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Bitte, vergib mir!

von

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Die Farbe der Wolken

„Wir bitten Sie nun, Ihre Sicherungsgurte wieder anzulegen und Ihre Sitze in eine aufrechte Position zu bringen. In Kürze beginnen wir mit dem Landeanflug.“


 

Als diese Worte durch die Kabine des A380 hallen, in dem ich mich seit einigen Stunden befinde, breitet sich schleichend ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend aus. Was genau dieses Gefühl ist, kann ich selber nicht sagen, aber ich definiere es für mich als eine Mischung aus Angst, Ungewissheit und leichter Vorfreude.
 

Mit meiner rechten Hand streiche ich mir sanft meine verworrenen Haare, die ich mir der Einfachheit halber zu einem kleinen Zopf gebunden habe, aus dem Gesicht. Dabei fällt mein Blick auf das Fenster, welches sich direkt zu meiner Linken befindet.
 

Kurz betrachte ich mich mein eigenes Spiegelbild, aus dem gerade meine Augen, deren Farbe oft mit der von Rubinen verglichen wird, hervorstechen. Doch im Moment fehlt das Leuchten in ihnen, was das ungute Gefühl in mir nur noch verstärkt. Aber jetzt fällt mein Blick auf eine scheinbar völlig andere Welt. Außerhalb des sicheren, warmen Raumes, in dem ich mich gerade befinde, scheint ein ebenso großes Gemisch wie in meinem Herzen zu herrschen. 

Während sich am Fenster selbst in der unteren, rechten Ecke kleine Eiskristalle gebildet haben, die nun nach und nach durch die steigende Außentemperatur aufgelöst werden, treffen auf der von dem Flugzeug erreichten Höhe die unterschiedlichsten Komponenten aufeinander.
 

Über uns prangt der noch von der Nacht gezeichnete Himmel, welcher den Sternen eine sichere Herberge bietet. Ich blicke in eine schier unendliche Dunkelheit, die mich zu verschlingen droht und ich muss mich durchaus bemühen, meinen Blick nicht in ihr zu verlieren. Vereinzelt glitzern noch Sterne auf und zerreißen das Bild des schwarzen Loches. Sie verbreiten ein Gefühl von Sicherheit in mir, da wohl auch in der tiefsten Dunkelheit das Licht niemals verloren geht. 

Doch länger kann ich mich nicht mit dem Himmel beschäftigen, weil etwas anderes in den Fokus meines Blickes fällt: Wolken. Der Sinkflug zur Landung scheint bereits in vollem Gange zu sein, was ich daraus schließe, dass das Flugzeug langsam durch die dicke Wolkendecke gleitet. Eine große Fläche weißer Reinheit nimmt die Aussicht aus dem Fenster ein. Ein Gemisch aus grau und weiß vernebelt mir die Sicht auf das markante Blau des Himmels und auch das Licht von dessen Sternen erreicht meine Augen nicht mehr. Obwohl einzelne Wolken so leicht und dünn wie Zuckerwatte sind, werden sie in der Menge zu einer undurchschaubaren Mauer, die unfassbar mächtig wirkt. 

Doch auch diese Stärke ist nur ein Trugbild, das sogleich seine Wirkung verliert, als das Flugzeug weiter in Richtung Erdboden steuert. Je tiefer es sinkt, desto mehr verändert sich meine Umgebung. Mit jedem Meter, der mich dem Grund näher bringt, wird die Mauer der Wolken geschwächt und die zuvor existente kalte Reinheit weicht langsam einem farbenfrohen Spektakel, das durch die allmählich aufgehende Sonne ausgelöst wird.
 

Diese riesige Scheibe, die sich gerade ihren Weg über das Himmelszelt bahnt, lässt die Wolkendecke ihre schönste Seite zeigen. Der vor wenigen Momenten noch so einschüchterne Nebel erstrahlt mit einem Mal in den wundervollsten Farben und die wärmenden Strahlen der Sonne offenbaren eine komplett neue Facette der gesamten Kulisse. Gelb, Orange, Rot, Rosa, Violett - Der Himmel leuchtet geradezu in meinen Augen. Nachdem ich dieses Funkeln in meinem Spiegelbild erblickt habe, schweifen meine Gedanken wieder kurz ab. Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich diese Vielfalt mit meinen Emotionen vergleiche, die in meinem Herzen toben.
 


 

Erst ein leichtes Tippen auf meine rechte Schulter weckt mich wieder aus meiner Art Trance. Kaum habe ich meinen Kopf in Richtung des Ganges gedreht, entdecken meine Augen eine junge Frau, die mir nett zu lächelt. Das rote um ihren Hals gebundene Tuch lässt mich erahnen, dass es sich bei ihr wohl eine Stewardess handeln muss, woraufhin ich mich unsicher frage, was sie wohl von mir verlangen würde.
 

„Entschuldigen Sie, aber ich muss Sie bitten, sich anzuschnallen.“

Einen Moment sitze ich einfach nur wie erstarrt auf meinem Platz und benötige einen kurze Zeit, um zu realisieren, was mir gerade entgegengebracht wurde. Doch kaum hatte die Nachricht mein Gehirn erreicht und war dort erfolgreich bearbeitet worden, machte sich eine leichte Röte auf meinem Gesicht breit. Erbarmungslos vertrieb sie die natürliche Farbe meines Gesichts und schien nun ein geradezu offensichtliches Aushängeschild für meine peinliche Berührung zu sein.
 

Nachdem durch meine ignorante Reaktion nun sämtliche Aufmerksamkeit der umliegenden Passagiere auf mir lag, verschlug es selbst mir unerwarteter Weise die Sprache. Auch wenn ich die vorangegangene Ansage des Piloten gehört und sogar verstanden hatte, entging es mir doch glatt, meinen eigenen Sicherheitsgurt anzulegen. Mit zittrigen Finger ergriff ich sofort die gesuchte Schnalle, woraufhin ich die beiden zueinander gehörigen Teile aneinander drückt, bis das von mir lang ersehnte Klick-Geräusch meine Ohren erreichte.
 

Und erst dann fand ich zumindest äußerlich zu meiner alten Form zurück und entschuldigte mich mit meinem charmantesten Lächeln bei der Stewardess, die in ihrem schwarzen Bleistiftkleid mit farblich zum Tuch passenden roten Gürtel weiterhin neben mir stand. Kaum war ich aus ihrem Blickfeld verschwunden, betrachtete ich zuerst den Bildschirm an dem Sitz meines Vordermannes, auf dem sehr detailliert die Flugroute mitsamt der aktuellen Position zu betrachten war. Durch eine einerseits rote und andererseits blau Linie wurden die Inseln, die beide meine Heimat waren, verbunden. Dadurch bemerkte ich erneut die große Distanz, die zwischen meinen zwei Leben lag und dass ich mich wohl mit meinen Abflug von einem der Beiden verabschiedet hatte. 

Es gibt kein Zurück mehr!

Ein weiterer Blick aus dem Fenster verdeutlicht mir dies noch einmal. Unter mir erscheint bereits die zweite Insel, auf der ich geboren und aufgewachsen bin, bevor ich mein zweites Leben begann. Das verhasste Gefühl in meinem Magen machte wieder auf sich aufmerksam und ich bin mir erneut wahnsinnig unsicher, ob es sich wirklich um das richtige handelt, was ich nun tue.
 

So viel habe ich vor meiner Abreise falsch gemacht, so viele Menschen verletzt. Einen der mir wichtigsten Menschen verletzt. Meine Freunde habe ich sitzen gelassen, nachdem wir unseren größten Erfolg hatten. Meiner Mutter und auch meiner Schwester bereitete ich unendlich viele Sorgen. Einer gewissen Person habe ich nicht einmal etwas über meine anstehende Abwesenheit erzählt.
 

Wie soll ich das alles nur wieder gut machen? 

Über meine Gedanken, meine Verzweiflung, meine Selbstvorwürfe hinweg verliere ich mein Gefühl für die Zeit und ehe ich mich versehe, stehe ich wieder mitten in der Realität.
 

Am Flughafen von Tokyo.



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