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Der Pfad des blutroten Teufels

von

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Kettenmaterial

„Heh, Engel… der Teufel ist ein unglaublich hübscher Typ. Dazu ist er auch ganz schön zerbrechlich.“ Johan erinnerte sich an die Worte seines Wirtes, die er nur wenige Minuten zuvor geäußert hatte während er sich hellwach im Bett umherwälzte. Die Hoffnung endlich in den Schlaf zu kommen gab Johan mittlerweile auf. So hing er seinen Gedanken nach, wie er vor einigen Stunden noch Hans angesehen hatte und dessen vor Hitze und vor Peinlichkeit berührtes Gesicht erkannte.

‘Ich weiß nicht, wie du zu diesem Schluss kommst, aber du wirst sterben so lange es weitergeht wie bisher. Das weißt du doch?’, wollte Johans transparente Seele mit ernster Miene wissen. Seitdem sie auf Juudai, oder viel mehr den Teufel, gestoßen waren nistete sich ein Gefühl von starker Gewissensbisse in dem Inneren des Engels ein. Seine Aufgabe hätte sein müssen diesen jungen Menschen von allem Unglück zu bewahren und nicht dafür zu sorgen dass alles noch viel schlimmer wird. Auf der anderen Seite, nahm dieser leichtsinnige Junge, die Form einer Zielscheibe in dem Moment an, als der Teufel sich seine Opfer auswählte. Hans‘ Schicksal wies ihn an früh zu sterben, egal ob Johan sich mit ihm zusammen tat oder nicht.

“Ja. Trotzdem bin ich nicht betrübt und wenn ich schon sterben muss, dann durch die Hand eines so schönen Menschen”, entgegnete Hans ungewissenhaft ohne weiter darüber nachzudenken, „Jetzt mach nicht so ein enttäuschtes Gesicht, Engel.“ Johans Gesichtsausdruck veränderte sich trotz allem nicht. Ganz im Gegenteil erwiderte das geflügelte Seelenwesen den Blick des anderen, der sich lachend im Bett hin und herwarf, mit der Stirn in Falten gelegt und düsteren Augenbrauen. Der Engel war in der Tat ein übernatürlich gut anzuschauender Junge und dies ging Hans nun durch den Kopf. Auch wenn er im Moment so ernst dreinschaute. Für Hans war die vergangene Nacht, in der sie auf den Teufel stießen wie ein Traum, welcher in weiter Ferne lag. Ein Traum, welcher selbst ihm nur erzählt wurde. Dabei erkannte Hans bereits, dass der geistige Zustand des Mörders dem entsprach, was die Gerüchte besagten. Hans fand diese kranke Besessenheit erstaunlich. Wie sehr musste ein Geist gelitten haben um sich solchen bestialischen Ritualen hinzugeben. Dennoch konnte dieser herzlose Mörder sich in jemanden wie den Engel verlieben.

„Ist es nicht merkwürdig, dass er dazu bereit ist, zwölf Leben auszulöschen um ein einziges wiederauferstehen zu lassen?“, dachte nun Hans laut nach, „Für den Teufel musst du unglaublich viel bedeuten, wenn er dein Leben mehr wertschätzt als alle anderen. Ich glaube, dass du das größte Dasein für ihn bist und wenn ich daran denke, dass ich ein Teil des Ganzen werde, erfüllt es mich sowohl mit Angst als auch Faszination.“

‚Du siehst das falsch, ich bin auch nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, so wie du. Nur meine Gestalt hat sich verändert, denn mein Geliebter hat meine Hülle mit dem Rainbow Dragon verbunden. Auf diese Weise erhielt ich diese Flügel‘, entgegnete Johan mit einer Miene, die bedrückt wirkte, ‚Das einzige was wirklich hierbei zählt ist, dass wir uns gegenseitig geliebt haben. Aber du, Hans, machst mir große Sorgen. Du bist zu unbedarft und wirst dein Leben einfach so weg.‘

Johans Wiederauferstehung war seines eigenen Erachtens auch kein Grund einfach so ein anderes Leben aufzugeben. Egal wie oft er Hans Argumente beibringen wollte, er wollte doch nicht auf seine Predigten hören. Sich selbst davon abbringen sie zu äussern vermochte Johan allerdings auch nicht. Schlussendlich blieb ihm nichts anderes übrig als Hans‘ eigenwillige Attitude zu akzeptieren. Johan fühlte mit Edo und Shou, die nach dem gestrigen Vorfall kaum mehr Energie und Willenskraft hatten um sich etwas auszudenken um dem armen Hans zu beschützen. Ihre Lebensgeister waren so auslaugt gewesen, dass sie lediglich zusichern vermochten, dass Hans für einen Tag lang in ihren Gewahrsam genommen werden konnte. Johan trieb es beinahe zur Weissglut, dass dieser Junge, den man unter allen Umständen das Leben retten wollte, einen vergeblichen Dienst erwies. Der blauhaarige sehnte den Moment herbei an dem er seinen beiden, alten Freunden gegenübertreten konnte um sich bei ihnen fåür die getane Arbeit zu bedanken. Ganz so, wie es in Japan der Brauch war. Edo und Shou sowie auch Johan waren dagegen so leicht aufzugeben. Wenigstens einen dieser unnötigen Opfer wollten sie vor dem Tode bewahren. Zu den vielen anderen sollte sich nicht auch noch Hans‘ Leiche einreihen. Ihr Plan war es zunächst Hans aus der Schusslinie zu nehmen und an einen ganz anderen Ort bringen, so dass der Teufel ihn nicht so schnell fand. Dies war Edos Einfall zu dem Ganzen, zu mehr war er in dieser Nacht nicht mehr im Stande gewesen. Ebenso wenig wie Shou.

„Versteh mich bitte nicht falsch, Engel, ich weiß, dass der Teufel verdammt ernst macht. Aber sag mal, was würdest du tun wenn der Plan des Teufels Erfolg hat und du wieder zum Leben erwachst? Du sagtest mir am Tag unserer Begegnung, dass du nicht wieder zum Leben erweckt werden möchtest, nicht wahr?“, wollte Hans nun wissen und er beobachtete Johan genau und mit eindringlichen Augen. Die Seele des Jungen blieb auf dem Bett liegen und er besah sich die weiß gestrichene Decke schweigend. Er dachte angestrengt nach und dieser Zustand war ihm sehr gut anzusehen. Schließlich, nach wenigen Minuten der Stille brachte Johan hervor: ‚Stimmt, ich brauche wirklich kein Leben, das auf zwölf anderen gebaut ist… aber… aber ich denke, dass ich nicht anders könnte als ihn zu umarmen. Ich müsste es einfach tun, denn er hat so lange… Er hat ganze zehn Jahre lang für unsere Zweisamkeit gekämpft. Ich weiss welch einsame Jahre das waren – abgeschottet vom Rest der Welt – und alles wozu Juudai in der Lage war, war mit einem toten Körper dazusitzen oder zu schlafen. Ein toter Körper ist kalt weisst du? Und er hat ihn trotzdem über alle Massen vorsichtig behandelt und mit grossem Respekt behandelt und sich darum gekümmert. Auch wenn es nur eine leblose Hülle ist… Juudai hätte oft einfach nur heulen mögen und dessen bin ich mir wohlbewusst. Trotzdem konnte ich nichts anderes tun als alles schweigend mit anzusehen. Und das finde ich schon lange frustrierend.‘

„Du bist echt n netter Kerl, hm?“, kommentierte Hans mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.

‚Findest du? Ich denke viel mehr, dass ich auch ganz schön einfältig bin‘, entgegnete Johan, dessen Gesicht anfing zu glühen, denn die Röte stieg ihm in den Kopf. Er versuchte sogar seine Nervosität zu überspielen indem er sich den Hinterkopf ein wenig kratzte. In diesem Moment fing Hans an darüber nachzudenken, wie es wohl für diesen Engel war zehn Jahre lang an der Seite seines Geliebten zu verweilen, ohne dass er von seiner Seele auch nur Notiz nahm. Was für ein Gefühl das wohl war. Fühlte es sich schlicht und ergreifend frustrierend an, so wie Johan es bereits beschrieben hatte? Oder noch viel schlimmer und intensiver? Hans ging davon aus, dass es nicht wunderlich wäre, im Lauf dieser vielen Jahre durchaus zu verzweifeln. Der jugendliche Brite vermutete, dass er selbst wohl nicht akzeptiert hätte, dass sein Geliebter zu einem Serienmörder wurde. Er vermutete, dass alle seine Gefühle durch diese Tatsache im Keim erstickt wären. Vermutlich verwies der Engel auf diese Sache, wenn er meinte ein einfälltiger, junger Mann zu sein. Auch wenn sein Geliebter ein blutrünstiger Dämon, oder auch ein wildgewordener Verrückert, die Hexe Medea oder noch ganz andere Betitelungen trug, die seinen momentanen Geisteszustand gut wiederspiegelten, all diese Tatsachen konnten doch Johans Liebe zu ihm nicht erschüttern. Wären sie ein gewöhnliches Paar gewesen, käme ihre Beziehung durch all diese Leiden zu einem jähen Ende.
 

Hans blieb auf dem Rücken liegen und starrte die feinen unebenheiten der Decke an. In seinem Kopf ging er immer und immer wieder die Möglichkeiten durch, ob es nicht doch einen Weg gäbe, mit dem die Geschichte vom Engel mit den Regenbogenschwingen und dem Teufel zu einem glücklichen Ende kam. Letztendlich hörte sich alles so an, als könne der Teufel nicht ohne seinen Engel sein. Ansonsten gäbe es mehr und mehr Opfer.

Doch was bedeutete eigentlich das Theater mit dem gesamten Ritual?

Der Engel erwähnte zuvor, dass der Teufel über eine übernatürlich lange Lebensspanne verfügte. Deshalb wirkte es auf den jungen Briten viel mehr wie ein unglaublich großer Nachteil, wenn der Engel nicht mehr als Seele neben ihm existierte, sondern wieder zu einem Mensch mit einer gewöhnlich kurzen Lebenszeit wurde. Eine Seele für alle Ewigkeit neben sich zu haben, wirkte zunächst als bessere Wahl für den Teufel. Dieses Ritual wirkte viel riskanter und gefährlicher auf den Jungen.

„Ah-…“, als fiele Hans gerade etwas ein, entfuhr ihm ein kleiner Laut, der Johan sagte, dass sein Gegenüber vermutlich etwas begriffen hatte. In der Tat war dem Jugendlichen gerade ein Licht aufgegangen. Die Antwort lag schon lange vor ihm, wie auf einem Silbertablett serviert und dennoch übersah Hans es ständig. Der Engel und der Teufel waren ein Liebespaar und beide wohl zweifelsohne Männer, wenn man sie rein vom Geschlecht her betrachtete, mit welchem sie geboren wurden. Dennoch machte es für Hans den Eindruck, dass der Teufel die Position des weiblichen Teils übernahm und es gab eine spezielle Sache, die eine Frau vermag; einem Mann jedoch für alle Zeit verwehrt bleibt. Für diese eine Sache mussten beide, sowohl die Frau als auch der Man am Leben sein um sie überhaupt zur Sprache zu bringen.

„So könnte des Pudels Kern sein…“, murmelte Hans vor sich hin.

‚Hm? Was meinst du?‘, wollte Johan mit überrascht aufgerissenen Augen wissen.

„Ach, gar nichts, vergiss es“, entgegnete der Jugendliche und winkte ab. Johan hatte seine Gedanken nicht mitbekommen und auch keine Gelegenheit dazu gehabt sie zu lesen, denn er hatte zu gerade diesem Zeitpunkt nicht die Überhand über Hans‘ Körper. Somit machte sich Johan auch keine Gedanken darüber vielleicht etwas Wichtiges zu verpassen.

„Es ist nichts“, versicherte Hans noch einmal und winkte dem Engel zu, „Gute Nacht.“

Johan tat es dem anderen gleich, wobei er ein sanftes Lächeln zeigte: „Jepp. Gute Nacht, Hans.“

Der tiefe Schlummer ergriff endlich Besitz von diesem jungen Körper. Endlich versank er tief darin und träumte einen Traum, der von der Glückseligkeit von einem anderen handelte.
 

„Johan! Johan, wach jetzt endlich auf, es ist schon Mittag. Auch wenn heute ein Feiertag ist, du schläfst wirklich zu lange“, rief ihn eine Stimme aus dem Schlaf und rüttelte sanft an seiner Schulter. Müde blinzelte Johan aus seinen smaragdgrünen Augen und streckte sich genüsslich: „Aahm, ist gut… Guten Morgen, Juudai…“

„Dein Kopf ist wohl noch nicht ganz wach, stimmt’s?“, grinste Juudai breit während er die Bratpfanne auf seiner Schulter platzierte und ein gespieltes Seufzen ausstieß. Johan hingegen setzte sich gezwungenermaßen auf und murmelte ein: „Du bist zu laut.“ vor sich hin, ohne es böse zu meinen.

„Das Essen wird kalt, Johan, also steh jetzt endlich auf.“

„Unmöglich, das ist viel zu anstrengend“, scherzte Johan nun schon ein bisschen wacher.

„Meine Güte, du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen“, ging Juudai grinsend auf diesen Scherz ein.

„Ich kann erst aufstehen, wenn du mich küsst“, meinte Johan und streckte sich lang im Bett aus. Juudai hingegen schüttelte den Kopf: „Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, hm?“ Der braunhaarige Junge sprang ebenfalls der Körperlänge nach ins Bett und liegt sich seicht auf Johan fallen um ihm einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Johan allerdings bewegte sich immer noch nicht aus dem gemütlichen Nest heraus.

„Wie, bist du immer noch nicht zufrieden?“, wollte Juudai herausfordernd wissen. Sein Freund allerding schüttelte den Kopf: „Nein, mit Gier zerstört man sich selbst. Also, ich stehe jetzt auf.“

Immer noch ziemlich verschlafen ließ Johan seine Beine aus dem Bett baumeln. Seine Haare sahen noch vollkommen zerzaust aus und auch wenn er sie bald im Badezimmer kämmte, ließen sie sich kaum bändigen.

„Mann, Juudai du bist echt gut gelaunt heute Morgen“, meinte Johan hoffnungslos verschlafen, „Dagegen fühle ich mich schon wie ein alter Greis.“

Juudai prustete belustigt: „Was redest du denn da, du bist doch erst zwanzig Jahre alt. Für einen Japaner fängt das Leben jetzt erst an, denn man wird erst mit zwanzig Jahren mündig. Bis dahin darf man weder Alkohol trinken noch wählen gehen.“

„Ach du meine Güte, ich wusste gar nicht, dass du politisch so engagiert bist!“, kommentierte Johan mit großem Erstaunen. Für ein paar Sekunden fragte er sich, ob es noch mehr Facetten an Juudai gab, die er noch nicht kennen gelernt hatte. „N-na ja“, stammelte Juudai zur Antwort, „Ich interessiere mich auch nicht wirklich, aber ich hätte die Möglichkeit.“

Ihn verließ ein etwas verlegenes Lachen. Er wandte sich um und band seine knallrote Schürze um, damit er endlich den Rest des Frühstücks machen konnte. Johan hingegen verliess nun vollends das Bett und wankte noch immer ein wenig schlaftrunken zum Kleiderschrank hinüber. Sofort erkannte man, dass die beiden zusammen lebten, wobei sie den Eindruck erweckten eines glücklichen Ehepaares.
 

Was war das? War das Sterbealter des Engels nicht auch zwanzig Jahre gewesen?
 

Hans verstand, dass es sich hierbei um einen Traum, oder die Erinnerung an einen Traum. Es handelte sich um eine Erinnerung an das Leben des Engels, der mit zwanzig gestorben war, doch hier in dieser Spiegelung lebte er glücklich wie jeder normale Bursche in seinem Alter. Vielleicht handelte es sich bei diesem Ereignis auch nur um einen Wunschtraum, eine noch nicht eingetretene Möglichkeit für diese beiden Menschen.

Was wäre geschehen, wenn ihnen ein bisschen Glück vergönnt bliebe und sie ihr Leben miteinander teilen konnten?

Oder sollte Hans mit diesem Traum vor Augen geführt werden, wie Johan zu Tode kam?

Es musste nach Hans‘ eigenem Ermessen wohl eher das Zweite sein, denn nun wechselte seine Perspektive zu dem heiteren Juudai. Hans‘ merkwürdig durchsichtiger Körper schwebte in die Küche, in der Juudai, der später einmal ein gemeingefährlicher Mörder werden sollte, aber im Augenblick mit seiner kleinen Pfanne hantierte um Rührei zu machen. Ungefähr so wie Hans im Moment schwebte, fühlte sich der Engel sicher die ganze Zeit. Es war kaum zu glauben für den jungen Briten, dass dieser grausame Teufel wie eine Karikatur einer lustigen Anime-Mutter am Herd stand und vor sich hin pfiff während er das Frühstück zubereitete. Die Atmosphäre erschien als ob ihnen kein Wässerchen trüben konnte und nie ein hartes Schicksal sie treffen könnte. Juudai verfügte immerhin über ein gutes Rhythmusgefühl.

„Kuri kurii“, eine helle Stimme durchbrach diesen Rhythmus und da Hans ebenfalls in der Lage war die Seelen der Karten zu sehen, beobachtete erstaunt, dass die Seele eines pelzigen Balls mit grünen Füssen und einem paar weißer Flügel auftauchte.

„Hey alter Kumpel. Klar bin ich gut gelaunt, Hanekuribou, mir macht’s doch nichts aus, dass Johan ein bisschen verschläft. Wenigstens kann ich ihm hiermit eine kleine Freude bereiten“, entgegnete Juudai dem kleinen Monster, „Ich glaube heute wird noch etwas Gutes geschehen.“ Das Hanekuribou gab ein leicht verärgertes „kurii“ von sich, so als ob er seinem Verbündeten sagen wollte, dass ihm die gute Laune der Verliebtheit auf die Nerven ging. Kurz darauf verschwand es wieder als sei es nie dagewesen. Hans ging in diesem Moment einiges durch den Kopf. Er versuchte den Standort zu wechseln, so wie zuvor, doch es gelang ihm nicht. Dies war immerhin nicht sein Traum, denn woher hätte er all das hier wissen sollen? Wieder kamen ihm dieselben Gedanken in den Sinn, welche er bereits kurz vor dem Einschlafen gehabt hatte.

Vor einiger Zeit hatte der Engel ihm erzählt, dass sie sich geküsst und miteinander geschlafen hatten und eben diese Vertraute und die Liebe zueinander, waren deutlich zu sehen gewesen. Dennoch konnte die Verbindung von zwei Männern nicht ganz genauso ablaufen, wie bei gemischten Paaren. Auf jeden Fall, wenn man es von der physischen Seite aus betrachtete. Deshalb kam Hans dieser Gedanke. Wenn der Teufel den Standpunkt einer Frau einnahm und den Engel vom Grunde seines Herzens liebte, dann lag der Wunsch nach einem Kind vielleicht sogar nahe.

„So lange Johan bei mir ist, dann ist mir alles andere ziemlich egal“, murmelte Juudai zu sich selbst und gab seinem Rührei den letzten Schliff, füllte die Portionen auf zwei Teller und pfiff dabei ein weiteres Lied ‚row, row, row, the boat‘ ging der bekannte Text dazu.

So also sah der Alltag eines richtig verliebten Paares aus und endlich gelangte auch Johan in das Esszimmer. Noch immer standen ihm die Haare zu allen Seiten ab, aber er wirkte weniger schlaftrunken. Langsam trottete er zu Juudai herüber, legte seine Arme um ihn und zog ihn zu einem sanften Kuss zu sich. Für den Brünetten schien dies alles ganz natürlich zu sein und er begrüsste seinen Geliebten mit folgenden Worten: „Ich wusste, dass du aufstehen kannst wenn du dir Mühe gibst!“ Die beiden sahen sich für ein paar Sekunden an und verfielen in schallendes Gelächter.
 

Die Szene veränderte sich allerdings zum schlimmsten.
 

Dieses Mal befand sich Hans an einen furchtbar finsteren Ort. Am Himmel sammelten sich düstere Quellwolken und untermalten die bedrohliche Stimmung. Die Landschaft, welche sich vor Hans‘ Augen auftat meinte er zu kennen. Die schmalen Straßen, die sich zwischen den kleinen Einfamilienhäusern, lokalen Schreinen, kleinen Supermärkten und Reisfeldern hindurchschlängelten gehörten wohl zu einem japanischen Dorf, welches wirklich sehr ländlich lag. Bilder von solchen Orten hatte Hans schon oft in irgendwelchen Reisemagazinen und im Fernsehen ansehen können. Es sah allerdings nicht so aus als seien sie auf der Duellinsel gelandet.

In der Ferne kam Johan in Sicht. Seine Augen hielt er geschlossen und rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Juudais Gesicht konnte Hans noch nicht erkennen, aber sehr wohl, dass Johan kurz darauf kollabierte und zu Boden fiel. Juudai stürzte auf seinen Freund zu und hievte ihn in seine Arme. Schreiend und wehklagend wiegte der Brünette den Anderen in seinen Armen hin und her. Ein verzweifeltes Schluchzen drang durch die idyllische Stille des Dorfes und langsam begann es zu regnen. Das leichte Tröpfeln entwickelte sich jedoch in Windeseile zu einen ausgewachsenen Wolkenbruch. Nach kürzester Zeit sammelte sich eine Menschenmenge um die beiden jungen Männer herum. Diese gehörten aber keinesfalls zur schaulustigen Dorfgemeinschaft, sondern machten den Eindruck mit den beiden bekannt zu sein. Hans kannte ein paar dieser Leute, die zu den Bekannten aus der Pro-League gehörten. Der Oja-Manjoume, Hell Kaiser Ryou und Edo Phoenix, welchen er gestern schon irgendwie kennen gelernt hatte, standen um den verstörten Juudai und den scheinbar leblosen jungen Mann herum. Aber auch Shou hatte sich dazu gesellt und bei ihnen war außerdem eine unge Frau mit blondem Haar. Das attraktive Mädchen ging als erste auf Juudai zu und versuchte mit Worten zu den vollkommen wildgewordenen Brünetten einzureden. Sie versuchte ihn wohl zu beruhigen, denn sie streichelte immer wieder seinen Rücken. Ihre Augen wirkten hilflos und traurig. Obwohl Hans ihre Worte nicht verstehen konnte, meinte er fühlen zu können, wie bemüht sie um ihn war. All ihre Mühe war allerdings vergeblich, denn Juudai schüttelte aufgebracht den Kopf, wobei anstelle von Worten nur eine heisere Stimme den einen Namen schrie.
 

Ich verstehe… der Engel ist gerade geboren worden. Johan ist also eben gestorben und im selben Moment zum Engel geworden!
 

Nur für Hans allein war noch jemand in dieser Runde anwesend. Oder sollte man sagen, einen von ihnen gab es doppelt. Hinter dem in Wahnsinn verfallenden Juudai stand der Geist seines Geliebten und sah auf seinen eigenen toten Körper nieder. Seine Augen waren trübe auf Juudai herab, denn das war alles was er tun konnte. Denn die Hand eines Toten konnte den Rücken eines Lebenden nicht berühren.

„Es ist meine Schuld!! Weil ich sagte, er sei so etwas wie ein Gott! Weil ich ihn über alles geliebt habe! Weil ich sagte, dass ich ihm meinen Körper gäbe um ihm zu huldigen! Weil ich solche Dinge dachte ist er-…“, dies und noch andere, viel verworrenere Dinge schrie Juudai in den strömenden Regen hinaus.

Endlich konnte Hans Worte verstehen, die gesprochen wurden. Jedenfalls glaubte er das, denn durch diese Wortfetzen ging ihm der eigentliche Sinn verloren. Vielleicht verstanden alle anderen aber genauso wenig, denn die umherstehenden Leute legten den Kopf schief. Sie verstanden die Erklärung des verzweifelten Juudai einfach nicht. Wahrscheinlich gab es auch keine rationale Erklärung für einen solch plötzlichen Tod.

Hans jedoch erinnerte sich daran, dass der Engel seinem alten Freund Edo Phoenix den Grund seines Todes erläutert hatte. Er hatte es erwähnt, auch wenn er selbst nicht alles bis ins Detail wusste.

‚Der Grund… tja, es verhält sich so, dass es einen Mechanismus – oder einen Fluch, wenn du so willst – gibt, dass Teufel Götter töten. Juudai hat diesen Fluch ernst genommen und dadurch, dass Johan Andersen, der für Yuuki Juudai ähnlich wie Gott war, starb, nahm er die Schuld auf sich. Es hatte mit seiner eigenen Logik zutun, dass er sich selbst als meinen Mörder betitelte.‘

So war es wohl. Der Teufel, der seinen geliebten Gott tötete, wurde zu einem blutdurstigen Schlächter. Denn der Teufel wollte, den lebendigen Körper des Engels zurück. Ja, so musste es wohl sein.
 

So ist es. Das bedeutet wohl, dass mir nichts anderes übrig bleibt als zu sterben…
 

Hans stellte sich innerlich darauf ein. Der Teufel, welcher nur in der Lage war lebendige Körper zu bemerken, konnte den Geist des Engels bis in alle Ewigkeit nicht mehr finden. Ganz gleich wie nahe sie sich eigentlich waren, sie würden einander verpassen, bis in die Unendlichkeit. Diese Endlosschleife war überhaupt nicht amüsant.

Wenn Hans allerdings starb, dann bekäme der Engel seinen lebendigen Körper zurück und konnte wieder auferstehen. Sobald dies geschah gäbe es noch eine Möglichkeit für die beiden ein glückliches Leben miteinander zu führen. Dieser Gedanke bereitete Hans die größte Freude.

Bisher war Hans noch nie in der Lage gewesen, einem anderen Menschen wahre Freude und Glück zu bereiten. Schon immer wurde er als eigenartig betitelt, als er noch ein Kind war, als völlig hoffnungsloser Eigenbrötler bezeichnet und von Klassenkameraden gemieden. Mit diesem Ruf war Hans aufgewachsen, doch hatte er ihm nur lange Tage voller Seufzen und Kopfzerbrechen bereitet. Das Leben war kein fröhliches oder spaßiges Erlebnis. Jedenfalls nicht hauptsächlich. Erst seit Hans den Engel getroffen hatte, empfand er die Zeit als amüsant. Es war nur ein kleiner Bruchteil seiner bisherigen Lebenszeit, doch dieser Teil war wirklich interessant.

Deshalb…
 

Deshalb entschied Hans sich dazu, dass er zum Herzen des Engels werden wollte.
 

Damit endete der Traum.
 

Die Nacht war bereits weit vorangeschritten und der Mond kletterte langsam am dunklen Nachthimmel hinauf. Er leuchtete in einem so hellen Zitronengelb, dass man es kaum aushalten konnte davon geblendet zu werden. Die Seele des Engels schlief neben ihm. Vielleicht tat Johan es aus Gewohnheit, vielleicht musste er auch schlafen um seine Existenz wieder mit Energie zu füllen. In vielen Büchern hatte Hans gelesen, dass es auch für die Seele Energie kostete einen Körper zu besetzen, welcher nicht ihr eigener war. Wie dem auch war, Hans fühlte sich in diesem Augenblick hellwach und durch die eiserne Stille gestört.

Plötzlich jedoch regte sich etwas in der mondhellen Nacht. Von draußen hörte man eine Stimme alarmiert rufen: „Er ist da!! Er ist hier aufgetaucht! Der Teufel ist eingetroffen!!“ Hans meinte in dieser Stimme einen Anflug von Panik zu hören.

„Ein Ritualmonster hat sich materialisiert! Es schreitet zum Angriff!!!“ „Gibt es denn niemanden hier, der dieses Monster aufhalten kann?“ „Wo ist denn nun dieser superbegabte Duellant, den wir eingestellt haben!?“ Draußen vor dem Fenster spielte sich ein fürchterliches Spektakel ab. Gleich darauf jedoch, verwandelte sich der Aufruhr in Totenstille. Die nächtliche Ruhe in den Straßen Londons war wiederhergestellt. Dies alles geschah in weniger als einer Minute.

Kurz nachdem es wieder still war, zersprang das Fenster in tausend kleine Glassplitter, welche das helle Mondlicht brachen und das Zimmer in ein Glitzerspiel verwandelten. Als Hans aus dem Bett sprang und sich dem Luftzug zuwandte, sah er ihn leibhaftig vor sich stehen. Im Angesicht des Mondlichtes spielte der Wind verträumt mit der scharlachroten Jacke. Der ‚Pfad des blutroten Teufels‘, oder auch ‚die Hexe Medea‘ war eingetroffen. Diese Namen wurden durch zahlreiche Gerüchte verbreitet, doch der wahre Name dieses durch die Liebe wahnsinnig gewordenen Verrückten war kein anderer als Yuuki Juudai.

„Hi. Ich bin gekommen um dich abzuholen. Du wirst die Opfergabe des Herzens sein.“

„Was hast du mit den Polizisten gemacht!?“, wollte Hans wissen, während seine Stimme mehr Ruhe ausstrahlte als er eigentlich fühlte.

„Die haben sich alle schlafen gelegt. Ich denke, dass sie mir den Gefallen tun und nicht vor morgenfrüh aufwachen“, antwortete der Teufel monoton, „Die haben wegen mir schon genügend Arbeit am Hals. Ich finde wir sollten ihnen etwas Luft zum Atmen. Du nicht auch?“ Hans sah den Teufel zunächst ein wenig ungläubig an. Immerhin hatte er damit Recht, doch hätte der Jugendliche dem Teufel solche Aussagen nicht zugetraut. Sie belustigte ihn sogar so sehr, dass Hans sich nicht mehr zurückhalten konnte und anfing zu lachen. Der Teufel war ein ziemlich interessanter Zeitgenosse.

„Nun gut, Teufel, dann lass mich dir eine Frage stellen. Bist du nun eine Frau, oder ein Mann? Seit diese Gerüchte im Umlauf sind, hat mich diese eine Frage sehr beschäftigt“, meinte Hans, dessen Halsschmuck nun im Mondlicht ein wenig leuchtete. Es fiel dem Teufel erst jetzt auf und es trieb ihm ein leichtes Lächeln aufs Gesicht. Hans trug ein Kreuz um den Hals, als sei er ein katholischer Priester, der versuchen könnte den Teufel in die Unterwelt zu verbannen.

„Solche Dinge nützen bei mir nichts“, erklärte der in rot Gekleidete.

„Keine Sorge, ganz so naiv bin ich nicht“, entgegnete Hans und sah auf sein Kreuz herab, „Es soll den Engel, der zu mir kommt abhalten uns zu stören. Also, Teufel, was ist nun? Möchtest du mir nicht wenigstens diese eine Frage beantworten, wenn du mir schon das Herz rauben willst?“

Der Teufel zeigte noch immer ein schiefes Lächeln und er legte seine Hand an die Hüfte: „Ist das so, ja? Ich wusste gar nicht, dass es solche Gerüchte über mich gibt. Es scheint als würdet ihr Normalsterblichen denken mein Geschlecht wäre unbekannt, aber weil du es bist… Ich bin sowohl männlich als auch weiblich. Denn dieser Körper ist nun der eines Teufels, also so wandelbar wie es mir beliebt.“

„Bedeutet das, dass du auch schwanger werden kannst?“, harkte Hans fasziniert nach.

„Die Möglichkeit besteht zumindest. Ich bin aber nicht gekommen um eine Stunde Sexualkundeunterricht bei dir zu nehmen, das weißt du doch, oder?“

Hans nickte, wobei er sehr damit bemüht war nicht in belustigtes Lachen zu geraten. Immerhin teilte er denselben Humor mit dem Teufel: „Nein, nein, das weiß ich. Ich wollte mir nur eine Grundlage verschaffen, dich überhaupt richtig zu verstehen. Das heißt also, dass ich damit richtig liege, dass du den Engel… ehm… nein, dass du Johan also wirklich liebst, ja?“ Hans nickte wie zu sich selbst und ging auf den Teufel zu und nahm essen Hand. Der Teufel bedachte sein zwölftes Opfer mit verwirrter Miene. „Du kennst Johan?“

Hans nickte lediglich, doch er versuchte ihm nichts zu erklären. Für den Teufel wäre diese Geschichte zu unglaubwürdig und vermutlich würde es ihn nur verärgern. Stattdessen entschloss Hans zu schlussfolgern: „Du wünschst dir ein Kind von Johan Andersen, stimmt’s?“

Der Teufel schnappte überrascht nach Luft. Er hatte wohl nicht erwartet, dass jemand, der ihn gar nicht kannte, durchschaute.

„Wenn es um Nachwuchs geht, dann muss dein Partner leben, damit du von ihm ein Kind empfangen kannst. Ein Geist ist dir da keine sehr große Hilfe. Deshalb versuchst du mit allen Mitteln deinen Freund wieder auferstehen zu lassen, hab ich Recht? Oder liege ich damit etwa falsch?“, räsonierte Hans weiter.

„Du hast zum einen Teil Recht, aber zum anderen ist es anders. Hans, wusstest du, dass ein toter Körper furchtbar kalt ist? Ich möchte, dass mein geliebter Johan wieder voller Wärme steckt, so wie früher als wir miteinander das Bett teilten. Wenn ich heute Johans Körper umarme, dann ist da nichts. Kein bisschen Wärme. Ich möchte seine Wärme nicht noch einmal verlieren“, erklärte er und zwischen ihnen wurde es für eine ganze Weile still, „Nicht noch einmal!“

Diese Worte sprach der Teufel mit Nachdruck. In seiner Stimme lag der Schmerz von einer großen Niederlage, die eine tiefe Narbe auf seinem Herzen hinterlassen hatte. Das Bewusstsein die Unterstützung des einzigen Menschen verloren zu haben, der in der Lage gewesen war sein Trauma aus längst vergangenen Tagen zu besänftigen, tötete die emotionale Welt des Teufels weiter ab. Hans rührte sich kein Stück, er stand immer noch nahe beim Teufel, doch seit ihrem Händeschütteln hatte er sich keinen Millimeter von dem Mörder entfernt. Der Teufel änderte seine Stimmlange und seine Worte klangen vielmehr wie ein Singsang: „Du hast es wohl begriffen. Alles bis ins kleinste Detail. In dem Fall wirst du auch wissen, dass du sterben wirst. Ich werde dir das Herz herausschneiden und damit Kettenmaterial in Bewegung setzen.“

Es war die Stimme der Hexe Medea die so schaurig sang. Mit diesem Gesang setzte sich eine Magie frei, die Hans den Kopf verdrehte. Ihm wurde schläfrig zumute und seine Sinne leicht vernebelt. Selbst wenn Hans es gewollt hätte, er sah sich keinesfalls mehr in der Lage sich zu bewegen oder zu fliehen.

„Du bist der letzte. Mit deiner Opfergabe wird Kettenmaterial aktiviert. Nur noch dieser letzte Schritt, also nimm’s mir bitte nicht übel.“

Die schläfrige Stimme des Jungen murmelte leise. Stünden sich die beiden Männer nicht gegenüber, so hätte man Hans‘ Stimme kaum wahrnehmen können und während er sich taub und leicht fühlte entgegnete er dem Teufel: „Ich verurteile dich nicht. Weißt du, vor ein paar Stunden hatte ich einen Traum. Es war ein wirklich schöner Traum in dem ihr glücklich aussaht. Der Engel und du… ihr wart wirklich hübsch miteinander anzusehen. Weißt du wie das ist, Teufel? Wenn man von niemandem akzeptiert wird und behandelt, wie ein Außenseiter? Alle um mich herum haben schon immer geglaubt, dass ich einen an der Klatsche habe. Niemand hat mich je gebraucht und bis auf meine Familie hat sich noch nie jemand um mich gekümmert. Selbst wenn mich auf der High School niemand mehr mit Worten verletzt hat, so sahen sie doch mit solchen Augen auf mich herab. Egal wie man es dreht und wendet, ich gehöre einfach nicht in diese Welt. Dann lernte ich den Engel kennen und er sah mich nicht eine Sekunde lang so an wie alle anderen. Mit ihm hat das Leben Spaß gemacht und wenn du nun mein Herz als würdiges auserkoren hast, dann gebe ich es gern für ihn. Allerding…“

„Ich hätte nicht gedacht, dass sich jemand so bereitwillig opfert. Und? Was willst du noch sagen?“ Der Teufel war willig ihm ein wenig Gehör zu schenken. Immerhin opferte er sich freiwillig.

„Der Engel hat mir auch gesagt, dass er nicht wiederbelebt werden möchte. Also… wenn du ihm wieder Leben einhauchst, deinem Gott… Was tust du wenn er anfängt dich zu hassen und zu verabscheuen? Oder wenn er dich verflucht?“ Natürlich wusste Hans durch die vielen Gespräche mit Johan auch, dass dieser ihn bis in alle Ewigkeit lieben würde und schon aus dem Grunde nicht mit dem Teufel anfinge zu schimpfen. Dennoch sollte der Teufel besser darüber nachdenken. Irgendwo in einem Buch über okkulte Bräuche hatte Hans einmal gelesen, dass es gut passieren konnte, dass sich die wiedererweckten Personen in ihrer Persönlichkeit veränderten und eben nicht mehr dieselben waren.

Der Teufel jedoch schwieg und schüttelte den Kopf. Wie Hans bereits erwartete war er von seinem Plan besessen und kümmerte sich nur noch um sein Ziel.

„Das ist mir egal. Selbst wenn Johan mich hasste, auch wenn er mich verabscheute oder verfluchte… das alles spielt keine Rolle für mich. Solange er mich noch einmal ansieht, ist es mir ganz gleich ob er mich noch liebt oder nicht, wenn ich nur seine Stimme noch einmal hören kann. Wenn er mich noch einmal beim Namen nennt, bin ich glücklich. Deshalb muss ich mir über solche Dinge keine Sorgen mehr machen.“

„Ich verstehe…“, kam es langsam aus dem Munde des betäubten Jungen, „Es ist wirklich unglaublich.“ Er sprach die Worte mit der ganzen Ehrlichkeit seines Herzens. Der Teufel war selbst in seiner Grausamkeit noch unglaublich beeindruckend und schön. Selbst wenn er durch den endlich wiedererwachten Johan zu Tode käme, dann würde der Teufel sicher nur den Anschein eines schlummernden, wunderschönen Mädchens machen. Das wäre vermutlich für alle Beteiligten das Beste gewesen. Hans schloss seine Augen. Hinter seinen geschlossenen Lidern stellte er sich seine Umgebung vor.

„Judai Yuki, der die Elementarhelden verwendet. Höre mir genau zu, denn es gibt noch eine letzte Sache, die ich dir erzählen muss“, murmelte Hans verschlafen, dessen Bewusstsein in immer weitere Ferne rückte, „Johan Andersen liebt dich immer noch. Er war die ganze Zeit bei dir, an deiner Seite.“

„Du wusstest es also, dass ich früher mal die Helden eingesetzt habe. Zurzeit benutze ich sie nicht mehr, aber sollte ich irgendwann sterben, dann werde ich bei ihnen um Vergebung bitte. Wenn ich zu ihnen gehe, werde ich wohl auch dich und die anderen elf Seelen besuchen gehen. Sobald es soweit ist, können wir wieder miteinander sprechen. Solange es nur bedeutet, dass ich aus den Tiefen der Hölle kriechen muss, dann werde ich das tun“, entgegnete der Teufel beinahe emotionslos.

„Das hört sich so an als treffen wir uns schon bald wieder, hm?“

„Wohl früher als wir beide erwarten“, antwortete der Teufel, auf dessen Gesicht ein bitteres Lächeln zu verzeichnen war, als er seinen Arm hob und die Hand nach Hans‘ linker Brust ausstreckte. Der Ort, an dem das Herz wohnte. Der Teufel konnte es in seinem ruhigen Rhythmus schlagen hören. Überraschend wie ruhig es schlug, denn viele seiner anderen Opfer wären schon vor Angst beinahe umgekommen. Vermutlich lag es an der Betäubung mit der er Hans belegte, damit er einen recht angenehmen Tod erlitt. Dieser Motor lief auf jeden Fall, kräftig und stark klopfte es, als ob es am nächsten Morgen wieder einen neuen Tag erlebte.

Hans lauschte mit geschlossenen Augen. Alles was er spüren konnte waren die Fingerspitzen des Teufels, die sich langsam an seine Brust setzten und im Begriff waren ihm das Herz säuberlich herauszuschneiden. Doch die Fingernägel des Teufels fühlten sich abgerundet und weich an.

„Dann sei so lieb und sterbe für mich“, flüsterte die Stimme des Teufels, „Lebe wohl, Nummer Zwölf – Hans. Du bist der Junge, der dem Gott ein neues Herz schenkt.“

Über der Hauptstadt Englands brach ein neuer Morgen an. Die Vögel zwitscherten heiter, so als erwarteten sie ein großes Fest in den Straßen dieses großen Ortes. Die Sonne schien an diesem Morgen so grell und heiß vom Himmel, dass man fast meinen konnte, es sei Sommer. In einem Nebengelass von Scotland Yard wurde ein weiterer, toter Junge gefunden, welcher in seinem Bett lag und den Anschein erweckte friedlich zu schlafen. Beim näheren Hinsehen aber, konnte man erkennen, dass alles was ihm fehlte, sein Herz war. Die linke Brust wurde ihm ausgehöhlt, als habe sich ein Kind daran versucht zu Ostern für das Eierbemalen ein paar selbst leer zu pusten. Das Laken und die Unterseite der Decke waren blutgetränkt, denn den Schwall der Aorta hielt sich nicht von allein auf. Der Körper des jungen Hans wurde nicht wie all die anderen zerfleischt, zerstückelt und seine äußere Hülle blieb bis auf das Loch in seiner Brust unversehrt. Es machte den Anschein als ob der Teufel dieses eine Opfer mit großem Respekt behandelt hatte.
 

Der Teufel war in derselben Nacht noch entkommen, ohne dass auch nur ein Polizist etwas davon mitbekommen hatte. Auch Edo und Shou, welche in einem weiteren Nebengelass, drei Straßen weiter untergekommen waren, bekamen von dem Aufruhr erst am nächsten Morgen zu hören.

Juudai machte Gebrauch von der Fallenkarte Spiegeltor, welche ihm den Zugang in sein Nest gewährte. Mit dem frischen Herzen in seiner Hand kehrte er zurück um die letzte Opfergabe in die Reihen der anderen zu gesellen. Erleichtert seufzte Juudai aus. Es war ein langer Weg gewesen. Nun hatte er endlich die zwölf Opfergaben zusammengesammelt, die zwölf Innereien, die er benötigte um Johan wieder auferstehen zu lassen. Der Braunhaarige öffnete den hübsch glitzernden Christallkasten, in dessen Mitte er den toten Körper seines Geliebten gelegt hatte und ordnete die Opfergaben im Kreis, um ihn herum, an. Sämtliche dieser Opfergaben erweckten den Eindruck noch frisch und gerade erst aus ihren dazugehörigen Körpern entfernt worden zu sein. Anders als deren Nachlass, die vom Teufel regelrecht zu Hackfleisch verarbeitet geworden waren. Auf Johans Körper legte Juudai nun eine Karte, welche unmittelbar danach zu leuchten begann. Der Teufel schloss langsam seine Augen.
 

Kettenmaterial wurde aktiviert und begann sich zu entfalten.
 


 

Fortsetzung folgt.



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