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Urlaubsreif^3

Die Zwei machen mich fertig!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ist ne Weile her - leider bin ich mit einer Erkältung, die dafür sorgt, dass ich tatsächlich bei schönstem Wetter im Bett liege, nicht wirklich produktiv.

Hier also ein Kapitel, das zumindest vom Namen her, besseres Wetter verspricht als wir momentan haben.

Oh, und ein ganz, ganz großes Dankeschön an Seelendieb fürs Beta-Lesen! Komplett anzeigen

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Mai

Er hatte Angst. Nein, Angst war noch zu schwach für das was er spürte. Er war panisch. Er konnte spüren wie es sich in ihm breit machte, von seinem Kopf aus seinen gesamten Körper hinunter floss, ihn unkontrolliert zittern ließ, nach seinem Herz griff und seiner Atmung den natürlichen Rhythmus nahm. Der Verzweiflung nahe zwang Seto sich ruhig zu atmen, bevor er tatsächlich hyperventilierte. Er wollte noch nicht einmal mehr wissen, wo gerade sein Puls lag. Einfach nur nicht umkippen. Einfach nur bei Bewusstsein bleiben. Gleichzeitig hätte er alles dafür gegeben, seinen Kopf nur kurz ausschalten zu können und die vergangene Stunde vergessen zu können.

Allmählich beruhigte er sich wieder und sah vorsichtig auf seinen Bildschirm, der sich noch nicht in Standby begeben hatte. Das, was er dort erblickte, hätte in ihm beinahe die nächste Panikattacke ausgelöst, doch dieses Mal ging es etwas besser und er war in der Lage das Bild wegzuklicken, sodass er nur noch seinen üblichen Startbildschirm überfüllt mit Icons sah. Er hätte es nicht tun sollen, hätte sich etwas anderes zum Zeitvertreib in seiner Mittagspause suchen sollen. Oder zumindest nicht beides kombinieren dürfen, denn nun begann sein Magen zu rebellieren.

So schnell er konnte rannte er von seinem Schreibtisch in das kleine angrenzende Badezimmer. Sein Essen blieb dort wo es war, doch kamen die Bilder wieder in ihm hoch, während er sein fahles Antlitz im Spiegel musterte. Er hatte schon deutlich besser ausgesehen.

Es war nicht so, dass er nicht geahnt hätte, dass sie mit ihm in ihrem Duell nur gespielt hatte - die Statistiken hatten für sich gesprochen – aber wie sie tatsächlich war, hatte ihn erschrocken. Dabei hatte es so harmlos begonnen. Nachdem ihr Ultimatum ihn bereits über einen Monat beschäftigte, war er neugierig geworden, ob es von ihren alten Duellen auch Aufnahmen gab. Seto hatte nicht vergessen wie sich das System verhalten hatte, als sie sich bei ihrem Duell im März eingeloggt hatte, und schließlich erhielt man einen so hohen Rang nicht durch Untätigkeit.

Die ersten zehn Aufnahmen waren nur kurze Zusammenschnitte gegen die verschiedensten Gegner, darunter sogar Yugi Muto, gegen den sie aber verloren hatte. Trotz der beigefügten Protokolle war es ihm misslungen ihre allgemeine Strategie zu durchschauen und so hatte er sich weiter durch die Liste gesucht. Eher durch Zufall hatte er dabei eine zehn Jahre alte Aufzeichnung ausgewählt und war zusammengezuckt, als er ihren Gegner sah. Maximillion Pegasus, nur noch ein Schatten seiner selbst, eine Augenbinde über dem linken Auge, tiefe Schatten unter dem anderen. Er schien kaum die Kraft zu haben aufrecht zu sitzen. Sie dagegen stand, stolz, aufrecht, den Kopf umgeben von wirren kurzen Strähnen, als hätte sie sich selbst die Haare mit einer zu stumpfen Schere geschnitten. Die Aufnahme zeigte nur die letzten zehn Minuten, dennoch reichten sie aus um Seto alles andere vergessen zu lassen. Sie war erbarmungslos. Wo er geglaubt hatte, Milde ihrem Bruder gegenüber zu begegnen, traf er auf Hohn ob seiner Schwäche und blanken Hass. Als er nach ihrer finalen Attacke vor dem Pult zusammenbrach, hatte sie gelacht und nur gemeint, dass so jetzt endlich geklärt wäre, wer der Stärkere von ihnen beiden sei. Keine Besorgnis, keine Wärme, keine Maske, die zeigte, dass sie das alles nur spielte. Sie meinte, was sie da sagte, und das hatte in ihm sämtliche Hoffnung ausgelöscht.

Würde er nicht ihren Ansprüchen genügen, würde sie ihn zerstören. Vollständig, mit allem was ihn ausmachte. Ihn selbst. Seine Firma. Er war sich noch immer nicht sicher, wie es mit Mokuba aussah. Aber kannte jemand, der seinen eigenen Bruder so behandelte überhaupt … Doch, kannte sie. Er hatte es in ihren Augen gesehen, als es um Chef ging. Sie konnte lieben, Zuneigung empfinden. Aber ihre Freundschaft zu Mokuba würde nicht seinen großen Bruder beschützen. Wenigstens konnte er sich sicher sein, dass sie sich um ihn kümmern würde. Sie würde schon nichts machen, dass dafür sorgte, dass Mokuba sich von ihr abwandte – hoffte er.

Trotzdem durfte er es soweit gar nicht erst kommen lassen. Er musste sich mehr anstrengen. Es musste doch noch mehr geben, was er tun konnte, um Chef dazu zu bringen ihn wieder an sich ran zu lassen. Ihn auf Knien anzuflehen, ihm zu verzeihen, würde er erst können, wenn er ihn wieder sah. Bis dahin brauchte er einen Plan, wie er Martine besänftigte, die sich wohl kaum mit Tangostunden und Französisch zufrieden geben würde.
 

Die Unzufriedenheit war dem pensionierten Lehrer ins Gesicht geschrieben. Er machte sich gar nicht erst die Mühe sie vor seinem neuesten Schüler zu verstecken, obwohl dieser es vorzog ihn einfach nur unbewegt über den Tisch hinweg anzusehen.

„Monsieur Kaiba“, sprach Herr Kobayashi nach einer Minute endlich an, „wie haben Sie sich es sich eigentlich vorgestellt Französisch zu lernen, wenn Sie mit so wenig Vorbereitung zu meiner Stunde erscheinen?“

Ein langes Schweigen folgte. In dem bisschen Mimik, das ihm zuteil wurde, konnte er genau sehen, dass der andere sich gerade dafür verfluchte seinen ehemaligen Physiklehrer aufgesucht zu haben.

„Aber ich bin immer noch besser als Joey Wheeler“, murmelte Seto schließlich leise, dennoch hörte der alte Mann es.

„Da muss ich Ihnen zustimmen. Sie sind Welten von Joey Wheeler entfernt, der – im Gegensatz zu Ihnen – bereits während der Schulzeit meinen Französischunterricht genoss. Er war ein Naturtalent.“

„Aber er hatte nie seine Hausaufgaben!“, protestierte Seto.

„Er hatte sie selten, wobei selbst das mit der Zeit besser wurde. Und wenn er sie einmal nicht hatte, so konnte er doch immer alle Vokabeln und beherrschte die Grammatik perfekt. Seine Kinder sprechen heute noch davon, wie er die gesamte Nachbarschaft mit seinen unerwarteten Sprachenwechseln verrückt gemacht hat.“

Seto verschluckte sich und versuchte es in einem vorgetäuschten Hustenanfall zu überspielen, bevor er ein „Seine Kinder?“ herausbrachte.

„Nun gut, nicht seine biologischen Kinder, sondern Kinder aus dem Viertel, in dem er aufgewachsen ist. Es ist eine Art Stipendium, bezieht sich aber weniger auf Monetäres, sondern vielmehr auf eine sichere Unterkunft und die Aufnahme in eine kleine, verschworene Gemeinschaft, die auf einander aufpasst.“

War das etwa das Projekt, von dem ihm die Direktorin so vorgeschwärmt hatte?

Im ersten Moment fand er das alles lächerlich. Was diese Kinder vor allem brauchten, war Geld. Geld für Essen. Geld für Kleidung. Geld für ein Dach über dem Kopf. Erst danach kämen bei ihnen Erziehung und Bildung. Im nächsten fand er es einfach und genial. Was immer Herr Kobayashi unter einer sicheren Unterkunft verstand, aber es befreite die Schüler von der Angst auf der Straße zu landen. Und wenn sie wirklich gut auf einander aufpassten, würde wohl auch kaum einer von ihnen auf die schiefe Bahn rutschen, wie es in solchen Vierteln nur zu leicht ging. Seto wusste zwar nicht, wo genau Joey Wheeler früher gewohnt hatte, aber die Gegend, in der sie sich das letzte Mal gesehen hatten, bevor er einfach verschwunden war, war nicht die beste gewesen.

„Lebt Wheelers Vater noch dort?“, fragte er möglichst beiläufig. Das hier war mehr als eine reine Ablenkungsstrategie, es interessierte ihn wirklich. „Nein. Wie könnte er auch.“ Der Lehrer klang sehr überrascht über Setos Frage. „Sie erinnern sich an das Verkehrsunglück mit der Straßenbahn kurz nach Ihrem Abschluss?“

Seto nickte. Natürlich erinnerte er sich daran! Roland hatte einen langen Umweg um den Unfallort fahren müssen und er war eine geschlagene halbe Stunde zu spät zu einem wichtigen Kundenmeeting gekommen. Der Vertreter der Firma hatte schon gehen wollen und nur durch puren Zufall, war er Seto an der Tür in die Arme gelaufen, der ihn noch hatte umstimmen können.

„Sein Vater war der Tote. Der einzige, der unter all den Verletzten nicht laut beklagt wurde. Die Direktorin hat mir erzählt, dass es wohl ein ganz stilles Begräbnis war. Keine Presse – dafür hatte Joseph gesorgt. Nur er, seine Freunde und ein paar Arbeitskollegen seines Vaters.“

Hatte er sich nicht schon immer gewundert, warum sein Hündchen an diesem einen Tag im Anzug durch die Straßen gelaufen war? Heute würde es ihn nicht mehr wundern, doch damals... Der Anzug war schwarz gewesen, ebenso die Krawatte. Wirklich gut hatte er auch nicht ausgesehen. Schmäler als sonst, erschöpft. Wieso war es ihm damals nicht schon aufgefallen?

„Wann war die Beerdigung genau?“, fragte er mit kratziger Stimme.

„Das kann ich Ihnen leider nicht aus dem Kopf sagen. Aber wenn Sie dieses Thema fortführen wollen, sollten Sie es wenigstens in Französisch tun.“

„Wenn Sie mir die passenden Vokabeln dafür geben.“ Es schnürrte Seto immer noch den Hals zu und er hasste sich dafür. Sonst hatte er sich doch immer unter Kontrolle.

Herr Kobayashi schüttelte den Kopf. „Das überstiege Ihre aktuellen Fähigkeiten. Öffnen Sie nun Ihr Buch auf Seite 30. Nachdem Sie ihre Aufgaben bis heute nicht erledigt haben, müssen wir dies wohl oder übel jetzt nachholen.“

Seto war kaum bei der Sache, zu aufgeregt war er durch das, was er erfahren hatte. Jahrelang war er wegen des damaligen Ausbruchs wütend auf Wheeler gewesen, während sich allmählich positive Gefühle für ihn bei ihm einnisteten, dabei hatte er ihn einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Wahrscheinlich war er gerade von der Beerdigung gekommen, hatte seine einzige Familie zu Grabe getragen, und dann kam der achso perfekte Seto Kaiba angerauscht und machte sich über seine beruflichen Chancen lustig. Er hätte ihn trösten sollen, aussteigen und in den Arm nehmen, ihn in die Limousine einladen und ihm sagen, dass er die Situation kenne und für ihn da wäre, wenn er jemanden zum Reden bräuchte, ihn zumindest ein Stück mitnehmen. Ihm sein Beileid aussprechen. Wen jemand Joey verstanden hätte in dieser Situation, dann ja wohl er. Aber er hatte absolut gar nichts gemacht – zumindest nichts, was sie beide weiter gebracht hätte. So weit er wusste, war es ihr letztes Treffen gewesen, bis zu ihrer Begegnung im Februar, bei der er ihn nicht einmal mehr erkannt hatte, trotzdem er auch dann schwarz getragen hatte. In all seinen Überlegungen was aus Joey Wheeler geworden sein könnte, war dieses Szenario niemals aufgetaucht. Kein einziges Mal hatte er sich vorstellen können, dass er Erfolg im Leben haben würde. Jedes Mal war erst sein Auftreten notwendig gewesen, um den Köter aus dem Umfeld herauszuholen, das er als Kind und Jugendlicher gekannt hatte – nur um dann zu seinem Schoßhündchen zu werden. Mit jemand so Reifen und Selbstbewussten hatte er schlicht weg nicht gerechnet.

Als ihm seine Hausaufgaben mitgeteilt wurden, machte er sich eifrig eine Notiz in seinem Smartphone und nahm sich fest vor alles bis zur nächsten Stunde zu erledigen. Wenn er es nur schaffte zehn, besser noch zwanzig Minuten pro Tag zu erübrigen, würde es sich fast wie von selbst lernen, versicherte ihm der Lehrer.

An der Tür verabschiedete sich Seto höflich und fragte kurz, ob Herr Kobayashi die Adresse von Wheelers Projekt kenne. Erst im Auto fiel ihm auf, dass man ihn kein einziges Mal darauf hingewiesen hatte, dass er inzwischen Pegasus hieß. Wusste er es nicht besser oder hatte er es ihm schlichtweg vorenthalten? Physik war das einzige Fach gewesen, in dem er und der Köter immer auseinander gesetzt wurden. Nach Möglichkeit lag der gesamte Raum zwischen ihnen.

Seto nannte Roland sein nächstes Ziel und schnallte sich dann an. Bis vor ein paar Jahren hatte er häufig unangeschnallt auf der Rückbank gesessen – der Sicherheitsgurt war einfach viel zu unbequem gewesen - doch nachdem er nach einer unerwarteten Vollbremsung Bekanntschaft mit der Trennscheibe gemacht hatte, ignorierte er dieses kleine Detail liebend gern. Rasch wurden die Lichter draußen weniger. Sie verließen die Gegend mit den Einfamilienhäusern und gelangten schnell in eine Region Dominos, in der man nur die Straßenbeleuchtung sah. Die meisten Bewohner waren noch nicht von der Arbeit zurück oder hatten gerade erst angefangen, sodass die meisten Fenster dunkel blieben. Roland hielt vor der genannten Adresse und wartete bis Seto ausgestiegen war. Dann machte er es sich auf dem Fahrersitz etwas bequemer.

Mit leichtem Zögern schritt Seto zur Haustür und las sich die Namen am Klingelbrett durch. An vierter Stelle stand in sauberer Handschrift „Joseph P.“. Auf Verdacht klingelte er und war verdutzt, als ihn die Stimme einer jungen Frau fragte: „Ja, bitte?“

„Guten Abend, hier ist Seto Kaiba. Ich suche das Stipendienprojekt von Joseph Pegasus früher Wheeler und ...“

„Verschwinden Sie.“

„Wie bitte?“

„Sie sollen verschwinden. Sie sind zwar an der richtigen Adresse, haben hier aber absolut nichts zu suchen. Also hauen Sie gefälligst ab!“

Damit hatte er nicht gerechnet. Seine eheste Vermutung hatte darin bestanden, dass ihm nicht geglaubt würde, dass er erst oben an der Wohnungstür beweisen musste, dass er tatsächlich er selbst war. Aber eine solch klare Ablehnung traf ihn dann doch.

An der Gegensprechanlage schien sich etwas zu tun, denn plötzlich sprach ein Mann: „Bleiben Sie bitte, wo Sie sind. Ich komme runter.“

Seto sah durch die dicken Scheiben, wie das Licht im Treppenhaus anging und machte dann dem jungen Mann Platz, der durch die Tür ins Freie trat. Er war vielleicht 18 und einen Kopf kleiner als er selbst.

„Guten Abend. Auch?“

„Danke, nein. Ich rauche nicht“, erwiderte Seto kühl, während er sich genau wie der andere mit dem Rücken zu Hauswand etwas außerhalb des Lichtkreises der Lampe über der Tür hinstellte. Zu seiner Verwunderung prustete dieser los.

„Was denken Sie von mir? Es geht hier um ein simples Pfefferminz. Das Abendessen war ziemlich zwiebellastig und ich wollte Sie nicht mit meinem Mundgeruch in die Flucht jagen - sondern mit dem, was ich Ihnen sage. Außerdem würde Jo mich eigenhändig erwürgen, wenn einer von uns Rauchen würde.“

„Wen meinst du mit Jo?“ Seto fand es angemessen ihn zu duzen, hoffte aber umgekehrt für dieses Bürschchen, dass es sich nicht diese Freiheit herausnahm.

„Joseph Wheeler. Wegen dem sind Sie doch wohl hier, oder nicht?“

„Nicht direkt. Ich wollte eher wissen, was für ein Projekt er auf die Beine gestellt hat – ob man es finanziell unterstützen muss.“

Geringschätzig ließ er den Blick über den verdreckten Bürgersteig und die mit Grafitis übersäte gegenüberliegende Hauswand schweifen.

„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst! Sie denken ernsthaft, dass wir Ihre Hilfe bräuchten? Wenn Sie eh schon wissen, dass Joseph inzwischen Pegasus mit Nachnamen heißt, sollten Sie auch wissen, dass er Ihr Geld nicht nötig hat – und wir auch nicht.“

„Wusste gar nicht das sein Hotel so viel Gewinn abwirft.“ Tatsächlich hatte er trotz der hohen Preise erwartet, dass das Hotel sich gerade so finanziell selbst trug. Besonders da es erst seit wenigen Jahren existierte.

„Wer sagt, dass er nur durch das Hotel Einnahmen hat?“

„Wie bitte?“ Seto glaubte sich verhört zu haben. Was machte der Köter noch? In keinem anderen Kontext, der irgendwie Geld einbrachte, hatte er ihn bei seinen Recherchen gefunden.

„Liegt das nicht auf der Hand? Allerdings nutzt er dieses Geld nur für Projekte wie unseres – wie Sie sehen, sind wir damit mehr als ausreichend abgesichert. … Was das andere angeht“, er stieß sich von der Wand ab und blickte aufmüpfig zu Seto hoch. „Lassen Sie ihn endlich in Ruhe. Das ist das, was Liz vorhin versucht hat, Ihnen klar zu machen. Sie haben ihn für ein ganzes Leben genug gequält. Akzeptieren Sie einfach, dass er sich weiterentwickelt hat, und lassen Sie es darauf beruhen. Er ist besser ohne Sie dran. Wäre es schon während der Schulzeit gewesen.“

„Und du bist wer, dass du dich erdreistest, mir das ins Gesicht zu sagen?“, zischte Seto.

„Ricky. Der Sohn seiner alten Nachbarn. Und sagen wir einfach, ich weiß genug, um nicht auf Ihre Fassade reinzufallen. Und jetzt gehen Sie bitte. Ich muss dafür sorgen, dass die Kleinen rechtzeitig im Bett liegen. Morgen ist schließlich Schule.“ Damit ließ er Seto einfach stehen und verschwand wieder in das Innere des Hauses.

Insgeheim fragte Seto sich, wann und ob er lernen würde auf Französisch zu fluchen. Die Nummer war reichlich nach hinten losgegangen. Statt Antworten hatte er nur noch mehr Fragen und niemanden, der sie ihm erklären wollte. Was sollte Chefs zweites finanzielles Standbein sein, dass er es sich erlauben konnte eine ihm unbekannte Anzahl an Kindern durchzufüttern? Und was genau wusste dieser Ricky? Es hatte ihm gar nicht behagt, so unverblümt gesagt zu bekommen, dass er nicht gut genug war für sein Hündchen. Natürlich, er hatte es anders ausgedrückt, doch inhaltlich blieb es das Gleiche. Wer würde sich ihm noch entgegen stellen und zu verhindern suchen, dass er mit ihm wieder in Kontakt kam?

„Nach Hause, Roland.“

Den Rückweg über stierte er aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. Wie oft würde er solche Begegnungen über sich ergehen lassen können, ohne dass sein Entschluss wankte? Dieser Ricky war ihm gegenüber nicht laut geworden, war sachlich geblieben. Dennoch war in seinen Worten so viel Überzeugung mitgeschwungen, dass es ihn doch beeindruckt hatte. Trotzdem. Er wollte sein Hündchen endlich nach all den Jahren haben und er würde sich nicht von so einem Dreikäsehoch aufhalten lassen. Oder vom Kindergarten. Oder von seiner Schwester. Oder von Pegasus. Oder von sich selbst.
 

„Wie? Sie haben keinen Tisch für mich? Nicht diese Woche und in keiner anderen“, brauste Seto am Telefon auf. „Hören Sie zu, gute Frau. Ich war Ende März bei Ihnen in Begleitung von Joseph Wheeler und sehe keinen Grund weswegen... Wie, genau deswegen haben Sie keinen Tisch für mich? Machen Sie sich nicht lächerlich! Selbst ein Restaurant wie Ihres kann sich ein solches Verhalten gegenüber potentieller Gäste nicht erlauben! … Nein, ich Ihnen nicht!“ Wütend knallte er den Hörer auf den Tisch, als die Gegenseite auflegte.

Erst verlor er einen wichtigen Lieferanten und dann konnte er noch nicht einmal dort essen, wo er wollte. Seine Erwartungen für den nächsten Monat schrumpften in sich zusammen, während er endlich den Laptop einpackte und sich auf den Weg zum Fahrstuhl begab. Am besten wäre es, wenn er diesen Tag und seinen Vorgänger vollständig aus seinem Gedächtnis streichen würde und einfach so tat, als hätten sie nie existiert. Doch das konnte er nicht. Er hatte einfach zu viel erfahren, das wichtig für ihn und sein aktuelles, privates Projekt war.

In der Garage angekommen machte er sich nicht einmal mehr die Mühe Roland zu sagen, dass er nach Hause wollte, sondern ließ sich einfach nur auf die Rückbank sinken und versuchte seinen Aktenkoffer zu ignorieren. Den ganzen Tag über hatte er telefoniert, E-Mails geschrieben und Leuten mit seinen Anwälten gedroht. Ein Tag wie jeder andere also, wenn die Anzahl der Drohungen juristische Schritte einzuleiten nicht exponentiell zu seinen Arbeitsstunden gestiegen wären. Wenigstens hatte er Zusagen von drei alternativen Lieferanten, dass sie sich eine Zusammenarbeit mit der Kaiba Corporation sehr gut vorstellen könnten.

Müde massierte er sich die Schläfen. Wie er sich auf die Ruhe seines Zimmers freute. Einfach ein wenig auf dem Sofa liegen und Musik hören, bevor er sich wieder in sein Arbeitszimmer begab und … Wieso war ihm in den letzten zwei Monaten nie aufgefallen, dass er tagtäglich daran vorbeifuhr?

„Roland, halt an. Ich steig hier aus. Halt dich auf Abruf bereit.“
 

Erleichtert schrieb Mokuba den letzten Satz der Zusammenfassung. Es hatte Stunden gedauert, bis er alle wichtigen Informationen beisammen und soweit geordnet hatte, dass er damit lernen konnte. Allmählich wurde er das Gefühl nicht los, seine Professoren machten sich einen Spaß daraus auf eine Vorlesungsstunde sechs Stunden Nacharbeit kommen zu lassen. Und wie machten das bitte seine Kommilitonen, die den Nerv hatten, mitten unter der Woche feiern zu gehen? Denn seltsamerweise hatten es ein paar dieser merkwürdigen Gattung bis in dieses Semester gepackt. Aber dafür würde das Lernen für die Prüfungen einfacher werden, versuchte er sich selbst zu trösten. Da würde sich definitiv die Disziplin, die er sich schon vor Jahren bei seinem Bruder abgeschaut hatte, lohnen. Wo blieb der überhaupt? Er war schon vor zwei Stunden im firmeneigenen Chatservice offline gegangen, was in ihm die Hoffnung geweckt hatte, nicht alleine essen zu müssen. Doch das Knurren seines Magens deutete darauf hin, dass er sich besser wieder an seine alten Essenszeiten hielt statt viel zu lange auf Seto zu warten. Zumindest wurde er nicht mehr um diese Uhrzeit ins Bett geschickt.

Unerwartet klopfte es an der Tür. „Mokuba?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, betrat sein großer Bruder das Zimmer.

Er musterte ihn genau. Er wirkte müde, abgekämpft und dennoch war da etwas an ihm, dass ihn beinahe glücklich aussehen ließ. „Abend, Seto.“

Schließlich stand er auf und ging auf ihn zu. Ihm war nicht entgangen, dass der andere etwas hinter seinem Rücken versteckt hielt.

„Du riechst nach Essen. - Ich hab extra auf dich gewartet.“

„Schuldigung, Kleiner. - Allerdings habe ich auch noch keinen einzigen Bissen davon bekommen.“ Jetzt präsentierte er eine Papiertasche, auf der schlicht das Wort „Traditionell“ geschrieben stand.

„Seit wann haben die einen Lieferdienst?“, hakte Mokuba skeptisch nach. Er liebte das Essen dort, nur kam er leider viel zu selten in dessen Genuss. Hätte er gewusst, dass man sich auch etwas einpacken lassen konnte, sähen seine Mittagspausen ab und zu anders aus.

„Haben sie auch nicht. Was ist jetzt? Interesse? Oder darf ich den Lachs in Teriyaki-Soße alleine essen?“

„Untersteh dich! Ich will auch was ab!“, versuchte er an den Inhalt zu gelangen, doch Seto war schneller und hielt die Tasche so, dass er die Arme danach in die Luft strecken musste.

„Du lässt uns aber noch genug Zeit, ein paar Teller und Besteck zu holen, oder? Schließlich habe ich dir mal Tischmanieren beigebracht.“

Statt einer Antwort, wurde er einfach aus der Tür und zur Treppe geschoben. Danach ging es weiter Richtung Küche.

„Und wie hast du das jetzt geschafft?“

Seto wurde zu einem der Barhocker bugsiert und konnte kaum so schnell schauen, wie vor ihm zwei Porzellanteller standen und sich der Tascheninhalt auf dem restlichen Tresen verteilte.

„Sagen wir einfach, es ist die Belohnung dafür, dass ich über eine Stunde in der Ecke der Küche stand und zugehört habe.“

„Wie bitte!?“

„Kein weiterer Kommentar.“

„Aber, Seto!“ Es war klar gewesen, dass Mokuba sich damit nicht zufrieden geben würde.

„Kein Aber. Willst du jetzt was davon, oder nicht?“

Jetzt grummelte Mokuba nur noch etwas von „Erpressung“ und nahm sich das größere der beiden Fischstücke. Sie wussten beide, dass die Diskussion erst starten würde, wenn sie beide satt waren, und so ließen sie sich alle Zeit der Welt, um es sich schmecken zu lassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Seelendieb
2016-03-06T09:46:50+00:00 06.03.2016 10:46
*smile*

Sehr schön^^

Am allerliebsten mag ich die Stelle Seto-Moki :D Diese Szene kommt mir so vertraut vor... könnten glatt mein lil Bros und ich sein XD
Antwort von:  flower_in_sunlight
06.03.2016 23:11
Seit wann heißt du Seto Kaiba? o.o
Aber keine Angst, ich weiß, was gemeint ist, und hoffe, dass du dich dann umso mehr über das übernächste Kapitel freust.
Antwort von:  Seelendieb
07.03.2016 05:35
Seto Kaiba ist mein zweiter Vorname... XD

Ich kann noch arschiger sein als er, wenn mir die Geduld reißt...
Von:  Onlyknow3
2016-03-06T05:16:44+00:00 06.03.2016 06:16
Das ist erst der Anfang von dem was ihm Martine angedroht hat. Seto wird noch mehr solcher Schläge einstecken müssen bis er sein Hündchen wieder sieht. Etwas was wohl nur Martine in der Hand wie es scheint. Außerdem ist Seto selber schuld, wenn er so unbedacht ist mit seinen Äußerungen gegen über Joey wegen Pegasus. Sehr gutes Kapitel, mach weiter so, freue mich auf das nächste.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  flower_in_sunlight
06.03.2016 23:15
Naja, eigentlich löst sie nur das Versprechen ein, dass sie ihm nach ihrem Duell gegeben hat... und sie würde ihn zumindest dafür bezahlen lassen, wenn er sich Chef ohne ihre Zustimmung nähert und es wieder verbockt.

LG
Flower
Von:  Kemet
2016-03-06T03:55:26+00:00 06.03.2016 04:55
Hallole,

erst einmal, so hoffe ich, hast Du die KRankheit gut überstanden. Bei dem miesen Wetter auch noch damit zu kämpen zu haben, ist nicht schön, wahrlich nicht. Für den Rest davon, wünsche ich Dir nur eine gute Besserung; Auf dass der verschwindet und nicht so rasch wieder kommt!

Zu dem Kapitel:
Huh, was soll ich nur dazu schreiben. So wichtig der Inhalt teilweise scheint, umso weniger weiss man letztlich von diesem. Im Grunde kam mir das Chapter in etwa wie ein Zwischenkapitel vor, geprägt von Erinnerungen und Dingen, die irgendwie passieren, später als Kleinigkeiten noch einmal relevant werden und ansonsten in der Kiste der 'Nett to know'-Sektion landen.
Nein, ich fand es nicht langweilig, wirklich nicht. Vor allem der erste Teil war doch recht prägend, wenngleich ich mit Martine, ganz gleich ob normal oder zerstörerisch, noch immer nicht viel anfangen kann. Zu undurchsichtig, zu perfekt in zu vielen Belangen. Das aber soll nicht Gegenstand meines Kommentares werden.

Eine Sache aber, hat mir an diesem Kapitel sehr gut gefallen. Seto Kaiba, gern so dargestellt, dass sein Name alle Türen öffnet, rennt seinerseits gegen eine Mauer aus Ablehnung. Was mich jedoch zu der Frage bringt... Wer hat die Kinder auf dieses Thema sensibilisiert, sodass sie von sich aus so reagieren? Nur weil sie es damals gesehen haben? Zumindest gehe ich von aus...
Die Grundidee eines solchen Projektes ist wirklich gelungen. Sicherheit durch emotionalen Halt und die Zusammenarbeit. Eine schöne Sache, wenn es funktioniert. Dass es das hier anscheinend tut, hat mich sehr erfreut. Da braucht es auch kein riesiges, modernes Haus, in einem der tollsten Stadtteile. Das symbolisiert sehr schön, dass man es auch aus der untersten Schicht schaffen kann, wenngleich nicht allein.

Genug geredet. Ich freue mich auf die weiteren Kapitel und gehe nunmehr mit dem Wissen von Lachs in Teriyakisoße zu träumen, schlafen.

LG
Antwort von:  flower_in_sunlight
06.03.2016 23:26
Das klingt nach schönen Träumen - wenn auch zu einer sehr seltsamen Uhrzeit (da wache ich unter der Woche meistens das erst Mal auf)

Zu meinem Wohlbefinden: Wieder gesund und konnte sogar ein wenig das frühlingshafte Wetter heute Nachmittag bei einem Spaziergang genießen.

Zu dem Kapitel:
Dieser "Zwischenkapitel"-Charakter war bei den Überlegungen, Teil 2 zu beenden oder doch fortzuführen, eines der wichtigsten Argumente, da ich viel Zeit mit wenigen, prägnanten Ereignissen möglichst kurz abdecken wollte, da die eigentliche Handlung erst Mitte Juli anfängt. Außerdem wird Seto nicht so wirklich im nächsten Kapitel vorkommen.
Zu deinem Hauptanliegen: Vor allem Ricky hat damals einiges mitbekommen, außerdem sehen die Kinder den Unterschied zwischen Setos Spenden, die dieser eher als Last ansieht, und Chefs Engagement (s. Teil 2 "Montag"). Und es freut mich, dass dir das Projekt selbst so zusagt.

LG
Flower


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