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Corpse Battle

Ein Shikamaru Nara-Krimi (zum Miträtseln)
von

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Exam/Extermination

Regel 9: Der dümmliche Freund des Detektivs, der Watson, darf dem Leser keine seiner Gedanken verschweigen. Seine Intelligenz muss ein wenig, nur ein wenig, unterhalb jener des durchschnittlichen Lesers liegen.

- Ronald A. Knox, aus den 10 Geboten für Detektivgeschichten

 

Mendokusai. Hoffentlich erfährt Temari nie davon.

- Shikamaru Nara

 

Es war der sechste Kampf und Shikamaru wusste mittlerweile genau, welche Art von Kämpfen er bei Chunin-Prüfungen bevorzugte. Nämlich solche, die schnell vorbei waren. Dieser gehörte eindeutig nicht dazu.

Er unterdrückte ein Gähnen, wohlwissend, dass Temari, obwohl auch sie sich auf den Kampf unten konzentrierte, es doch irgendwie sehen und ihn hinterher damit aufziehen würde. Sein Nacken begann allmählich auch zu schmerzen. Ganz toll.

Die Arena, in der die Finalkämpfe der diesjährigen Chunin-Prüfung stattfanden, sah so ähnlich aus wie die der Vorentscheidung in Konoha: Eine von Säulen getragene, hohe Halle, mit einer Galerie auf halber Höhe, von wo aus die Prüfer die Kämpfe verfolgten und die anderen Genin ihre Teamkollegen anfeuerten. Mittlerweile gab es nur noch wenige Zuschauer, was eigentlich etwas ungebührlich für den zweiten Halbfinalkampf war. Shikamaru wünschte, er könnte sich ebenfalls verdrücken. Zum Glück hatte er morgen um diese Zeit alles hinter sich. An die Papierarbeit, die er noch für Tsunade erledigen musste, dachte er lieber gar nicht erst.

Eben hatte dieser ungestüme, dunkelhäutige Junge aus dem Reich der Blitze seinen letzten Kunai verschleudert und ging mit bloßen Fäusten auf seinen Gegner los – was vielleicht nicht die schlaueste Entscheidung war. Der andere, der auf den knackigen Namen Rokken hörte und dessen ganzes Äußeres so unscheinbar wirkte, dass Shikamaru vergaß, wie er aussah, wenn er ihn auch nur kurz aus den Augen ließ, war ein Ausnahmetalent – obwohl das in diesem Jahr nicht wirklich was Besonderes war. Es gab dieses Mal etliche vielversprechende Kandidaten; dieser Junge jedoch beherrschte mit seinen gerade mal vierzehn Jahren bereits meisterhaft das Erdelement. Kurz vor seinem Körper fuhr eine Wand aus Stein aus dem Boden und fing die Faust des Blitz-Genin ab, dann raste der Felsblock mit ihm davon, um ihn an der Arenamauer zu zerquetschen.

Der Blitz-Genin packte die Kante, schwang sich auf den Steinblock und nahm eine Haltung ein, als würde er auf einem wütenden Büffel balancieren. Rokken riss seine geballte Faust zur Seite – und der Felsen änderte urplötzlich die Richtung. Mit einem überraschten Schrei wurde der Blitz-Genin von seinem Gefährt geworfen und landete wenig elegant im Staub der Arena. Ein unschönes Poltern ertönte dabei. Seine Teamkollegin in den Zuschauerrängen stieß einen wütenden Schrei aus. Shikamaru seufzte.

„Was denn? Ist es dir hier zu laut?“, fragte Temari spitzbübisch, die ihn gehört hatte. „Oder überlegst du, was du an seiner Stelle getan hättest?“

„Letzteres“, antwortete Shikamaru. „War doch klar, dass Rokken diesen Zug machen würde. Hat dieser Blitz-Junge noch nie was vom Trägheitsprinzip gehört?“

„Das ist das Prinzip, nach dem du seit Jahren lebst, oder?“, grinste sie.

Mendokusai. Warum nur hab ich das kommen sehen?“

Rokken riss nun beide Fäuste in die Höhe, und der Bewegung folgten zwei weitere Felsblöcke, die sich erhoben und auf seinen Gegner zufuhren. Man konnte nicht erkennen, ob dieser es schaffte auszuweichen, als sie mit zermalmender Wucht gegeneinander krachten und eine Staubwolke aufstieg.

Temari stieß einen Pfiff aus. „Man nennt ihn wohl nicht umsonst Rokken den Felsenschieber.“

Shikamaru hatte genügend Kämpfe gesehen, um zu wissen, dass es das noch nicht gewesen war. Tatsächlich schoss urplötzlich etwas silbern Glänzendes aus der dicken braunen Wolke und flog in einem weiten Bogen wie eine Sternschnuppe auf Rokken zu. Dieser schien instinktiv die Gefahr zu erkennen, die davon ausging, denn er floh mit weiten Sprüngen vor dem Glitzerding, das ihn hartnäckig verfolgte. Schließlich wurde es ihm zu dumm, er fand breitbeinig Stand und zückte seinen eigenen, letzten Kunai, um das Ding abzuwehren. Shikamaru strengte seine Augen an und konnte gerade so erkennen, dass die silberne Blase sich wie eine Schlange um das Wurfmesser schlang. Rokken stieß einen Fluch aus, ließ das Messer fallen und setzte wieder mit weiten Sprüngen zurück. Schließlich schaffte er es, eine Steinwand vor sich hochzuziehen, und das silbrige Etwas zerplatzte daran wie ein Wasserballon.

Und im selben Moment stieß direkt hinter ihm sein Gegner wie ein Falke zu Boden. Shikamaru hatte vorhin aus den Augenwinkeln gesehen, wie er per Chakrakontrolle eine der Säulen hinaufgelaufen war. Rokken war zu beschäftigt gewesen, um es zu bemerken. Der Felsenschieber tauschte einige Schläge und Tritte mit dem Blitz-Genin, als aus dessen Gürtelschlaufe eine weitere silberne Blase aufstieg und pfeilschnell in Rokkens Mund drang, als dieser Luft schnappen wollte.

Irgendwo in den Zuschauerrängen keuchte jemand auf. Rokken würgte und brach in die Knie, sein Gegner ging auf Abstand. Die blonde Blitz-Kunoichi auf der anderen Seite der Galerie, die schon den ganzen Kampf über nervtötend gelärmt hatte, stieß einen wilden Jubelruf aus. Ein leises Säuseln, wie Wind in trockenem Laub, und zwei erwachsene Kunoichi waren in der Arena gelandet: eine Prüferin und Rokkens Lehrerin Iwamoto-sensei – eine braunhaarige, schlanke Frau, die größer war als Shikamaru, inklusive seinem Zopf. „Hol es wieder heraus!“, befahl sie dem Blitz-Jungen scharf. Rokken würgte und keuchte. Shikamaru sah auf das Informationsblatt, in dem sämtliches Wissenswertes über die Teilnehmer vermerkt war. Es sah so aus, als wäre die Sache ziemlich ernst.

Der Blitz-Ninja murmelte etwas Beschwichtigendes, und auf sein Fingerzeichen hin blubberte das silberne Etwas wieder aus Rokkens Kehle, der daraufhin gewaltsam zu husten begann. Seine Lehrerin nickte grimmig, und die Prüferin untersuchte ihn sofort mit einem medizinischen Jutsu.

Das silbrige Zeug in der Hand des braunhaarigen Jungen löste sich in Rauch oder Dampf auf. Er verbeugte sich förmlich und ging auf die Treppe zu, die auf die Galerie führte. Er hatte einen guten Kampf geliefert. Shikamaru betrachtete nachdenklich das Bild des Genins auf dem Informationsblatt. Sein Name und eine Beifügung standen darunter. Igawa der Quecksilberninja.

Temari räusperte sich und rief laut: „Die zweite Halbfinalrunde ist hiermit beendet. Der Sieger ist Igawa aus Kumogakure!“

Igawas Teamkollegin, die lästige Kunoichi mit der kessen, blonden Frisur, die sich schon den ganzen Tag über Mühe gab, Shikamaru einen Tinnitus zu bescheren, freute sich definitiv mehr als der Genin selbst. Als er beschwingten Schritts die Treppe erklommen hatte, fiel sie ihm jubelnd und lachend um den Hals.

„Fiese Sache, das mit dem Quecksilber“, stellte Shikamaru an Temari gewandt fest. „Ich hoffe, dieser Rokken kommt klar.“

„Das wird schon.“ Sie sahen zu, wie die Prüferin und Iwamoto-sensei Rokken durch eine der Türen unten brachten. „Konoe ist eine Iryonin. Sie wird ihn behandeln, falls notwendig.“

Sie machten sich auf den Weg zu dem glücklichen Gewinner. Die meisten anderen scharten sich bereits um ihn. „Diese Chunin-Prüfungen sind echt rabiat. Ein Glück, dass wir das hinter uns haben“, meinte Shikamaru.

„Erinnere mich bloß nicht daran.“

„Warum? Weil ich dich besiegt habe?“

„Das auch. Aber … auch das andere.“ Temaris Stimme war leiser geworden.

Unbewusst wanderte Shikamarus Blick zu Gaara, der dem Kampf schweigend beigewohnt hatte. Er seufzte. „Naja, es ist echt viel passiert seitdem.“

„Du sagst es. Du bist noch fauler geworden.“ Offenbar hatte sie zu ihrem üblichen Selbst zurückgefunden.

„Und du noch lästiger.“

Die Genin standen in einem kleinen Grüppchen zusammen. „Dann bist du also morgen mein Gegner, aye? Igawa der Quecksilberninja. Freu mich schon.“ Ein Junge mit hellbrauner Struwwelfrisur patschte Igawa heftig auf die Schulter und grinste lässig.

Überhaupt war alles an ihm lässig. Seine Frisur, seine offene Weste mit dem pelzgesäumten Kragen – und das in der Wüste! –, sein ruhiger Blick, sein beständiges Kaugummikauen, als könnte er es nicht ausstehen, mal nichts im Mund zu haben, und sogar der Lederriemen, den er locker um die Brust geschlungen hatte. Sein Ninjaabzeichen prangte darauf, matt und zerkratzt. Shikamaru erinnerte sich noch gut an seinen Kampf. Er hatte mit Bravour das erste Halbfinale gewonnen und war damit der erste fixe Finalist geworden. Sasaro aus dem Reich des Wasserfalls. Das obligatorische Genie, von denen immer eines pro Chunin-Prüfung in höchsten Tönen gelobt wurde. Bei seiner eigenen war diese Rolle an Neji gefallen, hier war es Sasaro.

„Iga-chan wird dich in der Luft zerreißen, verlass dich drauf!“, antwortete statt Igawa seine Teamkollegin. Ihre Augen blitzten. Shikamaru mochte es gar nicht, wenn ihre Augen blitzten. So hatten sie auch während der zweiten Prüfung geblitzt; Shikamaru hatte es deutlich in den Videoaufnahmen gesehen. Vielleicht waren ihre blitzenden Augen auch ein Zugeständnis an ihre Herkunft, denn ansonsten deutete eigentlich nichts darauf hin, dass die vierzehnjährige Takki aus dem Reich der Blitze stammte. Ihre Haut war relativ hell, ihr Haar auffallend blond. Drescher-Takki nannten sie die anderen, und diesen Namen trug sie auch zu Recht.

„Wow, Iga-chan? Der wird ja immer furchterregender. Übrigens, Takki, bist du sicher, dass ihr aus‘m selben Dorf kommt? So wie du die ganze Zeit rumgeschrien hast, könnest du auch ein Schall-Ninja sein“, spottete Sasaro.

Meine Rede, dachte Shikamaru.

„Ich freu mich schon drauf, dich schreien zu hören, wenn du morgen im Finale zerfetzt wirst“, gab sie böse zurück. Ihre Augen blitzten immer noch. Kleine, elektrische Stöße schienen von ihren Pupillen in Sasaros und retour zu wandern.

„Okay, ist, ist gut jetzt. Hebt, hebt euch eure Energie für morgen auf.“ Igawas und Drescher-Takkis Sensei legte ihnen beiden eine Hand auf die Schulter und bugsierte sie mit sanfter Gewalt nach hinten, wo eine Tür von der Arena fortführte.

Takki drehte sich jedoch noch einmal um und rief Sasaro zu: „Ich bastel mir aus meinem Kissen und meiner Decke eine Puppe, nenne sie Sasaro und vermöbel sie dann ordentlich vor dem Schlafengehen!“

„Wenn’s dich glücklich macht“, erwiderte Sasaro nur, schob sich einen neuen Streifen Kaugummi in den Mund und gesellte sich zu seiner eigenen Teamkollegin, die schweigend etwas abseits stand. Die beiden waren ohne Sensei hier, weil ihre dritte Kameradin bei der Prüfung in der Wüste schwer verletzt ausgeschieden und ihre Lehrerin bei ihr geblieben war – oder etwas in der Art.

„So jung wie die müsste man nochmal sein“, seufzte Shikamaru, als er und Temari ebenfalls die Arena verließen. Die Prüfer würden sich noch kurz in einem nahegelegenen Büro besprechen, ehe es Abendessen gab.

„Sie sind alle um die fünfzehn, also gar nicht so viel jünger als wir“, gab Temari zu bedenken. „Eigentlich sind die meisten sogar älter als du bei unserer Prüfung damals.“

Shikamaru wollte etwas darauf erwidern, ihr sagen, dass diese Prüfung nicht wirklich zählte und er eigentlich auch gar nicht damit gerechnet hatte, als Einziger seines Jahrgangs zum Chunin ernannt zu werden, aber es war ihm dann doch zu mühsam.

Die letzte Runde der diesjährigen Auswahlprüfung fand an einem nicht gerade beschaulichen Ort statt. Es war ein dreistöckiger, runder Turm, der mitten in der Wüste viele Meter aus dem Sand ragte. Eigentlich war es kaum mehr als ein unförmiger, dottergelber Klotz, der von Dutzenden Gängen durchlöchert war und Shikamaru wie ein riesiger Termitenhügel vorkam.

Es war ein Wunder, dass es hier Strom gab; lieblose Lampen prangten alle paar Meter an der Decke des Ganges und tauchten alles in blasses, kaltes Licht. Bei einigen sah man sogar die bunten Kabel, die über den Fels krochen und in kleinen Löchern verschwanden. Entsprechend trist war der Gang, den sie entlanggingen: Gelber Boden, gelbe Wände, gelbe Decke, kein Schmuck und natürlich keine Pflanzen oder auch nur irgendetwas, das den Aufenthalt hier behaglicher machte. Laut Temari war der Turm die meiste Zeit über unbewohnt, und niemand hielt sich hier für mehr als ein paar Tage auf. Der perfekt desolate Austragungsort für die Chunin-Prüfungen, die schon seit längerem als extrem anfällig für Komplotte und Putschversuche und alle möglichen finsteren Überraschungen galten.

Shikamaru war nicht überrascht gewesen, als man ihm gesagt hatte, dass er wieder einmal Prüfer sein sollte. Immerhin hatte er dieses Mal selbst keine Aufgaben erfinden müssen, sondern durfte sich mit einer Rolle als Beobachter begnügen. Ein weiterer erfreulicher Umstand – zumindest für ihn – war, dass es dieses Mal relativ wenige Teilnehmer in die Endrunde geschafft hatten. Gut die Hälfte der Genin war durch die schriftliche Prüfung gerasselt, die in Sunagakure abgehalten worden war. Die zweite Prüfung war auf das übliche Schriftrollen-Abknöpfen hinausgelaufen. Das Pendant zum Wald des Todes war hierzulande eine riesige, von Ruinen durchzogene Wüste, in der echter Überlebensgeist gefragt war. Diese Prüfung war frühzeitig abgebrochen worden, da ein fürchterlicher Sandsturm aufgezogen war, der selbst die Überwachung unmöglich gemacht hatte. Die Genin hatten somit einen halben Tag weniger Zeit gehabt als ursprünglich geplant, zwei verschiedene Schriftrollen zu ergattern. Wer den Turm in der Wüste ohne sie erreicht hatte, war durchgefallen. Die Suna-nin waren da verdammt hart.

So hatte die dritte Prüfung mit zehn Teilnehmern begonnen. Eine Kunoichi war, wie erwähnt, schwer verletzt ins Dorf zurückgebracht worden, eine weitere hatte schon die Wüste so verängstigt, dass sie nicht weitermachen wollte, und ein Junge war ebenfalls zu verletzt gewesen. Die acht verbleibenden hatten sich perfekt in eine Turnierstruktur einteilen lassen.

Und nun war der ganze Ärger bald vorbei. Den Finalisten wurde bis morgen Zeit gegeben, um ihre Kräfte zu regenerieren, und dann würde die diesjährige Chunin-Auswahl enden. Hoffentlich flaute bis dahin auch der Sturm wieder ab. Nach Beginn der Semifinal-Kämpfe war er wieder über die Wüste hereingebrochen, als hätte er seit der zweiten Prüfung nur mal kurz nach Luft schnappen müssen, um mit ungeminderter Härte weiterzuwüten.

Auf dem Weg zum Büro der Prüfer kam ihnen aus einem Seitengang Konoe entgegen, die medizinische Kunoichi, die Rokken behandelt hatte. „Wie geht es ihm?“, fragte Temari. Rokken der Felsenschieber war immerhin ein Genin aus ihrem Heimatdorf.

„Gut, den Umständen entsprechend. Das Quecksilber scheint keinen bleibenden Schaden angerichtet zu haben“, sagte Konoe mit klingender Stimme. Immer, wenn sie sprach, hörte es sich an, als würde sie singen. Sie trug die in Sunagakure übliche Jonin-Tracht. Ihr auffälligstes Merkmal waren ihre feuerroten Haare, die sie sich zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Shikamaru fragte sich, ob sie wohl gefärbt waren.

„Freut mich zu hören. Für einen kurzen Moment dachte ich, dieser Igawa wollte ihn damit umbringen.“

„Ich glaube nicht, dass er das getan hätte“, erwiderte Konoe. „Er wollte einfach sicherstellen, dass die Runde an ihn geht. Iwamoto-san meint trotzdem, sie wolle mit seinem Sensei mal ein ernstes Wörtchen reden.“

„Würde ich wohl auch, wenn man meinen Schüler vergiftet“, meinte Shikamaru. „Andererseits, was hat sie erwartet? Das sind die Chunin-Prüfungen.“

Sie hatten das Büro erreicht, eine einfache, dünne Holztür, auf die mit verblichener Farbe Prüfer geschrieben stand. Konoe öffnete und ein runder, mit einer massiven Tafel und dazu passenden Stühlen ausstaffierter Raum nahm sie auf.

Sie waren nicht die Ersten. Auf einem der Stühle lungerte bereits ein junger Mann herum, die Füße auf dem Tisch, und spielte gelangweilt mit einem Kunai. Shikamaru erkannte ihn als einen der Prüfer, aber er war erst am heutigen Tag zu ihrem Kollegium gestoßen und Shikamaru hatte seinen Namen noch nicht mitbekommen. Der Mann hatte helles, modisch geschnittenes Haar und trug braune, ärmellose Kleidung. Das Zeichen von Sunagakure war in seine Gürtelschnalle graviert. Als die drei eintraten, hellte sich seine Miene auf.

„Wen haben wir denn da? Dein Anblick versüßt einem den Tag, Konoe-chan, weißt du das?“

„Ja, ich weiß. Etwas Ähnliches hast du heute schon mal zu mir gesagt“, erwiderte die rothaarige Kunoichi mit einem leichten Lächeln.

Der Mann bedachte Temari mit einem flüchtigen Blick, sagte aber kein Wort. Sie gab sich ebenso Mühe, ihn zu ignorieren, und setzte sich. Dann nickte er Shikamaru zu. „Der Prüfer aus Konoha, richtig? Wir hatten noch nicht das Vergnügen. Du kannst mich Manjo nennen. Ohne -san. Manjo reicht.“ Temari zischte etwas, so leise, dass selbst Shikamaru es nicht verstand.

„Shikamaru“, erwiderte er und verbeugte sich kurz. Etwas an Manjos Lächeln störte ihn. Irgendwie wirkte es … hämisch. Als würde der andere auf ihn herabsehen.

„Fehlt also nur noch der Kazekage“, stellte Manjo schließlich fest, als auch die übrigen Platz genommen hatten. „Komisch. Hätte eher erwartet, dass eines der Mädels sich mal wieder verspätet. Wo er wohl so lange bleibt?“

„Gaara wird dir schon noch seine Aufwartung machen“, sagte Temari kühl, die Augen geschlossen, als versuchte sie ihn nach Kräften auszublenden.

Manjo stützte den Kopf auf seine Hand und den Ellbogen auf den Tisch und musterte sie nachdenklich. „Du wirkst angespannt, Temari-chan“, sagte er dann und fügte grinsend hinzu: „Soll ich dir den Nacken massieren?“

Shikamaru hob überrascht die Augenbrauen. Er konnte sich nicht erinnern, je irgendjemanden so mit Temari reden gehört zu haben. Er fragte sich, welche gemeinsame Geschichte die beiden verband.

Mit einem lauten Knall stellte Temari ihren übergroßen Fächer neben sich ab. „Du lernst nie dazu, oder?“, fragte sie gefährlich leise.

Nun hob Manjo abwehrend die Hände und lachte verlegen. „Nicht doch, das war doch nur ein kleiner Scherz. Aber siehst du, du bist …“

„Im Gegensatz zu dir mache ich keine Scherze“, unterbrach sie ihn und die drückend heiße Wüstenluft in dem Raum schien um etliche Grad kühler zu werden. Temari sah Manjo immer noch nicht an, aber er wurde von Gaara daran gehindert zu antworten, der eben das Büro betrat und die Tür hinter sich schloss.

„Wir sind vollzählig“, stellte der Kazekage fest und setzte sich. Er trug seine blauweiße, formelle Robe. „Fangen wir also gleich an.“

Damit begann der ermüdendste Teil vor dem Abendessen. Die fünf Prüfer gaben je ihre Meinungen zum Besten, welcher der Genin sich besonders gut gehalten hatte, welcher trotz seines Ausscheidens vielleicht doch als Chunin infrage kam, und wie sie die Kämpfe insgesamt fanden. Nach Shikamarus Ansichten fragten sie besonders häufig, wohl weil er der einzige ausländische Prüfer war. Ursprünglich hätte noch jemand aus dem Reich der Blitze kommen und Genma hätte Shikamaru begleiten sollen. Der Blitz-Jonin war allerdings erkrankt und Genma von Tsunade auf eine Spezialmission geschickt worden, und so hatte sich Shikamaru umringt von Suna-nins wiedergefunden.

„Ich finde, diese … wie heißt sie noch … Drescher-Takki, die könnte das Zeug zum Chunin haben. Für ein Mädchen hat sie einiges drauf“, sagte Manjo und blätterte halbherzig durch seine Dokumente.

„Sie ist schon in der ersten Runde ausgeschieden“, erinnerte ihn Konoe.

„Weil sie gegen Igawa antreten musste. War eben Pech, dass sich das Dorf der Blitze untereinander bekämpft hat. Igawa ist mit seinem Quecksilber auf Fernkampf spezialisiert, und das auf eine sehr fiese Art. Stellt euch vor, Drescher-Takki hätte gegen den Felsenschieber gekämpft. Sie hätte seine Verteidigung zerdeppert wie nichts.“

Drescher-Takki … Rokken der Felsenschieber … Offenbar war es bei den Youngstern gerade üblich, sich hübsch klingende Spitznamen zu geben, dachte Shikamaru.

„Du hast es gerade selbst gesagt“, murmelte Temari übellaunig. „Takki kommt aus dem Reich der Blitze. Wir haben nicht zu entscheiden, ob sie in den Rang eines Chunin erhoben wird. Konzentrier dich gefälligst auf die Ninjas aus unserem Dorf.“

Manjo seufzte theatralisch. „Schön, schön. Aber wir dürfen doch Empfehlungsschreiben an die jeweiligen Kage schicken. Ich bin dafür, wir empfehlen Takki. Was meinst du dazu?“

Shikamaru brauchte eine Weile, bis er erkannte, dass er gemeint war. Er ließ sich mit der Antwort Zeit. „Takki, ja? Ich bin dagegen, sie zum Chunin zu machen.“

Drescher-Takki aus dem Reich der Blitze war in der zweiten Prüfung ziemlich auffällig gewesen. Wann immer sie und ihr Team gegen andere Teams gekämpft hatten, war sie zu einem blonden Wirbelwind geworden und hatte alles kurz und klein gehauen, was ihr im Weg gestanden war. Als der Sandsturm eingesetzt hatte, waren Takkis blitzende Augen das Letzte gewesen, was die Kameras aufgenommen hatten. Nachdem die Finalisten den Turm erreicht hatten, hatten die Prüfer erfahren, dass sie noch während des Sturms einem Gegner so gut wie sämtliche Knochen im Leib gebrochen hatte. Sie war eine Berserkerin, und sie war unberechenbar.

„Ich bin auch dagegen“, sagte Gaara. „Stärke will kontrolliert sein.“

„Also schön“, seufzte Manjo.

„Ich finde, Rokken war ziemlich gut“, sagte Konoe. „Er ist noch keine fünfzehn und beherrscht das Erdelement. Er hat es weit gebracht, ohne dass er ein Kekkei Genkai besäße wie Igawa.“

Temari und Shikamaru nickten, Manjo schien nicht interessiert. Sie redeten noch eine Weile und kamen schließlich zu genau jenem Schluss, den Shikamaru erwartet hatte: nämlich dass sie sich morgen den Endkampf ansehen würden, ehe sie ihr Urteil fällten.

Shikamarus Magen knurrte bereits vernehmlich, als sie ihre Sachen zusammenpackten und aufstanden. Manjo flüsterte Konoe etwas ins Ohr, wobei er ihr rotes Haar sanft zur Seite strich, obwohl es gar nicht im Weg war. Die Kunoichi kicherte leise und ein rosa Schimmer erschien auf ihren Wangen. Shikamaru bemerkte, dass Temari den beiden abfällig hinterhersah, als sie das Büro verließen. „Kann es sei, dass du was dagegen hast, dass sie miteinander turteln?“, hörte er sich fragen.

„Überhaupt nicht“, behauptete sie. „Ich hab nur was gegen ihn.“

„Wieso?“

„Hast du nicht bemerkt, wie er …“ Temari seufzte. „Du kennst ihn nicht, sagen wir’s so. Er heißt zwar Manjo, aber Macho würde besser passen. Wie er da mit Konoe getuschelt hat, so tuschelt er mit jeder. Er schmeißt sich ausnahmslos an alles ran, was weiblich und nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dabei behandelt er Frauen trotzdem völlig von oben herab, ein bisschen so wie du früher. Außerdem hält er sich für unwiderstehlich und ist arrogant wie kein Zweiter. Hab ich was vergessen?“

Shikamaru hob eine Augenbraue. „Mit jeder? Soll das heißen, er hat’s bei dir auch versucht?“ Er stellte sich vor, wie Manjo Temari etwas ins Ohr hauchte und sie kichernd errötete. Das Bild wollte nicht in seinen Kopf.

„Versucht, ja. Seitdem würdigt er mich kaum eines Blickes, nur ab und zu lässt er dämliche Bemerkungen fallen. Ich glaube, er hat ein Problem mit starken Frauen.“

Nun stellte Shikamaru sich vor, wie Temari auf Manjos Aufreißersprüche mit einem Schlag ihres Fächers reagierte. Die Szene gefiel ihm schon besser.

„Klingt für mich trotzdem mehr nach einem Casanova als einem Macho …“, begann er, begegnete aber einem Blick, der Gestein in blubbernde Lavapfützen hätte verwandeln können. „Aber du kennst ihn natürlich besser als ich“, fügte er eilig hinzu.

 

Das Abendessen wurde in der Kantine aufgetragen. Gegenwärtig befanden sich nur dreizehn Personen im Wüstenturm, und die Tische waren zu zwei Tafeln zusammengerückt worden. An einer saßen die Prüflinge und ihre Senseis. Vielleicht war das eine Geste, die die Freundschaft zwischen den Dörfern symbolisieren sollte, deren Genin dieser Tage vor allem eins waren: Rivalen. Um die andere Tafel herum saßen die Prüfer. Gaara blieb dem Essen fern, und Rokken fehlte ebenfalls. Als Temari Konoe darauf ansprach, sagte sie, dass er noch das Bett im Arztzimmer hütete.

Es wurden nicht gerade Köstlichkeiten aufgetischt. Shikamaru hatte keine Ahnung, wer gekocht hatte. Vielleicht gar niemand. Der Brei sah aus, als wäre er einfach in der Sonne erhitzt worden – oder als hätte man heißen Sand beigemengt, was die Farbe erklären würde. Dann gab es noch Hühnerkeulen und Reis und zum Trinken brackiges Wasser und dünne Limonade.

Bei nur vier Prüfern entkam natürlich niemand Macho-Manjos Charme. Er saß auffallend dicht neben Konoe und flirtete unentwegt mit ihr. Wann immer sein Blick Shikamarus traf, meinte dieser wieder ein verächtliches Schmunzeln auf seinen Lippen zu sehen. Nach allem, was Temari über Macho-Manjo erzählt hatte, dachte er in diesen Momenten sicher daran, um wie viel besser als Shikamaru er doch aussah. Temari hüllte sich in Schweigen, und Shikamaru, dem es ebenfalls zu mühsam war, nach einem Gesprächsthema zu suchen, verfolgte viel lieber, was auf dem Nachbartisch vor sich ging.

Am lautesten war natürlich mal wieder die blonde Takki. Ihre Stäbchen bohrten sich jedes Mal mit einer Wucht in ihr Essen, die ihrem Spitznamen alle Ehre machte. Neben ihr wirkte Igawa der Quecksilberninja fast schüchtern. Ruhig und besonnen aß er seinen Reis und hob nur dann und wann seinen dunklen Blick, um sich an den Gesprächen zu beteiligen. Umgekehrt war Drescher-Takki auch nur dann still, wenn ihr dunkelhäutiger Teamkamerad sprach. Nicht einmal ihrem Sensei brachte sie so viel Respekt entgegen.

Andererseits sah jener auch nicht aus wie eine Respektperson. Nigishima-sensei nannten ihn die beiden, aber unter den Suna-nin war er als Nigishima der Weiße Blitz bekannt. Angeblich hatte er sein persönliches Tausch-Jutsu entwickelt, das ihm nicht nur den Tausch von sich selbst mit einem unbeweglichen Objekt, sondern zweier beliebiger Objekte erlaubte – oder so ähnlich. Sein Beiname kam irgendwie von dieser Fähigkeit. Ansonsten wirkte er wie ein ziemlicher Versager: ungeschickt, einfältig und etwas dümmlich. Er war ein wenig wie Gai, nur nicht so laut und nicht so schlagkräftig. Und er stotterte zuweilen.

Den Blitz-Genin gegenüber saß Rokkens Lehrerin. Während Shikamaru abermals vergessen hatte, wie der Felsenschieber aussah, blieb sie einem viel eher im Gedächtnis: Iwamoto-san war eine eher stille, ernste Frau, und sie war die größte Person in diesem Zimmer. Ihre kerzengerade Haltung ließ das auch beim Essen sichtbar werden. Die meiste Zeit über wirkte sie reserviert, aber wenn ihr Blick zufällig den Igawas oder Nigishima-senseis streifte, wurde er eisig kalt.

Sasaro, das Genie, von dem alle redeten, war genauso lässig drauf wie immer. Shikamaru hätte zu gern gesehen, ob er Kaugummi kauend zum Essen erschienen war. Er unterhielt sich locker mit seiner Teamkameradin, die die meiste Zeit nur nickte, und schien sich plötzlich wieder glänzend mit Drescher-Takki zu verstehen. Eben riss er einen Witz über die Puppe, die sie basteln wollte, und Takki lachte lauthals.

Sasaros Teamkollegin rührte ihr Essen kaum an. Auch ihre Erscheinung war auffällig. Kyoko aus dem Reich des Wasserfalls war ziemlich klein geraten. Sie hatte orangerotes Haar und versuchte stets, so viel von ihrem Gesicht wie möglich in ihrem Kragen oder mit ihren Händen zu verstecken. Sie wäre mit ihren dreizehn Jahren die jüngste Teilnehmerin des Finalkampfes, wenn sie angetreten wäre. Sie war mit einer leichten Verletzung im Turm angekommen und hatte dann kleinlaut verkündet, dass sie lieber aus der Prüfung aussteigen wollte. Dennoch war sie hier geblieben, um Sasaro anzufeuern.

Und dann gab es da noch einen Teilnehmer, der sein Essen schweigend in sich hinein mampfte. Der Genin namens Anji war sechzehn und im ersten Halbfinale gegen Sasaro ausgeschieden. Er hatte rotbraunes Haar, trug legere Kleidung und war ziemlich muskulös, hatte aber eher mittelmäßige Fähigkeiten. Dennoch wirkte er auf Shikamaru besonnen und könnte vielleicht mal einen guten Strategen abgeben. Zu Beginn der Prüfung hatte es noch einen zweiten Ninja mit Namen Anji gegeben, und um sie auseinanderzuhalten, hatten die Prüfer ihm, seiner Herkunft wegen, den Spitznamen Reis-Anji gegeben. Umso interessanter fand es Shikamaru, dass Reis-Anji aus dem Reich der Reisfelder nur den Brei aß und den Reis links liegen ließ.

„Eigentlich sind wir zu wenige“, sagte plötzlich Konoe besorgt und riss Shikamaru aus seinen Gedanken.

„Was meinst du?“, fragte Manjo. „Reiche ich etwa nicht?“ Er strich ihr sachte über den Arm, doch sie schüttelte ihn ab.

„Ihr wisst doch sicher, was während der letzten Chunin-Prüfung geschah. Kazekage-sama wäre beinahe einem Attentat zum Opfer gefallen. Und die Prüfung davor, in Konoha …“ Sie verstummte und sah nur Shikamaru an. Er nickte wissend.

„Wir können da leider nichts machen. Mit Gaara sind wir fünf Prüfer, die schon im Turm waren, ehe der Sandsturm begonnen hat“, sagte Temari und spießte ein Stück Fleisch auf. „Für eine ordentliche Prüfung reicht das. Gaara wollte die letzte Runde nicht ausfallen lassen.“

„Ich schätze, er muss auch beweisen, dass das Land der Winde immer noch sicher ist, gerade nach den letzten Vorfällen“, überlegte Shikamaru. „Wenn er die Prüfung wegen dem Sturm abbricht oder verschiebt, werden die Leute glauben, er hätte Angst vor einem neuerlichen Attentat. Und ein ängstlicher Kazekage ist sicher nicht gerade beliebt.“

„Trotzdem behagt es mir nicht“, murmelte Konoe.

„Keine Sorge“, munterte Temari sie auf. „Die Zeiten sind jetzt viel friedlicher und Gaara wurde längst von allen als Kazekage akzeptiert.“

„Und außerdem sind Iwamoto-chan und der kleine Rokken-kun welche von uns. Selbst wenn die Ninjas aus den anderen Dörfern ein krummes Ding planen, sind wir in der Überzahl“, sagte Macho-Manjo unpassenderweise. „Also keine Angst.“

„Ich sage ja nicht, dass ich Angst habe“, entgegnete Konoe entschieden. Ihr Blick glitt auf den zweiten Tisch, wo sich Sasaro und Takki gerade um ein Stück Fleisch stritten. „Nur eine ungute Vorahnung.“

 

Shikamaru erinnerte sich an ihre Worte, als er spät nachts gezwungenermaßen noch einmal durch die Gänge im Wüstenturm trottete. Konoe wäre sicher froh zu wissen, dass jemand Patrouille ging – obwohl das gar nicht seine Absicht war.

Seufzend blieb er vor einem der Fensterlöcher stehen. Draußen heulte immer noch der Wind, der Sand rasselte und bildete Häufchen auf dem Fenstersims. In der Nacht war nichts zu erkennen außer Schwärze.

Schritte und ein glimmendes Leuchten kamen näher. „Das ist aber selten, dich während der Schlafenszeiten wach zu sehen“, stellte eine Stimme fest, die er nur zu gut kannte. Wie schaffte sie es nur immer, ihm überall hin zu folgen?

„Ich kann nicht einschlafen. Dieser lästige Sand trommelt ständig gegen die Mauer, und durch das Fenster rieselt er auch.“ Dabei war sein Fenster im Vergleich zu dem hier winzig. Es war die mieseste Unterkunft, die ihm seit langem jemand zugemutet hatte. „Und es zieht.“

Temari lachte leise. Sie war wie üblich ganz in Schwarz gekleidet; nur ihr Kopf und ihre Haare waren in der Düsternis zu sehen. Sie trug eine schmierige Öllampe, die auf ein kleines Flämmchen herunter gedreht war.

„Und was tust du noch hier?“, fragte er, nachdem sie beide eine Weile geschwiegen hatten.

Sie zuckte die Achseln. „Gaara hat mich gebeten, noch eine Runde zu drehen.“

„Also macht er sich doch auch Sorgen.“

„Sagen wir, er geht auf Nummer sicher. Du kannst mich begleiten, wenn du willst.“

Shikamaru sah in das Nichts hinaus, durch das Sandkörner wirbelten. „Warum eigentlich nicht?“

Während sie zu zweit die Gänge entlangmarschierten, fragte er: „Wie lange dauern solche Stürme eigentlich bei euch?“

„Unterschiedlich. Wir hoffen, dass er bis morgen vorüberzieht. Solange er anhält, wird Gaara niemandem erlauben, den Turm zu verlassen.“

„Hm.“ Shikamaru grübelte. „Irgendwie verstehe ich jetzt Konoes Vorahnung. Wir sind quasi von der Außenwelt abgeschnitten und sollen einen multinationalen Kampf abhalten, und das mit einigen sehr eifrigen Teilnehmern.“

„Ihr macht euch beide zu viele Gedanken. Das ist eine friedliche Prüfung.“

„Trotzdem. Irgendwie erinnert mich das Ganze an damals, als …“

Er wurde unterbrochen, als direkt vor ihnen Schritte laut wurden. Dann taumelte eine Gestalt um die Ecke und prallte zurück, als sie die beiden sah.

„Ihr seid’s. Habt ihr mich erschreckt“, nuschelte Macho-Manjo. Seine Frisur war irgendwie schief, und seine Augen glänzten glasig im Licht.

„Bist du betrunken?“, fragte Temari scharf.

„Nicht doch.“ Er wedelte grinsend mit einer Sake-Flasche vor ihrer Nase herum. „Angeheitert. Betrunken kann ich gar nicht werden. Den hab ich hier reingeschmuggelt. Dachte, Konoe-chan würde er schmecken.“

„Und? Schmeckt er ihr?“ Temari verschränkte herausfordernd die Arme.

„Woher soll ich‘n das wissen?“ Manjo warf pathetisch die Arme in die Luft. „Sie hat ihn ja nicht probiert. Hat mich einfach rausgeschmissen!“

„Vielleicht hätte dir jemand sagen sollen, dass Konoe Alkohol verabscheut“, sagte Temari ohne Mitleid. „Oder vielleicht auch nicht. Und du solltest den Rest in der Flasche lassen und jetzt schlafen gehen.“

„Und wenn ich keine Lust habe, heute allein zu schlafen?“, grinste er.

„Dann bleibst du eben wach.“

Manjo ließ ein abfälliges Zischen hören. „Wenn Konoe-chan ihn nicht will und du auch nicht … Es gibt ja noch andere hübsche Mädels hier. Die nicht so zickig sind.“ Damit torkelte er an ihnen vorbei. Shikamaru war es ein Rätsel, wie er sich in der Dunkelheit nicht den Hals brach.

„Ich hoffe mal, damit meinte er Iwamoto-san“, murmelte Temari düster, als sie weitergingen. „Am Ende macht dieser Idiot sogar noch den Genin-Mädchen schöne Augen. Ich sollte sie dringend mal vor ihm warnen.“

„Jetzt übertreibst du aber“, sagte Shikamaru und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ich finde ihn betrunken sogar sympathischer als nüchtern.“

Temari sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, als hätte er den Verstand verloren, dann lachte sie leise. „Komm weiter. Bringen wir die Runde zuende.“

Doch in den Gängen des Wüstenturms war nachts offenbar einiges los. Sie stiegen von der dritten in die zweite Etage hinunter. Hier hatten die Genin und ihre Senseis ihre Quartiere. Prompt wurden die beiden von Lärm begrüßt. „Bleib sofort stehen!“, schrie eine Stimme, die Shikamarus Ohren klingeln ließ.

Ein Schatten huschte an ihnen vorbei, schnell und lautlos, wie ein Ninja sein sollte.

„Du sollst stehen bleiben!“

Ihre Stimme und ihre trampelnden Schritte verrieten Drescher-Takki. Temari drückte Shikamaru die Öllampe in die Hand, griff blitzschnell zu und packte das Mädchen an der Schulter, als es an ihnen vorbeistürmen wollte. Verdutzt blickten helle Augen unter zerzaustem blondem Haar Temari und Shikamaru an, als hätte Takki weder die beiden noch ihre Lampe bemerkt.

„Ist irgendwas passiert?“, fragte Temari ernst.

„Ähm …“ Takki schluckte verdattert. „Nein, nichts.“

„Viel Lärm für nichts“, stellte Shikamaru fest.

„Ist irgendwas?“ Der Schatten kam nun auch zurück. „Temari-san. Shikamaru-san.“ Shikamaru erkannte Sasaro, das Genie. In der Hand hielt er ein Kissen, auf das jemand ein unförmiges Gesicht gemalt hatte. Hatte Takki ihre Drohung wahrgemacht und sich einen eigenen Sasaro gebastelt?

„Das fragen wir euch. Ist etwas passiert, oder warum lauft ihr mitten in der Nacht durch die Gänge?“ Temari hielt Takki immer noch streng an der Schulter gepackt.

„Hey, bleiben Sie cool“, wiegelte Sasaro in seiner typisch-lässigen Art ab. „Nichts passiert, ehrlich. Wir albern nur rum.“

Temari entspannte sich ein wenig, und Shikamaru auch. Es kam vor, dass sich Genin noch vor der letzten Prüfung gegenseitig aus dem Rennen werfen wollten. Aber die Sache mit dem Kissen … das konnte unmöglich etwas Ernstes sein. „Das geht doch sicher auch leiser, oder?“, fragte Temari nun freundlicher. „Es gibt nämlich Leute hier im Turm, für die Schlaf etwas Heiliges ist.“

Shikamaru kratzte sich am Kopf. „Mendokusai.

Drescher-Takki verzog das Gesicht. „Jaja. Alles klar, Großmütterchen.“ Sie riss sich los und stolzierte den Gang zurück.

„Takki, warte!“ Sasaro lief ihr hinterher.

Temari starrte ihr verdutzt nach, die Hand erhoben, als hielte sie immer noch Takkis Arm umklammert. „Hat sie mich eben Großmütterchen genannt?“, fragte sie verdattert.

„Du hast’s gehört.“

Sie schnaubte und strich sich die Falten auf ihrer Kleidung glatt. „Die Jugend von heute hat kein Benehmen mehr.“

„Wie war das, sie sind gar nicht um so viel jünger als wir?“

Dafür bekam er einen Knuff mit dem Ellbogen.

Sie setzten ihre Nachtpatrouille fort, umrundeten den oberen Teil der Arena, stiegen dann in das erste Stockwerk und gingen um den unteren Teil herum, bis sie vor dem steinernen Eingangstor standen. Von dort führte draußen eine Steintreppe zum Erdboden hinab. Hier fauchte der Wind besonders stark durch die großen, glaslosen Fenster. Wie Schneewehen ruhten Sanddünen in der Eingangshalle. „Kalt ist es hier“, meinte Shikamaru und fröstelte. „Die Temperaturen in der Wüste sind schrecklich. Tagsüber schwitzt man, nachts kann man vor Kälte kaum schlafen.“ Er warf einen Blick auf das kleine, in Eisen gefasste Thermometer im Fensterrahmen neben dem Eingangstor. Offenbar wollten die Suna-nin jederzeit wissen, wie heiß es draußen war, ehe sie den Turm verließen. Eine schlaue Idee. Allerdings war es ein ziemlich altmodisches Ding. „Das zeigt nicht mal an, wie kalt es wirklich ist. Könnt ihr euch hier keine Digitalanzeige leisten?“

„Es stammt noch aus der Zeit, bevor wir hier Strom hatten. Der Turm wird selten genug benutzt, niemand hat es je ausgetauscht. Willst du dich jetzt darüber beschweren, dass du nicht erfährst, wie kalt es ist, oder willst du lieber wieder unter deine Decke?“

„Decke klingt gut“, seufzte er. „Da fällt mir ein, wo genau kommt der Strom überhaupt her?“

„Es gibt ein paar Solarzellen, aber für den Fall, dass ein Sandsturm die Sonne verdeckt – wie heute –, haben wir dort drüben noch einen Generator.“ Temari deutete auf die Tür zu einer kleinen Kammer ganz in der Nähe. „Er wird mit in Schriftrollen gespeichertem Chakra gespeist. Eine ziemlich praktische Erfindung.“

Sie überprüfte noch, ob das Tor ordentlich verriegelt war, aber wer bei diesem Wetter durch die Wüste wollte, kam ohnehin nicht weit. Als sie zufrieden war, machten sie sich auf den Rückweg. Im dritten Stock verabschiedeten sie sich vor Shikamarus Kammer. „Dann gute Nacht“, sagte sie. „Mach deinem Ruf alle Ehre und schlaf gut.“

„Gerne. Gute Nacht.“ Er gähnte und betrat sein Zimmer, das wenig mehr als eine steinerne Zelle war. Die Sandkörner prasselten immer noch wie wild gegen die steinernen Wände. In der Arena, die sich im Zentrum des Turms befand, musste es viel ruhiger sein … Diese Wüste war einfach ein Albtraum.

 

Als er erwachte, war es kaum merklich heller, und der Sandsturm knirschte immer noch über die Mauern des Wüstenturms. Allerdings war es bereits deutlich wärmer. Shikamaru seufzte, schlug seine Decke fort und zog sich an. Wenn seine Vermutung, dass es bereits Morgen war, stimmte, war es ohnehin bald zu heiß zum Schlafen.

Im Gang angekommen, streckte er sich erst mal und gähnte ausgiebig. Weil er nicht wusste, wie spät es war, machte er sich auf den Weg zur Kantine. Er stieg in den zweiten Stock hinunter und folgte den gewundenen Gängen, als er einen der Prüflinge an einem Fenster stehen sah, vor dem ein Ameisenkrieg aus Sandkörnern tobte. Shikamaru erkannte Reis-Anji, den Jungen, der im ersten Halbfinalkampf ausgeschieden war. Sein rotbraunes Haar war noch zerzauster als üblich. Er war ein Stück größer als Shikamaru.

„Morgen“, gähnte Shikamaru.

Reis-Anji nickte ihm kurz zu. „Morgen.“

„Schon so früh auf den Beinen? Der Finalkampf ist doch erst um zehn.“ Zumindest vermutete er, dass es nicht später als sieben Uhr sein konnte.

„Ich stehe immer um diese Zeit auf. Und ich weiß nicht, ob ich mir den Kampf überhaupt ansehe.“

Shikamaru zuckte mit den Schultern. „Ohne jetzt neunmalklug wirken zu wollen, der Endkampf einer Chunin-Prüfung kann lehrreich sein.“

„Was kümmert mich das? Ich bin ausgeschieden. Wäre der Sturm nicht, wäre ich schon auf dem Heimweg.“

Nach der ersten Runde hatten etliche Genin mit ihren Senseis den Turm verlassen. Darum waren gegenwärtig auch so wenige Personen anwesend. Anji war sowieso als Einziger aus seinem Team erschienen. Nachdem Drescher-Takki seinen Kameraden in der Wüste übel zugerichtet hatte, waren sein anderer Freund und sein Lehrer bei ihm geblieben und versorgten ihn nun in Sunagakure.

Mendokusai, was ist nur los mit den diesjährigen Kandidaten?“, murmelte Shikamaru halblaut. „Ihr habt alle die falsche Einstellung. Man muss nicht gewinnen, um Chunin zu werden. Es ist nicht mal gesagt, dass der Sieger zum Chunin ernannt wird. Meiner Ansicht nach hast du sogar noch am ehesten die Chance dazu. Als Chunin muss man ein Team führen; bloße Kraft reicht da nicht aus.“

Anji sah ihn verwundert an, dann verzog er die Lippen. „Sie wollen mich nur aufmuntern.“

„Klar. Aber mit der Wahrheit. Kommst du mit in die Kantine?“

Nun wurde aus Anjis Lippen ein schmales Lächeln. Er löste sich von dem öden Anblick des Sturms und begleitete Shikamaru. „Wie war es denn bei Ihnen?“

„Was?“

„Naja, man sagt sich, Sie hätten es als Einziger bei Ihrer Prüfung zum Chunin geschafft. Und das mit dreizehn Jahren.“

„Im Land der Reisfelder erzählt man sich Geschichten über mich?“, fragte Shikamaru verwundert.

„Das nicht.“ Reis-Anji grinste schief. „Aber ich hab die Prüfer belauscht. Also?“

„Das ist eine komplizierte Geschichte“, seufzte Shikamaru.

Sie bogen um eine Ecke und was er sonst noch hatte sagen wollen, blieb ihm im Hals stecken.

„Verflucht“, stieß Anji aus, der wie zur Salzsäule erstarrt war. Shikamaru traf der Anblick wie ein Faustschlag ins Gesicht. Eiskalt rieselte es ihm den Rücken hinunter. Gesprächsfetzen, in denen es um dunkle Vorahnungen ging, rauschten durch seinen Kopf wie ein gischtsprühender Strudel. Das kann doch wohl nicht wahr sein … Er schluckte sein Erschrecken hinunter und lief mit weit ausgreifenden Schritten auf die Tür zu, die sich in keiner Weise von den zahlreichen anderen Türen in diesem Gang unterschied. Nur eines war anders. Ein dunkler Fleck prangte auf dem Holz.

Und direkt vor der Tür lag eine reglose Gestalt in einer Blutlache.

„Hi-Hilfe!“, schrie Anji heiser. „Ist jemand hier? Wir brauchen einen Iryonin, sofort!“

Shikamaru war sich nicht sicher, ob das noch etwas nutzte. Er ging vor der Person in die Hocke. Ein Loch klaffte in ihrer Brust, dort, wo das Herz sein sollte. Tote Augen starrten Shikamaru an. Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, waren sie von Alkohol vernebelt gewesen.

Niemand hätte eine solche Verletzung überlebt. Es gab keinen Zweifel. Macho-Manjo war tot.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zu meinem zweiten Shikamaru-Nara-Krimi! Wie schon der letzte wird er relativ kurz sein - auch wenn dieses Kapitel recht lange geworden ist. Einführung und so, ihr wisst ja. Ich hoffe, dass es trotzdem interessant zu lesen war. Im nächsten Kapitel geht dann die Ermittlungsarbeit los.
Dieses Mal gibt es zur besseren Orientierung auch Bilder der einzelnen Charaktere mit kurzen Steckbriefinfos.
Wie immer gilt, wer eine ENS bei Kapitelupdates wünscht, möge sich einfach bei mir melden. Ich wünsche schon mal viel Lesespaß!
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Stef_Luthien
2017-07-05T19:59:48+00:00 05.07.2017 21:59
Also erst dachte ich mir, dass es eher lustig wird. Bei Namen wie Drescher-Takki, Reis-Anji und Macho-Manjo. XD Und der lässige Sasaro hat mich ein bissl an Rufus aus Deponia erinnert. Alles wirklich äußerst lässig! XD Wie kommt man überhaupt auf das Wort Drescher und musste der arme Macho wirklich schon das Zeitliche segnen. XD Im ersten Moment könnte man ja denken, dass der täter das herz entfernt hat, um seine Herzlosigkeit gegenüber seinen Liebschaftem zu demonstrieren. Aber ich kann mir nicht ganz vorstellen das das alles sein sollen. Irgendeinen tieferen Sinn, den man jetzt noch nicht erkennt, wird das haben. Ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht. :) ^^
Antwort von:  UrrSharrador
19.07.2017 10:14
Danke für deinen Kommentar! Ja, wie gesagt, die Namen waren eher für den Wiedererkennungswert - und keine Ahnung, wie ich genau auf Drescher gekommen bin xD Ich glaube, ich habe einen pfiffigen Namen für eine etwas gewalttätige Kunoichi gesucht und dann kam das iwie dabei raus^^ Ich hoffe jedenfalls, dass ich in künftigen Kapiteln auch noch ein paar amüsante Momente liefern kann.
Hm dass es gerade das Herz war, hat vielleicht tatsächlich noch eine Bedeutung, wer weiß ;)
Von:  Majaaaa
2017-07-04T16:24:54+00:00 04.07.2017 18:24
Ziemlich cooler Anfang😉 freue mich schon auf weitere Kapitel
Antwort von:  UrrSharrador
19.07.2017 10:05
Danke für deinen Kommi! Freut mich, wenn's dir bisher gefällt :) Das nächste Kapitel kommt in Kürze!
Von:  EL-CK
2017-07-04T15:52:18+00:00 04.07.2017 17:52
Yeeeeaaahhhh ein neuer Krimi (erstmal danke für die ENS)...
ein tolles Einführungskapitel ^^
Antwort von:  UrrSharrador
19.07.2017 10:04
Bitte gern, danke für den Kommentar :)


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