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Schwarzer Komet

Drachengesang und Sternentanz - Teil 1
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es tut mir wirklich Leid, dass dieses Kapitel mit einer ganzen Woche Verspätung online kommt, aber es hat mir echt Schwierigkeiten bereitet und irgendwie hat mein Zeitmanagement in letzter Zeit so gar nicht hingehauen :/

Egal, dafür ist das Kapitel wieder schön lang!

Und es ist wahnsinnig informationslastig - und das gleich in mehrfacher Hinsicht. World Building hoch zehn!
Und wieder lauter Andeutungen.
Bosco habe ich übrigens an Äthiopien angelehnt, falls das jemanden interessiert. Und ein traditionsbewusster Totomaru ist einer meiner Headcanons. Ich maaaaag Totomaru einfach! :D

Ob ich das nächste Kapitel schon in einer oder erst in zwei Wochen online stelle, kann ich noch nicht sagen. Das hängt davon ab, wie gut ich durch komme. Allerdings muss ich gestehen, dass ich bereits darüber nachdenke, nach meinem Urlaub Ende September/Anfang Oktober nur noch in einem Vier-Wochen-Rhythmus Kapitel hoch zu laden. Das Abtippen und Überarbeiten der Kapitel frisst viel Zeit und ich komme mit einigen anderen Projekten einfach nicht mehr hinterher. Ganz und gar entschieden ist es noch nicht, aber es gibt halt mehrere gute Gründe, die dafür sprechen...

Viel Spaß beim Lesen dieses Kapitels und vielen Dank im voraus für jeden Kommentar!
Lg
Yosephia Komplett anzeigen

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Der Pfad, auf dem Entscheidungen gefällt wurden

„Dämonen?“

Die Reaktionen auf Levys Eröffnung fielen sehr unterschiedlich aus: Gray und Lyon strafften beinahe gleichzeitig die Schultern und tasteten nach ihren Waffen, was außer Meredy jedoch niemand zu bemerken schien. Lucy warf einen alarmierten Blick auf Loke. Romeo, Wendy und Gajeel wirkten hingegen eher ratlos. Und die Wüstenlöwin, ihre Klauen und der Rüstungsmeister blickten zutiefst skeptisch drein.

„Es gibt keine Dämonen mehr in der Stillen Wüste, von zwei Ausnahmen abgesehen und die haben absolut nichts mit den Ereignissen der letzten Zeit zu tun“, erklärte die Fürstin schließlich ruhig.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Meredy, wie Gray und Lyon einen unbehaglichen Blick tauschten. Die Brüder wirkten noch viel angespannter als vorher. Ob das mit den Vorbehalten gegenüber Dämonen in den Reihen der Kaiserlichen Armee zusammen hing? Auch wenn sich kaum jemand traute, darüber zu reden, Meredy hatte genug über die Streitigkeiten betreffend General Wolfheims wahrer Natur erfahren. Das hatte insbesondere in der Magierschwadron hohe Wellen geschlagen. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man noch immer darüber und die Meinungen darüber gingen sehr weit auseinander. Bisher hätte Meredy jedoch im Leben nicht angenommen, dass Lyon und Gray sich etwas daraus machen würden.

Ehe Levy etwas darauf erwidern konnte, trat Rufus in den Saal. Im Gegensatz zu den meisten Anderen hier hatte er es geschafft, sein Äußeres wieder vorzeigbar herzurichten, auch wenn seine zusammen gebundenen Haare und die zerknitterte Tunika ein Zugeständnis an die Umstände waren. Seine Schritte waren lang, aber ruhig, verrieten das Bemühen um Beherrschung. Seine Miene war weniger gut zu lesen. Lediglich der dünne Strich seiner zusammen gepressten Lippen gab Meredy einen Einblick in seine Anspannung.

Er hielt neben Orga, der sich unelegant auf dem Boden nieder gelassen hatte. Für die Dauer einiger Herzschläge schien es einen wortlosen Austausch zwischen den Mitgliedern der kleinen Gruppe um Minerva zu geben und Rufus legte seine Hände auf den Rücken, als könnte er dort einen dringend benötigten Halt finden. Dann richtete sich sein Blick direkt auf Minerva und entgegen seiner bisher so formalen Art begann er ohne Umschweife. Obwohl die Besucher kaum weiter von ihnen entfernt standen, wirkten Minerva, Sting, Rogue, Rufus und Orga wie eine eingeschworene Gruppe. Sie wandten sich einander in völligem Vertrauen zu, bedurften keiner weitschweifigen Gesten oder langatmiger Phrasen. Es erinnerte Meredy an zwei junge Soldaten, die sie und ihren Bruder vor so langer Zeit gerettet hatten.

„Etwa ein Viertel des Sandpalasts ist vom Feuer betroffen“, erklärte der Hofmagier mit ruhiger Stimme, deren Zittern Meredy beinahe entgangen wäre. „Das Wasser ist vom Kanal im Palastgarten durch den halben Palast gerauscht. Es gibt einige leichte Verletzungen bei jenen, die vom Wasser herum geschleudert wurden… Die Zahl der Toten im vom Feuer betroffenen Bereich ist noch unbekannt.“ Der Mann machte eine Pause und blickte seiner Fürstin direkt in die Augen. Als er keine Reaktion erhielt, fuhr er fort. „Davon ausgehend, welche Bereiche betroffen worden sind, ist wahrscheinlich mit sechzig bis siebzig Opfern zu rechnen.“

Die Miene der Wüstenlöwin blieb steinern, aber Sting neben ihr sackte etwas in sich zusammen und strich sich mit zitternder Hand durch die trocknenden Haare. Rogues Hand auf seiner Schulter drückte zu und die Lippen des Schattenmagiers pressten sich fester aufeinander. Orga machte seiner Betroffenheit mit einem schweren Seufzer Luft und ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich will die Namen aller Opfer haben“, erklärte Minerva schließlich mit schneidender Stimme. „Die Angehörigen werden durch die Gerüchte schon früher von all dem hier erfahren, als wir sie informieren können, aber ich will dennoch mit jeder einzelnen Familie reden. Und ich will den Kopf desjenigen, der hierfür verantwortlich ist. Also…“ Ihr scharfer Blick richtete sich auf Levy, die merklich in sich zusammen schrumpfte. „Was habt Ihr heraus gefunden? Was sind das für Dämonen?“

Nun noch viel nervöser als vorher schon verneigte Levy sich und nestelte dann an dem dicken Buch in ihren Armen herum, versuchte aber gleichzeitig, die Tasche mit ihren Aufzeichnungen nicht loszulassen. Sie schien beinahe an ihrem Unvermögen, Tasche und Buch gleichzeitig festzuhalten, zu verzweifeln. Die Blicke, die sie Minerva und ihren Vertrauten immer wieder zuwarf, wurden zunehmend ängstlicher. Schließlich stand Gajeel mit einem leisen Schnaufen auf, ging zu der Magistra hinüber und nahm ihr die Tasche ab. Die überraschten Blicke der anderen Drachenreiter ignorierte er geflissentlich.

Zuerst verwirrt, dann erleichtert blickte Levy zu dem Hünen auf, dann nickte sie ihm dankbar zu und klappte endlich das Buch auf. Die Anderen rückten näher oder beugten sich vor, um erkennen zu können, was die Magistra zeigen wollte. Sie schlug ein Kapitel mit dem reißerischen Titel Die Dämonen der Apokalyptischen Freiheit auf. Unter dem Titel war eine verblasste Tuschezeichnung abgebildet, welche mehrere Gestalten unterschiedlicher Form und Größe zeigte, einige klar erkennbar, andere nur schattenhaft, aber alle doch von annähernd menschlicher Gestalt, ihnen folgte ein Heer unförmiger, niederer Dämonen. Unter der Zeichnung war dasselbe Symbol abgebildet, das Libra ihnen vorhin gezeigt hatte.

„Tartaros“, erklärte Levy ruhig. „Eine Gruppe überaus mächtiger Dämonen. Während der Besiedlungskriege haben sie tausende von Menschen getötet. Dann in den Geisterkriegen haben sie nach dem Tod des Königs die Städte der Geister vernichtet und ihr Land verwüstet.“

Wäre die Situation nicht so ernst, hätte Meredy sich ein amüsiertes Lächeln bei den Mienen der Anderen erlaubt. Außer Lucy schien keiner der Anwesenden etwas mit diesen Informationen anfangen zu können. Meredy selbst musste sich eingestehen, dass sie nichts über diese alten Zeiten wusste. Wenn sie sich mit der ishgarischen Geschichte beschäftigt hatte, dann mit der jüngeren seit der Thronbesteigung der Unsterblichen Kaiserin.

Von den Besiedlungskriegen hatte sie nur mal vage Geschichten gehört, die Geisterkriege waren ihr jedoch ein Rätsel. Insbesondere die Erwähnung eines Königs verwirrte sie.

„Aber die Besiedlungskriege sind mindestens anderthalb Millennien her und die Geisterkriege fanden vor neunhundert Zyklen statt“, wandte Lucy mit skeptischer Miene ein. „Die Quellenlage aus der Zeit der Besiedlungskriege ist mehr als dürftig. Wie kann man sich sicher sein, dass die gleiche Gruppe dafür verantwortlich ist?“

„Nicht die gleiche, dieselbe“, erwiderte Levy unbehaglich. „Wir haben es hier mit Höhlengebundenen zu tun. Und wir können uns da absolut sicher sein…“

Wortlos klappte Levy das Buch wieder zu und deutete auf den Autorennamen unter dem Titel. „Eclair“, hauchte Lucy ehrfürchtig. „Die Windpriesterin…“

„Ich verstehe gar nichts“, brummte Sting verstimmt. „Wer ist diese Eclair? Und wieso macht das die ganze Geschichte glaubwürdiger?“

Überrascht sahen Levy und Lucy reihum, aber keiner der Anderen sah so aus, als könnte er Stings Fragen beantworten.

„Nicht jeder ist so ein Geschichtsexperte wie ihr Zwei“, schmunzelte Meredy amüsiert, während Gray die Augen verdrehte.

„Ihr wisst nichts über die Windmenschen?“, fragte Lucy.

„Haben die etwas mit den Feuermenschen zu tun?“, warf Sting ein. Als alle ihn verblüfft ansahen, zog er eine Schnute. „Das Feuertanzlied ist halt gut!“

Synchron verdrehten Minerva und Rogue die Augen, während Orga leise schnaubte und Rufus in sich hinein schmunzelte, aber keiner von ihnen konnte über seine Erheiterung hinweg täuschen. Für Andere mochte es befremdlich wirken, dass die Fürstin und ihre Getreuen sich so schnell vom Verlust eines geschätzten Kameraden ablenken ließen, aber Meredy wusste aus eigener Erfahrung, dass das die Spuren anderer Verluste waren. Verluste in einem Krieg, in dem man sich Trauer nicht hatte leisten können. Um weiter funktionieren zu können, um weitere Verluste verhindern zu können, waren solche Ablenkungen der einzige Weg. Nicht auf Dauer, aber zumindest fürs Erste.

„Sie haben nicht direkt etwas miteinander zu tun“, erklärte Lucy und schenkte Sting ein entschuldigendes Lächeln. „Es gab früher Wind-, Wasser-, Feuer- und Erdmenschen. Die Wassermenschen sollen eine Insel im Kaiserlichen Meer besiedelt haben, die Windmenschen waren in den Hohen Bergen, die heute zu Cait Shelter gehören, die Erdmenschen im Alten Wald, der sich heute über das Gebiet von Magnolia erstreckt, und die Feuermenschen in der Stillen Wüste. Am Ende der Siedlungszeit waren sie die stärksten Verbündeten der Menschen, auch wenn es immer nur sehr wenige von ihnen gab. Vor fünfhundert Jahren sind beinahe alle von ihnen verschwunden, etwa zur selben Zeit, als auch die Ersten Drachen Ishgar verließen. Es ist bis heute unklar, was damals passiert ist und ob das alles miteinander zusammenhängt. Jedenfalls sind danach nur ganz selten Vertreter der Völker aufgetreten. Eclair war ein Windmensch und als solche eine überaus mächtige Windmagierin. Und sie konnte in die Vergangenheit blicken.“

„Wie soll das denn möglich sein?“, fragte Gray skeptisch.

„In Astronomenkreisen kursiert die Theorie, dass es auch heute noch möglich ist“, warf Rufus bedächtig ein. „Wenn Windmagier eine hohe Stufe der Konzentration erreicht haben, können sie in die Vergangenheit blicken. Oder in die Ferne. Allerdings ist das seit vielen Jahrhunderten niemandem mehr gelungen.“

Levy nickte auf die Worte des Windmagiers hin und fuhr fort: „Einige der Windmenschen waren dazu in der Lage. Aber es sind meist nur unklare Bilder gewesen, die sie erkennen konnten. Es gibt in den Berghöhlen von Cait Shelter einige Höhlenzeichnungen von ihren Eindrücken. Die meisten davon sind sehr wirr, ergeben nur unförmige Gestalten, die zusammenhanglos nebeneinander zu stehen scheinen. Eclair war einer der ganz wenigen Windmenschen, der so gut war, um tatsächlich vergangene Ereignisse nacherzählen zu können.“

„Haben die Feuermenschen und die Anderen auch solche besonderen Fähigkeiten?“, fragte Sting und blickte nun unverhohlen neugierig zwischen Lucy und Levy hin und her.

Wieder nickte Levy und antwortete eifrig. Über für sie so vertraute Themen zu sprechen, schien ihr etwas von ihrem Selbstvertrauen wieder zu geben. Sie hatte sogar aufgehört zu zittern. „Die Erdmenschen konnten mit Pflanzen reden und die Wassermenschen dem Meer lauschen. Und Feuermenschen kon-“

Levy brach jäh ab, als noch jemand in den Saal trat. Mit einem Mal waren Sting, Minerva und Orga wieder auf den Beinen, denn auf der Schwelle stand niemand geringerer als Dobengal. Der Assassine sah erschöpft und mitgenommen aus, er hatte an der linken Wange einen langen Schnitt und kleinere Schnitte an der linken Schulter. Seine sandbraunen Haare waren auch noch feucht und seine Kleidung an der linken Seite mehrfach aufgerissen. Aber er hatte keine einzige Verbrennung.

„Dob, du lebst!“, keuchte Sting und er schien drauf und dran, auf den Jüngeren zu zueilen.

„Ihr auch“, stellte der Jüngere nüchtern fest, als hätte nicht gerade ein Teil des Palasts in Flammen gestanden. „Glück gehabt.“

„Wie hast du es geschafft, den Flammen zu entkommen?“, fragte Minerva, die sich wieder gefasst hatte und sich langsam zurück auf die Überreste des Tisches sinken ließ.

„Bin zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen“, log der Assassine.

Meredy war sich sicher, dass er log. Er war wirklich verdammt gut, das musste sie anerkennen, seiner Miene war nicht das Geringste anzumerken und seine Stimme war so ruhig wie eh und je, aber Meredy war schon zu lange als Assassine tätig, als dass man sie täuschen könnte. Die Frage war, warum Dobengal seine Kameraden belog, die sich so offensichtlich große Sorgen um ihn gemacht hatten. Was hatte er vor ihnen zu verbergen? Doch Meredy glaubte nicht, dass es da ein Loyalitätsproblem gab, also schwieg sie sich über ihre Erkenntnis aus.

„Hauptsache, dir geht es gut“, entschied Minerva und winkte ihren Assassinen zu sich.

Mit einem müden Seufzer ließ dieser sich auf dem Boden zu Füßen seiner Fürstin nieder und erhob auch keinen Protest, als Sting ihm mit einem erleichterten Grinsen auf die Schulter schlug.

„Bitte fahrt fort“, wandte Minerva sich wieder an Lucy und Levy.

„Also…“ Levy räusperte sich und schlug das Buch wieder an der Stelle auf, die sich mit Tartaros beschäftigte. „Tartaros wurde allem Anschein nach den Geisterkriegen stark dezimiert und schlug sich nach Süden durch. Während der Nomadenzüge tauchte nur einer der Dämonen von Tartaros wieder auf.“ Die Magistra blätterte um, bis ein Dämon mit Umhang und Totenmaske auf einer Seite erschien, exakt wie Libra ihn vorhin beschrieben hatte.

„Der Totengolem!“, riefen überraschenderweise Sting und Minerva gleichzeitig aus.

„Es gibt eine Abbildung von ihm in der Lerngrotte“, erklärte Sting aufgeregt. „Er soll die Golems angeführt haben, als diese die Ersten angegriffen haben. Tetra Orland hat ihn damals fünf Jahre lang gejagt!“

„Um genau zu sein, scheint er die Golems irgendwie manipuliert zu haben“, erklärte Levy. „Hier sind die Aufzeichnungen von Eclair sehr vage. Wie gesagt, es war sehr schwierig, in die Vergangenheit zu blicken. Eclair deutete das, was sie gesehen hatte, so, dass dieser Dämon die Golems irgendwie mit seiner Sandmagie gesteuert hat. Offensichtlich hielt Eclair es für möglich, dass starke Sandmagier dazu in der Lage sind, Geschöpfe der Wüste zu manipulieren. Ähnlich wie Windmagier es mit Menschen und Tieren machen können.“

„Dann war seine Magie stark genug die Golems zu kontrollieren…“, kombinierte Romeo mit angewiderter Miene. „Die Kriege damals…“

„… waren ein weiteres Komplott von Tartaros…“, murmelte Minerva und ihre olivgrünen Augen verengten sich merklich. „Und dann könnte es dieser Dämon gewesen sein, die unseren Dörfern die Basilisken auf den Hals gehetzt hat?“

Nun wieder verunsichert zuckte Levy mit den schmalen Schultern. „Die dracologischen Abhandlungen über Basilisken sind sehr dürftig. Es gibt noch viele Rätsel über die Anatomie der Drachenartigen und eigentlich ist man bisher immer davon ausgegangen, dass ihre ihnen eigene Magie es nicht möglich macht, dass sie kontrolliert werden…“

Die Stimme der Magistra erstarb und sie rieb sich unbehaglich über den Arm, der das kostbare Buch wieder an ihre Brust drückte. Im Saal herrschte gedrücktes Schweigen. Insbesondere Sting stierte finster zu Boden. Diese Einsicht in die Hintergründe eines Krieges, der Generationen seines Volkes in Bedrängnis gebracht hatte, musste ihm ganz schön zu denken geben.

„Aber warum?“, fragte Meredy und schlug dabei absichtlich einen nüchternen Tonfall an. „Was hatte Tartaros davon, Menschen und Golems aufeinander zu hetzen?“

„Vor der Besiedlung gab es keine Menschen auf Ishgar. Der Kontinent hat den Dämonen, den Geistern und den Ersten Drachen gehört“, überlegte Lucy laut.

„Sie wollten also ihre Heimat zurück erobern“, schlussfolgerte Gajeel brummend.

„Wie Lucy vorhin gesagt hat, sind die Aufzeichnungen aus der Besiedlungszeit ziemlich rar“, erklärte Levy mit grüblerischer Miene, offensichtlich dankbar für dieses neue Thema. „Das meiste sind wilde Legenden, aber ihr wesentlicher Kern ist meistens gleich: Die Siedler waren Vertriebene oder Heimatlose, vielleicht auch Überlebende einer Katastrophe. Sie kamen über das Meer, landeten an der Ostküste von Ishgar und nahmen das Land in Besitz, das ihnen unbewohnt erschien.

Mit den Geistern schlossen sie relativ früh einen Nicht-Angriff-Pakt oder womöglich sogar einen Friedensvertrag. Als sie ins Gebiet der Ersten Drachen kamen, wurden sie wieder vertrieben. Die Dämonen jedoch, die untereinander und mit den Drachen und Geistern verfeindet waren, griffen sie an.

Einige Siedler flohen in andere Gebiete von Ishgar, so wurden Edolas, Bosco und die anderen Länder besiedelt. Andere nahmen den Kampf auf. Es gibt viele fantastische Geschichten, wie die Siedler gewonnen haben, aber ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass es zu einer Pattsituation gekommen ist, als die magischen Menschen auftauchten. Deren Herkunft ist vollkommen unklar und ebenso wenig ist klar, wie die Siedler an Magie gekommen sind.

Jedenfalls haben die Golems sich einfach zurückgezogen und die Wolfsdämonen waren sowieso schon immer unabhängig von den anderen Dämonen. Die Höhlengebundenen aber kämpften weiter, unterstützt von niederen Dämonen wie Berserkern und Windteufeln. Sie haben Kinder abgeschlachtet, Brunnen vergiftet, Tiere auf ihre Herren gehetzt… Im Gegenzug haben die Menschen die Bruthöhlen der Dämonen nach und nach vernichtet. Die Parteien haben einander damals nichts geschenkt.“

Unbehaglich strich Levy sich eine Strähne hinters Ohr, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war.

„Etwas verstehe ich nicht“, meldete Lyon sich zu Wort. „Wie können die Dämonen jetzt noch existieren? Von unsterblichen Dämonen ist nie die Rede gewesen, soweit ich mich erinnern kann.“

„Ihre Bruthöhle“, murmelte Lucy und Levy nickte zustimmend. „Höhlengebundene reproduzieren sich anders als die meisten anderen Wesen. Oder haben es zumindest getan. Es ist eines der großen Mysterien der Dämonologie, wie genau es funktionierte, aber diese Bruthöhlen waren organisch und wahrscheinlich auch bis zu einem gewissen Grad intelligent. Sie haben neue Dämonen geboren und verletzte Dämonen geheilt. Womöglich hat die Bruthöhle von Tartaros ihre Dämonen am Leben erhalten.“

„Aber warum tauchen sie ausgerechnet jetzt wieder auf?“, brummte Sting.

„Und was haben sie mit Avatar zu tun?“, setzte Rogue nach.

Ratlos hoben Lucy und Levy die Schultern an.

„Im Moment ist mir das egal“, entschied Minerva herrisch. „Nach dem, was Ihr erzählt habt, klingt es für mich ganz danach, als hätte Tartaros vor, alle Bewohner der Stillen Wüste zu töten. Und sie haben Jadestadt als Geisel verwendet, damit wir still halten.“

„Und dann haben sie gezielt den Palast angegriffen, um Sabertooth die Führung zu nehmen“, murmelte Rogue und Sting stieß ein tiefes Knurren aus.

„Was dank unserer Freunde gescheitert ist“, sagte Minerva und nickte dankbar in Richtung der drei Bewusstlosen, ehe sie sich wieder an Levy wandte. „Denkt Ihr, dass der Dämon, der dieses Feuer gelegt hat, auch zu Tartaros gehört?“

„Ich bin mir ziemlich sicher.“ Wieder schlug Levy das Buch auf und zeigte die Abbildung eines Dämons mit einem menschlichen Oberkörper, aus dessen Haaren lange, spitze Schakalohren ragten. Seine Beine waren die eines Schakals, er besaß einen dementsprechenden Schwanz, sein Körperbau war schlank und sehnig, seine Miene grausam und blutrünstig. Unter der Abbildung war ein kurzer Text, auf welchen Levy tippte, während sie weiter sprach: „Laut Eclair war dies einer der kriegerischsten Dämonen von Tartaros. Und anscheinend der einzige Feuerdämon. Eclair hat mehrmals gesehen, wie er verschiedene Menschensiedlungen verbrannt hat, allerdings schien dem danach auch immer eine Schwächeperiode zu folgen. Eine so starke und konzentrierte Magieanwendung fordert auch von Dämonen ihren Tribut.“

„Das gibt uns also etwas Zeit“, murmelte Minerva und blickte nachdenklich zu Boden. Schließlich nickte sie entschlossen und erhob sich, eine Hand auf ihrem Säbel. „Orga, teile deine Truppen auf. Wir brauchen eine schlagkräftige, wüstenerfahrene Angriffsgruppe, aber auch eine vernünftige Verteidigung für Sabertooth. Rufus, Dobengal, ihr versucht, diesen Feuerdämon zu finden und kümmert euch um die Stadt, während ich mit Orga und dem Heer mitgehe. Sting, Rogue, ihr sucht Zirkonis und macht euch dann mit ihm auf die Suche nach dieser Bruthöhle von Tartaros.“

Während die anderen Drei bereitwillig nickten, tauschten Sting und Rogue nur einen Blick. Ersterer verschränkte schließlich stur die Arme vor der Brust und blickte seiner Fürstin rebellisch in die Augen. Die seufzte ungeduldig. „Ich weiß, was ihr eigentlich tun wollt, aber… Was würde Yukino von euch erwarten?“

Sting verzog unwillig das Gesicht, Rogue jedoch legte ihm wieder eine Hand auf die Schulter und blickte Minerva unverfroren ins Gesicht. „Und was würde sie an unserer Stelle tun?“

Die Entgegnung gefiel Minerva offensichtlich nicht und in der Luft lag eine Spannung, die selbst Meredy frösteln ließ. Ihr Blick huschte zu Gray und Lyon, die in Malba vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden hatten.

„Wendy kann sie finden“, brummte Gajeel und verdrehte die Augen. „Offensichtlich…“

Die Drachenreiterin blickte verblüfft zu dem Bosco auf, Romeo hingegen wiegte mit nachdenklicher Miene den Kopf hin und her.

„Aber ihr kennt euch mit der Wüste nicht aus“, wandte Rogue ein.

„Ich gehen mit ihnen mit“, erklärte Gajeel. „Ich kenne die Hochebenen von Bosco, da sind die Bedingungen ähnlich.“

Noch immer sahen Sting und Rogue nicht überzeugt aus, aber Minerva nickte dankbar und wandte sich an Lucy. „Ich danke Euch für Eure bisherige Hilfe, aber mehr kann ich unmöglich von Euch annehmen.“

„Dennoch werdet Ihr mehr erhalten“, erwiderte Lucy und straffte dabei wieder die Schultern. „Ich kann euch keine Kampftruppen zur Verfügung stellen, aber ich biete Euch erneut mein Schwert an und hoffe, dass Ihr es nutzt.“

„Ihr trag die Verantwortung für Euer Volk, ich kann Euch nicht dieser Gefahr aussetzen.“

„Unsere Völker sollen endlich Freundschaft schließen. Das geht nicht, wenn Tartaros hier obsiegt“, hielt Lucy dagegen.

„Dann lass’ Lucy mit uns gehen“, schlug Sting vor, der Gajeel einen weiteren prüfenden Blick zuwarf, ehe er diesem zunickte und sich gänzlich den beiden Fürstinnen zuwandte. „Der alte Drache ist sowieso viel umgänglicher bei Frauen.“

„Das wird Loke nicht gefallen“, warnte Gray, der selbst alles andere als begeistert aussah.

„Er wird die Entscheidung seiner Fürstin akzeptieren müssen“, war die stachelige Antwort von Lucy.

„Dann komme ich mit euch mit.“

„Ich denke, es ist sinnvoller, wenn wir mit der Hauptstreitmacht mit gehen“, widersprach Lyon seinem Bruder. „Ein paar Magier können sicher nicht schaden. Und zu dritt können sie auf einem Drachen reiten, bei mehr Leuten wird es schwieriger.“

„Mitglieder der Magierschwadron wären uns tatsächlich hochwillkommen“, erklärte Minerva mit einem beifälligen Nicken. „Ich hoffe darauf, dass Natsu und Juvia sich uns ebenfalls anschließen werden.“

„Was das Feuerhirn macht, ist mir egal, aber Juvia wird nicht in euren Krieg ziehen“, entschied Gajeel schroff. „Sie wird hier bleiben, hier kann sie auch helfen.“

„Das ergibt sogar Sinn“, mischte Rufus sich ein. „Sie wird bei der Verteidigung gegen den Feuerdämon sicher von ungeheurem Wert sein.“

„Und was wollt ihr tun?“, wandte Sting sich fragend an Meredy und Levy.

Für Meredy stand schon eine ganze Weile fest, was sie tun wollte. Wenn sie ihrem eigentlichen Ziel weiterhin näher kommen wollte, gab es nur einen Weg für sie. Sie blickte bewusst nicht in Dobengals Richtung, als sie antwortete: „Ich werde mit der Hauptstreitmacht mitziehen.“

„Und ich werde hier bleiben und mit Eurer Erlaubnis versuchen, in den Privatbibliotheken nach mehr Hinweisen zu suchen“, erklärte Levy.

„Sie könnte mit Meister Orgs Bibliothek anfangen“, schlug Rufus vor und wieder nickte Minerva.

„Und was ist mit uns? Wir wollen auch helfen“, protestierte Lector empört.

„Frosch denkt das auch!“

Stings und Rogues Gesichter ließen keinerlei Zweifel daran, was die Beiden von dieser Idee hielten, aber es war Lucy, die den Exceed antwortete: „Für euch Beide habe ich eine besondere Mission. Ihr müsst so schnell wie möglich nach Heartfilia fliegen und dort Meister Capricorn erzählen, mit was für Gegnern wir es hier zu tun haben. Er wird mit dem nächsten Schiff Hilfe mitschicken. Richtig eingesetzt, sind Lacrima sehr effektiv im Kampf gegen Dämonen.“

Die beiden Exceed überlegten angestrengt, aber schließlich nickten sie zustimmend. Minerva schenkte der anderen Fürstin ein dankbares Lächeln, dann klatschte sie in die Hände. „Nun, da alles geklärt ist, sollten wir uns an die Vorbereitungen machen. Es gibt einen Krieg gegen Dämonen zu schlagen.“
 

Von Anfang an hatte Mavis es den Bewohnern des Turms der Ewigkeit immer frei gestellt, wie sie ihre Privaträume gestalteten. Wer den Rest seines Lebens in diesen Gemäuern verbringen würde, sollte sich auch in ihnen wohl fühlen.

In den vielen Dekaden hatte Mavis allerlei Kultureinschläge erlebt. Aus allen Ecken Fiores hatte sie bereits Wächter rekrutiert, die Möbel, Kleidung, Kunstgegenstände und dergleichen mehr aus ihrer Heimat in den Turm geholt hatten.

Als vor hundert Zyklen ein Wüstennomade zum Wächter des Feuers ernannt worden war, hatte er sogar nach einigen Sommern im Turm mehrere Säcke Wüstensand nach Crocus bringen lassen und diese in seinem Raum auf dem Boden verteilt. Das hatte das Heimweh des jungen Mannes jedoch auch kaum mildern können. Zu spät hatten Mavis und die anderen Wächter bemerkt, dass er schließlich angefangen hatte, sich mit Basiliskengift zu verätzen, um mit seinem inneren Druck fertig zu werden. Eine Geschichte, an die Mavis nicht gerne dachte, die sich ihr jedoch jedes Mal aufdrängte, wenn sie dieses Zimmer betrat.

Totomarus Einrichtungsstil sollte sie nach all dem nicht überraschen, aber sie war doch verblüfft gewesen, als sie mitbekommen hatte, wie er sich von dem Geld, das sie ihm dafür zur Verfügung gestellt hatte, nach und nach Kulturgüter aus Bosco besorgt hatte. Jedes Mal, wenn sie nun sein Zimmer betrat – so selten das auch der Fall war – hatte sie das Gefühl, sich im Trödelwagen eines boscanischen Händlers zu befinden.

Felle von Boscanischen Steinböcken, Gazellen und Wölfen bedeckten größtenteils den Boden und hingen an den Wänden. Übereinander gestapelte, geflochtene Matten stellten, gepolstert mit weiteren Fellen, die Bettstatt dar. Auf einem Regal reihten sich Selus- und Lamlameta-Spielbretter aus Horn und Holz aneinander und auf einem niedrigen Tisch aus Wacholderholz stand sogar ein Oware-Spielbrett aus Bronze, daneben eine bauchige Flasche mit goldgelben Tej, zwei umgedrehte Trinkschalen aus weißem Horn und ein mitgenommenes Buch, das dem Titel nach die Oware-Spielregeln und -Taktiken enthielt.

Auf weiteren Regalen standen geschnitzte Figuren von Bergnyala, Wölfen, Klippspringern und anderen Tieren der boscanischen Hochebenen, dazwischen geknetete Kerzen und die Hörner verschiedener Gazellenarten. Federn und Schnäbel von Vögeln – Mavis erkannte lediglich den charakteristischen Schnabel eines Erzraben – hingen an Bändern von der Decke. Ritualdolche zierten freie Stellen an der Wand und über dem Bett hing eine lange, schlanke Bosco-Klinge – der sonst so beherrschte Lahar hatte damals beinahe einen Aufstand geprobt, als Totomaru mit der kostbaren und äußerst gefährlichen Waffe den Turm hatte betreten wollen.

Ein großes Regal war gefüllt mit Büchern über Boscos Kultur und Geschichte, sowie mit mehreren Wörterbüchern und Grammatiken. Eine gesamte Reihe des Regals war Büchern in Bosco vorbehalten, deren Schrift selbst für Mavis, die so viel Zeit gehabt hatte, um die Sprachen Ishgars zu lernen, ungewohnt war. Umso beeindruckter war sie, dass Totomaru sich die Schrift mit Hilfe seiner dürftigen mündlichen Bosco-Kenntnisse selbst angeeignet hatte.

Das Prunkstück des Raums stellte eine kunstvolle Beganna mit goldenen Einlegearbeiten dar, die auf einem Hocker aus Wacholderholz an der Wand ruhte, das Holz glänzend dank der guten Pflege, die Totomaru dem Instrument nach jeder Übungsstunde angedeihen ließ.

Mavis hatte bereits dreimal Boscos zu Wächtern auserkoren, aber der letzte war vor fünf Generationen hier gewesen – zu einer Zeit, als Bosco sich in der Blüte befunden hatte – und kein einziger von ihnen war jemals so traditionsbewusst wie Totomaru gewesen. Dabei hatte der junge Mann gerade genug von sich selbst preisgegeben, dass Mavis sich ein Bild von seiner elendigen Kindheit in einem der Bergwerke hatte machen können. Wie er das Bergwerk hatte verlassen können und wie er es sogar bis nach Crocus geschafft hatte, war Mavis bis heute ein Rätsel. Auch wenn er bereits mit so jungen Jahren sein Talent als Feuermagier entdeckt hatte und mit einer ebenso starken Wassermagierin zusammen gewesen war, war das doch eine ungeheuer lange und beschwerliche Reise.

Unter diesen Gesichtspunkten konnte Totomaru eigentlich keine guten Erinnerungen an seine Heimat haben und dennoch wirkte dieser Raum hier beinahe wie ein boscanisches Heiligtum. Alles hier kündete davon, wie sehr Totomaru die Kultur seines Geburtslandes in Ehren hielt. Sogar sein eigenes Äußeres kündete davon, trug er doch das Kastenzeichen eines Händlers auf dem Gesicht. War seine Familie eine Händlerfamilie gewesen?

Manchmal würde Mavis ihn gerne deswegen ausfragen. Die Neugierde brannte ihr geradezu unter den Nägeln und sie gab es gerne zu: Sie wollte gerne mehr aus erster Hand über das Nachbarland erfahren, das ihren Vasallen im Südwesten so viele Schwierigkeiten bereitete und so vielen ihrer Soldaten das Leben gekostet hatte. Sie wünschte sich ein Bild abseits der allseits bekannten Schandflecke der Sklaverei und Kinderarbeit. Vielleicht könnte ihr das helfen, zu verstehen, wie aus einer glanzvollen Hochkultur etwas so Verdorbenes hatte werden können. Vielleicht konnte ihr das sogar helfen, eine solche Entwicklung in Fiore zu verhindern…

Aber heute hatte sie andere Sorgen. Und nicht wenige davon drehten sich unmittelbar um den Bewohner dieses außergewöhnlichen Zimmers, der auf der Bettstatt saß, den Rücken an die Wand gelehnt und eine grob gestrickte Decke mit boscanischen Mustern bis zur Brust hoch gezogen.

Sein Gesicht war bleich und seine Augen lagen tief in den Höhlen, als hätte er mehrere Nächte lang nicht geschlafen. Seine Hände zitterten vor Erschöpfung und krallten sich wie Klauen in die Decke, während der junge Mann müde zu seinen Gästen aufblickte.

„Bist du sicher, dass du bereits so weit bist?“, fragte Ur ruhig, die mit Chelia an dem niedrigen Tisch mit dem Oware-Spielbrett saß. Sie hatte einen Arm um die Schultern der Jüngeren geschlungen, die sich nach Totomarus Zusammenbruch heute Morgen nur langsam hatte beruhigen können.

„Ich muss doch nur’n paar Fragen beantwort’n“, erwiderte der Bosco matt, seine Aussprache sehr viel unsauberer als sonst, und blinzelte mehrmals, ehe er die Schultern straffte.

„Übertreib’s nicht“, brummte Yuri. Der Blitzmagier hatte es sich auf dem Fußende von Totomarus Bett bequem gemacht und klopfte jetzt gegen Totomarus Beine. „Du hättest uns nicht extra noch heute Abend rufen müssen.“

„Wenn ihr glaub’n würdet, dass es nich wichtig wär’, wärt ihr nich hier.“

„Eine Eiche, die dem Sturm getrotzt hat, kann danach auch unter einem leichten Regen einknicken, wenn sie keine Zeit zur Erholung findet“, warf Warrod bedächtig nickend ein. Seine Worte klangen beinahe beiläufig und er blickte nicht einmal von der Teetasse auf, die er mitgebracht hatte, als Beth sie alle in Totomarus Zimmer gerufen hatte, aber von der Seite erkannte Mavis sein sorgenvolles Stirnrunzeln.

So gerne der Erdmagier sich auch als witziger Kauz gab, unter all seinen Marotten lagen doch noch immer tiefe Anteilnahme am Schicksal der anderen Wächter. Die Tatsache, dass er ein Sprichwort aus seiner alten Heimat zitierte, war Beleg genug dafür. Auch nach all der Zeit noch machte dieses Erbe einen fundamentalen Bestandteil seines Wesens aus.

Zu Mavis Rechter verlagerte Zeref beinahe unmerklich sein Gewicht. „Wir sollten das hier nicht noch weiter in die Länge ziehen.“

„Danke, Meister“, murmelte Totomaru und strich sich mit einer zitternden Hand durch das zweifarbige Haar.

Um nicht die ganze Zeit über dem erschöpften Feuermagier aufzuragen, trat Mavis an den Tisch und ließ sich zu Chelias anderer Seite nieder. Für einen Moment glitt ihr Blick über das Oware-Spielbrett. So schlicht es auch aussah, die Regeln dieses Spiels waren ausgesprochen komplex. Sie fragte sich kurz, ob Totomaru mal eine Partie mit ihr spielen würde, wenn sich die Lage wieder entspannt hatte, aber dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den jungen Mann.

„Bevor du das Bewusstsein verloren hast, hast du etwas von drei Magien gesagt. Was meintest du damit?“

„Dass ich drei verschiedene Magien gespürt habe“, antwortete Totomaru mit einem halbherzigen Schulterzucken. „Ich habe das Miasma gereinigt. Es war nichts Besonderes dabei, so überragend viele Feuermagier gibt es ja nicht auf Ishgar.“

Das konnte er laut sagen. Bevor Zeref und Mavis den Bosco gefunden hatten, hatten sie fast drei Zyklen lang nach einem Feuermagier gesucht. Zeitweilig hatten sie sogar erwogen, ob es notwendig war, einen Feuergeist in Heartfilia zu suchen, auch wenn sie genau gewusst hatten, dass die Magie eines Geists aus irgendeinem Grund zu fragil für die Reinigung war, weshalb die Schäden an Körper und Geist bei Geistern viel früher auftraten. Es war ein Glücksfall gewesen, dass Yuri bei einem seiner seltenen Tavernenbesuche in der Stadt einen jungen Burschen beobachtet hatte, der abwesend mit einer Kerzenflamme gespielt hatte, während er über einem alten Buch gebrütet hatte.

„Was ist dann passiert?“, fragte Zeref ruhig.

„Ich war schon dabei, die Meditation zu beenden, als beinahe gleichzeitig drei verschiedene Feuermagien gewirkt wurden. So starke, wie ich sie nicht mehr gespürt habe, seit ich beim ersten Mal die Reinigung für drei Zyklen nachholen musste.“ Totomaru schnitt eine schmerzerfüllte Grimasse. „Ich glaube, einer der Magier war dann wohl Natsu.“

Von Yuri war ein Schnauben zu hören. „Keiner von uns war jemals in der Lage, so detailliert zu unterscheiden, was er bei der Reinigung im Miasma spürt.“

„Nicht meine Schuld“, erwiderte Totomaru trotzig.

„Nehmen wir mal an, dass du Recht hast und einer der Magier wirklich Natsu gewesen ist“, unterbrach Mavis eine aufkommende Diskussion zwischen Yuri und Totomaru. „Inwieweit unterscheiden sich die anderen Magien von seiner?“

„Sie tun’s einfach“, war die ratlose Antwort, begleitet von einem weiteren Schulterzucken. „Sie waren nicht menschlich, da bin ich mir sicher. Und sie gehörten zu unterschiedlichen Spezies und nicht zu Igneel. Ich habe sie noch nicht oft im Miasma gespürt, aber seine ist stärker als diese drei Magien.“

Eigentlich wollte Mavis ihrem alten Freund Recht geben, dass es nicht möglich war, die unterschiedlichen Magien im Miasma zu erspüren, aber sie musste sich eingestehen, dass sie es bisher einfach nicht versucht hatte. Was auch immer seine Gründe dafür waren, Totomaru hatte sich von Anfang an mit einer Konzentration um seine Aufgabe als Wächter des Feuers gekümmert, wie Mavis sie zuvor selten einmal bei einem Wächter festgestellt hatte. Er war auch vorher schon ausgesprochen vertraut mit seiner Magie gewesen. Wahrscheinlich resultierte das daraus, dass er seinen Magiebrand bereits in einem so jungen Alter gehabt hatte.

„Damit bleiben nur noch Geister und Dämonen“, schlussfolgerte Ur und verengte nachdenklich die Augen zu Schlitzen. „Aber gibt es überhaupt noch Feuerdämonen?“

„Muss ja“, murmelte Totomaru und rieb sich über die Augen.

„Haben die drei Magier gegeneinander gekämpft?“, fragte Yuri mit einem Stirnrunzeln.

„So genau weiß ich es dann auch nicht.“

Während Yuri ob dieser Antwort die Augen verdrehte, raschelte Warrod beunruhigt mit seinem Blätterhaar. „Es sind zu viele Zufälle auf einem Haufen…“

„Wie meint Ihr das, Meister?“, meldete sich Chelia zu Wort. Ihre Stimme klang dünn und zittrig.

Mavis antwortete an Stelle ihres alten Freundes und hob zur Unterstreichung jedes ihrer Punkte einen weiteren Finger: „Erstens sind die Drachen und die Drachenreiter aus irgendeinem Grund in Malba auf den Plan getreten und das auch noch gemeinsam, dabei sind sie eigentlich in ganz Fiore verstreut gewesen. Zweitens gibt es ein Problem mit allen Drachenartigen. Drittens gibt es eine ungewöhnlich hohe Aktivität im Miasma, insbesondere im Windmiasma. Viertens haben wir vor kurzem alle die Urmagie gespürt. Und nun treten auch noch Dämonen auf den Plan, von denen wir geglaubt haben, dass sie ausgestorben sind…“

„Ihr glaubt, dahinter steckt irgendetwas oder irgendjemand?“, fragte Chelia und rutschte unruhig auf dem Bastkissen herum, das ihr als Sitzunterlage diente. „Aber wer wäre dazu in der Lage?“

„Und warum?“, schob Totomaru hinzu und kämpfte vergeblich gegen ein Gähnen an.

„Darum solltest du dir heute keine Gedanken mehr machen“, sagte Yuri und klopfte wieder auf Totomarus Schienbeine. „Darüber zu grübeln, bringt uns sowieso nichts. Jellal und Urtear finden schon heraus, wo die Drachen und ihre Reiter sind. Ein paar ziemlich schlaue Leute durchforsten die Dracologie-Abteilung in der größten Bibliothek von Ishgar und wir passen derweil aufeinander auf, wenn wir das Miasma reinigen.“

Totomaru schnaufte unverfroren. „Ich werde nach dreihundert Sommern hoffentlich nich so… so naiv klingen…“, murmelte er, gähnte jedoch schon wieder.

„Nach dreihundert Sommern wirst du merken, dass es nichts bringt, immer auf den Sprung zu sein“, war Yuris lakonische Entgegnung, aber Mavis bemerkte den altbekannten Schatten sehr wohl, der für einen Moment über Yuris Gesicht huschte.

Um sich selbst und alle Anderen davon abzulenken, stemmte sie sich rasch in die Höhe. „Wir sollten Totomaru jetzt wirklich schlafen lassen. Wie Yuri gesagt hat, haben wir vertrauenswürdige Leute dort draußen, die versuchen, ein paar unserer Fragen zu beantworten. Solange wir nicht mehr wissen, können wir also nicht mehr tun, als aufeinander aufzupassen. Ab sofort müsst ihr immer jemanden dabei haben, wenn ihr meditiert, und ihr solltet zwischen den Meditationen viel ruhen. Totomaru, du wirst frühestens in einem halben Mond wieder das Miasma reinigen. Auf keinem Fall vorher.“

Wenn er munterer wäre, hätte der junge Mann wohl protestiert, das konnte Mavis seinen Augen ansehen, so jedoch gab er nur ein unwilliges Brummen von sich, ehe er sich an der Wand nach unten auf seine Matten sinken ließ und die Decke bis zum Kinn zog.

Einer nach dem nächsten verließen sie den Raum. Im Flur warteten Lisley und Beth auf Nachrichten. Unwillkürlich musste Mavis lächeln. Sie hatte es niemals vorgehabt, aber als sie damals den Turm der Ewigkeit hatte errichten lassen und die Gemeinschaft der Wächter gegründet hatte, hatte sie anscheinend auch eine Familie entstehen lassen, in der alle füreinander sorgten. Insbesondere in unsicheren Zeiten wie jetzt war es ein gutes Gefühl, diese Familie zur Seite zu haben.

„Totomaru braucht noch ein paar Tage Erholung, dann wird er wieder ganz der Alte sein“, versprach sie den beiden Turmdienerinnen.

„Ja, ganz der vorlaute Bengel“, schnaubte Yuri amüsiert und klopfte Chelia beruhigend auf die schmale Schulter, ehe er sich auf dem Weg nach oben zu seinem Quartier machte.

„Eine alte Birke biegt sich genauso wie eine junge“, sinnierte Warrod und Beth kicherte leise.

Während sie mit Zeref ebenfalls die Treppen erklomm, musste Mavis es ihr unwillkürlich gleich tun und aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie sich einer von Zerefs Mundwinkeln minimal hob.



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