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13.<br>
Während die Halbbrüder schweigend nebeneinander den Weg durch die Berge von Akita zurück zu der Klamm suchten – in der Gewissheit, dass die Felsamöbe sich diesmal jeden Versuch sparen würde - , reihten sich die drei Menschen in der in den vergangenen Tagen gewohnten Abfolge hinter ihnen ein. Miroku, der erneut den Schluss machte, nahm jedoch mit gewisser Dankbarkeit zur Kenntnis dass sich das Tempo verlangsamt hatte. Vermutlich, oder, bestimmt um der sichtlich müden Mädchen willen, aber da er auch was davon hatte, wäre es nur töricht gewesen sich damit aufzuhalten oder gar anzudeuten, dass er einen Halt und eine Mütze Schlaf mehr als willkommen heißen würde.
Dennoch war er ebenso wie die Mädchen mehr als erleichtert, als sie endlich an einem kleinen, aber wilden Fluss ankamen und, da Sesshoumaru sich fast nachlässig auf einen Stein setzte und Inu Yasha auf einen anderen hopste, es hier wohl Pause gab. Zwar noch immer nichts zu essen, aber zu trinken und bewachter Schlaf – nach den letzten Tagen wirklich mehr als zufriedenstellend.
Rin kam zu Kagome und legte sich wieder in deren Arm, um sich noch einmal die Geschichte von der wunderschönen Mondprinzessin Kaguya anzuhören, als der Hanyou zu ihnen blickte:
„Das geht morgen da unten durch eine sehr enge Schlucht, aber dann sind wir gleich da.“ Er bedachte nicht, dass er und sein Halbbruder auf der Herweg in ihrem Tempo gelaufen waren – für, zumal müde, Menschen unmöglich.
Sesshoumaru dachte daran, vor allem, als er leises Magenknurren bei Rin vernahm. Tja, da half wohl nichts, nach der Schlucht musste erneut eine Pause eingelegt werden, damit sie und die anderen Beiden sich etwas suchen konnten. Immerhin gab es da unten Sträucher. Langweilig und langwierig. Noch im Tod stahl dieser Shimoshin ihm seine Zeit. Außer....Er wandte den Kopf. Ja, warum eigentlich nicht.
„Ist was?“ erkundigte sich Inu Yasha prompt, zur Vorsorge nach seinem Schwertgriff tastend.
Nein, das würde er jetzt nicht sagen. Aber morgen konnte der Hanyou doch eigentlich vorausgehen und bei Moe Quartier machen, dafür sorgen, dass die Seehexe etwas zu essen herausrückte. Erstens musste er selbst dann nicht reden, zweitens hatte Inu Yasha doch manchmal gegenüber anderen recht überzeugende Argumente und drittens war er selbst ein wohl besserer Hüter für Rin als dieser.
Als die Wandergruppe langsam, aber ohne jede Störung, die Schlucht durchquert hatte, legte Sesshoumaru daher seine Ansicht dar: „Inu Yasha, geh zu Moe und sorge dafür, dass sie etwas zu essen besorgt.“
„Keh!“ Instinktiv wollte der Hanyou sich empören, dachte dann etwas zerknirscht daran, dass er von jedem der drei Menschen allein seit dem sommerlich frühen Morgengrauen schon öfter Magenknurren gehört hatte. Da war was dringend nötig, ja, es sei denn er wollte hier jagen, oder sonst was. Überdies hätte er selbst auch gern etwas zwischen die Zähne bekommen. Schön, aber wieso ging der Idiot nicht selbst? War sich der feine Herr Dämon zu fein dafür? Er öffnete den Mund.
„Angst vor der Hexe?“ erkundigte sich der Hundeyoukai prompt.
Das entschied die Sache: „Blödsinn! Die knack ich mit links. Kommt schön langsam nach, ja?“ Er sprang davon, der eigenen – nun ja, ihrer gemeinsamen - Fährte des Herwegs folgend.
„Sei vorsichtig!“ konnte ihm Kagome gerade noch nachrufen, dann blickte sie zu Sesshoumaru: „Wie weit ist es denn noch zu dieser Moe?“
Woher sollte er denn wissen, wie langsam oder ausdauernd diese Sterblichen waren? Und was glaubte diese Miko, warum er Rin meist auf Ah-Un reiten ließ? Der gehörte immerhin ihm, er hatte ihn domestiziert und das Zaumzeug und Sattel gegen einen lästigen Gefallen einer Schneefrau abgekauft, die das sogar überlebt hatte. So wandte er sich nur ab und ging, wobei er erfolgreich so tat, als ob er den etwas zu scharfen Atemzug des Mädchens nicht hörte Das war nicht der Mühe wert – und wenn Inu Yasha zurückkehrte, seinen Auftrag aller Wahrscheinlichkeit nach ausgeführt hatte, und dafür seine Freundin in Streifen vorfand, würde es nur das nächste Duell zwischen ihnen geben. Sinnlose Zeitverschwendung.
Irgendwann am Vormittag hielt Sesshoumaru an. Notgedrungen, denn Rin bat ihn darum sich etwas zu essen suchen zu dürfen. Er blieb stehen und wartete mit ihn selbst erstaunender Geduld bis diese Menschen sich einige Beeren zusammengesucht hatten, die um diese Jahreszeit am Waldrand reichlich vorkamen. Sie vertilgten wirklich unglaubliche Mengen davon. Schön. Wo blieb eigentlich der Hanyou? War der doch bei Moe auf Probleme getroffen? Man sollte kaum annehmen, dass diese Seehexe ihr letztes Zusammentreffen bereits vergessen hatte.
Keine zehn Minuten später bekam er die Witterung seines unnützen Halbbruders in die Nase. Nun ja, momentan, wie auch in den letzten Tagen war der ganz brauchbar, aber das musste er ihm ja nicht sagen. Zu seiner gewissen Überraschung entdeckte er ihn über den nächsten Hügel sprintend – mit einem Sack über der Schulter.
„Hallo,“ rief Inu Yasha schon aus Distanz: „Guckt mal, was es gab!“
Aha, schloss Sesshoumaru: Moe hatte also lieber Vorräte herausgerückt als es mit ihm...mit ihnen beiden aufzunehmen. Doch nicht vergesslich.
Der Hanyou ließ den Sack ab: „Hier, esst nur. Brot, und das da ist getrocknetes Obst und das da soll eine Art Käse sein, was immer das auch ist, das hier ist jedenfalls getrocknetes Fleisch und geräucherte Forelle, die habe ich schon probiert, schmeckt.“
„Wie voll war der Sack denn vorher?“ erkundigte sich Miroku prompt, dem vor Hunger und der wahren Menge an Essen fast schwindelig wurde.
„Nein, das für mich gab es extra. Das hier ist für Menschen, wurde mir gesagt.“
Kagome wäre um ein Haar etwas von verfressenem Hanyou entkommen, aber ließ sich lieber neben dem Sack zu Boden sinken. Essen! Und sie konnte es ihm kaum verübeln, dass er auch Hunger gehabt hatte – und er hatte sie auch noch gesucht und kämpfen müssen. Sie griff zu: „Was magst du, Rin-chan?“
„Brot, danke.“ Die Augen der Kleinen leuchteten. So viel Essen auf einmal....Wenn sie das je gesehen hatte, dann nur bei einem Fest in dem Dorf, in dem sie früher gelebt hatte.
„Gab dir das alles Moe?“ erkundigte sich Sesshoumaru dann doch. Hatte es keine Fallen mehr gegeben?
„Nein, die alte Hexe war nicht da, also, auch kein Bannkreis und ich erwischte dann einen Typen.“ Inu Yasha sah zu ihm: „Traust du mir gar nichts zu?“
Alles, dachte der große Bruder, genau das war manchmal ja eine Herausforderung, wenn er sich so an die Kater und das Wasser erinnerte: „Du warst auch im richtigen Schloss?“
„Ja, klar, der kannte mich sogar. Ich musste ihn nur erwischen und dann nach was zu essen fragen. Moe ist wohl momentan auf einem Nachbarschaftsbesuch bei Kaeru. Aber der Diener oder was auch immer, kniehoch mit Schuppen, meinte, dass ich sicher alles nehmen könne, was ich wolle..“
„Hast du ihn etwa geschlagen?“ erkundigte sich Kagome, doch dass sie kaute verhinderte den scharf gemeinten Unterton.
Er sah zu ihr: „Keh! Nein, ich habe ihn nicht geschlagen, nicht gekratzt, ihn nicht umgebracht. Hör schon auf! Du hast was zu essen!“ Na schön, er hatte ein wenig mit Tessaiga gewedelt, aber der Kerl hatte dauernd abhauen wollen. „Und er zeigte mir ja die Speisekammer. Die war echt voll!“
Diese Vergangenheitsform benutzte auch Moe, als sie ihren nunmehr fast leeren Wintervorratsraum betrachtete: „Du hast es ihm einfach so gegeben.“ Nun ja, ihr waren die tiefen Scharten in ihrer Wiese vor dem Schloss nicht entgangen. Er war ein loyaler Diener, dieser kleine Echsendämon, aber nicht unbedingt kampferprobt. Oder lebensmüde.
„Nicht einfach so, aber er wurde..nachdrücklich, Herrin. Und Ihr habt ja auch mit ihm und dem Anderen geredet. Er meinte, er brauche es für drei Menschen.“
Hm. Die Entenyoukai zwang sich zum ruhigen Nachdenken. Diese Hundejungen hatten Shimo und Shin samt den Nebelkriegern gesucht, weil die ihre Leute entführt hatten, drei an der Zahl. Daraus folgte die logische Konsequenz, dass es den Halbbrüdern anscheinend gelungen war die Gefangenen zu befreien.
Folgerung: Shimo und Shin waren tot, die Nebelkrieger keine Gefahr mehr, denn die hatten ihre Beute sicher nicht ohne Gegenwehr herausgegeben.
Das endgültige Ergebnis ihrer Überlegungen war, dass sowohl Kaeru als auch sie auf die richtige Seite gesetzt hatten. Hm. Es war wohl doch nicht so schlecht gewesen, diesem Kappakönig den Fluss wieder zu laufen zu lassen, nachdem er ihr geschworen hatte, er hätte diese unbeliebten Gäste nur loswerden wollen und angenommen, sie käme mit ihren Bannkreisen besser gegen die Hundebrüder an als er als armer Frosch. Überdies hatte er ihr bestätigt, dass es sich wohl um die beiden Söhne des verstorbenen Inu no Taishou handeln würde – und ihr angeboten sich bei der Fürstin über das Verhalten der Jungs zu beschweren, in einem wild-verzweifelten Heldenmut, der sehr ungleich Gedenksteine und Sieger hervorbringt.
Moe stellte ernsthaft in Frage, dass die Hundedame einen Kappa auch nur sehen, geschweige denn anhören würde - ohne ihn umzubringen. Überdies: das war die Gefährtin des verstorbenen Inu no Taishou gewesen, also durchaus im Sinne des Verursacherprinzips schuld am Benehmen der Sprösslinge. Sie würde folglich kaum etwas sagen. Abgesehen davon hatte der liebe Kaeru wohl noch einen Punkt übersehen: mit dem Ableben des Vaters wurde immer der älteste Sohn der Erbe, ergo ranghöher als seine Mutter. Schon dieser kleine Fakt dürfte großartige Tadel oder gar Strafen ausschließen.
Nein, man sollte als arme Hexe lieber den Mund halten und hoffen, dass dieser Besuch beim nächsten Mal...
Moment, Moment! Oh, nein. Das galt es um jeden Preis zu verhindern. Sie musste irgendwie ihre Bannkreise verändern, verbessern, verstärken. Sollten sich die Kappa doch mit den zwei Chaoten herumschlagen oder ein verrückt gewordener Affe oder sonst wer. Alle, aber nicht sie.
Und wer, bitte schön, sollte jetzt ihre bislang angesammelten Wintervorräte auffüllen, neues Obst suchen und trocknen, die Fische und alles? Sie hatte doch immer so viele Überwinterungsgäste vom Festland an ihrem nie völlig zufrierenden See.. Ihr Blick senkte sich zu dem kleinen Echsenmann, dessen Kehle plötzlich auf- und abtanzte.
Nach der langen Pause, für die Menschen mit Mittagsschlaf, während der Wanderung über die sonnenbeschienenen, grasigen Hänge, dachte Sesshoumaru nach. Er hatte gestern die gewisse Erkenntnis gehabt, dass Inu Yasha nicht Jaken war. Nun, das war nicht neu, er hatte den Hanyou bislang allerdings stets deutlich unter seinem immer bemühten, wenngleich manchmal unfähigen, Kappabegleiter eingestuft. So eher gleich unter Küchenschaben. In den letzten Tagen der mehr oder weniger aufgenötigten Zusammenreise hatte er jedoch den Eindruck gewonnen dass der Junge zwar vorlaut war und unerfahren, aber sich weder vor Problemen drückte noch vor Kämpfen – und stets seine Aufgaben übernahm und löste. Mangelnde Taktik- und Strategiekenntnisse waren offenkundig ausschließlich Myouga anzulasten.
In der Tat, das war nicht Jaken.
Vielleicht sollte er, wenn sie zurück waren und die Jagd nach diesem Naraku weiterging, einmal darüber nachdenken, ob er nicht falsch gelegen hatte, ja, Inu Yasha einem Test unterziehen. Bestand der, bewies er damit, dass er der wahre Erbe Tessaigas war – und das musste und würde er selbst dann akzeptieren. Bestand der nicht, war er eben tot.
Seltsamerweise hatte der Hundeyoukai allerdings eine gewisse Sicherheit, dass sein Halbbruder das beweisen würde. Zum ersten Mal seit Vater...Nein. Daran wollte er nicht denken. Immerhin war Inu Yasha, trotz allem, was es da buchstäblich an Schwertern zwischen ihnen je gegeben hatte, der Einzige, der ihm ein ebenbürtiger Gegner war, der Einzige, der ihn je schwer verletzen konnte, der Einzige, den er in einem Kampf an seiner Seite auch nur dulden wollte, der Einzige, der Vaters Blut noch in sich hatte – sein einziger Bruder.
Aber, das würde er nie aussprechen, da war er sicher.
Inu Yasha warf einen raschen Blick seitwärts, achtete aber lieber wieder auf den Weg. Das fehlte noch, dass Sesshoumaru jetzt behauptete er würde ihn anstarren. Das gäbe nur das nächste Duell – und das wäre irgendwie schade. Nii-san...Er musste innerlich grinsen. Der mochte diese Anrede ganz und gar nicht, aber er war eben der ältere Bruder, dagegen konnte er ja kaum was machen. Na, schön, es hörte sich auch irgendwie nett an, warm – mein älterer Bruder. Er sollte das allerdings lieber nicht vor Zuhörern aussprechen, außer, falls er aus irgendeinem völlig unabsehbaren Grund lebensüberdrüssig geworden war – oder die Anderen sterben würden.
Wie das wohl später wäre? Er hoffte ja immer noch auf ein friedliches Leben im Dorf, mit Kagome, Miroku, Sango und all den anderen Menschen. Aber manchmal, ganz selten, hatte er sich gefragt, was danach käme. Sie waren eben alle Menschen und er ein Hanyou. Und sie würden ihn verlassen, wie es Mutter getan hatte. Das war so, ja.
Aber zum ersten Mal dämmerte in ihm eine Erkenntnis der ganz anderen Art. Es würden, wenn endlich dieser Pavian beseitigt war, ruhige, friedliche Jahre vor ihm liegen, die er bewahren und nutzen sollte, wirklich bewusst erleben.
Danach..
Ja, danach hatte er eigentlich bis eben geglaubt wieder allein zu sein, schrecklicher als zuvor, weil er nun wissen würde, wie es anders wäre. Aber es gab da ein anderes Ziel, das er nie zuvor so erkannt hatte. Er hatte noch Verwandte, er hatte einen Bruder. Und, das nahm er sich in diesem Moment fest vor, was auch immer in fünfzig Jahren, einem Jahrhundert war, Sesshoumaru würde nie wieder allein sein. Er würde sich immer in seiner Nähe herumtreiben – entweder brachte der ihn um, was dem erfahrungsgemäß recht schwerfallen sollte, oder aber der gewöhnte sich so wie die letzten Tage an ihn.
Und dann, ja, dann hätte er vielleicht irgendwann in vielen Jahren, doch einmal wirklich einen nii-san...