Ausflug mit dem Herrn
Sakura arbeitete zwar im Privatgarten der fürstlichen Familie, aber sie zupfte kniend sorgfältig das Unkraut zwischen den Heilpflanzen. Ihr Lehrer Neigi durfte hier nicht riechende Kräuter ebenfalls anbauen, um seine Patienten zu versorgen. Sie hörte, dass jemand kam, und verneigte sich vorsorglich mit der Stirn bis zum Boden. Es wäre mehr als unpassend den Fürsten oder auch Seine Lordschaft nicht zu begrüßen, und würde im Zweifel schmerzhafte Folgen zeitigen.
Aber es war der alte, wohlbeleibte, dämonische Heiler: „Du kannst hier Schluss machen², sagte er: „Der Herr sandte Nachricht, dass du ihn begleiten sollst. Er will wieder einmal zu den Takahashis. Ich erzähle dir, was du über diese menschliche Fürstenfamilie wissen solltest, während du packst.“
„Ja, mein Lehrer, danke.“ Sie stand auf. „Wie lange wird der Herr dort bleiben wollen?“
„Wenige Tage, zumeist. Ich habe dir allerdings schon die Tasche mit Medikamenten für Menschen gepackt. Der dortige Heiler heißt Yoshifumi. Er lernte an der Heilerschule und lebte auch vor einiger Zeit ein Jahr hier bei mir. Ich denke, du wirst ihn und sein Wissen schätzen. - Der Inu no Taishou kennt die Familie Takahashi bereits, seit er der Fürst der westlichen Länder wurde und hat seit jeher ein Faible für diese. Fürst Hidemaru Takahashi ist ein Daimyo, er hat andere Fürsten unter sich. Die Familie stieg im Laufe der vergangenen Jahrhunderte auf. - Er ist verwitwet und hat zwei Söhne sowie eine Tochter. Der älteste Sohn heißt ebenfalls Hidemaru. Es ist in dieser Familie üblich den ältesten Sohn so zu nennen und die älteste Tochter bekommt immer den Namen Izayoi. Die Tochter des Daimyo soll nun heiraten, darum geht der Herr hin, wie stets zu Hochzeiten in der Familie. Vor einigen Jahren war er auch bei der Hochzeit des Erbprinzen Hidemaru mit Prinzessin Reika. Der jüngere Sohn ist noch unverheiratet und heißt Daichi. Vielleicht soll sich da etwas ergeben, wenn seine Schwester wegheiratet. Nun, das wirst du sehen. Wie gesagt, der Herr schätzt diese Familie. Aber ich denke kaum, dass du ihn da in Schwierigkeiten bringen wirst. Du kannst deine Zunge hüten und dein Benehmen ist tadellos.“
„Danke“, murmelte Sakura. Ihr Lehrer erwartete tatsächlich, dass sie sich alle diese Informationen merkte. „Darf ich fragen, warum ich mitreisen soll?“
„Ich denke, der Herr möchte, dass du mit Yoshifumi ein wenig plauderst. Menschliche Heiler sehen manches bei Menschen doch anders als ich. Und es schadet nicht, wenn du auch diese Denkweise lernst. Aber ich habe ihn beileibe nicht gefragt.“
Natürlich war der mächtige Hundefürst niemandem eine Erklärung für Befehle schuldig. So nickte die Heilerschülerin nur: „Seine Lordschaft wird dann hier sicher übernehmen.“ Oh, sie war eigentlich ganz froh hier wegzukommen, wenn sie bedachte, wie seine letzte Regentschaft ausgesehen hatte. Und ihre Lage zwischen den Fronten hatte sich kaum dadurch verbessert, dass er sie vor aller Augen berührt hatte, ja, es den Anschein gehabt hatte, als ob er sie auf die Wange küsse. Er war schon manchmal schwierig, aber das würde und durfte sie natürlich nie aussprechen. Er war jedoch der Erbprinz und zukünftige Fürst und hatte das Recht so zu sein wie es ihm beliebte. Das ging höchstens seine Eltern, vor allem seinen Vater, etwas an. Und, wenn sie es sich so recht überlegte, hatte er dessen Missfallen durchaus schon zu spüren bekommen. Leider sie gleich in gewisser Weise mit. „Wann wünscht der Herr abzureisen?“
„Sofort.“ Neigi konnte den Inu no Taishou, vielmehr dessen Energie, im Hof spüren: „Du solltest dich beeilen.“
„Ich bin fertig, verehrter Lehrer.“ Sie schloss die kleine Tasche. Sie besaß kaum Kleidung und nur einen Kamm, das Packen war keine Kunst.
„Gut. Dann gehe zu ihm, ich hole noch rasch den Heilerkoffer für dich.“
So kniete Sakura keine Minute später im Sand des Hofes neben dem Schlossherrn nieder.
„Lass", meinte der, als sie formell die Hände auf den Boden legte, um den mit der Stirn zu berühren. „Neigi.“
Denn dieser brachte den transportablen Koffer, mit dem er Patienten auswärts des Schlosses behandelte. Er war kleiner und auch für ein Menschenmädchen zu tragen. Er verneigte sich höflich, ehe er ihn abstellte.
„Wir gehen, Sakura.“ Der Hundefürst wandte sich um und verließ den Hof, eilig gefolgt von der Heilerschülerin, die ihre eigene Tasche um die Schultern geschlungen hatte und den Koffer in der Hand trug.
Ein wenig war sie verwundert, dass der Herr nicht, wie sie es schon gesehen hatte, ein schwarzes Loch öffnete, nach Dämonenart rasch große Entfernungen überbrückte. Sowohl er selbst, als auch Seine Lordschaf,t waren schon so freundlich gewesen sie mitzunehmen, wenngleich mehr oder weniger unter den Arm geklemmt – Lord Sesshoumaru, oder auf den Armen getragen - der Fürst. Aber natürlich stand ihr dazu weder eine Bemerkung zu, noch auch nur gedankliche Kritik. Wenn der mächtige Herr der Hunde lieber durch den Wald spazierte, so war das schlicht sein Recht – und dass sie hoffte, den Koffer nicht allzu weit tragen zu müssen, war ihr Problem. Sie war nichts als eine kleine Dienerin, noch dazu ein Mensch.
Nach einer Weile meinte der Inu no Taishou: „Komm neben mich.“ Er mochte es nicht sonderlich sich quasi mit sich selbst zu unterhalten, wenn seine Begleitung höflich hinter ihm blieb. Natürlich war manches seiner Stellung geschuldet, aber Sakura hatte noch nie etwas ausgenutzt, weder bei ihm oder auch seinem Sohn. Nun, in letzterem Fall wäre sie auch kaum mehr am Leben. „Neigi sagte, wohin ich will.“
„Ja, Herr.“
„Du wirst dich, nach der Vorstellung beim Daimyo, um die Damen des Hauses kümmern. Prinzessin Izayoi soll in wenigen Tagen zu ihrem Bräutigam reisen und sie sollte nicht krank sein. Prinzessin Reika erlitt erst vor Kurzem eine Fehlgeburt, bedauerlicherweise ein Sohn. - Ihr und Prinz Hidemarus bislang einziges Kind ist Izayoi die Jüngere, ein noch recht kleines Mädchen. Wenn du Zeit findest, darfst du auch mit dem dortigen Heiler sprechen.“
„Danke, Herr.“
Ein wenig neugierig fragte der Taishou: „Antwortest du bei Sesshoumaru auch so?“
„Ich sage dann: Ja, Lord Sesshoumaru.“ Was meinte er?
„Gut. Dann komm. Du bist schon auf Dämonenart gereist.“
Sie war durchaus angetan, dass es schneller gehen sollte. Überdies nahm der Fürst sie auf die Arme. Das drückte zwar ein wenig durch seine Panzerung, aber er mied seine Stacheln. Und es war angenehmer, als, wie bei dem Erbprinzen üblich, einfach unter den Arm geklemmt zu werden, möglichst Kopf nach unten.
Nur zwei Minuten später fühlte sie sich abgesetzt und neigte zwar höflich den Kopf, warf jedoch einen neugierigen Blick um sich. Es war eine Hochebene, die Hügel bewachsen mit grünen Feldern. Vor ihr lag ein großes Schloss mit einer festen Mauer. Das eigentliche Schloss überragte diese – es besaß gewiss drei oder vier Stockwerke. Arbeiter und Samurai eilten geschäftig durch das bewachte Tor. Weiter entfernt erkannte Sakura höhere Berge. Von dort oben hatte man gewiss einen weiten Ausblick über diese Ebene und wohl noch weiter in Richtung Westen. Da der Herr der Hunde bereits Richtung Schloss schritt, beeilte sie sich ihm zu folgen.
Sie sah sehr wohl, dass er erkannt – und offenbar respektiert, aber nicht gefürchtet wurde. Die Menschen verneigten sich tief, so sie etwas in der Hand hatten, oder warfen sich zu Boden, aber niemand rannte schreiend weg, wie sie es durchaus schon bei Zusammentreffen von Dämonen und Menschen erlebt hatte. Den Grund dafür entdeckte sie in der großen Vorhalle. An einer Seitenwand befand sich ein riesiger, bestickter Teppich, sicher alt und kostbar, der einen großen, weißen Hund zeigte. Mit gewissem Lächeln, das sie jedoch rasch unterdrückte, dachte sie daran, dass sie nur einmal Lord Sesshoumaru in seiner Hundegestalt gesehen hatte, den Fürsten noch nie.
Ein recht vornehm gekleideter Mann, sichtlich ein Beamter, kam eilends heran und verneigte sich tief. „Willkommen im Schloss, edler Herr der westlichen Länder. Der Daimyo erwartet Euch.“
Sakura bemerkte durchaus, dass sich niemand wunderte, dass sie als Menschenmädchen mit dem Hundefürsten kam – auch ein Unterschied zu anderen Schlössern. Sie waren hier wirklich recht vertraut mit seinem Anblick. Und anscheinend brachte er öfter mal wen mit.
In der Empfangshalle saß der Daimyo Hidemaru Takahashi auf einem Hocker auf der Empore, neben ihm ein freier Sitz. Einige Berater und Schreiber waren anwesend, die sich eilig bis zum Boden verneigten. Der Fürst selbst mochte Mitte der Vierzig sein, hatte noch schwarze Haare zu einem Zopf zusammengebunden und trug einen kostbar bestickten Kimono. Er wirkte auf Sakura recht streng, aber er lächelte, als er höflich den Kopf vor seinem hohen Gast neigte.
Sie kniete eilig neben der Tür nieder, während der Inu no Taishou auf den Schlossherrn zuschritt.
„Ich bin überaus erfreut Euch zu sehen, edler Herr der westlichen Länder,“ grüßte der Daimyo.
„Die Freude liegt auf meiner Seite, Hidemaru.“
„Nehmt Platz. - Und ihr lasst uns allein.“ Hidemaru Takahashi warf einen Blick auf Sakura, schwieg jedoch dazu. dass sie blieb. Er wusste, wem sie zu gehorchen hatte, und vermutete, er würde eine Erklärung erhalten. So fuhr er nur fort: „Izayoi wird uns morgen bereits verlassen. Es dauert doch einige Tagesreisen, bis sie bei ihrem Bräutigam angekommen ist.“
„Aus diesem Grund brachte ich Sakura mit. Sie ist die Schülerin Neigis und die Damen haben eine weibliche Heilerin stets lieber.“ Der Hundefürst streckte nachlässig die Beine aus, als sei er es gewohnt auf einem Hocker zu sitzen. „Aber es gibt noch einen Grund über Eure Freude über meine Anwesenheit?“
„Eben dies.“ Der Daimyo nickte: „Ihr seid ein kluger und erfahrener Mann und Fürst, Herr der westlichen Gebiete, und ich hoffe, Ihr könnt mir ein wenig raten in einer ... eigenartigen Angelegenheit.“ Wieder glitt sein Blick zu Sakura.
„Sie wird schweigen", meinte der Taishou nur. „Und ihr Gedächnis ist besser als meines. Nun, Hidemaru?“
„Es geht um eine Erfindung – und drei Männer rühmen sich ihrer. Ich werde Euch ausführlich die Sachlage schildern, denn unter Umständen wird mein Ruf am Kaiserhof beschädigt.“
Immerhin kein Mord, dachten Hundefürst und Menschenmädchen erleichtert.