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No Princess

von

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Geheimnisse

Keuchend ließ sich Toki in einen Sessel fallen. Er vergrub sein Gesicht in seinen feinen, zitternden Händen. Er brauchte mehrere Male tief durch zu atmen, ehe er den Kopf in den Nacken legte. Seine Augen waren noch gerötet vom Weinen und sich an das helle Licht des Wohnzimmers zu gewöhnen dauerte seine Zeit.

„Was… Was war das?“, man hörte wie seine Stimme brach. Es war fast halb vier am Nachmittag.

Satoshi seufzte und drehte sich kurz um, um Toki zu mustern, wandte seinen Blick dann doch wieder dem Kaminfeuer zu und verharrte im Schweigen.

„Toshi, antworte uns.“, knirschte Mirai. Eine große Flasche Schnaps baumelte in seiner Hand, bereits halb ge-leert. Sho saß unsicher neben ihm und blickte immer wieder zur Tür.

„Wo ist Anna?“, fragte er unsicher, bestimmt zum hundertsten Mal an diesem Tag.

„Was war mit Shiro los? Und was war dieses… dieses Ding?!“, fragte Toki entsetzt und machte Anstalten, sich wieder gerade hinzusetzen.

„Und wo ist Aki?“, schnauzte Mirai genervt.

Satoshi seufzte. Das Knistern des Feuers ließ seine Gedanken treiben, doch die Stimmen der anderen waren wie dicke Felsen im Fluss, die ihm im Weg standen. Der Shiki bewegte sich vom Feuer weg und setzte sich Mirai gegenüber auf die Couch.

„Ihr denkt alle, es ist witzig, eine Königin der Dunkelheit zu sein, oder? Dass es ein tolles Gefühl ist, so viel Macht zu haben, hm?“, lächelte er herablassend und betrachtete die schimmernde Flüssigkeit in Mirais Fla-sche. Schlagartige Stille trat ein. Toshi wusste nun, dass er die Aufmerksamkeit aller im Raum hatte.

„Ich wollte warten, bis Liam und Ren wieder aufwachen, um euch alles zu erklären, damit ich nicht doppelt und dreifach wieder anfangen muss, aber nun gut…“. Er lehnte sich vor, nahm Mirai seinen Schnapps ab und trank einen Schluck. Kurz verzog er das Gesicht in Anbetracht des bitteren Geschmacks, stellte die Flasche wieder auf den Tisch und sah in das verdatterte Gesicht des Affenkönigs.

„Ich habe schon viele gesehen…. Fast alle.“, begann der Shiki. Seine Stimme war leise und klang fast nostal-gisch. „Es passiert hin und wieder, wisst ihr.“. Er schaute durch die Runde und erkannte, dass keiner wusste, wovon er sprach. Er räusperte sich kurz und setzte sich auf. Seine Hände waren in seinem Schoß gefaltet, langsam streichelte er mit dem Daumen über einen Ring an einem seiner Finger.

„Dieser Begriff ‚Königin‘ ist eigentlich nichtzutreffend. Sie sind Kinder, geboren als Träger für eine Macht, die niemand versteht. Sie ist in ihrem Körper und will hinaus. Jedes Jahr nimmt die Kraft exponentiell zu; wenn der Körper sich nicht rechtzeitig anpasst, verstirbt die Person einfach. Die Energie entweicht und sucht sich einen neuen Wirt.“.

„Warte… was?“, fragte Mirai entsetzt.

„Oh ja, es gab sehr viel mehr Kinder, als ihr nur ahnen könnt. Fast alle zehn Jahre wird ein neues Kind mit Dunkelheit in sich geboren. Immer wieder wird ihnen ein Shiki von Geburt an zur Seite gestellt, damit wir sie überwachen können. Ahnt ihr, wie viele überlebt haben?“.

„Soweit ich weiß, gab es doch aber nur vier oder fünf Königinnen?“, fragte Toki überrascht und setzte sich auf.

„Deshalb werden sie Königinnen genannt. Mädchen, die stark genug sind, um die Energie in sich zu tragen. Mädchen, die nicht plötzlich daran gestorben sind. Weil ein Mädchen aus 5000 überlebt, wird sie „Köni-gin“ genannt. „Auserwählte“. Was für ein Quatsch…“, erneut musste Satoshi kurz lächeln. Ein kurzes Schwei-gen trat ein. Alle Blicke waren auf den Shiki geheftet, der plötzlich wieder in Gedanken versunken schien.

„Was hat das mit heute zu tun?“, platzte Mirai ohne Vorwarnung hervor und schnappte sich die Flasche vom Tisch.

„Hmm…“, antwortete Toshi kurz und schien erneut nachzudenken, ehe er weiterredete: „Ihr wisst das be-stimmt alle, aber ‚Dunkelheit‘ ernährt sich von den negativen Gefühlen der Menschheit. Anna hat ihre Fami-lie verloren, ihr Zuhause und nun auch noch die letzte Hoffnung, die sie auf ein normales Leben hatte.“

„Mika…“, murmelte Toki leise und Toshi nickte.

„Wenn sie Mika hätte retten können, dann wäre ihre Kraft noch zu etwas Gutem nütze. Das hat sich jetzt allerdings erledigt.“.

„Das heißt, dass, nur weil sie ihre Hoffnung verloren hat …?“, begann Mirai.

„Ja. Hoffnung ist eines der stärksten Gefühle, meiner Meinung nach sogar stärker als Liebe. Aber als sie Mika gesehen hatte, ist etwas in ihr zerrissen, würde ich meinen.“, erklärte der Shiki.

„Was für ein Bullshit.“, schnauzte Mirai sofort und ließ sich zurück ins Sofa fallen. „Nur wegen so etwas…“.

„Ich glaub‘, du verstehst nicht ganz, A f f e.“, fiel ihm Satoshi zischend ins Wort. Wütend funkelte Mirai ihn an. „Anna ist kein Mensch. Sie ist kein normales Mädchen. Sie ist ein Behälter, ein Wirt für die Dunkelheit. Wa-rum denkst du, sucht ‚Dunkelheit‘ nach einem Behälter, um auf der Erde zu wandern?“

Erneut trat Stille ein, eine beklemmende, drückende Stille. Sho schluckte. Er wurde blass. „Du meinst, dass … dass die Dunkelheit durchgedrungen ist?“, fragte er ängstlich und erntete sich dadurch ein kurzes Lachen sei-tens Satoshi ein.

„Durchgedrungen?“, fragte er kichernd nach. „Nein, nein. ‚Durchdringen‘ tut sie jedes Jahr, wenn das Mal auf Annas Haut größer wird. Was heute passiert ist war eine komplette Übernahme. Ich verstehe nicht, wieso ihr das nicht begreift. Jeder, der sie gesehen hat, müsste wissen, dass das nicht Anna war.“. Niemand schien mehr fragen zu wollen nach dieser Aussage. Alle hielten den Atem an.

„Ich erkläre es euch. Das Mal auf Annas Rücken ist eine Manifestation des Bösen. Es ist wie eine Krankheit – sie breitet sich über den ganzen Körper aus, bis der Körper quasi platzt. Das ist bereits passiert – die Kristall-formation von Charlotte in meinem alten Haus, das war reine Energie und Anna hat sie komplett aufgenom-men. Dass sie nicht auf der Stelle gestorben ist, ist ein Wunder. Allerdings bin ich nicht der Einzige, der das weiß.“, fügte er leise hinzu. „Wenn eine so große Macht einen Körper braucht, der selbst dann nicht bricht, wenn er sogar einen anderen Teil von Macht in sich aufnimmt, das erkennt, wird sie euphorisch. Das Problem ist also nicht Annas Körper, noch nicht jedenfalls. Es ist ihr Geist, der nicht nur versucht, ihre Dunkelheit in Schach zu halten, sondern noch den anderen Teil… Charlottes Teil.“.

„Charlottes Teil?“, fragte Toki besorgt.

Sho erhob seine Stimme: „Was meinst du mit ‚noch nicht‘?“.

Als Mirai ansetzen wollte, um etwas zu sagen, hob der Shiki beschwichtigend die Hände, um wieder Ruhe zu erlangen.

„Deshalb jedenfalls, mein lieber Affe, ist Hoffnung so eine wichtige Sache. Der letzte Teil in Anna, abgesehen natürlich von ihrer unsterblichen Liebe zu Akira“, er verdrehte kurz die Augen, „ist dahin. Das letzte bisschen Hoffnung, dass sie weiterkämpfen ließ, ist weg. Und glaube mir, sobald die Dunkelheit eine Schwäche in dir sieht, übernimmt sie dich. Das hat man auch physisch gesehen. Ist euch aufgefallen, dass ihre Haut komplett weiß war?“.

„Ja, ihre Klamotten waren total zerrissen.“, murmelte Mirai und lehnte sich zurück.

„Stattdessen hatte Shiro …“, doch Toki wollte die Worte nicht aussprechen. Satoshi nickte.

„Nicht nur Shiro, im Übrigen.“, lächelte er kurz schmerzhaft und zog den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke hinunter. An seiner Brust klammerte eine Miniatur von einem Mädchen. Die sonst so violetten Haare waren komplett schwarz. Hikari klammerte sich an Toshis Brust und atmete schwer. Sie schien zu schwitzen, als hät-te sie Fieber.

„Ich schätze auch die Wölfe in deinem Wald sind gerade ein bisschen durchgedreht.“. Toki sprang auf um zu Hikari zu rennen.

„Wieso hast du mir nicht erzählt, dass es ihr so schlecht ging?“, keuchte er entsetzt und versuchte, nach Hikari zu greifen, doch die Jacke schloss sich wieder.

„Das Miasma hätte dich umgebracht.“, antwortete er kühl und legte die Hand auf die kleine Beule auf seiner Brust. „Ihr versteht es einfach nicht. Wir haben keine Wahl, als uns dem Befehl unserer Königin hinzuge-ben.“.

„‘Wir‘?“, fragte Mirai argwöhnisch nach. „Was meinst du mit ‚wir‘ ?“.

„Wir, ihre Kinder, ihre Diener, ihre Sklaven.“, das Lächeln auf Satoshis Lippen wurde breiter. „Jeder, der ihr Blut getrunken hat oder aus ihrer Macht heraus geboren wurde, wird blind gegenüber allem, was er sonst so wertschätzt. Das ist der Grund, warum sich Shiro euch in den Weg gestellt hat. Um ehrlich zu sein bin ich überrascht, dass er dich nicht sofort angegriffen hat. Vielleicht hat er doch noch ein bisschen Loyalität für sei-ne Familie übrig in diesem Zustand…“, gedankenversunken schaute der Shiki aus dem Fenster.

„Aber du warst normal…“, erwiderte Toki verwundert. „Wieso?“.

Satoshis Augen wanderten zu dem Elfenkönig und verharrten dort für einige Sekunden. Er hatte sein Kinn auf seinen Knöcheln abgelegt. Sein Blick löste sich wieder von dem kleinen blondhaarigen Jungen. „Ich bin’s gewöhnt. Ich bin ein Shiki, ich mach‘ mir die Kraft der Königin zu Nutze. Zwar bin ich hier, um Befehle auszu-führen und kann auch wohl keinem widersprechen, aber ich werde nicht komplett ‚blind‘ durch die Macht, die sie über mich hat.“. Plötzlich fackelte ein Bild in Mirais Erinnerung auf. Als er Annas Arm gepackt hat, war Satoshi kurz zusammengezuckt. War das der Instinkt des Shikis gewesen, Anna zu beschützen?

„Deswegen hast du gesagt, wir sollten sie nicht angreifen…“, flüsterte der Affenkönig leise und Satoshi nick-te.

„Sie lässt alles töten, was ihr wehtun will. Um ehrlich zu sein würde ich gerade nur ungerne in Akiras Haut ste-cken.“.

„Apropos: Wieso war Akira nicht da, um zu helfen?“, fragte Sho nun genervt, da er gesehen hatte, wie Satos-hi Akira ins Haus getragen hatte. Satoshi schmunzelte erneut.

„Lieber Sho, du denkst vielleicht, du wüsstest alles, aber das Gefühl der Liebe ist dir wohl noch fremd, nicht wahr?“, stichelte er leise und sah grinsend dabei zu, wie Sho vor Wut rot anlief.

„Ist es nicht!“, schnauzte der kleine Tengu sofort, wurde jedoch von Mirai zurückgehalten.

„Was hat das damit zu tun?“, fragte Mirai argwöhnisch.

„Der Stromausfall heute Nacht… Lasst es mich so formulieren, heute Nacht kamen sich Anna und Akira ein bisschen näher, als sonst. Die Synchronisation hat begonnen und das zu dem deutlich schlechtesten Zeit-punkt. Wie ihr wisst, sind Shiro und Hikari durch Blut an Anna gebunden, genau wie ich. Akira allerdings nicht.“, begann der Shiki und setzte sich auf. Seine Miene verfinsterte sich. „Annas Seele… Ihre eigene, also nicht die von Charlotte oder der Teil, der die Dunkelheit in sich trägt, verbindet sich mit Akira. Je mehr sie sich ihm öffnet, desto mehr wird die Macht übertragen. Das haben wir über die Jahre gelernt. Bei Königinnen, die keinerlei Liebe für ihre Auserwählten empfanden, geschah nichts. Die Mädchen starben einfach nach kurzer Zeit. Aber Anna verliebt sich wirklich. Wisst ihr, warum Menschen Umarmungen lieben?“, fragte der Shiki plötzlich und sah in die Runde, nur um verwirrte Blicke zu ernten. „Wenn Menschen sich umarmen, sind sich ihre Herzen so nahe wie sonst nie. Es ist die Sehnsucht, aus zwei Menschen einen zu machen, zu verschmel-zen. Wenn zwei Seelen sich berühren… wie soll ich das sagen? Dann teilen sie etwas miteinander, versteht ihr?“, er gab den anderen kurz Zeit, darüber nach zu denken. „Aber bei Anna ist es anders. Sie trägt die Dun-kelheit in sich.“, er kam sich langsam lächerlich vor, das so oft sagen zu müssen. „Und das, was sie teilt, ist nicht nur ihre Seele. Seine Augen wurden schwarz, er war kurz davor, übernommen zu werden. Ich weiß nicht, wie weit die beiden bereits gegangen sind, aber das heißt, dass mittlerweile nicht nur Annas Leben in Gefahr ist.“.

„Wie meinst du das, nicht nur Annas Leben ist in Gefahr? Was ist mit Aki?“, fragte Mirai und er spürte, wie seine Kehle trocken wurde. Angst machte sich in seiner Stimme breit. Genervt stöhnte Satoshi auf. „Wie oft muss ich es euch noch sagen? Das ist wie eine Krankheit! Kriegt man sie nicht unter Kontrolle, stirbt man, so einfach ist das!“, fauchte er erschöpft und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

„Wie können wir es aufhalten?“, fragte Toki sofort entgeistert, „Was können wir dagegen tun?“

Satoshi funkelte ihn zwischen den Spalt seiner Finger an, ehe er aufstand und sich vor Toki aufbäumte.

„Aufhalten?“, fragte er leise nach und er spürte Wut in sich hoch kochen. „Was dagegen tun?“. Er drehte sich zu Mirai um und starrte ihn an. Der Affenkönig war ebenfalls aufgestanden. Verängstigt starrte Sho die bei-den großen Männer an. „Es ist echt nicht zu fassen, mit was für Idioten sich meine Anna abgibt.“, knirschte Satoshi wutentbrannt.

„Sag‘ das noch mal.“, fauchte Mirai nun und zog sich den Shiki an dessen Kragen näher.

„Ich sag es, so oft wie ihr es hören müsst. Alle buhlt ihr euch um Annas Kraft, um die Macht, die in ihr steckt, damit ihr eure eigenen Ziele verfolgen könnt.“, nun packte sich auch der Shiki den Kragen des anderen. „Was habt ihr geglaubt, wie das funktionieren würde? Dass ihr einen Vertrag unterschreibt, wie sie es mit Sho ge-macht hat? Dass ihr einfach danach fragt, wie nach Geld?“. Wütend stieß er den Affenkönig von sich, sodass dieser zurück im Sofa landete. „Was denkt ihr eigentlich, wer ihr seid?“. Das Gesicht Toshis wurde weiß. „Niemand von euch denkt je daran, was sie durchmachen musste, oder?“. Für eine Sekunde meinte man, ein blaues Blitzen in seinen Augen sehen zu können. Satoshi drehte sich weg. Er konnte nicht weiter bei diesen gehirnamputierten Idioten bleiben, es gab wichtigere Dinge zu tun. Im Türrahmen drehte er sich jedoch noch einmal um: „Eines muss ich ihr jedoch lassen. Über die Zeit hat Anna es geschafft, viele von euch mit ins Ver-derben zu reißen.“.

Sobald Toshi die Tür geschlossen hatte, hatte ihn auch schon die nächste Nervensäge eingeholt. Ein junger, weißhaariger Mann stand vor ihm, sichtlich beschämt, sogar verletzt.

„Shiro…“, murmelte Toshi verwundert und sah sich seinen quasi-Halbbruder genauer an, doch dieser weiger-te sich, dem Shiki ins Gesicht zu blicken.

„Stimmt das, was du gesagt hast?“, fragte er nun leise und löste in Satoshi fast sowas wie Mitleid aus.

„Du hast es also gehört…“. Der Wolfsjunge nickte. Seine Finger vergruben sich fest in seinen Armen. „Es stimmt.“, sagte Satoshi schließlich und sah, wie der Junge noch bedrückter dreinblickte. Er war wirklich noch ein Kind.

„Was kann ich tun?“

„Tun?“. Satoshi überraschte diese Frage.

„Um zu werden, wie du. Um mich zu widersetzen.“

Der Shiki seufzte kurz. „Im Moment nicht viel. Wenn du helfen willst, komm mit, ich muss nach Akira schau-en.“. Shiro zögerte kurz.

„Was ist mit Anna?“, fragte er dann leise nach.

„Der geht’s gut.“. Der Shiki bewegte sich Richtung Treppen.

„Was war dieses Ding, das neben ihr stand?“, fragte der Junge schließlich, als sie die obersten Stufen erreicht hatten.

„Eine Manifestation. Glaube nicht, dass wir das so bald wiedersehen werden.“, Satoshi wählte seine Worte extra etwas schwammig, eigentlich wollte er dieses Thema vermeiden. Er hörte, wie Shiro kurz schnaufte.

„Fang bloß nicht an zu heulen.“, schnauzte er Shiro an und hielt an Akiras Tür an. Shiro erwiderte nichts.

Ohne zu klopfen traten die beiden ein. Akira saß auf seinem Bett und starrte aus dem Fenster.

„Was wollt ihr denn hier?“, schnauzte der Feuerteufel leise, sah sie jedoch nicht an. Er hatte ihnen den Rü-cken zugewandt, wollte niemanden sehen. Die Linien auf seinem Rücken zogen leichte Kreise. Satoshi konn-te erkennen, dass die Linien nicht annähernd so viel und breit waren, wie die von Anna, dennoch war es be-unruhigend.

„Wir müssen etwas klären.“, erklärte er sich schließlich, während Shiro vorsichtig ums Bett herumging.

„Deinen Augen geht es besser?“, fragte Satoshi, als er Shiro ums Bett herum folgte und die goldenen Augen Akiras betrachtete. Dieser nickte kurz.

„Wie geht’s Anna? Toki hat mir das mit Mika erzählt, als ich aufgewacht bin…“, murmelte er schließlich. „Es tut weh…“, fügte er leise hinzu und griff sich ans Herz.

„Ihr geht es gut.“, antwortete Satoshi barsch und setzte sich an den Fensterrahmen. „Ich glaube, du leidest sogar mehr als sie.“. Auch er wandte seinen Blick nun nach draußen. Nach einigen Sekunden der Stille setzte er erneut an: „Nur mal so: Nur weil du dich von den Schmerzen und Ängsten der Menschen ernährst, heißt das noch lange nicht, dass du ihrer Kraft gewachsen bist. Tatsächlich bist du gerade drauf und dran, von ihr aufgefressen zu werden.“ Diese Worte ließen Akira tatsächlich zu Satoshi aufblicken.

„Was meinst du damit?“, fragte er nachdenklich.

„Ich meine, dass du stärker werden musst. Nicht körperlich, bei Gott, davon hast du wahrlich genug im Mo-ment, aber geistig. Du musst ihr gewachsen sein – auf geistiger Ebene.“

„Ich bin Anna gewachsen…“, schnaufte Akira lächelnd und lehnte sich zurück aufs Bett.

„Ich meine nicht Anna. Ich meine Charlotte.“. Satoshi wandte seinen Blick zu Akira, der ihn nun argwöhnisch erwiderte.

„Was ist mit Charlotte?“.

„Charlotte hat einen Knall, ums mal so zu sagen. Sie hat sich nie in jemanden verliebt, doch nun, da sie zum Teil in Anna steckt, hat sie bestimmt die Hoffnung ihre zweite Halbzeit spielen zu können.“

„Ich verstehe nicht, was du meinst.“

„Natürlich tust du das nicht.“, schnauzte Satoshi, „Allerdings habe ich keine Zeit, dir alles so genau wie mög-lich zu erklären und ehrlich gesagt auch keine Lust, ich bezweifle nämlich, dass irgendetwas in deinen Dick-schädel reinkommt, egal wie oft ich es dir sage. Fakt ist: Du musst trainieren.“

„Trainieren?“, Akira musste kurz trocken lachen. Das Leben ist doch kein RPG.

„Ich meine es ernst. Du wirst nicht der einzige sein.“. Mit einer Handbewegung deutete Satoshi auf Shiro. Dieser ließ geknickt den Kopf hängen.

„Charlotte hat doch überhaupt keine Macht über Anna.“, schnauzte Akira genervt und legte die Hände hinter den Kopf, ehe er sich auf seinem Kissen niederließ.

„Darum geht es nicht. Wenn Charlotte sich entschließt, dass Anna jemand anderen aussuchen soll, kann das sehr wohl Einfluss auf sie nehmen. Und wenn sie denkt, dass du der richtige bist, wäre es sogar noch schlim-mer.“, erklärte Satoshi nun und stieß sich vom Fenstersims ab.

„Wieso?“, Shiro meldete sich nun zu Wort und heimste sich dafür einen ziemlich strafenden Blick vom Shiki ein.

„Ganz einfach: wenn Charlotte sich in diesen Nichtsnutz verliebt, denkt sie vielleicht, dass Anna ihn gar nicht verdient hat.“, fauchte er leise, als er vor Shiro stand. Stille trat ein.

„Ich muss weiter. Denk darüber nach.“, schnauzte Satoshi dann schließlich und ging, gefolgt von Shiro, aus dem Zimmer.

„Wieso erklärst du es ihm denn nicht genauer?“, wollte Shiro sofort wissen, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. „Du hast ihm doch kaum was gesagt.“

„Wir haben keine Zeit für Geplauder. Keine Zeit….“, murmelte der Shiki vor sich hin und ging zur nächsten Tür. Dieses Mal klopfte er an.

„Herein.“, sagte eine tiefe, brummige Stimme, und die zwei traten ein.

Ren saß auf einem Stuhl an einem Bett. Die dunkelgrünen Gardinen waren zu gezogen, ein Feuer knisterte in dem Kamin. Im Bett lag Liam, immer noch regungslos.

„Wie geht es ihm?“, fragte Satoshi und Shiro war sich nicht ganz sicher, ob er Sorge aus der Stimme heraushö-ren konnte.

„Er wird überleben.“, antwortete Ren knapp und nahm einen Schluck von seinem Tee. Bei genauerem Hin-sehen fiel Shiro eine große Bandage auf, die sich über den Torso des Drachengotts erstreckte.

„Was ist passiert…?“, die Worte fielen aus seinem Mund, ehe er sich überhaupt dazu entscheiden konnte.

„Die Manifestation hat ihn erwischt.“, antwortete Satoshi sofort und setzte sich zu Liams Seite. Seine Hände wanderten vorsichtig über das zerschlagene Gesicht. Ren schloss das Buch, das auf seinem Schoß saß, und sah Shiro an.

„Es ist halb so wild.“, versicherte er ihm, doch selbst wenn die Worte Trost spendeten sollten, fühlte sich der Wolfsjunge, als würde Ren ihn analysieren. Die smaragdgrünen Augen funkelten nachdenklich zu ihm her-über.

„Hast du mit Akira gesprochen?“, wollte Ren nun wissen und wandte seinen Blick zu Satoshi, welcher nickte.

„Ja, er ist noch ein bisschen verwirrt, aber ich denke es wird da keine Probleme geben.“, murmelte er. Sein Gesicht war dem Liams unheimlich nahe.

„Gut. Anna?“.

„Ich war noch nicht bei ihr.“, erwiderte Satoshi kalt. Ren musste kurz lachen, dann husten.

„Ich hätte nicht erwartet, dass ihr Shiki, der sie so sehr liebt, Angst vor ihr hätte.“, murmelte er, ehe er die Lippen an der Tasse ansetzte um einen weiteren Schluck zu trinken. Shiros Blick haschte zu Satoshi, welcher sich nicht regte. Plötzlich stand er auf.

„Ich habe keine Angst.“, erklärte er sich kurz.

„Gut. Wir haben einen Deal, vergiss das nicht.“, erwiderte Ren. Shiro starrte nun ihn verwirrt an.

„Komm, Wolf.“, murmelte Satoshi und wartete auf Shiro an der Zimmertür.

„Gehen wir jetzt zu Anna?“, fragte Shiro unsicher. Satoshi nickte. „Was für einen Deal hast du mit Ren ge-macht?“, fragte der Wolfsjunge dann sofort, doch sie waren bereits an Annas Zimmertür angekommen. Sa-toshi legte seine Hand auf die Klinke, öffnete die Tür jedoch noch nicht.

„Egal, was du jetzt hörst, du sagst keinen Ton und gehst nicht zu ihr hin, verstanden?“. Shiro konnte nicht an-ders, als zu nicken. Die Tür öffnete sich. Warme, stickige Luft strömte aus dem Zimmer, als würde man ein heißes Bad betreten. Anna saß in einem Stuhl und schrieb etwas auf.

„Oh, hallo.“, ihre Stimme war hell und munter, fast fröhlich. Das Mädchen drehte sich in ihrem Stuhl um und schaute zur Tür.

„Hallo, Anna. Wie geht’s dir?“, fragte Satoshi nonchalant und schloss die Tür hinter Shiro, welcher unsicher eintrat. Etwas stimmte nicht.

„Gut soweit. Wie geht’s euch? Und Akira?“, fragte sie neugierig, wandte sich jedoch sofort wieder um, um weiter zu schreiben.

„Gut.“. Die Stimme des Shikis war distanziert.

„Sehr schön. Shiro, komm her, lass dich umarmen.“, grinste Anna dem Blatt Papier entgegen und streckte eine Hand Richtung Zimmer. Shiro war drauf und dran, los zu gehen, doch Satoshi hielt ihn fest. Ein bedeu-tender Blick sagte ihm, dass er nicht zu Anna gehen sollte.

Annas Hand verharrte für einige Zeit in der Luft.

„Wieso machst du das, Toshi?“, fragte sie dann leise und die Munterkeit wich ihrer Stimme.

„Du weißt, dass Mika tot ist?“

„Ja.“

„Du weißt, wer es war?“

„Eve.“, antwortete das Mädchen wie aus der Pistole geschossen. Sie hörte auf zu schreiben.

„Du warst es, Anna.“. Satoshis Worte lösten eine Gänsehaut bei Shiro aus. Anscheinend war er nicht der ein-zige, der dadurch beeinflusst wurde. Anna bewegte sich in ihrem Stuhl, schien unruhig.

„Lüg‘ nicht rum.“, murmelte sie dann plötzlich und beugte sich noch tiefer über das Blatt Papier.

„Hättest du mehr Stärke bewiesen, mehr darauf geachtet, was in deiner Umgebung passiert, hätte sie nicht sterben müssen.“.

„Erzähl keinen Scheiß.“

„Ich hab‘ es dir schon einmal gesagt und werde es erneut sagen: Du bist schwach. Zuerst Adam, dann deine Mutter, jetzt Mika. Wer soll als nächstes dran glauben? Und du sitzt hier rum und tust, als wäre nichts pas-siert. Was denkst du dir eigentlich?“ Satoshis Stimme wurde lauter und lauter. Das Blau in seinen Augen wur-de heller, deutlicher. Es war, als wäre Adam zurück, obwohl Shiro wusste, dass Adam nie so mit Anna geredet hätte. Die Blondine drehte sich herum und musterte den Shiki.

„Ich war es nicht. Es war Eve.“, sagte sie kühl, als hätten seine Worte sie kaum berührt.

„Und doch weißt du, dass ich Recht habe. Du bist schwach.“, entgegnete Satoshi fast schon mit Hass. Anna wusste anscheinend nicht, was sie darauf antworten sollte. Ihr Blick fiel für einige Sekunden zu Boden, dann suchte sie Shiro.

„Denkst du auch so?“, fragte sie kurz angebunden, doch ehe er etwas sagen konnte, bedeutete ihm Satoshis gehobene Hand zu schweigen.

„Jeder denkt so. Du bist eine Königin und verhältst dich wie ein Teenager.“

„Ich BIN ein Teenager, vielen Dank.“, schnauzte Anna und ihre Stimme wurde lauter. „Seit wann erlaubt es sich ein Shiki überhaupt, seiner Königin zu widersprechen?!“, fügte sie hinzu und stand auf, um auf Satoshi zuzulaufen.

„So eine schwache Königin wie du?“, ein angewidertes Lächeln breitete sich auf Satoshis Gesicht aus. „So je-manden nennt niemand ‚seine Königin‘.“ Die Luft in dem Raum wurde immer stickiger, es wurde langsam schwer zu atmen.

„Was hast du gesagt?“, zischte die Blondine leise.

„Du bist keine Königin. Wenn, dann…“, Satoshi schluckte kurz, „Dann wäre Eve wohl eher eine, als du.“. Eine Hand flog durch die Luft, doch machte plötzlich Halt. Satoshi, der kurz zusammengezuckt war, musterte die weiße Hand Annas. Das Blau in Annas Augen … es war nicht mehr das selbe, als ein kurzes Lächeln ihre Lippen umspielten.

„Guter Versuch.“, grinste sie leise, ließ ihre Hand sinken und musterte ihren Shiki. „Satoshi, ich weiß nicht, wieso du mich nicht leiden kannst.“.

Überrascht und gleichzeitig eingeschüchtert huschten Shiros Augen zu Toshi. Eigentlich nannte Anna ihn nicht so.

„Ich konnte dich noch nie leiden. Damals nicht und heute auch nicht.“. Man konnte die Abscheu in seiner Stimme jedenfalls nicht erkennen, dachte Shiro sich. Das blonde Haar wehte kurz durch die Luft, als Anna sich wieder abwandte.

„Was willst du?“, fragte sie barsch und setzte sich wieder hin. Ihre Hand griff nach dem Stift, um weiterzu-schreiben.

„Ren hat dich eingeladen, den Drachenpalast zu besuchen.“.

„Oh wirklich? Das ist aber lieb von ihm.“

Etwas stimmte nicht. Etwas in Shiro bäumte sich gegen diese Person im Stuhl auf. Satoshis Hand bohrte sich in Shiros Schulter, um ihm zu bedeuten, dass er nicht auch nur einen Schritt auf sie zu machen sollte.

„Wir fahren morgen.“, knurrte der Shiki.

„Gut.“, antwortete die Königin lächelnd, ehe die beiden jungen Männer ihr Zimmer verließen.
 

Die Tür schloss sich hinter Shiros Rücken und er war überrascht, dass er nicht der einzige war, der tief ausat-mete. Satoshis Hand fuhr sich über die Stirn. Sie wusste es. Er wusste es.

„Was ist los?“, fragte Shiro nervös. Was verbarg Satoshi?

Es war lange her, dass der Wolfsjunge es zu spüren bekam. Eine vertraute Lieblichkeit, als Satoshis Hand durch das weiße Haar fuhr, als er seinen Kopf kraulte.

„Irgendwann … müssen wir uns mal wirklich unterhalten, Shiro. Das schulde ich euch.“, seine Stimme war sanft und leise, fast komplett ungewohnt, aber merkwürdig vertraut. Ein blaues Glitzern war in Satoshis Au-gen zu sehen.

„Du…“, fing Shiro an, doch erneut seufzte Satoshi.

„Wenn wir morgen gehen… Räum‘ bitte Annas Zimmer auf.“, murmelte der Shiki.

„Ich darf nicht mitkommen?“, entgegnete der Junge nun entsetzt. Toshi griff nach seinem Nasenrücken, als hätte er eine Migräne.

„Tut mir leid, aber das müssen wir alleine regeln. Es wäre zu gefährlich für euch Idioten.“. Das war wieder der Toshi, den alle kannten und hassten. Genervt verzog Shiro sein Gesicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Chiisai112
2017-03-19T10:34:22+00:00 19.03.2017 11:34
gänsehaut!!
Von:  Fullmoon1
2017-03-17T20:26:43+00:00 17.03.2017 21:26
geiles kapitel :)


Lg Fullmoon1


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