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Schädliche Kurzgeschichten

Wie gut, dass wir hier alle anonym sind
von

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Messi-Messe

Irgendjemand geht an meinen Rucksack. Ich packe immer frische Bananen ein und Wochen später sind faule drin. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Mein Rucksack war verflucht und stank. Wenn da die Mächte des Teufels am Werk waren, gab es nur einen Weg um ihn zu retten.
 

Ich ging mit dem Rucksack in die Kirche und schüttete in einem unbeobachteten Augenblick den ganzen Schrott aus meinem Rucksack hinter den Altar und fühlte mich dabei wie ein Paladin. Dann tauchte ich den Rucksack ins große Weihwasserbecken am Ende des Ganges. Immer und immer wieder. Einmal entglitt er mir und sank auf den Grund. Erbost zog ich ihn wieder raus und rief: „Ja scheiß die Wand an!“ Nun war Scheißdiewandan offiziell getauft und ich zog ihn mir wieder auf die Schultern. Da die Messe bald anfing, ging ich zu den vordersten Bänken und pflanzte mich hin.
 

Die Glocken läuteten und die Messdiener rutschten auf dem Weg zum Altar scharenweise auf der Wasserlache, die mein klitschnasser Rucksack hinterlassen hatte, aus. Jetzt begriff ich auch, warum sie den englischen Begriff „Mess“ in ihren Namen tragen.

It was a terrible mess, als sich einer von ihnen derart überschlug, dass sein Glöckchen scheppernd gegen das Tabernakel flog. Wie auf Kommando ging dann auch schon die Tür auf und der Pfarrer schlurfte zum Altar.

„Meine lieben Brüder und Schwestern!“, rief er über das Ächzen und Stöhnen der Messdiener hinweg. Dann verstand man ihn nicht mehr, weil der ganze Müll hinter seinem Altar zu laut raschelte. Er stutzte und blickte nach unten. Versuchsweise schob er ein Bein nach vorne. Eine Lawine aus Bonbon- und Schokoriegelpapierchen segelte die Stufen hinab. Räuspernd zog der den Fuß wieder zurück. Wieder geriet die Masse in Bewegung.

Diesmal erschien eine Rolle Klopapier, die einen eleganten Bogen um den Altar schlug und die Stufen hinab in Richtung Ausgang rollte. Dabei hinterließ sie vom Altar aus eine pompöse weiße Schleppe. Alle starrten nun auf die Klorolle und bekamen gar nicht mit, wie der Pfarrer mit Alditüten um die Fußknöchel zum Tabernakel schlurfte.

Die Messdiener die es inzwischen geschafft hatten, zum Altar zu kriechen, versuchten nun verzweifelt mit ihren Glöckchen zu bimmeln. Doch es klang als würde ein Irrer einen mit Scherben gefüllten Motorradhelm durch die Gegend treten, da die Glöckchen alle verbeult waren.
 

Inzwischen intensivierte sich der Bananengeruch aus dem Taufbecken.

Stolpernd und keuchend balancierte der Pfarrer den Wein und die Hostien zum Altar, wo er sie mit lautem Krachen draufknallte. Dann hüpfte er zur Kanzel und führte einen wilden Cancan auf um die Alditüten loszuwerden.

Die flatterten schließlich auch von dannen, zusammen mit einem seiner Schuhe, der einen Tippelbruder in der vorletzten Reihe unsanft aus dem Schlaf riss.

Dann schlug er sein Liedbuch auf und verkündete das Lied, das nun gemeinsam gesungen wurde. Während die pubertierenden Messdiener sich vorne einen abkrähten, versuchte ich mich an einem tiefen Bass, der buchstäblich in die Hose ging, als ich urplötzlich einen fahren lassen musste.

Die Leute die hinter mir saßen, rückten röchelnd und leiernd von mir weg. Der Pfarrer verhaspelte sich und grölte nun verzweifelt um den Takt herum, als würde der Mond versuchen auf Polynesien zu landen.

Im Großen und Ganzen war der Song ein Reinfall. Es machten zwar alle den Mund auf, weil sie nicht mehr durch die Nase atmen konnten, aber die Hälfte davon gähnte, hustete oder beschwerten sich lautstark fluchend über den Lärm, wie der Tippelbruder in der vorletzten Bank. Jemand rülpste sogar, was zur allgemeinen Erheiterung beitrug.
 

Der Pfarrer schlug das Buch mitten in der zweiten Strophe zu und warf uns allen einen gekränkten Blick zu. Dann schritt er würdevoll zum Altar. Das heißt, er versuchte es. Mühevoll kraxelte er auf den Müllberg. Oben angekommen schwankte er wie ne Flasche Kellergeist im Leerlauf bis sein Mund den Weg zum Mikrofon fand.

Er forderte zum Beten auf. Wobei man den letzten Teil des Satzes erahnen musste, denn er rutschte mit einem Fuß ab und geriet dabei ins Leiern.
 

Die Leute knieten nieder.

Neben mir saß ein Rudel Rentner und es knirschte, als wäre man auf eine Packung Mikado getreten. Der Pfarrer lallte das Gebet vor und die Leute antworteten. Mein Kopf tat weh und die Knie antworteten.

Lange hielt ich das Gehocke wirklich nicht mehr aus. Da kam mir die rettende Idee. Ich tat einfach so als müsse ich husten damit ich aufstehen konnte.

Es wäre ja unhöflich gewesen, den anderen ins Gesicht zu husten. Leider taten mir die Knie nun doppelt so weh, als ich mich wieder drauf sinken ließ. Ich hielt die Schmerzen kaum aus, also sprang ich auf, um gleich wieder zu husten.

Doch der Schmerz beim hinknien wurde jedes Mal schlimmer. Also blieb mir nichts anderes übrig, als wie ein Frosch auf der Stelle zu hüpfen und zu husten. Bald schon darauf, konnte der Rest nicht anders, als im Takt meines Hustens zu beten.

Selbst der Pfarrer wankte unbewusst im Takt und ich beatboxte fleißig weiter bis zum Ende des Gebets. Es war die heiligste Rapmesse die es je in diesem Kaff gegeben hatte.

Erschöpft ließ sich der Pfarrer nun ebenfalls kurz auf die Knie sinken. Leere Pfandflaschen schossen links und rechts unter ihm weg. Dann besann er sich wieder auf das Wesentliche.
 

Er richtete sich auf und griff nach den Hostien. Er verkündete heiser, dies sei der Leib Christi. Ich besah mir die Hostien und kam zu dem Entschluss, dass Christi unter extremer Mangelernährung gelitten hatte. Der Pfarrer schob sich eine Hostie in den Mund. Da Esspapier sehr trocken ist und bekanntlich mit etwas runtergespült wurde, griff er nach dem Wein. Dafür, dass er den als heiliges Blut Christi angepriesen hatte, langte er nicht gerade üppig zu. Ich vermutete, dass es ich wohl um einen günstigen Fusel handeln musste, der schnell in die Birne ging, denn er nippte nur kurz daran. In der Tat schien er nicht so doll zu sein, denn er bot nun an, ihn an alle anderen zu verteilen.

Wir stellten uns alle hintereinander an, anstatt wie dehydrierte Bestien nach dem Wein zu krallen, denn wir befanden uns in einer deutschen Kirche und nicht in einer irischen. Als ich an der Reihe war, knurrte mir bereits der Magen. Also ließ ich mir die Hostie in die Futterluke schieben. Doch Weh und Ach. Das Ding war so trocken wie die Grabrede für einen Schotten. Also griff ich mir den Weinkelch. Augen zu und durch.

„Zur Mitte, zur Titte, zum Sack – Zack, Zack!“, skandierte ich, „Und Tschüssikowski!“

Damit stürzte ich das Gebräu hinunter und bemerkte gar nicht, dass mich alle anstarrten. Dabei sahen die selber alle blöd aus mit den Fetzen von der Klorollenschleppe unter den Schuhen. Der Pfarrer teilte mit, dass kein Wein mehr da sei. Ein enttäuschtes „Oooh~…“ ging durch die Reihen, der Tippelbruder verließ lautstark über den Kapitalismus motzend die Kirche und einige verlangten empört ihren Eintritt aus dem Klingelbeutel zurück.

Tja, so ein Pech, dass Jesus zurzeit beim Ballermann am Sangriaeimer jobte. Der hätte aus dem Weihwasserbecken ein schönes Bananenschnäppsken machen können.
 

Da ich die Meute nicht komplett leer ausgehen lassen wollte, stieß ich einen laut kollernden Rülpser aus, damit sie zumindest noch das Aroma mitbekamen. Dann schlurfte ich zurück auf meinen Platz und hockte mich verkehrt herum, mit dem Kopf nach unten und den Beinen nach oben auf die Bank um zu beobachten, wie die Schuhe der Leute das Klopapier am Boden zerpflückten.
 

Der Pfarrer schwafelte dann irgendwann auch weiter. Wenn jemand Augen auf sein Kinn malen würde, sähe das kopfüber richtig cool aus. Ich zückte einen schwarzen Edding und warf so gut gezielt wie es kopfüber nur ging. Was ich mir dabei dachte, wusste ich selbst nicht recht. Zwei Augen würde ich mit einem Wurf nicht hinbekommen. Dafür flutschte er dem Pfarrer unter die Nase und hinterließ dort ein eindrucksvolles schwarzes Rechteck.

Vor Aufregung verschluckte sich der Pfarrer und predigte in einem abgehackt kehligen Tonfall weiter, in welchem er das „R“ eindrucksvoll betonte.

Da es dabei gerade um die Hölle ging, stampfte er dabei mit den Füßen auf, dass die Taschentücher und Kondome nur so flogen.
 

Aber irgendwann machte das auch keinen Spaß mehr und ich stand auf. Da kam mir eine lustige Idee. Ich ging zurück zum Taufbecken und setzte mich an den Rand. Ich wühlte in meinen Jackentaschen.

Tatsächlich besaß ich noch ein Päckchen Ahoibrause. Ich nahm es in die Hand, steckte diese ins Wasser und rief so laut ich konnte, der Teufel hätte mich am Arsch, ich hätt seit Wochen Hämorriden und wüsst jetzt auch nicht woher das käme, ah au, weh und ach, das Weihwasser brennt übler als meiner Rosette, etc, etc…

Ich fuhr noch eine Weile mit meinem Lamento fort. Alle starrten mich mittlerweile an. Des Weitern beschwerte ich mich lautstark über das Brodeln und zischen hinweg, der Teufel hätte ebenso meinen Rucksack und das Weihwasser versaut, dem Pfarrer unter die Kutte gespickt, sämtliche Final Fantasy Spielstände gelöscht und den Apfel von Bill Gates angebissen.

Ich heulte vor der blöd glotzenden Menge noch eine ganze Weile weiter, über Fettleibigkeit bei Hauswieseln, schwer zu fangende Pokemon und aufkommende Müdigkeit. Die Müdigkeit wurde letztlich so schlimm, dass ich mäkelnd mit einer Hand im Taufbecken vor aller Augen einschlief.

Dass ich mich dabei im Schlaf vollpisste, war alte Schule.
 

Als ich erwachte, waren sämtliche Besucher und der Pfarrer verschwunden.

Wenn etwas langweilig wurde, wollte niemand mehr zuhören, das galt für den Pfarrer genauso wie für mich. Das Taufbecken roch bananig-fruchtig mit einem Hauch von Waldmeister. Auf meinem Bauch lag eine Exorzismusbroschüre und meine Hand roch affig. Ich verließ die Kirche mit gemischten Gefühlen und besah mir die Broschüre. Vielleicht würde ich diese Hilfe aus Neugier mal in Anspruch nehmen. Aber das ist eine andere Geschichte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Evidenz
2018-11-11T02:04:37+00:00 11.11.2018 03:04
Welch schöne Kurzgeschichte.
Ich hätte auch gern diese Broschüre, denn da steckt das Wort `Bro`drin und ich wollte schon immer einen großen Bruder haben.

Dein Schreibstil gefällt mir.

Ich wollte dir gerade einen Autoren empfehlen, denn ich denke, du könntest seine Romane mögen, aber sowas ist hier wohl deplaziert. xD


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