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The Golden Road

von
Koautor:  Puppenspieler

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Heartaches and Highways

Es wird regnen.

 

Das war Keijis erster Gedanke, als er den Kopf am Morgen aus dem Zelt streckte. Er hoffte, dass er sich irrte, aber nur zur Sicherheit sorgte er dafür, dass sie bald zurück zum Wagen kamen, zurück auf die Straße. Zurück irgendwohin, wo es leichter war, einen trockenen Unterschlupf zu finden als in einem Nationalpark.

 

Sie kamen keine Meile weit, bis der Wolkenbruch losging.

 

Es war, als wolle der Himmel die Trockenheit der letzten Wochen kompensieren. Es schüttete wie aus Kübeln, so sehr, dass selbst die Scheibenwischer des Wagens eigentlich kaum noch etwas ausrichten konnten gegen die Kaskaden an Wasser, die an der Windschutzscheibe hinabströmten. Kuroo hinterm Steuer fluchte immer wieder, weil die Straße in dem steten Regenschauer schwer zu erkennen war.

Zum Glück war sie nicht voll.

„Wieso regnet es?“

Bokuto klang so, wie der Himmel aussah: trüb und unglücklich. Keiji lehnte sich mit einem schweren Seufzen gegen die Lehne des Rücksitzes zurück und schloss die Augen.

„Wir hatten bisher einfach echt viel Glück“, brummte Kuroo. Er fluchte noch einmal, drückte empört auf die Hupe, weil vor ihnen geradezu aus dem Nichts ein anderer Wagen von einer Zufahrt aus aufgetaucht war.

Bei nächster Gelegenheit fuhr er an den Straßenrand. Er sackte missgelaunt in seinem Sitz zusammen. Eine schiere Ewigkeit war es still, abgesehen von dem steten Trommeln des Regens, der einfach nicht mehr aufhören wollte. Irgendwo in der Ferne donnerte es. Keiji warf einen Blick aus dem Fenster. Hinter nassen Schlieren sah er nur grau über grau, und das unheilverkündend dunkel.

 

„Was machen wir jetzt?“

 
 

Eigentlich war es kein Drama. Ein bisschen Regenwetter schadete niemandem, auch nicht, wenn der ganze Himmel runterkam. Es war nicht, als wäre es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie einen Wolkenbruch erlebten. Es bedeutete aber, dass eigentlich alle Aktivitäten, die Keiji sich für sie überlegt hatte, völlig untauglich würden, weil sie von zumindest halbwegs gutem Wetter ausgingen.

Und bei diesen Wassermassen mochte Keiji nicht einmal vom Wagen bis zum Eingang eines Museums laufen, wenn es sich vermeiden ließ.

Bloß – was dann? Bei dem Wetter war es unwahrscheinlich, dass ein guter Teil ihrer geplanten Aktivitäten in den nächsten Tagen wieder zugänglich wurde, also war es sinnlos, das Wetter auszusitzen. Davor zu flüchten und knallhart weiterzufahren klang allerdings auch nicht wirklich glücklich. Keiji wollte es selbst nicht, und so verdrießlich, wie Bokuto auf seinem Platz saß, würde der auch alles andere als begeistert sein.

Sie hatten einfach nicht viele Optionen.

Aussitzen und warten in der Hoffnung, dass es besser wurde. Das würde maximal für zwei, drei Tage funktionieren, dann mussten sie ohne Diskussion weiter. Sie hatten schließlich nicht ewig Urlaub und noch ein Stück USA vor sich, das sie sehen wollten. Und einen Flug in Los Angeles zu kriegen.

Weiterfahren und hoffen, dass sie damit entweder dem Wetter davonfahren konnten, oder außerhalb von Arizona mit all seinen Canyons und Bergen noch Sehenswürdigkeiten fanden, die etwas wetterunabhängiger waren.

Würde er Bokuto fragen, würde er vermutlich vorschlagen, das Wetter zu ignorieren. Leider funktionierte die Welt so eben nicht. Keiji brauchte es nicht, dass es jetzt mit Erkältungen anfing, ganz zu schweigen davon, dass viele Outdoor-Sehenswürdigkeiten und Parks bei diesem Wetter geschlossen sein würden.

„Wir fahren weiter. Bei dem Wetter finden wir hier in Arizona nicht mehr wirklich etwas Interessantes. Kuroo-San, wie lange fahren wir bis nach Kalifornien rein?“

Die Antwort – dreieinhalb Stunden – kam so schnell, dass Keiji spekulierte, sie war schon nachgeschaut worden, noch ehe er eine Entscheidung getroffen hatte.
 

Es war immer noch gruselig, mit Kuroo einer Meinung zu sein.

 

„Also gut. Fahren wir.“

Sie hatten nicht wirklich eine andere Wahl. Und bei den aktuellen Sicht– und Straßenverhältnissen würden sie vermutlich auch noch länger als die angedachten dreieinhalb Stunden brauchen. Eine Mittagspause nicht zu vergessen, die sich sicherlich auch als nötig herausstellen würde. Keiji war jetzt schon nicht mehr begeistert von der Sache – eine so lange Fahrt am Stück hatten sie auf diesem Trip noch nicht herumgebracht.

 

 

Es war absolut grauenhaft.

 

Es fing schon damit an, dass Bokuto still war. Keiji erkannte, was in seinem Verhalten steckte – warum auch immer, er war da: Der Weltuntergang. Der Emo-Modus. Das eine Problem, das sie verbissen zu vermeiden versucht hatten.

Und während da draußen um sie herum unter Donnerknall und Regentrommeln die Welt unterging, ging auch in dem schlichten Mietwagen eine ganz andere Welt unter.

 

Dabei sollte man meinen, es sei eine Banalität. Ein bisschen Regen. Ein paar ausgefallene Sehenswürdigkeiten. Was machte das schon? Jeder andere hätte es vermutlich mit einem Achselzucken beiseitegeschoben. Aber Bokuto war eben nicht jeder andere – er hatte sich Jahre auf diesen Trip gefreut. Er hatte sich über Jahre hinweg die verrücktesten Dinge ausgemalt, inspiriert von den irren Fernsehsendungen, die er sah. Inspiriert von Kuroo und seiner leider viel zu lebhaften Fantasie. Inspiriert von seinen Filmabenden mit Komi. Natürlich war er jetzt enttäuscht.

Zuerst versuchte Kuroo, die Stille zu überbrücken. Er versuchte es mit schlechten Witzen, die Bokuto sonst immer erreichten – Keiji wusste seine Mühen zu schätzen, aber er wusste von vornherein, dass sie fruchtlos waren. Wenn Bokuto erst einmal völlig deprimiert war, dann half es nicht, ihn zu behandeln wie immer. In Momenten wie diesen hieß es erst einmal aussitzen. Aussitzen, bis Bokuto von sich aus soweit verwunden hatte, was auch immer ihn herunterzog, dass er wieder begann, Signale zu senden.

Kuroos Stimme verstummte irgendwann, wurde abgelöst von Regentrommeln und Radio und gelegentlichem Donnern. Es war Keiji vorher lieber gewesen. Das allgemeine Schweigen half auch nicht, vielmehr schien es die Stimmung noch mehr runterzudrücken. Aber andererseits fand er auch nicht die Muse, Kuroo zu sagen, er solle weitermachen.

 

 

Nach einer Stunde ungefähr hielt Kuroo am nächstbesten Diner, das die Straße entlang zu finden war.

„Wir essen.“

Manchmal half es. Hunger war in jedem Fall nichts, das Bokutos Laune zuträglich war, also war die Idee nicht verkehrt.

Obwohl sie zügig liefen, waren sie klatschnass nach dem kurzen Weg zwischen Diner und Straße. Sie quetschten sich an einen kleinen Tisch, der eigentlich nur für zwei gedacht war, bestellten Kaffee und irgendetwas heißes und fettiges, das so klang, als würde Bokuto es mögen. Nachdem die Kellnerin davonstöckelte, breitete sich wieder Schweigen an ihrem Tisch aus, das sich hartnäckig hielt, bis das Essen kam.

Es war ein gutes Zeichen, dass er überhaupt halbwegs aus eigenem Antrieb heraus aß.

Zweimal noch versuchte Kuroo, ein Gespräch anzuzetteln. Er erwähnte sogar Las Vegas, an dem sie mehr oder weniger vorbeifahren würden, doch Bokuto reagierte überhaupt nicht. Er starrte Kuroo nur mit diesem leicht dümmlichen, emotionslosen Blick an, den er immer drauf hatte, wenn er niedergeschmettert war. Kuroo spießte mit einem unwirschen Seufzen sein frittiertes Hähnchen fester auf, als nötig gewesen wäre. Er war gereizt. Keiji war gereizt. Bokuto war deprimiert.

 

Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis es krachte.

 

Das Essen endete auch schweigend. Schweigend kehrten sie zum Wagen zurück, und schweigend fuhren sie weiter. Nach ein paar Minuten drehte Kuroo das Radio lauter, als könne er damit die Stille vertreiben, die sich hartnäckig im Wagen hielt.

Nach einer Weile drehte er noch lauter. Bokuto zuckte nicht einmal mit der Wimper. Keiji spürte, wie Kopfschmerzen sich bei ihm einstellten, noch in humanem Maße, aber wenn Kuroo die Musik noch allzu viel mehr aufdrehte, würde er vermutlich bald ein paar Schmerztabletten brauchen.

Die Musik wurde wieder lauter.

„Mach es leiser.“

Keijis Stimme ging völlig unter in dem Lärm, der aus dem Radio kam. Die Lautsprecher hatten keine herausragend gute Qualität, was die laute Musik noch weniger attraktiv machte.

„Mach es leiser“, grollte er noch einmal, viel lauter, als er normalerweise sprach, nur, damit er gegen die Musik ankam. Selbst Bokuto zuckte zusammen.

 

Kuroo trat vor Schreck so heftig auf die Bremse, dass sie nach vorn ruckten. Wutentbrannt drehte er sich zu Keiji um, nachdem er schlitternd an den Rand der Straße gefahren war.

„Spinnst du?!“

Immerhin drehte er die Musik leiser. Trotzdem pochten Keijis Schläfen, als gäbe es kein Morgen. Er widerstand dem Impuls, sie zu massieren.

„Die Musik war zu laut.“ – „Musst du mich deshalb so erschrecken?! Wir hätten gottweißwo reinfahren können!“

Keiji presste die Lippen zusammen. Ihm lag viel zu viel auf der Zunge, das gern rausgewollt hätte, angefangen bei dem Vorwurf, dass es Kuroos eigene Schuld war, immerhin hatte er die Musik so laut gemacht. Aber der kleine Teil Vernunft, der bei aller Gereiztheit noch die Überhand hatte, sträubte sich strikt, irgendetwas herauszulassen. Er starrte nur. Starrte Kuroo stur und unnachgiebig an, bis der sich mit einem vulgären Fluch wieder abwandte.

Sag doch wenigstens was, verdammt!“

Keiji hatte nichts zu sagen, das nicht noch mehr Streit auslösen würde. Resignierend vergrub er das Gesicht in den Händen, ließ dann alle zehn Finger gespreizt durch sein Haar fahren. Wäre es länger und unruhiger, er hätte wohl seine Frisur zerstört.

 

(So wie Kuroo, der gerade auch mit Haareraufen beschäftigt war.)

 

„Wir sollten weiterfahren.“

 

 

Es war surreal.

Sie stritten normalerweise nicht. Keiji erinnerte sich an keine Gelegenheit, zu der er ernsthaft mit Kuroo gestritten hatte. Ja, er war öfter angepisst von ihm, und umgekehrt galt das gewiss auch, aber es war nie zum Streit gekommen. Sie hatten ihre Art, damit umzugehen: Sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen und sich gezielt zu piesacken. Das funktionierte.

Nur gerade funktionierte es nicht.

Keine zwanzig Tage hatten sie miteinander ausgehalten. Keiji hatte keine Ahnung, wie das werden sollte, wenn sie erst zusammenleben würden. Wie das überhaupt funktionieren sollte. Im Moment sah er es so pessimistisch, dass er es definitiv  nicht mehr versuchen wollte. Kuroo sah auch nicht so aus, als wäre er erpicht darauf. Er funkelte Keiji im Rückspiegel an, als könnte er ihn damit zu weiteren Streitgesprächen provozieren. Als er still blieb, wandte Kuroo knurrend den Blick wieder zur Straße und kam endlich der Aufforderung nach, weiter zu fahren.

 

Das Radio blieb aus.

 

Irgendwie machte es das nur noch schlimmer. In der Stille konnte Keiji sich selbst viel zu laut denken hören. Gedanken, die er nicht denken wollte, irgendwo zwischen Ärger und Unsicherheit – er konnte beides nicht gebrauchen. Er wollte auch nicht darum bitten, das Radio wieder einzuschalten. Es wäre wie eine Niederlage.

Eine CD?

Der erste Gedanke von dem schrecklichen Ungetüm, das sie zu Beginn ihrer Reise gekauft hatten, war alles andere als attraktiv und Keiji verwarf die Idee schnell genug wieder. Das würde keiner von ihnen hören wollen.

Es dauerte noch viel zu lange, bis ihm einfiel, dass er noch eine andere CD in seinem Gepäck hatte. Es war mehr Glück als Verstand, dass er vergessen hatte, sie aus seinem üblichen Handgepäck rauszuwerfen und in den Koffer zu stopfen. Glück, das er gerade wirklich dringend gebrauchen konnte.

„Bokuto-San.“

Er reagierte, so gut ein Bokuto im Emo-Modus eben reagierte, richtete nichtssagende, dumpfe Augen auf Keiji. Der hielt ihm auffordernd die CD hin. Bokuto verstand ohne große Erklärung, und während Kuroos Blick stoisch auf die Straße gerichtet war, bugsierte er die CD in den CD-Spieler und schaltete sie schließlich ein.

 

Gegen die Stille war die Musik eine Wohltat für Keiji. Im ersten Moment fürchtete er, dass Kuroo etwas sagen würde, er sah, wie die Hände des anderen sich ums Lenkrad krallten, doch dann entspannte er sich wieder.

Vielleicht, weil er den Song erkannte.

 

Es blieb still, aber die drückende, schwere Stimmung hatte sich verändert. Wurde leichter, zumindest ein bisschen. Als Keiji hinaussah, war er sich sicher, hinter den trüben, schweren grauen Wolken den Sternenhimmel ausmachen zu können – obwohl es dafür beiweitem nicht dunkel genug war –, und die Töne aus dem Lautsprecher vermischten sich mit dem Gesang aus seiner Erinnerung.

 

 

Auch wenn die Autofahrt am Ende friedlich verlief, es wurde nicht auf magische Weise viel, viel besser. Im Hotelzimmer waren sie immer noch viel stiller, als es üblich war, Bokuto immer noch richtig schlecht gelaunt. Kuroo sah schon reizbar aus, und Keiji fühlte sich ungefähr genauso wie der Kerl mit der unruhigen Frisur aussah; er versuchte gerade, Bokuto mit seinem aktuellen Lieblingsspielzeug, dem Stressball, zu ködern, doch die kleine Gummifigur prallte einfach nur unglücklich neben Bokuto von der Wand ab und kullerte dann vom Bett auf den Boden, wo sie trostlos liegen blieb.

Nach ein paar Minuten stand Kuroo ruckartig von dem Sessel auf, in dem er gelümmelt hatte, fuhr sich mit einer Hand durch das völlig ruinierte Haar.  

„Ich geh was zu essen besorgen.“

Von Bokuto kam gar keine Reaktion. Keiji unterdrückte ein unglückliches Seufzen. Er nickte Kuroo nur knapp zu zum Zeichen, dass er ihn wahrgenommen hatte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder auf den elenden Federball, der reglos auf dem Bett saß und vor sich hin starrte.

 

Dass es immer noch regnete, machte auch nichts besser.

 

„Costa hat geschrieben.“

Die Worte entlockten Bokuto immerhin eine halbwegse Reaktion. Keiji hockte sich mit seinem Handy zu ihm auf die Bettkante und zeigte ihm die neueste Nachricht aus Griechenland; ein paar abgehackte Worte Englisch, die ihnen noch viel Spaß und eine gute Reise wünschten, zusammen mit Costas und einer hübschen jungen Frau, die, den Ringen an ihren Fingern nach zu urteilen, entweder seine Verlobte oder seine Ehefrau war.

Bokuto starrte sehr lange auf das Bild, und Keiji glaubte, kurz ein Aufleuchten in seinem Blick zu erkennen, aber dann kehrte er doch wieder dazu zurück, unselig in der Gegend herumzuwobbeln.

 

Um die Zeit herum, dass Kuroo mit dem Essen zurückkam – irgendein fettiges Take-Out-Zeug aus dem nächsten Diner und etwas weit weniger fettiges für Keiji –, begann Bokuto endlich, unruhig zu werden. Es war eine solche Erleichterung nach dem schrecklichen Tag, dass Keijis schlechte Laune mit einem Schlag fast vollständig abfiel.

Kuroo grinste wieder.

Er wuschelte Bokuto zur Begrüßung durch die vom Regen ruinierte Frisur, quetschte sich dann auch irgendwie aufs Bett. Keijis Kopf ließ er nach einem mahnenden Blick in Ruhe, den er nur mit einem unbekümmerten Lachen beantwortete, während er die Hand zurückzog, die auch sein Haar wuscheln wollte.

„Bei dir gibt’s eh keine Frisur zu zerstören, Akaashi, da macht’s keinen Spaß.“ – „Sagt genau der Richtige…“

Kuroo verzog leidend das Gesicht.

„Erinner mich nicht daran…“

Er sah wirklich furchtbar aus. Normalerweise konnte man seinen Schopf ja noch als absichtlich so gestylt interpretieren, aber gerade sah es wieder viel mehr nach totem Tier aus als nach Haaren. Halb vom Regen plattgedrückt, halb wieder aufgebauscht vom Haareraufen. Er fuhr sich gerade auch wieder mit der Hand durchs Haar, als würde das irgendetwas besser machen.

 

 

Der Film, den sie sich ansahen, um einfach nur die Stille zu füllen, war schlecht, befand Keiji nach wenigen Minuten. Aber er hatte Explosionen und Lärm, und das schien Bokuto zumindest halbwegs zu erreichen. Immer noch recht apathisch, aber trotzdem aufmerksam verfolgte er die Hektik auf dem Fernsehbildschirm, während Keiji selbst es viel spannender fand, aus dem Fenster zu sehen. Im Licht einer Straßenlaterne leuchtete jeder einzelne Regentropfen.

Zumindest solange, bis einfach keine Regentropfen mehr da waren.

„…Es hat aufgehört zu regnen.“

Obwohl der Kommentar an niemand bestimmten gerichtet war, lagen fast augenblicklich zwei Augenpaare auf Keiji. Er wies schweigend zum Fenster hinaus. Kuroo hielt sich gar nicht damit auf, hinauszustarren, sondern riss es auf und lehnte sich bedenklich weit hinaus.

„Trocken“, kommentierte er schließlich nach ein paar Sekunden. Dieses Mal leuchteten Bokutos Augen wirklich kurz auf und sein apathischer Blick wurde drängend.

 

Die Botschaft war klar: Er wollte raus. Wollte Action. Und das schnell.

 

Im ersten Moment wusste Keiji nicht, wohin. Die Stadt war klein und insgesamt eher verschlafen, eine der typischen Touristenkäffer rings um die Route 66, und wahrscheinlich waren längst alle Läden geschlossen. Im nächsten Moment fiel ihm ein, dass es im Grunde egal war; wenn Bokuto raus wollte, wollte er raus, und dann hatte er keinerlei darüberhinausgehende Erwartung an das Unterfangen.

„Gehen wir raus.“

Bokuto war viel zügiger wieder auf den Beinen, als man ihm gerade zutrauen wollte. Kuroo hatte seinen Elan ganz eindeutig auch wiedergefunden, und nachdem sie sich vorsorglich noch Jacken übergezogen hatten für den Fall, dass der Regen die Temperatur zu sehr runtergekühlt hatte, verließen sie das Hotel auf schnellstem Wege.

 

 

Es war wirklich kühl geworden. Die Luft roch nach Sommerregen und eine kühle Brise wehte ihre Düfte durch alle Straßen. Nachdem sie sich den ganzen Tag vor dem Wetter versteckt hatten, tat es gut, spazieren gehen zu können, ohne sich darum sorgen zu müssen, dass man nach wenigen Schritten schon tropfend nass war.

Dass Spazierengehen aber nicht genug war mit einem Energiebündel wie Bokuto, das wusste Keiji. Und Keiji wusste, dass Kuroo es wusste – und obendrein weit besser dafür geeignet war, Bokutos überschüssige Energie abzubauen. Nach ein paar Minuten, die sie friedlich herumliefen, bekam Kuroo einen auffordernden Stoß in den Rücken, der ihn in eine Pfütze platschen ließ.

„Jetzt sind meine Socken nass!“, beklagte er sich empört, doch hinter der Empörung hörte Keiji nur sein Grinsen. Mit einer rüden Geste, die kaum ernst gemeint war, ließ er Keiji stehen und wandte seine volle Aufmerksamkeit lieber Bokuto zu. Die Botschaft war also angekommen.

„Bro! Zeit zum Fangenspielen! Du bist!“

Und damit rannte er.

Ein paar Sekunden sah es aus, als würde Bokuto nicht reagieren, dann löste er sich jäh aus seiner Starre. Mit einem empörten Ausruf folgte er Kuroo. Es dauerte nicht lange, bis sie hinter der nächsten Straßenecke verschwanden. Sie hatten Handys. Die Stadt war nicht groß. Keiji machte sich erst einmal keine Sorgen.

 

Außerdem konnte er bald Bokutos „Hey hey hey!“ laut und deutlich hören. Er würde sie wiederfinden. Er fand sie immer wieder, egal, wo sie sich jetzt wieder verliefen.

 

 

Ihr Fangenspiel endete natürlich damit, dass Bokuto auf ganzer Linie gewann – wie auch immer genau das gehen sollte –, und natürlich erzählte er Keiji sehr laut und sehr euphorisch davon. Inzwischen hatten sie einen kleinen Spielplatz gefunden, der etwas abgelegen von den belebteren Ecken des Dörfchens war. In den Sandkästen stand das Wasser, und wenn sie nicht aufpassten, versanken sie knöcheltief in den Pfützen. Die Spielgeräte waren genauso nass, aber das hatte Bokuto und Kuroo nicht daran gehindert, sich einen Platz auf dem Klettergerüst zu suchen und sich dort breitzumachen.

Keiji war ihnen schlussendlich gefolgt, damit Bokutos Erzählung vielleicht nicht mehr ganz so laut sein würde.

„Du hättest das sehen müssen, Akaashi!!! Ich war total cool! Frag Kuroo! Nicht, Bro? Das war total der Hammer, wie ich dich da hinter der Straßenlaterne erwischt habe!“

Kuroos eher halbherzige Zustimmung ließ durchklingen, dass er die Großartigkeit nicht sah. An Bokuto ging der Tonfall verloren, genau wie es immer bei Konohas Aufmunterungssprüchen war.

„Ich bin sicher, es war beeindruckend, Bokuto-San.“

Ob nun gut oder schlecht beeindruckend, sei einmal dahingestellt.

„Hey hey hey! Ich bin eben der Beste!!! …anders als dieser blöde Tag.“

Der einfach wirklich überhaupt nicht angenehm gewesen war. Keiji seufzte stumm.

 

„Morgen wird es besser werden.“

 

Er hatte keine Ahnung, was morgen werden würde, und der Wetterbericht, den er auf seinem Handy abgerufen hatte, hatte auch nicht wirklich vielversprechend ausgesehen; Regenwahrscheinlichkeit bestand, und das nicht zu knapp. Aber es würde besser werden.

„Klar wird das besser“, brummte Kuroo. Er bewegte sich, wohl um sich einfach anders hinzusetzen. Sein Handrücken stieß dabei gegen Keijis Arm.

Es war Absicht.

Fragend warf er einen Blick zu dem anderen hinüber, dessen schiefes Grinsen in der Dunkelheit kaum zu erkennen war. Die nächsten Straßenlaternen waren einfach zu weit weg, um viel Licht zu spenden.

 

„Entschuldige, Keiji.“

 

Keijis Mundwinkel zuckten.

Solange sie sich entschuldigen konnten, sprach doch nichts dagegen, es zu versuchen.

Er streckte den Arm aus, klopfte leicht gegen Kuroos Schulter.

„Gleichfalls, Tetsurou-San.“

Kuroos Blick entgleiste für einen langen Moment. Bokuto sah zwischen ihnen hin und her, als hätte er irgendetwas verpasst. Hatte er, irgendwie, aber es war nichts, das Keiji ausgetreten wissen wollte, denn er wusste selbst nicht genau, was es war. Ein Hinweis auf den Balletttanzenden Russen lenkte ihn immerhin wieder ab – und ließ Keiji die Augen verdrehen. Bei der dichten Wolkendecke war das nicht-existente Sternbild überhaupt nicht zu sehen. Kuroo und Bokuto ließen sich trotzdem nicht davon abhalten, nach ihm zu suchen.

Es war vertraut, so idiotisch es war.

 

Und es war allemal besser als Stille und Streit.

 

 

Der Regen begann wieder, als sie auf halbem Weg zurück zum Hotel waren. Erst ein leichtes Nieseln, das man wunderbar ignorieren konnte, doch innerhalb von wenigen Minuten entwickelte es sich zu einem wahren Wolkenbruch. Es dauerte danach keine zehn Sekunden mehr, bis sie völlig durchnässt waren. Keiji sah schon den nächsten Weltuntergang vor sich, auf den er wirklich dankend verzichten konnte – eine Apokalypse am Tag war einfach genug. Eine Apokalypse im Jahr war schon genug, aber nach so viel Zeit als Bokutos ständiger Begleiter hatte Keiji eine ganz andere Toleranz gegenüber Weltuntergängen entwickelt.

„Jetzt ist es auch schon egal“, kommentierte er trocken. Kuroo warf ihm einen skeptischen Blick zu, Bokutos changierte zwischen Unglück und Hoffnung. Keiji zuckte mit den Schultern und grinste, weil ihm langsam auch nichts besseres mehr einfiel.

„Wir sind schon nass. Jetzt haben wir auch nichts mehr zu verlieren. Ihr habt jetzt dreimal gegen mich verloren. Wollt ihr eure Ehre nicht langsam wiederherstellen?“

„Hey hey hey! Wir machen dich fertig, Akaashi!!!“ – „Genau! Bilde dir mal nichts ein! Du hast doch mit gezinkten Karten gespielt!“

Hatte Keiji nicht. Er hatte einfach nur Glück gehabt.

 

(Und herausgefunden, dass Kuroo, obwohl ein hervorragendes Pokerface, trotzdem Macken hatte, die seine Karten verrieten.)

 

 

Es war am Ende Bokuto, der gewann, nachdem sie sich darauf geeinigt hatten, dass der Gewinner wohl derjenige war, der die anderen am Schnellsten fangen konnte. Und Bokuto war einfach schnell, da führte kein Weg dran vorbei.

Er war in völliger Hochstimmung, während sie atemlos und erschöpft endlich endgültig den Rückweg antraten. Sein Haar hing ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, Kuroo sah auch keinen Deut besser aus. Keiji war sich sicher, bei ihm sah es genauso aus.

 

„Beim nächsten Mal sollten wir das gleich so machen“, kommentierte Kuroo nach einer Weile mit einem erleichterten Seufzen. Er war offensichtlich genauso froh wie Keiji, dass der verdammte Tag doch noch ein friedliches Ende gefunden hatte.

„Besser, es gibt gar kein nächstes Mal, Bro! Soll der Regen doch warten, bis wir unseren Roadtrip beendet haben! Akaashi hat sich so viel Mühe mit der Planung gegeben!“

„Die trotzdem viel zu oft todlangweilig ist!“ Kuroo lachte. Bokuto sah ihn an, als wollte er ihm zustimmen, dann schüttelte er den Kopf, dass die Wassertropfen flogen.

„Trotzdem! Nichtmal der Himmel darf Akaashis Mühe ruinieren!“

„Das darfst nur du, huh?“ – „Ja, wenn’s halt langweilig ist…“

Keiji schüttelte den Kopf, amüsiert, resigniert. Aber… es war okay. Gerade war er zufrieden, wie es war.

 

„…hey. Akaashiii…?“

„Hm?“

„Seit wann nennt ihr euch beim Vornamen?“

„Tun wir nicht, Bro. Das war ne Ausnahme!“

„Also tut ihr’s wohl! Das ist nicht fair!“

„Bro – Koutarou. Alles cool!“

„…das klingt komisch. Lass das!“

„Siehst du? Sag ja, Ausnahme.“

„Aber–!“

„Koutarou-San.“

„E-eh? Akaashiiiiii?!“

„Jetzt ist es fair.“

„Gar nicht!!!“

„Hm?“

„Keijiiiiiiiiii! Jetzt ist es fair! Hey hey hey!!!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Done
2016-09-07T17:51:24+00:00 07.09.2016 19:51
Emo-Modus incoming. Nenn mich Sadistin, aber ich musste tatsächlich beim Lesen schmunzeln. Mir tat Bokuto aber schon leid, er hatte sich so lange gefreut und macht nun ein langes Gesicht. Aber man kann nicht immer gutes Wetter haben.

Ehrlich gesagt dachte ich mir beim Lesen des Kapitels: „Goooooott, wie langweilig. Sitzen die Stunden im Auto und nichts passiert.“ Ja, ich habe tatsächlich auch etwas mitgelitten – mir war nämlich genauso langweilig 8D
Jedenfalls: du hast die drückende Stimmung prima hinbekommen. Und die Langweile, die man an Regentagen oft hat, weil man eben nichts machen kann.

Dass die Männer sich anschweigen, ist echt ungewohnt – auch für sie selbst. Ich kann verstehen, dass Kuroo versucht hat Bokuto etwas aufzumuntern, aber das war eben der Fehler. Es ist schon heftig, wie sich Bokutos Stimmung auf den Rest überträgt. Besonders auf Kuroo, aber ich denke, er hat ihn auch selten im Emo-Modus erlebt? Jedenfalls nicht oft genug, als dass er wüsste, wie man damit umgeht. Da hast du Kuroos und Akaashis Gegensätze schön zur Geltung gebracht. Da fragt man sich, wer eigentlich wirklich im Emo-Modus ist: Bokuto oder Kuroo.
Ich finde nämlich, dass Kuroo ein wenig „deprimierter“ (oder viel mehr: geladener) ist, als Bokuto. Mir kommt es sogar so vor, als würde der liebe Kuroo Streit suchen, als würde er nur darauf warten, Dampf abzulassen. Gott sei Dank hat Akaashi sich auf diesen Streit nicht eingelassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass da echt die Fetzen geflogen wären.
Ich mag es auch, dass du die Teilnahmslosigkeit von Bokuto selbst bei diesem kleinen „Streit“ so konsequent durchgezogen hast; ich hatte ja die leise Hoffnung, dass von ihm ein kleiner Kommentar kommt, aber nope.

Aaaaaah, die Griechen!
„Und so wurde der Tag wieder einmal gerettet und das verdanken wir den Powerpuff-Griechen!“ Mir egal, ob die es wirklich waren, aber die sind jetzt meine Helden, weil sie Bokuto unwissentlich aufgeheitert haben. Shhhhhht, wenn es nicht so sein sollte (u.ú)

Akaashi kann echt voll gemein sein! Schuppst der Kuroo einfach in eine Pfütze! Nasse Socken in Schuhen sind echt ekelig, wenn dass dann auch noch so platscht… Ich mag diese ganze Szene total. Die drei rennen quer durch die Stadt und spielen fangen, ohne eine andere Menschenseele. Schön, dass sie beim nächsten Mal direkt im Regen rumrennen wollen. So gehört sich das! Badesachen anziehen und ab – im Regen tanzen gehen. Ich hoffe nur, die haben Wärmedecken oder so, damit sie nicht wirklich krank werden 8D

Und die Vornamen… OMG. So many feels. ___(:3
Na, ganz fair war es aber dann doch nicht, wenn ich mich nicht vertue, muss Bokuto Kuroo auch noch beim Vornamen nennen 8D

>Solange sie sich entschuldigen konnten, sprach doch nichts dagegen, es zu versuchen.
Dieser Satz ist so viel Liebe, eh. Und das ist nach einem Streit doch das Wichtigste: dass man sich eingestehen kann, dass es einem leid tut und / oder man Unrecht hatte. Das kann echt schwer sein. Ich war überrascht, dass Kuroo den ersten Schritt macht und sich entschuldigt., ich dachte eher, Akaashi würde das machen. Aber dann wiederum finde ich, Akaashi würde sich sofort entschuldigen und es nicht aufschieben. Kuroo ist für mich eher der Typ, der explodiert und dann abkühlen muss, bevor die Einsicht kommt.

Und jetzt frage ich mich, wie ein wütender Bokuto aussehen würde… Wahrscheinlich würde ihn ein Streit so sehr runterziehen und verletzen, dass er sofort in einen Emo-Modus fällt (>__<“)


LG! (❛▿❛✿)
Antwort von:  Puppenspieler
20.09.2016 18:00
I'm sorry for endlose Verspätung :'D

Hey, irgendwo musste der Emo-Modus kommen. XDDDDDDDDD Und du bist echt ne gemeine Sadistin! Der arme Bokuto D:
Hmmmm... ist das echt noch ein Kompliment, dass dir beim Lesen langweilig war? |D Danke jedenfalls! :'D Und dann Hut ab, dass du trotzdem geschafft hast, das ganze Kapitel zu lesen! XD ♥

Jaaa, Kuroo hat wohl echt zu wenig Emo-Mode-Erfahrung, um wirklich gut damit umgehen zu können... xD Kein Wunder, dass ihn das schlaucht! Ich denke, für ihn ist Hilflosigkeit einfach echt scheiße - und macht entsprechend aggressiv. :'D
Ist wirklich gut, dass Akaashi da nicht drauf eingegangen ist.

Ach doch! Die Griechen haben den Tag gerettet! XD

Ach was... das war gar nicht gemein. Kuroo hätte mehr als nur nasse Socken verdient! XD Es stimmt aber schon - man sollte sich vom Wetter einfach nicht runterziehen lassen, es macht ja auch nichts besser. Es ist gut, dass die Jungs das noch gelernt haben. |D
Für den nächsten Roadtrip... und den danach. Und den danach... |DDDDDDDDD

Ach was! XD Das ist nun fair genug! XD Nachher fangen sie sonst an, Strichliste zu führen, wer wen wie oft wie genannt hat... XDDDDDDDDDDDD

Oh ja, das stimmt! Nach nem Streit einlenken zu können ist echt wichtig.
Und ich glaube auch, Akaashi wäre jemand, der sich schnell entschuldigt, wenn er es als angebracht empfindet. Kuroo ist für eine schnelle Entschuldigung echt zu hitzköpfig. :'D

Oh bitte nicht! Einen wütenden Bokuto will niemand. Ich stelle mir das unglaublich erschreckend vor... und wahrscheinlich würde er verdammt laut und grob werden, und im Nachhinein unglaublich an seinem eigenen Ausraster leiden. D: Bokuto ist viel zu lieb für Wutanfälle. .-.

Danke für deinen Kommentar!*^* ♥


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