Zum Inhalt der Seite

Schwarzer Komet

Drachengesang und Sternentanz - Teil 1
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Leute, ich bin ehrlich froh, dass ich die Juvia-Szene aus dem letzten Kapitel so umgeschoben habe. Wenn die auch noch mit an diesem Kapitel hier dran gehangen hätte, wäre das Kapitel ein noch schlimmeres Monster geworden^^'
Auch so ist das Kapitel ganz schön lang geworden, weil ich an allen möglichen Stellen noch etwas hinzufügen musste beim Überarbeiten >_>

Aber das World Building hat wieder großen Spaß! Ich mag Sabertooth. Es ist mein liebstes Setting in diesem 'verse - und das liegt nicht nur daran, dass Sting und Rogue dort unterwegs sind X////D

Übrigens ist mir klar, dass Libras Erklärung seltsam klingt. Das ist Absicht. Mehr verrate ich nicht :P

Viel Spaß beim Lesen und vielen Dank im voraus für jeden Kommentar!
LG
Yosephia Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Straße, auf der sie zum Sandpalast fanden

Langsam und leise glitt die Pyxis durch das Wasser. Die Trommeln waren verstummt und die Ruderer waren alle an Deck geholt worden, um sich um die Takelage zu kümmern und die ersten Segel zu reffen, während der Kapitän das Schiff bedächtig auf einen der großen Stege zu lenkte, zu welchem das Leitboot sie führte. Mit Lichtlacrima gab der Lotse auf selbigem Kommandos, die mit einer komplizierten Flackerabfolge verschlüsselt waren, die Lucy nur bruchstückhaft verstand. Ihre Studien in Heartfilia und Crocus und ihr Training unter Meister Capricorn hatten ihr wenig Zeit gelassen, um auch mal mit einem der Handelsschiffe ihres Vaters mitzufahren und mehr über die Schifffahrt zu lernen.

Da keiner von ihnen überhaupt Erfahrung mit der Handhabung eines Schiffs hatte, hielten Lucy und ihre Freunde sich lieber vom Gewimmel der Matrosen fern und beobachteten stattdessen schweigend, wie sich die Pyxis gemächlich dem zugewiesenen Liegeplatz näherte.

Lucys Blick glitt zum ersten Mal über Sabertooth. Obwohl sie gewusst hatte, wie viele Einwohner das Fürstentum hatte, und obwohl sie viele Zyklen in Crocus verbracht hatte, war sie doch beeindruckt vom Anblick der unzähligen Gebäude, die sich so eng aneinander schmiegten, dass es ohne weiteres möglich wäre, die Stadt über die flachen Dächer hinweg zu durchqueren. Das hieß, wenn man die mitunter beachtlichen Höhenunterschiede der benachbarten Flachdächer überwinden konnte. Während einige Gebäude ebenerdig zu sein schienen, ragten andere drei oder sogar vier Geschosse in die Höhe, ohne dass sie sich in ihrer schlichten Quaderform wesentlich voneinander unterschieden. Beinahe könnte man glauben, dass die Stadt versuchte, in die Höhe zu wachsen, da sie anderweitig keinen Platz mehr in den überlebenswichtigen Mauern fand. Lucy erinnerte sich, dass Sabertooth seit der Befreiung ein beachtliches Bevölkerungswachstum aufwies.

Im fahlen Licht der Morgendämmerung waren noch nicht viele Menschen auf den Straßen zu sehen. Lucy erkannte vereinzelte Hand- und Eselkarren und eine kleine Schlange an einem Brunnen, der neben einem der Hafenlager lag.

Der Hafen selbst war um ein Vielfaches größer als der von Heartfilia, wahrscheinlich sogar um einiges größer als der von Crocus, wenn auch ungleich chaotischer. Er schien sich zu beiden Seiten des Schlangenflusses durch die gesamte Stadt zu ziehen. Der Teil, auf den die Pyxis zuhielt, war offensichtlich für große Frachtschiffe vorbehalten. Die Stege waren hier breit genug für Fuhrwerke und es gab sogar einige fest installierte Kräne. Am gegenüberliegenden Ufer konnte Lucy die Skelette mehrerer Segelschiffe unterschiedlicher Arten auf Stützen ausmachen. Eine fast vollendete Dau war bereits zu Wasser gelassen worden und wartete anscheinend darauf, mit Takelage und Segel versehen zu werden.

Während die Pyxis vertäut und der Laufsteg herunter gelassen und gesichert wurde, trat Lucy zu einer der großen Kisten, wo der Kapitän bereits eine Laterne und Schreibmaterial bereit gelegt hatte. Während er bemüht ruhig daneben stand, setzte sie das Schreiben auf, mit dem er die versprochene Belohnung in Heartfilia erhalten würde, unterschrieb es und versah es mit ihrem Siegel, das sie in einer ihrer Gürteltaschen aufbewahrte.

Sie hatte kein schlechtes Gefühl dabei, diesem Mann einen solchen Reichtum zu überantworten. Er hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt und er war kein schlechter Mensch, nur weil ihm seine Besitztümer wichtig waren. Allerdings fügte sie eine Extraklausel hinzu, dass die Mannschaft einen fairen Anteil am Gewinn erhalten sollte. Der Kapitän nickte dabei nur bekräftigend, weshalb Lucy sich in ihrer Zuversicht bestätigt sah.

Freundlich aber knapp verabschiedete sie sich von ihm und ging zurück zu ihren Freunden, die am Laufsteg auf sie warteten, jeder mit einem Reisebündel unterm Arm oder auf dem Rücken. Nun da sie endlich am Ziel ihrer Reise angelangt waren, spiegelten sich auf ihren Gesichtern wenig positive Gefühle wieder. Die meisten waren angespannt und unruhig, mithin sogar ängstlich. Aber jeder auf seiner Weise trug einen grimmigen Ausdruck in den Augen, der Lucys eigene Entschlossenheit anfeuerte. Keiner von ihnen war hier, um tatenlos zu bleiben. Selbst unter Levys nervösem Blinzeln erkannte Lucy eine Beharrlichkeit, die weit über reinem Wissenseifer hinaus ging, was Lucy daran erinnerte, dass sie endlich mit ihrer Freundin darüber reden musste, welcher Spur sie eigentlich zu folgen versuchte.

Gemeinsam stiegen sie den Laufsteg hinunter. Am Fuß desselbigen wurden sie von einem jungen Mann erwartet, der höchstens zwei oder drei Zyklen älter als Romeo und Wendy sein konnte. Mit seiner schlanken Statur und den sandbraunen Haaren war er eher unauffällig und er lümmelte ungerührt auf einem Fass. Der Blick, mit dem er die Reisegruppe bedachte, war abschätzig. Was er wirklich dachte, war ihm nicht anzusehen. Er ruckte mit dem Kinn, als er schließlich Sting und Rogue ansah.

„Schneller als erhofft. Wie riecht es jetzt auf dem Deck?“

Seine Stimme war ruhig, klang beinahe monoton, als hätte er gerade nicht einen Kommentar abgefeuert, der Sting unweigerlich ärgern musste. Lucy fiel auf, dass seine Aussprache sehr knapp und derb war. Nicht der leichte Akzent von Sting und Yukino, der anscheinend bei den Wüstennomaden üblich zu sein schien und der immer ein bisschen an einen Singsang erinnerte, und auch nicht Rogues kultiviert-klare Sprechart, die dem Hochfiorianischen sehr viel näher kam als das mitunter kaum verständliche Kauderwelsch im Schmelztiegel von Crocus. Dieser Mann hier war kein Freund vieler Worte, selbst wenn er nicht direkt über Geschäftliches sprach.

Sting knurrte in die Richtung des Jüngeren, aber Natsu kicherte leise. „Leute, das ist Dobengal, Auge und Ohr der Wüstenlöwin“, erklärte er mit einem breiten Grinsen.

Der Vorgestellte verzog das Gesicht. „Wolltest du nicht auf Reisen gehen, Feuerdrache?“

Grinsend winkte Natsu ab und erklärte weiter: „Dob hat ein Problem mit Titeln.“

„Dabei sind die meisten der Körperschaften keine offiziellen Ämter“, legte Levy mit leuchtenden Augen los. „Nur der Rücken und der Kopf sind auch als offizielle Titelträger eingetragen, aber die Klauen und Auge und Ohr sind Neuschöpfungen der Wüstenlöwin.“

Dobengal zog die Augenbrauen hoch und wandte sich wieder an die Klauen. „Sabertooth befindet sich im Krieg und ihr bringt eine Magistra mit?“

„Sie ist eine Expertin für die Sekte Avatar und für alles mögliche andere. Sie wird sicher helfen können“, erwiderte Sting mit einem Schulterzucken. „Warum bist du hier?“

„Nachdem ihr Lector und Frosch wieder zurück geschickt habt, war klar, dass ihr bald da sein würdet. Ich habe also den Fluss im Auge behalten“, erklärte Dobengal gelassen, als wäre es für ihn völlig normal, eine ganze Nacht lang Wache zu halten. In Anbetracht seines Status’ war es das wahrscheinlich sogar wirklich. Mit dem Daumen deutete er hinter sich. „Dahinten stehen genug gesattelte Pferde bereit. Minerva und die Anderen sind sicher schon wach, wenn sie überhaupt geschlafen haben. Und unsere Informantin dürfte jetzt auch erholt genug sein.“

„Informantin?“, fragte Rogue und setzte sich gleichzeitig mit Sting in Bewegung, als Dobengal von seinem Fass sprang und zu dem offenen Stall hinüber ging.

Die Anderen folgten und suchten sich jeder ein Pferd heraus. Lucy schwang sich mühelos auf den Rücken einer zierlichen, aber temperamentvollen Rappstute. Sorgsam beobachtete sie, wie Gray Levy den schweren Reisetornister abnahm, den sie immer noch mit sich führte, und ihr aufs Pferd half, während Gajeel Juvia einfach hinter sich auf den Rücken eines kräftigen Wallachs zog.

„Eine Soldatin aus Hisuis Leibgarde“, erklärte Dobengal ruhig, der bereits auf seinem Pferd saß und darauf wartete, dass die übrigen Mitglieder der Gruppe endlich aufbruchbereit waren. „Sie konnte fliehen und hat es mit einem Sandschlitten bis hierher geschafft. Gestern ist sie vor den Toren zusammen gebrochen. Hat wohl schon länger nicht mehr gegessen und getrunken.“

„Eine Jaderitterin? Hat sie etwas über Yukino gesagt?!“

Dobengal warf Sting einen vielsagenden Blick zu, sagte jedoch nichts, sondern gab seinem Apfelschimmel die Sporen.

„Wie denn, wenn sie zusammen gebrochen ist?“, maßregelte Rogue seinen Partner und versetzte ihm einen Rippenstoß, ehe er sich zu ihm beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Für einen Moment hielt der Schattenmagier Stings Hand fest und Lucy wandte verlegen den Blick ab.

Vor ihrem Aufbruch von Heartfilia hatte Lucy im Grund nichts davon mitgekriegt, aber auf dem Schiff war ihr die innige Vertrautheit zwischen den Klauen bereits aufgefallen. Selbst im harten Griff ihrer Seekrankheit hatten die Beiden immer wieder kleine Gesten miteinander ausgetauscht, hatten einander berührt, hatten immer dicht nebeneinander geschlafen, sich an der Reling aneinander gelehnt…

Es war nicht so, als hätte Lucy so etwas vorher noch nie beobachtet. In Crocus war sie oft genug mit Lyon und Meredy zusammen gewesen, um zahlreiche Facetten ihrer Beziehung mit zu erleben. Ihre offenherzigen Flirts, die sanften Blicke, die oft beiläufig wirkenden Berührungen, die doch so vertraut und intim wirkten… Lucy hatte die ersten zaghaften Schritte bei Romeo und Wendy beobachtet, die scheuen Versuche, Händchen zu halten, die schüchternen Küsse, das beständige Erröten und Stottern und die ewigen Versuche, den jeweils anderen eben nicht die ganze Zeit anzustarren.

Intimitäten zu beobachten, war Lucy nicht fremd. In Heartfilia machte man keinen Hehl daraus, wenn man sich dafür entschieden hatte, sich aneinander zu binden. Dort wurde das höchste Glück, einen Partner fürs Leben gefunden zu haben, Tag für Tag geehrt.

Aber früher hatte Lucy all das mit anderen Augen gesehen. Sie konnte nicht sagen, was sich verändert hatte, aber Sting und Rogue jetzt so zu sehen, verursachte ein seltsames Gefühl in ihrer Brust. Um sich davon abzulenken, tätschelte sie den Hals ihrer Stute, ehe sie ihr die Fersen in den Bauch drückte.

Sie alle setzten ihre Reittiere nun in Bewegung. Gray trug nun Levys Tornister auf dem Rücken und Lyon griff in Levys Zügel, um der Blauhaarigen zu helfen, die sich krampfhaft am Sattelhorn festhielt und in einem laienhaften Versuch, besseren Halt zu finden, die Knie zu hoch zog, weshalb die Steigbügel nutzlos an ihren Zehenspitzen hingen. In den morgendlichen Straßen hatten sie ohnehin nicht die Möglichkeit, schnell voran zu kommen, also bestand hoffentlich kein Risiko, dass Levy vom Sattel rutschte.

Die Menschen strömten allmählich aus den Häusern, um ihrem Tagewerk nachzugehen. Zwar drängten sie sich an die Wände, als sie erkannten, um wen es sich bei den Anführern der Reitergruppe handelte, aber die Straßen waren hier im Allgemeinen sehr eng und selten richtig befestigt, weshalb meist nur zwei oder drei Pferde nebeneinander laufen konnten.

Das gab Lucy zumindest die Gelegenheit, Sabertooth ausgiebig zu betrachten. Es war eine schier unermessliche Ansammlung an Lehmhütten in verschiedenen Größen, dazwischen stachen die stabileren und höher aufragenden Sandsteingebäude hervor – Schulen, Waisenheime, Hospitäler, Wachen, Lager oder auch private Villen, abgegrenzt durch übermannshohe Mauern, hinter denen schlanke Kunsttürme mit zwiebelartigen Spitzen hervorragten.

In beinahe jeder Seitengasse erkannte Lucy bunte Markisen, unter welchen bereits Händler begannen, ihre Ware darzubieten. In Tonkrügen- und schalen priesen sie Oliven und Datteln an, Gewürze und Weine, Burni und Tuniken, Tagelmuste, Teppiche, Essgeschirr, grobes oder bereits gemahlenes Korn. Unweit des Flusses passierte die Gruppe einen Stand, der die ersten Fische des Tages feilbot. Mehrmals kamen sie an kleineren Marktplätzen vorbei, die sich mit Voranschreiten des Morgens immer dichter füllten.

Lucy hatte gewusst, dass Sabertooth deutlich größer als Heartfilia war – tatsächlich war es die drittgrößte Stadt von ganz Fiore –, aber es jetzt zu sehen, war doch etwas anderes. Auf eine ganz eigene Art und Weise waren die Stadt und ihre Bewohner überwältigend.

Die generelle Enge und die Schlichtheit der Behausungen wären an jedem anderen Ort als ungemütlich empfunden worden, aber hier sahen die Bewohner stolz und grimmig aus. Sie hielten die Schultern gestrafft und verrichteten ihr Tagewerk mit einer Würde, als seien sie Könige. Selbst wenn einige von ihnen ängstlich zu den Mauern schielten, Unterwerfung schien diesen Menschen fremd zu sein. Wenn sie Sting und Rogue sahen, waren ihre Blicke voller Bewunderung und Hoffnung. Anders als die schlichten Behausungen es vermuten ließen, waren die Leute in der Regel gut gekleidet und genährt. Bettler waren nirgends zu sehen.

Sanft trieb Lucy ihre Stute an, um zu Rogue aufzuschließen und ihn danach zu fragen. Der schien sogar dankbar für die Ablenkung zu sein und erzählte ihr von den Armenhäusern, welche die Menschen aufnahmen, welche, aus welchen Gründen auch immer, ihr Heim verloren hatten. Arbeitgeber auf der Suche nach Personal warben dort die Obdachlosen an. Sobald jemand Arbeit hatte, hatte er drei Monde Zeit, um ein Obdach zu finden. Danach musste er dem Heim eine angemessene Miete zahlen, wenn er bleiben wollte. Manchmal wurden auch Angestellte für den Verwaltungsapparat oder für die Heime oder auch Soldaten in den Reihen der Obdachlosen rekrutiert, wenn diese dafür geeignet erschienen. Invaliden wurden in eigenen Pflegeheimen untergebracht, wenn sie keine Familienmitglieder oder Freunde hatten, die sich um sie kümmern konnten oder wollten.

Wenn jemand sich trotz Eignung weigerte, zu arbeiten, oder sich schwerer Verbrechen schuldig machte, wurde er nach den Sitten der Wüstennomaden in der Wüste ausgesetzt mit genug Proviant und Wasser für drei Tage. Zu schweren Verbrechen zählten vorsätzliche Verletzungen, Vergewaltigung, Mord, Sklaverei, Menschenhandel und Kindesmisshandlung. Finanzdelikte wurden mit Zwangsarbeit bestraft. Gefängnisse gab es in Sabertooth nur wenige.

Dieses strikte System war nach der Befreiung von der Wüstenlöwin implementiert worden. Eine Hybridform aus der Rechtsprechung der Wüstennomaden und jener der Orlands vor der Regentschaft durch Jiemma. Im Volk wurde sie dafür verehrt, soweit Lucy es beurteilen konnte, und alle hatten Vertrauen darin, dass ihre Fürstin ihnen auch aus der neuen Krise heraus helfen würde.

„Seit einigen Jahren gibt es ganz schön viele Mädchen mit dem Namen Minerva“, gluckste Sting, als Rogue geendet hatte.

„Und Klein-Stings und Klein-Rogues“, fügte Dobengal mit jener Beiläufigkeit hinzu, die er gegenüber Sting immer an den Tag zu legen schien.

Der blonde Drachenreiter verzog prompt das Gesicht, während sein Partner die Augen verdrehte. Kichernd richtete Lucy ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Umgebung.

Sie erkannte wieder einen Marktplatz – größer dieses Mal –, der ihr jedoch seltsam vorkam. Die Hütten südlich davon waren gewohnt schlicht, die nördlichen hingegen waren an Fenstern und Türen mit bunten Teppichen behangen. Die Straßen wurden hier enger und dunkler, denn hier spannten sich überall von Haus zu Haus Leinen, über welchen Teppiche hingen. Vor den Hütten saßen deren Bewohner mit robusten Holzgestellen, auf denen Teppiche in unterschiedlichen Fortschrittsstadien aufgespannt waren. Kinder bürsteten mit groben Kämmen Wolle in unterschiedlichen Farben, um sie danach zu Fäden zu zwirbeln. An anderer Stelle pflückten Frauen Verunreinigungen aus ungefärbter Wolle und wuschen sie. Ein strenger Geruch, der Lucy von den Färberwerkstätten in Heartfilia vertraut war, drang zuweilen aus einer der Hütten.

„Ist das das berühmte Knüpferviertel?“, wandte sie sich wieder an Rogue.

Die Knüpfteppiche waren eines der beliebtesten Güter aus Sabertooth. Reiche, die etwas auf sich hielten, brauchten mindestens einen großen Läufer aus der Wüstenstadt oder besser noch: einen der besonders aufwendigen und deshalb umso kostbareren Gemäldeteppiche. Obgleich die Verfahrensweise des Teppichknüpfens denkbar simpel war, war die Qualität von Originalstücken aus Sabertooth kaum von Teppichen aus anderen Werkstätten in Fiore zu übertreffen. In ihrem eigenen Schlafgemach hatte Lucy einen Gemäldeteppich, der einen Basilisken zeigte. Ein Geschenk von Yukino.

Der Schwarzhaarige nickte. „In gewisser Weise stellen sie in Sabertooth eine eigene Gemeinde dar. Sie sind sehr stolz auf ihre Arbeit und die damit zusammen hängenden Traditionen. Während der Befreiung gehörten die Knüpfer zu den Ersten, die sich den Rebellen angeschlossen haben. Der Usurpator hat viele ihrer Traditionen boykottiert, das hat sie gegen ihn aufgebracht.“

„Außerdem haben sie Nerva als eine von ihnen betrachtet. Ihre Großmutter stammte von hier und ihre Mutter hat das Knüpfhandwerk auch gelernt und war eine der Besten für Gemäldeteppiche. Hier im Viertel ist sie immer noch eine Legende“, fügte Sting mit einer gewissen Sanftheit hinzu, von der Lucy bisher geglaubt hatte, sie würde nur Rogue vorbehalten bleiben. Oder vielleicht war es auch eine andere Nuance von Sanftheit.

Während ihrer Gespräche hatte Yukino die Beziehung zwischen ihr, Sting und Minerva immer mit einer Redewendung der Wüstennomaden umschrieben: Vom selben Sand sein. Das ging über normale Familienbande hinaus, hatte Yukino ihr erklärt. Es ging tiefer, es bedeutete Vertrauen und Verbundenheit, es stand für ein Verständnis, das keiner Worte bedurfte. Manchmal entwickelte es sich, manchmal war es einfach sofort da. Sting und Minerva teilten dieses Band seit beinahe zwei Dekaden. So lange kannte Lucy keinen einzigen ihrer Freunde. Nicht einmal Loke.

Wenn die Knüpfer Sting und Rogue erkannten, stießen sie wortlos eine Faust in die Luft und nickten ruppig, ehe sie einfach mit ihrer Arbeit weiter machten. Anstelle von Bewunderung brachten sie hier Kameraderie und Respekt zum Ausdruck. Etwas, mit dem die Klauen sich bedeutend wohler zu fühlen schienen, auch wenn sie das nicht zum Anlass nahmen, um den Schritt ihrer Pferde zu verlangsamen.

Am Ende des Knüpferviertels kamen sie auf einen großen Platz und erst hier war der Sandpalast zu erkennen, eine imposante Festung aus Sandstein mit vielen kleinen Türmen mit diesen kunstvollen Zwiebeldächern, die jedoch nicht derart in die Höhe strebten, wie Lucy es von anderen Festungen kannte. An der höchsten Stelle mochte der Palast vier Geschosse haben, was auch erklärte, warum er im verwinkelten Knüpferviertel nicht zu sehen gewesen war. Was ihm an Höhe fehlte, machte er durch Weitläufigkeit wieder wett, auch wenn Lucy selbige hinter den hohen Mauern nur erahnen konnte.

Auf dem Platz vor dem Sandpalast war eine Zeltstadt für die Flüchtlinge errichtet worden. Zwischen all den Zelten ragte ein leerer Sockel hervor. Lucy hatte mal gehört, dass Minerva mit der Tradition gebrochen hatte, der zufolge bisher jeder Orland während eine Statue von sich dort hatte errichten lassen. Das schien wohl zu stimmen.

Ehe Lucy Rogue darauf ansprechen konnte, bemerkte einer der Flüchtlinge die Ankömmlinge. Der Mann war hagerer als die Stadtbewohner, die Haut rauer und eine Nuance dunkler, was Lucy vermuten ließ, dass er zuvor in einer kleinen Siedlung von harter Arbeit unter der Sonne gelebt haben musste. Unter seinen Augen waren dunkelviolette Schatten zu erkennen. Die Unruhe der Stadt machte ihm offensichtlich schwer zu schaffen.

„Die Drachenreiter!“, rief der Mann aus und warf sich in den Staub. „Unsere Retter!“

Die Rufe wurden von den anderen Flüchtlingen aufgenommen und innerhalb kürzester Zeit scharten sich unzählige Männer und Frauen um die Reisegruppe, viele von ihnen in einem ähnlich erschöpften Zustand wie der erste Rufer. Ein Mann griff in Lucys Zügel, um sie von den Klauen abzudrängen, welchen er so verzweifelt näher kommen wollte. Loke trieb sein Pferd dazwischen und flankierte so Lucy und die Klauen. Obwohl die Beiden versuchten, ihre Fassung zu wahren, vermeinte Lucy, ihnen die Unsicherheit angesichts dieses Schauspiels anzusehen.

Dobengals Pferd scheute zu Stings anderer Seite und erst jetzt bemerkte Lucy, dass der junge Mann verschwunden war. Von allen Seiten versuchten die Heimatlosen, an Sting und Rogue heran zu kommen. Loke und die Anderen bildeten einen Ring um die Klauen und diejenigen, die sich nicht gegen den Andrang verteidigen konnten, um die Leute fernzuhalten, aber an ein Vorankommen war so nicht zu denken, wenn sie die Menschen nicht verletzen wollten. Lucys Stute legte die Ohren an und stampfte wütend mit den Hufen. Um rechtzeitig reagieren zu können, bevor ihr Reittier endgültig die Fassung verlor, zog Lucy mit der Rechten den Zügel stärker an, während sie mit der Linken den Hals des Tieres tätschelte. Ihre Hand zitterte, aber sie versuchte, es zu ignorieren, indem sie sich weiter nach Hilfe umsah.

Die Mienen der Flüchtlinge waren vor Verzweiflung verzerrt. Diese Menschen waren heimatlos, hatten ihre Existenzgrundlage zurücklassen müssen, hatten womöglich sogar Familienmitglieder und Freunde verloren. Es erinnerte Lucy schmerzhaft an Heartfilia, aber hier waren es so viel mehr. Allein hier auf dem Platz waren es Hunderte...

Ruhe!

Die herrische Stimme war nicht einmal direkt laut, aber sie hatte etwas an sich, das die Menschen verstummen und ehrfürchtig zurückweichen ließ. Wie ein Keil teilte die Reitergruppe von der Festung aus das Meer der Flüchtlinge. Zuvorderst ritt eine Frau in Lucys Alter, schlank und sehnig mit schmalen, edlen Gesichtszügen, schrägen, olivgrünen Augen und rabenschwarzen Haaren, die zu einem schlichten Knoten gebunden waren. Sie trug eine lange Tunika, die jedoch im Rockbereich so geschlitzt war, das sie im Herrensattel keine Schwierigkeiten hatte. Die Pluderhosen und die Waffen an ihrem Gürtel – zwei Säbel, zwei Rebmesser und eine Kettensichel – wiesen sie als Wüstennomadin aus. Der mit Goldfäden durchwirkte Burnus und einer der Säbel, dessen Scheide mit Gold beschlagen war, waren die einzigen Indizien für ihren hohen Status.

Flankiert wurde sie von einem schlanken Mann mit edlen Gesichtszügen und langen, blonden Haaren und von einem bärenartigen Hünen mit wilder, blaugrüner Mähne, breiten Gesichtszügen und einer Strichartigen Tätowierung am Kinn.

Den Dreien folgten noch einige Palastwachen, aber niemand hatte die Waffen gezogen. Als sie Stings und Rogues Gruppe erreichten, ließ die Frau ihr Pferd im Kreis tänzeln, während sie wieder die Stimme erhob.

„Meine Klauen können eure Heimat nicht zurückerobern, wenn ihr ihnen im Weg herum steht. Hebt euch eure Gebete für Sand und Sonne auf, Menschen stehen sie nicht zu.“

Viele der Flüchtlinge nahmen sich diesen schroffen Tadel offensichtlich sehr zu Herzen. Schuldbewusst senkten sie die Blicke und wichen noch weiter zurück. Doch einigen standen noch immer Verzweiflung und Trauer ins Gesicht geschrieben. Vermutlich waren das die Angehörigen der bisherigen Opfer. Allein in ihrem Umfeld erkannte Lucy gut ein Dutzend solcher Menschen. Es war erschütternd, wie viele dem namen- und gesichtslosen Feind zum Opfer gefallen waren.

„Wenn ihr etwas Reales beitragen wollt, wendet euch an die Schreiber. Weder ich noch meine Klauen können die Stille Wüste im Alleingang befrieden. Sie wurde vor Generationen von vielen gemeinsam erobert und nur so kann sie auch gehalten werden. Viele Sandkörner bilden die Wüste!“

Ohne abzuwarten, wie ihre Untertanen diesen Aufruf aufnahmen, wendete Minerva erneut ihr Pferd und ritt zurück zur Festung. Sting und Rogue trieben ihre Tiere an, bis sie ihre Fürstin flankierten, Rogue zur Linken, Sting zur Rechten. Ihnen folgten der Hüne und der Blonde. Lucy und die Anderen schlossen sich ihnen an.

Unbehelligt erreichten sie das große, eisenbeschlagene Tor und ritten hindurch. Im dahinter liegenden Innenhof konnte Lucy endlich mehr vom Sandpalast erkennen. Beinahe wirkte es, als wäre das Gebäude selbst ein Knüpfwerk. Lange Flure wechselten sich vollkommen willkürlich mit Hallen ab, einige mit Flach-, einige mit Kuppeldächern, einige beinahe winzig klein, dass man dahinter nur ein Arbeitszimmer vermuten konnte, die größten mit einer Länge von fünfzig Schritten. Die Türme wucherten an allen möglichen und unmöglichen Stellen regelrecht aus dem Palast heraus. Viele von ihnen waren viel zu zierlich, um auch nur einen Mann zu tragen. Zwischen den Gebäuden ragten immer wieder große Palmen hervor. Wahrscheinlich war der Grundriss des Palasts ein einziges Chaos.

Stallburschen eilten herbei und nahmen den Reitern die Pferde ab, als diese sich aus den Sätteln geschwungen hatten. Kaum dass ihre Füße den Boden berührt hatten, setzte Minerva sich in Bewegung und alle Anderen beeilten sich, ihr zu folgen.

Beim Marsch durch den Palast bewahrheitete sich Lucys Vermutung. Es war ein einziger Irrgarten. Die Flure und Treppen waren vollkommen wirr angelegt. Mal waren es schmale Wendeltreppen, dann wieder breite, mit Läufern ausgelegte Stiegen, mal waren die Flure lang und führten alle paar Mannslängen in eine neue Kammer, mal waren sie einfach nur ein Verbindungstunnel zwischen zwei Hallen. Ständig wechselten der Baustil und damit einhergehend auch das Dekor. Eine Halle wies einen mannshohen Fries auf, der einander jagende Basilisken zeigte, eine andere war mit riesigen Wandteppichen mit Schnörkelmustern behängt. Rüstungen, übermannshohe Vasen, Statuen, Lampenständer und Regale mit kleineren Kunstgegenständen füllten die Leere der Flure. Der gesamte Palast war ein wildes Sammelsurium. Ein Zeugnis der bewegten Geschichte von Sabertooth seit seiner Gründung vor fünfhundert Zyklen.

Für einen Moment fing Lucy Levys Blick auf. Obwohl die Blauhaarige sich immer wieder nervös über die Lippen leckte und ihre Finger sich krampfhaft fest um die Tragegurte ihres Reisetornisters geschlungen hatten, lag in ihren Augen doch auch ein aufgeregtes Schimmern. Lucy wünschte sich, sie und Levy hätten genug Zeit, um diesen Palast in aller Ruhe zu erkunden. Solche Orte waren der reinste Traum für eine Magistra der Geschichte, wie Levy eine war und wie Lucy es geworden wäre, wenn sie sich nicht für Astronomie entschieden hätte.

„Wieso campieren diese Leute auf dem Platz?“, fragte Rogue seine Fürstin, der schon wieder links lief, während Sting die rechte Seite einnahm. „Was ist mit den Schulen und den Armenhäusern?“

„Die platzen aus allen Nähten“, knurrte Minerva. „Die ganze Stadt platzt aus allen Nähten. Die Stadtbewohner versuchen, weiter zu machen, aber die Flüchtlinge werden von Tag zu Tag unruhiger, weil nichts zu geschehen scheint. Es sind alle möglichen dummen Gerüchte im Umlauf, ständig gibt es Krawalle in den Unterkünften. Diese Menschen sind es nicht gewöhnt, in einer ohnehin schon so voll gepackten Stadt zu leben. Einige haben sogar schon verlangt, in ihre Siedlungen zurück kehren zu dürfen.“

„Aber dort draußen sind tausende von Basilisken unterwegs, die keinen Halt mehr vor Obsidian machen. Das ist der sichere Tod!“, rief Sting ungläubig aus.

„Das haben wir ihnen immer wieder gesagt, aber wir können sie nicht zwingen, hier zu bleiben“, antwortete der blondhaarige Mann anstelle seiner Fürstin, deren Hand sich so fest um den Knauf des schlichteren Säbels geschlungen hatte, dass die Haut an den Knöcheln schneeweiß wurde.

„Was ist mit Evakuierungen in andere Städte?“, fragte Sting und blickte über seine Schulter zu Lucy, aber Minerva schüttelte ruppig den Kopf.

„Dafür müssen wir die dortigen Fürsten zuerst fragen. Wir können nicht hunderte von Flüchtlingen einfach so nach Hargeon, Heartfilia oder Magnolia schicken. Es müssten Vorkehrungen getroffen werden, aber ich kann keinen unserer Exceed entbehren, um sie zu den Städten zu schicken. Wir brauchen sie hier. Außerdem wollen die Leute nicht fort aus der Stillen Wüste. Sie wollen zurück in ihre Dörfer. Wer kann es ihnen verübeln?“

Die letzten Worte waren gedämpft und klangen so verbittert, dass Lucy sich unbehaglich die Arme rieb. Sie beobachtete, wie Sting und Rogue über Minervas Kopf hinweg einen besorgten Blick austauschten. Die Fürstin selbst schien das jedoch auch zu bemerken, denn sie versetzte Sting im Laufen einen Stoß und schnaubte etwas Unverständliches. Der Wüstennomade geriet nicht einmal ins Stolpern, zischelte jedoch etwas scheinbar Garstiges zurück, aber seinem Ton fehlte die Schärfe.

„Zumindest ist noch nichts über Jadestadt zu den Flüchtlingen vorgedrungen.“

Alle zuckten zusammen, als Dobengal urplötzlich neben Sting auftauchte. Der Blondschopf knurrte den Jüngeren wieder einmal an.

„Wo warst du auf einmal?“

„Ich habe Minerva Bescheid gesagt“, war die lakonische Antwort.

Lucy fragte sich, wie Dobengal durch dieses dichte Menschengedränge hindurch gekommen war. Ihr Blick huschte zu Meredy hinüber, deren Miene völlig neutral blieb. Auch wenn Dobengal einen anderen Titel trug, er war ein Assassine. Wahrscheinlich war es nur eines seiner zahlreichen Talente.

Wovon er hingegen nichts zu halten schien, waren Förmlichkeiten. Selbst in Gegenwart seiner Fürstin benutzte er nicht ihre Titel und vorhin am Hafen hatte er die Jadefürstin auch nur bei ihrem Vornamen genannt. In anderen Gegenden wäre so etwas als Affront betrachtet worden, aber Minerva war das offensichtlich schon gewohnt und beachtete es nicht einmal.

In einer kleineren, schmucklosen Halle machten sie endlich halt. Im Zentrum stand ein langer Tisch, auf dem neben unzähligen Listen und Plänen auch eine riesige Karte der Stillen Wüste lag, die mit Markierungen versehen waren. Je zwei überkreuzte Holzstäbe lagen über mehreren kleinen Dörfern. Lucy vermutete, dass das jene waren, die zerstört oder evakuiert worden waren. Auf Jadestadt stand die Figur eines schwarzen Königs.

In einer Ecke der Halle arbeiteten unermüdlich ein halbes Dutzend Sekretäre, zu denen immer neue Laufburschen eilten, um Dokumente zu überbringen und dann mit neuen Aufträgen wieder zu verschwinden. Ein geschäftiges Summen lag in der Halle, die offensichtlich zur Operationsbasis für die Krise bestimmt worden war.

Hier saßen auch Lector und Frosch auf dem Tisch neben der Karte. Beide eilten der Gruppe entgegen, als diese die Halle betrat. Rogue ging sofort in die Hocke, um seine grüne Exceed an sich zu ziehen und sanft über ihren Kopf zu streichen, während Sting Lector das Kopffell zerzauste, er ihn sich auf die Schulter setzte.

Nachdem sie ihre Bündel einfach neben den Tisch hatten fallen lassen, stellten Sting und Rogue formlos den Hünen als Orga Nanagear vor, den Rüstungsmeister von Sabertooth und sogenannten Rücken, und den Blonden als Rufus Lore, Hofmagier und Kopf der Wüstenlöwin. Danach stellten sie ihrer Fürstin die Mitglieder der Gruppe vor. Zuletzt deutete Rogue auf Lucy, aber Minerva kam ihm zuvor.

„Lucy Heartfilia, Magistra der Astronomie, die sogenannte Sternenklinge, Fürstin von Heartfilia und Herrin der Geister.“ Die Schwarzhaarige neigte respektvoll den Kopf. „Ich hatte gehofft, Euch unter angenehmeren Umständen kennen zu lernen. Mein aufrichtiges Beileid für Euren Verlust.“

In Lucys Magengegend krampfte sich etwas zusammen. Noch immer war sie es nicht gewohnt, diese Phrase zu hören, egal wie aufrichtig sie auch gemeint sein mochte, aber sie verdrängte den Gedanken an ihre Trauer und nickte der Fürstin ihrerseits zu.

„Minerva Orland, Wüstennomadin, Basiliskenreiterin, Wüstenlöwin, Befreierin und Fürstin von Sabertooth. Ich danke Euch und Euren Klauen. Sie haben zu meiner Rettung beigetragen und mein Volk unterstützt. Leider kann ich Euch außer Lokes und meiner keine weiteren Klingen zur Verfügung stellen, aber in zwei bis drei Tagen sollten die Grasblick und die Caelum mit Hilfsgütern hier eintreffen.“

„Das ist weit mehr, als ich jemals gewagt hätte zu erbitten“, erwiderte Minerva und warf einen Blick auf eine Frau, die auf einem Stuhl am Tisch gesessen hatte.

Sie war schlank mit sonnengebräunter Haut und rabenschwarzen Haaren, gekleidet in einfache Hosen und eine Tunika, an ihrer Hüfte ein Säbel und ein Krummdolch. Ihr Arm lag in einer Schlinge, der andere Unterarm war verbunden. Im Ausschnitt der Tunika blitzten weitere Verbände hervor. Sie nahm Minervas Blick als Zeichen, um sich zu erheben und sich nach Sitte der Wüstennomaden vor Minerva und dann nach Sitte der Geister vor Lucy zu verneigen.

Erst in diesem Moment erkannte Lucy die subtilen Anzeichen für die wahre Natur der Frau. Sie waren bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie bei Loke und den Anderen, aber doch unverkennbar. Ein vergewissernder Blickaustausch mit Loke bekräftigte Lucys Gedanken, aber sie sagte nichts dazu, sondern beantwortete die Geste der Frau mit einem Nicken.

„Mein Name ist Libra, Jaderitterin von Fürstin Hisui.“

Ihre Sprechart war der von Heartfilia sehr ähnlich, aber es schwang noch etwas anderes mit, etwas Schroffes, das die Worte abzuraspeln schien. Mit ihren mangelnden Kenntnissen in diesem Bereich brauchte Lucy einen Moment, um diesen Akzent als Bosco zu erkennen. Anscheinend war diese Frau ein Kind zweier Kulturen. Für Lucy war es nicht das erste Mal, dass sie einem Mischling begegnete, aber Libra war der erste außerhalb Heartfilias.

„Erzähl’ uns, was in Jadestadt vorgefallen ist“, ordnete Minerva an, während sie sich auf einem der Stühle nieder ließ. Lucy und einige der Anderen folgten ihrem Beispiel, aber Sting und Rogue blieben stehen. „Wie konnte der Feind eure Verteidigung überwinden?“

„Er hat uns überrannt, während wir eine Flüchtlingsgruppe aus einem der Steinbrüche im Norden von Jadestadt eskortiert haben. Bevor wir wussten, was geschah, war er mitten unter uns, hat das Volk zusammen getrieben und die Fürstin als Geisel genommen. Wir hatten keine Chance“, erklärte Libra bitter. „Die überlebenden Soldaten haben sie entwaffnet und eingesperrt. Als die ersten Männer verschwanden, wagten wir den Fluchtversuch. Meister Arkadios hat uns mit seinem Leben Zeit erkauft, um zu einem der Tore zu gelangen und die Stadt zu verlassen.“

Lucy bemerkte, wie Sting und Rogue einen betroffenen Blick tauschten. Anscheinend hatte sie den berühmten Wüstenblumenritter persönlich gekannt.

„Gab es irgendeinen Hinweis, wer die Angreifer sind und was sie überhaupt wollen?“, ergriff Meredy das Wort, ihre Miene wieder so undurchschaubar, wie sie es dieser Tage fast immer war.

„Die Männer und Frauen, die uns gefangen genommen haben, haben nie Namen genannt und schienen selbst nicht zu wissen, worauf das alles hinaus laufen sollte“, antwortete Libra bereitwillig. „Sie schienen sogar große Angst vor ihren Anführern zu haben. Von den Anführern habe ich nur einen gesehen. Ein Mann in einer Kutte und mit einer Totenkopfmaske. Auf dem Rücken trug er ein Wappen, das nicht einmal Meister Arkadios oder Yukino kannten. Zwei überkreuzte Hammer. Es wirkte sehr abstrakt…“

Lucy runzelte die Stirn. Die Beschreibung dieses Wappens kam ihr nicht einmal ansatzweise bekannt vor, dabei war sie in den Heraldik-Lektionen immer eine der Besten gewesen. Ratlos blickte sie zu Rogue und Meredy, aber die schienen mit diesem Wappen auch nichts anfangen zu können. Levy jedoch kramte einen Pergamentfetzen und ein Kohlestück aus ihrer prall gefüllten Tasche und hielt beides Libra hin.

„Bitte zeichne es mir auf, ich habe eine Ahnung… Aber ich müsste das in Eurer Bibliothek überprüfen“, fügte sie mit einem schüchternen Knicks in Minervas Richtung hinzu.

„Dobengal wird Euch hinbringen, Magistra“, erklärte die Fürstin bereitwillig, nachdem sie einen kurzen Blick mit Rogue ausgetauscht hatte.

Lucy erhaschte einen Blick auf Libras Zeichnung, aber noch immer kam ihr das Wappen nicht bekannt vor. Sie fragte sich sogar, ob es überhaupt ein Wappen war.

Als Levy hinter Dobengal die Halle verließ, folgte Gajeel ihr einfach, ohne den Anderen eine Erklärung zu geben. Als Lucy Natsu deshalb einen fragenden Blick zuwarf, zuckte dieser mit den Schultern, grinste jedoch amüsiert.

„Ist noch jemandem die Flucht gelungen?“, fragte Minerva, als die Drei verschwunden waren.

„Ich habe gesehen, wie sie Deneb töteten, und Pisces ist im ersten Dorf zurückgeblieben, um mir die weitere Flucht zu ermöglichen. Was aus Yukino geworden ist, weiß ich nicht. Sie ist nach Süden gegangen.“

Lucy könnte schwören, dass Sting, Rogue und Minerva gleichzeitig die Luft anhielten. Neben ihr scharrte Loke mit einem Fuß und seine Hand schloss sich fester um seinen Schwertknauf.

„Hatte Yukino ihre Waffen dabei?“, fragte Rogue angespannt.

Libra schüttelte verbittert den Kopf. „Als sie uns festsetzten, haben sie uns alle Waffen abgenommen. Wir konnten uns bei der Flucht mit Säbeln bewaffnen, aber ihre Rebmesser und die Kettensichel hatte Yukino nicht dabei.“

„Ihre Flöte… hatte Yukino ihre Flöte dabei?“, mischte Sting sich ein, seine Stimme gepresst. Lector auf seiner Schulter machte riesige Augen und hielt sich zitternd an Stings Haaren fest.

Libra war von dieser Frage verwirrt – wie beinahe alle Anwesenden, nur Minerva und Rogue schienen zu verstehen und ungeduldig auf eine Antwort zu warten. „Ich glaube nicht… Yukino trägt die Flöte immer am Waffengürtel und den haben sie ihr abgenommen…“

Bevor Lucy es überhaupt realisieren konnte, war Sting auf dem Weg zur Tür. Minerva reagierte schneller. Ihre scharfe Stimme schnitt regelrecht durch die Luft: „Bleib’ hier, Sting.“

Der Wüstennomade wirbelte so schnell herum, dass Lector hastig von seiner Schulter springen musste, um nicht abgeworfen zu werden. Die kobaltblauen Augen des Blonden funkelten vor Wut. „Wenn du uns nicht weg geschickt hättest-“

„Wäre das womöglich dennoch passiert“, unterbrach seine Fürstin ihn. „Ihr seid Drachenreiter, keine Götter. Und Yukino wusste, worauf sie sich einließ, als sie in die offene Wüste gelaufen ist.“

„Sie hat keine Waffen, keine Flöte und kein Wasser und ist in einem der trockensten und basiliskenreichsten Gebiete der Wüste unterwegs!“, zischte Sting aufgebracht. „Wir müssen sie suchen. Jetzt!

„Ich könnte sie viel schneller suchen“, bot Lector an, seine Miene ebenfalls von tiefer Sorge gezeichnet.

„Nein“, widersprachen Minerva und Sting gleichzeitig.

„Das ist zu gefährlich“, erklärte Rogue dem Exceed geduldig, während er beruhigend über Froschs Rücken strich. Die grüne Exceed hatte sich an seine Robe geklammert und wimmerte leise. „Das führt dich zu nahe an Jadestadt heran.“

„Aber ich will helfen!“, protestierte Lector verzweifelt.

Die anderen Mitglieder der Reisegruppe schwiegen angespannt und bedrückt. Lucy hielt sich am Griff ihres Rapiers fest, um ihr Zittern unter Kontrolle zu halten. Ganz deutlich stand ihr die Freude in Yukinos Zügen vor Augen, als Aries ihr vor einem Zyklus das Froschkostüm übergeben hatte. Am selben Abend hatten sie unter einem wunderschönen Sternenhimmel auf dem Astronomieturm gesessen und bis in den Morgengrauen Geschichten ausgetauscht…

„Wenn jemand das überleben kann, dann Yukino.“

Lokes bedächtige Worte unterbrachen die heftige Diskussion zwischen Minerva und Sting und lenkten die Aufmerksamkeit aller auf den Feuergeist, dessen Miene ruhig und gefasst wirkte. Zu ruhig und gefasst, aber das bemerkte nur Lucy.

„Unter den gegebenen Umständen war vollkommen klar, dass einige der entflohenen Jaderitter sterben würden. Libra war diejenige, die am schnellsten hierher gelangen konnte. Darum war es aus Yukinos Sicht nur logisch, Libra und Pisces in den Norden zu schicken und selbst in den Süden zu gehen, wo sie als Wüstennomadin noch die besten Überlebenschancen hat.“

„Woher willst du wissen, wie Yukino darüber gedacht hat?“, fauchte Sting.

„Weil er etwas Ähnliches gemacht hat“; mischte Lucy sich ein und versuchte dabei, nichts von der Bitterkeit nach außen dringen zu lassen, die sich ihrer zu bemächtigen drohte. „Und wenn ihr euch nur einmal vorstellt, es ginge um eure Fürstin und um eure Stadt, müsstet ihr einsehen, dass ihr genauso handeln würdet. Egal wie ihr genannt werdet, ihr seid alle Leibwächter.“

In Minervas Augen erkannte Lucy Zustimmung, aber auch noch etwas anderes: Die Angst davor, dass Sting und Rogue sich eines Tages für sie opferten. Auf einmal fühlte Lucy sich der Schwarzhaarigen sehr nahe.

„Warum war Libra diejenige, die am schnellsten hierher kommen konnte?“, fragte Rufus in die entstandene Stille hinein.

„Deshalb“, antwortete die Jaderitterin und hob ihre rechte Hand, die Finger kontrolliert tanzend. Vom Boden hoben sich Sandkörner und bildeten einen winzigen Wirbel.

„Du bist eine Magierin? Mir war nicht bekannt, dass die Jadefürstin Magier an ihrem Hof hat“, sagte Minerva mit einem leichten Stirnrunzeln.

„Hat sie auch nicht. Zumindest nicht offiziell. Ich bin ein Halbblutgeist und gehöre zur Kolonie von Jadestadt, die unter Herrin Hisuis Schutz steht. Pisces und Deneb waren meine Koloniekameraden…“ Steif drehte Libra sich zu Lucy und Loke herum und verneigte sich tief vor ihnen, ehe sie in Geistzunge weiter sprach. „Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr sie besingen würdet.“

Noch mehr Totenlieder, ging es Lucy bitter durch den Kopf und für einen Moment sanken ihre Schultern herab, ehe sie sie wieder straffte und huldvoll nickte. „Es wird mir eine Ehre sein.“

Schon wieder legte sich Stille über die Gruppe und Lucy ließ den Blick über die Karte gleiten. Sie folgte von Sabertooth aus dem Verlauf der Dörfer nach Südwesten bis nach Jadestadt. Von dort aus lagen im Norden und Nordwesten die ergiebigen Steinbrüche, im Süden hingegen gab es nichts anderes als offene, tödliche Wüste. Irgendwo dort war Yukino – Lucy wollte nicht daran denken, dass ihre Freundin vielleicht tot war.

„Was ist eigentlich mit Zirkonis, dem alten Lustmolch?“, unterbrach Natsu die Stille. „Weiß er schon Bescheid?“

„Wir wissen nicht, wo genau er sich im Moment aufhält“, erklärte Rufus ruhig. „Bei all den anderen Dingen, die wir erledigen mussten, konnten wir niemanden entbehren, um in Zirkonis’ Höhle nachzusehen.“

„Wendy wird ihn sicher aufspüren können“, sagte Natsu zuversichtlich und die jüngere Drachenreiterin nickte zustimmend.

„Das wäre eine große Hilfe…“

Die Fürstin wollte noch etwas sagen, doch neben Lucy riss Loke sich auf einmal den Schwertgurt von der Hüfte und stieß ein warnendes Brüllen aus. Ehe einer von ihnen reagieren konnte, waren die Flammen auch schon da…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück