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Wahre Liebe

von

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Kapitel 8

Kapitel 8
 

Das Automobil von Dr. Stuart stand direkt vor der Einfahrt des Krankenhauses. Gilbert half Anne beim einsteigen und verstaute noch ihren Koffer.
 

"Auf Wiedersehen, Miss Shirley." Dorothy winkte ihnen nach, als der Wagen hinunter zur Straße fuhr.
 

Man hatte Anne ihren Gips abgenommen, aber sie musste immer noch einen Verband tragen und als zusätzlich Hilfe eine der Krücken benutzten. Die ganze Landschaft war in Schnee eingehüllt und die Sonne lachte vom Himmel. Anne genoss die Fahrt unheimlich, endlich einmal wieder etwas anderes zu sehen, als dieses Krankenhaus.
 

Innerhalb von einer Stunde hatten sie Hopetown erreicht und Anne bedauerte es fast, dass die Fahrt nun bald zu Ende sein sollte.
 

"Dürfte ich sie noch um einen Gefallen bitten, Dr. Blythe? Meinen sie wir könnten kurz beim Waisenhaus anhalten? Ich würde gerne rasch die Kinder begrüßen. Sie brauchen auch nicht zu warten. Vom Waisenhaus aus ist es nicht mehr weit, bis zu meiner Pension."
 

"Ich würde mir mal sehr gerne dieses Waisenhaus ansehen." Er lächelte und Anne strahlte.
 

Gilbert stoppte den Wagen vor einem tristen, grauen Steingebäude. Es wirkte nicht gerade sehr einladend und Gilbert fragte sich, wie es wohl sein musste, als Kind hinter diesen grauen Betonmauern aufzuwachsen. Es war gegen Mittag und einige Kinder spielten in dem einfach Hof. Gilbert half Anne aus dem Wagen und sie gingen gemeinsam auf das Tor zu. Ein kleines, blondes Mädchen rannte dem Ball hinterher, der ihr in Richtung Tor entwischt war und entdeckte sie als erstes.
 

"Miss Shirley", rief sie und ein Strahlen huschte über das Kindergesicht.
 

Plötzlich kamen auch die restlichen Kinder angerannt und reihten sich um ihrer Lehrerin. "Oh, Miss Shirley, wie schön das sie wieder das sind." "Sie haben uns ja so gefehlt." "Miss Brook hat verboten hinten im Garten zu spielen." "Ich hab ganz fleißig lesen geübt." Alle Kinder plapperten aufgeregt wild durcheinander. Jeder wollte etwas erzählen.
 

Gilbert beobachtete lächelnd die Szene. Anne war in die Hocke gegangen und versuchte jedem von ihnen zuzuhören. Ein braunhaariges kleines Mädchen, das nicht älter als vier Jahre sein konnte. Hielt sich einfach nur stumm an ihrem Mantel fest.
 

"Beruhigt euch alle erst mal", versuchte Anne endlich ein wenig Ruhe einzubringen. "Ihr habt mir auch alle schrecklich gefehlt. Und ich sehe schon, ihr habt mir eine Menge zu erzählen. Aber eines nach dem anderen. Am Montag komme ich wieder zum unterrichten und dann will ich aber alles ganz genau hören. Das ist übrigens Dr. Blythe, er fährt mich nach Hause." Erklärte Anne und wand sich jetzt Gilbert zu. "Vielleicht solltet ihr ihn mal anständig begrüßen. Er muss ja denken, dass ihr alle eine furchtbare Rasselbande seid."
 

Die Kinder kicherten und begrüßten ihn dann vorbildlich.
 

"Freut mich, euch alle kennen zu lernen." Sagte Gilbert, als sie ihm alle die Hand geschüttelt hatten. Nur das kleine braunhaarige Mädchen sagte keinen Ton.
 

"Oh", Anne wand sich dem Mädchen zu. "Das hier ist Sarah. Sie ist seit einem halben Jahr bei uns, aber sie spricht nicht."
 

"Hallo Sarah", Gilbert lächelte sie freundlich an. Doch das Mädchen versteckte sich hinter Anne.
 

"Was ist denn hier los? Was soll der ganze Lärm, " eine hagere Frau mit einer Brille und einem strengen Blick kam jetzt über den Hof gelaufen.
 

"Hallo Miss Brook, " Anne richtete sich auf und strich ihren Mantel glatt.
 

"Ah, Miss Shirley. Ich hätte es mir doch denken können." Sagte sie mit eisiger Stimme.
 

"Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Am Montag komme ich wieder zum Unterricht. Dr. Blythe hier war so freundlich und fährt mich nach Hause." Erklärte Anne.
 

Miss Brook nickte Gilbert nur rasch zu bevor sie sich wieder an Anne wand. "Sie mussten unbedingt herkommen, nicht wahr und sie alle wieder durcheinander bringen. Ich werde den Rest des Tages damit beschäftigt sein, wieder Ruhe unter die Kinder zu bringen. Jetzt werden sie mir bis Montag keine Ruhe lassen." Vorwurfsvoll sah sie Anne an.
 

"Es tut mir leid, Miss Brook. Es war nicht meine Absicht, ihnen Schwierigkeiten zu machen. Ich wollte nur Hallo sagen." Entschuldigte Anne sich.
 

Miss Brook zog lediglich eine Augenbraue hoch. "Los marsch", wand sie sich dann schroff an die Kinder. "Es ist Zeit für das Mittagessen." Still machten sich die Kinder auf den Weg zum Haus. Aber sie winkten Anne noch zu, was Miss Brook nicht sah, denn sie hatte ihnen den Rücken zugewandt. Auch Sarah ließ Annes Mantel los, nachdem Anne sie aufmunternd angesehen hatte.
 

"Dann bis Montag, Miss Shirley." Mit diesen Worten rauschte Miss Brook davon.
 

"Ist sie immer so unfreundlich?" Fragte Gilbert, nachdem sie wieder im Wagen saßen.
 

"Miss Brook ist gar nicht so schlimm. Unter der rauen Schale verbirgt sich ein weicher Kern. Es braucht nur einige Zeit, bis man ihn findet." Erwiderte Anne lächelnd.
 

"Wie lange haben sie in diesem Waisenhaus gelebt?" Fragte er plötzlich.
 

"Ich war immer mal wieder für eine Weile hier. Bevor ich fast zu den Cuthberts gekommen bin, habe ich ein halbes Jahr hier verbracht. Danach habe ich dann ein Jahr lang bei den Blewetts gelebt. Ich war sogar froh, nach den Blewetts wieder ins Waisenhaus zu kommen. Ich hielt nichts für schlimmer, als das Waisenhaus. Aber Mrs. Blewett war tausendmal schlimmer und irgendwie war ich froh, dass sie mich nach einem Jahr satt hatte. Sie sagte, ich würde ihr zu viel Zeit verträumen. Inzwischen war ich vierzehn und es gab sowieso keine Chance mehr für mich, irgendwo unterzukommen. Also lebte ich hier, bis ich siebzehn war, dann ging ich aufs College und hab mein Lehrexamen gemacht. Ich hatte das Glück ein Stipendium zu bekommen. Seit dem unterrichte ich am Waisenhaus."
 

Gilbert wurde nachdenklich. Was für eine furchtbare Kindheit sie doch gehabt haben musste. Er konnte nicht verstehen, dass niemand dieses liebenswürdige Wesen hatte haben wollen.



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