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Seelenfragmente

Schnipsel übers Leben und Zusammenleben einer gespaltenen Persönlichkeit
von

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Zwei Seelen

Zwei Seelen
 

*
 

»Du solltest nicht hier sein … Yugi.«
 

Der Pharao löste den Blick nicht von der Wand. Seine ausgestreckte Hand lag flach auf den Malereien, die die endlosen Steinmauern verzierten. Die Konturen des Freskos waren verschwommen, die Farbe verblasst. Es war unmöglich zu sagen, was das Bildnis darzustellen versuchte. Es war nur eine weitere, ausgeblichene Erinnerung.
 

Nur.
 

Frustriert schloss der Geist des Puzzles die Augen. Es nutzte nichts. Und er wusste es. Er konnte die Erinnerungen nicht zwingen zu ihm zurückzukehren. Sein Willen war stark. Doch an dieser Herausforderung war er bisher gescheitert. Es war zwecklos.
 

Er zog die Hand zurück und warf einen Blick über seine Schulter. Er sah dorthin, wo er die Präsenz seines anderen Ichs– nein, Yugis wahrnahm. Yugi war sein Licht in der Dunkelheit. Seine Anwesenheit nicht zu bemerken, war dem Geist gar nicht möglich. Doch bedeutete dies nicht zwangsläufig, dass er mit jener auch immer zufrieden war.
 

»Wie oft habe ich dich schon auf die Gefahren, die an diesem Ort lauern, hingewiesen, Partner?«
 

Der Pharao wandte sich gänzlich um, eine Hand dramatisch in die Hüfte gestemmt.
 

Yugi, der sich hinter dem Absatz einer unmöglichen Treppe – sie lag auf der Seite und führte zu einer schrägen Ebene, die jeder Vernunft und Physik trotzte, weil sie um mindestens drei Ecken verlief – verbarg, konnte sich ein knappes Lächeln nicht verkneifen und trat aus dem toten Winkel seines Versteckes. So beeindruckend und selbstsicher die gewählte Pose seiner anderen Persönlichkeit auch war, so konnte er auch nicht leugnen, dass ihn diese Haltung zu sehr an seine Mutter erinnerte. Sie baute sich genauso auf, wenn sie dabei war, Yugi die Leviten zu lesen – was in letzter Zeit im Übrigen häufig der Fall gewesen war. Unterhaltungen mit einem unsichtbaren Freund führten offensichtlich nicht zu einem gesunden Mutter-Sohn-Verhältnis.
 

»Ich habe aufgehört zu zählen, mein anderes Ich«, gab Yugi offen zu, als er seinem alternativen Ego gegenüberstand. Natürlich wusste er um all die Tücken, Fallen und Zauber, die in der Herzenskammer des Pharaos lauerten. Allein durch das Labyrinth aus absurden und jeder Logik widersprechenden Treppen, Ebenen und Räumen war es jedem Besucher unmöglich, diese Dinge zu vergessen. Und auch Yugi musste zugeben, dass er sich am Anfang gefürchtet hatte. Der Verstand des Pharaos war gefährlich, denn nicht mal er selbst hatte diesen Ort unter Kontrolle. Selbst wenn die Magie ihn nicht befiel, weil er der Herrscher dieses grotesken Reichs war, konnte er keine Garantie dafür aussprechen, dass Selbiges auch für seine Gäste galt. Deswegen hatte er Yugi untersagt, diesen Ort aufzusuchen. Solange sein anderes Ich nicht die Rätsel seiner Existenz gelöst hatte, war das Labyrinth ein zu gefährlicher Ort, dessen Besuch einem Gast weitaus mehr kosten konnte als nur das Leben.
 

Doch Yugi hatte unlängst herausgefunden, dass er sich endlich den Gefahren stellen musste, anstatt sich hinter der beschützenden Macht seines Freundes zu verstecken. Es war seine Aufgabe, an den Gefahren, denen sie sich gemeinsam stellten, zu wachsen – nicht im Schatten einer schillernden Persönlichkeit zu stehen. Außerdem konnte er nicht zulassen, dass ein Freund eine solche Aufgabe allein zu bewältigen hatte.

Schließlich war das das grundlegende Konzept von Freundschaft: Niemals allein.
 

Aber zur Verteidigung des Pharaos musste Yugi anmerken, dass sie am Verständnis dieses Konzeptes noch arbeiteten. Drei Millennien der absoluten Isolation wirkten sich in der Regel nicht unbedingt förderlich auf die soziale Kompetenz aus.
 

»Das ist wohl wahr«, bemerkte der Geist und Yugi schnappte aus seinen Gedanken hoch, um die amüsierten Züge auf dem Gesicht seines Konterparts zu bemerken. Yugi spürte, wie er errötete, obwohl ihm nicht ganz klar war, wie das in Seelenform und mangels Blut funktionierte.
 

»Wohl etwas zu laut gedacht. Verzeihung«, räumte Yugi verlegen ein. Der Pharao nickte stumm. Doch anstatt eine Rüge auszusprechen, verschränkte er die Arme und blickte stoisch zurück zu den Wandmalereien seiner eigenen Gruft. Das Lächeln auf seinen Lippen war konstant geblieben.
 

»Oh, es gibt nichts zu verzeihen. Es ist schließlich nicht so, dass du Unrecht hast, Partner«, erwiderte der Pharao in einer Manier, die Yugi beinahe schon als heiter bezeichnet hätte und die ihn erstaunte. Das war definitiv ein Fortschritt. Immerhin zählte Heiterkeit zu einer jener Emotionen, für die sein anderes Ich nicht unbedingt berühmt war. Melancholie, Rachelust und leicht psychotische Schadenfreude waren da eher seine Stärken.

Erschrocken zuckte Yugi ob dieses Gedankenganges zusammen und blickte zögernd zum Geist hinüber. Er hoffte, dass der Pharao nicht gelauscht hatte, und stellte betroffen fest, dass die Seele seines Freundes eine rasche Kehrtwende vollzogen hatte und nun wieder auf den Wegen der Trauer und Einsamkeit wandelte. Erneut hatte er eine Hand nach den Insignien auf der Wand ausgestreckt. Doch diesmal wagte er es nicht, die verblassten Abbilder seines Lebens zu berühren.
 

»Manchmal scheint es mir so, dass ich in der Zeit meiner Verbannung nicht nur meine Erinnerungen eingebüßt habe«, sprach er leise und schloss resignierend die Augen. Tiefer Kummer und Gram beutelten die Stimme, die sonst so mächtig war. Eine Hand hatte er zur Faust geballt und schlug damit kraftlos gegen die Malereien und das Mauerwerk, bevor er fortfuhr: »Ich habe auch mich selbst verloren.«
 

Bekümmert senkte Yugi die Schultern. Er spürte den Schmerz seiner anderen Persönlichkeit. Er brannte sich tief in seine Seele. Es war unerträglich. Es war, als würden Trauer und Verbitterung seinen Geist gnadenlos zerreißen.
 

»Pharao …«, murmelte er mitfühlend und machte einen entschlossenen Schritt auf seinen Freund zu, zögerte im nächsten Moment jedoch. Yugi kannte sein anderes Ich gut. Er kannte die Kraft und die Entschlossenheit, mit der der Geist seines Puzzles stets in den Kampf zog. Doch genauso wusste er um den Stolz und die Würde des Pharaos, die es ihm verboten, nach außen jemals etwas Anderes zu zeigen als seine selbstbewusste Fassade, wohingegen in seinem Inneren Verzweiflung und Sehnsucht tobten. Es war niederschmetternd.

Aber deswegen hatte das Schicksal sie zusammengeführt. So verschieden ihre Geister auch waren, so gleich war die Aufgabe, die man ihnen gemeinsam auferlegt hatte: Nämlich sich ihren Problemen und Ängsten zu stellen.
 

»Du denkst ständig nur an jene Dinge, die du verloren hast«, stellte Yugi fest, als er zu seinem anderen Ich aufgeschlossen hatte. Ein Impuls wollte ihn dazu bringen, seinem Freund eine Hand auf die Schulter zu legen, um ihm so Beistand zu suggerieren. Doch Yugi wusste, wie wenig diese Geste dem Pharao nützte. Er fuhr fort: »Dabei solltest du dich an jenen Dingen festhalten, die du gewonnen hast. Und damit meine ich nicht nur Duelle.«
 

»Partner?« Yugi sah die Unsicherheit, welche sich fahl in den Augen des Geistes manifestierte. Konfus blickte er über seine Schulter, die Faust, die eben noch kraftlos versucht hatte, verlorene Erinnerungen zu zerschlagen, wieder gelockert.

Yugi lachte, denn er wusste seine Gelegenheit zu nutzen. Entschlossen fasste er nach dem Handgelenk des Pharaos.
 

»Du hast mir so viele Dinge beigebracht«, sagte er entschieden und zog den Geist mit sich, »Nun ist es mein Zug, dir etwas zu erklären, mein Freund.«
 


 

*
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  -Pharao-Atemu-
2016-11-14T14:55:23+00:00 14.11.2016 15:55
Toller Anfang bin schon gespannt s wie es weitergeht
Von:  Yatimu
2016-08-20T17:17:51+00:00 20.08.2016 19:17
Ich mag das erste Kapi sehr und freue mich über eine Fortsetzung ;-) Weiter so!
Von:  Usaria
2016-05-09T15:11:42+00:00 09.05.2016 17:11
Also zu nächst mal, die Idee ist super. Ich hab mich schon immer gefragt wie aus diesen Beiden ein so tolles Team wurde. Deine Geschichte liefert hoffentlich die Antwort. Du beschreibst alles sehr gut, das einzige was mir noch fehlt, ist der klang der Stimme. Also wie spricht die Figur etwas aus. Sagt sie es leise oder schreit sie. Liegt Unsicherheit in der Stimme oder liegt in ihr noch ein Unterton verborgen.
Dran bleiben tu ich auf jeden Fall.
Lieben Gruß Usaria
Von:  Seelendieb
2016-05-09T05:04:10+00:00 09.05.2016 07:04
Bisher sehr gut! Die Grundidee, die du hast, ist bis jetzt sehr gut umgesetzt. Toll!
Von: ShioChan
2016-05-09T04:15:45+00:00 09.05.2016 06:15
Der Anfang liest sich bisher richtig gut. Bin mal gespannt wie es weiter gehen wird. ^^
LG Shio~
Von:  mrs_ianto
2016-05-08T20:11:01+00:00 08.05.2016 22:11
Also der Anfang hört sich schon mal gut an und ich bin neugierig, wie es mit den beiden weitergeht und ob es Yugi gelingt dem Pharao zu zeigen, was es heisst einen Freund zu haben.

LG mrs_ianto
Von:  Machiko_chan
2016-05-08T19:57:44+00:00 08.05.2016 21:57
Der Anfang ist richtig gut geworden und ich bin total auf die nächsten Kapitel gespannt! Dein Schreibstil ist klasse und macht einen neugierig. x3


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