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Vergessen

Den Tod im Blick
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kapitel zwei...endlich nach gefühlten Jahren bin ich genug motiviert, um weiter zu schreiben.
Jetzt gehts dann endlich los mit der eigentlichen Story^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist schon viel früher am Papier entstanden, nur zum PC-Eintippen fehlte mir die Zeit.
Hoffe, es gefällt ;p Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Endlich ist dieses Kapitel fertig. Ich weiß nicht, was es war, eine Schreibblockade oder einfach sehr wenig Zeit.
Ich hoffe, es gefällt;) Komplett anzeigen

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Eins (Einführung und Tod)

Als ich aufgewacht bin, hat man mir gesagt, dass ich Evelyn heiße. Man hat mich umarmt und geweint, doch ich wusste nicht warum. Ich wusste weder, wo ich war, wer diese Personen um mich herum waren, wer ich war.

Ich habe die Frau neben mir angesehen, die sich als meine Tante vorgestellt hatte.

Rosa Zapack. 87 3 49 0 22. Jedes Mal wenn ich sie ansah, waren diese Buchstaben und Zahlen über ihrem Kopf. Leicht verschwommen tanzten sie über ihren Haaren herum.

87 3 49 0 13. Die Zahlen veränderten sich, jedes Mal wenn ich hinschaute, war es eine andere.

Rosa hatte die Hand auf meine Stirn gelegt und gesagt, dass alles wieder gut werden würde.

Doch das glaube ich jetzt nicht mehr.
 

Makenzie rührte neben mir in ihren Schulcafeteria-Nudeln herum und sah mich mit einem leidenden Gesichtsausdruck an. Sie war damals im Krankenhaus dabei gewesen, hatte sich als meine beste Freundin vorgestellt. Ein Verkehrsunfall war es gewesen, das mich dort in das Krankenhausbett gesteckt hatte. Wie durch ein Wunder hatte ich als einzige überlebt. Doch leider hatte ich mein Gedächtnis verloren. Alle Menschen, die ich lieb hatte, die mir wichtig waren, jeden einzelnen hatte ich vergessen. Auch wenn sie mich alle lieb hatten, ich konnte es nicht mehr. Ich wusste ja nicht mehr wer ich war. Ich konnte es ihnen nicht sagen, wollte es nicht, weil mir niemand helfen konnte. Nichts konnte meine Erinnerungen zurückbringen.

"Huhu!" Mags Gesichtsausdruck zu urteilen hatte sie mich während meines Gedankengesprächs etwas gefragt.

"Äääh." Leider wusste ich nicht was ich sagen sollte, konnte mich kaum auf Mag konzentrieren ohne die Zahl über ihrem Kopf anzustarren.

32 7 46. Das war verdammt wenig.

32 7 38. Mit Sekunde zu Sekunde kam das arme Ding ihrem frühen Tod näher. Und ich konnte nichts dagegen tun, hatte noch nie etwas gegen den Tod tun können. Egal was ich versucht hatte, um den Tod zu verhindern, es passierte trotzdem.

Sogar mich hatten die Zahlen einkalkuliert.

Die Todeszahlen.

Sie zählten nicht in Sekunden oder Minuten, aber eines wusste ich: Wenn Sie niedrig war, starb der Mensch bald, wenn sie fast bei Null angelangt war, musste ich mir den Tod dieser Person ansehen. Ich war die Einzige, die sie sah, konnte mit niemandem darüber reden. Wer wollte schließlich schon ins Irrenhaus?

"Was ist nur mit dir los?" Mag piekste mich mit einem Ihrer langen Nägel in die Hand. "Ich erkenne dich gar nicht wieder." Sie seufzte leise.

"Weil deine beste Freundin nicht mehr existiert", wollte ich sagen, konnte es aber nicht. Stattdessen schwärmte ich irgendetwas über einen Typen aus unserer Parallelklasse, was Mag zu beruhigen schien. Dabei wanderte mein Blick immer wieder zu dieser Zahl. 32 6 53. Ein paar Tage, mehr waren es nicht.
 

Ich starrte auf den Zettel vor mir, hörte mir geduldig das Gekeife der Lehrerin an. Diese Fünf auf dem Test war für mich nicht wichtig. Wozu sollte ich lernen?

"Streng dich doch endlich wieder an", seufzte die Frau. Anna Hels. 87 2 13 3 72. Ihr Gekeife würde ich mir leider noch länger anhören müssen.

Ein lautes Röcheln ließ diese Anna innehalten. Ein Junge vor mir rutschte aus seinem Sessel und fiel auf den Boden.

Es war Klaus. Klaus, der kleinere Schüler verprügelte, der klaute und der laut einigen anderen Schülern Mitglied einer Mafiabande war. Klaus, der gerne Messer mit in die Schule nahm. Klaus, dem ich am liebsten meine Meinung gesagt hätte. Er lag vor mir auf dem Boden und starrte mich hilflos mit geweitetem Blick an, regte sich nicht mehr.

74 3 86 4 99. Der Idiot starb leider noch nicht, musste ich feststellen.

Sessel klapperten, die Tür wurde aufgerissen und Klaus wurde von meinen Mitschülern verdeckt. Ich blieb sitzen, sah zu, wie die Rettungskräfte ins Zimmer kamen und sich neben Klaus knieten. Die Worte, die die beiden sagten, konnte ich nicht mehr verstehen, gingen im Flüstern der Schülermenge unter. Für einen Augenblick lichtete sich die Menge und ich konnte Klaus entdecken, der reglos auf einer Bahre lag…

…und über ihm: keine Zahl.

Das konnte nicht sein!

Ich schaute immer wieder hin, doch sie war verschwunden. Es war das Unmögliche geschehen.

Klaus war tot.

Ich wusste nicht einmal, warum er sterben konnte. Die Todeszahlen hatte mich noch nie angelogen, oder waren sie doch falsch und taten das?
 

Das Gras war noch vom Regen feucht, doch es machte mir nichts aus, meiner Hose eine neue Farbe zu verleihen. Hier in diesem Eck im Stadtpark war ich ganz allein, niemand würde mich hier stören. Ich packte mein Brot aus und aß es genüsslich. Endlich konnte ich einfach ich sein, hier waren keine Zahlen und keine Menschen, die mich von irgendwoher kannten. Ich blickte den bunten Blättern nach, die von den Bäumen zu Boden fielen, die starben. Aber das gute dabei war, dass sie keine Todeszahlen hatten, dass ich mich in meine Gedanken versinken konnte. Ich musste nachdenken, Klaus Tod ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.

"Warum?", seufzte ich. Ich glaubte eigentlich nicht an einen Gott, aber falls es doch einen gab, würde ich seine Hilfe brauchen, würde dann vielleicht wieder anfangen, an ihn zu glauben. Ich bemerkte die Regentropfen auf meiner Haut erst als ich zu frieren begann. Der warme Sommer hatte überraschend plötzlich geendet. Ich stand auf, packte meine Sachen und ging mit gesenktem Kopf in Richtung meines Wohnorts. Zuhause konnte ich es leider nicht nennen.
 

"Bin wieder da“, murmelte ich, als ich den Vorraum betrat. Wie immer war es hier totenstill, niemand begrüßte mich oder machte auch nur irgendein Geräusch.

Weil ich alleine war. Tante Rosa und Onkel Trey waren in der Arbeit, meine Cousine Maggi saß noch in den Unterrichtsstunden fest.

Und mein Cousin Lian hatte wieder einen geheimen Auftrag in Japan. Er gehörte zum FBI, was nur die eigene Familie wissen durfte. Diesmal ging es um die Festnahme eines Serienmörders, der Kriminelle umbrachte, mehr durfte Lian uns nicht sagen. Ich hatte meinen Cousin nur ein einziges Mal gesehen, doch an ihm war etwas Vertrautes, wahrscheinlich war es dieser Wille das Böse dieser Welt zu bekämpfen. Genau dieser Wille, den ich auch habe und der mich dazubringen wird, mich einem Geheimdienst anzuschließen, sobald ich 21 bin.

Lian hatte mir als einziger nicht davon abgeraten, als ich ihm von meinem Berufswunsch erzählte. "Mach das, was du richtig findest, sonst wirst du nicht glücklich", hatte er gesagt, vor etwa einem Monat war das gewesen. Trotzdem merkte man ihm ein gewisses Leiden an, etwas, dass meinen schon älteren Cousin noch etwas älter werden ließ.
 

Leise stieg ich die Treppe hoch, auch wenn ich niemanden stören konnte – Der wahre Agent ist immer auf der Hut. – und betrat mein Zimmer. Klein aber ordentlich. Das hier war der einzige Platz auf dieser Welt, an dem ich mich derzeit wohl fühlte. Ein Bett mit einem kuschelig weichen Kissen, ein älterer Schreibtisch, ein großes Bücherregal.

Man hatte mir gesagt, dass mir diese Dinge auch schon vor dem Unfall gehört hatten und sie riefen wahrscheinlich deshalb in mir ein gewisses Wohlbefinden hervor. Meine alten Schulsachen, Notizen, Bücher, nichts davon erinnerte mich aber an irgendetwas.

In einer sonst leeren Schreibtischlade fand ich ein kleines Post-it, auf dem sich eine Art Einkaufsliste befand: Frischhaltefolie, Metallbox, Schaufel. Als wollte ich eine Leiche vergraben. Der Rest war unleserlich. Ich zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Müll. Er war sicher unwichtig gewesen, nur eine blöde Spielerei.

Mit einem Seufzen wandte ich mich der Tasche auf dem Boden zu. Hausübungen. Leider hatte ich nichts Besseres zu tun.
 

Immer wieder musste ich auf den leeren Stuhl starren, konnte mich nicht auf den Englischunterricht konzentrieren, weil meine Gedanken immer wieder zu Klaus wanderten. Wieso war seine Zahl falsch gewesen?

Ein kleiner Papierball landete auf meinem Tisch.

"Das gestern war doch echt gruselig, oder?", stand darauf. Sogar Mag hatte bemerkt, dass etwas an Klaus Tod komisch gewesen war. Ich riss eine Ecke aus meinem Block und schrieb darauf:

"Schon. Ich hab nicht gedacht, dass er einfach so stirbt." Dann knüllte ich ihn zusammen und warf ihn Mag vorsichtig zu. Ich wollte sie, weil sie meine beste Freundin war, nicht allzu viel anlügen, das war das, was der Wahrheit am nächsten kam. Ich sah, wie sie den Ball fing und auseinander faltete.

26 3 78. Instinktiv drehte ich den Kopf weg. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut loszuschreien, sah im Geist ein Bild aufblitzen: Mag lag auf dem Boden und blutete heftig.

War das ihr Tod? Konnte ich mich das erste Mal an etwas erinnern? Konnte ich mich auch an meine beste Freundin erinnern? Ich sah kurz noch einmal in ihre Richtung. Tatsächlich, es hatte sich etwas verändert. Ich merkte, wie ich an ihr hang, dass ich nicht wollte, dass sie starb. Aber sonst war mein Hirn genauso leer wie davor.

Etwas streifte meinen Oberarm und fiel neben mir auf den Boden. Ein Papierball. Ich hob ihn auf, fand am Anfang die Worte nicht, die in kleiner zierlicher Schrift in einer Ecke standen.

"Er hat es verdient."

Was war nur vorgefallen, das Mag ihm den Tod gewünscht hatte?
 

Die abgebrannten Popcorn standen neben mir auf der Couch im Wohnzimmer. Eigentlich wollte ich einen Film schauen, aber ich musste bemerken, dass ich die von Mag geliehene DVD in der Schule vergessen hatte. Angefressen auf mich selbst, zappte ich mich durch die Kanäle, fand nichts, dass mich brennend interessierte und blieb schließlich bei einer Nachrichtensendung hängen. Kriege, Flüchtlingsmassen aus den Kriegsländern, Diebstähle, Morde.

Unsere Welt war verdorben.

Ein Bericht aus Japan machte mich aufmerksam: Ein unbekannter, den die Medien Kira nannten, brachte tausende von Verbrechern um. Ein Mörder, der Mörder umbringt. Vielleicht ermittelte sogar Lian in diesem Fall. Leicht musste ich grinsen.

Doch das Erstaunlichste war, das man nicht wusste, wie er das tat. Es wurden keine Waffen gefunden, kein Gift, einfach nichts. Alle seine Opfer starben einfach so an Herzversagen.

Auch Klaus war an Herzversagen gestorben. Ich musste schlucken und schaltete den Fernseher aus. Das war einfach zu viel für mich. Sein Tod hatte sicher nichts mit diesem Kira zu tun. Ich musste mir diesen Klaus endlich aus dem Kopf schlagen.

Aber das konnte ich nicht. Ich wusste nicht, was mich dazu trieb, meinen Laptop einzuschalten und 'Klaus Mauder' zu googlen. Ich fand sein Facebook-Profil, eine Seite mit einem Fußballverein und schließlich weiter unten einige ungeklärte Verbrechen, Klaus als Verdächtiger. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er an einigen Morden und Diebstählen wirklich schuld war.

Erst ein wenig später bemerkte ich eine weitere Seite, seine Todesanzeige, auf der seine Verwandten Klaus betrauerten. Ich wechselte noch einmal auf seine Facebookseite und sah mir die geheuchelte Trauer meiner Klassenkollegen an. Als für mich einzig wahre Trauer galt die Wut eines guten Freundes, Bernhard, der wahrscheinlich zu seiner Schlägertruppe gehört hatte.

Mitten im Text stand ein Satz, vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen.

'Das ist die falsche Bestrafung.'

Wieso hatte er das geschrieben? Anscheinend würde ich diesem Jungen ein paar Fragen stellen müssen.
 

Mein Beschluss, Bernhard zum Reden zu bringen, schlug fehl, denn er war heute nicht in der Schule, hatte wahrscheinlich geschwänzt. Das tat er öfter, meistens mittwochs und donnerstags.

Stattdessen kam die Polizei in die Klasse und fragte uns einzeln über Klaus und seine krummen Geschäfte aus.

Oft genug musste ich mir den Satz 'Lüg die Polizei nicht an!' anhören. Was hätte ich machen sollen, ich konnte ihnen einfach nicht sagen, dass ich mich an nichts erinnerte, bis auf das Gerede der andern Schüler. Ich gab an, bei seinem Tod dabei gewesen zu sein, konnte aber nichts über seine seltsame Zahl erzählen.

"Lüg die Polizei nicht an!", knurrte der Officer.

Mein ganzes Leben war eine Lüge.
 

Als mich der Officer wutentbrannt aus dem zu einem Verhörraum umfunktionierten Klassenzimmer entließ, wartete Mag davor und starrte mich, mit einem ungläubigen Blick an.

"Wir müssen reden", flüsterte sie. Ich wusste zwar nicht warum, aber ich ließ mich von ihr bis in eine Abstellkammer zerren. Da standen wir zwischen den Besen und Eimern, schauten uns an und warteten wahrscheinlich darauf, dass der andere zu reden begann.

Mag unterbrach die Stille. "Warum hast du nichts gesagt?"

Ich schaute sie perplex an.

"Wir haben doch auch darüber geredet. Du hast es doch auch gesehen", fuhr sie mit zitternder Stimme fort. "Die Frau war verdammt nocheinmal tot!" Sie kniff die Augen zusammen und sah weg.

"Was? Welche Frau?" Mehr brachte ich nicht heraus, ich konnte mich ja nicht daran erinnern. Ich hatte ihr nie von meinem Gedächtnisverlust erzählt, es war besser so. Aber als ich sie ansah, tränenverschmiert, fassungslos und mit dieser irren Todeszahl...Ich wollte nicht, dass Mag unglücklich starb. Ich musste es tun.

"Mag?", flüsterte ich. Sie sah auf und blickte mich an.

"Mag, ich kann mich nicht erinnern." Sie verzog das Gesicht, starrte mich weiterhin lautlos an.

"Ich kann mich an nichts vor meinem Unfall erinnern."

Und sie sagte nichts.

Immer wieder schüttelte sie den Kopf, kniff die Augen zusammen.

"Mag, bitte rede mit mir", flüsterte ich verzweifelt. Sie blickte kurz auf, sah danach sofort wieder weg.

"Ich kann nicht, ich kann nicht", keuchte sie. "Ich habe dir vertraut, Eve, mehr als allen anderen. Ich kann nicht." Sie drängte sich an mir vorbei und stürmte aus der Kammer.

Was hatte ich nur angerichtet?!
 

Den weiteren Tag hatte ich Mag nirgendwo am Schulgelände entdecken können, ans Handy ging sie auch nicht, selbst als ich sie mit unterdrückter Rufnummer angerufen hatte. Ich musste mit ihr reden, unbedingt.

Doch als ich nach der Schule bei ihr zu Hause anrief, sagte mir ihre Mutter nur, dass sie noch einkaufen gegangen war.

Verdammt, ich musste sie vor ihrem Tod noch einmal sehen und das in Ordnung bringen!

Nicht einmal wann sie genau starb, wusste ich. Ich hatte mir noch nie die Mühe gemacht, diese Todeszahlen in menschliche Zeit umzurechnen. Sie könnte vielleicht auch schon heute sterben, bei dem Gedanken wurde mir ganz schlecht.

Umso dringender musste ich sie jetzt sehen!

Wahrscheinlich war sie in der Mall, da gab es diese neue Frühjahreskollektion, die Mag so gut gefiel.

Die Schule war nicht allzu weit vom Shoppingparadies, wie Mag die Mall immer nannte, entfernt. Das schaffte ich auch zu Fuß. Gehetzt rannte ich Straße um Straße entlang, bahnte mir meinen Weg zwischen den für mich zu langsam gehenden Menschen, wartete ungeduldig, dass die Ampeln an den stark befahrenen Straßen nach grün umschalteten, rannte weiter. Wer wusste, wie viel Zeit ich noch hatte.

Ich kam gegenüber der Mall an einer roten Ampel zu stehen, blickte mich suchend nach Mag um. Es wäre schon etwas zu blöd, sie zu übersehen, falls sie schon fertig mit ihren Einkäufen war und sich auf den Heimweg machte.

Und da stand sie gegenüber an der Ampel, starrte abwesend in die Luft.

"Mag!", rief ich und winkte ihr zu, doch sie bemerkte mich nicht. War auch irgendwie klar mit den neuen metallisch schimmernden Kopfhörern, die sie aufhatte. Ich blickte schnell auf ihre Stirn -41- und riss entsetzt die Augen auf. Es konnte sich nur um Sekunden handeln, sie starb gleich! Ich konnte aber noch nichts davon bemerken. Verdammt, ich wusste nicht einmal, an was sie sterben würde.

Die Ampel schaltete auf Grün um und die Menschenmasse betrat die Straße.

"Mag!", brüllte ich verzweifelt auch wenn sie mich wahrscheinlich nicht hörte.

Ich musste sie finden, bevor es zu spät war! Da drüben ging sie, langsam im Takt der Musik und zählte wahrscheinlich die Zebrastreifen. Das tat sie manchmal.

34.

Jemand schrie. Ich drehte meinen Kopf und sah einen Laster auf mich zukommen.

Ein Verkehrsunfall, das war es.

Jemand packte mich am Arm, zog mich mit. Wie in Zeitlupe bewegte sich der Laster an mir vorbei.

"Mag!" brüllte ich verzweifelt. Wo war sie nur?

Ich blickte nach links und sah jemanden vor mir auf dem Boden liegen.

Mag! Wer konnte es denn sonst sein? Ich riss mich los und rannte zu ihr hin.

Ein blutiges Häufchen Elend. Nein! Über ihrer Stirn immer noch ihr Name und ihre Zahl. 17. Sie lebte noch.

"Mag", heulte ich, fiel auf die Knie und nahm ihren Körper in meine Arme.

"Bitte rede mit mir." Sie öffnete die Augen und sah mich an.

"Tut mir leid wegen heute, ich hab es nicht so gemeint", hauchte sie. Ich strich ihr sanft eine Strähne aus der Stirn, hinterließ eine Spur mit meiner blutigen Hand.

"Tut mir auch leid. Ich hab dich lieb, Mag", heulte ich.

"Ich hab dich lieb, Eve." Sie lächelte.

"Wir sehen uns im Himmel."

Dann schloss sie die Augen und starb.

Zwei (Agenten und Tod)

Das Wetter war wie in diesen traurigen Liebesfilmen, in denen sich die beiden Geliebten am Ende nie wieder sehen konnten.

Regnerisch.

Nicht dieses normale, frische Regenwetter, das einen Regenbogen verspricht, nein, eher ein depressiver, nicht aufhörender Regen.

Ich war sehr froh, dass Mags Eltern kein Monument von Grabstein mit nur den besten Grüßen aufstellen ließen, sondern sich für etwas Schlichtes und Einfaches entschieden hatten.

"Makenzie Branes 03.05.1996-27.08.2015"

Nur Name und Lebensdaten.

Ihre Eltern waren so, sie litten unter dem Verlust, so stark, dass sie sich emotional davon abtrennen mussten. Ich hatte versucht, sie zu trösten, aber es war aussichtslos.

Ich konnte sie verstehen.

Jedes Mal, wenn ich an Mag dachte, kamen die Bilder vom Tod auf der Straße. Keine glückliche über Jungs redende Mag, nur noch blutverschmiert, aber sie hatte gelächelt, hatte mir verziehen.

Und so blieb sie mir in Erinnerung.

Wir hielten jeder eine gelbe oder rote Rose in unseren Händen, ich lauschte den Gebeten und dachte an Mag im Himmel, an den sie immer tief und fest geglaubt hatte. Irgendwann warfen wir unsere Rosen auf den Sarg hinunter, für mich eine etwas befremdliche Geste, dieses Hinunterwerfen, aber immerhin eine Möglichkeit, um sich zu verabschieden.

Ich weinte nicht mehr, wie all die anderen Menschen um mich herum.

Der Tod war für mich allgegenwärtig.
 

Ich begegnete dem Tod das nächste Mal im Gerichtssaal. Lässig saß er da, zurückgelehnt und die Beine überschränkt, der Lasterfahrer.

Er war nicht nur für Mags Tod verantwortlich, hatte bei seiner Amokfahrt, gleich fünf Personen den Garaus gemacht. Und es war ihm egal. Spöttisch beantwortete er die Fragen der Richterin, ließ mich innerlich toben.

"Mörder!", schrien einzelne aus den Reihen. Ich hätte mich gern angeschlossen, doch so etwas half nichts im Gericht, da der Fahrer sich dadurch nur noch besser fühlen würde.

Die Menge johlte und buhte, als das Urteil verkündet wurde: lebenslang.

Ich war einfach nur entsetzt. Für so jemanden gab es keine gerechte Strafe im Gefängnis.

Es gibt keine Gerechtigkeit. Ich biss die Zähne zusammen, war zwar brav erzogen worden und würde niemanden töten wollen, aber dieser Mensch, er hat den Tod nur so verdient.
 

Ich hatte nicht gewusst, wie sehr ich Mag vermisste. Sogar ihre Gespräche über Jungs fehlten mir. Niemand nervte mich in der Schule, jeder ließ mich in Ruhe oder ignorierte mich. Ich dachte zu viel nach, da mich niemand ablenkte, sah dauernd nur die Todeszahlen vor mir. Ein Gesicht wie jedes andere, alle leicht zu lesen.

Die einzigen, die mit mir redeten, waren Tante, Onkel und Cousine. Das war halbwegs erträglich.

Gestern hatte Lian angerufen, hatte freudestrahlend mitgeteilt, dass er bald seinen Auftrag beenden konnte und für eine Weile wieder im Land war. Ein Besuch von Lian würde mich vielleicht aufheitern, bei dem Draht, den wir zueinander hatten.
 

Mir war langweilig, so wie immer nach der Schule. Hausübungen machte ich während der Schulzeit, um mich abzulenken, in der Freizeit wollte ich nicht nach draußen gehen, was blieb mir da schon über. Fernsehen. Jeden Tag zappte ich mich durch die Programme, schaute Serien und Filme, aber auch Nachrichten und Dokus. Besonders die Nachrichten fand ich spannend. Jeden Tag gab es Morde, Verbrechen, Berichte über Kira und L, einen geheimnissvollen Detektiv, der gegen ihn ermittelte. Jeden Tag gab es schlechte Neuigkeiten und diese wurden nur durch belangloses Zeug oder Politik überdeckt, um nicht komplett depressiv zu machen. Der Lasterfahrer war nicht der einzige Verbrecher, für den ich Hass entwickelte.

Die Welt war verdorben, warum merkte das niemand?

Weiterhin bleiben die Nachrichten spannend. Wer war dieser Kira, dass er Morden konnte ohne selbst Hand anzulegen? Was für ein Genie musste sich hinter diesem Mörder verstecken, das niemand merkte, wie er mordete?

War Kira eine Art Gott, was einige Menschen sagten? Bestrafte er die Menschen gerecht für ihre Verbrechen, so, wie es das Gericht nicht konnte?

Hätte ich Mags Mörder getötet, wenn ich könnte?

Ach, was dachte ich nur?! Warum dachte ich nur darüber nach, fragte mich, ob es nicht besser wäre, Blut mit Blut zu bekämpfen? So kannte ich mich gar nicht.
 

Lian hatte noch einmal, wie versprochen angerufen, um uns mitzuteilen, mit welchem Flieger er bei uns ankam. Morgen um acht Uhr abends. Heute war er das letzte Mal im Einsatz, jagte vielleicht gemeinsam mit L Kira hinterher, obwohl er nicht wissen konnte, was Kira überhaupt verdächtig machte oder verriet. Kira war gefährlich, aber er brachte schließlich nur Mörder um, Lian war ein Guter, einer, der für die Gerechtigkeit kämpfte...so wie es Kira auf seine Weise auch tat.

Leicht ließ mich das schmunzeln. Irgendwie musste ich mir eingestehen, Kira nicht abstoßend zu finden, auch wenn er ein Mörder war.

Ich nahm Lians Bild von der Kommode, auf der viele Familienfotos standen, und betrachtete es kurz. Jede Familie hatte so eine Kommode zu Hause. Gemeinsam mit einem anderen Bild, auf dem meine Eltern zu sehen waren, nahm ich es mit nach oben in mein Zimmer und stellte die Bilder auf den Schreibtisch, damit ich mich nicht so alleine fühlte.

"Bis übermorgen, Lian", trällerte ich. "Und wehe, du erzählst überhaupt nichts von der Arbeit."
 

Dieser Nachmittag zog sich in die Länge, fast schon unterfordert war ich in letzter Zeit in der Schule. In den letzten Wochen hatte ich mich vom faulen Schüler zum Jahrgangsgenie entwickelt, sehr zur Freude meiner Lehrer. "Wie früher", schwärmten sie immer. "Endlich hat sie sich von ihrem Unfall erholt."

Ich lernte Japanisch, etwas, das ich anscheinend vor dem Unfall fieberhaft gelernt hatte und immer noch konnte. Ich mochte diese Sprache, schön anspruchsvoll, nicht so wie Englisch oder Französisch, diese Sprachen waren mir fast schon zu leicht und uninteressant. Ich brauchte eine Herausforderung und die hatte ich in Japanisch gefunden. Selbst, wenn ich schon einiges verstand und auch schreiben konnte, es gab so viel mehr, von dem ich noch keine Ahnung hatte. Wenn ich erwachsen werde, würde ich für eine Weile nach Japan gehen, wie mein Cousin, falls das FBI dort einen Fall für mich hätte. Es hielt mich doch eigentlich nichts mehr Zuhause.

Als ich genug von japanischen Wörtern hatte, lehnte ich mich zurück, schloss kurz die Augen und genoss dieses neue Wissen in meinem Kopf. Ich packte meine Hefte und stellte sie wieder schön ordentlich ins Regal zurück und beschloss dann, meinen Schreibtisch weiter aufzuräumen. Stifte und Kullis in die Becher, Zeitschriften, Zettel und ein Buch ordnete ich wieder in die Regale ein. Die Bilder von Lian und meinen Eltern stellte ich an die Plätze auf der Kommode im Erdgeschoß zurück, dazu trällterte ich fröhlich, was ich ziemlich selten tat.
 

Plötzlich verstummte ich, blickte noch einmal genauer Lians Foto an, sah wieder weg, sah wieder hin.

Wie oft ich es auch versuchte, es änderte sich nicht mehr.

Seine Todeszahl war verschwunden.

War Lian tot? Eine andere Begründung gab es nicht. Das konnte ich nicht akzeptieren, ich hatte doch vorhin seine Zahl noch gesehen, die war normal lang gewesen!

Vielleicht lag es an mir, vielleicht verging das Zahlensehen. Ich betrachtete alle Bilder der Reihe nach. Tante Rosa, Onkel Trey, Maggie, alle Zahlen noch da; Lian, meine Eltern Die Zahlen waren verschwunden weil das bei Toten so üblich war.

War Lian gerade wirklich gestorben?

Ich umklammerte mein Handy, presste das Display gegen mein rechtes Ohr.

"Lian heb ab. Heb ab." Leise krochen die Worte aus meiner Kehle hervor.

Lian meldete sich nicht, nur sein Anrufbeantworter, fröhlich wie immer: "Ich bin leider gerade nicht erreichbar, hinterlasse mir bitte eine Nachricht."

"Lian bitte ruf mich zurück", wisperte ich in den Hörer. Dann legte ich auf.

Er würde mich nicht anrufen.

Die Todeszahlen lügen nicht.

Wie ein ausgeschalteter Roboter stand ich im Raum herum, wusste nicht, was ich jetzt noch tun konnte. Konnte ich Lian überhaupt noch helfen?
 

Meine Finger umklammerten das Handy, wollten noch jemanden anrufen, wollten etwas tun, einfach irgendetwas. Mit diesem Problem alleine sein war zu viel, aber ich musste es, weil ich nicht sagen konnte, warum ich von Lians Tod wusste.

Der Bildschirm drehte sich ab, ich starrte abwesend darauf.

Was ist nur passiert, Lian? Wie kann es sein, dass du vor meinen Augen gestorben bist, ohne dass ich es ahnen konnte?

Was wäre, wenn die Todeszahlen etwa doch lügen, was wäre, wenn sie falsch wären? Ich hatte einfach angenommen, dass sie richtig waren, ohne zu hinterfragen, ob das auch so war.

Warum sah ich sie erst jetzt, diese falschen einfach verschwindenden Zahlen? Das musste doch einen Grund haben, die Zahlen, die falschen Zahlen, die Tode unmittelbar in meiner Nähe.

Wollte mir jemand etwas damit zeigen? Wetten, es gab irgendetwas, das in der Vergangenheit lag und an das ich mich nicht erinnern konnte?

"Denkt nicht über die Dinge nach, an die du dich nicht erinnern kannst, Evelyn." Eine Zeit lang war das mein Mantra gewesen und ich dachte nicht, dass ich es noch einmal brauchen würde. Innerlich seuftzend schlufte ich in mein Zimmer und drehte den PC auf, um mich abzulenken, so gut es ging.
 

Gegen Abend kamen Tante Rosa und Onkel Trey nach Hause, gut gelaunt wie immer. Die wussten gar nichts.

"Möchtest du einen Tee?", schnurrte Rosa, als sie meine Zimmertür aufriss und ihr trotz meinem aufgesetzten Lächeln meine Unruhe auffiel. Ich schaffte es einfach nicht mehr, ich vorzuspielen, dass es mir gut ging, nicht mehr seit Mags Tod. Damals hatte sie oft für mich Tee gekocht und mich danach über meine Gefühle ausgefragt. Damals hatte ich ein wenig darüber gesprochen, weil sie über Mag Bescheid wusste, und damals hatte es auch wirklich geholfen.

"Nein danke, bin nur müde", nuschelte ich und gähnte absichtlich. Was sollte ich ihr bitte während dem Teetrinken erzählen? Über Lian konnte ich ja kein Wort verlieren.

Mir entging ihr beleidigtes Hundegesicht, als sie daraufhin die Türe zumachte, nicht, aber es war besser so.
 

Als ich sie die Treppen hinuntergehen gehört hatte, stellte ich mir neben das einzige Fenster im Zimmer, hoffte, dass jemand kommen würde, um Tante und Onkel über Lians Tod zu informieren, hoffte, dass Lians Wagen in der Einfahrt parkte, er austeigen würde und seine Todeszahl falsch war. Gefühlte Stunden hörte ich den Vögeln drüben auf dem Dach zu, lauschte den Motorgeräuschen und zählte die einzelnen Autos, die alle paar Minuten alleine die Straße vor dem Haus entlangfuhren.

"Gib mir ein Zeichen, wenn du lebst, Lian", flüsterte ich meinen Wunsch in den wolkenverhangenen Himmel hinein, sah zu, wie der Tag langsam der Nacht wich und die Straßenlaternen zum Leben erwachten.
 

Ich zählte Auto Nummer 174, ein silberner Wagen, sah zu, wie er sich näherte, langsamer wurde und schließlich in unserer Einfahrt stehen blieb. Lians Auto war das sicher nicht. Ein mittelgroßer Mann stieg aus dem Wagen aus, zu formal angezogen und ging zur Haustür.

War das etwa ein Agent? War Lian wirklich tot?

Ich hörte die Klingel kaum, raste aber sofort die Treppe hinunter, als er mich am Fenster bemerkte.

Der Mann starrte mich entnervt an, als ich die Haustür öffnete. Zack Zounboum. 67 4 13 9 87. Ein ungewöhnlich komisch klingender Name.

"Sind deine Eltern hier?", grummelte er, ohne sich vorzustellen oder auch nur ´Guten Abend´ zu sagen. So unfreundlich brauchte er mir gar nicht kommen, nicht einmal als Agent, dazu war ich zu stolz.

"Meine Eltern sind tot. Wollen Sie meine Tante oder meinen Onkel sprechen?", paffte ich monoton zurück.

"Beide." Er setzte ein ironisches Grinsen auf.

"Ich werde es ihnen ausrichten. Wie heißen Sie?", entgegnete ich zu förmlich und ging nicht auf sein Grinsen ein.

Dann rief meine Tante von hinten: "Eve, wer ist da an der Tür?", kam aber einen Augenblick später zu mir an die Tür und musterte den Mann kritisch

"Mrs. Zapack, könnte ich hereinkommen?", fragte er nur. Rosa starrte ihn verwirrt an.

"Um was geht es denn?", fragte sie. Daraufhin zeigte ihr Zack seinen Ausweis.

Brad O´Connor, FBI.

Ein falscher Name. Normalerweise standen zumindest auf den Agentenausweisen die richtigen drauf.

Aber er war wirklich ein Agent. Das konnte nur eines bedeuten.

"Aber bitte kommen Sie doch herein, Mr. O´Connor." Rosas Stimme war etwas zittrig. "Geht es um meinen Sohn?"

"Allerdings." Er legte den Mantel beim Hereingehen ab, sah sich kurz um, bis ihn Rosa in die Küche winkte. Dann rief sie nach Trey und wir setzten uns an den Esstisch. Eigentlich wollte ich mich entschuldigen, um mir das nicht anhören zu müssen, aber ich wollte es wissen und dieser Drang war stärker.
 

"Über was genau wollen Sie mit uns reden?", fragte meine Tante nun. "Ich hoffe nicht, dass sie seine Ferien wegen eines neuen Auftrags verschieben müssen, wir haben uns schon auf unseren Sohn gefreut."

Das erste Mal, seit ich ihn gesehen hatte, änderten sich die finsteren Gesichtszüge des Agenten.

"Hier geht es nicht um einen neuen Auftrag, Mrs. Zapack. Lian ist leider heute Nachmittag verstorben." Ernst und aufrichtig blickte er uns alle an, sehr professionell und schon fast routiniert. "Es tut mir sehr leid für sie alle."

Jetzt war es entgültig bestätigt: Lian war tod.

Egal, wie falsch seine Todeszahl auch gewesen war, er war tot gewesen, als sie verschwand.

27.12. Genau vier Monate nach Mags Tod.

Ich schauderte. Sah ich schon Zufälle, die es nicht gab? Ich biss die Zähne zusammen, blickte meine Tante und meinen Onkel an, die den Agenten fassungslos anstarrten.

"Tot?", ich sah, wie Rosa dieses Wort auszusprechen schwer fiel. Der Mann nickte kurz.

"Es tut mir leid, dass ich das Ihnen unvorbereitet gesagt habe. Lian und ich haben gemeinsam an mehreren Fällen gearbeitet. Er hat mir gesagt, dass seine Familie es so schnell wie möglich erfahren soll, wenn ihm etwas zustößt." Er wollte Rosas Hand nehmen, sie zog sie aber zu schnell weg und verschränkte sie mit die meines Onkels, der sich etwas gefasst hatte und beruhigend auf sie einredete.

Rosa schneuzte sich kurz, dann blickte sie den Agenten etwas gefasster an.

"Ach, Sie können doch nichts dafür", schniefte sie. "Ich war nur einfach nicht gefasst darauf..." danach fing sie wieder zu weinen an und eilte aus dem Zimmer, Trey ihr hinterher.

"Wir kommen gleich wieder, brauchen nur kurz Zeit", sagte er noch schnell.

Das ließ uns zwei hier alleine in der Küche, den Agenten und mich.
 

"Ich wollte dich vorhin nicht beleidigen, Miss", brach der Agent das Schweigen. "Ich mochte meinen Kollegen und wollte deshalb nicht zusätzlich emotional werden, das kommt nicht sehr professionell herüber."

Jetzt war es für mich an der Zeit, verwirrt zu schauen. Damit hatte ich nicht gerechnet.

"Falls Sie weinen möchten, weinen Sie ruhig", fügte er vorsichtig hinzu.

"Nein, danke. Ich habe in letzter Zeit schon zu viel geweint", antwortete ich, bevor ich merkte, dass ich ein wenig zu viel gesagt hatte. Aber jetzt konnte ich vielleicht endlich herausfinden, wie Lian gestorben war.

"Hat man die Todesursache schon festgestellt?", fragte ich deshalb, worauf mir der Agent eher widerwillig eine Antwort gab:

"Herzversagen."

Ich schaute ihn verwirrt an. Hatte Lian wirklich im Fall Kira ermittelt?

"Aber Kira bringt doch nur Straftäter um!", entgegnete ich fassunglos.

"Dachten wir auch", erwiderte der Agent gequält. Anscheinend hatte ich ein Fettnäpfchen entdeckt. "Woher kennst du dich denn so gut mit Kira aus?"

Eigentlich wollte ich die Fragen stellen, das passte mir gar nicht in den Kram.

"Ich schaue Nachrichten und da ist Kira das Erste, was einem einfällt, wenn man Herzversagen hört."
 

Herzversagen. Erst jetzt checkte mein Gehirn die restliche Bedeutung dieses Wortes für mich.

Klaus, war an Herzversagen gestorben. Und ebenso wie Lians Zahl, war seine Zahl falsch gewesen.

Das konnte doch kein Zufall sein?!

"Alles okay?", fragte mich der Agent.

"Nein, nichts ist okay! Kira hat Klaus umgebracht! Kira kann Todeszahlen manipulieren!", wollte ich ihn anbrüllen, wollte ihm von meinem Verdacht erzählen, aber dann müsste ich ihm auch von den Todeszahlen erzählen und das konnte ich nicht. Er würde mich sicher nur als geistesgestört abstempeln oder denken, das wäre meine Art, um mit Lians Tod umzugehen.

"Ja schon gut", murmelte ich und blickte ihn kurz an.

War das Kiras Fähigkeit, dieses Todeszahlen manipulieren? Es schien für mich, als wäre alles unmögliche plötzlich möglich geworden. Damit war Kira gefährlich wie ein Gott. Ein Schauer kroch mir den Rücken hoch.

"Das sieht mir aber nicht nach ´Ja schon gut´ aus", riss mich der Agent aus meinen Gedanken.

Mist, er kaufte mir das nicht ab. Vielleicht könnte ich Klaus überprüfen lassen, ohne dass ich mich erklären musste. Ich war doch schlau, so etwas musste ich doch mit links hinbekommen

"Naja", begann ich. "In meiner Klasse ist auch jemand an Herzversagen gestorben, mitten im Unterricht. Das hat mich nur gerade erinnert." Dann blickte ich schüchtern zu Boden.

"Ich weiß nicht, was du genau für ein Spiel mit mir spielst", grummelte der Agent wieder zurück. Er durchschaute mich immer noch. War ich so einfach zu durchschauen?

"Aber ich kann seinen Namen unter Kiras Opfern nachschlagen." Zumindest tat der das was ich wollte.

"Ein guter Agent gibt nie alles einer fremden Person preis", grinste ich ihn an. Das hatte Lian einmal gesagt. Dann nannte ich ihm Klaus Namen, er tippte ihn in sein Handy ein und nickte anschließend.

"Ja, der ist in unserer Liste."

Das bestätigte meinen Verdacht.

Drei (Reise und Tod)

Klaus war tot, Mag war tot, Lian war tot, meine Eltern waren tot. Und für zwei dieser Tode war Kira verantwortlich. Hatte ich noch Angst vor dem Tod? Ich horchte in mich hinein und fand nur noch abgestumpfte Gleichgültigkeit.

Was hielt mich eigentlich noch hier? Das erste Mal, seit ich mich erinnern konnte, war mir noch nichts so klar geworden: Ich wollte Kira finden, teils aus Gerechtigkeit, teils aus Neugier. Ich wollte wissen, wie er tötete. War er wirklich ein Gott, oder einfach nur ein bösartiges Genie?

Ich wollte ein Agent werden, koste es, was es wolle.
 

„Ich hätte noch eine Frage“, begann ich. „Wird das FBI weiter gegen Kira ermitteln oder gibt es jemand anderen, an den ich mich wenden kann?“

Der Agent schaute mich zuerst verwirrt und dann verärgert an.

„Was willst du denn besprechen?“, fragte er mich. Als ich ihm nicht antwortete, gab er etwas nach und antwortete brav auf meine Frage. „Auf jeden Fall kannst du es dann nur bei der japanischen Polizei versuchen, das FBI stellt die Ermittlungen ein. Wir können nicht zulassen, dass wir noch mehr Agenten in den Tod schicken. Es ist ja nicht nur dein Cousin gestorben, nein, Kira hat sie alle auf einmal vernichtet und das trotz strengster Geheimhaltung.“ Mr. Zounboum klang nun etwas verbittert und ärgerlich, fasste sich aber wieder schnell. Das war meine Chance, jetzt wusste ich, wie ich in rumkriegen konnte.

„Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Ich wollte schon länger Agentin werden und möchte trotz Minderjährigkeit ermitteln. Ich kann mich perfekt tarnen, weil niemand so einen jungen Agenten vermutet.“

„Wir arbeiten aber nicht mehr an dem Fall.“ Der Agent blieb hart, aber nicht mehr lange.

„Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Wollen sie den Mörder nicht auch bestrafen. Ich habe meine Eltern, meinen Cousin und meine beste Freundin verloren, habe nichts mehr zu verlieren. Außerdem möchte ich mit L reden.“ Flehend blickte ich ihn an. Anfangs wurde seine Miene etwas weicher, dann wieder mit einem Mal hart. Anscheinend war mein Gerede nicht so gut gewesen, wie ich gehofft hatte.

„Was verheimlichst du mir? Ich habe schon oft genug mit lügenden Kollegen zusammengearbeitet, mit mir kannst du nicht spielen. Sag mir einfach, warum du so um den heißen Brei herumredest.“

War ich so einfach zu durchschauen? Die Wahrheit konnte ich Mr. Zounboum nicht sagen, die musste ich für mich behalten, oder konnte sie höchstens dem verrückten Genie L anvertrauen, wenn sie es jemandem sagen musste. Kurz überlegte ich, dann fasste ich einen Entschluss.

„Es tut mir leid.“ Das war ein guter Anfang. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber es ist sehr wichtig. L könnte ein gewisses Detail übersehen haben, das darf aber auf keinen Fall in Kiras Ohren kommen und irgendwie hat Kira auch von den Agenten Wind bekommen, also habe ich kein besonderes Vertrauen gegenüber allen anderen.“

„Und L vertraust du?“, fragte der Agent mich ironisch.

„Ja.“ Hundertprozentig tat ich das zwar nicht, aber es war besser, das hier nicht zuzugeben. Wenn L und Kira dieselbe Person waren, wie es manche im Internet behaupteten…nein, darüber wollte ich erst gar nicht nachdenken.
 

Mr. Zounboum seufzte, dann zog er das Handy aus der Tasche.

„Ich schaue, was sich machen lässt, aber glaube besser mal nicht, dass du für uns Agentin spielen kannst. Du bist nicht einmal ausgebildet.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Dank der offenen Tür konnte ich aber beim darauffolgenden Telefongespräch zuhören.

„Ich weiß, wie verdächtig sie sich macht, aber wenn sie einen wichtigen Hinweis hat…zumindest die japanische Polizei sollten wir informieren…du denkst, dass Kira zur japanischen Polizei gehört? ...Sollten wir sie vielleicht doch unbemerkt einschleusen…gegen Kira sind alle Mittel recht…ja ich verstehe…gib mir eine halbe Stunde.“ Dann legte er auf, steckte kurz mit den Worten: „Ich rede noch kurz mit den Erwachsenen“, den Kopf bei der Tür herein und verschwand gleich wieder.
 

Die Fahrt dauerte eine Viertelstunde. Anscheinend trafen wir einen von Mr. Zounboums Vorgesetzten.

Wie der Agent meine Tante und meinen Onkel von meiner Agentenidee überzeugt hatte, wusste ich immer noch nicht, aber er musste verdammt gut sein.

Wir schritten auf ein großes kastenförmiges Betongebäude zu, in dem sich anscheinend das FBI befand. Ein schon etwas älterer Herr öffnete uns die Eingangstüre. Jack, er hatte mir gesagt, dass ich ihn so nennen durfte und ich war froh, dass das sein richtiger Name war und ich mich nicht versprechen konnte, führte mich die schwach beleuchteten Gänge entlang, vorbei an Metalltüren und formell angezogenen Männern.

Endlich kamen wir vor einer Tür zum Stehen, wie ein Gentlemen hielt mir Jack die Tür auf und ich betrat den Raum.

Ein ziemlich kleiner Raum. Hinter Stapeln aus Papier und Akten, verbarg sich ein ebenso kleiner Mann, der mich mit strengem Blick musterte.

„Das Fräulein Evelyn also…“, kurz blickte er wieder in Richtung Tisch, ich konnte aber nicht sehen, was er sich anschaute. „Stimmt es, dass sie einen Unfall hatten und sich an die Dinge von dem Unfall nicht erinnern können.“ Er blickte mich wieder prüfend an.

Anscheinend hatte das FBI so seine Quellen, das wussten eigentlich nur Tante, Onkel und Psychologe. Wahrheitsgemäß nickte ich mit dem Kopf.

„Das Genie ist aber anscheinend erhalten geblieben.“ Jetzt lächelte er kurz. Meine Tante hatte mir erzählt, dass ich früher ziemlich viel wusste.

„Mein Gehirn ist immer noch dasselbe. Falls sie wollen, kann ich benötigtes Wissen noch erwerben.“

Darauf lachte der Mann.

Und wie es sich herausstellte, war George, der auch Leiter einer kleinen Abteilung war, ein sehr netter Mann. Und er liebte es ungemein, im Hintergrund zu arbeiten.

„Ich kann euch einen Flug und falsche Identitäten besorgen, in Japan seid ihr aber auf euch angewiesen“, schlug er nach einem längeren Gespräch vor. „Aber keine Agentenpässe, sonst flieg ich raus.“

Damit war es beschlossen.

Noch ein letztes Mal fuhr ich nach Hause, um Koffer zu packen und mich von Tante, Onkel und Cousine zu verabschieden, dann ging es los.
 

Mit einem anderen Auto wurde ich von Jack, der jetzt Cloude hieß und mein Vater war, abgeholt und wir fuhren zum Flughafen. Unterwegs prägte ich mir meinen neuen Namen ein: Julia Emilia Brighten. Schade, dass Emilia mein zweiter Name war, der hätte mir echt gefallen.

Ich war noch nie geflogen, aber Cloude schaffte es, uns wie routinierte Fluggäste aussehen zu lassen. Schließlich war dies offiziell eine Geschäftsreise.

Als ich im Flugzeug saß, schlief ich ein. Schließlich war es gerade Vormittag und ich war die ganze Nacht wachgewesen.

Und ich träumte von Kira, von meiner ersten Begegnung mit dem Killer, immer und immer wieder, wachte aber trotzdem nicht auf.

„Die Welt ist verdorben“, sagte Kira. „Machen wir zwei sie doch wieder besser.“

Vier (Schule und Tod)

Cloude hatte uns eine Wohnung besorgt. Erst als das der alte Toyota, der uns vom Flughafen abgeholt hatte, in einer kleinen Einfahrt stehen blieb, wurde mir das bewusst. Wäre ja blöd, wenn wir keine Wohnung hätten. Obwohl, ein Hotel hätte auch seinen Zweck erfüllt.

Wie schon drei Mal davor war ich stinksauer, weil Cloude sich nicht die Mühe gemacht hatte, mir zu sagen, was er für Pläne vorhatte. Ich wollte endlich zu den Ermittlern.

"Später." Alles war ich von ihm zu hören bekam, wenn ich ich fragte. Und wenn mir das nicht genug war, ging er mich an:

"Halt die Klappe, es geht hier nicht um dich!"

"Klar geht es hier um mich!", wollte ich ihn anbrüllen, aber dazu war ich zu enttäuscht und zu müde.

"Warum fahren wir jetzt nicht zur Polizei, um L zu finden?" Ein viertes Mal wollte ich ihn noch nerven. Ich würde keine Ruhe geben, bis ich meine Antworten bekam.

Cloude knurrte mich nur an. Trotzig stieg ich aus dem Auto aus und knallte die Tür zu.
 

Ich musste zugeben, das Haus sah wirklich einladend aus. Das war gemein. Ich versuchte, den Drang hineinzugehen zu unterdrücken und drehte mich zu Cloude um, der jetzt auch aus dem Toyota ausgestiegen war.

"Sag mir endlich, was wir hier wollen", schnauzte ich ihn an. "Langsam hab ichs echt satt." Nur, weil ich jünger als er war, konnte er nicht mit mir wie mit einem Kleinkind umgehen. Dieses Elternverhalten hasste ich wie die Pest.

"Später!", knurrte er wieder. Er drehte sich um, gab dem Fahrer sein Geld und ging ohne ein weiteres Wort ins Haus hinein. Mit dem war nicht gut Kirschen essen.

"Cloude, jetzt warte doch!" Wie ein kleines Kind lief ich ihm jammernd nach. "Sag mir doch einfach, wozu wir hier sind?"

Kurz blieb er im Vorzimmer stehen, blickte mich genervt an.

"Find dich endlich damit ab, was ich sage. Ich hab meine Befehle und aus." Er packte mich und schob mich in einen der Räume hinein.

"Du wirst für die Zeit, die wir hier sind, auf eine Universität gehen, verstanden." Das war keine Frage. Er knallte die Tür hinter mir zu.
 

Verdammt Universität?! Tränen brannten in den Augen. Was dachte sich Cloude (oder besser Zack) dabei? Das hier war ein Agentenauftrag, ich wollte gegen Kira kämpfen. Aber eine Uni? Ich war zwar eine gute Schülerin, konnte aber nicht einmal gut genug japanisch dafür. Ich würde sowas von auffallen. Wenn das kein blöder Scherz war…

Auf und ab ging ich im Zimmer, überlegte, ob ich nicht doch noch etwas tun konnte, aber es gab nichts. Ich hasste es, mich so untätig hilflos zu fühlen. Enttäuscht ließ ich mich auf das weiche Bett fallen, versuchte zur Ruhe zu kommen, bis ich irgendwann einschlief.
 

Unsanft wurde ich am nächsten Morgen geweckt.

"Es gibt Frühstück", meinte Cloude, dann war er auch schon wieder durch die Tür verschwunden.

Grantig marschierte ich durch den Flur, fand das Esszimmer hinter einer quietschenden weiß lackierten Holztür.

Ein Blick auf das Essen hob meine Stimmung schlagartig. Frisches Brot, Butter, Käse, Marmelade und auch Nutella. Ich liebte Nutella über alles, auch wenn es mega ungesund war. Ohne genauer auf Cloude zu achten, setzte ich mich an den Tisch und fing an mein Brot mit Nutella zu bestreichen. Cloude räusperte sich.

"Julia, ich würde gerne mit dir über unser Vorhaben reden."

Aha. Jetzt machte er den Mund auf und gestern hatte er mich deswegen angebrüllt.

"Ja und weiter?" Gereizt schaute ich ihn an.

"Meine Weisung lautet, uns beide hier undercover einzuschleusen, weil man L nicht mehr trauen kann. Die Informationen, die L bekommt, fallen auch Kira in die Hände."

"Ich dachte, das FBI hat mit L zusammengearbeitet?" Jetzt war ich verwirrt.

"Wir haben die japanische Polizei überwacht. L hat seine eigenen Leute ausspioniert. Manchmal denke ich, dass L Kira ist." Verbitterung war in seiner Stimme zu hören.

"Okay." Mehr fiel mir nicht ein.

"Kira ist höchstwahrscheinlich ein Schüler. Deshalb habe ich dich auf der Touou-Universität angemeldet. Das passt zu deinem Alter. Ich denke, dass du dich dort gut anpassen kannst."

Er hatte es wirklich getan. Wie konnte er nur?! Die Wut von gestern war sofort wieder da.

"Es ist für den Fall", meinte Cloude nun.

"Und wie denkst du, soll ich mich dort anpassen? So gut japanisch kann ich auch wieder nicht", gab ich genervt zurück.

"Ich habe ein Mädchen aus der Universität als Übersetzerin engagiert."

Na toll, Cloude hatte an alles gedacht.
 

Akashia und ich kamen pünktlich bei der Universität an. Das große schmale Mädchen trug eine Brille und hatte schwarze Haare.

"Dolmetscher sind nicht so außergewöhnlich hier", hatte sie mir im Auto beim herfahren versichert, trotzdem fühlte ich mich fehl am Platz. Überall diese hübschen japanischen Schüler, die mich komisch anstarrten, weil ich trotz der schwarzen Haare fremd aussah. Akashia hatte im Auto schon von den Jungs geschwärmt.

Peinlich berührt schleppte ich mich hinter Akashia her, bis wir einen großen Festsaal erreichten.

"Eigentlich gibt es ja einen großen Test, aber da bist du drum herumgekommen", meinte sie und zwinkerte mir Geheimnisvoll zu. Cloude musste sie in die Undercoveraktion eingeweiht haben.

Ich nickte kurz, dann betraten wir den Saal und setzten uns weiter hinten auf freie Plätze, warteten, bis die anderen Schüler nach und nach eintrafen, sich der Saal füllte und die Türen geschlossen wurden.
 

Anfangs hörte ich nicht zu. Vorsichtig drehte ich mich um und betrachtete ein wenig die Namen und Todeszahlen der Schüler hinter mir. Genauso wie die Rede langweilig normal.

Dann bemerkte ich, wie der Mann das Redepult verließ und zwei männlichen Schülern die Bühne übergab. Die beiden hatten laut Getuschel die volle Punktezahl auf den wichtigen Test. Anscheinend waren die Streber hier auch hübsch, auch wenn ich sie nur kurz von der Seite sah, dann verdeckte die Schülerin vor mir das Pult, als sie sich aufrichtete. Trotzdem wusste ich noch wie die beiden aussahen. Der eine hatte braune Haare und ein typisches Streberhemd, der andere hingegen wirkte wie der ultimative Computernerd, aber seine schwarzen wuscheligen Haare fand ich voll niedlich. Ich fand die Jungs auch süß, Akashia müsste auf mich abgefärbt haben.

Weil ich die beiden beim Reden aber nicht sehen konnte, verlor ich schnell das Interesse, spielte mit meinen rot lackierten Fingernägeln und dachte nach.

Erst als Akashia neben mir etwas von "Yagami ist so heiß", flüsterte, blickte ich wieder hoch.

"Yagami?", flüsterte ich zurück.

Sie gab nur ein Nicken in Richtung Bühne von sich.

Jetzt wünschte ich mir, weiter vorne zu sitzen, um die beiden besser betrachten zu können. Ich kniff die Augen zusammen, lehnte mich auf die Seite und versuchte, zumindest ihre Namen und Zahlen lesen zu können. Den PC-Typen las ich zuerst, weil ich von ihm noch gar nichts wusste. Lawliet. Sein Vorname war sehr sympathisch. Todeszahl langweilig normal. Auf jeden Fall war der Typ einfach zu lesen.

Mit dem anderen kam ich nicht ganz so leicht klar. Light Yagami. Erst nach ein paar Mal Hinsehen hatte ich das heraus. Das war also der Typ, den Akashia so hübsch fand.

Das Aber seine Zahl fehlte, egal wie oft ich hin sah. Als wäre er tot. Ich schauderte. Was wäre, wenn er tot war? Vielleicht war er gerade auf der Bühne gestorben.

Light redete weiter. Nein, der lebte noch.

Aber warum hatte er dann keine Zahl? Am liebsten wäre ich schreiend aus dem Saal gerannt, aber das traute ich mich nicht.

"Vergiss einfach seine blöde Zahl", wiederholte ich immer wieder den Satz in Gedanken.
 

Light beendete seine Rede und Lawliet, dem ich den Spitznamen PC-Typ gegeben hatte, holte einen schmuddeligen Zettel aus seiner Hosentasche, auf dem er die Rede geschrieben hatte, die er nun herunterleierte. Mit seinen Gedanken war er ganz woanders, das konnte ich genau erkennen. Dieses Abwesendsein kannte ich nur zu gut. Waren es Gedanken, Langeweile oder einfach keine Lust auf Vortrag halten?

Ich zwang mich, Lawliet zu zuhören und Lights nicht vorhandene Zahl zu ignorieren . Vielleicht sollte ich mich mit ihm anfreunden, falls er es zuließ. Einen Nerd konnte man immer gut gebrauchen.
 

Genauso gelangweilt, wie er seine Rede begonnen hatte, beendete er sie auch. Kurz blieben die beiden noch auf der Bühne, dann wurden sie auf ihre Plätze zurückgeschickt.

Ich blickte wieder zu Akashia und merkte, wie sie mich angrinste.

"Was ist denn?", fragte ich leise, worauf sich ihr Grinsen nur noch verbreitete.

"Welcher von beiden ist es? Sag bloß nicht Yagami, der gehört schon mir."

Abwehrend streckte ich die Hände aus.

"Nein, nein, das hast du ganz falsch verstanden", versuchte ich mich zu verteidigen.

"Ah, dann ist es Hideki, oder? Der ist auch total niedlich", schwärmte Akashia weiter.

Hideki? Hatte der PC-Typ einen anderen Namen angenommen? Ich nahm das einmal an.

"Keiner von beiden. Ich finde es nur komisch, dass er so weite Kleidung anhat", versuchte ich mich herauszureden.

"Jaja." Sie glaubte mir nicht und grinste weiter. Ich verdrehte die Augen. "Der hat das immer an. Und er sitzt auch nie normal auf seinem Sessel, sondern hockt sich darauf hin."

Kurz schaute ich nach vorne, konnte aber nicht erkennen, ob Lawliet auf dem Sessel saß oder hockte.

Komische Angewohnheiten. Ein falscher Name. Das wird ja immer interessanter.
 

Einige gefühlte Stunden ließ ich noch Gelaber über mich ergehen, dann verließen alle den Saal. Akashia und ich folgten den anderen Schülern ins Freie hinaus. Niemand redete mich an und das war auch gut so.

Das Auto wartete schon vor der Uni auf uns. Als wir eingestiegen waren und losfuhren, konnte ich erkennen, wie Lawliet hinter uns in eine schwarze Limousine stieg. Der Typ musste reich sein, auch wenn er sich überhaupt nicht danach kleidete.

Fünf (Verfolgung und Tod)

Verärgert verließ ich das Haus. Seit Montag hatte ich beschlossen, mehr über die beiden Streber herauszufinden, aber das war ohne die Hilfe der Polizei gar nicht so einfach. Und Cloude half mir wieder gar nicht. Mit der Hilfe des FBIs hätte ich schon ihre Akten in der Hand, aber alles was ich jetzt hatte, waren ein paar Internetseiten, auf denen Erfolge von Light Yagami zu sehen waren. Und über den anderen: Nichts. Egal ob unter seinem falschen oder seinem richtigen Namen. War das denn so schwer?

Ich mochte mein Leben auf der Uni zwar, die meisten waren nett und ich kam überall gut mit, aber dazu war ich nicht extra undercover nach Japan gereist. Ich wollte verdammt nochmal Kira finden!

Aber ich konnte nicht einmal zwei Streber finden.
 

Hastig und ohne zu schauen ging ich die Straßen entlang, an zurück zu Cloude gehen war gar nicht zu denken. Den Häusern wichen Wohnungen, bald darauf waren immer mehr Geschäfte zu sehen.

Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust auf Shoppen, aber es wirkte wie eine willkommene Ablenkung, damit ich nicht durchdrehte.

Ich betrat das nächstbeste Kleidungsgeschäft, dachte anfangs, ich wäre falsch hier, weil ich nur Männerkleidung entdecken konnte, las dann aber auf einem Schild, dass die Damenabteilung im ersten Stock war.

Eine schmale Rolltreppe führte mich in eine Welt, in der mein Leben kurz nur aus Kleidern, Röcken, Shirts, Pullis und Jeans bestand. Kleider hatte ich genug von zu Hause mitgenommen, aber ein praktischer und bequemer Pulli fehlte mir.

Langsam schlenderte ich zwischen den Kleidungsständern hin und her, betrachtete viele verschiedene Dinge, aber keines davon gefiel mir wirklich, bis ich vor ein paar Pullis mit Naturmotiven zu stehen kam. Besonders hübsch fand ich den grauen Pullover mit Rosenmuster. Schnell suchte ich meine Größe, 36, und fand sie auf Anhieb, dann ging ich weiter.

Am Ende meiner kleinen Erkundungstour hatte ich nichts außer den Pulli gefunden. Trotzdem ging ich zufrieden zur Kassa ins Erdgeschoß hinunter.
 

Ich erkannte ihn vom weitem. Eine Woche lang hatte ich versucht, ihn zu finden, mich mit ihm zu unterhalten und vielleicht Informationen aus ihm herauszuholen. Aber ich war zu schüchtern dafür, kam mir fast wie eine stille Stalkerin vor.

Hideki Ryuga. So hieß der Typ mit dem falschen Namen offiziell. Ich wusste nicht, warum er seinen wahren Namen verheimlichte. An Lawliet war doch nichts falsch.

Zu spät schaute ich weg, als er sich nach dem Bezahlen zu mir umdrehte, direkt in seine braunen Augen. Kurz schien er mich zu mustern, ließ sich nicht anmerken, was er dachte, wandte sich ab und ging davon.

Lawliet. Was ist nur mit dir?

Lawliet. L wie Lawliet.

Schnell schaute ich, dass ich zahlte und das Geschäft verließ.

Ein Deckname. Wenn das L war…

Ich musste herausfinden, wohin er ging.
 

So unauffällig wie möglich folgte ich dem Jungen, aber glaubte, dass er es trotzdem gemerkt hatte, weil er kreuz und quer durch die Straßen spazierte. Als er einen Anruf bekam, wollte ich schon aufgeben, aber er ging danach ohne eine Aktion oder Umdrehen weiter, bis er vor einem Bahnhofsgebäude angelangt war, in dem er verschwand.

Mist, das Gebäude war riesig. Ich kaufte wahllos eine Fahrkarte. Er durfte mir nicht entwischen, ich wollte endlich wissen, wo er wohnte. Ich ging zum nächstbesten Bahnsteig, weil ich keine Ahnung hatte, für welchen Zug ich mein Ticket gekauft hatte.

Er stand mir gegenüber und starrte gedankenversunken in die Luft. Vielleicht hatte er mich doch nicht bemerkt. Ich blieb stehen und schaute ab und zu zu ihm hinüber. Zumindest würde ich beobachten können, in welchen Zug er stieg.

Kurz sah er mich an und ich tat so, als ob ich ihn nicht bemerken würde. War doch normal, dass ein Mädchen vom Einkaufen mit dem Zug nach Hause fährt. Ich ließ meinen Blick herumschweifen. Dort drüben saß eine Familie, die wegen den gleichen Todeszahlen wahrscheinlich gemeinsam sterben würde. Sonst war nichts Auffälliges zu bemerken.

Und dann betrat ein Mann mit einer kleinen Zahl den Bahnhof. Grinsend torkelte er durch die Menge, während sein Countdown langsam auf die runde Null zu ging.

Scheiße!

Ich hatte genug vom Tod.

Ich wollte nicht schon wieder jemanden sterben sehen. Besonders nicht, wenn derjenige vom Zug überfahren wurde. Da bekam ich Brechreiz.

Warum zog ich sowas magisch an?

Als ich den Zug kommen hörte, rannte mein Körper wie von selbst los, weg vom Bahnsteig, weg vom Bahnhof, immer weiter und weiter, bis ich keuchend in einer kleinen unbelebten Straße stehen blieb.

Zitternd legte ich die Arme um meinen Bauch.
 

"Alles okay mit dir?" Lawliet kam atemlos auf mich zu.

Ich schreckte auf. Warum war er mir gefolgt?

"Ich habe noch niemanden so schnell rennen sehen. Als hättest du seinen Geist schon vor dem Unfall gesehen", redete er weiter.

"Hä?" Mein Hirn glich matschiger aufgewärmter Schokolade. Süß, aber unbrauchbar.

"Warum bist du schon vor den Unfall weggerannt?" Jetzt hatte er sich klar aufgedruckt.

Beobachten, das konnte er. Er musste mich schon bemerkt haben, als ich ihm nachgeschlichen war.

"Nur so eine Vorahnung. In letzter Zeit hab ich das dauernd." Ich hoffte, dass er nicht genauer nachfragte.

"Und worauf beruht deine Vorahnung?" Na toll, Lawliet hatte nachgefragt.

"Schon jemals was von Bauchgefühl gehört?", gab ich zurück.

"Anscheinend magst du meine Frage nicht beantworten." Er lachte.

"Nein nicht wirklich." Ich blieb ernst.

"Mir kannst du alles anvertrauen", versuchte er es nochmal.

"Dazu müsste ich mehr über dich wissen."

"Vielleicht vertraust du mir irgendwann. Ich bin eine Vertrauensperson." Damit ließ er mich stehen und ging wieder in Richtung Bahnhof davon.

So ein arroganter Schnösel.

Ich wollte ihm nachlaufen und ihn zu Rede stellen. Aber was sollte ich ihm sagen?

Was sollte ich jemandem sagen, dem ich überhaupt nicht vertraute?

Und ich hatte überhaupt nichts über ihn herausgefunden.

Oh doch, ich wusste etwas über ihn.

"Vielleicht vertraue ich dir nicht, weil du deinen Namen verheimlichst", schickte ich ihm hinterher.

Er blieb stehen.

"Meinen Namen weißt du doch." Seine Gleichgültigkeit war nur noch eine Maske.

"Vielleicht." Ich lächelte geheimnisvoll, drehte mich um und ging davon.

Vielleicht klappte mein Plan und ich konnte ab morgen ihn leichter ausfragen, weil er sich nicht vor mir versteckte. Er würde sicher wissen wollen, ob ich seinen wirklichen Namen wusste.

Zumindest hoffte ich das.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  KiraNear
2017-06-09T17:46:19+00:00 09.06.2017 19:46
Sie sollte lieber keine Spielchen mit ihm spielen, sonst macht sie sich nur unnötig verdächtig O_o
Antwort von:  Anwysitna
09.06.2017 22:27
Tja...das weiß sie, nur wird sie einfach durch ihn komplett verwirrt, sie ist zwar klug, aber muss aus dem Kerl Infos herausbekommen und ihn irgendwie aus der Reserve locken. Was nicht verdächtig ist, interessiert ihn nicht^^ Nur blöd, dass die Toten um meine Evelyn herum nicht mitspielen xD
Von:  Hiyoruko
2017-04-14T23:38:48+00:00 15.04.2017 01:38
Schreib bitte schnell weiter ich kannst kaum erwarten weiter zu lesen
Antwort von:  Anwysitna
15.04.2017 22:25
Danke^^ Grundsätzlich ist die FF derzeit zwar pausiert, aber ich schau, dass ich bald weiterschreiben kann:)
Von:  KiraNear
2016-10-01T04:15:36+00:00 01.10.2016 06:15
Ja, das mit den fehlenden Zahlen - bin mal gespannt, wie und wann sie herausfinden wird, was es damit auf sich hat. Und ob das mit der Uni wirklich so ein guter Plan war ... naja, mal sehen. Schlecht ist der Plan jedenfalls nicht. Freue mich schon auf die nächsten Kapitel, das hier hat mir wieder sehr gut gefallen^^
Antwort von:  Anwysitna
01.10.2016 19:13
Dankeschön das freut mich sehr...hoffe, dass ich bald dazukommen, das nächste Kapitel hochzuladen. Schließlich ist dieses schon etwas länger oben.
Von:  KiraNear
2016-08-21T21:56:15+00:00 21.08.2016 23:56
Schade, dass diese FF noch keine Kommentare bekommen hat - ich kenne zwar Numbers nur vom Namen her, aber ich wurde trotzdem neurgierig auf diese FF und wurde nicht enttäuscht. Sie ist wirklich interessant geschrieben, auch oder vor allem weil sich die Hauptcharakterin an so gut wie gar nichts mehr erinnern kann. Ich frage mich echt, woher sie die Augen des Shinigami hat ...
Ob er sie dank Kira hat? Über Ryuk? Wow, da gibt es so viele Möglichkeiten ...
 
Auf jeden Fall hast du einen Leser mehr, denn die FF gefällt mir bisher sehr gut und ich würde sie nur zu gerne weiterlesen. Ich kenne das, bin jetzt auch nicht gerade so ultra-zuverlässig, was das Hochladen von FF-Kapitel angeht, aber ich freue mich trotzdem auf die nächsten Kapitel hier. Mach es einfach, wann du willst und lass dich nicht stressen^^
 
 
Btw, mir ist nur ein kleiner Fehler aufgefallen: Zack und ich haben gemeinsam an mehreren Fällen gearbeitet. 
Müsste es hier nicht "Lian und ich ..." heißen, da Zack ja die Ich-Person ist, die das erzählt?
Antwort von:  Anwysitna
22.08.2016 07:43
Danke für deinen lieben Kommi, freut mich, dass dir die Geschichte gefällt.
Das nächste Kapitel ist schon fast fertig^^


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