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Devil's Sanctuary

A Yuka x Luzifer Story
von

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Wiedersehen

Seit jenem Tag konnte sich Kestrel an keine einzige Nacht mehr erinnern, in der sie gut geschlafen hätte.

Nacht für Nacht träumte sie denselben merkwürdigen Traum.

Ihre Sicht war verschwommen, einzig ein schwarzer großer Schatten mit mächtigen Schwingen zeichnete sich einigermaßen klar von der zerstörten Umgebung ab.

Sie umfasste den Griff ihres Schwertes fester und stürmte los in Richtung eben jener Gestalt. Dann ging alles viel zu schnell:

Mit immensem Druck wurde ihr die Waffe entrissen und im nächsten Moment verspürte sie nur noch Schmerz.

Keuchend lehnte sie die verschwitzte Stirn gegen die Schulter des Schwarzgeflügelten.

Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, doch sie konnte die Worte nicht verstehen. Dennoch öffnete sie ihre Lippen zu einer Antwort, die ihm eine verächtliche Erwiderung erlaubte.

Ein angedeutetes Lächeln schlich sich in ihre Mundwinkel, doch bereits im nächsten Moment wurde sie von etwas gänzlich anderem abgelenkt als von dem kurzen und unverständlichen Wortwechsel: Der Griff um ihre Hüfte, der sie bis gerade eben noch gehalten hatte, lockerte sich und sie fiel.

Die in Richtung des Mannes ausgestreckte Hand fasste ins Leere.

Sie konnte Schreie hören während sie sich zunehmend dem harten Untergrund näherte.

Und jedes Mal wachte sie nur knapp vor dem Aufprall auf, schweißgebadet und zitternd.
 

Etwa vier Wochen war die unheilvolle Begegnung in der Bibliothek her und Kestrel hatte sie eigentlich bereits schon wieder vergessen.

Schließlich war sie eigentlich eine Frohnatur, die sich nicht gerne an solche Momente erinnerte, und so hatte Kestrel bis heute nicht festgestellt, dass es einen Zusammenhang geben könnte.

Anfangs hatte sie es nur für einen Zufall gehalten, erst nach etwa einer Woche war sie skeptisch geworden weil sich diese Szenerie im Traum stetig wiederholte. Und kaum war diese Erkenntnis gewonnen fiel es ihr unsagbar schwer, sich überhaupt noch an eine ruhige Nacht zu erinnern.

Wie war es damals gewesen als sie die Nächte traumlos bis zum Morgen verbrachte? Oder kichernd einschlief und sich die größten Abenteuer ausmalte? Nie im Leben hatte sie vorher solche Angst gehabt wie in diesen Träumen. Beim Erwachen dauerte es länger, sich zu beruhigen. Erklären konnte sie sich all das auch nicht. Warum träumte sie so etwas? Und um wen ging es da? Sie wusste es nicht.

Was sie aber stattdessen wusste, war, dass mit dem gestrigen Tag die Sommerferien geendet hatten und sie somit heute zum ersten Mal ihre neue Schule besuchen würde.

Das würde sie bestimmt von diesen Träumen ablenken und außerdem war sie schon sehr gespannt, was sie wohl erleben mochte.

Hoffentlich traf sie dort nette Klassenkameraden, mit denen sie sich anfreunden konnte. Mit viel Glück galt das auch für die Lehrer. Ob sie sich wohl zurechtfinden würde? Anfangs vielleicht noch nicht, aber irgendwann bestimmt.

Hach, das würde sicher toll werden! Auf jeden Fall war die Schule recht nah und so konnte sie diese zu Fuß in etwa fünfzehn Minuten erreichen. Fünfzehn Minuten, in denen sie wach werden und sich in ihrer Gedankenwelt verlieren konnte.
 

Da war auch schon das Schultor.

So kurz vor Unterrichtsbeginn tummelten sich noch einige Schüler auf dem Schulhof der Phoenix High. Mehrere steinerne Wege führten zu dem Brunnen im Zentrum des Geländes, einige Straßenlaternen erhellten des Nachts die Strecken. In vielen kleinen Grüppchen hatten sich die Schüler und Schülerinnen zusammen getan, standen lachend beieinander, saßen nahe des Brunnens auf den Bänken oder eilten in Richtung des doch recht imposant wirkenden Lehrgebäudes, dessen verschiedenen Trakte miteinander verbunden waren.

Kestrel war jedoch die Einzige, die aus dem Staunen nicht mehr heraus kam und deswegen stehen geblieben war. Mitten im Tor, allen anderen ein Hindernis, dem sie teils leise grummelnd ausweichen mussten um einen Zusammenstoß mit dem blonden Tollpatsch zu vermeiden.

„Wow!“, flüsterte das Mädchen, nichts anderes von ihrer Umgebung mitbekommend. Sie hatte vorab Bilder von der Schule gesehen, aber dass die so groß war und so viel besser aussah als auf den Fotos hätte sie nicht erwartet. Der Anblick weckte zwar Bedenken, dass sie sich hier jemals zurechtfinden würde, aber gleichzeitig auch den Drang, alle Geheimnisse zu entdecken. Bestimmt gab es hier den ein oder anderen durchaus interessanten Raum. Und vor allem viele Gleichaltrige, mit denen sie sich anfreunden und über alles Mögliche quatschen könnte. Sie war zuversichtlich, dass sie sich in dieser Schule wohlfühlen würde.

Mit neuer Entschlossenheit folgte sie also einem etwas größeren Strom, der durch lautes Glockengeläut an den bevorstehenden Schultag erinnernd die Schüler in das Gebäude lockte. Eine zwar kleine, aber dafür breite Treppe führte in Richtung zweier Flügeltüren – wohl der Eingang des Gebäudekomplexes. Der Strom floss an einem jungen Mädchen vorbei, das wie eine Porzellanpuppe jenen Durchlass zierte.

Blaue Augen blinzelten klar unter einem schwarzen gleichmäßig geschnittenen Pony hervor und mit einem Lächeln wurden alle vorbei kommenden und höflich nickenden Schüler begrüßt.

Was für ein hübsches Mädchen, fand Kestrel. Bis sich die Fremde in ihren Weg schob und sie von dem Strom, dem sie folgte, trennte.

„Eto, Yuka?“, fragte die glockenhelle Stimme höflich.

„Hä?“

Woher wusste sie denn ihren Namen?

„Äh… ja?“, entgegnete Kestrel nach kurzem Zögern, als sie die Verwirrung überwunden und sich einigermaßen wieder gefasst hatte.

„Mein Name ist Kiryu, Azusa.“, stellte sich die Schwarzhaarige ihrerseits vor und machte dann den Weg durch einen Schritt zur Seite wieder frei. Eine Hand hebend wies sie Kestrel an, einzutreten. „Folge mir bitte. Ich zeige dir das Schulgebäude.“

Ach, hatte sie auf sie gewartet? Und sie würde ihr alles zeigen? Das war nett!

Kestrel, die gerade doch kurzzeitig Angst gehabt hatte, sie hätte unbewusst irgendetwas angestellt und sollte nun zur Rechenschaft gezogen werden, entspannte sich merklich und atmete erleichtert auf.

„Cool, danke!“
 

Der Rundgang dauerte eine Weile, aber in Azusa hatte sie scheinbar eine sehr kompetent wirkende und geduldige Führerin gewonnen. Die Wege waren linear, nicht zu verworren, so dass man sie sich leicht merken konnte, und sie erklärte die einzelnen wichtigen Räume in ihrer Bedeutung und Funktion. Kestrel musste also nichts weiter tun als alles auf sich wirken zu lassen und vielleicht dann und wann mal eine kurze Frage zu stellen, die prompt und mit gewählten Worten beantwortet wurde. Puh!

„Mann, du bist mir echt eine große Hilfe! Ich dachte schon, ich muss mich hier alleine zurechtfinden. Hätte nich’ mal gewusst, wo mein Klassenzimmer ist…!“

Sogar beim Sekretariat waren sie vorbei gekommen und nach einer kurzen Vorstellung hatte Kestrel auch dort noch einige Informationen erhalten.

Und vor jenem Klassenzimmer, in dem sie fortan lernen sollte, standen die beiden Mädchen nun. Kestrel nutzte die Gelegenheit, um sich bei Azusa für die Führung zu bedanken.

„Vielen lieben Dank, Kiryu-san!“, platzte es sofort aus ihr heraus, denn später würde sie wahrscheinlich keine Zeit mehr dafür haben. Dachte sie noch als sie hinzufügte: „Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder?“

„Ganz sicher. Du kommst in meine Klasse.“, erwiderte die Angesprochene lächelnd, wirkte aber bei ihren weiteren Worten gar ein wenig schüchtern: „Oh, und … Azusa reicht völlig.“

„Echt? Dann nenn’ mich doch bitte Yuka. Oder Kes-…“

Weiter kam sie nicht, denn der Klassenlehrer hatte wohl etwas von ihrer Ankunft mitbekommen und öffnete gerade die Tür. Seine Augen blitzten kurz auf als wollten sie sagen, dass sie ihr Kaffeekränzchen auf nach dem Unterricht verschieben sollten statt es vor dem Klassenzimmer abzuhalten. Doch Kestrel meinte, kurz darauf ein Zwinkern zu sehen, und auch die Stimme klang keineswegs belehrend als er sie mit einem „Das ging schnell. Kommt rein.“ hereinbat.

Kestrel atmete noch einmal tief durch und folgte dann Azusa über die Türschwelle.

Die Schwarzhaarige steuerte sogleich einen freien Platz in der ersten Reihe an, nahe der Tür, und ließ sich auf diesem nieder. Das blonde Mädchen hingegen blieb noch neben der Lehrkraft stehen, nicht so recht wissend, was sie nun machen sollte außer wenigstens schon mal ein „Hi!“ in den Raum zu werfen. Auf den ersten Blick konnte sie keinen freien Platz entdecken. Erst nachdem der Blick brauner Iriden über die anwesenden Köpfe wanderte und neugierigen fremden Blicken begegnete, entdeckte sie in der vierten und letzten Reihe zwei freie Plätze nebeneinander.

„Ihr habt ja bereits mitbekommen, dass wir ab heute eine neue Schülerin haben. Darf ich euch nun Eto, Yuka vorstellen?“

„Ähm…!“

Gerade bekam sie noch die Kurve und unterdrückte den Drang, dem Lehrer in die Vorstellung reinzureden. Aber bevor er weitersprach wollte sie doch lieber selbst etwas über sich erzählen. „Ja… äh… Hi nochmal. Ihr könnt mich gerne Yuka nennen. Oder Kestrel, das ist mir noch lieber.“

Nicht, dass sie etwas gegen den Namen hatte, den ihre Eltern vor siebzehn Jahren für sie aussuchten… aber es gab einen guten Grund für die alternative Ansprachemöglichkeit.

„Ich bin vor ein paar Wochen mit meinen Eltern hierher gezogen und freue mich, dass ich ab heute in eurer Klasse sein kann. Hoffentlich werden wir gute Freunde!“

Mit den letzten Worten verneigte sie sich eilig. Das war für den Moment alles, was sie sagen wollte. Schließlich wollte sie den Unterricht nicht zu lange aufhalten. Kestrel wandte den Kopf zur Seite, suchte den Blick des Lehrers um herauszufinden, was sie nun machen sollte, aber da hatte der schon längst wieder das Wort ergriffen:

„Gut, Eto. Nimm doch dort hinten Platz.“

Wie erwartet deutete der Lehrer gen der beiden freien Plätze. Cool! Da würde sie doch gleich den Fensterplatz nehmen! Diesen steuerte sie zwar zunächst noch zielstrebig an, aber als auch den Anderen klar wurde, wo sie Platz nehmen wollte, wurde sie sogleich mit einem „Halt, nicht da. Daneben!“ aufgehalten. Nanu?

Die braunen Iriden sahen etwas verdutzt zu dem Lehrer. Warum denn nicht am Fenster? In den vorderen drei Reihen war dieser Platz doch auch besetzt. Und der sah doch ganz normal aus?

„Sorry.“

Sie konnte sich zwar das Verhalten nicht erklären oder irgendeine Besonderheit an diesem Platz ausmachen, aber gut. Dann setzte sie sich eben auf den freien Platz daneben. War ihr ja relativ egal und so hatte sie wenigstens einen Banknachbar, mit dem sie quatschen könnte. „Hallo, freut mich!“, begrüßte sie jenen, der allerdings nur ein sehr kurz angebundenes „Hallo.“ zurückgab. War bestimmt nur Einbildung, dass sich das unfreundlich anhörte. Trotzdem wirkte Kestrel noch ein wenig verwundert, zuckte dann aber mit den Schultern und setzte sich, ehe sie in ihrer Tasche nach etwas zum Mitschreiben kramte.

„Eto.“, wurde da nochmals jäh ihre Aufmerksamkeit eingefordert.

„Äh, ja?“ Sofort schoss Kestrel wieder in die Höhe und brachte mit der schreckhaften Reaktion ein paar einzelne Schüler zum Kichern.

„Wenn du Fragen hast, wende dich jederzeit an die Schülersprecherin.“

Wer war denn…?

„Azusa-hime wird dir gerne weiterhelfen.“

… Okay, ungestellte Frage gleich mal beantwortet. Von hier hinten hatte sie eigentlich sogar einen relativ guten Blick auf die Schwarzhaarige, die sich gerade noch umdrehte und sie ermunternd anlächelte. Hm. Kestrel platzierte ihre Ellenbogen auf dem Tisch und stützte ihren Kopf mit den Handinnenflächen. Schülersprecherin also. Kein Wunder, dass die auf sie zugekommen war und sich so sicher bei der Führung verhalten hatte. Wahrscheinlich war sie das gewohnt. Und bei ihrem hübschen Aussehen und ihrer sympathischen, hilfsbereiten Art wunderte es Kestrel kein bisschen, dass sie dieses Amt innehatte.

„Beneidenswert.“

Das perfekte Mädchen, wie?

Kein Wunder, dass sie wie eine Prinzessin benannt wurde. Sie sah wie eine aus und verhielt sich tadellos, ohne eingebildet zu sein. Kestrel könnte sich Azusa auch sehr gut in entsprechender Robe vorstellen.
 

Stunden später heftete sich der Blondschopf also gleich mal an die Fersen besagter Schülersprecherin, die offensichtlich für jedermann hier wie eine Prominente war. Jeder schien sie zu kennen und jeder sprach sie ehrfürchtig und höflich an. Selbst die älteren Schüler und Schülerinnen verbeugten sich und machten den Weg zur Mensa frei.

„Du bist echt krass, Azusa…“, bemerkte Kestrel mit ehrlicher Anerkennung, erntete damit allerdings zunächst nur ein etwas irritiert wirkendes „Bitte?“

Hoppla. Sie sollte wohl besser erst denken und dann reden.

„Äh… ich meinte, du bist ziemlich cool. Siehst gut aus und bist total lieb und nett. Kein Wunder, dass du Schülersprecherin bist. Dich scheint jeder zu kennen und zu respektieren…“, verbesserte sich Kestrel eilig und versuchte, Azusa zu erklären, wie sie ihre Worte gerade eben gemeint hatte. Musste sich für sie ja angehört haben als vergleiche Kestrel sie mit irgendeiner furchterregenden Gangsterbraut.

„N-nicht doch…“, murmelte das schwarzhaarige Mädchen bescheiden. „Wenn es hier jemanden gibt, den jeder kennt und respektiert, dann ist das-…“

Bamm.

Kestrel war voraus gelaufen, hatte die großen Türen geöffnet und lief nach weiteren zwei Schritten in einen anderen Schüler hinein. Dieser überragte sie ein gutes Stück und sie wusste gar nicht, wie sie den hatte übersehen können.

„Pass doch auf!“, wurde sie eisig angeschnauzt.

„S-sorry!“, entschuldigte sie sich sofort und mit eiligen Verbeugungen. Verdammt noch mal, das war keine Absicht gewesen. Sie wollte sich doch nicht ausgerechnet schon am ersten Schultag blamieren! Und das auch noch vor Miss Perfect-Azusa!

Mit einem entschuldigenden Blick in deren Richtung wollte sich Kestrel wohl vergewissern ob die das überhaupt mitbekommen hatte. Scheinbar ja. Denn Azusa sah zurück, auch wenn im Mittelpunkt ihrer Iriden wohl eher die Person stand, die Kestrel versehentlich angerempelt hatte. „O-sama.“

Waaaas? Kestrel schluckte etwas ängstlich. Prinzessin und König? Hatte sie Azusa’s Vater angerempelt? Oh nein! Und bei ihrem Glück war der jetzt garantiert ganz klischeehaft der Direktor der Schule oder irgendwie so etwas. Irgendeine Persönlichkeit, in die man besser nicht hinein rannte. Außerdem wurde er von einer kleinen Gruppe begleitete. Die Leibgarde? Irgendwelche Sicherheitsbeamte, die sie für diesen Frevel gleich erschießen würden? Kestrel gab ein fiepsendes Geräusch von sich und wagte kaum, den Kopf zu heben. Aber das wäre ja furchtbar unhöflich! Und sie wollte das Ganze nicht noch schlimmer machen als es bereits war.

„E-es tut mir wirklich, wirklich fur-…“ –chtbar leid, wollte sie sagen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken als sie bemerkte, wen sie da angerempelt hatte. Keinen älteren Herren, was von der Stimme her schon gar nicht gepasst hätte. Garantiert auch nicht Azusa’s Vater. Viel schlimmer!

„D-der Kerl aus der Bibliothek!!!“

Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Ihre nächtlichen Albträume setzten sich am helllichten Tag fort. Sie hatte diesen Kerl nie wieder sehen wollen. Ihn nicht und seine fies aussehenden Freunde auch nicht! Und jetzt stand der vor ihr, in ähnlicher Bekleidung, und mit dem leeren – zum Glück nicht voll beladenen! – Tablett in der Hand, mit dem er scheinbar gerade sein Mittagessen hatte holen wollen.

„Ach.“, schien der sie gerade auch wieder zu erkennen und seine Mundwinkel verzogen sich zu demselben Grinsen wie das, das er ihr damals gezeigt hatte. Überheblich. Kalt.

Schnell weg hier, entschied sich Kestrel und nahm mit einem gen Azusa gehauchten „Sorry, hab’ was vergessen!“ ganz schnell die Beine in die Hand. Der Typ machte ihr Angst! Genug, um auf das Mittagessen zu verzichten. Wo konnte sie sich denn jetzt verstecken bis der Unterricht wieder begann? Da wäre sie wenigstens sicher vor ihm.
 

Das war ihr einziger Lichtblick gewesen, der ihr den Tag hätte retten können. Vor dem Mittagessen hätte sie sich wahrscheinlich jedes Mal drücken können um diesem Kerl nicht noch ein drittes Mal über den Weg zu laufen. Aber jene dritte Begegnung kam deutlich früher zustande, noch am selben Tag.

Denn Kestrel, die sich in irgendeinem leeren Klassenzimmereck verschanzt hatte und innerlich vor sich hin fluchte, kehrte nach dem lauten Gong, der das Ende der Mittagspause verkündete, zurück in ihr eigenes Klassenzimmer. Der Magen knurrte und nervte sie damit ziemlich, aber sie würden keine zehn Pferde in die Mensa bringen!

Vorsichtig wagte sie Blicke nach links und rechts ehe sie das leere Zimmer verließ und sich nicht von verwunderten Gesichtern beirren ließ.

Kein braunhaariger, blauäugiger Mistkerl weit und breit. Sie flitzte zum nächsten Eck, wiederholte die Prozedur. Bis sie an ihrem Klassenzimmer ankam, gerade noch rechtzeitig vor dem Lehrer in dieses hinein huschte. Puh, geschafft!

„Dein Platz ist da hinten, Eto.“, meinte der Lehrer wohl, sie erinnern zu müssen, wo sie saß. Scheinbar dachte er, sie hätte es vergessen, weil sie wie erstarrt auf halbem Weg stehen blieb, und ganz blass wurde.

Aber das war nicht der Grund. Der Grund hatte braune Haare, blaue Augen, eine Brille auf und saß direkt neben ihrem Platz am Fenster. An dem Platz, der vorher noch leer gewesen war. An dem Platz, an dem nun dieser Kerl saß!

„A-aber… aber…!“

Neiiiin, sie wollte da nicht hin! Der würde sie in der Luft zerreißen!

Warum war der überhaupt da? War er doch vorhin auch nicht gewesen!

Sie verstand das nicht.

Was sie aber verstand, war der gut gemeinte Rat des Lehrers, der nur leider viel zu spät kam: „Setz’ dich und verhalte dich ruhig solange O-sama da ist.“

O-sama, das war ja offensichtlich dieser Bastard, denn auch Azusa hatte ihn vorhin so angesprochen. Kestrel’s Schritte in seine Richtung waren wie mechanisch und es kostete sie viel Mühe, gegen den eigenen Widerwillen anzukämpfen.

Gott, was hatte sie getan, um so bestraft zu werden?

Kreidebleich ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen und rückte mit diesem vorsichtshalber noch ein Stück weit weg von diesem Kerl. Sie traute sich nicht, zur Seite zu blicken, denn da wartete garantiert wieder dieses unheimliche Lächeln! Und schon bei dem Gedanken daran wurde ihr schlecht.

Am Morgen war sie noch zuversichtlich gewesen und jetzt, mittags, gab es für sie nichts Schlimmeres mehr als diese Schule, diese Klasse, diesen Platz.

Diesen Banknachbarn!

Das würde sie keine Woche überleben!

„Hey.“, wurde von links gezischt. Unverkennbar seine Stimme. Neiiiin!

Sie kniff die Augen zusammen und antwortete nicht, schon der Angst wegen nicht, was der dann machen würde.

Keine Antwort zu bekommen gefiel dem Kerl wohl aber noch weniger, denn mit einem Mal boxte er ihr mit der Rechten ziemlich hart in die Seite. „Aua!!“

„Ignorier mich nicht, Göre.“

Sollte sie nicht? Kestrel atmete tief ein und nahm all ihren Mut zusammen um sich beim Lehrer über den Schlag zu beschweren: „Herr Lehrer, kann ich woanders sitzen? Der hat mich geschlag-…!“

Der Blick des Lehrkörpers weiter vorne begegnete ihrem. Gott sei Dank!

Aber er überging die Worte, die er garantiert vernommen hatte, völlig und wandte sich mit einem abrupten Themenwechsel der Tafel zu als sei der Unterrichtsstoff viel wichtiger als die Tatsache, dass hier gerade ein Kerl gegenüber der neuen Schülerin Gewalt angetan hatte.

„Haben Sie nicht geh…“, versuchte es Kestrel noch einmal und stand dafür extra noch einmal auf, empört über diese Ignoranz, die ihr auch die anderen Klassenkameraden entgegen brachten weil sie stur nach vorne sahen statt ihr zu helfen. Was ging denn hier ab?!

Ein verächtliches Schnauben zu ihrer Linken ließ sie wieder auf den Verursacher der Schmerzen in ihrer Seite aufmerksam werden.

„Keine Chance, Kleine.“ wurde ihr kühl die offensichtliche Wahrheit entgegen gebracht. „Ich habe dir gesagt, hier gelten meine Regeln.“

Was tun? Sie hatte Angst. Aber gleichzeitig war sie auch stinksauer. Und verwirrt, weil sein Verhalten von allen ignoriert und damit stillschweigend geduldet wurde. Wer war der Kerl, dass er sich das erlauben konnte? Und wer war sie, dass sie das mit sich machen ließ?

Mit einem „Grr!“ ließ sich Kestrel wieder auf ihren Stuhl sinken.

Bei aller Panik… sie durfte sich das nicht gefallen lassen. Nicht von ihm. Wenn sie nachgab, würde er damit immer weiter machen. Und sie hatte keine Lust darauf, dass der ihr jetzt ihre restliche Schulzeit verdarb! Der Körper zitterte zwar, aber ihr Blick in seine Richtung war herausfordernd.

„Damit kommst du nicht durch!“, fauchte sie.

„Werden wir ja sehen.“, kam von ihm nur mit einem Schulterzucken zurück.

Ja. Das würden sie.



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