Januar - zweite Woche (Teil 1)
»Meine Lieben, ich weiß, dass ihr frisch aus den Ferien kommt, und die Hälfte von euch noch einen Kater von Silvester hat, aber könntet ihr euch jetzt ein bisschen zusammenreißen?!« Mit in die Hüften gestemmten Händen betrachtete Kurenai-Sensei das Spektakel auf der Bühne. Man sollte doch meinen, dass teilweise volljährige Jugendliche sich besser zusammenreißen konnten, oder?
Auf den Stühlen der hinteren Zuschauerreihen hatte Kiba es sich gemütlich gemacht, und lümmelte, die Füße auf dem Sitz vor ihm, neben Shino und Hinata vor sich hin. Immer wieder ließ er seinen Blick nach vorne schweifen, und wackelte jedes Mal grinsend mit den Augenbrauen, wenn er Tamaki dabei erwischte, dass sie sich nach ihm umdrehte. Natürlich wandte sie den Kopf sofort wieder ab, die Wangen gerötet und widmete sich wieder ihrer Aufgabe als Souffleuse, die sie neben ihrer Zweitbesetzung inne hatte.
Kurenai-Sensei stapfte mit grimmigem Blick den Mittelgang entlang auf die drei Teenager zu. Hinata, in ihren Text vertieft, bemerkte sie gar nicht, wohl aber Kiba, der sofort die Füße herunter nahm und angestrengt versuchte, beschäftigt auszusehen. Shino blieb einfach so sitzen wie er war.
»Hinata, Kiba – als nächstes seid ihr dran. Die Ball-Szene. Nach wie vor gilt: den Kuss erst bei der Erstaufführung, klar?«, erklärte die Lehrerin scharf und stampfte dann, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder davon. Mit weit aufgerissenen Augen starrten Hinata und Kiba ihr hinterher, bevor sie sich einander zuwandten. Schock und Schamesröte stand Hinata ins Gesicht geschrieben, und auch Kiba schien über die Ferien ernsthaft vergessen zu haben, was da auf sie zukommen würde.
»Naruto bringt mich um«, stöhnte er halblaut, und Hinata verkniff sich ein bestätigendes Nicken.
»Meinst du nicht, Tamaki sitzt näher dran?«, meinte Shino mit verhaltenem Amüsement in der Stimme, und ohne seinen Freund anzusehen.
»Das ist nicht witzig!«, fauchte Kiba.
»Was machen wir denn jetzt?«, hauchte Hinata.
Einen Moment lang herrschte Stille, und die beiden sahen blicklos zur Bühne, wo Tamaki gerade etwas entnervt zum dritten Mal eine Textstelle für eine der Nebenrollen wiederholte.
»Wie schnell kannst du krank werden, Hinata?«, ließ Shino sich, immer noch amüsiert vernehmen, und sofort ruckten die Köpfe der beiden zu ihm. »Ich bin sicher, deine Zweitbesetzung hilft dir liebend gerne aus…«
»Alter, du bist ein Genie!«
Shino hob nur kurz eine Augenbraue und ließ sich zu einem schmallippigen Lächeln nieder. Als ob er das nicht schon wusste.
Die Mädchenumkleide des Kyudo-Dojos war gut gefüllt wie immer, und es herrschte reges Treiben. Stirnrunzelnd versuchte Tenten ihren Gi zu entheddern, welcher das hastige Einpacken am Morgen wohl nicht ganz so gut überstanden hatte.
»Soll ich dir helfen, Teni?«, fragte Sakura schmunzelnd, aber Tenten winkte dankend ab.
»Dauert nur einen Moment. Geh ruhig schon, ich komme gleich.«
Kaum war Sakura weg, setzte sich Amaya, schon komplett angezogen, neben Tentens Tasche, und lächelte das andere Mädchen an. »Hey – habe dich noch gar nicht gesehen. Wie waren deine Rest-Ferien denn so?«
»Oh, hey!« Tenten strahlte Amaya an. »Durchschnitt, denke ich, und bei dir?«
»Naja, meine Silversterparty war ganz gut, auch wenn es schade war, dass du nicht kommen konntest.«
Verlegen lächelnd musterte Tenten ihren Gi, den sie nun endlich entwirrt hatte. Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
»Du… hast bei Neji gefeiert, nicht wahr? Was… habt ihr so gemacht?«, fragte Amaya unschuldig, und betrachtete das brünette Mädchen aus den Augenwinkeln ganz genau. Tenten lief rot an.
»Uhm… Feuerwerk und Spiele und so… und zu viel Alkohol.« Und Kuscheleinheiten für einen ziemlich launischen Neji. Der, nicht zu vergessen, irgendwie auf Tuchfühlung gegangen war. Es war aber sicher keine Absicht gewesen, sondern einfach im Schlaf passiert, dass er die Hand unter ihr Shirt geschoben hatte. Immerhin war es ihm morgens so peinlich gewesen, dass er sie schnell zurück gezogen hatte, sobald er wach geworden war. Deshalb hatte Tenten das Thema auch nicht angeschnitten. Solche Peinlichkeiten sollten zwischen Freunden einfach übergangen werden können. Aber Amaya gegenüber war ihr das schon unangenehm. Also auch hier einfach die Klappe halten, damit würde sie niemanden verletzten.
Mit den Zähnen die Unterlippe malträtierend überlegte Tenten, wie sie Amaya am besten darauf ansprechen könnte, ob diese nun wirklich Interesse an Neji hatte. Aber noch war sie sich ja nicht mal sicher, ob sie da unterstützend eingreifen wollte. Könnte! Könnte… Naja, Neji war ein freier Mensch, der würde sich ja wohl selbst entscheiden können. Und Amaya war sehr nett. Und sie kamen gut miteinander aus. Was wollte man als beste Freundin mehr, als ein nettes Mädchen für den besten Freund, mit dem man selber gut auskam? Wiederholten sich ihre Gedanken eigentlich ständig? Tenten seufzte frustriert, und achtete dabei gar nicht mehr auf Amaya, die sie mit zusammengekniffenen Augen und geschürzten Lippen ansah. Die Umkleide war inzwischen leer, als Tenten schließlich wieder das Wort ergriff, und leise sagte: »Warum fragst du ihn nicht einfach mal nach einem Date?«
Amaya starrte sie verblüfft an. Okay, so einfach hatte sie sich das ja jetzt nicht vorgestellt. Und jetzt bloß nicht fragen, ob das 'für Tenten in Ordnung wäre'! Das lenkte nämlich, laut Kaoru, nur Tentens Gedanken darauf, dass sie sich fragte, ob sie selbst nicht gerne mit Neji ausgehen würde.
»Meinst du, er sagt ja?«, stellte sie stattdessen hastig die Gegenfrage, und sah Tenten gespielt scheu von der Seite her an.
Tenten zuckte mit den Schultern, und lächelte dem anderen Mädchen dann aufmunternd zu. »Ich leg' ein gutes Wort für dich ein«, sagte sie, und verließ dann die Umkleide, Amaya auf ihren Fersen. Da hatte Kaoru das brünette Naivchen wohl doch falsch eingeschätzt, was? Keine Spur davon, dass sie selbst Interesse an Neji hatte… Nun gut – um so besser für Amaya!
Wie immer, wenn sein Vater an einem Freitag Abend nach Hause kam, war Sai auf der Hut. Er hatte Essen gekocht, das noch dampfend auf dem Herd stand, und sich artig in die Küche gesetzt, wo er seine Hausaufgaben erledigte.
»Was bist du zu Hause?«, grunzte Danzo, und humpelte in die Küche.
Anstatt auf die Frage einzugehen, und zu erklären, dass seine Freunde (»Diese furchtbaren Bälger!«) keine Zeit hatten, beziehungsweise ein 'Pärchenwochenende' angesetzt worden war - Ino hatte diesen Begriff wohlweislich nicht benutzt, um Tenten und vor allem Neji nicht zu ärgern, da sie die Reaktion des letzteren nicht sonderlich gut einschätzen konnte -, erwiderte Sai ruhig: »Ich habe gekocht.«
»Hmpf.« Danzo musterte den blassen Jungen, der ihn freundlich anlächelte. »Hier. Habe ich von 'nem Bekannten.« Er warf Sai eine dünne, leicht verdreckte Broschüre hin, auf der in geschwungenen, kunstvollen Lettern 'Ausschreibung' stand. »Dachte, du willst da vielleicht was von deinen Bildern einreichen.«
Sai hatte sofort nach der Broschüre gegriffen und begierig die ersten Zeilen gelesen. »Danke!«, sagte er, und lächelte erneut.
»Hn«, machte Danzo, und wandte sich ab. »Wird Zeit, dass du im Keller mal Platz schaffst.«
»Natürlich, Vater.« Und wieder war er vorsichtig. Danzos Launen waren einfach zu unberechenbar. Aber er war seinem Vater immer dankbar gewesen, dass dieser ihn bei seinem Hobby- seiner Berufung unterstützt hatte.
Mit gemischten Gefühlen und von einem Bein aufs andere tretend wartete Tenten vor dem Kino. Zu ihren Füßen hatte sie ihre große Sporttasche abgelegt, die einen Schlafsack und ein Kissen, sowie Pyjama, Kulturbeutel und Wechselsachen enthielt. Sie war bei weitem nicht die einzige, die wegen des Horror-Wochenendes hier war, das war ihr wohl bewusst. Aber dass es so viele – zumeist gutaussehende – junge Kerle und fast keine Frauen waren, verunsicherte sie. Nichtsdestotrotz freute sie sich unbändig auf die vielen Filme, von denen sie sicherlich einige noch nicht gesehen hatte. Sie schielte auf ihre Uhr. Neji verspätete sich. An diesem Samstag war sie nicht, wie üblich, zum Training zu den Hyuugas gegangen, und daher auch nicht zusammen mit Neji hierher gefahren. Aber noch blieb ja Zeit.
Etwa fünf Minuten später erblickte sie Neji auch schon, wie er zielstrebig auf sie zuhielt. Mit einem Lächeln winkte sie ihm zu. Auch er hatte eine große Tasche dabei, und ohne große Worte der Begrüßung betraten die beiden zusammen das Kino.
»Und, meinst du, du hast genug Koffein dabei?«, neckte er sie, als sie nach vorzeigen ihrer Karten den Richtungsanweisungen der Angestellten folgten.
»Mountain Dew, Cola, Koffeinhaltiges Kaugummi… Kann nix mehr schief gehen«, erwiderte sie, und streckte ihm die Zunge heraus. Neji lachte leise.
In dem großen Vorraum vor den Kinosälen waren vier lange Tische aufgebaut, auf denen allerlei Fingerfood und Getränke bereit standen. Nur die Türen zum größten Kinosaal waren geöffnet, und es herrschte reger Betrieb. Erfreut stellte Tenten fest, dass sie doch nicht das einzige Mädchen war. Auch wenn alle anderen weiblichen Geschöpfe sich jetzt schon an die Arme ihrer Begleitungen klammerten. Tenten hatte nichts gegen Pärchen, aber diese hier übertrieben es doch etwas, oder?
Wie schade, dass ausgerechnet seine beste Freundin so ein Horror-Fan war. Sonst hätte sie sich sicher schon beim ersten Film ängstlich in seine Arme geschmissen. Neji schüttelte den Kopf, und damit den Gedanken ab. Als ob er so ein piepsiges Etwas zur Freundin haben wollen würde, wie diese Weiber. Sie kicherten und kieksten, und würden keinem der gezeigten Filme große Aufmerksamkeit schenken, sondern nur darauf aus sein, möglichst gut die Jungfer in Nöten zu spielen. Nein Danke.
»Sasuke? Was machst du um diese Uhrzeit noch hier unten?« Mikoto runzelte verwundert die Stirn, als sie ihren Sohn am Esszimmertisch sitzen sah, welcher über und über mit Ordnern und Heften belegt war.
»Auf meinem Schreibtisch ist nicht genug Platz.«
»Für?«
»Lernen.«
»Um diese Uhrzeit?!«
»Ich kann Abends besser lernen.«
»Es ist fast eins, Sasuke. Das ist nicht Abends, das ist mitten in der Nacht!«
»Ich gehe ja gleich ins Bett«, murrte Sasuke, und wandte sich dann demonstrativ wieder seiner Arbeit zu.
Seine Mutter schürzte die Lippen, war aber klug genug, ihren Sohn in Ruhe zu lassen. Leise schloss sie die Tür hinter sich, und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie und Fugaku einen Film angeschaut hatten, bis sie das dringende Bedürfnis nach einer Toilette verspürt hatte. Fugaku sah nur kurz von seinem Laptop auf, den er während jeder Werbepause nutzte.
»Dein Sohn ist noch wach«, erklärte Mikoto mit leisem Vorwurf in der Stimme. Erneut sah Fugaku auf, sah sie verwundert und fragend an.
»Welcher? Und: Es ist doch Wochenende.«
»Sasuke natürlich. Itachi ist mit seinen Freunden aus. Ich finde es auch nicht so schlimm, dass Sasuke noch wach ist – aber weißt du, was er tut?!«
Verwirrt dachte Fugaku einen Moment nach. Seine Frau hörte sich so entrüstet an, als hätte sie ihren Jüngsten grade beim Masturbieren erwischt… aber das würde sie ihm hoffentlich nicht erzählen wollen. Diese Art von Gesprächen hatte er schließlich schon zwei Mal halten müssen, nachdem die ersten Taschentuch-Armeen sich in den Zimmern seiner Söhne breit gemacht hatten, und er hatte nicht vor, es ein drittes Mal zu tun. Also entschloss er sich, vorsichtig nachzufragen. »Was denn?«
»Er lernt!«, fauchte Mikoto, und funkelte ihn böse an. Fugaku verstand nicht, wo darin jetzt das Problem lag.
»Ist doch gut, dass er was für seine Noten tut – schließlich will er studieren, und-«
»Du willst, dass er studiert, Fugaku!«, sagte Mikoto aufgebracht, und ließ sich jetzt endlich in die weichen Sofakissen fallen, ohne jedoch den Blick von ihrem Mann zu lassen.
»Mikoto, Sasuke ist ein verantwortungsbewusster junger Mann, und ich denke, dass es zu unseren Pflichten als Eltern gehört, dafür zu sorgen, dass dem auch so bleibt. Er soll sich schließlich nicht seine Zukunft verbauen.«
»Er ist noch nicht mal Volljährig«, brauste Mikoto auf. »Kannst du ihm nicht ein bisschen Jugend und Freiraum lassen?«
»Du klingst gerade so, als ob ich ihm befohlen habe, er soll jetzt lernen.«
Mikoto schnaubte. »Er bekommt von dir ja nur Anerkennung, wenn strebsam ist – natürlich will er, dass du stolz auf ihn bist, deswegen macht er das doch!«
»Und wo ist jetzt das Problem?«, fragte Fugaku, der allmählich gereizt wurde.
»Du hast zu hohe Ansprüche! Und vor allem nur in einem Bereich! Weißt du eigentlich, wie sehr er sich freuen würde, wenn du mal zu einem seiner Kendo-Turniere kommst?!«
»Wo wir gerade davon sprechen«, sagte Fugaku, der von einer gerade eingegangenen Mail auf seinem Laptop abgelenkt wurde, »glaubst du nicht, er sollte langsam mal mit diesem Quatsch aufhören? Eine Karriere als Sportler strebt er ja nun nicht an, und-«
»FUGAKU!«, fauchte Mikoto ihn an, und war jetzt wieder aufgesprungen. »Manchmal habe ich echt das Gefühl, du hörst mir gar nicht zu!«
Fugaku fragte sich im Stillen, ob seine Frau grade ihre Tage hatte. Sonst war sie doch nicht so aufbrausend… Sein »Hn?« war auf jeden Fall nicht die richtige Antwort.
»Dann wünsche ich dir mal einen erholsamen Schlaf auf der Couch!«, giftete sie, und stürmte aus dem Wohnzimmer, wobei sie die Tür krachend ins Schloss fallen ließ.