Tür auf. Dahinter befand sich Chaos. Yuichiro beeilte sich, seinem Mentor hinaus auf den brüchigen Asphalt zu folgen. Als die schwere Tür wieder hinter ihm zufiel, fuhr er erschrocken herum.

„Beruhige dich...“, meinte Guren lapidar.

Es hatte wieder zu nieseln begonnen und es sah nicht so aus, als würde sich das Wetter im Laufe des Tages noch verbessern.

Ehrlich, wenn das so weitergeht, darf ich heute Abend ein heißes Bad nehmen, damit ich keine Erkältung bekomme...‘, dachte Guren missmutig.

Yuichiro seinerseits hatte das Schwert gezogen.

„Immer mit der Ruhe. Man könnte meinen, du wärst eine alte Oma auf dem Wochenmarkt beim Kampf um das beste Gemüse...“

„Bin ich gar nicht!“, protestierte Yuichiro.

„Dann pack das Schwert weg, bevor du dich noch in den Daumen schneidest.“

Der Junge wollte erneut protestieren, ließ es aber bleiben, als der Leutnant Colonel ihm den Rücken zudrehte. Wenn Guren meinte, dass ihnen hier so nah an der Mauer noch keine Gefahr drohte, hatte er vermutlich Recht.

Die beiden machten sich auf den Weg tiefer hinein in die unbewohnten Gebiete. Yuichiro hatte sie erst einmal gesehen, damals vor mehr als drei Jahren, als er aus Sanguinem geflüchtet war. Doch statt auf die Umgebung zu achten, war er nur blindlings Guren und seinen Teammitgliedern hinterher getrottet, die ihn zu einem geparkten Fahrzeug geführt und dann nach Shibuya gebracht hatten. Yuichiro erinnerte sich nur noch daran, dass damals sehr viel Schnee gelegen und die Welt dadurch friedlich gewirkt hatte. Nichts hatte die Schneedecke in ihrer Gleichmäßigkeit getrübt, nicht mal Fährten von wilden Tieren waren zu sehen gewesen.

Jetzt im Spätsommer lag natürlich noch kein Schnee, weshalb die zahlreichen Risse und Löcher in den Straßen deutlich erkennbar waren. In den meisten von ihnen hatten sich Pfützen gebildet und die beiden Männer mussten aufpassen, wo sie hintraten, wenn sie nicht nasse Füße bekommen wollten. Guren hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sprang leichtfüßig wie ein Reh voran über einen besonders breiten Riss hinweg und hinauf auf einen noch stehenden Betonpfeiler eines ansonsten kaputten Zauns.

„Siehst du was?“, rief Yuichiro zu ihm hinauf, als er aufgeschlossen hatte.

Guren sprang von dem Pfeiler herunter und gab ihm eine Kopfnuss.

„Schrei weiter so herum, dann werden wir auf jeden Fall angegriffen!“, mahnte er.

Yuichiro rieb sich die Stirn.

„Aber genau das ist es doch, was wir wollen, oder nicht?“

„Nein...“

„Häh?“

„Wir wollen sie angreifen... Ich dachte eigentlich, das wäre dir klar.“

„Du meinst einen Überraschungsangriff?“

„Ganz genau! Vergiss nicht, Yuichiro, wenn du die Möglichkeit hast, den Gegner zu überrumpeln, sodass er keine Zeit zum Reagieren hat, dann ist das immer noch die beste Variante eines Kampfes.“

„Also müssen wir uns jetzt quasi heranschleichen, oder wie?“

„Richtig. Also komm... Und mach keine unnötigen Geräusche.“

Der Junge folgte ihm. Guren wusste immer so viel, dass Yuichiro gar nicht am Erfolg ihres kleinen Abenteuers zweifelte. Was machte es schon, dass mittlerweile wieder steter Regen vom Himmel herunterfiel. Davon würden sie sich doch nicht klein kriegen lassen. Und auch nicht von Vampiren, die in ihren Verstecken auf sie lauern mochten. Als sie etwa hundert Meter hinter sich gebracht hatten, schob der Leutnant Colonel Yuichiro in den Eingang eines heruntergekommenen, mehrstöckigen Wohnhauses hinein.

„Hast du was gesehen?“, flüsterte Yuichiro aufgeregt, als Guren ihn die Treppe hinauf schubste.

„Ja... einen Reiter der Apokalypse...“

„Och...“

Es klang wenig begeistert. Guren brummte nur vernehmlich. Ihm war klar, dass der Junge Vampire zur Strecke bringen wollte und er vermutlich felsenfest davon ausging, dass sie genau deswegen hierhergekommen waren. Irgendwie war das für Yuichiro die logische Schlussfolgerung gewesen, als der Leutnant Colonel ihm eröffnet hatte, dass er demnächst mit ihm hinter die Mauern zu gehen gedachte, damit er Kampferfahrung bekam. Der Bengel war wie ein Flummi durch die Wohnung gesprungen und hatte Gurens Ausführungen gar nicht mehr beachtet, so voller Vorfreude war er gewesen. Er hatte seine liebe Mühe gehabt, den Jungen an dem Abend dazu zu bewegen, doch noch ins Bett zu gehen und zu schlafen. Aber auch wenn er ihn erfolgreich unter die Decke bugsiert hatte, zweifelte der Offizier bis heute daran, dass Yuichiro die Nacht schlafend verbracht hatte.

Die beiden schlichen auf Samtpfoten in den zweiten Stock hinauf und betraten ein für japanische Verhältnisse geräumiges Zimmer zur Straßenseite hin. Vorsichtig lugten sie aus dem zerbrochenen Fenster hinaus.

„Was war denn da?“, fragte Yuichiro, nachdem sie eine Minute lang nichts gesehen hatten.

„Pass auf... Da!“

Der Junge sah noch mal hinaus und schnappte dann hörbar nach Luft. Hinter dem nächsten Häuserblock schob sich ein grauenhaftes Monster hervor. Es ragte mindestens drei Meter in die Höhe, hatte alles zerfleischende Krallen an den Gliedmaßen und ein zähnefletschendes Maul, das wie ein Abgrund ins Nichts wirkte. Die Haut des Ungetüms war größtenteils schwarz mit einigen weißen Streifen und Yuichiro glaubte, dass sie ziemlich ledrig war.

„Ist das ein...?“

„Ein Reiter der Apokalypse, ja.“

„Die sind ja hässlich...“, befand Yuichiro.

Er sah angeekelt zu dem Monster hinab.

„Ich dachte, du kennst sie?“, fragte Guren überrascht.

„Ja so gut wie man sie halt kennen kann, wenn man bisher nur in Büchern über sie gelesen hat... Warten wir?“

„Worauf?“

„Darauf, dass es verschwindet...? Wir wollten doch Vampire umlegen, oder nicht?“

„Wieso sollten wir? Der da unten ist ein guter Einstieg für dich, um Kampferfahrung zu sammeln... Und ich habe nie etwas davon gesagt, dass ich dich gegen Vampire kämpfen lassen will.“

„Häh?“

Yuichiros Verwirrung stieg.

„Ich dachte, wir kämpfen gegen Vampire...“

Guren verschränkte die Arme und sah auf seinen Schützling herab.

„Deine Fähigkeiten sind noch nicht annähernd so weit, als dass du es mit den Blutsaugern aufnehmen könntest. ... Glaubst du etwa, dass wir es zu zweit mit ihnen aufnehmen können?“

Der Junge sah zu dem apokalyptischen Reiter hinunter.

„Ich dachte, im Zweifelsfalle würdest du schon mit ihnen fertig...“

Du liebes bisschen...‘, dachte Guren erschrocken. ‚Er denkt wirklich, ich sei unverwundbar...

„Yuichiro“, meinte er besänftigend. „Ich bin nicht allmächtig. Auch ich kann es nicht mit mehreren Vampiren gleichzeitig aufnehmen, wenn es hart auf hart kommt. Und sie treten grundsätzlich immer in Teams auf. ... Wir würden ein Zusammentreffen mit Vampiren nicht überleben, wenn uns die Monddämonenkompanie nicht in kürzester Zeit zu Hilfe käme.“

Der Junge erwiderte seinen Blick. Guren spürte, dass es hinter dessen Gehirnrinde arbeitete und gerade etwas dabei war, zu zerbrechen.

Lieber begreift er es jetzt, als es später auf die harte Tour lernen zu müssen...

„Yuichiro“, versuchte Guren es nochmal. „Glaubst du, die Menschheit befände sich einem solch bemitleidenswerten Zustand, wenn es für sie ein leichtes wäre, gegen Vampire zu kämpfen und sie zu besiegen? Wir wären alle die glücklichsten Menschen, denn dann hätten wir keine Sorgen mehr und könnten ein friedvolles Leben führen.“

Der Junge drehte sich einmal um sich selbst und sah dem Leutnant Colonel dann wieder in die Augen. Als Guren sah, dass er kurz vor einem Heulkrampf war, kam er eiligen Schrittes auf ihn zu und strich ihm väterlich über den Kopf. Guren machte sich ehrlich Sorgen um seinen Schützling. War sein bisheriges Verhalten Yuichiro gegenüber ein Fehler gewesen? Hätte er ihm vielleicht von Anfang an klarmachen sollen, dass er kein Held war? Aufmüpfig versuchte Yuichiro seine Hand wegzuschlagen.

„Also komm. Apokalyptische Reiter sind auch nicht so leicht zu besiegen, wenn man noch nie gegen sie gekämpft hat und ihre Tücken nicht kennt. Aber wenn du fleißig bist und stets übst, solltest du nicht lange brauchen, um sie mit einem Hieb entzwei zu teilen.“

Yuichiro zog einmal geräuschvoll Rotze in der Nase hoch und rieb sich dann über die Augen. Er war tatsächlich kurz vorm Weinen gewesen, fasste sich aber ein Herz und sah wieder zu dem Monster hinunter, das einige Meter den Weg weitergegangen war, den sie einige Minuten zuvor selbst gekommen waren. Er nickte Guren einmal zu und schlich dann wieder ins Erdgeschoss hinunter. Vorsichtig näherte er sich der Eingangstür, die schief aus den Angeln hing und unter der er sich vorsichtig hindurch balancierte, um das Monster nicht auf sich aufmerksam zu machen. Als Yuichiro es geschafft hatte, hielt er sich noch im Eingangsbereich verdeckt und sondierte die Situation. Wenigstens das hatte er von den vielen Stunden in der Bibliothek mitgenommen, Basiswissen über Kampfstrategien.

Oben hatte sich der Leutnant Colonel mit verschränkten Armen auf das Fensterbrett gestützt und sah seinem Zögling zu. Er stellte sich gar nicht so dumm an dafür, dass es sein erster Kampf gegen ein echtes Monster war. Trotzdem bezweifelte Guren, dass Yuichiro besonders weit kam. Es würde ihm vielleicht gelingen, hier und da auf das Monster einzuschlagen und ihm vielleicht einen Gliedmaßen abzutrennen. Aber keinesfalls würde er es fertigbringen, das Monster kampfunfähig zu machen.

Yuichiro hatte sich für eine Angriffstaktik entschieden. Er schlich bis zum Gehweg. Die Entfernung zwischen ihm und dem Monster betrug gerade mal fünf Meter, eine Distanz, die er mit einigen schnellen Sätzen hinter sich gebracht haben würde. Zudem drehte es ihm jetzt den Rücken zu. Er atmete einmal tief durch, um seine Nerven zu beruhigen und zog lautlos sein Katana. Danach stieß er einen Kampfschrei hervor, der die Toten aufweckte und stürmte auf den apokalyptischen Reiter hinzu.

„Dieser Vollidiot...“, kommentierte Guren und schlug sich mit der flachen Hand ins Gesicht.

Sein Zögling beging den Fehler, den alle Anfänger machten. Nachdem sie sich unbemerkt an einen Gegner angeschlichen hatten, machten sie die Mühe und den Vorteil mit ihrem Kampfgeschrei wieder zunichte und so war es auch bei Yuichiro. Noch bevor er den apokalyptischen Reiter erreicht hatte, fuhr dieser herum und fletschte die kreisrund angeordneten Reißzähne. Yuichiro, durch die plötzliche Abwehrhaltung seines Gegners irritiert, konnte seinen Schwung nicht mehr abbremsen und rutschte auf dem nassen Asphalt aus. Schmerzvoll landete er auf seinem Hintern, was ihm die Luft aus den Lungen trieb.

Der Leutnant Colonel stieß einen Fluch aus und sprang kurzerhand aus dem Fenster. Yuichiro war inkompetenter, als er gedacht hatte. Gerade schnappte das Monster nach dem Bein seines Zöglings, der benommen vom Aufprall auf dem Hintern saß. Yuichiro schaffte es nur halbherzig, sein Bein wegzuziehen. Er schrie auf, als der apokalyptische Reiter seinen Fuß zu fassen bekam und sich in ihm verbiss. Reflexartig schaffte es der Junge noch, mit seiner Waffe nach dem Monster zu schlagen, aber ohne Effekt. Erst, als Guren mit erhobenem Katana über ihn hinwegsprang, ließ der apokalyptische Reiter vom Bein seines Opfers ab. Eine andere Wahl hatte es auch gar nicht, denn der Leutnant Colonel hatte es feinsäuberlich in der Mitte halbiert.

Yuichiros Unterkiefer klappte auf und zu, ohne dass ein Ton hervor kam. Mühsam versuchte er, sich hoch zu kämpfen, knickte aber ein, als er seinen verwundeten Fuß belasten wollte.

„Lass mich das anschauen...“, kommandierte Guren.

Der Offizier hatte mit einem schnellen Schwung der Klinge das Blut des Monsters von seiner Waffe entfernt und ließ das Katana nun zurück in die Scheide gleiten. Mit einem besorgten Blick kam er auf Yuichiro zu, der vorsichtig nach dem Stiefel griff.

„Nicht, lass mich das machen.“

Der Leutnant Colonel kniete sich vor den Jungen hin und griff behutsam nach dessen Bein.

„Beiß die Zähne zusammen!“

Yuichiro tat, wie ihm geheißen. Ihm wurde leicht schwindelig, als Guren den Stiefel vorsichtig vom Bein zog.

„Das sieht schlimmer aus, als ich dachte“, meinte der Erwachsene dann. „So wirst du es auf keinen Fall selbst zurück schaffen...“

Der Junge enthielt sich eines Kommentars. Stattdessen starrte er mit verbissenem Blick zu Boden, anscheinend schämte er sich.

„Na, es hilft alles nichts!“

Guren sammelte das Schwert des Jungen ein und half ihm dann hoch.

„Meinst du, du bist stark genug, auf meinem Rücken Huckepack zu reiten?“

„Muss wohl...“

Der Leutnant Colonel ging vor Yuichiro leicht in die Hocke. Sein Zögling ließ sich auf seinen Rücken gleiten. Als Guren sich aufrichtete, schoss ein starker Schmerz durch Yuichiros Bein und er zog die Luft ein.

„Wir haben es nicht weit...“

„Ja...“

Guren machte sich mit seiner Last auf den Weg. Noch immer fielen dicke Tropfen Regen vom Himmel herab. Yuichiro und er waren mittlerweile durchnässt bis auf die Knochen und das Prasseln erzeugte eine gleichmäßige Geräuschkulisse, in der sie lautlos verschwinden konnten. Trotzdem entging ihm nicht, dass der Junge leise in seinen Nacken schluchzte.

 

***

 

„Hey...“

Guren betrat das Zimmer, ohne anzuklopfen. Aber der Junge hätte ihm auch nicht geantwortet, wenn er sich dieser Höflichkeit hingegeben hätte. Der Leutnant Colonel ging zu ihm hinüber und setzte sich ans Bett. Yuichiro hatte sich auf die Seite gerollt und starrte an die Wand.

„Du hattest Glück im Unglück, weißt du das?“

Keine Reaktion.

„Der Arzt meinte, dass du den Fuß bald wieder belasten kannst, wenn du ihm jetzt nur lange genug Ruhe gönnst.“

Wieder keine Antwort.

Guren legte etwas auf dem Nachttisch ab. Nachdem er Yuichiro zurück zur Mauer getragen hatte, hatte er ihn schnurstracks in ihren Wagen gesetzt und war mit ihm zu einem Arzt gefahren. Dort hatte man den Patienten sediert, die Fußverletzung versorgt und den Jungen dann, sehr zu Gurens Erleichterung, wieder entlassen. Das besserte sicher auch die Stimmung des Patienten. Der Leutnant Colonel hatte seinen Schützling daraufhin mit zu sich nach Hause genommen, wo er sich die nächsten paar Tage um ihn kümmern wollte. Auch wenn Yuichiro dumm gehandelt und seinen Gegner mit dem Kampfschrei auf sich aufmerksam gemacht hatte, war es das Versäumnis seines Mentors, nicht besser auf ihn achtgegeben zu haben.

„Willst du heute gar nichts mehr sagen?“

Dieses Mal erhielt er wenigstens ein Grummeln. Der Leutnant Colonel zuckte mit den Schultern und stand auf. Er wollte ins Bad gehen und heiß duschen, da hörte er, wie Yuichiro sich unter der Bettdecke umdrehte.

„Hey Guren...“, murmelte er.

Der Angesprochene kehrte zum Bett zurück.

„Hm?“

„Bin ich jetzt raus?“

„Raus wovon?“, fragte Guren verwirrt.

„... Von der Armee und allem...“

„Versteh‘ schon, daher rührt die Schweigsamkeit“, brummte der Leutnant Colonel. „Wieso glaubst du, dass du kein möglicher Kandidat mehr bist?“

Yuichiro druckste mit der Antwort herum.

„Weil ich mich heute selten dämlich angestellt habe, oder nicht?“

„Stimmt.“

Der Junge blickte entsetzt zu ihm auf.

„Allerdings ist das kein Grund, dich rauszuwerfen.“

Guren nahm den Gegenstand in die Hand, den er zuvor auf dem Nachtkästchen abgelegt hatte.

„Und wieso sollte ich jemanden nicht mehr als möglichen Kandidaten für die Armee in Betracht ziehen, der es schafft, einem apokalyptischen Reiter einen Zahn mit dem Fuß zu ziehen?“, zwinkerte er.

Er ließ den etwa zehn Zentimeter langen Reißzahn vor Yuichiros Augen auf das Bett fallen, tätschelte ihm aufmunternd den Kopf und verschwand dann im Bad.

 

 

~ FIN ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Emerald_Phoenix
2016-10-18T21:07:55+00:00 18.10.2016 23:07
Du hast die Charaktere wirklich gut getroffen. Das Guren nicht wirklich bedenken hat, sich bekochen zu lassen, passt genauso wie Yu und sein Hau-Drauf-Gehabe. :3 Bisher weiß man ja leider fast nichts über die Zeit nach der Flucht, daher fand ich es zunehmend spannend, was du dir ausgedacht hast. Man kann sich diese Variante sehr gut vorstellen, weil sie einfach schlüssig ist. Hättest du Yu den Reiter umhauen lassen, hätte ich das nicht geglaubt. Aber ich habe auch gedacht, es wird erst mal ein niederer Vampir gejagt. Voll aufs Glatteis geführt! Die Geschichte hat mir sehr gefallen und das nicht zuletzt deswegen, weil es Owari no Seraph ist. Hätte nicht gedacht, dazu was zu bekommen. Dankeschön! *flausch*

Meine beiden Lieblingsstellen sind die Sache mit dem Kampfschrei und dem hässlichen Reiter. :3 Ich musste da so lachen. :D



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