Zum Inhalt der Seite

Luna Plena

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Einhörner

Auf einer Lichtung, nicht weit von dem Unglücksort entfernt, war eine kleine Herde gehörnter Pferde. Sie bestand aus vier strahlend weißen Einhörnerstuten. Sie hatten sich auf der kreisrunden Lichtung verteilt. Ein etwas älter Wirkendes lag friedlich im Gras und beobachtete, wie sich zwei Lärchen um einen Bandwurm stritten. Zwei der Stuten grasten zufrieden das besonders saftige Gras und das vierte fraß Moos von einer alten Birke.

Als sich jedoch ein fünftes Einhorn dazugesellen wollte, schreckten sie hoch. Es trug einen Menschen auf dem Rücken. Ein junges, schlankes Mädchen, dessen Haare in der aufgehenden Sonne rot schimmerten, was allerdings auch von der Platzwunde an ihrem Hinterkopf kommen konnte. Eins der grasenden Einhörner wieherte: „Was soll das, Lichtschweif?! Was hast du mit dem Menschen vor?“

Das neu dazugekommene pferdeartige Wesen erwiderte: „Sie wurde schwer verwundet. Ich konnte sie doch wohl kaum zurück lassen!“ Das Einhorn namens Lichtschweif trabte zu der murrenden Gruppe. Sie sahen, dass der Mensch sehr schwer verletzt wurde, ihr Körper war mit Schürf- und Kratzwunden übersäht, sie hatte eine große Platzwunde am Hinterkopf und eine handgroße Tonscherbe steckte in ihrem Bauch. Zudem war sie bewusstlos, dennoch wollte keins der Einhörner zur Hilfe eilen.

„Wir sind die einzigen, die ihr noch helfen können“, sagte die Stute.

„Wenn das Inari erfährt, dann …“, erwiderte eine der anderen Stuten.

„Er wird es nicht erfahren und wenn doch … werde ich das allein mit ihm regeln. Keinem von euch wird etwas passieren. Dafür werde ich sorgen, wenn ihr mir helft und mir nicht in den Rücken fallt“, unterbrach sie die anderen. Vorsichtig legte sich das Einhorn auf den Boden und lies das verwundete Mädchen behutsam neben sich gleiten. Die übrigen Vierbeiner bildeten leise schnaubend einen Kreis um die zwei. Eins von ihnen legte sich dazu. „Ich gehe kühles Wasser holen, damit wir die Wunden reinigen können“, sagt eins mit grauen Strähnen in Schweif und Mähne.

„Und wir hohlen etwas vom weißen Moos“, sagten die anderen.

Sie reinigten die Wunden mit dem kühlen Wasser aus einem Kelchblatt, trauten sich jedoch nicht, die Tonscherbe zu entfernen. Doch trotz der besonderen Heilfähigkeiten der Einhörner schlossen sich ihre Wunden nicht. So hofften sie, dass wenigstens das Moos die Blutungen stoppen oder zu mindestens lindern würde. Doch das schneeweiße Moos färbte sich nach wenigen Minuten blutrot. Die Herde wieherte traurig und eines der Einhörner murmelte hilflos:

„Was sollen wir nur tun? Keines der uns bekannten Mittel wirkt.“

„Wir dürfen nicht aufgeben … uns wird bestimmt noch was einfallen … wie wäre es mit …“, Lichtschweif verstummte, denn der Leithengst der Gruppe, Inari, näherte sich ihnen. Als er den Menschen sah, fragte er mit eisiger Stimme: “Wisst ihr, wen ihr da grade versucht zu retten?“ Lichtschweif antwortete kühl: “ Das ist mir durchaus bewusst. Eine junge Menschenfrau.“

„Hast du etwa vergessen was uns die Menschen angetan haben?!“

„Nein, dennoch können wir nicht über alle Menschen vorurteilen!“

„Sobald sie wieder laufen kann, wird sie zu Ihresgleichen fliehen und unseren Aufenthaltsort verraten. Dann werden wir wieder gejagt werden. Du weißt doch noch, warum wir ursprünglich aus diesem Gebiet vertrieben wurden? Sie wollten an das weiße Moos, um es zu erforschen. Dadurch vernichteten sie fast das gesamte Moos. So sahen sich unsere Vorfahren zum Handeln gezwungen. Denn die Menschen wollten nicht einsehen, dass das Moos sehr selten ist und seine besonderen Fähigkeiten nur mit unserer Heilkraft aktiviert werden kann. Sie waren überzeugt, dass es einen anderen Weg geben würde, aber wir hatten keine andere Wahl, dieses Moos wächst nur an sehr wenigen Orten und wir mussten uns beeilen, soviel wie möglich davon einzusammeln und es zu ihm zu bringen, damit er nicht starb. Also griffen unsere Vorfahren die Menschen an, damit sie aufhörten. Seitdem herrscht Krieg zwischen uns und den Menschen. Wir haben viele unserer Gefährten verloren.“

„Du brauchst mir nicht mit dieser Geschichte zu kommen. Sie ist mir sehr wohl bekannt!“

„Wusstest du, dass er wieder von selbstsüchtigen Menschen angegriffen wurde? Und er dadurch erneut schweren Schaden erlitten hat?“

„Es gab noch einen Kampf?“, fragte die Stute. Sie wirkte nachdenklich. Dann antwortete sie: „Dennoch wir sind zu sechst. Es wird reichen, wenn sich fünf von uns um ihn kümmern. Ich werde versuchen diesem Mädchen zu helfen!“ „Wenn du sie nicht sofort sterben lässt, dann werde ich …“

„Ja? Was wirst du dann machen? Mich angreifen? Das würde die Sache nicht besser machen …“

„Zum letzten Mal, lass den Menschen sterben!“

„Nein!“

„Du hast es wohl nicht anders gewollt! Mach dich bereit, für deinen Verrat zu bezahlen!“, sagte der Hengst wütend und mit gesenktem Horn stürmte er auf sie zu, bereit die junge Frau aufzuspießen. Die Herde brach panisch auseinander und rannte ein paar Meter von der Verwundeten weg, alle, außer Lichtschweif. Sie sprang auf und stellte sich schützend vor die junge Frau. So kam es zum Kampf zwischen den sonst so friedlichen Wesen.

Von Anfang an hatte die Stute keine Chance, gegen den Hengst anzukommen. Er stach mit seinem Horn in ihr linkes Vorderbein. Lichtschweif knickte ein, rappelte sich nach wenigen Sekunden wieder auf, um den Menschen vor dem nächsten Angriff zu schützen. Inari griff sie weiter an fügte ihr weitere schmerzhafte Wunden am gesamten Leib zu. Trotz all den Bemühungen der Stute war es für den Hengst ein Leichtes, sie in Schach zu halten. Da seine Gegnerin nicht die junge Frau und sich selbst verteidigen konnte.

„Gib schon auf“, sagte er, „ ich habe dich schwer verwundet, in diesem Zustand kannst du unmöglich weiter machen. Willst du wirklich für diesen Menschen sterben? Du weißt, ich kenne keine Gnade!“

„Oh ja, das weiß ich … dennoch werde ich dir diesen Menschen nicht ausliefern! Von ihr geht etwas Besonderes aus, spürst du das denn nicht?! Sie ist nicht wie die anderen Menschen. Ich vermute sie ist …“

„Schweig! Mir ist es egal, was du vermutest. Sie ist ein Mensch und wird dafür bezahlen, was ihre Rasse uns angetan hat!“ Er machte sich für einen erneuten und letzten Angriff bereit, als plötzlich die Stute mit den grauen Strähnchen dazwischen ging: „Ich bitte dich, hör auf!“

„Wieso sollte ich? Sie muss ihre gerechte Strafe erhalten“

„Ich gebe zu, sie hat einen unverzeihlichen Fehler begangen, aber es gibt im Moment Wichtigeres als ihre Strafe! Müssen wir nicht auf schnellstem Wege das Moos zu ihm bringen? … In ihrer Verfassung kann Lichtschweif nicht fliehen, du kannst dich also später noch um sie kümmern.“

„Du hast Recht. Er geht vor. Um dich kümmere ich mich später!“, sagte der Hengst und verschwand mit der restlichen Herde im Schlepptau.
 

Auf der Lichtung war es still geworden. Das Einhorn hatte sich neben das verwundete Mädchen gelegt.

Traurig betrachtete die blutüberströmte Stute den zunächst blauen Himmel mit den kleinen Schäfchenwolken.

Die Minuten vergangen und die Wolken verdichteten sich und nahmen allmählich die Farbe von Stahl an. Das Rauschen der Bäume wurde lauter und bedrohlicher.

Ein Sturm zog auf.

„Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte“, sagte Lichtschweif bedrückt, die neben dem Mädchen lag. Die ersten Regentropfen fielen vom dunkelgrauen Himmel und das rot in ihrem Fell breitete sich aus. Die Stute vernahm ein leises Stöhnen. Der Mensch neben ihr erlangte sein Bewusstsein wieder und fragte mit zittriger Stimme: „W- Wo… Wo … bin ich? W-Was … Was ist passiert?“

„Du bist im wispernden Wald von ‚was weiß ich’. Ich hab dich am Rande dieses Waldes bewusstlos aufgefunden und wollte dich retten. Was allerdings davor passiert ist oder warum du so stark verletzt bist, kann ich dir nicht sagen … Kannst du dich bewegen?“

„I-Ich … Ich weiß nicht … ich kann es versuchen … alles tut weh … jeder einzelne Knochen in meinem Körper brennt …“

„Hm … wenn du es schaffst dich auf meinen Rücken zu rollen, könnte ich uns in Sicherheit bringen …“

„Gut, ich versuch’s“, antwortete die junge Frau schmerzerfüllt. Sie drehte sich langsam um und war verwirrt, ein weißes Pferd neben sich zu finden, aber sie tat was ihr gesagt wurde und schob sich unbeholfen und vor Schmerzen wimmernd auf das Pferd. „Halt dich gut fest. Ich versuche aufzustehen.“ Das Einhorn nahm seine verbliebene Energie zusammen und schaffte es aufzustehen. Mit allerletzter Kraft konnten Beide bis unter die schutzbietenden Bäume gelangen.

Lichtschweif brach zusammen und die junge Frau rutschte mit einem Schmerz erfüllten Schrei von ihrem Rücken. „Alles in Ordnung“, fragte das Einhorn heftig schnaubend. „Einigermaßen“, keuchte die junge Frau, dessen Stimme vor Schmerzen verzerrt war, “Seit wann können Pferde sprechen?“, fragte sie mit zusammen gekniffenen Augen.

„Sie konnten noch nie in der Sprache der Menschen sprechen.“

„Aber … du sprichst doch mit mir? Oder bilde ich mir das nur ein?!“

„ Du bildest dir so viel ein, wie ich ein Pferd bin“

„Häääh? Wie jetzt?“

„Ganz einfach … ich spreche mit dir, bin aber kein Pferd, sondern ein Einhorn.“

„Was ein Einhorn? Das ist jetzt ein Scherz, oder? Ich muss wohl ganz schön viel abbekommen haben.“

„Nein, ich bin wirklich eines. Du bildest dir mich nicht ein. Ich würd’ dir gerne mehr von mir erzählen, aber ich denke, dafür haben wir nicht genug Zeit. Du musst mir jetzt gut zuhören! Als erstes wirst du so tief in den Wald hinein laufen wie es deine verbliebenen Kräfte zulassen. Danach suchst du weißes Moos und legst es auf deine Wunden, das sollte Schmerz und Blutung ein wenig lindern. Und zuletzt wartest du, bis dir jemand zu Hilfe kommt! Hast du verstanden?“

„Ja, aber …“

„Kein aber! Los geh!“

„Ist ja schon gut …“, sagte die junge Frau beschwichtigend, „ich geh ja schon. Beantworte mir nur noch eine einzige Frage.“

„Und die wäre?“

„Wie heißt du?“

„Lichtschweif, und du?“

„Eijumy“

„Nun gut, Eijumy, du musst jetzt unbedingt verschwinden, bevor Inari zurückkommt!“

„Okay, ich weiß zwar nicht wer dieser Inari ist, aber ich schließe aus deinem Tonfall, dass ich ihn auch nicht unbedingt kennen lernen möchte. Werden wir uns jemals wiedersehen, Lichtschweif?“

„Nein, ich denke nicht.“

„Leb wohl, Lichtschweif und danke für alles.“

„Keine Ursache.“

Das verwundete Mädchen kroch langsam davon, währenddessen das Einhorn vor Erschöpfung und Schmerzen ohnmächtig wurde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück