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Getrennte Wege

von

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Ein lautes Pochen hallte durch den Wald.

Lucario hob den Kopf, seine Ohren zuckten in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Elegant sprang er aus seinem Versteck, begleitet von einem kleinen Schwarm Blätter, der von dem Luftzug mitgetragen wurde. Sein Blick war konzentriert geradeaus gerichtet, während er mit weiten, schnellen Schritten über Wurzeln sprang und durch das Dickicht tauchte. Hier wurde der Wald immer dichter, man hätte ihn fast eher Dschungel nennen können. Einige mieden diesen Teil des Areals, nannten es unheimlich, aber Lucario fand, dass es ein guter Ort war, ein Ort mit vielen Gerüchen, mit vielen Herausforderungen und vor allem mit vielen Verstecken.

Und zu einem dieser Verstecke lockte ihn das hölzerne Pochen, das inzwischen fast wie ein zu hektischer Herzschlag klang. Auf einer kleinen Lichtung angekommen stoppte er. Lilly stand vor einem riesigen hohlen Baum und trainierte ihre schnellen Schlagkombinationen. Es roch nach Moos und nasser Erde, der Regenschauer von heute morgen steckte hier noch im Boden, weil die Sonne es schwer hatte, durch die dichten Baumkronen zu kriechen.

»Hab dich gefunden«, begrüßte er sie und trat näher heran. Hatte sie ihn überhaupt schon bemerkt? Manchmal versank sie so in ihr Training, dass sie nichts mehr mitbekam - eine ihrer großen Gemeinsamkeiten. Lucario lächelte. Die Leidenschaft für den Kampf hatte ihre Freundschaft überhaupt erst geweckt.

»Du bist spät heute.« Lin-Fu ließ ihre Pfoten sinken. Kleine Rückstände der Baumrinde klebten feucht an ihnen und als sie sich an der Nase kratzte, wie sie es nach anstrengenden Angriffen immer tat, verteilte sie diese versehentlich auf ihrem Gesicht. Lucario musste schmunzeln und wischte sie vorsichtig von ihrer Wange.

»Ich habe ausgeschlafen. Die Nacht war lang.«

»Irgendwann fängt dich ein Mensch während du schläfst, weil du nachts wieder viel zu lange irgendwelchen Spuren hinterhergelaufen bist.«

Er winkte ab. »So leicht fängt man mich nicht.«

Die beiden ließen sich im Gras nieder, Lin-Fu verschränkte die Arme hinterm Kopf und blickte nach oben, wo zwischen dem Grün der Baumkronen des Blau eines wunderbaren Frühlingshimmels leuchtete. Lucario gähnte und seine Augen fanden wieder den Baumstamm, den seine Freundin heute morgen so ambitioniert mit Schlägen bearbeitet hatte.

»Aber eigentlich… eigentlich wäre es vielleicht gar nicht schlecht, einen Trainer zu haben. So könnte man sicher noch stärker werden.«

Lilly gab ein leises Schnauben von sich. Sie hatten schon ein paar Mal über das Thema philosophiert und so mutig seine Freundin auch war - die Menschen machten ihr Angst.

»Kannst du auch mal wieder über was anderes reden?«, maulte sie. Lucario kratzte sich hinterm Ohr. Er redete einfach gerne darüber, es machte sich so viele Gedanken, stellte sich vor, wie die Welt außerhalb ihres Waldes war und wie er sie erkunden könnte, wenn ein Mensch ihn mitnahm. Wie er sich mit zahlreichen anderen Pokémon von überall her messen könnte. Es wäre ein großes Abenteuer. Ein anderes Leben.

Er sagte nichts mehr darüber, wollte sie nicht verärgern, aber Lilly wusste gut genug, was in ihm vorging.

Eine sanfte Brise ließ die Blätter rascheln und trug den Geruch der ersten Blumen heran. Es war der Duft einer erwachenden Welt, die viel zu bieten hatten. Viel mehr, als sie beide kannten. Eine ganze Weile herrschte vertraute Stille zwischen ihnen, bis Lilly diese unvermittelt brach.

»Wenn es dich so sehr fortzieht, dann musst du gehen.«

Es waren Worte mit spürbar großem Gewicht. Sie klangen nicht patzig, eher resigniert.

Lucario setzte sich auf. »Ich kann nicht einfach gehen! Nicht allein jedenfalls. Wir haben uns doch geschworen, für immer beste Freunde zu sein!« Überraschung und Empörung schwangen in seiner Stimme mit. Ja, er wollte hinaus in die Welt. Aber dass sie ihn einfach so ziehen ließ, fühlte sich falsch an. Eher hatte er immer gehofft, dass sie irgendwann zustimmen würde, ihn zu begleiten.

»Du musst mitkommen. Wir suchen uns gemeinsam einen Trainer und -«

»Nein«, unterbrach sie ihn. »Das ist dein Weg. Nicht meiner.«

Lucario sprang auf. Was sie da sagte klang nach Abschied. Als hätte sie längst beschlossen, dass er gehen würde und dass sie sich niemals wiedersahen. Vor Anspannung drang ein leises Knurren aus seiner Kehle.

»Sei endlich mal ehrlich zu dir, Lucario. Ich halte dich hier fest. Aber du wirst mit jedem Tag neugieriger und irgendwann wirst du unzufrieden sein. Das ist nicht richtig.« Lin-Fu hatte sich ebenfalls wieder erhoben und sah ihn mit ernsten Augen an. Sie hatte Recht, das spürte er tief im Inneren, aber das Gefühl war von einer seltsamen Bitterkeit ummantelt. Er konnte vor lauter Anspannung und Aufgewühltheit gar nichts sagen, seine Kehle war zu trocken, zu eng.

»Hör mal… unser Schwur bleibt doch bestehen. Wir werden immer beste Freunde sein. Auch auf getrennten Wegen.«

Er wandte den Blick ab und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Die Worte in seinem Kopf ließen sich nicht ordnen.

»Du sagst, wir sind beste Freunde und werden es immer bleiben, aber ich bin es dir nicht wert, dass du versuchst, deine Angst vor Menschen zu überwinden?« Die Worte kamen gepresst und sie klangen verletzender, als er es beabsichtigt hatte. Sein Herz klopfte so wild, sein Instinkt sagte ihm, dass er abhauen sollte, einfach weg, raus aus dieser Situation, die ihm so wehtat. Und genau das tat er dann auch. Er warf ihr keinen letzten Blick zu, sondern sprang ins Dickicht und sprintete durch den Wald, der so lange seine Heimat gewesen war, sich jetzt aber anfühlte, wie Ruinen auf verbrannter Erde.
 

*
 

Glücklich, seinen fünften Orden in der Tasche zu haben, gönnte Alex sich und seinem Team einen Tag Erholung in der nahen Umgebung. Hier gab es ein kleines Gebirge mit einem unberührten Wäldchen. Er rief seine drei Pokémon aus den Bällen.

»Weißt du noch, Jam? Nicht weit von hier, auf Route 39 habe ich dich damals gefangen«, sagte er und klopfte seinem Champion auf die Schulter. Lucario war sein schlagkräftigstes Pokémon und war ihm damals sofort mit seiner Energie und seiner Entschlossenheit ins Auge gesprungen. Sie waren zu einem guten Team geworden und hatten gemeinsam an Stärke und Erfahrung gewonnen. Das war jetzt schon wieder so viele Jahre her. Wie die Zeit verging!

»Lasst uns hier ein bisschen spazieren gehen.«

Es war noch nicht ganz Sommer, aber die Luft war bereits angenehm warm. Sonnenstrahlen tanzten auf den Blättern der Sträucher und als kleine Sprengsel auf dem Waldboden. Der kleine Pfad verlor sich langsam, aber Lucario lief voran, als würde er die Gegend wirklich kennen und Alex vertraute seinem Pokémon. Dabei wurden die Schritte immer schneller.

»Was ist? Hast du irgendwas gehört?«, fragte er und stolperte fast über eine Wurzel, als Jam noch einen Zahn zulegte. Hinter dem nächsten Strauch fand er seine Antwort.

»Oh, ein wildes Pokémon!«, rief er aus und hielt seinen Pokédex hoch. »Lin-Fu, ein Kampf-Pokémon. Du scheinst wohl nach einem Kampfpartner gesucht zu haben, was?« Alex lachte leise. Die beiden Pokémon starrten sich an.

»Metallklaue!« Lucario preschte vor und kämpfte. Bildete er sich das nur ein, oder war das ein Lächeln auf Lucarios Gesicht? Seine Bewegungen wirkten anders als sonst, euphorischer… und in seinen Augen funkelte es.

Lin-Fu lieferte ihnen einen guten Kampf, aber letztendlich musste es sich Lucarios Stärke geschlagen geben. Schwer atmend stand es da, den Blick auf sie beide gerichtet und kratzte sich an der Nase.

»Pokéball los!«



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